Auf den Kosten der Tochter von Mera_Mera_no_Karin ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Bunte Lichte flackerten durch die Vorhänge meiner Zimmerfenster. Es bedeutete, dass es 19 Uhr sein musste und das Nachtleben in Port Silence nun langsam began. Beim genauen Hinhören konnte man die Musik aus dem Tanzschuppen hören, der ein paar Straßen entfernt von meinem Elternhaus lag. Es war etwas, das sich jeden Abend um diese Uhrzeit wiederholte, denn täglich war in Port Silence der Bär los, sobald die Dunkelheit über die Stadt hereinbrach. Etwas schläfrig lag ich auf dem Bett in meinem Zimmer und kämpfte gegen den Drang einzuschlafen. Seitdem ich meinen Abschluss hatte, war ich träge geworden. Die Zeit des Lernens war vorbei und somit hatte ich plötzlich mehr Freizeit als es mir gut tat. Ein wenig lustlos stand ich auf und streckte mich ausgiebig. Ich sah hoch zur Uhr an der Wand, die mit ihrem lauten Ticken keine Stille im Raum einkehren ließ: sie zeigte an, dass es 19 Uhr 3 war. Vater war spät dran... Gähnend ging ich zu meinem Schreibtisch hinüber, wo die kleine Tischlampe den Raum als einziges Licht schwach erleuchtete. Mit meiner linken Hand stützte ich mich auf den Tisch und beugte mich über das Stück Papier, das mittig auf dem Schreibtisch lag. Es war mein Abschlusszeugnis. Mutter hatte es mir erst vor ein paar Stunden wieder gebracht, nachdem sie zahlreiche Kopien davon anfertigen lassen hat. Jedem unserer Verwandten wollte sie ein Exemplar zukommen lassen. Sie schien sich vor Stolz zu überschlagen. Ich hatte dafür im Moment nur ein müdes Grinsen über. Zwar war ich schon stolz auf meine Leistungen, immerhin hatte ich hart für sie gearbeitet, doch verloren sie nach und nach für mich an Wert. Andere aus meinem Jahrgang hatten schon längst eine Arbeit aufgenommen, doch ich konnte noch immer keine Entscheidung treffen. Es nagte an mir, aber dennoch wollte ich mich deshalb nicht dazu hinreißen lassen, hastig eine Entscheidung zu treffen, die ich im Nachhinein bereuen könnte. Meine Augen wanderten über die geschwungene Schrift: „...Zu Frau Nakashimas Stärken gehören ihr Organisationsgeschick, ihre schnelle Auffassungsgabe sowie ihr hohes Maß an Selbständigkeit. Sie zeichnet sich besonders durch ihre hervorragenden analytischen Fähigkeiten aus. Die Gründervater Silas Schule sieht für diese Absolventin einen Platz in der oberen Einstiegsklasse der Marinelaufbahn vor. Aus diesem Grunde liegt dem Zeugnis ein entsprechendes Empfehlungsschreiben bei....“ Meine Brust schwoll jedes Mal an vor Stolz, wenn ich diesen Absatz meines Zeugnisses las. Es war eine besondere Ehre, dass sich die Schule ausdrücklich für meine Aufnahme in die Marine aussprach. Nur ließ mich meine Mutter nun nicht mehr mit diesem Thema in Ruhe, denn sie hatte immer davon geträumt, dass ich, ihr einziges Kind, eines Tages Karriere bei der Marine mache. Sie pflegte immer zu sagen „Geh' zur Marine. Kümmere dich um deren Finanzen oder um die Verwaltung, so kannst du eine Menge Schotter verdienen und hast einen sicheren Job. Was gibt es schon Besseres?“ An sich war die Idee nicht schlecht. Das und das hohe Ansehen, welches man als Mitglied der Marine genießte, reizten mich schon... Ich ging hinüber zum Fenster und schob die Vorhänge bei Seite. Die Sonne war mittlerweile unter gegangen und wie an jedem Abend wurde es jetzt langsam unruhig in der Stadt. Von meinem Standpunkt aus, konnte ich auf die große Hauptstraße blicken, die Port Silence fast mittig durchzog. Im schummerigen Licht der Straßenlaternen, die sich gerade eingeschaltet hatte, bauten die Händler rasch ihre Stände ab, um die Straßen frei für die Menschenscharen zu machen, die schon bald wie üblich in Richtung des Hafens eilen würden. Für die meisten Bewohner von Port Silence hatte nun der lang ersehnte Feierabend begonnen und dieser wurde hier, in dieser Stadt, stets im Hafenviertel verbracht. Es gab hier viele Möglichkeiten, wie man sein Tageseinkommen unter die Leute bringen konnte. Das Kasino lockte mit schönen Frauen, die einem das ganz große Glück versprachen und die zahlreichen Bars mit ihren Angeboten und pikanten Tanzveranstaltungen. Die Hauptanlaufstelle in dieser Stadt war jedoch das riesige Wirtshaus „Zum falschen Fuchs“, wo niemand dran vorbei kam. Dort ging fast jeder ein und aus, ob nun ein adliger Aristokrat aus einer großen Weltstadt oder der einfache Arbeiter von nebenan. Auch Piraten wären hin und wieder zu Gast, meinte mein Vater. Schon eigenartig, möchte man meinen, doch unter uns Einwohnern von Port Silence war es ein offenes Geheimnis, dass der Bürgermeister seine Finger im Spiel hatte. Niemand wusste genau, was für Verbindungen er zu welchen Piraten hatte. Von den Menschen hier wurde seine Machenschaften tolleriert, denn schließlich entwickelte sich die Stadt prächtig und es gab nie irgendwelche größeren Vorfälle. Und das alles, ohne dass die Marine präsent sein musste, denn diese wurde ja vom Bürgermeister stets auf Abstand gehalten. Auch wenn es vielleicht auf dem ersten Blick den Anschein machte als gäbe es mehr Gewinner als Verlierer in dieser Situation, fand ich das korrupte Verhalten des Bürgermeisters und der Marine mehr als nur fragwürdig. Allein die Tatsache, dass ein Organ der Weltregierung die Kontrolle über eine Stadt einer einzigen Person in die Hände legte, fand ich ungeheuerlich. Es widersprach meinem Rechtsempfinden vollkommen, deshalb sträubte ich mich gegen den Gedanken der Marine beizutreten. Wer wusste denn schon, was im Verborgenen so vor sich ging? Ich zog die Vorhänge vor die Fensterscheibe und setzte mich wieder aufs Bett. Die Uhr zeigte an, dass es schon 19 Uhr 33 war. Mein Stiefvater hatte noch vor dem Frühstück angekündigt gehabt, er würde um viertel nach 7 zu mir kommen, um mir einen Umschlag zu überbringen. Er arbeitete beim hiesigen Postamt und gab mir ab und an „besondere Aufträge“. Einige Pakete oder Briefe sollten auf besonderem Wege – persönlich und meistens auch diskret – zugestellt werden. Für mich waren die besonderen Botengänge immer eine gute Gelegenheit, um mir etwas dazuzuverdienen. Was genau ich überbrachte, interessierte mich nie besonders, nur an diesem Tag war ich etwas neugierig, denn bisher musste ich alle meine Aufträge tagsüber erledigen. Gerade als ich aufstehen und mein Zimmer verlassen wollte, um nach meinem Stiefvater zu suchen, ging meine Zimmertür auf und er betrat den Raum. „ Kai, du hast keine Zeit mehr zu verlieren. Hier. Nimm den Umschlag und mach dich auf den Weg zum Falschen Fuchs.“, sagte er und drückte mir einen dicken Umschlag in die Hand. Mein Stiefvater, der sonst immer ziemlich gemütlich und ruhig war, wirkte gehetzt und aufgeregt. Er strich sich nervös über sein kurzes graues Haar und wischte sich mit dem Handrücken anschließend über die sichtbar feuchte Stirn. „Zum falschen Fuchs?“ , fragte ich verdutzt. „Genau.“, er nahm ein Stofftaschentuch aus der Tasche und tupfte sich schwer atmend das Gesicht. „ Zimmer D1.“ Ich war erstaunt. „D1? Also im Dachgeschoss?“ Es war bekannt, dass in den oberen Geschossen nur reiche Kaufmänner und der gleichen residierten. Das Dachgeschoss müsste demnach für ganz besondere Gäste bestimmt sein. „Ja. Karin, beeile dich.“, drängte mich mein Stiefvater. Er legte seine rechte Hand auf meinen Rücken und schob mich die Tür hinaus. Sein Verhalten machte mich schon etwas stutzig und misstrauisch. Es kam äußerst selten vor, dass er mich bei meinem richtigen Namen nannte. Dieser Auftrag schien von großer Bedeutung gewesen zusein, deshalb wollte ich keine Zeit mit weiteren Fragen verplempern. Ich ging die Treppe hinunter und nahm meine dicke Bomberjacke von der Garderobe. Ich war schon fast draußen als ich doch noch einmal auf der Stelle kehrt machte und wieder zurück ging. Weil mir die Sache komisch vorkam und es auch schon dunkel geworden war, holte ich mein persönliches „Survival-Kit“ aus einer der Schubladen in der Küche. Es bestand aus meinem Portmonai, einem Klappmesser, das ich immer in der rechten Gesäßtasche meiner Jeans mit mir trug, einem Feuerzeug und Dietrich. Nachdem die Sachen in meinen Hosentaschen verschwunden waren, band ich mir noch einmal die Schuhe und eilte anschließend die Haustür hinaus. Inzwischen war auf der Straße der Teufel los. Kaum hatte ich einen Fuß vor die Tür gesetzt, da brach auch schon die unruhige städtische Geräuschkulisse über mich herein. Männer brüllten, Frauen lachten und alle strömten in die eine Richtung: die, des Falschen Fuchses. Ich musste nichts weiter tun als mich von der Menschenmenge treiben zu lassen, auch wenn ich dieses Gedränge immer als sehr unangenehm empfand. Ich prüfte noch einmal den Sitz meiner Mütze, bevor ich die Hände in den Taschen meiner weiten Jacke vergrub und schlurfigen Schrittes in die Menge eintauchte. Beim Falschen Fuchs angekommen fiel mir auf, dass der Umschlag bereits geöffnet war. Ob das so gewollt war? Wahrscheinlich nicht... Ich hätte hinein sehen können, aber das war einfach nicht meine Art. Erwähnen sollte ich es aber, sobald ich beim Empfänger angekommen war. Nicht, dass noch ein falscher Eindruck entstehen könnte... Vor dem großen steinernen Gebäude war eine alltägliche Szene zu beobachten. Ein aufgebrauchter Mob stand vor den großen Eingangstüren und weigerte sich abzuziehen. Lautstark pöbelte eine Gruppe Männer die Türsteher an, doch diese blieben eisern und nahmen kaum Notiz von mir, als ich mich unaufällig an ihnen vorbei schlich. Durch Port Silence wehte schon immer ein ziemlich rauer Wind, deshalb empfand ich den Anblick einer solchen Pöbellei nicht sonderlich schockierend. Vorsichtig bahnte ich mir meinen Weg durch die vielen Menschengrüppchen hindurch bis an den hölzernen Empfang. Ich hoffte, dass ich vielleicht schon dort den Umschlag abgeben und meinen Lohn einsacken konnte, doch vor mir standen noch zwei Männer, die vor mir dran waren. So stellte ich mich hinter sie und wartete darauf, dass die brünette Empfangsdame Zeit für mich hatte. Ich wollte nicht lauschen, aber die beiden Männer vor mir stritten sich so laut, dass man es nur schwer überhören konnte. „Ich sagte doch, dass wir hier nicht fündig werden würden, Idiot.“, beschwerte sich der Mann direkt vor mir. Er fuhrt sich genervt durch sein kurzes grünes Haar und berührte dabei mit seinem Arm die drei Ohringe an seinem linken Ohr. Sein blonder Begleiter schien ihm nicht zuzuhören. „...Wie lange musst du noch arbeiten, Schätzchen?“ Der Kerl im schwarzen Anzug flirtete die Empfangsdame ziemlich heftig an, was ihr offenbar nicht sehr angenehm zu sein schien. Sie war so nervös, das man ihr schüchternes Stammeln kaum verstehen konnte. Ich nahm mir deshalb ein Herz und drängte mich vor. Noch bevor ich etwas sagen konnte, ergriff der Anzugträger, welcher übrigens eine ziemlich seltsame Augenbraue hatte, das Wort: „ Alter, stell dich hinten an, sonst...“ Für einen Moment war ich wie erstarrt. Meine Aufmachung... So lange war ich schon nicht mehr „Kai“ gewesen. Ich hatte Mühe meine ruhige Fassade aufrecht zu erhalten. Zum Glück ließ ihn sein Begleiter nicht weiter sprechen. Er packte ihn von Hinten am Kragen und zog ihn mit den Worten „Komm endlich, liebestoller Löffelschwinger“ Richtung Ausgang. Erleichtert atmete ich durch und wandte mich anschließend grinsend der Empfangsdame zu. „Guten Abend. Ich habe den Auftrag bekommen einen Umschlag zu überbringen. Der Empfänger müsste sich im Zimmer D1 aufhalten. Hat derjenige vielleicht eine Nachricht hinterlegt, dass Sie den Umschlag entgegen nehmen dürfen oder so?“ Die junge Frau lächelte: „Ich werde mal nachsehen, aber ich glaube nicht....“ Insgeheim hatte ich gehofft nicht nach Oben gehen zu müssen, schließlich wusste ich nicht, wer der Empfänger war. Die Worte meines Stiefvaters schwirrten in meinem Kopf. Während die Empfangsdame ihre Unterlagen durchsuchte, ließ ich meinen Blick schweifen.Viele Männer waren schon jetzt sturzbetrunken, dabei war es nicht einmal 20 Uhr... Die Stimmung war gut. Bestimmt war mein Stiefvater wegen der Männer hier besorgt. Der Barmann machte aber einen guten Job und schenkte das Bier in einem Affenzahn aus. So lange er dieses Tempo beibehielt und die drängelnde Meute Männer vor sich im Griff behielt, würde der Abend wohl ganz nett werden. Im Gegensatz zu den anderen Frauen brauchte ich wohl keine Angst zu haben, denn offenbar war meine „Tarnung“ noch immer ziemlich überzeugend. Ich schmunzelte. Gerne hätte ich auch mal wieder gefeiert. Zu lange schon hatte ich mich zurückgezogen... „Tut mir Leid, aber es wurde wirklich keine Nachricht hinterlegt.“ sagte die Empfangsdame und riss mich mit ihren Worten aus meinen Gedanken. „Na gut, dann muss ich wohl hoch.“ Sie nickte: „ Fünf Stockwerke hoch, dann sind Sie da.“ „Trotzdem vielen Dank. Einen schönen Abend noch.“ , verabschiedete ich mich und ließ die lächelnde Empfangsdame zurück. Etwas lustlos steuerte ich das Treppenhaus an. Da niemand in Sichtweite war, riskierte ich einen Blick in den silbernen Spiegel, welcher dort an der sonst leeren Wand hing. Die Person, die ich im Spiegel ansah, war mir mittlerweile etwas fremd geworden. Ich schaute in das Gesicht meines männlichen Zwillings „Kai“ , den ich immer dann spielte, wenn es für mich als Karin gefährlich werden konnte. Mein langes braunes Haar hatte ich mir hochgesteckt und verbarg es unter einer großen Fliegermütze. Nur einzelne kurze Strähnen hier und dort lukten hervor, sie ließen meine Frisur viel kürzer wirken als sie in Wirklichkeit war. Meine schlabberigen Klamotten, insbesondere die weite Bomberjacke, stahlen mir alles weibliche an meiner Figur. Bei meinem Anblick nahm bisher jeder an, ich wäre ein etwas zierlicher junger Mann. Im Laufe der Zeit hatte ich mir eine männliche Körpersprache angeeignet und war mittlerweile sehr gut darin, mich wie ein Mann zu bewegen. Das einzige, was mich bisher einige Male verraten hatte, war meine Stimme. Auch wenn ich als „Kai“ etwas tiefer als sonst sprach , hörten manche Leute dennoch die Frau in mir heraus. An diesem Abend würde es mir jedoch sicher nicht passieren, dafür sorgte ich schon. Zu heikel war dieser späte Botengang. Unter keinen Umständen wollte ich mich enttarnen lassen. Die Reaktion des Blondschopfes beruhigte mich deshalb ungemein. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich das oberste Geschoss: das besagte Dachgeschoss. Auf dem Weg hatte ich schon bemerkt, dass um so höher ich kam, um so protziger die Verzierungen der Wände wurden. Ich stand nun direkt vor einer großen massiven Holztür. Passend zu den beiden prächtigen Vasen, welche rechts und links neben der Tür standen, war das Türschild mit der Aufschrift „D1“ augenscheinlich vergoldet. Der Empfänger musste es ja echt dicke haben, dachte ich mir. Ich zögerte kurz, aber klopfte dann doch an. Als schon nach wenigen Sekunden die Tür einen Spalt aufgerissen wurde, schreckte ich ein Stück zurück. Ein Mann mittleren Alters im schwarzen Anzug schaute durch den handbreiten Spalt. Seine schwarzen mittellangen nach Hinten gegelten Haare glänzten im Licht des Kronleuchters, unter welchem ich stand. Seine Sonnenbrille versteckte zwar seine Augen, aber an seiner restlichen Mimik konnte man leicht ablesen, dass er nicht gut gestimmt war. „Ja?“, fragte er mit tiefer schlecht gelaunter Stimme. „Ich bin der Bote, der..“, weiter ließ er mich nicht sprechen. Er knallte mir die Tür vor dem Gesicht wieder zu. Einen Augenblick lang war ich verdutzt, doch dann hörte ich ein Geräusch, was mich schlussfolgern ließ, dass er dabei war eine Türkette zu öffnen. Der Mann riss die Tür nun weit auf und blickte mich an. „A-Also hier wäre dann der Umschlag“, stammelte ich und wollte dem Mann gerade den Umschlag aushändigen, doch dieser gab mir mit einer Kopfbewegung Richtung Zimmer zu verstehen, dass ich eintreten soll. Am liebsten hätte ich den Umschlag einfach fallen gelassen und wäre davon geflitzt, doch zu groß war die Angst, man könnte annehmen, ich wäre diejenige gewesen, die ihn geöffnet hatte. Ich konnte nicht abhauen, ohne dies geklärt zu haben. Ich betrat deshalb mit ungutem Gefühl das Zimmer und zuckte zusammen als die Tür hinter mir scheppernd ins Schloss fiel. Ich stand nun in einer Art Vorzimmer, das an drei weiteren Räumen grenzte, die rechts, links und vor mir lagen. Schon dieses kleine Zimmer bestätigte meinen zuvor gewonnenen Eindruck. An den Wänden hingen Bilder mit goldenen Rahmen und die Skulpturen sahen aus als wären sie mit Edelsteinen bespickt gewesen. "Der Kapitän... ich meine der Boss wird gleich kommen... Komm mit.“ , sagte die düstere Gestalt neben mir, zündete sich eine Zigarette an und ging voraus, in den vor uns liegenden Raum. Ich folgte ihm, auch wenn ich am liebsten auf der Stelle kehrt gemacht hätte. Das Zimmer, das wir nun betraten, hätte nicht dekadenter sein können und übertraf alles, was ich zuvor auf meinem Weg hierher gesehen hatte. In der Mitte des Raumes hing ein pompöser Kristallkronleuchter an der Decke. Ich wusste gar nicht, wohin ich zuerst gucken sollte. Alles war so edel und protzig. Das gesamte Mobiliar musste ein Vermögen gekostet haben. Irgendwann bemerkte ich einen großen Käfig in einer Zimmerecke. In ihm befand sich ein wirklich großer blauer Vogel, der den Käfig komplett ausfüllte. Sein seltsames Federgewand umgab eine Art blaues Leuchten, das ich mir nicht so ganz erklären konnte. Der Vogel saß auf dem Boden des Käfigs und starrte mich regungslos mit müdem Blick an. Noch nie zuvor hatte ich ein solches Geschöpf gesehen. „Setz' dich hin.“, befahl der Mann und zeigte auf eines von drei in einer U-Form stehenden Sofas. Ohne etwas zu sagen, ging ich hinüber und ließ mich breitbeinig auf eines von ihnen fallen. Ich verschränkte die Arme und lehnte mich lässig an die Lehne. Aus einem weiteren Zimmer ertönten nun Männerstimmen. Eine von ihnen hörte sich sehr aufgebracht an, denn sie schrie sich hörbar in Rage. „Kenzo!“, rief jemand und der Mann bei mir im Zimmer eilte sofort los in den Raum, aus dem ich die Stimmen vernommen hatte. Nebenan wurde hitzig diskutiert, doch dies interessierte mich nicht besonders. Am liebsten hätte ich den Umschlag einfach auf das Sofa gelegt und wäre gegangen. Warum nur war er bereits geöffnet gewesen... Hätte man mir bereits meinen Lohn gezahlt, dann hätte ich vielleicht diesen Moment genutzt, um abzuhauen. Diese Situation war mir einfach nicht geheuer, aber ich wollte den Namen meines Stiefvaters nicht in Veruch bringen, indem ich es so aussehen ließ als hätte er oder einer seiner Boten das Briefgeheimnis verletzt. Meine Augen wanderten wieder zum Vogel. Er saß da in seinem viel zu kleinen Käfig und starrte mich an. „ Der Käfig ist viel zu klein für dich, nicht wahr? Armes Ding...“, sagte ich zum blauen Vogel gewandt. Er versuchte nun mit seinen Flügeln zu schlagen. Ich bemerkte das Schloss an seiner Käfigtür. "...und eingeschlossen bist du auch noch..." Der Vogel starrte mich weiterhin an. Er musste bestimmt von großem Wert gewesen sein, doch warum sperrte man so ein Tier in einen solch engen Käfig, wo es nicht einmal seine Flügel komplett ausstrecken konnte? Ich sah mir nun das Muster des Sofas an: es war blau und hatte ein goldgelbes Stickmuster. Mit meiner Hand fuhr ich über den weichen Stoff. Über der Tür, durch welche der Mann den Raum verlassen hatte, hing eine große Uhr, die natürlich ebenfalls vergoldet zu sein schien. Inzwischen war es schon fast 20 Uhr 30. Ich konnte es kaum glauben, dass ich so spät noch unterwegs war, um Botengänge zu erledigen. Wieder ließ ich meinen Blick durchs Zimmer schweifen. Den Umschlag legte ich neben mir ab. Weil ich alleine war, achtete ich nicht mehr so sehr auf eine möglichst männliche Körperhaltung und verhielt mich wieder mehr wie mein weibliches Selbst. Ich schlug die Beine über einander und nahm meine Fingernägel genauer unter die Lupe. Wo kam nur dieser ganze Dreck unter ihnen her? Es vergingen etwa 30 Minuten. Während ich immernoch wartend auf dem Sofa saß, wurde der wütende Mann im Nebenzimmer des Schreiens immer noch nicht müde. Meine Anspannung hatte sich durch die Warterei etwas gelegt, stattdessen war mir nun langweilig und ich sehnte mich immer mehr nach meinem gemütlichen Bett. Ich blickte wieder zum Vogel, der mich offenbar auch wieder anstarrte. Mit einer schwungvollen Bewegung hiefte ich mich hoch und ging ohne große Scheu hinüber zu seinem Käfig. Dieses Geschöpf hatte eine unbeschreibliche Aura. Es starrte mich nun erwartungsvoll an und ich wusste nicht genau, was ich tun sollte. Tief in mir verspührte ich den Drang meine Hand nach ihm auszustrecken, doch wie fühlte es sich wohl an, diese merkwürdigen blauen Flammen zu berühren? Zweifelsohne war dieser Vogel etwas ganz Besonderes. Es war eine Schande ihn in diesen Käfig zu zwängen. „Du bist wirklich ein sehr hübscher Vogel“, flüsterte ich und grinste den Vogel an. Dieser bewegte sich keinen Millimeter und blickte mich weiterhin mit seinem trüben Blick an. Gerade als ich mit mir rang, ob ich ihn nicht einmal anfassen sollte, öffnete sich die Tür, durch die der Mann vorhin verschwunden war. Ein großer dicker Mann betrat das Zimmer. Mit einem Fächer, der zu seinem lavendelfarbenen Mantel passte, fächerte er sich Luft zu. Bei jedem seiner Schritte klimperten die vielen Goldketten um seinen Hals. Mir war sofort klar, dass er der Empfänger sein musste, der Mann, der soeben noch das gesamte Dachgeschoss zusammen gebrüllt hatte. Sein Auftritt passte perfekt zu dieser Suit: er war genau so großspurig und schnöselig. Mit einem selbstgefälligen Grinsen blickte er sich suchend um. Als sich jedoch unsere Blicke trafen, verschwand es abrupt und mit einem Knall schlug er den Fächer wieder zusammen. „Was machst du da, Junge?!“, zischte er entsetzt. „Verzeihung, ich wollte mir nur den Vogel ansehen. Ein wirklich schönes Exemplar haben sie hier, mein Herr.“, sagte ich etwas verlegen und wich ein paar Schritte nach Hinten. Er warf dem Vogel kurz einen Blick zu, den ich nicht zu deuten wusste. Anschließend musterte er mich von Oben bis Unten, schnaubte dann und ging hinüber zu einer großen Vitrine. "Du bist also der Bote, ja?“, fragte er mit tiefer, fast schon enttäuscht wirkender Stimme, als er eine Flasche Wein und zwei Gläser aus ihr herausnahm und vor sich auf einen kleinen Tisch abstellte. „In der Tat...“, antwortete ich nicht ganz wahrheitsgemäß und beobachtete dabei jede seiner Handbewegungen genau. „Hmmm“, gab er von sich „ Eigentlich hatte man mir eine Botin versprochen...“ Er warf mir ein schmieriges Grinsen über die Schulter zu, welches mich schaudern ließ. „Sie wurde verhindert.“, rutschte mir vielleicht ein wenig zu schnell über die Lippen. Mich beschlich ein ganz komisches Gefühl nach diesem Kommentar. Es riet meinem weiblichen Selbst schleunigst die Kurve zu kratzen. Ich musste mich dazu zwingen dieses Grinsen zu erwidern. Mit einem lauten „Plopp“ zog er den Korken aus der Flasche und schenkte einen dunklen Rotwein in die beiden Gläser ein. „Also ihr Umschlag liegt dort drüben“, meinte ich und deutete dabei auf das Sofa, auf welchem ich gewartet hatte. „Ich muss dann auch wieder los....weitere Kunden...Sie wissen schon..“ Der rundliche Mann ignorierte grinsend meine Worte und drückte mir eines der Gläser in die Hand. „Die können warten. Komm mit...“ Ich traute mich nicht ihm zu widersprechen, deshalb folgte ich ihm schweigend zum Sofa, wo er mich mit einer Handbewegung dazu aufforderte neben ihm Platz zu nehmen. Breitbeinig lehnte er sich in die linke Ecke des Sofas und nahm einen großen Schluck Wein aus seinem Glas. Kurz blickte er zum Vogel, bevor er sich wieder mir zu wandte. „Der Vogel hat also deine Aufmerksamkeit erregt, stimmts Junge?“ „...Ja....“, antwortete ich etwas zögerlich. Um einen möglichst großen Abstand zu ihm zu haben, nahm ich in der anderen Ecke des Sofas Platz. Ich setzte mich auf den vorderen Teil des Sitzkissens, um ihm so zu signalisieren, dass ich es mir erst gar nicht gemütlich machen, sondern stattdessen bald aufbrechen wollte. Um so länger ich blieb, umso größer wurde die Wahrscheinlichkeit, dass meine Tarnung doch aufflog und dies durfte einfach nicht vor diesem Typen passieren. „Hmmm....Hat er... sich irgendwie ungewöhnlich Verhalten?“ Seine Stimme klang so als würde er von mir eine bestimmte Antwort erwarten, doch ich wusste absolut nicht, worauf er hinaus wollte... „Er saß die ganze Zeit über nur da....und hat geglotzt...“, antwortete ich und bemühte mich dabei besonders männlich zu klingen. Er lachte laut auf und lehnte sich dabei nach Vorne. „Ha! Er macht den ganzen Tag nichts anderes... das Federvieh...“ Wegen seiner unbedachten Bewegung, drohte der Wein über den Rand des Glases zu schwappen, doch offenbar schien es ihm gleich zu sein, ob er das Sofa mit Rotweinflecken ruinierte oder nicht ... Skeptisch sah ich ihn an. Dieser Mann war irgendwie...schräg... Ob er wohl schon vorher was getrunken hatte? Ich rührte mich nicht, sondern saß nur still da und hielt das Glas fest in meiner Hand. Ich hoffte, wenn ich einfach nur still da saß, dann würde er schnell von meiner Gesellschaft müde werden und mich gehen lassen. Der Mann, dessen Namen ich nicht einmal kannte, saß für eine Weile einfach nur so da und funkelte den Vogel merkwürdig an. Dieser starrte gebannt zurück, so wie er es zuvor bei mir getan hatte. Eine merkwürdige Situation. „Mach dich mal locker und nimm einen Schluck. Prost!“, sagte er und lehnte sich überraschend zu mir hinüber, um sein Glas gegen das meine zu stoßen. Ich zuckte zusammen, woraufhin er wieder zu lachen begann. Während ich kurz am Glas nippte, rümpfte er verwundert die Nase. „Was ist denn das für ein Geruch? ...Vanille?“ Verdutzt sah ich ihn für einen Augenblick an, bevor ich verstand. Mir wurde plötzlich ganz schlecht von dem sauren Nachgeschmack des Weins, denn wahrscheinlich war es mein Vanille-Duschgel, welches ihm in die Nase gestiegen war. Eine Weile bevor mein Stiefvater kam, um mir den Umschlag zu geben, hatte ich mich erst geduscht gehabt. Vermutlich drang der intensive Geruch noch immer durch meine Kleidung hindurch und erreichte ihn als er sich zu mir hinüber gelehnt hatte. "Ich rieche nichts...“, log ich in der Hoffnung, er würde sich etwas anderem zuwenden, doch dieser Geruch ließ ihn nicht loszulassen. Mir wurde ganz heiß als er sich nun wieder zu mir lehnte und in meine Richtung schnupperte. "Kommt das etwa von dir?“ , fragte er und warf mir einen komischen Blick zu. „Äh, nein, es ist nicht so wie sie denken, wirklich..“, unsicher hob ich die Hände, doch zu meiner Überraschung setzte er ein schmieriges Grinsen auf. „Ach so ist das.... du hast wohl eine kleine Freundin..“ Ein Schauer der Erleichterung huschte über meinen gesamten Körper. „Genau so ist es, deshalb muss ich auch schnell los...will wieder zu ihr..“, geistesgegenwärtig sprang ich auf diesen Zug auf und dachte, das wäre mein Ticket, um hier raus zukommen, doch leider ging der Schuss nach Hinten los... „Hmmm...“, wieder lehnte er sich nach Hinten und sah mich gespannt an. „ Da ich diese Nacht wohl alleine verbringen muss, werde ich mich wohl an dem Vergnügen anderer erfreuen müssen..“, sein Grinsen wurde breiter und breiter und ich verstand erst gar nicht, von was genau er da sprach. „Junge, sag mir doch... Was genau macht ihr zwei, wenn ihr alleine seid...um diese Uhrzeit..“ Er nahm einen Schluck Wein und wartete sichtlich interessiert auf eine Antwort. Meinte er wirklich das, was ich dachte? „Wie meinen Sie das?“, fragte ich unsicher und befürchtete, ich würde es nie schaffen unbeschadet aus dieser Unterhaltung rauszukommen. Er zog mit einem lüsternen Grinsen die Augenbrauen hoch. „Also...“, begann er und mir schwante nichts Gutes.. „Wenn ich mit einer Frau zusammen bin und es draußen bereits dunkel ist, dann kann ich für nichts garantieren.“ [/ Ihm entfuhr ein schmutziges Lachen, welches mir eine Gänsehaut über die Arme jagte. „Wenn jetzt zum Beispiel wie geplant die Botin gekommen wäre...dann hätte ich ihr auch einen Wein angeboten, doch ihr Glas hätte noch eine kleine Extrazutat bekommen, wenn du verstehst, was ich meine...“ Entsetzt starrte ich ihn an. "Jetzt guck doch nicht so, Junge. Jeder hat so seine Tricks...Oder hat deine Freundin dich etwa noch nie rangelassen?" Laut lachte er in sein Glas hinein als er einen weiteren Schluck aus ihm nahm. Ich nippte ebenfalls schnell am Wein, in der Hoffnung so um eine Antwort herum zu kommen. Er stützte sich mit dem Arm der freien Hand auf der Lehne des Sofas ab und schaute mich amüsiert an. „Offenbar hab ich da wohl ins Schwarze getroffen, was? Für diesen Fall habe ich ein anderes Mittelchen parat...Wenn die Kleine sich mal zieren sollte, dann gelangt es wie durch Zauberhand in ihr zweites Glas Wein. Für die nächsten zwei Stunden kannst du mit ihr anstellen, was du willst und sie wird sich später an nichts erinnern können. Praktisch, oder?“ Dies hätte mir also geblüht, wenn ich hier als Karin aufgeschlagen wäre... Nickend sah ich mich für den Fall der Fälle um... Ob ich es wohl überlebte, wenn ich durch die große Fensterwand des Zimmers springen würde? Der Mann stand nun auf und ging wieder herüber zur Vitrine.Mit der Flasche Wein in der Hand drehte er sich wieder zu mir. „ Junge, ich glaub, du kannst heute Nacht eine Menge von mir lernen...“ Nachdem er sagte „heute Nacht“ sprang ich ganz automatisch auf. "Verzeihen Sie, mein Herr, aber ich muss wirklich los. Ich habe noch eine dringende Angelegenheit zu klären... Der Brief liegt dortdrüben, wenn Sie es mir gestatten, würde ich jetzt gehen..“, das halbleere Glas stellte ich auf dem Beistelltisch des Sofas ab und ballte entschlossen meine Hände zu Fäuste. Sein ruhiger Blick verriet mir, dass er unbeeindruckt war. „Gedulde dich, mein junger Freund. Wir haben noch so viel zu besprechen..“, er schenkte sich ein weiteres Glas ein, nahm es und wandte sich dann wieder zu mir. „Ich werde dir verraten, wie das mit den Frauen klappt, selbst wenn sie mal nicht gleich willig sind...Sieh es als dein Lohn für den Botengang an. Ich teile meinen Wissensschatz mit dir, das ist eine besondere Ehre.“, arrogant hob er den Kopf und zog die Mundwinkel dabei leicht hoch. Ich spührte wie mir die Kinnlade herunter klappte. Ich war sprachlos. Die Tür wurde aufgerissen und der Mann, der mir Einlass gewährte, stand im Rahmen. "Boss, ein Anruf für Sie.“, sagte er in demütiger Manier und verbeugte sich dabei tief. Genervt verzog der Mann im lila Abendmantel das Gesicht. „Das kann warten..." Sein Untergebener blickte nervös auf. "A-Aber die Teleschnecke klingelt ununterbrochen, Boss. Sie...“ „Ich komme ja schon!“, unterbrach er ihn mit genervter Stimme und stellte sein Weinglas zornig ab, woraufhin sein Untergebener auch schon wieder verschwand. Der Mann schnaubte. Vollkommen aus dem Nichts heraus nahm er die Weinflasche und zerschlug sie an den Gitterstäben des Vogelkäfigs neben ihm. Das Glas zersprang und traf das ungewöhnliche Federkleid des anmutigen Geschöpfes, welches nun durch den Rotwein nass war. Im Gegensatz zu mir zuckte der Vogel durch diese Aktion nicht zusammen, sondern plusterte sich nur einmal kurz auf und starrte den widerlich grinsenden Mann vor ihm nur müde an. Das Grinsen wich nun aus seinem Gesicht und er wandte sich wieder mir zu. "Du wartest hier. Ich bin in ein paar Minuten wieder zurück.“ Mit diesen Worten verließ er den Raum und ließ mich alleine zurück. Kaum war ich alleine, schlug ich mir mit der Hand auf den Mund. Wo war ich hier nur hineingeraten??? Ich sah mit offenem Mund zum Vogel, welcher mich mit ruhigem Blick beobachtete. Das war meine Chance. Mit leisen Schritten eilte ich zur Tür, aus der ich gekommen war. Eines war sicher, als „Kai“ durfte ich mich nach dieser Aktion erst einmal nicht mehr in Port Silence blicken lassen. Als meine Hand den kalten Griff der Tür umschloss, hielt ich kurz inne. Der Vogel...Ich konnte ihn nicht hier, bei diesem Verrückten lassen. Schnell huschte ich zum Käfig und zog meinen Dietrich aus der Tasche. „Ich werd dich gleich aus dem Fenster lassen, okay? Der Typ da hat sie nicht mehr alle beisammen...“, flüssterte ich, während ich in dem Schloss aufgeregt umher stocherte. Der Vogel wurde unruhig, doch ich ließ mich davon nicht beirren. „...und dann auch noch diese Vergewaltigungstipps....Ich werd bestimmt noch ewig Alpträume davon haben...“ , langsam drehte ich den Dietrich und blickte dabei zum Vogel. „Verrat es keinem, ok? Aber ich bin kein Mann...“ Es machte Klick und das Schloss war geöffnet. Hastig machte ich dem Vogel Platz, welcher sofort die Chance ergriff und aus dem Käfig kam. "Na komm schon!“, trieb ich ihn leise an und eilte hinüber zur Fenstertür, welche ich weit aufriss. Meine Augen weiteten sich. Erst jetzt bemerkte ich seine Verletzung in der Brust. Eine hässliche lilane Schwellung, groß wie eine Orange schien ihm seine Kräfte zu berauben, denn seine wenigen Bewegungen strengten ihn schon sehr an. Er saß in der Mitte des Raumes und sah mir dabei zu, wie ich versuchte ihm mit einer Winkbewegung deutlich zu machen, dass er schleunigst wegfliegen sollte. Nur langsam näherte er sich dem Fenster. Ob er so überhaupt wegfliegen konnte? Mein Herz klopfte immer schneller. Der Griff der geöffneten Fenstertür, den ich immernoch fest umschlossen hielt, wurde ganz feucht geschwitzt. Ich fing an mein vorschnelles Handeln ein wenig zu bereuen. Würde sich nun herausstellen, dass er in seinem Zustand nicht fliegen kann und deshalb meintetwegen bei diesem Versuch in den Tod stürzt, würde ich mir das nie verzeihen können. Jetzt gab es jedoch kein Zurück mehr. Er musste einfach fliegen können... Nebenan hörte ich den widerlichen Mann seinen Untergebenen anschreien und wusste, uns lief die Zeit davon. Um es dem mannshohen Geschöpf einfacher zu machen, öffnete ich auch noch die andere Seite der Fensterwand. Mit einem lauten Knacken löste sich die Verriegelung. Offenbar wurde sie schon seit längerem nicht mehr gelöst. Mir wurde etwas schwindelig als ich einen Blick nach Draußen riskierte. Diese Höhe flößte mir Respekt ein. Auf der Straße unter mir zogen muntere Menschenscharen umher, von denen keiner auch nur ahnte, in was ich mich mal wieder hineinmanövriert hatte. Unfreiwillig musste ich an das „Kritk-Schreiben“ der Schule denken. Jeder bekam ein solches zu seinem Abschlusszeugnis überreicht. Es sollte einen auf seine Schwächen und Fehler hinweisen, damit man an ihnen arbeiten konnte. Nachdem ich meines einmal gelesen hatte, warf ich es in den Mülleimer... Ich würde in manchen Situationen dazu neigen impulsiv zu handeln und mein Temperament hätte ich auch nicht immer im Griff... „Blödsinn!“, dachte ich mir lange Zeit, doch in diesem Moment spührte ich, dass an diesen Worten wohl doch ein Hauch Wahrheit dran gewesen war... „Los! Los! Los!“, zischte ich panisch zum Vogel hinüber und krallte mich aus Angst versehentlich aus dem offenen Fenster zu stürzen, an der geöffneten Fensterwand fest. „WAS IST HIER LOS?!?!“ Der Mann im lila Abendmantel platzte in den Raum, gefolgt von seinem Untergebenen. Mein Herz blieb stehen. Dies war mein Ende. „Er gehört zu ihnen!!“, schrie der Mann mit Sonnenbrille und zeigte mit dem Zeigefinger auf mich. Vor Angst gelähmt stand ich dort und starrte abwechselnd in ihre zornigen Gesichter. Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich. Verzweifelt suchte ich nach einer möglichst plausiblen Erklärung für diese Situation, um doch noch irgendwie halbwegs heile hier herauszukommen. Gerade als ich einen unfertigen Satz herausstammeln wollte, blickte ich ruckartig zum Vogel, der wie ich viel zu spät bemerkte direkt auf mich zu gehastet kam. Unfähig ihm auszuweichen, schrie ich in Panik. Und es passierte wirklich. Er stieß mich aus dem Fenster hinaus. Mein Schreien wurde schriller. Ich sah noch kurz den Auftraggeber mit wutverzerrtem Gesicht in den Taschen seines lilafarbenen Abendmantels wühlen, doch dann kneifte ich auch schon meine Augen zu. Ein heftiges Rucken durchfuhr meinen Körper. Ich blinzelte kurz und stellte fest, dass der Vogel meinen Arm mit seinen Krallen umschlossen hatte und ich nun unter ihm hängend viele Meter über der Stadt flog. Reflexartig griff ich mit der freien Hand nach seinem Bein und hielt mich an ihm so fest ich nur konnte . Für die aufgebrachten Schreie der am Fenster stehenden Männer und der, der Menschen auf den Straßen hatte ich kein Gehör. Erst als Schüsse in der Nähe ertönten, verstummten meine panischen Schreie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)