Der doppelte Bookman von yezz ================================================================================ Kapitel 2: Gorak Shep --------------------- Sie atmete tief ein. „Wie schon gesagt, ich bin in Deutschland geboren. Mein Vater war ein Entdecker und Forscher. Meine Mutter habe ich nicht kennengelernt. Sie starb bei meiner Geburt. Also hat mein Vater, sein Name war Anton, mich überall mit hingenommen. Sogar zu seinen Expeditionen. So sind wir nach Tibet gereist. Ich war... vielleicht 5 Jahre alt.“, dabei verzog sie das Gesicht etwas, um zu unterstreichen, dass sie es nicht genau wusste. „Er ließ mich bei einer Familie Sherpa in der Siedlung Gorak Shep am Fuße des Mount Everest. Weder er noch jemand aus seinem Team kam je zurück. Die Familie wollte mich erst los werden und hat versucht, mich anderen Reisenden mitzugeben. Aber da sie damit immer wieder scheiterten, mussten sie mich wohl oder übel aufnehmen. Alles andere hätte, nach ihrer Auffassung, Leid über sie gebracht. Schließlich gaben sie meinem Vater ihr Wort.“, schloss sie. „Aber sie haben dir doch einen Namen gegeben?! Schließlich hast du doch lange unter ihnen gelebt!“, warf Lavi ein. „Wenn die Erzählung im Dorf stimmt, bin ich jetzt 17 Jahre. Also habe ich fast 10 Jahre dort gelebt. Sie haben mich meist 'Aja 'oder 'Gremo' genannt.“, gab sie zurück. „'Die ohne Geburt' oder 'weiblicher Dämon'...“, murmelte er. „Das ist grausam.“ „Ich bin überrascht, dass du tibetisch kannst.“ „Ein paar Brocken. Es hat dir sonst keiner einen Namen gegeben?“, hakte er nochmals nach. „Der Dorfälteste, eine Art Heiler, hat mich oft mitgenommen und mir sein Wissen vermittelt. Auch konnte er andere Sprachen, woher, wollte er mir nie verraten. Aber er hat mich gelehrt, was ich heute weiß. Er nannte mich gerne 'Dala'.“, erinnerte sie sich. „Blütenblatt.“, er grinste. „Das hört sich schon wesentlich besser an. Darf ich dich so nennen? Soll das dein erster Name sein?“, er sah ihr Nicken und lächelte ihr warm zu. „Und was geschah dann?“, wollte er nun wissen. „Er starb vor 2 Jahren und ich musste über meine Zukunft entscheiden. Ich hatte 2 Möglichkeiten. Entweder das Dorf verlassen oder einen Ziegenhirten heiraten.“, dabei verzog sie angewidert den Mund. „Versteh mich nicht falsch, aber er war ein Trunkenbold, gewalttätig und mindestens 3 Mal so alt wie ich. Naja, auf jeden Fall habe ich mich für die Reise entschieden. Das war auch übrigens das, was mir mein Ziehvater auf dem Sterbebett empfohlen hatte.“, dabei spielte sie an ihrem Armband. „Der Mala ist von ihm, nicht wahr?“, er schaute sie dabei an. Sie überlegte kurz. „Ach, ihr nennt es Mala! In Tibet sagt man Tengwa. Aber ja, das Armband ist von ihm. Es bedeutet mir viel und gibt mir Kraft, auch wenn ich nicht an diese Lehren glaube“. Lavi schüttete ihr einen Tee nach und sie trank dankbar. Er fragte sich, wie es wohl sein muss, unter Menschen aufzuwachsen, die einen als Last ansahen. Eine glückliche Kindheit sah eindeutig anders aus. „Also bist du dann aufgebrochen?“, begann er wieder das Gespräch. Sie nickte und stellte die Tasse ab. „Von Gorak Shep bin ich nach Xigaze, die Hauptstadt der Region gereist. Von dort aus, verkleidet als Junge, nach Kathmandu. Zum Teil zu Fuß, manchmal hat mich auch wer mitgenommen. Im Gegenzug habe ich gearbeitet. Von Nepal bin ich dann nach Indien und von dort nach Pakistan. In Lahore habe ich dann den alten Panda getroffen.“, bei der Aussprache des Spitznamens ihres Meisters schwang ein belustigter Unterton mit. „Er sagte, du hättest spezielle Fähigkeiten, weswegen er auf dich aufmerksam geworden ist...“, begann Lavi neugierig. Sie lachte. „Da kommst du selbst drauf!“, ermunterte sie ihm zum Nachdenken. Er runzelte die Stirn. Was war so offensichtlich, anhand ihrer Erzählungen, dass sie glaubte, er wüsste das? Sie lebte in Tibet, stammte aber aus Deutschland. Sie ist am Mount Everest groß geworden. Klettern gehörte jetzt nicht zu besonderen Fähigkeiten. Sie schlug sich durch mehrere Länder und... Moment! Sollte das wirklich...? Er schaute die ungläubig an. „Du willst mir jetzt nicht erzählen, dass du alle diese Sprachen kannst!“ Sie grinste amüsiert und zuckte dann mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Warum. Aber ich verstehe meistens, was die Leute sagen. Und so lerne ich ganz schnell die entsprechende Sprache.“ „Und seit wann sprichst du diese hier?“, fragte er nun interessiert. „Seitdem mich Bookman gefunden hat. Also ungefähr 14 Tage.“ Fast hätte er sich an seinem Tee verschluckt. „Das ist nicht dein Ernst!“, jetzt war er wirklich sprachlos. „Kannst du mir das beibringen?“, fragte er mit leuchtenden Augen. Sie zuckte mit den Achseln. „Versuchen können wir es ja mal.“, bot sie an. Sie hatten sich für tibetisch entschieden. Schließlich war das die Sprache, die sie am Längsten sprach. Innerhalb kürzester Zeit war sein Wortschatz gewaltig gestiegen. Die Art und Weise, wie sie ihm die fremde Sprache vermitteln konnte, war unglaublich. Dennoch glaubte er, war sich sogar fast sicher, dass er sich diese nicht einfach autodidaktisch beibringen könnte, wie sie es tat. Er streckte sich und gähnte herzhaft. „Ich würde sagen, ich zeige dir noch kurz das Bad und dann dein Zimmer. Danach gehen wir schlafen. Morgen hole ich dich dann zum Frühstück ab und dann schauen wir mal, was die Wissenschaftsabteilung für dich hat!“, schlug er müde vor. Sie nickte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)