Tribal Soul von MarySae (Das Tor zu deinen Träumen) ================================================================================ Kapitel 8: Sinnlos? ------------------- Sie fand es einfach unglaublich. Erst riss der Sog so heftig an ihr, dass sie dachte, sie würde ins Nichts stürzen und im nächsten Moment öffnete sie ihre Augen und es sah aus, als wäre nichts gewesen. Und trotzdem wusste sie, dass sie nicht mehr an dem Ort war, an dem sie vor wenigen Sekunden noch gestanden hatte. Liam war noch nicht da, also beschloss sie hinüber zu den vernagelten Fenstern zu gehen und durch die Lücken der Holzbalken zu schielen. Wer weiß, was für wunderliches sie diesmal sehen würde? Doch damit konnte sie ihre Neugierde nicht befriedigen. Die Schlitze waren einfach zu klein, um vernünftig hindurchsehen zu können. Und als wenn das nicht schon blöd genug wäre, war auch noch das Glas so dreckig, dass ein Hinaussehen auch ohne die Verriegelung unmöglich blieb.   Doch grade, als sie sich frustriert abwenden wollte, waren innerhalb eines Blinzelns alle Holzbretter verschwunden und das Glas kristallklar. Vor Schreck sprang sie einen Schritt zurück. „Du hast diese ganze Sache mit der „Traumwelt“ noch nicht so ganz verstanden, oder?“ Die Stimme hinter ihr erschreckte sie nur noch mehr. Sie hatte den Braunhaarigen gar nicht kommen hören… Doch nur langsam begriff sie den Sinn hinter seinen Worten. Natürlich. Dies war ein Traum. Eine fiktive Abbildung der realen Welt, in der man das, was man sah, mit dem, was man dachte manipulieren konnte. Mit ein bisschen Fantasie war hier wahrscheinlich alles möglich. Selbst im eigentlich wachen Zustand.   Kurz warf sie einen Blick auf den sonnendurchfluteten Hof, auf dem es plötzlich vor Autos und Menschen nur so wimmelte. Männer in Overalls und Werkzeuggürteln liefen geschäftig von einem Wagen zum Nächsten. Waren das Mechaniker? Aber irgendwie sahen die Autos merkwürdig aus. So eckig und kantig und … alt. „Die Werkstatt hat mal meinem Onkel gehört. Ich war früher oft hier, als ich noch ein Kind war.“ Das ließ Eyleen aufhorchen. Wenn das so war, dann ergab die Tatsache, dass er einen Schlüssel für die Räume hier hatte, durchaus Sinn. Und sie hatte wirklich gedacht, er würde hier einbrechen… „Sie steht mittlerweile seit Jahren leer. Darum ist es ein guter Treffpunkt für unsere Jagd. Hier kommt schon lange niemand mehr her. Also kann uns auch niemand in dem seelenlosen Zustand finden.“ Sie nickte verstehend und wandte sich von Liams in den Hof projizierten Gewimmel ab. Aus den Augenwinkeln erkannte sie, dass die Fenster wieder ihre ursprüngliche, „reale“ Form annahmen. Die Nervosität verflog langsam und es war ihr wieder möglich, gleichmäßig und ruhig zu atmen.   „Und was genau machen wir jetzt?“ Nun tauchte auch Liam selbst aus seinen Kindheitserinnerungen auf und ließ sich in den roten Sessel neben dem Fenster fallen. Seine Beine hingen locker über der Lehne. Eyleen stutzte. Seit wann stand das Möbelstück denn da? „Du musst erst mal lernen, die Energie des Tribals in dir zu spüren. Nur dann kannst du sie auf deine Hand konzentrieren und die Klinge rufen.“ Er hatte schon seine Augen geschlossen, noch ehe er ausgeredet hatte. Die Blondine legte den Kopf schief. „Die Energie des Tribals?“ Ein schlichtes Nicken seinerseits. Die Theorie zu lehren schien ihm an seinem Lehrer-Job eher weniger zu gefallen. „In deinem Körper spürst du sie nicht bzw. nur sehr schwach. Seit das Tribal auf deinem Rücken ist, ist sie aber da. Bei mir fühlt sich alles seitdem ein bisschen, na ja, eben wärmer an. Eigentlich ist es kaum zu bemerken, aber wenn man es weiß, dann ist es möglich sie zu finden. Das Konzentrieren der Macht in der Mitte der Handfläche fühlt sich ein bisschen so an, wie eine abgeschwächte Version des Erscheinens einer neuen Erweiterung.“ Das Brennen kannte sie mittlerweile nur zu gut. Dass sie aber bereits die zweite von fünf Erweiterungen besaß, behielt sie erst einmal für sich.   Sofort horchte sie in sich hinein. Sie schloss ihre Augen und suchte. Irgendetwas, was anders war als sonst. Sie suchte nach dem Gefühl, welches sie bereits beim Erwachen nach ihrem Treffen mit dem Tribal-Studio hatte. Diese Gewissheit, dass irgendetwas nicht so war, wie es sein sollte… Und tatsächlich fand sie etwas. Es war ihr nicht möglich zu definieren, was es genau war, aber da war etwas! Etwas Warmes… Sie versuchte sich vorzustellen, wie sich diese Wärme in ihrer Hand sammeln würde und wie es sich anfühlen könnte. Ein fiebriges Gefühl tauchte in ihr auf und sie musste sich zwingen weiterzumachen und nicht den Versuch abzubrechen. Ohne die Klinge konnte sie sich nicht wehren, sich nicht schützen. Genau wie bei ihrer ersten Begegnung mit dem Dämon… Sie konnte nicht kämpfen. Und vor allem hatte sie keine Chance den Menschen zu helfen.   Als ihre linke Hand anfing zu brennen, riss sie erschrocken die Augen auf. Tatsächlich schien eine merkwürdige Hitze durch ihren Körper zu fließen, die sich nun auf ihrer Handinnenfläche sammelte. Liam hatte recht gehabt. Es fühlte sich tatsächlich wie beim Entstehen einer Erweiterung an! Beinahe so, als würde ein glühendes Stück Holz ihre Haut versenken. Und dann ging alles ganz schnell. Ein heller Blitz blendete sie für den Bruchteil einer Sekunde und als sie wieder die Augen öffnete, hatte sich auf ihrer Haut ein silberner Kreis aus Licht gebildet. Ein helles Funkeln lag über ihm und es schien, als würde er glimmen. Und schon im nächsten Augenblick schob sich etwas Schwarzes durch den Kreis und wuchs mit jeder Sekunde in die Länge. Sie wusste nicht, wie lange es wirklich dauerte, bis das Ding aus ihrer Hand gewachsen war, doch für sie kam es vor, als wären es Stunden gewesen. Immer mehr von diesem Nichts wuchs aus ihrem Körper und plötzlich schwebte sie direkt vor ihr. Schwarz und geheimnisvoll. Nur die kleinen weißen Wellen schoben sich in einem scheinbar nicht zufälligen Muster durch die dichte Schwärze. Eins, zwei, drei, vier, fünf, längere Pause. Und dann das ganze wieder von vorn. Ganz automatisch streckte sich ihre Hand dem Griff der Klinge entgegen. Ihr Körper zitterte. Sie hatte ihre Finger kaum unter Kontrolle. Sie schienen plötzlich so kalt zu sein. Als wäre sämtliches Blut aus ihnen gewichen. Es waren nur noch Zentimeter, die sie von der Waffe trennten. Einer Waffe, die Dämonen bekämpfen sollte. Diese Wesen… Diese roten Augen… Dieser entstellte Körper. Diese Fangzähne und Krallen… Dieser Schrei. Im nächsten Moment wich sie erschrocken zurück und die Klinge war verschwunden. Schwer atmend blickte sie auf ihre Hand, die nun wieder so normal wie eh und je erschien. Der Lichtkreis war verschwunden und das Schwert ebenfalls.   In ihr verkrampfte sich alles. Das Zittern ihrer Gliedmaßen wurde noch stärker. Schwindel überfiel sie und sie taumelte ein Stück zurück, bis sie die Wand in ihrem Rücken spürte. In genau diesem Moment gaben ihre Beine unter ihr nach und sie ließ sich an der Mauer hinabgleiten, bis sie auf dem Fußboden saß. Auf einmal fühlte sie sich müde und ausgelaugt. Was war bloß passiert? „Eyleen? Bist du okay?“ Die junge Frau hatte gar nicht gemerkt, dass sie die Augen geschlossen hatte. Erst als die Stimme dicht neben ihr sie wieder daran erinnerte, dass sie gar nicht alleine war und es überhaupt nicht so dunkel sein dürfte, brachte sie ihre Augenlider mit großer Mühe dazu, sich wieder zu öffnen. Ihre Sicht war ein wenig verschwommen und sie hörte seine Stimme nur gedämpft in ihren Ohren, doch es war unverkennbar er, der neben ihr hockte. Wer sollte es auch sonst sein? Sie holte tief Luft und nickte ihm schwach zu. Mit den Fingern rieb sie sich dabei über die Augen, um den Schleier aus ihrem Blick zu entfernen. „Mir geht’s gut. Hab mich nur erschrocken.“ Sie blinzelte ein paar Mal, ehe sie in der Lage war, ihn richtig zu erkennen. Oder spann sie etwa doch noch rum? Das konnte ja schlecht Sorge sein, die dort in seinen harten eisblauen Augen schimmerte. Liam war jemand, der sorgte sich um nichts und niemand. Wahrscheinlich nicht mal um seine Schwester. Und schon gar nicht um sie…   Er schüttelte den Kopf und ließ sich dabei im Schneidersitz neben ihr nieder. Einfach so, als könnte er nicht verstehen, was gerade passiert war. Sofort spürte Eyleen diesen kleinen, fiesen Stich in sich. Fand er sie etwa so schlecht, dass er über ihre Unfähigkeit nur den Kopf schütteln konnte? Aber nein. Sie würde sich nicht von diesem arroganten Schnösel beleidigen lassen… „Ich hatte es eigentlich nicht mehr für möglich gehalten, dass du mich ein weiteres Mal dermaßen überraschst.“ Er hatte die Augen geschlossen und massierte mit einer Hand seine Schläfe. „Mittlerweile glaube ich, dass du gar kein Neuling mehr sein kannst.“ Eyleen verstand überhaupt nichts. „Was willst du damit sagen?“, fragte sie misstrauisch. Sie wusste noch nicht, ob das, was er sagte, gut oder schlecht für sie war. „Als Anfänger solltest du gar nicht in der Lage sein, die Klinge heraufzubeschwören! Du solltest nicht mal die Energie des Tribals spüren können! Die Schnellsten von uns brauchen mindestens zwei Wochen, um überhaupt etwas zu Stande zu bringen! Und du…!“ Er wirkte ein wenig fassungslos. Immer wieder schüttelte er ungläubig seinen Kopf. „Das heißt also… Aber die Klinge! Sie ist doch verschwunden, ehe ich sie greifen konnte!“ Liam zuckte bloß mit den Schultern. „Das? Das war nichts. Du hast dich bloß vor dieser für dich neuartigen Energie erschrocken. Du hättest die Klinge problemlos nehmen können, wenn deine Gedanken nicht so abgeschweift wären.“ Die Erinnerung an den Schrei des Dämons. Das hatte sie also so aus dem Konzept gebracht! „Beim nächsten Versuch bist du wahrscheinlich schon in der Lage, die Klinge zu führen. Und es würde mich nicht mehr überraschen, wenn du damit schon jeden Schwertkampf gewinnen würdest.“ Durch seinen braunen Haar-Pony hindurch blickte er zu ihr hinauf. Kurz blitzte darin etwas auf und Eyleen ahnte, was es war. Sie konnte nicht verhindern, dass sie etwas eingeschnappt klang. „Ich habe bisher keine Schwertkampfstunden genommen, falls du darauf hinaus willst.“ Jetzt lachte er und erhob sich wieder. Seine Hand streckte er ihr entgegen. „Noch einen Versuch, Kätzchen?“   Eyleen wusste nicht, wie lange sie schon dort in diesem kleinen Raum mitten in der Traumwelt trainierten. Ab und zu vernahmen sie von außerhalb des Gebäudes seltsame Geräusche und Laute und als plötzlich ein Dinosaurier direkt vor ihrem Fenster brüllte, hätte die Blondine sich um ein Haar vor Angst in die Hose gemacht. „Hier in der Nähe wohnt so ein absoluter Dino-Freak“, hatte Liam ihr erklärt. „Der Kerl träumt wirklich täglich davon!“ Das würde also das vermehrte Aufkommen von fleischfressenden Urzeitreptilien erklären. Und trotzdem wunderte sie sich darüber. „Aber es ist mitten am Tag! Wer schläft denn samstagnachmittags?“ „Vielleicht ist er arbeitslos oder ein Student? Keine Ahnung. Du kannst ihn ja mal fragen, wenn du ihn triffst. Anscheinend hat er gerade einfach nichts Besseres zu tun, als sich mal wieder von einem Dinosaurier fressen zu lassen.“ Damit hatte Eyleen das Thema auch fallen gelassen und sich wieder ihren Übungen gewidmet. Tatsächlich war das Heraufbeschwören der Klinge kein Problem mehr. Sie fand sehr schnell die Wärme in ihrem Inneren und konnte die Waffe mühelos an sich nehmen. Doch das Aufrechterhalten der Energie fiel ihr noch etwas schwer. Am Anfang blieb das Schwert nur gute fünf Minuten, ehe es urplötzlich verschwand, doch mittlerweile kam sie beinahe an die Stunde heran. Liam hatte ihr ein paar Grundhaltungen gezeigt, wie sie mit der Waffe umzugehen hatte. Aber das alles kostete sie wahnsinnig viel Kraft.   „Ich habe noch mal über gestern nachgedacht“, fing Liam, der in der letzten Zeit schweigend auf seinem Sessel gesessen und sie beobachtet hatte, plötzlich an. „Du hast den Dämon da wirklich wütend gemacht, weißt du?“ Eyleen stutzte. „Wieso?“ „Du hast ihm anscheinend seine Nahrung genommen. Das fand er wohl weniger witzig.“ Ein kleines, schadenfrohes Lächeln umspielte seine Lippen, als er an die Situation zurück dachte. Ihre Stirn runzelte sich verwirrt. „Was soll ich gemacht haben? Seine Nahrung?“ Erst jetzt hob der Braunhaarige seinen Blick und sah ihr direkt in die Augen. „Riley hat dir sicherlich erzählt, dass die Dämonen unser Herz und die Gedanken vergiften, um von uns Besitz zu ergreifen, nicht? Jedenfalls ist das nicht alles. Sie leben von unseren schlechten Gefühlen. Wenn wir Angst haben, werden sie umso stärker. Darum zeigen sie den Menschen ja auch ihre schlimmsten Albträume und rufen böse Gedanken hervor. Nämlich damit sie verbotene Dinge tun, was wiederum die Furcht in ihnen wachsen lässt. Gefängnisstrafen, Verlust eines geliebten Familienmitglieds oder sogar der eigene Tod im Kugelhagel mit der Polizei. Und je schlimmer die Angst des Besessenen ist, desto schneller wird der Dämon genug Kraft gewonnen haben, um ihn zu übernehmen. Diese Schattenwesen leben von der Angst anderer. Du solltest also lernen, dich nicht vor ihnen zu fürchten, denn in der Traumwelt bist selbst du von ihnen angreifbar. Dämonen können zwar einen Menschen nicht verlassen, nachdem sie einmal in ihn eingedrungen sind, aber sie können trotzdem die Angst anderer, die in ihrer Nähe sind, fressen. Du würdest ihn also bloß stärker machen, anstatt ihn zu bekämpfen.“ Keine Angst haben? Vor diesen gruseligen Viechern, die nichts anderes wollen, als jemandem wehzutun? Das klang eher nach einem Ding der Unmöglichkeit.   „Was passiert eigentlich mit einem Dämon, wenn man ihn besiegt?“ Die Frage brannte ihr schon länger auf der Zunge und dies schien der perfekte Moment zu sein, um sie zu stellen. Konnten Geisterdämonen wirklich sterben? Eine ganze Weile blieb es ruhig. Eyleen ließ das Schwert sinken, welches sie eben noch für ihre Übung erhoben hatte. Sie hatte kaum noch Kraft in den Armen und sie spürte bereits, wie ihr die Klinge wieder entglitt. „Wir können sie vertreiben, ja.“ Liam schien seine Worte sorgfältig zu wählen. Zu sorgfältig. Sofort drehte sich Eyleens Magen um. „Aber wir können sie nicht töten, wenn es das ist, worauf du hinaus willst.“ Die Blondine blieb stumm und reglos. „Wenn wir sie mit der Klinge durchbohren, saugt die Waffe die gesamte böse Energie, die der Dämonen durch das Quälen des Menschen gesammelt hat, in sich auf. Wie ein Schwarzes Loch. Dadurch wird die Person von ihren Albträumen und bösen Gedanken erlöst. Und trotzdem… Der Dämon bleibt in ihrem Körper und die Menschen sind weiterhin anfällig für die Manipulation. Besonders nach dem, was sie unter dem Einfluss der Wesen, schon getan haben.“ Eyleen schluckte schwer und die Klinge verschwand aus ihren Fingern. Sie sah zu Liam hinüber, der nun angespannt aussah. „Wir können die Menschen also nicht endgültig von den Dämonen befreien?“ Der Tri schüttelte den Kopf. „Es kann gut sein, dass wir dem jungen Mann von gestern sehr bald wieder über den Weg laufen werden. Es hängt einfach davon ab, wie stark er ist.“   Sie ließ den Kopf hängen. Plötzlich kam ihr alles so sinnlos vor. „Warum machen wir das alles dann überhaupt? Das ist doch so völlig sinnlos!“ Sie schreckte hoch, als sie ihre Gedanken plötzlich laut ausgesprochen hörte. Doch nicht aus ihrem Mund. „Das ist es, was dir gerade durch den Kopf geht, hab ich recht?“ Sie wagte es nicht, Liam anzusehen. Es war ihr unangenehm, dass er sie dabei ertappt hatte. „Den Gedanken hatten wir alle einmal. Aber solange wenigstens die Möglichkeit besteht, dass wir diese Biester aufhalten und zurück in die Hölle schicken können, ist das für die meisten Ansporn genug. Wir können den Menschen ihr Leben wiedergeben. Ist das nicht Grund genug es wenigstens zu versuchen? Den Rest jedoch müssen sie aus eigener Kraft schaffen…“   Die abendliche Luft war frisch geworden. Kaum war sie Zuhause angekommen, war sie schon in ein bequemeres Outfit geschlüpft und hatte es sich mit einem frischen Kaffee im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Schön eingegraben unter ihrer Kuscheldecke und einem entspannten Fernsehprogramm. Liam hatte sie ziemlich bald nach Hause gejagt. Man sollte ja nicht zu lange in der Traumwelt bleiben, das würde nur schaden. Eyleen hatte nichts dagegen gehabt. Sie war sowieso völlig am Ende ihrer Kräfte und gerade merkte sie, dass auch der Kaffee ihre Müdigkeit nicht vertreiben konnte. Selbst seine eher unfreundliche Geste, sie einfach an der Bushaltestelle stehen zu lassen und mit seinem Auto an ihr vorbei zu fahren, hatte sie gar nicht als so schlimm empfunden. Riley hätte sie nie alleine gehen lassen, davon war sie ziemlich überzeugt. Liam aber wusste, dass sie okay war (müde, aber okay) und dass sie ein wenig Zeit für sich brauchte. Und tatsächlich hatte sie die ruhige Busfahrt sehr genossen. Trotz der vielen Menschen, die um diese Uhrzeit unterwegs gewesen waren. Sie hatte schnell einen freien zweier Sitzplatz gefunden, war an das Fenster heran gerutscht und hatte träumerisch die vorbeiziehende Stadt beobachtet, ohne dabei groß etwas zu sehen. Sie hätte sogar beinahe ihre Haltestelle verpasst, weil sie gar nicht mitbekommen hatte, dass die Zeit so schnell verflogen war. Ob jemand während der Fahrt neben ihr gesessen hatte, wusste sie genauso wenig.   Und nun hatte sie sich vorgenommen, den Abend auf der Couch zu verbringen. Aufräumen, saubermachen und Wäsche waschen würde sie ausnahmsweise auf nächste Woche verschieben. Wenn sie am morgigen Sonntag wenigstens die herumliegenden Sachen wegräumen würde, würde Mia nicht einmal etwas von ihrer Faulheit merken.   Aber was würde sie jetzt tun? Wie würde sie mit all den Informationen, die sie in den letzten Tagen gehört hatte, umgehen? Schloss sie sich der Gruppe an? Riley würde sie sicherlich aufnehmen und Liam fände sie vielleicht interessant genug, um sie erst einmal mitspielen zu lassen. Doch Chloé wäre ziemlich sicher dagegen. Und so wie sie sich benahm, hatte sie garantiert das letzte Wort bei Entscheidungen aller Art. Würde sie dann alleine gegen die Dämonen kämpfen? Ein klares Nein. Sie hatte noch immer keine Ahnung, wo sie da eigentlich hineingeraten war. Dämonen, die in den menschlichen Träumen hausten? Ihre Wirte schlimme Dinge tun ließ? Dämonen, die in der Lage waren, die Tri‘s zu verletzten oder sogar umzubringen? Nein. Das konnte sie nicht alleine durchstehen. So stark und mutig war sie einfach nicht. Da brauchte sie weder andere noch sich selbst belügen.   Aber sie wollte helfen, dass wusste sie tief in ihrem Inneren. Für sie würden die meisten Wochenenden in Zukunft genauso aussehen. Sie würde kämpfen. Irgendwie.   Noch ehe sie wusste, was sie eigentlich tat, zog sie ihre Hand unter der Decke hervor und starrte diese an. Dort, wo sie in den letzten Stunden mehr als einmal den Lichtkreis heraufbeschworen hatte, war nun nichts als Haut. Neugierig suchte sie nach der Wärme, die in ihrem Körper irgendwo versteckt liegen musste. Doch wie Liam es bereits angedeutet hatte, fand sie nichts. Es gelang ihr nicht, die Kraft des Tribals in ihrer Hand zu sammeln und so die nachtschwarze Klinge heraufzubeschwören. Sie fand nichts Greifbares. Sie fand überhaupt nichts.   Seufzend ließ sie ihre Hand wieder sinken und widmete sich erneut dem laufenden Fernsehprogramm. Obwohl es erst 18 Uhr war, musste sie sich richtig anstrengen, um ihre Augen offen zu halten. Immer wieder senkten sich ungewollt ihre Augenlider und versperrten ihr so den Blick auf die Sendung, die sie gerade sah. Sie schnaubte verärgert und versuchte sich den Schlaf aus den Augen zu wischen. Sie hatte doch so lange geschlafen! Wie konnte sie denn schon wieder müde sein? Erst das Knurren ihres Magens brachte sie auf eine Idee, wie sie sich wachhalten konnte.   Schnell schlug sie die Decke zurück, schaltete den Fernseher aus und verschwand in die Küche. Doch selbst trotz der langen Vorbereitungszeit ihres Leibgerichtes – Lasagne –, gab sie es um halb neun endgültig auf. Sie hatte sich kaum ins Bett gelegt, da war sie auch schon eingeschlafen und ihr letzter Gedanke war: Wird das jetzt immer so sein? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)