Tribal Soul von MarySae (Das Tor zu deinen Träumen) ================================================================================ Kapitel 14: Vertrauen --------------------- Am Sonntag weigerte Eyleen sich auch um 11:05 Uhr noch aus dem Bett zu kriechen. Egal, wie fordernd die Zahlen auf ihrem Wecker auch leuchteten! Nicht, dass sie wirklich bis dahin geschlafen hätte, denn die Gedanken überrollten sie am frühen Morgen wie eine Lawine, aber solange sie dort eingekuschelt in ihre Bettdecke war, kam ihr die Last eben dieser nicht ganz so schwer vor. Mia war schon früh durch die Wohnung geschlichen, was aber der Blondine nicht verborgen blieb. Doch trotz der nächtlichen Ausnahmesituation schien alles beim Alten zu bleiben. Das dachte sie zumindest, bis sie erneut von der Türklingel aufgeschreckt wurde. Es wunderte sie schon fast gar nicht mehr, dass erneut Mia in ihrem Türrahmen auftauchte und Besuch für sie verkündete. An das letzte Mal, dass so viele Leute etwas von ihr wollten, konnte sie sich schon gar nicht mehr erinnern.   Liam war es diesmal nicht, dessen war sie sich 100 prozentig sicher. Dann blieb eigentlich nur noch Riley, oder… „Chloé?“ Eyleen hatte kaum die Tür verlassen, da stand die großgewachsene Blondine auch schon vor ihr. Sie trug ein langes, blaues Kleid, welches ihren wohlgeformten Körper sehr gut zur Schau stellte, ohne übertrieben zu wirken. Ihre goldblonden Haare fielen in perfekten Wellen über ihre Schultern und landeten dort auf der weißen Strickjacke, die passend zu der Handtasche und den Schuhen abgestimmt war. Der Blick in ihren graugrünen Augen war hart, aber nicht unbedingt unfreundlich. „Faulenzt du immer noch im Bett? Zieh dich an, wir gehen einen Kaffee trinken.“ Das war keine Frage, sondern ein Befehl. Die junge Tri zögerte nicht lange. Der Schock über Chloés plötzlichen Auftritt und die Neugier, was sie wohl von ihr wollte, trieben sie an. Während sie sich Kleidung zusammensuchte und kurz ins Badezimmer verschwand, ließ Chloé es sich nicht nehmen, ihr Zimmer einmal genau unter die Lupe zu nehmen. Eyleen wusste nicht, ob ihr das so wirklich gefiel.   Keine 10 Minuten später verließen sie das Haus. Die Zeit, bis sie das von der Tri auserwählte Café betraten, verlief größtenteils schweigend. Die ältere Blondine hielt es anscheinend nicht für nötig ihre Aktion zu erklären und ihre Begleiterin beließ es dabei. Erst als sie - fernab aller anderen Gäste – an einem Tisch im Café Holze saßen und beide ihre bestellten Kuchen und Kaffetassen vor sich stehen hatten, fing Chloé an zu reden.   „Meinem Bruder geht es gut. Er schläft zwar immer noch, aber ich habe nach ihm gesehen. Die Stichwunde wurde gut versorgt und die Platzwunde am Kopf ist nicht so schlimm, wie sie aussah. Bis auf ein paar kleinere Schnitte und Kratzer hat er nichts Bedrohliches abbekommen.“ Sie machte eine Pause, um an ihrem Latte Machiato zu nippen. Eyleen seufzte erleichtert. „Ein Glück.“ „Er will mir nicht wirklich erzählen, was eigentlich genau vorgefallen ist. Er wurde von einer Gruppe Männer abgefangen und in eine Gasse gedrängt. Danach haben sie ihn angegriffen. Und dann bist du aufgetaucht und hast ihm geholfen. Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich zu dir gehe. Wenn er es wüsste, wäre er bestimmt nicht damit einverstanden. Aber ich muss dich fragen: Was ist genau passiert?“ Chloés Blick lag die ganze Zeit direkt auf der Blondine ihr gegenüber, welche nicht in der Lage war, ihm auszuweichen. „Ich… Ich weiß auch nicht, was eigentlich los war. Ich bin ihn suchen gegangen, nachdem Riley mich angerufen hatte. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, wo ich nach ihm sehen sollte, bin ich einfach losgelaufen. Irgendwann hab ich dann laute Geräusche und Stimmen aus einer Gasse gehört und bin gucken gegangen. Es war so dunkel, doch jemand hatte seine Handylampe an. Ich erkannte Liam und bin zu ihm hin. Als wir dann fliehen wollten, wurde er dann von dem Messer…“ Sie stockte und versuchte den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken. „Sie hätten uns beinahe getötet, wenn nicht… Wenn nicht diese zwei Tri’s aufgetaucht wären und uns…“ „Moment mal, Tri’s? Welche Tri’s?“, unterbrach Chloé Eyleens geflüsterte Worte. Darüber zu sprechen machte die Geschehnisse wieder unheimlich real. „Also… Wir hatten die Gruppe bereits vor ein paar Tagen in der Traumwelt getroffen. Sie haben uns geholfen.“ Hatte Liam ihr das nicht erzählt? Aber er hatte sie ja auch schon einmal zuvor verschwiegen. Ob es wirklich in Ordnung war, dass sie gerade so aus dem Nähkästchen plauderte? „Verrätst du mir ihre Namen?“ Sie hatte den Blick auf ihre Nusstorte gelenkt, in dem sie mit ihrer Gabel herumstocherte, was der Jüngeren sehr entgegen kam. „Matthew und Daniel. Zu ihnen gehört aber noch ein Mädchen namens Isabella.“   Die Gabel klirrte so laut, als Chloé sie auf ihren Teller fallen ließ, dass einige der Gäste sich mit einem wütenden Blick kurz zu ihrem Tisch umdrehten. Eyleen ließ das unerwartet laute Geräusch in sich zusammenzucken. „Ich verstehe“, sagte sie gepresst und ließ sich gegen die Stuhllehne sinken. „Deshalb also. Matthew und Daniel. Die beiden haben vor nicht allzu langer Zeit einiges an Gesprächsstoff geliefert. Er war wirklich sauer deshalb gewesen. Weißt du etwas darüber?“ Nun hatte sie die Hände unter ihrem filigranen Kinn zusammengefaltet und die Ellenbogen auf die geblümte Tischdecke aufgestellt, um darauf ihren Kopf abstützen zu können.   Eyleen war ein wenig erstaunt darüber, wie einfach das Gespräch zwischen ihnen beiden verlief. Normalerweise hatte sie eher das Gefühl, dass Chloé am besten nichts mit ihr zu tun haben wollte und sie so gut es ging mied. Aber jetzt… Es fühlte sich leicht an, gut sogar, wie sie miteinander redeten. Selbst bei so einem schweren Thema. Natürlich waren sie angespannt, beide, aber das war das wahrscheinlich absolut natürliche Verhalten, wenn man die Tragweite der Geschehnisse der letzten Wochen, und für Chloé sogar schon Jahre, betrachtete. „Liam war kurz darauf eingegangen, nachdem er wieder aufgewacht war“, fuhr Eyleen fort und stach ein Stück von ihrem Kuchen ab. „Er hatte sich mit Matthew deswegen gestritten, bis beide ziemlich sauer aufeinander waren und wir gegangen sind.“ Chloé seufzte. „Natürlich. Das passt so gut zu meinem Bruder. Die Geschichte hatte ihn damals wirklich mitgenommen. Mehrere Menschen wurden bei einer ähnlichen Situation verletzt, wie sie euch widerfahren ist. Doch damals hatten die beiden es darauf ankommen lassen, indem sie den Täter auf offener Straße gestellt hatten. Mitten am Tag. Sie sagten später, sie hätten nicht gewusst, dass er mit einer Pistole bewaffnet war, sonst hätten sie es nicht getan. Und trotzdem sind sie dem flüchtigen Mann hinterher gelaufen, der dabei wild um sich geschossen und ahnungslose Passanten getroffen hatte. Zum Glück hatten damals alle Opfer überlebt.“ „Aber warum hat Liam das so getroffen? Natürlich, es wären beinahe Menschen gestorben und die beiden Tri’s hätten definitiv anders handeln sollen, aber das hatte doch nichts mit ihm zu tun!“ Irgendwie ergab diese ganze Geschichte keinen Sinn! Doch Chloé schüttelte langsam den Kopf. „Oh doch. Es hatte etwas mit Liam zu tun und das war auch das Schlimme für ihn. Weißt du, Liam ist mein kleiner Bruder. Ich bin seine ältere Schwester. Auch wenn es nur knapp zwei Jahre sind. Meine Eltern haben schon immer zu mir gesagt, dass ich für ihn verantwortlich bin und auf ihn aufpassen muss, wenn er wieder gefährliche Sachen anstellt. Was er auch wirklich oft getan hat und immer noch tut. Und für mich gilt das bis heute noch. Als es mich damals… getroffen hatte und ich zu einer Tri wurde, habe ich mir immer gewünscht, dass er das nicht durchmachen müsse. Auch wenn mir innerlich immer klar war, dass er sich auch für diesen Weg entscheiden würde. Er ist einfach schon immer verrückt und abenteuerlustig gewesen. Dennoch tat ich mein möglichstes, um ihm ein angenehmes Leben zu bereiten in der Hoffnung, dass er dann keinen Grund mehr sieht, ein Tri zu werden. Ein Tri zu sein ist nicht leicht. Man hat viele Geheimnisse vor allen und jedem und begibt sich dabei oft in akute Gefahr, wie Liam wieder eindrucksvoll bewiesen hat. Natürlich wissen die Dämonen, dass wir ihnen auf den Fersen sind und sie wären schön blöd, wenn sie es einfach so hinnehmen würden. Also machen sie Jagd auf uns. So wie wir auf sie. Wir jagen sie nachts und sie uns tagsüber. Denn sie wissen: Wenn wir nicht mehr sind, dann haben sie auch nichts mehr von uns zu befürchten.“ Eyleen schluckte schwer. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. „Damals, als er zum Tri geworden war, war allen sehr schnell klar, dass Liam nicht war wie jeder andere. Man sah sofort das Talent in ihm. Schon, als er erst zwei bis drei Monate Bescheid wusste, war er bereits besser als so manch anderer, der schon jahrelang trainierte. Zum Beispiel jemand wie Matthew.“ Eyleen umklammerte die Gabel fester mit ihrer Hand. Das Stück Kuchen ruhte immer noch darauf. „Das war es, was Liam gemeint hatte…“, murmelte sie eher zu sich selbst, als zu ihrer Tischnachbarin. „Matthew war sauer darüber, dass ein unerfahrener Neuling so viel besser sein sollte als er, und das, obwohl sie sich bis dahin nicht ein einziges Mal begegnet waren. Und doch schien es ihn so zu stören, dass er beschloss, sich wichtig zu machen. Das ging dann leider ziemlich nach hinten los und alles geriet aus dem Ruder. Liam macht sich bis heute deswegen Vorwürfe. Wenn er nicht gewesen, oder zumindest nicht alle sagen würden, er wäre so talentiert, dann wäre das alles nicht passiert. Liam mag gerne so wirken, als sei ihm alles egal und als würde ihn nichts interessieren, aber hinter seiner Fassade sieht das alles ganz anders aus.“   Eine Weile blieb es still zwischen ihnen. Eyleen nutzte die Zeit, während sie über Chloés Worte nachdachte, um ihren Kuchen aufzuessen. Als sie die Gabel beiseitelegte, sprach sie die Tri noch einmal an. „Aber, warum erzählst du mir das alles? Ich meine, wenn Liam wollte, dass ich das alles weiß, dann hätte er es mir doch gesagt. Spätestens in einer unserer Übungsstunden!“ Chloé zog kommentarlos eine Augenbraue hoch und Eyleen wusste, dass sie etwas Falsches gesagt hatte. Doch zu ihrer großen Verwunderung erschien ein großes, breites Lächeln auf deren Gesicht, während sie sanft ihren Kopf schüttelte. Ihre Haare bewegten sich rhythmisch im Gleichklang. „Genau deswegen erzähle ich dir das, Eyleen. Mein Bruder scheint Gefallen an dir gefunden zu haben. Auf welche Weise auch immer, frag mich nicht. Er hat da definitiv seinen eigenen, verqueren Kopf. Aber ich weiß, dass er sonst nicht so zu seinen Mitmenschen ist. Du bist eine Ausnahme. Nein, die Ausnahme. Du scheinst ihn wirklich sehr beeindruckt zu haben und ich wüsste eigentlich gerne, womit.“ So direkt darauf angesprochen zu werden, ließ Eyleen erstarren. Ihr Kopf glühte plötzlich Rot wie eine Tomate. Beschämt blickte sie auf ihre im Schoß gefalteten Hände. Was sollte sie Bitte darauf sagen?   „Nein, nein, keine Panik. Ich werde dich jetzt nicht ausquetschen und in deinem Privatleben rumschnüffeln. Mich hat deine Fähigkeit, Dämonen in der Traumwelt ausfindig zu machen, ebenfalls sehr beeindruckt. Es gibt nicht viele Tri’s die das können. Und schon gar nicht so früh in ihrer Entwicklung.“ Eyleen knotete geistesabwesend ihre Finger. Frust fraß sich bei Chloés Worten in ihren Magen. „Ich kann nichts gut, wirklich. Ich bin eigentlich das pure Mittelmaß. Ich weiß auch nicht, was gerade passiert. Das ist alles so… kompliziert.“ Ein langes Seufzen entfuhr ihr und sie entknotete ihre Finger, um sich einmal durch das dunkelblonde Haar zu fahren, das der Schweiß bereits an ihre Haut klebte.   „Ein Rabe für Intelligenz, eine Libelle für Anmut und eine Amaryllis für Stolz. Das bin ich. Das definiert mich“, fing die Blondine nach kurzer Stille wieder an, ohne auf Eyleens Worte weiter einzugehen. „Es ist verrückt, wie ein Tattoo auf seinem Rücken einen Menschen besser kennt, als er sich selbst. Doch ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, die Frau in mir zu finden, die ich sein soll. Ich weiß nicht ob und wie gut es mir gelingt, aber das wird mein allererstes Ziel sein.“ Plötzlich war die taffe, starke Chloé verschwunden und an dem kleinen Holztisch saß ein ruhiges, beinahe schüchternes Mädchen, das sich selten mal den Luxus zu gönnen schien, wirklich von Grund auf sie selbst zu sein. Dies war die Chloé hinter der taffen Tri. Das war das erste Mal, dass Eyleen der jungen Frau wirklich begegnete.   Etwas regte sich in ihr. Ein warmes Gefühl keimte in ihrer Brust, was sie allen Mut zusammennehmen ließ. „Zwei sich haltende Hände stehen für Freundschaft und ein Lotus für Mitgefühl. Ich weiß noch nicht, was das alles bedeuten soll, aber ich werde es noch herausfinden. Und ich werde alles in meiner Macht stehende tun dir zu helfen, damit du dein Ziel erreichst. Ich bin damals einfach so in euer Leben geplatzt und trotzdem… habt ihr eine Fremde wie mich einfach so bei euch aufgenommen. Ihr habt mir wirklich geholfen. Ich wüsste nicht, was ich ohne euch getan hätte. Ich war kurz davor durchzudrehen… Und aus diesem Grund werde ich mein Bestes geben, um euch so gut ich kann zu unterstützen. Ich weiß, es klingt kitschig und irgendwie falsch, aber du kannst mir vertrauen.“   Es dauerte nur einen kurzen Moment ehe der schmerzverzerrte Ausdruck von ihrer beiden Gesichter wich. Ein überraschtes Stöhnen hing noch zwischen ihnen. Danach konnten sie sich einfach nur noch erschrocken anstarren. Wortlos standen beide zeitgleich auf und gingen im Eilschritt in die Damentoilette. Zu ihrem Glück war niemand außer ihnen sonst da. „Du willst mir jetzt nicht sagen, dass wir beide gleichzeitig eine Erweiterung bekommen haben, oder?“, meinte Chloé ungewöhnlich trocken, wobei ein Hauch Belustigung daraus zu hören war, während sie sich beide mit dem Rücken zum Spiegel stellten und ihre Oberkörper frei machten. Danach blieb es etliche Momente lang still. „Dann soll ich dir wahrscheinlich auch nicht sagen, dass wir beide grade dasselbe Symbol bekommen haben, oder?“ Schlechter Humor mit einem Hauch von Sarkasmus. Eyleen war nicht in der Lage etwas Sinnvolleres über die Lippen zu kriegen. Das war einfach zu abstrus.   „Vertrauen“, sprachen beide Frauen das Wort, das ihnen ständig im Kopf herum spukte, synchron aus. Dieselbe Eigenschaft zur absolut gleichen Zeit bekommen und dann auch noch dasselbe Symbol tragen? Ein Maiglöckchen. Gezeichnet aus schwarzen, filigranen Linien, umschlungen von einem sanften Blatt aus Kurven. Sie glichen sich bis auf den letzten Strich. Und doch gab es einen großen Unterschied. Eyleens Maiglöckchen beugte sich nach links, einmal über ihr linkes Schulterblatt, während Chloés zur entgegengesetzten Seite kippte. „Das ist verrückt“, hauchte Eyleen, während sie sich ihr T-Shirt wieder überzog. Und Chloé ergänzte lächelnd: „Und ziemlich peinlich. Man könnte ja jetzt meinen, dass wir Freundinnen seien.“ Wegen ihres unsicheren, neckenden Tonfalls war Eyleen sofort klar, dass Chloé auch nicht so recht wusste, was sie jetzt empfinden sollte. Daher ging die junge Tri auf das Spielchen mit ein. „Mega peinlich! Das bleibt unser Geheimnis.“ „Einverstanden! Und wehe du verplapperst dich!“ Eyleen lachte so laut, wie sie es schon lange nicht mehr getan hatte. „Das würde ich nie tun! Du weißt doch, du kannst mir da vertrauen!“   .   „Und? War das wieder jemand, den du im Fitnessstudio kennengelernt hast? Tauchen jetzt noch mehr Leute einfach so vor unserer Tür auf? Vielleicht sollte ich das auch mal versuchen. In welchem Studio hast du dich nochmal angemeldet? Scheint dort ja sehr lustig zu sein!“ Mias neckender Tonfall konnte Eyleens doch recht guter Laune nichts anhaben. Eher im Gegenteil. „Nein, nein. Na ja, indirekt. Das war Chloé, Liams Schwester. Du weißt schon. Unser verrückter, nächtlicher Besucher gestern.“ Eyleen schob sich noch eine Gabel voll Nudeln in den Mund, an denen sie sich erstmal prompt verschluckte, was in einem Hustenanfall endete. Sie hatte noch einige Zeit mit Chloé im Café verbracht und hatte mit ihr über alles Mögliche geredet. Es war immer noch unglaublich, wie schnell die beiden Freundinnen geworden waren. Vor der Sache mit dem Tribal kannten sie sich überhaupt nicht und danach waren sie sich zunächst gegenseitig nicht geheuer. Aber sobald sie einmal richtig miteinander reden konnten ohne Vorurteile und das Thema Tattoos und Dämonenjagd, waren sie sich plötzlich richtig sympathisch gewesen. Ob sie jemals die dicksten Freundinnen würden, müsste sich über lange Zeit noch zeigen, aber Eyleen war froh, sich endlich nicht mehr vor Chloés Blicken verstecken zu müssen. Sie war froh, endlich die wahre Chloé kennengelernt zu haben.   „Schling das Essen nicht so gierig runter, so als ob du schon seit Tagen nichts mehr bekommen hättest! Da bekomm ich ja glatt ein schlechtes Gewissen!“ Mia hatte wieder ihren üblichen Lehrerton angeschlagen, mit dem sie ihre Kinder später sicherlich sehr gut im Griff hatte. „‘Tschuldigung! Ich habe heute einfach mega Hunger! Weiß auch nicht warum. Muss wohl am Wetter liegen. Wenn es so warm wird, krieg ich immer richtig Kohldampf.“ „Das Wetter, natürlich. Iss vernünftig, dann kleckerst du auch nicht so viel!“   Der Sonntag war fast wieder vorbei und die neue Woche würde bald beginnen. Eyleen war schon sehr auf ihre Jagd am Mittwoch gespannt. Sie hatte sich entschlossen weiterhin mit der Gruppe loszuziehen. Zumindest vorerst noch. Wenn Chloé recht hatte und die Dämonen auch in der realen Welt Jagd auf sie machten, dann hatte sie ohne erfahrene Partner an ihrer Seite keine Chance. Und damit würde sie nicht nur sich, sondern auch ihre Mitmenschen in Gefahr bringen. Das durfte sie nicht riskieren.   Eyleen schob sich grade die letzte Gabel Spaghetti in den Mund, als das Klingen eines Telefons lautstark durch die Küche hallte. Die beiden Mädchen erschraken zunächst, doch Mia fing sich schnell wieder und ging hinüber zum kleinen Telefontischchen nahe der Tür. „Hi Mama!“, sagte sie fröhlich ins Telefon, als sie die Nummer auf dem Display las. Es war eigentlich immer ihre Mutter, die sich meldete. Ihr Vater war am Telefon nicht unbedingt gesprächig. Aber endlich riefen ihre Eltern mal wieder an. Es war jetzt schon einige Zeit her, dass Mia etwas von ihnen gehört hatte. Doch, als das Lächeln auf ihrem Gesicht komplett verblasste und die Schwarzhaarige kreidebleich wurde, wusste Eyleen, dass etwas nicht stimmte. „Papa. Das ist nicht dein Ernst! … Nein, warum? … Papa, das kann doch nicht…! Wo ist sie?“Mia wurde von Sekunde zu Sekunde noch blasser. Ihr Körper zitterte mittlerweile wie Espenlaub. Die Blondine hatte Angst, dass ihre Freundin zusammenbrach. Was war bloß los? Sie lauschte weiter gebannt den einseitigen Gesprächsfetzen. „Was heißt ‚weg‘? Hol sie zurück! … Und was wird dann aus mir? … Papa, nein!“ Tränen rannen über ihre Wangen und tropften wie Donnerschläge auf den Fußboden. „Ja. Ich dich auch.“   Als sie das schnurlose Telefon mit einem lauten „Biep“ zurück in seine Ladeschale gestellt hatte, legte sich eine Stille schwer wie Blei über sie. Keine der Freundinnen bewegte sich oder gab auch nur das kleinste Geräusch von sich. Nur Mias Körper zitterte unkontrollierbar. Irgendwann hielt Eyleen es nicht mehr aus. „Mia? Was ist los? Sag schon!“ Sie blieb dabei jedoch am Tisch sitzen und näherte sich ihrer Mitbewohnerin nicht. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass Nähe grade nicht das Richtige war. Die Schwarzhaarige brauchte lange um zu antworten. Ihre Stimme klang erstickt. „Meine Mutter hat die Scheidung eingereicht. Sie ist eben ausgezogen.“ Eyleen starrte sie geschockt an. „Bitte was? Aber… wieso? Das kann doch nicht wahr sein!“ Mia zuckte nur mit den Schultern, dann drehte sie sich weg, sodass ihr Gesicht von der Tri abgewandt war. „Entschuldige, ich muss kurz…“ Den Rest des Satzes ließ sie in der Luft hängen und nur Sekunden später ertönte das Knallen einer zuschlagenden Tür.   Konnte das Leben eigentlich nur noch schlimmer werden? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)