Hurricane Chronicles von BondingTails (Wie Blätter im Wind || im Sturm der Zeit) ================================================================================ Kapitel 1: Solo-Mission zu zweit -------------------------------- Ich sah ihn mit hinter dem Kopf verschränkten Armen durch das Dorf schlendern. Ich konnte nur seinen Rücken sehen, doch irgendwie wusste ich, dass er ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen hatte. Er schien mir eigentlich immer recht zufrieden mit seinem Leben, wenn ich darüber nachdachte. Er wirkte glücklich mit dem, was er hatte, ehrgeizig und eifrig bemüht für das, was er wollte. Und er hatte sich sein Ziel nicht gerade niedrig gesteckt. So oft wie er davon sprach, Hokage werden zu wollen, ließ er dieses Ziel auch nicht aus den Augen. Und er würde es erreichen, das wusste ich. Ich atmete noch einmal tief durch und beschleunigte meine Schritte, holte ein wenig zu ihm auf. Ich versuchte, mir eilig noch etwas Mut anzusammeln. Aber ich wusste, dass das nichts mehr nützen würde. Ich hatte bereits alle Vorkehrungen getroffen, der Zeitpunkt war günstig. Aber das hatte ich schon einmal gedacht und dann wieder einen Rückzug gemacht. Ich wusste, wenn ich es jetzt nicht tat, würde ich es wohl nie tun. „Naruto!“, rief ich nach ihm. Er wandte sich überrascht um, suchte nach dem Ursprung der Stimme, die ihn gerufen hatte. Ich hoffte doch, er hatte sie erkannt. Scheinbar schon, denn als er mich entdeckt hatte, brachte ein breites Lächeln sein Gesicht zum Strahlen. Mein eigenes Lächeln verblasste etwas. Denn ich wusste: Mich würde er niemals so ansehen. „Sakura-chaan!“, rief er fröhlich und kam sofort zu mir herübergeeilt. „Was machst du hier?“, wollte er wissen. „Bist du auf dem Weg zu Kakashi-sensei?“ Ich hoffte, dass er nicht sehen konnte, wie angespannt ich war. Ich wusste nicht, wie genau ich stehen sollte, ohne allzu nervös zu wirken. Ich wollte automatisch meine Hände in meine Hosentaschen stecken, auch um zu verbergen wie sehr sie zitterten, doch ich konnte nicht. Ich trug keine Hose, die Hosentaschen besaß. Ich trug ein Kleid. Sakuras Kleid. Und auch wenn ich wusste, wie Sakura normalerweise dastand, und trotz dass ich das zu Hause vor dem Spiegel – in ihrer Gestalt – auch geübt hatte, wusste ich nicht, ob ich das jetzt sonderlich überzeugend schauspielern konnte. Es war eines, sich direkt im Spiegel zu sehen und beurteilen zu können, ob man etwas gut machte, aber es war etwas vollkommen anderes, wenn man keinen Spiegel vor sich hatte, sondern ein paar aufmerksamer Augen, die einen schamlos musterten und gleichzeitig auch noch eine verbale Reaktion verlangten. „Nein, ich wollte zu dir“, antwortete ich ihm mit dieser fremden Stimme aus meiner Kehle. Überrascht schaute er mich an, als wäre sie auch für ihn ungewohnt, doch das war sie nicht. Er sprach mit Sakura so ziemlich jeden Tag. Nur kam sie selten so auf ihn zu, und niemals tat sie das einfach nur wegen ihm. Noch bevor ich etwas Weiteres sagen konnte, grinste er plötzlich breit, als hatte er es schon immer geahnt, dass Sakura etwas für ihn empfand. Ich hoffte, dass er nicht fürchterlich enttäuscht sein würde, wenn er das nächste Mal der richtigen Sakura begegnete. Sie würde wahrscheinlich ganz andere Dinge zu ihm sagen. Darüber wollte ich gar nicht nachdenken. Einen Augenblick lang ging mir durch den Kopf, was ich tun müsste, damit das nie passieren würde. Damit die beiden sich nie wieder über den Weg liefen. Ich kam zu dem Ergebnis: mit Naruto Konoha verlassen oder Sakura beseitigen. Oder beides. In umgekehrter Reihenfolge. „Ich wusste, dass du irgendwann doch noch Interesse an einem Date mit mir haben würdest, Sakura-chian!“, frohlockte Naruto in seiner unbekümmerten Art. Manchmal wirkte es, als waren Gefühle und Liebesgeständnisse für ihn nicht das, was sie für andere waren. Er hatte schon so oft so offen über seine Gefühle gesprochen und seine Zuneigung für Sakura gezeigt. Das war etwas, was ich niemals tun könnte. Und leider war es auch ein Zeichen mehr, dass er nur etwas für Sakura empfand. Wenn es anders wäre, wüsste es bereits die halbe Welt. Auf der anderen Seite bemerkte er es scheinbar nicht, wenn andere etwas für ihn empfanden. Er schien es weder zu sehen, wie Hinata sich ihm gegenüber benahm, noch – aber das konnte man ihm auch nicht verdenken – wie ich mich in seiner Gegenwart verhielt. „Aber was ist mit Sasuke?“, fragte Naruto plötzlich. „Hast du ihn etwa endlich aufgegeben?“ „Der beachtet mich doch sowieso nicht“, reagierte ich schnell. Es war die Wahrheit, das musste selbst Sakura doch irgendwann eingesehen haben. „Ja, manchmal glaube ich, dass ihn so etwas einfach überhaupt nicht interessiert. Er hat wohl ganz andere Dinge im Kopf“, sagte er und ich konnte ihn einen Moment nur anschauen. Wie kam es, dass wir plötzlich – statt über ein Date zwischen Sakura und ihm – über mich sprachen? Ich wollte ihn fragen, was er meinte. Was er glaubte, worüber ich mir stattdessen Gedanken machte. Doch ich wusste nicht, wie. Ich hatte Angst, dass ich mich so früher oder später verraten würde. Mit meiner zu großen Neugier. „Ano ne“, fragte er plötzlich in meine Gedanken hinein. „Was wollen wir dann jetzt machen, Sakura-chan?“ Er war bereits wieder zum Thema „Date“ zurückgekehrt. „Hättest du Lust, mit mir Ramen essen zu gehen?“, fragte er daraufhin mit einem etwas peinlich berührten Gesichtsausdruck und kratzte sich am Hinterkopf, wie er es häufiger tat. „Da wollte ich nämlich eigentlich gerade hin. Ich habe einen Mordshunger, dattebayo.“ Mit einem Mal änderte sich sein Ausdruck und er nahm beide Hände vor seinen Oberkörper, um dort hastige Gesten zu machen. „Ich lade dich natürlich auch ein, Sakura-chan! Das ist ja wohl selbstverständlich! Schließlich ist es ein richtiges Date, dattebayo!“ Vielleicht hatte ich zu lange gezögert. „Warum nicht?“, sagte ich neutral. Ich hatte keine Ahnung, wie Sakura in diesem Moment geantwortet hätte. Vielleicht hätte ich sie besser studieren sollen. Aber das schien nicht nötig, als auf Narutos Gesicht erneut ein breites Lächeln ausbrach, das er bis zu unserem Ziel keine Sekunde lang verlor. Vielleicht lag es auch daran, dass er zur selben Zeit nach meiner Hand gegriffen hatte. Damit hatte ich zwar gerechnet, dass er das früher oder später wagen würde, doch letztendlich machte das keinen Unterschied. Es machte mich dennoch unglaublich verlegen. Ich schaute ihn flüchtig an, blickte mich auch kurz um, ob uns jemand beobachtete, überlegte, ob ich das nicht besser nicht zulassen sollte. Was, wenn uns jemand sah, der Sakura darauf ansprechen würde? Ich bemerkte, dass ich nicht gut genug vorausgeplant hatte. Doch Narutos Hand drückte meine einmal sanft, als wollte er mir Mut zusprechen. Und ich konnte sie nicht loslassen. Ich wollte sie nicht loslassen. Also erwiderte ich den Druck und versuchte für einen Moment zu vergessen, dass er nur Sakura in mir sah. Als ich nicht protestierte, ging er los, zog mich mit, steckte mich ein wenig an mit seinem Lächeln, das auch nicht verblasste, als er meine Hand wieder losließ, um mir die Chance zu geben, mich hinzusetzen. Während wir auf den hohen Hockern vom Ichiraku saßen und auf unser Essen warteten, unterhielten wir uns über unsere letzten Missionen. Zum Glück war ich bei jeder von ihnen dabei gewesen. Wenn es anders gewesen wäre, hätte meine Tarnung unglaublich schnell auffliegen können. „Ne, ne, Sakura-chan“, meinte er irgendwann. „Wollen wir nicht mal zusammen trainieren?“ „Trainieren?“, echote ich und überraschte mich erneut mit dem ungewohnten Klang aus meinem Mund. Jetzt wusste ich sogar, wie sich Sakura selbst immer hörte. Vielleicht sollte ich mich einmal in Naruto verwandeln, um solche Dinge über ihn zu erfahren. Über Sakura nützten mir solche Informationen überhaupt nichts. „Ja, du kannst doch so gut mit deinem Chakra umgehen“, erklärte er. „Vielleicht kannst du mir da noch ein paar Tipps geben?“ Unschuldig bettelnd blickte er mich an. „Mal sehen“, antwortete ich ausweichend. Ich wusste nicht, wie gut die Idee war, dieses Spiel noch einmal oder gar noch häufiger zu wiederholen. Zwar klappte bisher alles wie am Schnürchen, niemand hatte uns besondere Beachtung geschenkt, doch das konnte sich jederzeit ändern. Es musste nur die echte Sakura unerwartet früh von ihrem Training zurückkehren und hier vorbeikommen. Ich warf unauffällig einen Blick auf die Uhr. Allzu viel Zeit würde ich mir nicht lassen dürfen. Sakura trainierte im Schnitt nicht wesentlich länger als zwei Stunden. Für mich war das das absolute Maximum. Zur Sicherheit legte ich mir nur eineinhalb Stunden als Limit fest. Nach dem Essen war bereits die Hälfte der Zeit verstrichen. Und mir war übel. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, was ich mir damit antun würde, Naruto so leichtsinnig zuzusagen, bis ich die Suppenschüssel vor mir stehen hatte und mir der Geruch seines Lieblingsessens in die Nase stieg. Dann wurde ich mir meiner Dummheit bewusst: Ich hasste Ramen. Ich hätte ihn von der Idee, mein Hassgericht essen zu gehen, abbringen sollen. Aber ich war Sakura. Sie hatte kein Problem mit diesem Gericht. Deshalb – um meine Tarnung nicht auffliegen zu lassen – und weil ich Naruto nicht um sein Lieblingsessen bringen wollte, hatte ich es einfach hinuntergewürgt. Im Nachhinein war es gar nicht so schlimm gewesen. Doch das lag wahrscheinlich nur daran, dass ich überhaupt nichts geschmeckt hatte. Zu konzentriert war ich auf unsere Unterhaltung beim Essen, meine Aufgabe, mich wie Sakura zu verhalten, und die Tatsache, dass Naruto unmittelbar neben mir saß. Er hatte unsere Hocker so nahe zusammengerückt wie nur möglich. „Wollen wir noch einen kleinen Spaziergang machen?“, fragte er mich jetzt, nachdem er für uns bezahlt hatte. Es tat mir unglaublich leid, seinen Geldbeutel plündern zu müssen, doch ich hätte niemals anbieten können, für mich selbst oder gar für uns beide zu bezahlen. Das hätte Sakura niemals getan. Sie hatte sich sogar schon von Naruto einladen lassen, ohne dass es ein richtiges Date gewesen war. Ich schüttelte innerlich den Kopf. Ich wollte gar nicht daran denken. Sakura war die Letzte, an die ich gerade denken wollte. Aber sie war leider zwangsläufig diejenige, an die ich in dieser Situation permanent denken musste, um mich wie sie verhalten zu können. Ich nickte nur unsicher zur Antwort. Trotzdem sprang Naruto enthusiastisch von seinem Hocker und hielt mir mit einem strahlenden Grinsen seine Hand entgegen, um mir hinunterzuhelfen. Die Situation war mir – als Mann – so peinlich, dass ich fürchtete, dass ich etwas rot anlief. Immerhin würde Naruto sich bei Sakura wohl hoffentlich nicht viel dabei denken. Schließlich war es ihr erstes gemeinsames Date. Und ohne dass er etwas davon wusste, war es auch unser erstes gemeinsames Date. Ich konnte Naruto erst einmal eine Weile nicht ins Gesicht sehen. Ich fürchtete, dass ich ihm auch nicht mehr würde antworten können, wenn er mir jetzt eine Frage stellte. Und ich fürchtete zudem, dass meine Gesichtszüge entgleisen könnten, weil ich gerade so zerstreut war und mich so wenig unter Kontrolle hatte. Zum Glück verlangte Naruto das jedoch auch nicht von mir, denn er ließ meine Hand, nachdem er mir vom Hocker geholfen hatte, einfach nicht wieder los, sondern drückte sie erneut sanft, als wäre es ein Zeichen, dass ich gleich einen Fuß vor den anderen setzen musste. Und das konnte ich auch tun, indem ich nur auf den Boden schaute. Wir gingen an den Wachen vorbei, die uns nur belächelten und im Stillen Naruto beglückwünschten, der sich mit seiner freien Hand wieder verlegen am Hinterkopf kratzte. Ich glaubte, dass Iruka flüchtig seinen Daumen hochgehalten hatte. Meine Gesichtsfarbe vertiefte sich hierbei noch ein ganzes Stück und ich fragte mich, wo ich mich da hineingeritten hatte. Ich hoffte, dass mich nicht jeden Moment jemand angreifen würde, weil er durchschaut hatte, dass ich nicht die echte Sakura war, und deshalb glaubte, ich wäre eine Bedrohung für Naruto. Es war nicht das erste Mal, dass jemand sich in Konoha eingeschlichen hatte. Wir verließen durch die Tore die Dorfmauern und somit deren Sicherheit, gingen am Gemäuer entlang in Richtung des Berges, der mit den vier Köpfen der Hokage über Konoha thronte. „Ano saa“, begann Naruto nach ein paar Schritten. „Ich finde es schön, dass du mit mir essen gegangen bist, aber… Was ist passiert? War irgendetwas mit Sasuke?“ „Nein“, antwortete ich nur. Ich dachte, meine vorherige Aussage wäre Antwort genug auf diese Frage gewesen. „Aber ich bin es leid, Sasuke-kun hinterherzulaufen.“ „Okay, aber was ändert das an deiner Einstellung zu mir?“, wollte er wissen. Ich konnte nur noch intensiver zu Boden starren. Ich hätte nicht erwartet, dass er das so hinterfragen würde. Warum war er nicht einfach glücklich darüber, gönnte mir dieses eine Date, diese maximal eineinhalb Stunden mit ihm? Ich konnte ihm nicht antworten. Und er begriff das schnell. Er wechselte einfach das Thema: „Sollen wir uns den Sonnenuntergang vom Berg aus ansehen?“ Ich nickte kaum merklich. Er drückte zum Zeichen, dass er es dennoch gesehen hatte, meine Hand ein weiteres Mal. Nein, eigentlich war es nicht meine Hand, es war Sakuras zarte und zierliche Hand; meine würde sich ganz anders in seiner anfühlen. Aber das würde ich wohl nie erfahren. Eine ganze Weile gingen wir still nebeneinander her. Wir schauten uns nicht an – ich stahl mir nur ab und zu unbemerkt einen Seitenblick – und wir sprachen kein Wort mehr, bis wir den Gipfel erreicht hatten. Als es so weit war, war die Sonne bereits fast zur Hälfte hinter dem Horizont verschwunden und tauchte den Hokage-Berg in orangerotes Licht. Naruto blieb stehen, blickte über Konoha, seine Heimat, hinweg und hielt weiterhin meine Hand fest. Ich warf nur einen flüchtigen Blick über die Landschaft, bevor ich wieder Narutos Gesicht betrachtete, das ich mir so gut unter dem traditionellen Hut des Hokage vorstellen konnte. Fast hätte ich das zu ihm gesagt, aber als er plötzlich zu mir hinabschaute, war der Gedanke vergessen. Er schaute mir mit einem intensiven Blick in meine Augen und daraufhin mit demselben auf meine Lippen. Mein Herz blieb einen Augenblick stehen. Er würde Sakura doch nicht bei ihrem ersten Date bereits küssen wollen. Oder doch? Natürlich, er wartete darauf wahrscheinlich schon sein halbes Leben lang, aber… Würde er wirklich – obwohl es ihm seltsam vorkam, dass Sakura plötzlich von mir zu ihm geschwenkt hatte – so weit gehen und sie gleich küssen wollen? Damit hatte ich nicht gerechnet. Auch wenn ich es mir gewünscht hatte. Aber jetzt war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich das überhaupt wollte. Er schaute wieder hinauf in meine Augen, machte einen kleinen Schritt zur Seite, drehte seinen Körper meinem frontaler zu und senkte sein Kinn zu mir hinab. Er hob seine Hand. Mein Kopf war zu leer, als dass ich mir denken konnte, was er damit vorhatte. Aber ich hätte es wissen müssen, dass er sie an meinen Hals legen würde. Und ich hätte es ahnen müssen, dass er sich daraufhin tatsächlich noch tiefer beugen würde, um mich zu küssen. Aber ich konnte es nicht begreifen. Auch als er es schließlich tat, glaubte ich noch, dass es nicht sein konnte, denn plötzlich fühlte ich mich überhaupt nicht mehr wie Sakura – ihre Lippen konnten nicht so anders sein wie meine eigenen, und auch mein Hals nicht. Und viel mehr spürte ich gar nicht mehr. Deshalb fühlte ich mich einen Moment tatsächlich, als würde er mich küssen. Doch nur einen Moment. Dann kamen die Gedanken wieder zurück, dass für ihn der Kuss etwas ganz anderes war als für mich und dass diese Zuneigung, die er mir damit zeigte, überhaupt nicht für mich bestimmt war. Ich versuchte, diese Gedanken beiseitezuschieben. Ich wollte diesen einen Kuss genießen, denn ich glaubte nicht, dass es jemals einen zweiten geben würde. Der Gedanke tat weh. Verzweiflung drohte mich zu übermannen. Meine Hand, die noch immer von seiner gehalten wurde, drückte leicht zu. Ich lehnte mich ein wenig nach vorn, in den Kuss hinein, hielt mich jedoch davon ab, meine Arme um ihn zu legen. Narutos Hand erwiderte meinen Druck nicht; die an meinem Hals rührte sich nicht. Es war mehr, als brauchte er sie als Stütze. Er atmete unregelmäßig gegen mich, mal durch den Mund, mal durch die Nase. Ich hatte schon geahnt, dass er nicht wirklich gut küssen können würde, aber ich selbst konnte auch nicht sagen, dass ich Experte war. Es war mein erster richtiger Kuss. Und selbst wenn Naruto alles perfekt gemacht hätte, hätte es dennoch nichts geändert für mich. Die Umstände, unter denen dieser Kuss stattfand, waren einfach nicht die richtigen. Und irgendwie schien Naruto das zu spüren, denn schon bald brach er ab. Ich war davon ausgegangen, dass er – wenn er schon die Gelegenheit dazu hatte, und wenn er schon so mutig war, den ersten Schritt in diese Richtung zu tun – mindestens das Maß ausreizen würde, so gut er konnte. Dass er Sakura solange küsste, bis sie es nicht mehr zuließ. Dass er so weit ging, dass sie ihn in seine Schranken weisen musste. Aber er küsste sie nur einen sanften Moment lang. Dann wich er zurück, als wäre er sich plötzlich seinen Gefühlen nicht mehr sicher. Oder als spürte er, dass es nicht Sakura war, die er vor sich hatte. Sofort schlug ich die Augen auf, sah, wie er – mit selbst bereits offenen Augen – den Abstand zwischen unseren Lippen vergrößerte. So intensiv hatten wir uns noch nie in die Augen gesehen wie in diesem Moment. Erst recht nicht aus dieser Nähe. Ich spürte noch seinen Atem auf meiner Wange, der jedoch immer schwächer wurde, denn er entfernte sich langsam, aber stetig. Er nahm zeitgleich vorsichtig seine Hand von meinem Hals, als wollte er mir meine Maske nicht aus Versehen vom Gesicht ziehen. Ich wollte eine Erklärung dafür. Hatte er mich durchschaut? Hatte er wirklich spüren können, dass es nicht Sakuras Gefühle waren, die in diesem so kurzen Kuss gesteckt hatten? Ich hatte mich zurückgehalten, hatte mich selbst durch meine Gedanken ausgebremst. Ich hatte mich nur ein wenig nach vorn gewagt, mehr nicht. Wenn ich urplötzlich über ihn hergefallen wäre, dann hätte er das Recht gehabt, misstrauisch zu werden. Aber nicht so. Er konnte doch noch gar nicht wissen, wie sich Sakura anfühlte. Wie sie küsste. Er hatte keinen Vergleich. Wie also sollte er den Unterschied bemerken? „Lass uns zurückgehen“, sagte er auf einmal in die Stille. Seine Stimme klang seltsam belegt. „Es wird bald dunkel sein.“ Ich nickte nur. Ich konnte es gerade nicht ertragen, Sakuras Stimme aus meinem Mund zu hören. Naruto ging los, seine Hand hielt noch immer die meine und er ließ sie auch nicht los, bis wir die Tore passiert und uns aus der Sichtweite der Wachen begeben hatten. Als er schließlich seine Finger von meinen löste, blieb er stehen und sah mich an. „Ich hoffe, wir wiederholen das bald“, sagte er schließlich in unsicherem Tonfall – es war mehr als deutlich, dass er seine Worte sorgfältig gewählt hatte – und ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Er rechnete jedoch scheinbar auch nicht unbedingt mit einer Antwort. Er lächelte schon, als ich nur zu ihm aufschaute. Das Lächeln war aber nur flüchtig. Es verschwand, vom einen Augenblick zum anderen, dann war sein Blick wieder konzentriert. Jetzt war der Moment, in dem er mir sagte, dass er wusste, dass ich nicht seine Sakura war. Was sollte ich dann tun? Sollte ich einfach fortlaufen, meine Sachen packen und das Dorf verlassen? Unerwartet lehnte er sich zu mir vor und küsste mich. Mehr berührte er nicht; nicht meinen Hals, nicht meine Hand, nur kurzweilig meine Lippen. Wenn er auch nur einen Moment länger mit seinem Mund bei mir geblieben wäre, hätte ich meine Arme um ihn geschlungen und ihn nicht wieder losgelassen. Aber er entfernte sich fast ebenso schnell, wie er sich nach vorn gelehnt hatte. Und auch dieses Mal waren seine Augen schon vor den meinen geöffnet. Er schaute mich an, als wartete er auf etwas von mir. Eine Reaktion. Eine Erklärung. Eine Entschuldigung. „Gute Nacht, Sakura-chan“, sagte er dann in seltsamem Tonfall und wandte sich um, lief durch das Halbdunkel der Straßen des Dorfes nach Hause in die Einsamkeit seiner Wohnung. Ich wartete, bis er nicht mehr zu sehen und seine Schritte nicht mehr zu hören waren, bevor ich mich in die andere Richtung – ein Umweg für mich, der in die Nähe von Sakuras Haus führte – selbst auf den Weg nach Hause machte. Es war nicht mehr viel los auf den Straßen, überall gingen die Lichter in den Häusern an. Unterwegs schlüpfte ich in einen besonders schmalen Spalt zwischen zwei Gebäuden und verwandelte mich zurück. Ich war froh, wieder in meiner eigenen Haut zu stecken. Als ich zurück auf die Straße trat, sah ich am anderen Ende Sakura stehen. Die echte Sakura. Schockiert blieb ich augenblicklich stehen. Ich wollte sofort zurück, mich in der Nische vor ihr verstecken, doch es war bereits zu spät. Sie wandte sich gerade in meine Richtung. Verdammt, fluchte ich innerlich. Aber immerhin konnte ich jetzt sichergehen, dass Naruto ihr nicht begegnet war. Sie kam aus der entgegengesetzten Richtung, in die er verschwunden war. „Sasuke-kun!“, hörte ich Sakuras Stimme rufen. Ich seufzte bereits innerlich. Sie war wirklich die Letzte, die ich jetzt sehen wollte. Trotzdem blieb ich stehen. So herzlos konnte ich nicht sein. Ich wusste, auch wenn ich es mir nicht vorstellen konnte, dass es ihr mit mir ähnlich ergehen musste wie mir mit Naruto. Außerdem sollte ich verhindern, dass sie heute noch auf diesen traf. Die Gefahr, dass er irgendwann herausfand, dass es nicht Sakura gewesen war, mit der er Ramen gegessen hatte, mit der er spazieren gegangen war und die er geküsst hatte, war ohnehin zu groß. Ich fürchtete, dass er es bereits morgen wusste. Doch solange er nicht wusste, wen er stattdessen vor sich gehabt hatte, war ich in Sicherheit. Niemals würde er mich verdächtigen. Nur konnte ich das Spiel dann definitiv nicht noch einmal wiederholen; beim nächsten Versuch würde er mich angreifen und meine Identität mit seinen Fäusten aus mir herausprügeln. Aber ich wollte dieses Versteckspiel auch gar nicht noch einmal veranstalten. Eigentlich hatte es mehr wehgetan, als dass es mir irgendetwas gebracht hatte. Ich wusste jetzt zwar, wie sich seine Lippen anfühlten, doch was nützte mir das Wissen, wie sich etwas anfühlte, was ich nie wieder berühren durfte? Ich wandte mich vollständig zu Sakura um, als sie mich gerade erreicht hatte. „Ich wollte gerade etwas essen gehen“, sagte sie. „Möchtest du zufällig auch etwas?“ „Nein, danke“, antwortete ich ihr. Ich zögerte, bevor ich hinzufügte: „Ich habe gerade gegessen.“ Mit dieser Info würde sie nichts anfangen können; sie hatte noch nichts mit Naruto zu tun. Für Sakura zumindest. „Schade, aber okay“, sagte sie dann, als wäre es tatsächlich in Ordnung, doch es war eindeutig, dass sie enttäuscht war. „Vielleicht frage ich dann besser Naruto“, meinte sie nachdenklich. „Der sagt bestimmt nicht Nein. Und ich habe sowieso gerade Lust auf Ramen.“ „Nein!“, rief ich aus, bevor ich es verhindern konnte. Sakura schaute mich selbstverständlich verwirrt an. Jetzt musste ich meine Reaktion irgendwie erklären. „Das… Das kannst du vergessen, den habe ich gerade gesehen. Er hat eben erst bei Ichiraku gegessen.“ „Ach so“, sagte sie enttäuscht. „Schade.“ Sie wirkte unsicher, was sie als Nächstes tun oder sagen sollte. „Und du willst ganz sicher nichts mit mir essen gehen?“, fragte sie dann noch einmal. Ich überlegte einen Moment, mich doch überreden zu lassen, doch ich konnte nichts mehr essen. Schließlich hatte ich von Anfang an keinen Hunger gehabt. Und ich hatte gerade keine Nerven mehr für so etwas. Verwandelt oder nicht. Ich brauchte jetzt etwas Zeit für mich, um meinen Kopf wieder in Ordnung zu bringen. „Nein, tut mir leid“, antwortete ich zu ihrer Enttäuschung. „Kein Problem“, sagte sie fröhlich kopfschüttelnd, aber ihr Lächeln war definitiv nicht ganz echt. Es wirkte ein wenig gekränkt. Und ihre Körperhaltung zeigte Unruhe und Unsicherheit. Sie ertrug es nicht, noch länger hier vor mir zu stehen, nachdem ich sie wieder einmal abgewiesen hatte. Früher hatte ich das getan, ohne einen zweiten Gedanken daran zu verschwenden, doch mittlerweile glaubte ich, dass ich recht gut nachempfinden konnte, wie es war, wenn man von der Person, für die man alles sein wollte, nicht genug Beachtung geschenkt bekam. Wenn man in deren Augen nicht das war, was man gerne wäre. „Dann bis morgen, Sasuke-kun!“, sagte sie noch und wandte sich um, ging ziemlich eilig den Weg zurück, den sie gekommen war. Ich fragte mich, ob ich sie zum Weinen gebracht hatte. ~ „Ohayou, Sakura-chaan!“, rief Naruto bereits von Weitem mit einer Stimme, die nicht glücklicher klingen konnte. Ich fürchtete mich vor dieser Begegnung. Würde er Sakura zu küssen versuchen? Würde er einen Arm um sie legen? Würde er ihre Hand halten? Sakura wartete, bis er bei uns war, bevor sie ihm mit wesentlich weniger Begeisterung antwortete: „Ohayou.“ Dann brach die Wut aus ihr heraus, die sich in der vergangenen Dreiviertelstunde Warten angestaut hatte, und nahm zum Glück Naruto jedwede Möglichkeit, sich ihr zu nähern, wenn er nicht lebensmüde war. „Das ist nicht fair!“, rief sie aufgebracht. „Warum kann ich nicht auch einfach so dreist sein und absichtlich zu spät kommen? Dann hätte ich noch ausschlafen und in Ruhe frühstücken können! Schließlich weiß ich ja, dass Kakashi-sensei nie pünktlich ist!“ Wir – im Gegensatz zu Naruto – standen bereits seit einer ganzen Weile hier herum und warteten. Sakura entfernte sich jetzt ein Stück von uns und begann, den Frust darüber, dass unser Trainer uns wie immer warten ließ, gleich abzureagieren; sie machte ein paar Trittübungen gegen einen Baum, bei denen sie sich sicherlich Kakashi als Gegner vorstellte. Naruto lachte. „Hat sie sich noch immer nicht daran gewöhnt?“, meinte er und schüttelte den Kopf. „Du wirkst fürchterlich glücklich, Dobe“, kommentierte ich das permanente Grinsen auf seinem Gesicht. Ich fragte mich, ob er es mir erklären würde, woher es kam. Auch wenn ich eigentlich genau wusste, was der Ursprung war. „Wirklich?“, sagte Naruto peinlich berührt, lächelte dadurch noch breiter und kratzte sich am Hinterkopf dabei. „Ist irgendetwas passiert?“, fragte ich weiter. Ich war mir relativ sicher, dass Sakura uns gerade nicht hören konnte. Und selbst wenn, ich glaubte nicht, dass sie es ernst nehmen würde, wenn er von irgendetwas Absurdem sprechen würde wie einem Date zwischen ihm und ihr selbst. Er hatte schon häufiger von seinen Träumen erzählt. Naruto schirmte seinen Mund von Sakuras Seite ab, bevor er stolz, aber leise sagte, was ich bereits vorausahnen konnte: „Ich hatte gestern ein Date mit Sakura-chan.“ „Wirklich?“, sagte ich nur unbegeistert, als interessierte mich das überhaupt nicht. „Ee, ein richtiges Date, dattebayo!“, sagte er aufgeregt und grinste mich siegessicher an. Dann zwinkerte er mir zu: „Sie ist komplett über dich hinweg, Teme.“ „Gut“, sagte ich zufrieden. „Dafür bin ich dir fast etwas schuldig, Dobe.“ „Oi, oi. Red bloß nicht schlecht über meine Freundin“, sagte er gedämpft. Natürlich wollte er nicht, dass Sakura das hörte. „Auf jeden Fall heißt das, ich habe gewonnen, dattebayo. Sakura-chan gehört mir.“ „Ich wusste nicht, dass das ein Wettkampf war, aber, wie gesagt, mir egal“, ließ ich ihn wissen. Daraufhin zog er einen Schmollmund, als wäre es nicht fair, dass mich das nicht interessierte. Dabei interessierte mich das schon. Nur aus einem anderen Grund, als er glaubte. Allein zu wissen, dass Sakura der Grund war, weshalb er so schrecklich glücklich war, störte mich daran. „Heißt das, du hast wirklich absolut kein Interesse an ihr?“, wollte er wissen. Ich versicherte mich noch einmal, dass die Gemeinte uns keine Aufmerksamkeit schenkte und unsere Worte über ihre Kampfschreie hinweg auch nicht hören konnte, bevor ich antwortete: „Nicht im Geringsten.“ Ich fragte mich, was er darauf sagen würde, doch in diesem Moment hörten wir Kakashis Stimme von über uns. Er war, wie so oft, ohne Vorwarnung auf den Metallstreben der kleinen Brücke erschienen. „Yo“, war alles, was er sagte und nachdem Sakura ihn entdeckt hatte, auch alles, was er noch sagen konnte, bevor sie auf ihn zugeschossen kam und ihn zu beschimpfen begann. Ich staunte ein wenig über ihr Selbstbewusstsein. Es war fast, als wäre tatsächlich etwas passiert, das ihrem Ego einen kleinen Schub gegeben hatte. Etwas, wie eine Liebeserklärung oder ein Kuss. Mein Blick ging ins Leere. Was, wenn ich den beiden geholfen hatte zusammenzufinden? Was, wenn Naruto gestern Abend noch zu ihr nach Hause gegangen war, weil er es noch immer nicht glauben konnte, dass sie Interesse an ihm gezeigt hatte? Was, wenn sie jetzt tatsächlich ein Paar waren? Was, wenn Sakura schon lange hin und her gerissen gewesen war zwischen ihm und mir? Oder wenn sie wirklich, wie ich es gestern als Ausrede missbraucht hatte, einfach aufgegeben hatte, weil sie gemerkt hatte, dass es keinen Zweck hatte? Was, wenn alles, was Naruto noch gebraucht hatte, eine Initiative von Sakura gewesen war? „Na, Sakura“, versuchte Naruto, sie zu beruhigen. „Jetzt ist Kakashi-sensei doch hier, nee?“ Er legte eine Hand an ihre Schulter und tatsächlich nahm sie ihre zu Fäusten geballten Hände daraufhin wieder hinunter. Er trat noch einen Schritt näher an sie heran und drehte sie leicht in seine Richtung, sodass sein Gesicht jetzt unnötig nahe bei ihrem war. Sodass er sich nur etwas vorzulehnen brauchte, um sie zu küssen. Ich spürte, wie mein Blick sich änderte. Wie meine Gesichtszüge sich langsam verhärteten. Ich spürte die Wut in mir aufkommen. Ich spürte den Drang, Sakura wehzutun. Und plötzlich spürte ich den Schmerz in meinem Nacken. Meine Hand schnellte hinauf und presste sich gegen die brennende Stelle, als könnte das den Schmerz lindern. Als wäre es nur eine Blutung, die ich so abstellen könnte. Aber ich wusste bereits, egal was ich tat, ich konnte den Schmerz nicht stoppen. Kakashi hatte das Mal, das Orochimaru mir gegeben hatte, zwar versiegelt, doch es schien nicht richtig zu wirken. Oder aber das, was auch immer dieses Gift war, das Orochimarus Biss hinterlassen hatte, hatte das Siegel innerhalb kürzester Zeit systematisch zerfressen. Kakashi warf mir einen vielsagenden Blick zu. Er wusste genau, was es bedeutete, wenn ich meine Hand gegen diese Stelle an meinem Hals drückte. Er schaute mich mit seinem unverdeckten Auge intensiv an. Ich schaute flüchtig zu Naruto herüber, der noch immer versuchte, Sakura mit gut Zureden zu beruhigen. Sie schenkten uns gerade keine Beachtung. Naruto rieb zweimal über ihre Schulter und nahm dann seine Hand wieder fort. Auf einmal ließ der Schmerz nach. Ich nahm die Handfläche von meinem Nacken und blickte zu Kakashi auf. Er schaute ernst auf mich hinab. „Geh nach Hause“, sagte er plötzlich. Ich konnte ihn nur anstarren. Er sagte es nicht, als wäre es ein Befehl, dennoch wusste ich, dass ich keine Widerrede geben konnte. Ich seufzte innerlich. Vielleicht war es auch besser so. Ich schaute nochmals zu Naruto und Sakura herüber und spürte einen Stich in meiner Brust. Sakura zog einen Schmollmund und hatte die Arme verschränkt, aber Naruto lächelte sie dennoch an, als gäbe es keinen schöneren Anblick für ihn. Vielleicht sollte ich wirklich lieber gehen, statt die beiden den ganzen Tag zusammen sehen zu müssen. Wieder kamen mir Fluchtgedanken in den Sinn. „Und bleib dort“, fügte Kakashi noch hinzu. Es war, als würde er selbst durch seine Augenabdeckung hindurch sein Sharingan benutzen und damit auch noch meine Gedanken lesen können. „Ich komme später bei dir vorbei.“ Ich nickte. Es gab keinen Grund zu widersprechen. Kakashi wusste wohl, was das Richtige sein würde. Ich warf noch einen letzten Blick zu Naruto und Sakura herüber, bevor ich mich umwandte und wortlos davonging. Als ich mich bereits ein paar Schritte entfernt hatte, hörte ich Naruto noch fragen: „Was ist mit Sasuke? Wo geht er hin?“ Falls Kakashi ihm antwortete, hörte ich seine Worte nicht mehr. Als er am späten Nachmittag zu mir kam und sich Orochimarus Mal mit seinem Sharingan betrachtete, sagte ich in die Stille seiner Konzentration: „Ich will Konoha verlassen.“ „Nani?“, meinte Kakashi überrascht. Ich hatte das Gefühl, dass er absichtlich einen unbekümmerten Tonfall verwendete. Als würde das etwas an meiner Einstellung ändern. Ich schaute ihm entschlossen in die Augen. Er hielt meinem Blick eine Weile stand, doch dann senkte er ihn und seufzte. „Du hast dich bereits entschieden, nicht wahr?“ Ich reagierte noch nicht, wollte zuerst hören, was genau er meinte. „Du wirst nach ihm suchen“, äußerte er seine Vermutung, als wäre sie bereits ein unumstößlicher Fakt. „Anko hat mich bereits infor–“ „Es geht hier nicht um Orochimaru“, stellte ich klar. „Oh?“, sagte er verwundert. „Wirklich nicht?“ Er glaubte mir nicht. „Worum geht es dann?“ „Um etwas anderes“, wich ich seiner Frage aus. Er schwieg einen Moment lang. „Egal worum es geht“, begann er ernst. „Wo willst du hin, Sasuke?“ Ich erwartete, dass er mich belehren würde, wie gefährlich die Welt außerhalb der Dorfmauern war, doch er schwieg, wusste, dass ich mir dessen nur zu gut bewusst war, und wartete auf meine Antwort. „Mein Ziel ist und bleibt Itachi.“ „Und wie willst du ihn finden?“, wollte er wissen. Er brauchte es nicht laut auszusprechen, dass er es mir nicht zutraute, dass ich das schaffen würde. Es schwang mehr als deutlich in seinem Unterton mit. Aber ich wusste, dass es mir gelingen würde. Ich konnte es spüren. Ich wusste nur nicht, ob ich die Begegnung überleben würde. „Ich werde ihn finden“, sagte ich nur bestimmt. ~ „Na, na, wo warst du heute morgen?“, war am frühen Abend Narutos erste Frage, als er mich beim Essen im Laden um die Ecke von seinem Lieblingsramenstand entdeckt hatte. Wahrscheinlich war er gerade auf dem Weg zu Ichiraku gewesen. Er kam auf mich zu, seine Körperhaltung strahlte wie immer Selbstbewusstsein aus. Fast als wüsste er, wie viele Leute ihn bereits bewunderten. Fast als wüsste er, dass ich zu diesen Leuten zählte – was ich jedoch gut zu verstecken wusste. „Warum wolltest du das Training schwänzen?“ „Hat Kakashi das gesagt?“, meinte ich wenig überzeugt. „Nein, er hat uns gar nichts gesagt“, schmollte er, als empfand er das als höchst unfair. Als glaubte er, er hatte das Recht, das zu erfahren, wenn er das wissen wollte. Als war das die Regel für Mitglieder innerhalb eines Teams. „Und ich werde es dir auch nicht sagen“, ließ ich ihn wissen, bevor ich seelenruhig meinen Reis weiter aß, als wäre Naruto gar nicht hier. „Irrashaimase!“, rief dieser plötzlich durch das ganze Lokal und zeigte dann auf mich. „Einmal dasselbe wie er, bitte!“ Ich schaute, so tief ich konnte, in meine Reisschüssel, aber sie versteckte mich nicht annähernd so sehr, wie ich es mir gerade wünschte. Es war mir peinlich, dass diese auffällige Person ohne Anstand an meinem Tisch stand. Im nächsten Moment setzte sie sich sogar ungefragt mir gegenüber. Ich atmete tief ein. Wenn wir allein gewesen wären, hätte ich nichts dagegen gehabt, hätte es sogar begrüßt, aber nicht in aller Öffentlichkeit, mit zu vielen Augenpaaren, die uns zusammen sehen und mich durchschauen konnten. Der Ladenbesitzer lachte nur. Ein paar andere Gäste schmunzelten. „Also?“, begann Naruto von Neuem. „Was sollte das heute morgen?“, fragte er vorwurfsvoll. „Du hältst unser ganzes Training auf, dattebayo.“ Ich hielt inne, meine Stäbchen in der Schwebe, kurz vor meinen Lippen. Das war es, was ich für ihn war? Ein Störfaktor? Ein Hindernis? „Wegen dir mussten wir Drecksarbeit innerhalb vom Dorf erledigen, weil wir Konoha nur zu dritt für Missionen verlassen dürfen – angeblich“, fügte er noch hinzu, als glaubte er Kakashis Worten nicht. Und es war offensichtlich auch eine billige Ausrede. Denn wenn es keine hochrangige Mission war, dann reichte auch nur ein Shinobi allein aus, ganz zu schweigen davon, dass Kakashi als Personenschutz vollkommen ausreichte. Außer natürlich, Mitglieder von Akatsuki waren noch immer in der Nähe und suchten weiterhin nach Naruto. Ich war mir ziemlich sicher, dass der Grund dafür die immense Kraft war, die er durch den Kyuubi in sich trug. Doch ich hatte keine Ahnung, wie sie sich diese Kraft zunutze machen wollten. Wenn Itachi und seine Leute glaubten, dass sie Naruto irgendwie dazu bringen konnten, für sie zu arbeiten, dann kannten sie ihn aber schlecht. Niemals würde er sich kontrollieren lassen. Und niemals würde er anders handeln als zum Wohle Konohas. „Pech“, sagte ich nur. „Das hat nichts mit Pech zu tun!“, regte er sich auf und richtete wieder seinen Finger auf mich. „Das war deine Schuld!“ „Warum freust du dich nicht, dass ich dich mit Sakura allein gelassen habe?“, argumentierte ich und bereute es, diesen Gedanken auch nur in meinem Kopf gehabt zu haben. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie es für ihn gewesen sein musste, den ganzen Tag mit ihr allein zu verbringen, ohne dass ich dabei war, um zu stören. In diesem Fall wollte ich ein Störfaktor sein. Ich sah die beiden in meiner Vorstellung im Wald im Schatten der Bäume liegen, Sakura in Narutos Arm. Er schaute zu ihr hinab, so wie er gestern in meine Augen geblickt hatte. Und küsste sie, so wie er mich gestern geküsst hatte. „Es ist ja nicht so, als wäre es ein Date gewesen, dattebayo“, sagte Naruto mit verschränkten Armen. Er schnaubte. „Kakashi-sensei war ja die ganze Zeit mit dabei.“ „Wieder Pech“, sagte ich schadenfroh, auch wenn von Freude bei mir nichts zu sehen oder zu hören war. Dabei beruhigte mich diese Information etwas. Und es gebot meiner Fantasie Einhalt. „Ano saa, was hast du heute noch vor, Sasuke?“, wollte Naruto auf einmal wissen. „Warum?“, fragte ich misstrauisch zurück. Kakashi hatte mir heute Nachmittag gesagt, dass heute – für keinen von Team 7 – eine weitere Mission anstand und wir für den Rest des Tages allein trainieren sollten. Ich fragte mich, woran das lag. Was er vorhatte. Ob er selbst heute noch eine wichtige Mission zugewiesen bekommen hatte oder warum er keine Zeit für uns opfern konnte. „Ich habe überlegt, da Sakura heute keine Zeit mehr für mich hat, ob du vielleicht mit mir trainieren würdest“, meinte er und schaute mich fragend an. Er wirkte hin und her gerissen, ob er dabei spöttisch aussehen wollte oder erwartungsvoll. Ich wusste überhaupt nicht, wo ich anderes hinschauen sollte als in dieses Gesicht mit diesen großen blauen Augen. „Als Ersatz sozusagen“, fügte er noch an. Er hatte sich also für den Spott entschieden. „Ich trainiere allein“, stellte ich klar. Mehr brauchte ich wohl nicht zu sagen. Es war besser so. Ich hatte meine Antwort von ihm: Er wollte noch immer Sakura. Eigentlich hatte ich auch nie etwas anderes erwartet. Nur allmählich befürchtete ich sogar, dass sie auch Interesse an ihm zeigte. Es sah zumindest alles danach aus. Er schnaubte und verschränkte wieder beleidigt die Arme. „Dann trainiere ich eben auch allein“, sagte er trotzig. „Immerhin hältst du mich dann nicht auf, Bakasuke.“ Er hatte sich definitiv für den Spott entschieden. „Ein Menü à la Naruto“, kündigte die Stimme des Ladenbesitzers an, der hinter mir aufgetaucht war, und Narutos Essen vor ihm auf den Tisch stellte. Es sah nicht unbedingt so aus, als wäre es dasselbe Gericht wie meines. Sofort begannen Narutos Augen zu strahlen. Er lächelte zum Ladenbesitzer auf, wie er mich noch nie angelächelt hatte. „Sankyuu!“, bedankte er sich und griff nach einem Paar Essstäbchen, das er gekonnt in der Mitte durchbrach. „Sieht das lecker aus!“, rief er glücklich aus und hob sein Besteck an. „Itadakimasu!“ „Gochisousama“, murmelte ich und stand vom Tisch auf. Mit vollem Mund schaute Naruto überrascht zu mir auf. Er schien etwas sagen zu wollen, doch er hatte gerade ein riesiges Stück Fisch im Mund. Wortlos wandte ich mich zum Gehen. Ich hörte ihn husten. Er musste sich wohl, bei dem Versuch, etwas zu sagen, verschluckt haben. Aber das war mir recht. Ich verließ das Lokal und machte mich auf in Richtung Trainingsgelände – mein Trainingsgelände. Ich wollte meinen Kopf freibekommen. Momentan war er so voll von meinen Gedanken, dass er meinen Körper träge machte. Ich hatte das Gefühl, in Zeitlupe zu gehen. Dann bemerkte ich, dass ich meine Abzweigung verpasst hatte. Ich blieb stehen, schaute mich um und seufzte. Heute war einfach nicht mein Tag. Ich kehrte wieder um, um das Stück zur richtigen Abzweigung zurückzugehen, da sah ich Sakura auf mich zukommen. „Ah, Sasuke-kun. Wo gehst du hin?“ Ich seufzte innerlich noch einmal auf. „Training“, antwortete ich ihr kurz angebunden. Nein. Heute war wirklich nicht mein Tag. „Ah“, sagte sie nur und schien nicht mehr zu wissen, was sie ansonsten zu mir sagen sollte. „Also hast du keine Zeit, mit mir zu Abend zu essen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich habe gerade gegessen.“ Nach einem Moment fügte ich hinzu: „Aber Naruto ist noch nicht fertig. Vielleicht kannst du ihm ja noch Gesellschaft leisten.“ Ich wusste nicht, warum ich das gesagt hatte. Vielleicht lag es daran, dass ich tief in mir wusste, dass ich es irgendwann einsehen musste. Warum sollte ich noch länger leiden? Und was machte es für einen Unterschied? Das Ergebnis war dasselbe. Und wollte ich nicht lieber wissen, dass er glücklich war, wenn ich Konoha verließ? Sakura verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich mit einem ungewöhnlichen Ausdruck an. Plötzlich fragte sie: „Warum leistest du ihm keine Gesellschaft?“ Ich blickte sie irritiert an. Warum sagte sie das so aggressiv? Hatte ich etwas Falsches gesagt? Was hieß das? Waren die beiden doch nicht zusammen? Warum hatte sie überhaupt mich gefragt? Sollte sie mich jetzt nicht vollkommen außen vor lassen? Ich konnte ihr nicht antworten, konnte sie nur verwirrt anstarren. „Schließlich gehst du auch mit ihm Ramen essen statt mit mir.“ Ich starrte Sakura an. Sie blickte mir fordernd in die Augen. Woher sollte sie…? Hatte sie uns gestern gesehen? Sprich: Naruto und sich selbst, von der sie wusste, dass es nicht sie selbst sein konnte. Hatte sie uns aus der Ferne beobachtet? Hatte sie uns auch während unseres Spaziergangs hinterherspioniert? Und viel wichtiger: Hatte sie unseren Kuss gesehen? Aber woher wusste sie so sicher, dass ich es gewesen war, der sich für sie ausgegeben hatte? Plötzlich ergab nichts mehr einen Sinn. Ich hatte das Gefühl, etwas Grundlegendes übersehen oder noch nicht begriffen zu haben. Und dann sah ich Sakuras Grinsen – ein Grinsen, das ich noch nie in ihrem Gesicht gesehen hatte. Und auch nie dort sehen würde. Denn es gab nur einen, der so grinsen konnte. „Naruto?“, entfuhr es mir entsetzt. Dass Sakura es wusste, was passiert war, war eine Sache; dass Naruto wusste, was ich gestern getan hatte, war eine andere. Mit einem lauten „Puff“ und einer kleinen Rauchwolke verschwand Sakura und plötzlich stand Naruto vor mir, sein Grinsen unverändert. „Ich würde sagen, mein Henge no Jutsu ist wesentlich besser als deins“, war sein Kommentar zu dieser Situation. Ich konnte ihn nur anstarren, konnte noch immer nicht begreifen, was genau gerade passiert war. Wer nun was genau wusste, und was derjenige mit diesem Wissen anstellen würde. „Seit wann weißt du, dass ich es war?“, fragte ich nur. Es war das Einzige von all den Dingen, die wild in meinem Kopf herumwirbelten, was ich zu einer sinnvollen Frage formulieren konnte. Ich dachte an das Händehalten. Ich dachte an den Spaziergang. Ich dachte an den Kuss. „Ich wusste es sofort“, erklärte er. „Hast du Sakura überhaupt einmal richtig angesehen?“, wollte er nahezu empört wissen. „Du hast sie sehr schlecht getroffen. Und sie redet ganz anders mit mir.“ Ich blickte stumm zu unseren Füßen hinab, meine Augen waren weit aufgerissen, suchten panisch den Boden ab, als könnte ich so einen Ausweg finden. Zu viele Dinge beschäftigten mich gerade gleichzeitig und hielten mich davon ab, ihm antworten zu können. Einerseits konnte ich dazu sowieso nichts sagen, andererseits wollte ich ihm die Eifersucht nicht zeigen, die ich verspürte, wenn ich ihn so von Sakura sprechen hörte. Es zeigte nämlich, dass er sie ganz genau beobachtete. Dass er ganz genau wusste, wie sie aussah und wie sie sich verhielt. Doch viel schlimmer war die peinliche Berührtheit; ich wünschte mir, dass ich mich in Luft auflöste. Als dann auch noch die Verwirrung hinzukam, nahm man mir gänzlich die Fähigkeit, einen Ton herauszubringen. Warum hatte er all das zugelassen, wenn er von Anfang an wusste, dass ich es war? Warum hatte er meine Hand gehalten? Warum hatte er mich geküsst? Ich hatte seinen Blick also richtig gedeutet. Er hatte mich erkannt, spätestens nachdem er mich geküsst hatte. Doch selbst wenn er mich hatte testen wollen, wenn er hatte wissen wollen, wie weit ich gehen würde – weshalb hatte er es ein weiteres Mal getan? Warum hatte er mich zum Abschied noch einmal geküsst? „Warum hast du dich als Sakura ausgegeben, Sasuke?“, fragte Naruto schließlich zuerst. Er schien nicht wütend deshalb, oder gekränkt, da es ihm wahrscheinlich bewusst gemacht hatte, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die richtige Sakura das tun würde, nicht sehr hoch war. Er wirkte einfach nur neugierig. Vollkommen neutral. Als wäre das ein ganz gewöhnlicher Spaß unter Freunden gewesen. Ein Scherz. Nur einer dieser Streiche, wie Naruto sie selbst früher regelmäßig diversen Leuten gespielt hatte. „Ich schätze, ich wollte mich mit dir messen“, behauptete ich schließlich. „Aber Kagebunshin und Henge no Jutsu sind mittlerweile nun einmal deine absolute Spezialität“, machte ich ihm indirekt ein Kompliment, das ihm hoffentlich so sehr zu Kopf stieg, dass er alles andere vergaß. „Ich hatte keine Chance.“ „Nope“, sagte er fröhlich. Es hatte gewirkt. Ich konnte den Honig um seinen Mund schon fast glänzen sehen. „Das hättest du dir echt denken können.“ Ich schnaubte. „Gib nicht so an.“ Ich konnte ihn nicht weiter bauchpinseln. Das war nicht meine Art. Nicht meine Absicht. Und es wirkte auch nicht. „Aber jetzt mal im Ernst. Was sollte das?“ Er war wieder zurück beim Thema. Ebenso wie ich, denn eines war mir noch unklar: Worauf hatte er dann gewartet? Mit welchem Ziel hatte er so lange mitgespielt? Nein, ich wollte mir keine Hoffnungen machen. Das war absurd. Es hatte ihm sicher nur Spaß gemacht, mich so auflaufen zu lassen. Er wollte wohl nur mein entsetztes Gesicht sehen. Wahrscheinlich würde er mich jetzt den Rest meines Lebens damit aufziehen. Es würde wahrscheinlich ein regelmäßiger Streich von ihm werden, mich in Sakuras Gestalt zu besuchen. „Warum…?“, begann er, doch schien die Frage nicht zu Ende formulieren zu können. Er schaute mich plötzlich mit großen Augen von oben bis unten an, als wäre ihm eben etwas klar geworden, das mich in ein ganz anderes Licht stellte. Mir wurde heiß am ganzen Körper. Er hatte mich durchschaut. Er hatte es begriffen. Er wusste es. Die Gedanken an Flucht kehrten zurück. Und ich wusste, wohin ich fliehen würde. Es gab nur eine Sache, die mich fast ebenso vereinnahmen konnte wie die Gedanken an Naruto. Und das war der Gedanke an Rache. Und der Schlüssel dazu, so viel wusste ich bereits, war Orochimaru. ~ Zum hundertsten Mal fragte ich mich: Warum hatte Sasuke das getan, was er gestern getan hatte? Wollte er wirklich nur seine Henge-Fähigkeiten austesten? Ich war mir da irgendwie nicht so sicher. Aber warum hätte er es sonst tun sollen? Wenn er mir nur eins hätte auswischen wollen, dann hätte er mir sicher etwas unter die Nase gerieben wie, dass Sakura sich nicht für mich interessierte. Dass sie mich niemals um ein Date bitten würde. Irgendetwas in der Art. Doch das hatte er bis jetzt nicht getan. Ich war ratlos. Aber ich war auch immer noch zu verwirrt, um das alles zu begreifen. Ich glaubte nicht, dass ich die Dinge, die in den letzten 24 Stunden passiert waren, heute noch in eine logische Reihenfolge bringen konnte. Sasuke schaute mit einem ähnlich verwirrten Blick zu seinen Füßen, wie ich mich innerlich gerade fühlte. Ich versuchte, mein Lächeln aufrechtzuerhalten, doch das war nicht einfach. Aber es war auch nicht mehr nötig, da er mir ohnehin nicht mehr ins Gesicht sehen konnte. Er blickte nur noch zu Boden, von dem er wahrscheinlich hoffte, dass er ihn verschlucken würde. Es war mehr als deutlich, dass er mir keine Antwort geben würde. Doch warum? Vielleicht war es ein Fehler gewesen, ihn so frontal zu stellen und auf diese direkte Weise zu versuchen herauszufinden, was gestern passiert war. Und ich hätte mir besser erst einmal selbst klar werden lassen sollen, was ich von der ganzen Sache hielt. Eine Nacht hatte dafür nicht ausgereicht. Ich wusste nicht, welche Rolle ich hierbei spielen wollte. Die Sakuras war es jedenfalls nicht. Sie schien plötzlich auch recht wenig hiermit zu tun zu haben, obwohl alles mit ihr begonnen hatte. Ich spürte die Unruhe, die von Sasuke ausging. Ich sah den roten Schleier auf seinen Wangen, der ihm allmählich Schmerzen zu bereiten schien. Ich hätte es irgendwie anders machen müssen. Aber wie? Und wie sollte ich jetzt noch eine klare Antwort von ihm bekommen? Ich konnte ihn nur noch einmal direkt fragen und hoffen, dass er mir dieses Mal antworten würde. „Ano“, wollte ich beginnen, doch in diesem Moment kehrte Sasuke mir den Rücken zu und ging, mit eiligen Schritten, fort von mir, ließ mich sprachlos zurück. Ich hatte keine Ahnung, was ich als Nächstes tun sollte. Ich konnte ihm nicht einfach nachgehen. Ich spürte es, dass er meine Gesellschaft gerade nicht wollte. Und ich wusste, dass auch ich erst einmal noch einen Moment für mich allein brauchte. Den, den ich mir gestern nicht gegönnt hatte. Ich war sofort, nachdem ich mich verabschiedet hatte und aus seinem Sichtfeld und seiner Hörweite verschwunden war, von der anderen Seite der Stadt auf ihn zugegangen – in Form von Sakura, die er wieder einmal abgewiesen hatte. Ich glaubte nicht, dass er da bemerkt hatte, dass ich es gewesen war. Irgendwie hatte ich gestern noch die absurde Vorstellung gehabt, dass Sasuke vielleicht hatte testen wollen, ob mein Interesse an Sakura noch bestand oder nicht. Vielleicht auch, ob wir bereits zusammen waren oder nicht. Dabei hätte er das doch bemerken müssen, wenn es so wäre. Schließlich waren wir in einem Team und verbrachten so die meiste Zeit miteinander. Möglicherweise wollte er es aber sicher wissen, weil er sich auf einmal selbst für Sakura interessierte. Deshalb hatte ich ihn heute Morgen auch extra noch einmal danach gefragt. Aber er hatte es bestritten. Er blieb felsenfest bei seiner Meinung, dass er nichts für sie empfand. Aber warum hatte er sich dann in sie verwandelt? Was wollte er damit testen? Was wollte er herausfinden? Was mich noch mehr verwirrte, war die Tatsache, dass er so weit gegangen war und sich von mir hatte küssen lassen. Ich hatte es sofort gewusst, als ich auch nur Sakuras Stimme meinen Namen hatte rufen hören, dass irgendetwas nicht stimmte. Die Tonlage war irgendwie falsch gewesen. Es hatte sich nur vage nach Sakura angehört. Und allein die Tatsache, dass sie nach mir rief, war schon ungewöhnlich. Und dass sie dann auch noch meinte, dass sie zu mir wollte, war einfach nur bizarr gewesen. Viel auffälliger war jedoch ihre Körperhaltung gewesen. Ich wusste zuerst gar nicht, was genau mich daran irritierte, doch dann waren mir gleich mehrere Dinge aufgefallen. Ganz abgesehen davon, dass ihre Füße nicht parallel nebeneinander gestanden, sondern ihre Fußspitzen schräg voneinander fort gezeigt hatten, schien sie nicht gewusst zu haben, wo sie ihre Hände hatte hintun sollen. Mehr als einmal hatte ich das Gefühl gehabt, dass die Finger nach Hosentaschen an ihrem Kleid gesucht hatten. Aber das war es nicht gewesen, was Sasuke letztendlich verraten hatte. Beim Essen, als ich nicht zu Sakuras Gestalt herübergeschaut hatte, und auch gerade keiner von uns gesprochen hatte, da hatte ich auf einmal einfach das Gefühl gehabt, Sasuke neben mir sitzen zu haben. Für einen Moment, während ich Suppe aus meiner Schüssel geschlürft hatte, hatte ich die Augen geschlossen und mich auf die Aura neben mir konzentriert. Es war so eindeutig die Sasukes gewesen, dass überhaupt keine Zweifel mehr bestanden hatten. Von da an machte dann auch alles andere Sinn: Die Hände in den Hosentaschen zu haben, war eine so typische Haltung Sasukes; die Füße seitlich gedreht zu haben, war ebenfalls Sasukes Pose; und die Art, wie er sprach, sowohl die Wörter, die er benutzte, als auch die kleinen Geräusche, die er machte – das ständige Schnauben statt einem Lachen, das „Hn“ statt einem Ja – einfach alles passte zu Sasuke. Ich hatte mich immer wieder daran erinnern müssen, dass ich so tun musste, als hätte ich tatsächlich Sakura vor mir. Als wir von unseren letzten Missionen gesprochen hatten, wäre mir einmal sogar fast ein „Teme“ herausgerutscht… Aber ich hatte mich zusammenreißen können und hatte meine Rolle überzeugend weitergespielt. Ich wusste nur das Drehbuch nicht. Deshalb hatte ich improvisiert und danach einfach das vorgeschlagen, was ich wahrscheinlich Sakura vorgeschlagen hätte, wenn sie mich so spontan abends um ein Date gebeten hätte. Als wir dann am Gipfel gestanden hatten, war ich hin und her gerissen gewesen zwischen der Lösung des Rätsels – ich hatte überlegt, Sasuke schon dort direkt zu fragen, was das sollte, was er plante; ich wollte es verstehen – und der Frage, ob Sasuke es zulassen würde, dass ich ihn küsste. Und da das Rätsel auch hinterher noch gelöst werden konnte, hatte ich mich für Letzteres entschieden und ihn geküsst. Ein anderer Grund für diese Entscheidung war, dass ich mir gedacht hatte, dass ich die Chance doch eigentlich nutzen könnte, um zu sehen, wie es wäre, Sakura zu küssen. Ich könnte praktisch schon einmal üben für die Realität, wenn sie denn je eintraf. Wovon ich nicht ausging. Als ich mich zu ihm hinuntergebeugt und die Augen geschlossen hatte, waren die Gedanken an Sakura jedoch verschwunden gewesen. Ich hatte nur noch daran denken können, dass ich Sasuke vor mir gehabt hatte. Und ich hatte mich gefragt, wie er sich gefühlt haben musste, als ich seine Lippen berührt hatte. Es war eigenartig gewesen zu wissen, dass es eigentlich Sasuke war, den ich geküsst hatte. Es war auch noch mein erster Kuss gewesen. Wenn man von all den unbeabsichtigten absah, die wir schon zuvor geteilt hatten. War es denn auch Sasukes erster richtiger Kuss gewesen? Wenn dem so war, dann war es noch ungewöhnlicher, dass er ihn nicht verhindert hatte. Ich hatte mich eigentlich sogar darauf vorbebereitet, dass er mich jeden Moment von sich stoßen würde. Aber das hatte er nicht getan. Im Gegenteil. Er hatte sich in den Kuss hineingelehnt, als war es genau das gewesen, was er gewollt hatte. Zuerst hatte ich spekuliert, dass es ihm einfach noch viel unangenehmer gewesen wäre, sich verspätet zu erkennen zu geben und seinen Scherz zu beenden, als es irgendwie durchzustehen und zu hoffen, dass es niemals herauskam. Wenn das sein Gedanke gewesen war, dann gab es aber jetzt keinen Grund mehr, es zu verschweigen. Warum war er nicht mindestens jetzt mit der Wahrheit herausgerückt? Ich starrte noch immer auf die Stelle, an der ich Sasuke zuletzt gesehen hatte, bevor er um die Ecke verschwunden war. Eine Frau schaute mich misstrauisch an. Sie schien Angst zu haben, an mir vorbeizugehen. Ich begriff, dass ich ein seltsames Bild abgeben musste. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich schon hier gestanden und Löcher in die Luft gestarrt hatte. Ich schüttelte den Kopf, wandte mich um und machte mich auf den Weg nach Hause. Es hatte alles keinen Zweck. Ich musste morgen mit Sasuke darüber reden. Ich ging langsam, als hoffte ich, dass der Schwarzhaarige wieder zu mir zurückkommen würde, doch da hatte ich nicht wirklich viel Hoffnung. Ich hätte, wenn ich es schon nicht wagte, Sasuke jetzt damit zu belästigen, gerne mit jemandem anderen darüber gesprochen, doch ich wusste nicht, mit wem ich über so etwas reden konnte. Vor allem, wenn ich noch nicht wirklich verstand, worum es ging. Ich dachte an Kakashi, doch wenn ich mich fragte, was ich zu ihm sagen sollte, dann fiel mir nichts ein. Außerdem glaubte ich auch nicht, dass er Sasuke besser kannte als ich. Dass er wesentlich mehr über ihn wusste als ich. Er würde mir sicherlich auch nicht weiterhelfen können. „Oi, Naruto-kun“, hörte ich plötzlich eine bekannte Stimme. Es war die meines Ausbilders. „Kakashi-sensei“, sagte ich überrascht. Es musste Schicksal sein. Eben hatte ich noch an ihn gedacht und schon war er da, als hätte er es gehört. Wenn das mit Sasuke ebenso funktionierte, dann hatte er sich taub gestellt. Kakashi blickte über ein Geländer zu mir hinab, die Hand zum Gruß erhoben. „Yo.“ Ich lief ohne einen weiteren Gedanken mithilfe der Technik, die ich von ihm selbst gelernt hatte, zusammen mit Sasuke, ein paar Schritte an der senkrechten Wand entlang zu ihm hinauf, sprang über das Geländer und landete neben ihm auf dem kalten Beton. Der harte Aufprall schien mir die Landung in eine andere Realität zu sein, als ich Kakashis Blick sah. Denn er war wie ein Schlag ins Gesicht. „Ich wollte dich etwas fragen, Naruto-kun“, sagte er in ernstem Tonfall. Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob er mich von hier oben gesehen hatte, wie ich mich vor Sasuke von Sakuras Gestalt wieder in meine eigene verwandelt hatte. „Ist etwas passiert?“, fragte er und ließ mich nicht aus dem Blickfeld seines rechten Auges. Ich runzelte die Stirn. Von was redete er? Sprach er eben diesen Vorfall an, aber wollte, dass ich ihn von selbst erklärte, damit er nicht zugeben musste, dass er uns beobachtet hatte? „Mit Sasuke-kun.“ Ich schluckte. War es etwas so Schlimmes gewesen, was ich getan hatte? Hatte ich ihn so sehr gekränkt? Aber er hatte sich doch zuerst in Sakura verwandelt. War er dann nicht selbst schuld? Wie konnte es jetzt mein Fehler sein? „Ich weiß nicht, ob etwas zwischen euch vorgefallen ist, aber…“, erklärte Kakashi und ich glaubte ihm, dass er es wirklich nicht wusste. Selbst wenn er uns eben beobachtet hatte, verstand er vielleicht genauso wenig wie ich, was passiert war. Ebenso wenig, wie er sich sicher war, ob er mir das sagen sollte, was ihm auf der Zunge lag. Er hielt noch einen Moment inne, bevor er fortfuhr: „Sasuke denkt darüber nach, Konoha zu verlassen.“ Ich starrte Kakashi nur an. Ich musste die Worte falsch verstanden haben. Es konnte nicht sein. Es konnte nicht sein Ernst sein. Aber Kakashis Blick war ernster und besorgter, als ich ihn je gesehen hatte. „Warum?“, war alles, was ich fragen konnte. „Das habe ich ihn auch gefragt“, ließ Kakashi mich wissen. „Und? Was hat er gesagt?“ Er schüttelte nur den Kopf. Meine Hände ballten sich zu Fäusten. „Kono yarou!“, schrie ich wütend. „Warum hat er nichts zu mir gesagt?!“ Ich glaubte, Kakashi wollte gerade zu sprechen ansetzen, doch es war mir egal. Ich sprang wieder übers Geländer und rannte los. Ich musste zu Sasuke. Ich musste ihm diese Idee aus dem Kopf schlagen – egal wie sehr ich ihm dabei wehtun musste. ~ Mit einem energischen Ratschen verschloss ich den Reißverschluss meines Rucksackes. Meine Sachen waren gepackt. Ich war bereit für den Aufbruch. Ich hatte jedoch nicht vor, weit vor Morgengrauen loszugehen. Hier in der Gegend kannte ich mich zwar aus, wenn ich also die ersten paar Kilometer im Dunkeln laufen musste, war das kein Problem. Aber danach wäre es besser, wenn ich meine Umgebung deutlicher sehen könnte. Noch wusste ich ohnehin nicht, welche Hindernisse sich mir in den Weg stellen würden. Ich dachte an Naruto. Würde er versuchen, mich aufzuhalten, wenn er wüsste, dass ich das Land verlassen wollte? Würde ich bleiben, wenn er es täte? Sollte ich dann nicht doch besser schon jetzt losgehen? Sollte ich dem nicht aus dem Weg gehen? Es war nicht das erste Mal, dass ich geplant hatte, Konoha zu verlassen. Ich wusste, dass die Wahrscheinlichkeit hoch war, dass ich es auch dieses Mal nicht tun würde. Aber dieses Mal hatte ich immerhin ein paar Gründe mehr: dass Naruto wusste, was ich getan hatte, und die damit verbundene Gefahr, dass er mich darauf ansprechen oder es anderen erzählen würde; die schmerzhafte Tatsache, dass ich ihn scheinbar mit Sakura zusammengebracht hatte, was ich, wenn ich hier blieb, jeden Tag würde ertragen müssen. Lange stand ich da und schaute auf meinen Rucksack hinab, den ich auf meinem Bett abgestellt hatte. Meine Hand war noch immer am Reißverschluss, wusste nicht, ob sie ihn wieder öffnen und alles wieder herausholen wollte, oder ob sie nach dem Gurt greifen und alles andere zurücklassen sollte. Ich fühlte mich hin und her gerissen. Eigentlich wollte ich mich gerne von Naruto verabschieden, doch wenn ich das tat, würde es mir das nur noch schwerer machen. Und wenn ich ihn nur noch einmal sehen würde, ohne ihm zu sagen, dass es das letzte Mal sein würde? Nein, auch das würde es mir nicht einfacher machen. Nichts würde es mir einfacher machen, außer vielleicht wenn er mich hasste. Wenn ich ihn anwiderte. Möglicherweise hatte ich das sogar geschafft. Vielleicht hatte er sich noch einmal daran erinnert, wie ich mich in den Kuss hineingelehnt hatte. „Kagebunshin no Jutsu!“, hörte ich plötzlich eine Stimme sagen und im nächsten Moment kam Naruto zur Tür herein. Und dann noch einer. Und noch einer. Und noch einer. Sie kamen alle auf mich zu, ihre Blicke entschlossen. Einer davon packte mein linkes Handgelenk, ein anderer das rechte. Zwei gingen vor mir in die Knie und griffen nach meinen Füßen. Dann knallte meine Zimmertür zu. „Was soll das werden, Teme?“ Einer – und ich wusste, auch ohne mein Sharingan einzusetzen, dass es der echte Naruto war – kam zielstrebig auf mich zu, seine Augen direkt auf meine gerichtet. Sie waren nicht nur entschlossen, sondern auch wütend. Er würde mich mit diesen zehn Fäusten verprügeln für das, was ich getan hatte. Er würde es mich büßen lassen, dass ich mit ihm und seinen Gefühlen gespielt, mir diese Zeit mit ihm erschlichen hatte und dann nicht einmal den Mut aufbrachte, mich dafür zu entschuldigen, mich zu rechtfertigen oder auch nur mich herauszureden. Ich war ein unglaublicher Feigling. Er hatte jedes Recht dazu, mich das gewaltsam spüren zu lassen. „Stimmt es, was Kakashi-sensei gesagt hat?“, war seine erste Frage und ich war zunächst vollkommen verwirrt. Ging es denn nicht um das, was gestern passiert war? War er nicht für seine Rache hergekommen? Wenn es das nicht war, und er von Kakashi sprach, dann konnte es nur diese eine Sache sein, die er auf die eine oder andere Weise mitbekommen hatte. Er konnte nur von meinem aktuellen Vorhaben sprechen. Aber niemals hätte er das von Kakashi erfahren, oder? Noch wusste jedoch nur dieser von meiner Absicht, Konoha zu verlassen, wenn er nicht bereits mit dem Godaime darüber gesprochen hatte. Und er hatte wohl noch immer die Hoffnung, dass ich es mir noch einmal überlegen würde. Er hatte mich heute Mittag nämlich wieder etwas beruhigt. Das war jedoch vor der Begegnung mit Naruto gewesen. Erst jetzt erinnerte ich mich wieder, dass Kakashi mich zum Abschluss unseres Gespräches gebeten hatte, morgen noch einmal ausführlich mit mir darüber zu sprechen. Und ich hatte zur Antwort genickt. Irgendwie hatte ich sogar gehofft, dass er versuchen würde, mich aufzuhalten. Aber ich hatte noch viel mehr gehofft, dass er mir einen Grund dafür nennen würde. Einen Grund, der mir ausreichte, um zu bleiben. Doch das konnte er nicht. Es gab fast nichts, das mich hier hielt – außer Naruto. Und genau das war jetzt der Grund, weshalb ich früher gehen wollte als geplant. Aber was auch immer Kakashi dachte, er würde doch nicht ausgerechnet Naruto von meinem Plan erzählt haben. Oder doch? Oder hatte der Blonde nur wieder an der Tür gelauscht? Oder in der Zimmerdecke. Und selbst wenn, was hielt Naruto davon? Was war sein Problem? War er nicht froh darüber, dass ich einfach verschwand, nach dem, was passiert war? War es nicht die einfachste Lösung für uns alle? Ich antwortete nicht sofort. Ich wollte warten, bis er von sich aus sagte, was er meinte und was ihn daran störte. Vielleicht ging es um etwas ganz anderes, auch wenn ich da wenig Hoffnung hatte. Aber zunächst sagte er nichts. Er kam nur auf mich zu, vielleicht zu sprachlos vor Wut, bis er direkt vor mir stand. Ich glaubte, ein Knurren zu hören. Er würde sich nicht beherrschen können, da war ich mir sicher. Er würde seine Wut an mir auslassen, ganz gleich was sie ausgelöst hatte. Und das tat er. Als er mich erreicht hatte, stieß er mich mit einer Hand in die Brust, stieß mich zurück. Seine Kagebunshin hielten mich zwar fest, aber sie hielten mich nicht davon ab, nach hinten zu fallen. Im Gegenteil: Sie unterstützten den Fall noch, zogen mich nach hinten, warfen mich auf mein Bett und meinen Rucksack dabei auf den Boden hinunter, drückten meine Gelenke unsanft gegen die Matratze unter mir. Auch wenn ich damit gerechnet hatte, wurde ich jetzt unruhig. Ich wusste nicht genau, was sein Problem war, wusste nicht, was sein Ziel war, und wusste nicht, wie stark er tatsächlich war. Und trotzdem lag ich hier, ausgeliefert, konnte mich nicht rühren, keinen Millimeter. Meine Augen suchten hektisch nach denen Narutos, wollten wissen, was als Nächstes kam. Sie fanden ihr Ziel augenblicklich, denn mit einem Mal war er über mir. Er kniete auf dem Bett, seine Beine irgendwo ganz in der Nähe von meinen, sein Knie berührte die Innenseite meines Schenkels. Seine Augen durchbohrten mich, und ich fühlte mich seltsam – seltsam machtlos. Er krallte seine Finger in den Stoff meines Oberteiles und schaute mich lange einfach nur an. Seine Wut war deutlich zu sehen. Ich glaubte fast, das Feuer des in ihm versiegelten Kyuubi zu sehen. Ich wusste genau, wenn er so wehrlos vor mir liegen würde, wie ich es gerade tat, dann wäre jeglicher Zorn bei mir verpufft, weil sich ganz andere Gedanken in den Vordergrund drängten. Gedankenketten, die stärker wären als jede Wut. Doch bei ihm war das nicht so. Genau das war der Unterschied. Und genau das war auch der Grund, weshalb ich vorhatte, das Dorf zu verlassen. „Antworte mir gefälligst, dattebayo!“, schrie er mich an und zog mich mit einer Hand an meinem Shirt ein Stück von der Matratze unter mir fort, zog mich ihm entgegen, als wollte er mir näher sein. Doch das wollte er nicht. Er wollte eine Antwort. Etwas, das ich ihm nicht geben konnte. Es war beinahe komisch. Es war wahrscheinlich so ziemlich das Einzige, das ich ihm nicht geben würde, obwohl ich es könnte. „Teme!“, fuhr er mich an und schlug zu. Mein Kopf schnellte zur Seite, mein Kiefer schmerzte. „Warum grinst du so? Was ist hieran witzig?!“ Erst jetzt begriff ich, dass ich mein Amüsement über diese Ironie wohl in meinem Gesicht gezeigt hatte. An seiner Stelle hätte ich ebenfalls zugeschlagen. „Mach jetzt den Mund auf, verdammt noch mal! Warum willst du Konoha verlassen?!“ Ich ließ meine Lider zufallen. In seinen Augen ließ ich einfach nur das Dorf im Stich. Für ihn war es wahrscheinlich, als beging ich Verrat an Konoha, mehr nicht. „Warum, Sasuke?!“ Er rüttelte an mir, doch er bekam keine Reaktion. „Warum?!“ Ich rührte mich nicht. Die Kagebunshin hielten mich unverändert stark fest. Ich konnte noch immer nicht viel mehr bewegen als meinen Kopf. Aber gerade das war jetzt das Schmerzhafteste. Er war schwer – mein Hals schien zu kraftlos, um ihn heben zu können – und er pochte fürchterlich an der Stelle, an der Narutos Faust mich getroffen hatte. „Warum?“, wisperte er dann und sofort schlug ich die Augen wieder auf. Ich starrte in diese blauen Sphären, die so tief wie das Meer zu sein schienen. Und etwas wurde gerade an Land gespült. Ich verstand noch nicht, was es war. Ich konnte nur entsetzt in die Wellen starren. Seine Arme hatten zu zittern begonnen und hatten sich langsam gesenkt, hatten mich schon fast wieder gänzlich auf der Matratze abgelegt. Doch er ließ mich nicht los. Er hielt mich fest, als würde ich sonst im Meer ertrinken. Seine Stimme hatte gebrochen geklungen, verletzt, gequält. Zuerst hatte ich geglaubt, dass ich es mir eingebildet hatte. Dass es nur eine weitere Fantasie von mir war. Doch das war es nicht. Ob aus Zorn oder durch etwas anderes – er weinte. All die Wut hatte seine Gesichtszüge verlassen. Verzweiflung hatte sie ersetzt. Und Trauer. Trauer um etwas, das ich noch nicht begreifen konnte. „Naruto“, entfuhr es mir schwach und fassungslos. „Sag es mir!“, schrie er mich an und zog mich gewaltsam wieder ein Stück höher, als könnte das die Tatsache, dass die Tränen über seine Wangen liefen, überspielen. Es war, als wollte er mich zusammen mit seinen Kagebunshin zerreißen. Dabei zerriss er mich bereits innerlich. „Warum, Sasuke?!“ Ich wusste in dem Moment nicht einmal mehr, was seine Frage gewesen war. Ich war so perplex, versuchte noch zu verarbeiten, dass ich ihn gerade zum Weinen gebracht hatte. Dass er wegen mir weinte. Es konnte nicht sein. Es musste eine andere Erklärung dafür geben. „Warum willst du von hier fortgehen?“, fragte er wieder leiser. Seine Stimmbänder schienen zum Zerreißen angespannt. „Warum?“ Er schloss seine Lider und presste damit zwei weitere Tränen aus seinen Augenwinkeln. Sie fielen auf meinen Hals. Zwei warme Tropfen, die mir in den Nacken rannen und eine Gänsehaut am ganzen Körper auslösten. „Warum?“ Der Klang seiner Stimme schickte noch eine zweite Welle hinterher. Auf einmal presste er beide Hände in meine Brust und seine Stirn darunter an meinen Bauch, drückte mich tiefer in die Matratze, von der er mich zuvor hatte fernhalten wollen. Ich konnte das kalte Metall seines Stirnschutzes durch den dünnen Stoff an meiner Haut spüren. Plötzlich verpufften die Kagebunshin um mich herum, gaben Arme und Beine wieder frei, aber ich fühlte mich dennoch, als könnte ich mich noch immer nicht bewegen. „Sasuke“, wimmerte er. Es war, als wäre ich eben gestorben. Als trauerte er um mich. Vielleicht hatte er gedacht, ich wäre schon fort. Vielleicht hatte er befürchtet, mich gar nicht mehr hier anzutreffen. Was hätte er getan, wenn es so gewesen wäre? Wäre er mir nachgegangen? Was würde er tun, wenn es in ein paar Stunden so weit sein würde? „Geh nicht, Sasuke“, schluchzte er und ich konnte nur an die Zimmerdecke starren. Ich fragte mich, was ich erwartet hatte. Ich wusste doch, dass er anhänglich war. Ich wusste zwar nicht, was ihn dazu bewegt hatte, sich gerade an mich zu klammern; schließlich waren wir in jeglicher Hinsicht Rivalen. Aber das schien für ihn kein Hindernis zu sein. Was bedeutete das? Brauchte er mich? Als Rivalen? Als Freund? „Bleib hier“, flüsterte er gegen meinen Bauch, der sich zunehmend nass anfühlte. „Lass mich nicht allein.“ Oder als Halt? Seine Finger gruben sich in meine Brust, als wollte er mir mit bloßen Händen das Herz herausreißen. „Bleib bei mir, Sasuke.“ Ich konnte es nicht fassen. Ich war erstarrt, konnte mich nicht mehr bewegen, konnte nichts tun, obwohl keine Kagebunshin mehr hier waren, um mich festzuhalten. Und ich konnte auch nichts erwidern; meine Kehle war wie zugeschnürt. „Sprich mit mir, dattebayo!“ Er hielt sein Gesicht noch immer in meinem Bauch verborgen. Ich fragte mich, ob er sich für seine Tränen schämte und sie so zu verstecken versuchte. So, dass ich sie nicht mehr sehen, sondern nur noch spüren konnte. „Naruto“, war erneut alles, was ich sagen konnte. Es war ihm nicht genug. Ruckartig hob er den Kopf an. „Warum?!“, schrie er mir direkt ins Gesicht. Ich hielt die Luft an vor Schreck. Mein Herz schlug schneller. Ich fragte mich, was als Nächstes kommen würde. Ich hatte jedenfalls nicht noch einmal mit so einem Wutausbruch gerechnet. Vielleicht war es der Zorn, ausgelöst von seiner Scham. Seine Züge schwankten zwischen Wut und Trauer, hin und her, als riss etwas von hinten an seinen Gesichtsmuskeln. Plötzlich bemerkte ich, dass ich immer noch die Luft anhielt, dass ich endlich wieder Sauerstoff brauchte, und sog deshalb etwas scharf die Luft ein. Dadurch schlug mein Herz noch rascher, mein Atem wurde flacher. Sein Gesicht war so nahe, dass mein Atmen seine Haare vor seinen Ohren in Bewegung brachte. Seine Augen waren so groß, dass ich glaubte, wirklich in ihren Wellen ertrinken zu können. „Warum willst du mich zurücklassen?“, wisperte er dann, seine Augen unverwandt auf meine gerichtet. „Bleib bei mir.“ Meine Augen weiteten sich erneut. Dieses Mal war es zwar kein Schreck – doch dennoch ein Schock. Seine Bitte war so direkt. So eindeutig formuliert. Aus welchem Grund auch immer, er wollte nicht, dass ich ihn verließ. Er wollte, dass ich in seiner Nähe war. Würde mir das ausreichen? War das genug, um mich von meinem Vorhaben abzubringen? Ich blickte in seine tiefblauen Augen und wusste: Vorerst würde es genügen. Wie gesagt, ich würde ihm alles geben, würde ihm jeden Wunsch erfüllen. Ich konnte ihm nur nicht sagen – „Warum?“, wiederholte er seine Frage zum etlichen Male. Mein Kinn zuckte kaum merklich zur Seite, auch wenn seine Stimme leise gewesen war; ich wollte eigentlich meinen Kopf schütteln. Ich wollte ihm nicht antworten. „Warum sollte ich bleiben?“, stellte ich eine Gegenfrage, mit einer Stimme, die ich nicht kannte. Sie klang so uneben, als würde mein hastiger Herzschlag direkt auf meine Stimmbänder trommeln. „Für mich“, sagte er sofort, scheinbar ohne nachzudenken. Sein Blick änderte sich schlagartig, zeigte Überraschung, als konnte er selbst nicht glauben, was er eben gesagt hatte. Dann wandte er ihn ab. Er begriff wohl, dass er sich zu viel Blöße gegeben hatte. Doch genau das war es, was mich jetzt dazu brachte, meine Arme von der Matratze zu heben. Das, was mir den Mut gab, sie ihm entgegenzustrecken. Das, was mir die unausgesprochene Erlaubnis gab, ihn berühren zu dürfen. Als er allerdings die Bewegung bemerkte, wandte er mir wieder sein schamrotes Gesicht zu. Ich hielt inne. Ich zögerte. Er konnte meine erhobenen Arme sehen; ich sah seine Augen zu ihnen herüberhuschen. Einen langen Augenblick bewegten sich nur unsere Augäpfel, dann schnellten seine Arme nach vorn und gruben sich unter mir hindurch zu meinem Rücken. Ich brauchte noch einen Moment, um zu begreifen, dass er mich umarmte. Dass er mich an sich presste, als brauchte er mich wirklich. Noch eine ganze Weile länger dauerte es, bis ich diese stürmische Umarmung erwidern konnte. Vorsichtig legte ich meine Hände auf seinen Rücken. Als er die Berührung spürte, verstärkte er den Druck noch, presste mich heftiger gegen sich und sein Gesicht stärker gegen meinen bereits feuchten Hals. „Sasuke“, wisperte er an meinem Ohr und löste damit abermals eine Gänsehaut aus. Ich glaubte, Erleichterung aus seiner Stimme herauszuhören. Ebenfalls erleichtert schloss ich die Augen. Es war entschieden. Ich konnte noch nicht gehen. Er brauchte mich. Ich konnte es noch immer nicht begreifen, aber er brauchte mich. Ich würde bleiben. ~ Irgendwann hob er den Kopf. Schaute mich wieder an. Seine Tränen waren getrocknet. Weder Wut noch Trauer waren noch zu sehen oder zu spüren. Es war reinste Besorgnis. Er wusste jetzt, dass ich, egal was ich sagte, jeden Tag ohne ein Wort verschwinden könnte. Er wusste nur noch nicht, warum. Es war bereits ziemlich dunkel geworden. Die Sonne war hinter dem Hokage-Berg verschwunden und hatte über alles einen dunkelblauen Schatten gelegt. Es veränderte die Stimmung im Raum und zwang uns, keine hastigen Bewegungen mehr zu machen und nur noch gedämpft zu sprechen. Ich überlegte, meine Hände langsam von seinem Rücken zu nehmen. Doch ich wollte nicht. Ich hatte mich noch immer nicht dazu durchgerungen, mehr zu tun, als sie dort abzulegen. Ich hatte die ganze Zeit beruhigend über seinen Rücken streichen wollen. Als er noch geweint hatte, hätte ich das sogar mit gutem Grund tun können, doch jetzt war diese Grundlage weg; ich wagte es nicht. Ich rührte mich nicht. „Sasuke“, sagte er nun leise, nachdem er mich lange nur angesehen hatte. Seine Stimme klang nicht mehr traurig, dennoch war sie belegt. Es lag wohl hauptsächlich daran, dass er mir so nahe war und deshalb versuchte, besonders sanft zu sprechen. Wahrscheinlich spielte aber auch die zunehmende Dunkelheit eine Rolle. Ich wusste, dass jetzt die Fragen wieder aufkommen würden. Er würde sicherlich immer noch wissen wollen, warum ich hatte gehen wollen. Aber er würde es nicht erfahren. Nicht von mir. Nicht von irgendjemand anderem. „Wirst du bleiben?“, stellte er mir dann die einzige Frage zu diesem Thema, auf die ich ihm eine Antwort geben würde. Es war, als wusste er, dass er mit all den anderen nur auf eine Wand treffen würde. Manchmal fragte ich mich, wie gut er mich eigentlich kannte. Wie gut er mich durchschauen konnte. Ich nickte schwach. Was schloss er aus meiner Antwort? Verriet ich nicht bereits zu viel damit? Sagte das allein nicht schon aus, dass ich für ihn fast alles tun würde? Ich hoffte, dass er sich darüber keine Gedanken machte. Ich vertraute auf seine naive Einfältigkeit. Dieselbe war es wohl, die jetzt ein Lächeln auf sein Gesicht zauberte, ihn seinen Kopf wieder senken ließ und auch noch dazu brachte, seine Lippen zum Dank gegen meinen Hals zu pressen. Ich starrte wieder an die Decke, spürte nur seine Hände auf meinem Rücken, seinen Körper an meinem und seine Lippen an meinem Hals. Ich wusste, dass sich das für ihn ganz anders anfühlte, dass es in seinen Augen nichts Besonderes war, aber für mich blieb einen Augenblick die Zeit stehen. Und ich wollte nicht, dass sie weiterlief. Nie wieder. Ich spürte seine Freude durch seine lächelnden Lippen, hörte sie an seinem Atmen und spürte sie in meinem ganzen Körper. Es war nur ein weder kurzer noch langer, unzärtlicher Kontakt zwischen seinen Lippen und meinem Hals, aber ich wusste, ich würde ihn nicht wieder vergessen. Und ich wusste, dass er jetzt jeden Moment aufstehen und mich wieder in dieses tiefe Loch fallen lassen würde, aus dem er mich, obwohl er es gar nicht sehen konnte, für ein paar Minuten herausgeholt hatte. Wenn ich nur da war, war für ihn scheinbar alles in Ordnung. Wenn man ihn nur nicht verließ, das genügte ihm. Doch mir reichte das nicht. Als der Kontakt brach, entfernten sich auch seine Hände; er zog seine Arme unter mir heraus, doch plötzlich hielt er mitten in der Bewegung inne. Lange Zeit passierte nichts mehr. Ich wartete, mein Blick noch immer an die Zimmerdecke gerichtet, doch Naruto verharrte in seiner Position, als wäre er versteinert. Er hatte seinen Kopf zurückgenommen, nur ein Stück, als wäre ihm in der Bewegung etwas ins Auge gefallen: Orochimarus Zeichen. Ich konnte seine Reaktion nicht sehen, ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Dazu hätte ich meinen eigenen Kopf zur Seite drehen müssen, doch das wagte ich nicht. Ich wollte es gar nicht sehen, was er dachte. Wie enttäuscht er war. Wie sehr er mich dafür verachtete, was ich vorhatte zu tun – wenn nicht morgen, dann irgendwann. Aber wusste er überhaupt, was dieses Mal bedeutete? Wusste er, dass es Orochimaru war, der mir dieses Zeichen gegeben hatte? Würde er wissen, dass ich zu ihm fliehen wollte, weil ich keine andere Alternative sah? Weil ich keinen anderen Sinn sah, keine bessere Ablenkung von den Gedanken an ihn selbst? Nein, das wusste er nicht. Das ahnte er nicht einmal. Was ihm gerade durch den Kopf ging, konnte ich ebenso wenig erahnen, aber er bewegte sich noch immer nicht. Ich wollte die letzten Momente in seiner Nähe, mit seinem Geruch in meiner Nase, mit seiner Körperwärme an meiner Haut, eigentlich noch genießen, doch ich konnte nicht, war angespannt, wollte wissen, was er sah, was er dachte, was er dabei fühlte und was er jetzt tun würde. Einen letzten Moment, nur einen Moment, beschloss ich, würde ich noch warten, dann würde ich meinen Kopf drehen. Ich zählte in meinem Kopf bis zwei – meine Geduld reichte nicht aus, um bis drei zu kommen –, doch noch bevor ich schließlich meinen Kopf bewegt hatte, berührte etwas zärtlich meinen Hals. Ein Keuchen entfuhr mir und ich spürte die Muskeln in meinem Hals, wie sie sich unter Narutos weichen Lippen anspannten. Der Unterschied zu seiner vorherigen Berührung war wie der von Tag und Nacht. Die jetzige drückte keine Erleichterung, keinen Dank mehr aus. Sie hatte nichts mehr mit unserem Gespräch zu tun. Mein Kopf sagte mir, dass es wohl ein Reflex irgendeiner Art gewesen sein musste, eine Handlung, über die er gar nicht lange nachgedacht hatte. Doch das hatte er. Er hatte gezögert. Lange Zeit sogar. Er hatte sich über die Konsequenzen Gedanken gemacht und seine Motive hinterfragt, da war ich mir ganz sicher. Umso mehr schockierte es mich, dass ich jetzt seine Lippen zärtlich gegen meine Haut gepresst spüren konnte. Was hatte ihn dazu bewegt, das zu tun? Was bezweckte er damit? Und was würde er als Nächstes tun? Ich hoffte einerseits inständig, dass er meinen Herzschlag nicht an seinen Lippen spüren konnte – doch das musste er, er küsste genau auf meine Halsschlagader – und andererseits hoffte ich, dass er nicht aufhörte. Und das tat er nicht. Er löste seine Lippen zwar wieder, unendlich langsam, unendlich sanft, aber nur um sie ein weiteres Mal ebenso zärtlich an meinen Hals zu legen. Und dasselbe tat er an unterschiedlichen Stellen, wieder und wieder, kehrte jedoch auch immer wieder zu meinem Puls zurück. Wieder und wieder. Ich hätte gerne mitgezählt, doch dazu war mein Kopf gerade nicht in der Lage. Er war bereits leicht überfordert damit, meinen Körper regelmäßig atmen zu lassen, ein und aus. Wieder und wieder. Gleichzeitig versuchte er, meinen Herzschlag zu beruhigen. Er scheiterte in jeglicher Hinsicht. Nach einigen Berührungen hielt Naruto wieder inne. Dieses Mal, auch wenn ich fürchtete, dass ich ihn davon abhalten würde weiterzumachen, konnte ich nicht anders, als den Kopf zur Seite zu drehen und ihm ins Gesicht zu sehen. Jetzt war es noch viel näher, seine Augen so groß, dass sie mein gesamtes Blickfeld auszufüllen schienen. Und ich glaubte, er könnte mit ihnen alles sehen, jede Reaktion meines Körpers, jeden Herzschlag. Doch diese Augen taten lange Zeit nichts anderes als meine eigenen zu durchbohren. Ich konnte es spüren, dass er bis in meine Seele sehen konnte. Dann schweifte sein Blick ab – zu meinen Lippen. Meine Augen warfen automatisch ebenfalls einen flüchtigen Blick auf das, was mich bereits mehrere Male sanft berührt hatte. Und als ich wieder in seine Augen sah, konnte ich den Entschluss sehen, den er gerade gefasst hatte. Und nach einem letzten Blick in meine Augen, ließ er mich die Konsequenzen seiner Entscheidung spüren. Als seine Lippen meine berührten, konnte ich nicht mehr atmen. Leicht panisch, als könnte ich ersticken, sog ich durch die Nase die Luft ein, roch so nur noch intensiver den einzigartigen Geruch Narutos, der meine Sinne zu benebeln schien. Meine Hände auf seinem Rücken wussten plötzlich nicht mehr, was sie tun sollten. Was sie tun durften. Sie wussten, was sie wollten, doch sie hätten niemals gedacht, eine Gelegenheit dazu zu finden, das auch wirklich zu tun. Was in Narutos Kopf vorging, was er bereits einmal geplant hatte oder nicht, konnte ich nicht wissen. Ob er sich jemals vorgestellt hatte, das zu tun, was er gerade tat? Ob er – so wie ich – je darüber nachgedacht hatte, wie es sein würde? Was passieren würde? Ich bezweifelte es. Naruto handelte stets so intuitiv. In diesem Fall hatte er wohl sogar eher gespürt, was ich wollte und hatte das instinktiv getan. Doch er würde schließlich nichts tun, das er selbst überhaupt nicht wollte, oder? Und ich musste auch immer wieder daran denken, dass er mich geküsst hatte, obwohl er gewusst hatte, dass ich nicht Sakura war. Aber was auch immer ihm den Anlass dazu gegeben hatte, gestern wie heute, war mir in diesem Moment ohnehin vollkommen egal. Wichtig war nur, dass er jetzt diesen Anstoß zugelassen hatte. Sein erster Kuss auf meine Lippen war sanft und zögerlich gewesen. Nur eine schwache, warme Berührung. Die zweite war bereits etwas stärker, als fühlte er sich mit jeder Sekunde sicherer in dem, was er tat. Und danach wäre ich nicht mehr mit dem Zählen hinterhergekommen, selbst wenn mein Kopf gerade normal funktionieren würde. Seine Küsse folgten so schnell aufeinander, und als ich endlich selbst den Einstieg gefunden hatte, um sie zu erwidern, wusste ich nicht mehr, wann ein Kuss aufhörte und der nächste begann. Als er dann eine Hand vollständig unter mir herauszog, um meine Brust hinauf zu meinem Hals zu fahren, wusste ich überhaupt nicht mehr, was ich hatte zählen wollen. Meine Hände konnten jetzt auch nicht mehr stillhalten, jetzt, da sie wussten, dass sie tun konnten, was sie wollten, wenn Narutos Hände das scheinbar auch durften. Sie griffen in seinen Nacken, fuhren seine gesamte Kopfhaut ab, als wollten sie jedes einzelne Haar einmal berührt haben. Sie befühlten seine Wangen und seinen Hals, jedes Stück Haut, das sie finden konnten. Meine Bewegungen wurden immer ruheloser; sie wurden erst wieder langsamer, als Narutos Zunge meine Lippen berührte. Da konzentrierte sich mein ganzer Körper nur auf diesen Kontakt, der mir den Atem nahm. Seine Zunge war so unglaublich heiß, aber das störte mich nicht. Er sollte mich versengen, es war mir egal, solange er nicht aufhörte, mich zu berühren. Wie lange hatte ich auf diesen Tag gewartet – auf diese Nacht? Ich wusste, ich würde ihn alles mit mir tun lassen, was er wollte. Er hatte mich komplett in seiner Gewalt. Ich durfte gar nicht darüber nachdenken, was ich alles wollte, das er mit mir tat. Zu oft hatte ich darüber nachgedacht. Zu oft hatte ich davon geträumt. Die Vorstellung, dass auch nur einer dieser Träume wahr werden sollte, schien mir absurd, aber es war bereits geschehen: sein Körper auf mir, seine Hände an mir und seine Zunge in mir – nur waren meine Träume nie so perfekt gewesen. So intensiv, wie nur die Realität sein konnte. Und so real, wie ich nie geglaubt hatte, dass meine Fantasien je werden könnten. Ich keuchte, als er seine Lippen von meinen löste und benutzte meine Hände, um seinen Mund sofort wieder zu mir zurückzuziehen. Dann ließ ich sie seinen Rücken hinabfahren, doch eine kehrte sofort wieder um, wollte zurück zu seinem Kragen, tastete blind nach dem Ende des Reißverschlusses dort und wollte den Körper über mir von dem dicken Stoff seiner Jacke befreien. Naruto schien etwas Ähnliches mit mir im Sinn zu haben, denn er zerrte an meinem Shirt. Zuerst schien es, als versuchte er, es nach unten zu ziehen, doch dann begriff er, dass es so nicht funktionieren würde. Wahrscheinlich handelte er noch immer instinktiv, was nicht immer auf Anhieb der logischste Weg war. Oder er war einfach so verzweifelt wie ich und konnte nicht mehr klar denken. Kurz darauf hatte er mein Oberteil über meinen Kopf gezogen und es links vom Bett zu Boden geworfen. Zu der Zeit hatte ich erst den Reißverschluss seiner Jacke geöffnet, doch er half mir sofort, befreite seine Arme aus den Ärmeln und griff mit einer Hand von hinten an seinen Kragen, zog sich mit einer fließenden Bewegung selbst sein schwarzes T-Shirt darunter aus und warf es zu meinem. Ich konnte einen Moment nur starren, als er oberkörperfrei über mir kniete. Ich sah das Muster auf seinem Bauch und glaubte zu wissen, dass es das Zeichen für den versiegelten Kyuubi in ihm war. Ich hatte es noch nie zuvor gesehen, doch es sah nach einer komplizierten Banntechnik aus, einem mächtigen Siegel, das eine Unmenge von Chakra im Zaum halten musste. Fasziniert streckte ich meine Finger danach aus, als er sich gerade wieder zu mir hinunterbeugen wollte. In dem Moment, in dem ich seine Haut dort berührte, zuckte er zurück. Ich schaute unsicher zu ihm auf. Er lächelte jedoch nur. „Das kitzelt“, sagte er etwas peinlich berührt. Ich schnaubte. Ich hatte gedacht, ich hatte etwas für mich Verbotenes oder gar für ihn Schmerzhaftes getan. Dann verschwand das Lächeln spurlos und es kehrte die Entschlossenheit in seinen Blick zurück. Er schaute mich wieder mit diesen faszinierend tiefen Augen an, in denen ich jedoch zu lesen glaubte, dass er keine Ahnung hatte, was er gerade tat. Er schien gerade instinktgesteuert wie ein Tier. Und bis auf den letzten Rest Wachsamkeit und Unsicherheit erging es mir genauso. Im nächsten Augenblick waren seine Lippen wieder an meinen und verschlangen sie. Seine Hände befühlten meinen Oberkörper, als hatte er nur fünf Sekunden, um sich meine Körperform einzuprägen. Plötzlich waren seine Finger an meinem Gürtel und bevor ich es wusste, hatte er ihn mir ausgezogen und mit einem klirrenden Geräusch auf den Boden geworfen. Kurz darauf folgte meine Hose. Ich versuchte dasselbe bei ihm, doch spätestens bei seinen Knien, auf denen er sich schließlich abstützte, kam ich nicht mehr weiter. Doch auch hier half er mir, sodass auch dieses Kleidungsstück schnell beseitigt war. Und so lagen wir jetzt, nur noch in Unterwäsche, aufeinander, küssten uns, als ginge es um unser Leben. Wenn er nur wüsste, wie sehr meines tatsächlich davon abhing, wie diese Nacht endete. ~ „Sasuke“, keuchte ich nach einer Weile. Es dauerte einen Moment, bis er auf seinen Namen reagierte, den ich gegen seine Lippen gehaucht hatte. Doch er hielt nur einen Augenblick inne, dann küsste er mich wieder, wie zur Antwort, als glaubte er, dass ich nur seinen Namen hatte sagen wollen. Doch das war es nicht. Ich wollte etwas wissen. Ich brauchte eine Antwort. „Sasuke“, sagte ich noch einmal und drückte seine Schultern ein wenig zurück in die Matratze. Jetzt öffnete er die Augen. Seine Arme waren in der Schwebe, er wagte es nicht, mich weiterhin anzufassen. Zuerst wollte er wissen, was meine Frage war, für die ich uns unterbrochen hatte. Er schien zu wissen, dass es etwas Wichtiges sein musste. Sein Blick war so unsicher, so wachsam, dass ich befürchtete, dass er jeden Moment aufspringen und weglaufen könnte. „Sasuke“, wiederholte ich noch einmal, dabei hatte ich bereits seine volle Aufmerksamkeit. „Ist das in Ordnung?“ „Was?“, fragte er atemlos. Er schaute mich mit großen Augen an. Ich fragte zurück: „Ist es in Ordnung, wenn ich weitermache?“ Er schaute mich einen langen Augenblick an. Ich glaubte, er begriff, warum ich das wissen wollte. Ich glaubte, er konnte es spüren, dass ich die Sicherheit wollte, dass ich nichts, was zwischen uns war, kaputtmachte. Dass ich ihn mit meiner Nähe nicht weiter von mir wegstoßen würde. Dass ich ihm nicht nur noch einen Grund mehr gab zu gehen. Denn noch konnte mein Kopf sich nicht vorstellen, was mit uns geschehen würde. Wie der morgige Tag für uns aussehen würde. Wie er mir morgen in die Augen sehen würde, wenn keine Dunkelheit uns mehr schützend einhüllte. Und noch hatte ich die leise Befürchtung, dass das hier nur eine intensive Form des Abschieds war. Er nickte schwach, löste seine Arme aus der Schwebe und legte seine Hände von beiden Seiten an meinen Hals. Langsam fuhr er mit seinen heißen Handflächen über meine Schultern, meine Arme hinunter nach innen zu meinem Oberkörper, meine Taille entlang bis zum Bund meiner Unterwäsche. Er schaute fasziniert auf meinen Oberkörper, als hätte er so etwas noch nie gesehen. Er verfolgte mit seinen Augen die Bewegungen seiner Hände, als müsste er gleichzeitig sehen, was er ertastete, um es spüren zu können, und blieb schließlich mit seinem Blick an dem Siegel auf meinem Bauch hängen. Er ließ seine Finger sanft über die schwarzen Striche fahren, als hatte er Angst, sie zu verwischen. Meine Bauchmuskeln zuckten wieder, zusammen mit meinen Mundwinkeln. Doch ich zwang beides zurück. Mein Mund öffnete sich. Eines musste ich noch wissen. Für eine Sache wollte ich seine Zusicherung. „Egal was passiert“, begann ich und jetzt löste er seinen Blick von meinem Körper, richtete ihn wieder in meine Augen. „Versprich mir, dass du Konoha nicht verlässt.“ Er schaute mich lange an und ich hoffte so sehr, dass es nichts damit zu tun hatte, dass er sich unsicher war. Dass er so lange überlegen musste, wie er sich entscheiden sollte. Dass er nicht wusste, was er wollte. Bis vor zwei Tagen hatte ich das zwar selbst noch nicht gewusst, und auch jetzt war alles noch so neu für mich, doch sein Kuss – wenn auch in Form von Sakura – hatte mich wachgerüttelt. Er hatte mich gezwungen, darüber nachzudenken, was er für mich empfand und vor allem ich für ihn. Ich hatte schon lange gewusst, dass seine gewöhnlich so schroffen Worte mich mehr verletzten, als sie es sollten. Dass ich mehr Wert auf seine Meinung legte, als mir lieb war. Dass ich mehr Aufmerksamkeit von ihm wollte, als er mir je schenken könnte. Und die Szene vorhin, als er vor mir davongelaufen war, zusammen mit dem, was Kakashi mir daraufhin erzählt hatte, hatten mich gezwungen, es mir endlich einzugestehen, dass ich ohne ihn nicht sein wollte. Dass ich mir ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen konnte. Und der Gedanke daran, dass Sasuke mich niemals in seiner eigenen Gestalt geküsst hätte, hatte mich gezwungen, darüber nachzudenken, ob es mich störte, dass es so war. Ob es mich störte, wenn es nie wieder passieren würde. Und so hatte ich bemerkt, dass mir seine Freundschaft nicht ausreichte. Dass ich mehr von ihm wollte, als ich bisher zugegeben hatte. Dass ich für ihn wichtiger sein wollte als alles andere. Dass ich der Grund sein wollte, weshalb er hier war und hier blieb. „Ich werde Konoha nicht verlassen, wenn du es auch nicht tust“, sagte er unerwartet. Ich blickte ihn erstaunt an. Ich konnte es nicht glauben, was das vielleicht bedeutete. Ich konnte es auch nicht in Worte fassen. Deshalb starrte ich ihn nur an. Bis mein Sichtfeld verschwamm. Ich schloss die Augen und ließ mich auf ihn sinken, presste mein Gesicht zurück in seine Halsbeuge. Er schüttelte leicht den Kopf und seufzte leise. Dann legte er eine Hand an meinen Hinterkopf und fuhr sanft durch meine Haare. „Bibiri-kun“, neckte er mich, wie er es schon immer gerne getan hatte. Doch erst jetzt hörte ich die Zuneigung heraus, die all die Zeit in seinen Worten gesteckt hatte. ~ Ich fühlte mich mit einem Mal so lebendig, so wach, im starken Kontrast zu dem Halbdunkel im Raum. Als hätte ich zuvor eine lange Zeit geschlafen. Aber wie konnte es auch etwas anderes sein als ein schöner Traum, was gerade passierte? Naruto in meinen Armen, seine nackte Haut an meiner, Glücksgefühle durchströmten mich; irgendetwas in meinem Brustkorb schien nach draußen zu wollen – zu Naruto. Ich ließ die Finger meiner linken Hand durch seine Haare fahren, spürte seinen heißen Kopf, ließ die rechte über seinen Rücken streichen, der leicht zu beben begonnen hatte. Er hatte schon immer viel geweint und ich bewunderte ihn dafür, dass er sich selten dafür geschämt hatte. Ich bewunderte ihn für so vieles. Ich konnte mir noch nicht vorstellen, wie unsere gemeinsame Zukunft, die in diesem Augenblick begann, aussehen würde, doch ich war mir sicher, dass er die nötige Stärke besaß, um uns zusammenzuhalten, auch wenn ich genau wusste, dass ich in der einen oder anderen Situation, die auf uns wartete, fliehen wollen würde. Ich würde uns verstecken wollen, das war sicher. Er würde uns am liebsten der ganzen Welt zeigen. Und das würde er. Denn er war der Stärkere von uns beiden. Er war der Dickköpfigere. Er würde sich durchsetzen. Und er würde seine Ziele erreichen. Ziele, die er für sich selbst gesteckt hatte, Ziele, die er für uns beide stecken würde. Er würde sie auch ohne mein Zutun erreichen. Er hatte genug Kraft für uns beide. Und er hatte das Ansehen im Dorf. Das Vertrauen der Menschen. Ihre Unterstützung. Ich war mir sicher, dass das ausreichen würde. Er würde mich beschützen. Er würde mich abbringen von meinen Rachegedanken. Er würde einen besseren Menschen aus mir machen. Ich wusste: Mit ihm an meiner Seite war alles möglich. Ich spürte die Hoffnung, spürte die Zuversicht in mir aufsteigen. Nie hatte ich mich so positiv eingestellt gefühlt. Es war, als wusste er genau, dass er mich einfach nur festhalten musste. Nicht mit leeren Worten, sondern mit starken Händen. Ich wollte ihm danken. Ich wusste nicht wie, aber ich wollte ihm etwas zurückgeben für das, was er mir gerade gab: Dinge, die ich so lange vermisst hatte; Gefühle, die ich kaum noch kannte. Ich drückte seinen Körper an mich. Eigentlich wollte ich ihm mit Worten danken, doch mir fielen keine ein. Und ich hätte sie auch nicht aussprechen können, der Druck in meinem Brustkorb verschloss meine Kehle von innen. Doch vielleicht wollte auch er, dass wir Taten sprechen ließen. Ich presste ihn an mich. Und je stärker ich das tat, desto deutlicher spürte ich das Beben seines Körpers. Ich hoffte doch, dass es wirklich nur Freudentränen waren, die er gerade vergoss. Und tatsächlich: Er begann, leise zu lachen. Überrascht hielt ich inne. Meine Stirn runzelte sich kurz, aber dann lächelte ich ebenfalls. Bestimmt dachte er auch gerade daran, wie dumm wir uns verhalten hatten. Wie lange wir gebraucht hatten, um zu erkennen, was direkt vor uns lag. Oder zumindest: wie lange es gedauert hatte, um uns einzugestehen, was das war. Doch mein Lächeln erfror, als ich den Tonfall seines Lachens erkannte. Meine Augenlider flogen schlagartig auf. In dem Moment nahm Naruto seinen Kopf zurück, stoppte die Vibration durch den Klang seiner Stimme an meinem Hals und minderte die durch seinen zitternden Körper, den er ebenfalls von mir entfernte. Das Lachen hallte nun lauter durch den Raum, wurde nicht mehr von meinem Nacken verschluckt. Meine Ohren schmerzten bei dieser unerwarteten Lautstärke, obwohl der Klang nun von weiter weg kam. Ich starrte Naruto sprachlos an. Er kniete wieder vor mir, hatte nun aber die Augen geschlossen, eine Hand an seiner Stirn. Er schüttelte den Kopf, als konnte er es nicht begreifen, in was für einer Welt wir lebten. „Okay, das reicht.“ Er machte eine wegwerfende Geste mit seiner rechten Hand und lachte ein weiteres Mal auf. Dann schlug er die Augen auf, schien mir aber nicht ins Gesicht sehen zu wollen. Ich konnte nirgends anders hinstarren. Ich wollte verstehen, was gerade geschah. Als er meinen Blick traf, konnte ich nichts mehr von den Dingen sehen, die zuvor in diesen großen blauen Meeren auf dem Wasser getrieben hatten. Keine Besorgnis, keine Faszination, keine Zuneigung. Was ich sah, war Unglaube – und Verachtung. „Das reicht jetzt wirklich“, sagte er mit Nachdruck und rutschte auf den Knien fort von mir. „Genug ist genug, dattebayo.“ Er sprang vom Bett und griff nach seiner Hose. Ich richtete mich auf, sah ihm nach, verstand nicht, was passierte. „Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass du so tickst.“ Seine Worte zerrten an etwas in mir, schienen meinen Magen umdrehen zu wollen. Sie schmerzten noch mehr, als sein Lachen es getan hatte. Meine Augen waren weit aufgerissen, fassungslos. Ich hatte das Gefühl, sie nie wieder schließen zu können. „Ich hätte nicht gedacht, dass du tatsächlich so weit gehen würdest.“ Er schüttelte nochmals den Kopf, während er sich hastig seine Hose anzog, um von mir fort zu kommen. „Dass du alles mit dir machen lässt, dattebayo! Du musst ja wirklich in mich verknallt sein.“ Er lachte wieder auf und griff nach seinem Shirt. „Bin ich etwa deine erste große Liebe?“ Ich rutschte ein Stück übers Bett zurück. Ich fühlte mich so entblößt. Ich fühlte mich nackter, als ich es ohne Kleidung je sein würde. Ich hatte ihm meine Gefühle offenbart. Ich hatte ihm mein tiefstes Inneres gezeigt. Ich hatte mich noch nie einem Menschen so sehr geöffnet wie ihm. Hatte noch nie jemanden so nahe an mich herankommen lassen. Und er stieß mich einfach von sich. „Ich wusste ja von Anfang an, dass du irgendwie komisch bist, aber das hätte ich echt nicht von dir gedacht“, sagte er enttäuscht, empört, verächtlich. „Ach ja“, begann er dann und blickte zur Seite. „Du kannst jetzt rauskommen, Sakura-chan.“ Meine Augen weiteten sich noch einmal ein ganzes Stück mehr. Sie folgten seinem Blick und sahen, wie sich die Tür meines Kleiderschrankes scheinbar von selbst öffnete und Sakura zum Vorschein kam. Sie schaute mich nur flüchtig an, als ertrug sie es nicht, mir noch in die Augen zu sehen. Jetzt würde mir wirklich übel. „Was habe ich dir gesagt?“, meinte Naruto zu ihr. „Ich wusste, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Und du warst früher auch noch scharf auf ihn.“ Er hielt einen Arm zur Seite und sie ging auf ihn zu, stellte sich neben ihn und ließ ihn seinen Arm um ihre Hüfte legen. In der anderen Hand hielt er seine Jacke. Bei dem Anblick kam mir nur ein Gedanke in den Sinn: In diesem Bild war kein Platz für mich. „Zum Glück hast du eingesehen, dass ich die bessere Wahl bin“, sagte er mit einem Grinsen an Sakura gewandt und zog sie näher an sich heran. In seinen Armen war kein Platz für mich. Sakura lächelte ihn an, dann schaute sie zu mir herüber, musterte mich mit leicht angewidertem Blick. „Ich kann es nicht glauben, dass du Recht hattest, Naruto“, sagte sie mehr schockiert als ungläubig. Es tat weh, wie sie beide über mich sprachen, als wäre ich nicht hier. Vor allem, wenn Naruto das tat. „Alle haben immer nur das Uchiha-Genie in ihm gesehen“, sagte er mit deutlichem Spott in der Stimme und einem ebenso spöttischen Blick zu mir. „Als wären Noten alles auf der Welt. Aber ich wusste von Anfang an, wie verkorkst er ist.“ Sakura legte einen Arm um ihn und zog ihn mit sich. „Komm, lass uns verschwinden. Ich habe genug gesehen.“ Sie gingen zur Tür und ich konnte ihnen nur mit offen stehendem Mund hinterherschauen. „Für einen Spaß sind wir fast ein bisschen zu weit gegangen“, sagte Sakura noch, bevor Naruto ihnen die Tür öffnete. „Das war schon fast etwas gruselig.“ „Und das sagst du mir jetzt?!“, beschwerte er sich. „Du hättest uns auch einfach mal früher unterbrechen können – damit hättest du mir eine Menge erspart, dattebayo!“ Sie verließen den Raum, doch ich konnte sie noch immer hören. Sie hatten die Tür offen stehen lassen, als wollten sie, dass ich das tat. „Ich hätte ja schon früher aufgehört, aber ich wusste nicht, ab wann es zählt. Ich wollte nicht, dass ich die Wette auch noch verliere und alles umsonst war.“ Seine Worte versetzten mir einen Schlag. Das war also sein Motiv gewesen. Er wollte es nur beweisen, was ich für ihn empfand. Mehr nicht. Er wollte mich vor Sakura bloßstellen und mir gleichzeitig zeigen, dass ich bei ihm an der falschen Adresse war. Mein Blick ging durch alles hindurch, was ich sah. „Keine Angst, du hast gewonnen“, meinte Sakura in beruhigendem Ton. „Du bekommst deine Belohnung.“ Ihre Stimme klang verführerisch. Ich konnte mir schon denken, was der Wetteinsatz gewesen war. Ich schloss die Augen. Es konnte nicht sein. Es musste ein Traum sein. Es musste alles ein Albtraum sein. Ich krallte meine zitternden Finger in meinen Unterarm. Ich spürte den Schmerz, wenn auch nur dumpf. Ich hatte das Gefühl, mein Körper war taub. Nur meine Ohren leider nicht. „Aber bitte nicht jetzt“, fuhr Sakura fort und machte ein würgendes Geräusch. „Erst einmal muss ich mich von diesem Schock erholen. Und ich bin einfach zu sehr angeekelt von dem, was ich gerade mit ansehen musste…“ Sie sprach noch weiter, aber ich verstand ihre Worte nicht mehr. Sie waren bereits zu weit von meiner Wohnungstür entfernt. Ich starrte in das Nichts zwischen dem Türrahmen. Es war, als wäre es die Wunde, die Naruto hineingerissen hatte, das Loch in meiner Brust, durch das die eisige Kälte hereinkam, die endlose Leere, die ich gerade dort spürte. Ich fühlte mich allein. Verlassen. Ausgenutzt. Verspottet. Lange saß ich noch da, unfähig, mich zu bewegen, unfähig, klar zu denken. Mein Herz schlug so laut in meinen Ohren, schien mich antreiben zu wollen, doch ich wusste nicht, wozu. Die Tür vor mir stand offen, doch ich sah dennoch keinen Weg hinaus, und kein Ziel; mir fiel nichts ein, was hinter ihr lag, zu dem ich gehen könnte. Einen Ort, an den ich mich flüchten könnte. Es gab keinen Platz mehr für mich. Mir war heiß und kalt zugleich. Ich zitterte. Ich wollte nicht begreifen, was eben passiert war. Alles war so schnell gegangen, und ich war froh, dass ich diese Situation nicht länger hatte aushalten müssen, dass ich die beiden nicht hatte verjagen müssen, dass ich nicht hatte fliehen müssen, um der Scham, dem Schmerz zu entkommen. Dabei wusste ich, dass ich das ohnehin nicht konnte. Der Schmerz würde immer da sein. Ich spürte es ganz deutlich. Er hatte sich in meine Brust gebohrt und hielt sich dort mit Widerhaken fest. Man konnte ihn nicht lösen, ohne mein Herz mit herauszureißen. Ich schüttelte den Kopf. Fassungslosigkeit schien die Leere in mir füllen zu wollen. Ich sah alles noch einmal vor mir, was eben passiert war. Aber es ergab keinen Sinn. Wie er mich angesehen hatte. Wie er geweint hatte. Wie er mich geküsst hatte. Wie er meinen Körper berührt hatte. Wie er mich an sich gepresst hatte. Er hatte mich spüren wollen, so wie ich ihn. Er hatte mich berühren wollen, so wie ich ihn. Er hatte meine Nähe gewollt. Er hatte die Sicherheit gewollt, dass ich bei ihm blieb. Er hatte mein Versprechen gewollt, dass ich, egal was passierte… Ich keuchte. Wollte er mich nur versprechen lassen, dass ich hiernach nicht fliehen, sondern in Schande hier weiterleben würde? War das der einzige Grund, weshalb er diesen Schwur von mir gewollt hatte? Nein. Das konnte nicht sein. Das war nicht Naruto. So war er nicht. Meine Hände legten sich an meinen Kopf. Sie zitterten erbärmlich. Nein. Es machte keinen Sinn. Es passte nicht zusammen. Weshalb hätte er mich bei unserem Date gestern küssen sollen, wenn er gewusst hatte, dass ich es gewesen war? Dort war Sakura nicht dabei gewesen, oder doch? Ich sah sie vor meinem geistigen Auge, wie sie hinter einem der Bäume versteckt gestanden hatte. Ich schüttelte schwach den Kopf. Das glaubte ich nicht. Und weshalb hätte er so aufgebracht hierherkommen sollen, wenn er nicht die Angst gehabt hatte, dass ich Konoha und somit ihn verließ? Um Sakura es endgültig zu beweisen, was ich verschwieg. Warum? Warum hatte es sich so echt angefühlt? Wie konnte das sein? Ich hatte das Gefühl, ich hätte etwas tun sollen. Ich hätte Naruto ins Gesicht schlagen sollen, in der Hoffnung, dass er aufwachen und wieder normal sein würde. Ich hätte ihn und Sakura aufhalten sollen, damit sie nicht die Gelegenheit hatten, jemandem davon zu erzählen, was sie eben gesehen hatten. Ich hätte sie umbringen können – Sakura zumindest. Und Naruto… hätte ich nicht wieder gehen lassen. Wie lange mir das geglückt wäre, war fraglich, aber dafür war es jetzt ohnehin zu spät. Jetzt blieb mir nur noch eins: zu meinem ursprünglichen Plan zurückzukehren. Zu dem, den ich schon fast umgesetzt hätte. Zu dem ich mich dieses Mal vielleicht wirklich durchgerungen hätte, wenn Naruto mich nicht aufgehalten hätte. Aber das wollte ich jetzt nicht mehr. Nicht, nachdem ich wusste, wie es sein könnte. Wie es sich anfühlte, von ihm im Arm gehalten zu werden. Von ihm geküsst zu werden. Von ihm berührt zu werden. Aber gerade jetzt wusste ich auch, wie es sein konnte, von ihm verachtet zu werden. Von ihm verspottet zu werden. Von ihm verlassen zu werden. Ich wollte es nicht glauben. Ich wollte es nicht begreifen, dass Naruto das tatsächlich getan hatte. Es musste eine Erklärung dafür geben. Vielleicht wollte er nur, dass Sakura komplett das Interesse an mir verlor. Doch weshalb sollte er das tun? Er wusste, dass sie mich nicht im Geringsten interessierte. Und selbst wenn er das nicht wusste, hätte er doch nicht diese rabiaten Mittel verwenden müssen. Und er hätte mich einweihen können. Er hätte mit mir darüber sprechen können. Er hätte vor allem unseren ersten richtigen Kuss damit nicht kaputtmachen dürfen. Er hätte mein Vertrauen, das ich gerade erst gewonnen hatte, nicht sofort zerschlagen dürfen. Und er hatte alles zerschlagen. Mein Vertrauen, meine Hoffnung, mein Herz. Ich hörte Geräusche auf dem Gang. Sofort stand ich mit schwankenden Beinen auf und schloss mit bebenden Fingern die Tür, griff nach meinen Kleidern und zog sie mir hastig über. Es änderte nichts daran, dass ich fürchterlich fror und mein Körper zitterte. Ich fühlte mich noch immer entblößt. Ich entdeckte meinen Rucksack, der noch immer auf dem Boden lag, wo Naruto ihn unabsichtlich hingestoßen hatte, als er sich auf mich geworfen hatte. Nein. Seine Gefühle konnten nicht gespielt gewesen sein. Er hatte mich nicht gehen lassen wollen. Er hatte mich festgehalten. Er hatte mich geküsst. Das konnte doch nicht nur gespielt gewesen sein. Ich hatte es gespürt, seine Verzweiflung, seine starken Gefühle. Niemand konnte so gut schauspielern. Vor allem nicht Naruto. Er konnte nichts verbergen. Das konnte er nicht. Wie hätte er mich so täuschen können? Ich schüttelte niedergeschlagen den Kopf. Vielleicht war es genau diese Einstellung von mir, die mich glauben ließ, dass er das nicht könnte. Vielleicht kannte ich ihn gar nicht so gut, wie ich immer geglaubt hatte. Ich erschrak, als etwas gegen die Fensterscheibe schlug. Mein Kopf zuckte herum, doch ich konnte nicht mehr erkennen, was es gewesen war. Es schien etwas Braunes gewesen zu sein. Etwas Handgroßes. Hoffnung wollte in mir aufkeimen. Naruto. Vielleicht hatte er seine Gürteltasche geworfen, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Vielleicht wollte er mir erklären, was gerade passiert war. Vielleicht hatte er Sakura nach Hause gebracht und kam zu mir zurück. Eilig lief ich zum Fenster, öffnete es, schaute hinaus und hinab in den Hinterhof. Ich konnte niemanden entdecken. Dann sah ich den braunen toten Vogel auf den Dachziegeln liegen und wusste, dass es nicht Naruto gewesen sein konnte. „Uchiha Sasuke“, sagte plötzlich eine Stimme und ich blickte auf in Richtung des großen Baumes, aus der ich die Worte vernommen hatte. Die Sonne war bereits untergegangen. Es war nicht einfach, etwas zwischen den Ästen zu erkennen. Dann sah ich die Bewegung. Eine seltsame Gestalt trat hinter dem dichten Laub hervor ins schwache Mondlicht. Er trug etwas auf dem Rücken, das aussah wie ein zweiter Kopf. „Wer bist du?“, fragte ich misstrauisch. Ich war mir beim ersten Klang seiner Stimme bereits bewusst gewesen, dass ich unachtsam gehandelt hatte. Ich hatte mich nicht wie ein Shinobi verhalten. Ich hatte nur an Naruto gedacht. Das würde mich früher oder später den Kopf kosten, das wusste ich längst. „Orochimaru schickt mich, dich zu holen“, sagte der Doppelköpfige nur. „Das war keine Antwort“, belehrte ich ihn. Ich fühlte mich eigenartig. Zwar hatte ich nicht geweint, doch meine Augen schmerzten dennoch, als hätte ich es. Wer auch immer diese Person war, es war der falsche Zeitpunkt, um sie kennen zu lernen. Und es war der falsche Zeitpunkt für einen Kampf. „Das ist die einzige Information, die du brauchst“, kam es sofort zurück. Ich schwieg, wartete ab, was passieren würde, und ging im Kopf durch, welche Waffen mir zur Verfügung standen. Meine Gürteltasche hatte ich mir in der Eile und meiner Zerstreutheit nicht umgebunden. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, dass es einen Grund geben könnte, mich damit in naher Zukunft verteidigen zu müssen. Denn Kunai und Shuriken konnten mich nicht vor den Worten, den Blicken und meinen Gefühlen schützen. Sie nützten mir in diesem Fall gar nichts. Deshalb lag meine Tasche noch zusammen mit meinem Gürtel auf dem Boden, an der Stelle, wo zuvor noch meine Hose und Narutos Kleider gelegen hatten. Ich überlegte, ein paar Schritte zurückzuweichen und sie zu holen. Doch ich wagte es nicht, konnte meinen Gegner noch nicht einschätzen. Es könnte ihn provozieren. „Sakon“, sagte plötzlich eine tiefere Stimme. Entsetzt schaute ich mich um. Er war also nicht allein. Ich hatte die Anwesenheit des zweiten Fremden nicht gespürt, ebenso wenig wie die des ersten. Ich wusste nicht, warum. Normalerweise waren meine Sinne für das Aufspüren von Auren sehr ausgeprägt. Vielleicht war das eine von Orochimarus Fähigkeiten, die er an seine Untergebenen weitergab. „Verschwende keine Zeit“, fuhr die tiefe Stimme fort. „Wir sollen ihn nicht drängen, hieß es“, meinte eine weibliche Stimme. Es sind noch mehr? Meine Augen suchten das Halbdunkel ab, doch es war nicht mehr nötig, denn in dem Moment traten die anderen drei zu dem ersten ins Mondlicht. Es waren drei Männer und eine Frau, soweit ich das beurteilen konnte. „Wir sollen die Sache aber auch nicht unnötig herauszögern“, sagte derjenige, der mehr als nur zwei Arme besaß. Mir fiel auf, dass er ein Stirnband mit dem Zeichen der Shinobi aus dem Dorf Otogakure trug. Ich konnte die eingravierte Musiknote im Mondlicht schimmern sehen. „Also“, begann der Doppelköpfige, Sakon, wie ihn der Dickste von den vieren genannt hatte. „Orochimaru erwartet dich.“ „Und warum sollte ich mit euch gehen?“, wollte ich wissen, auch wenn ich die Antwort bereits erahnen konnte. „Weil uns zu Ohren gekommen ist, dass du stärker werden willst“, sagte die rothaarige Frau. „Und es gibt niemanden, der das besser und schneller könnte als Orochimaru“, ließ Sakon mich wissen. Alle vier schauten mich an. Sie erwarteten offensichtlich eine Reaktion von mir. Und ich gab sie ihnen. „Katon: Goukakyuu no Jutsu!“ Ich hatte die notwendigen Siegel mit meinen Händen geformt, hielt jetzt meine rechte Hand vor meinen Mund und wollte hinter ihr meine Flammenkugel entstehen lassen – doch nichts passierte. Ich keuchte. Es war, als hätte jemand mein Chakra abgestellt. Als hätte jemand einfach das Kabel durchschnitten und meine Stromzufuhr gekappt. Ich spürte keinerlei Kraft durch mich fließen. „Es tut mir leid“, begann Sakons Stimme amüsiert. „Ich fürchte, das war ich.“ Er konnte einfach so verhindern, dass ich mein Chakra einsetzen konnte? Wie das? Von so etwas hatte ich noch nie gehört. Was waren das für ungewöhnliche Fähigkeiten? Wozu war Orochimaru alles in der Lage? „Du solltest dich mindestens bewaffnen, Junge“, sagte der Dicke mit nur wenigen Büscheln orangenfarbener Haare auf dem Kopf. Ich ballte die Hände zu Fäusten. Ich fühlte mich erniedrigt. Unterschätzt und hilflos. Und das war ich auch. Ich konnte es spüren, ich konnte es sehen: Orochimarus Leute waren unglaublich viel stärker als ich oder jeder, den ich je kennen gelernt hatte. Allein die Fähigkeit, den Gegner davon abzuhalten, sein Chakra für Angriffstechniken zu verwenden… Damit hatte man gegen die meisten Gegner den Kampf bereits gewonnen. Ich wusste ja, dass Orochimaru stark war, mächtig und einflussreich. Doch ich hätte nie darüber nachgedacht, in welchem Ausmaß. Wie viel Potential in einer Verbündung mit ihm steckte. Es musste ein Wink des Schicksals sein, dass er mir gerade jetzt seine Leute schickte. Dass man mir gerade jetzt, da mich hier nichts mehr hier hielt, da mich alles von Konoha forttrieb, da keine Faser meines Körpers, kein Stück meines Seins noch hier bleiben wollte – es konnte nur Schicksal sein. Eine Macht, der man sich unterwerfen musste. Ich wollte einen Blick zurückwerfen zu meinem Bett, dem nun diese wundervollen und im Endeffekt grausamen Erinnerungen anhafteten. Doch ich wagte es nicht einmal, diesen vieren den Rücken zuzukehren. Naruto drängte sich dennoch in meine Gedanken und schien mich davon abhalten zu wollen, was ich im Begriff war zu tun, und gleichzeitig schien er mich dazu zu drängen. „Ich werde mit euch gehen“, sagte ich schließlich – entschlossener als ich mich tatsächlich fühlte. „Wenn ihr mich zu Orochimaru bringt und mir garantieren könnt, dass er mich stärker macht.“ „Oh, das können wir“, entgegnete der Kopf auf Sakons Rücken. „Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen“, pflichtete Sakon selbst ihm bei. Ein seltsames Gefühl durchströmte mich. Ich wusste, dass ich gerade eine lebensverändernde Entscheidung traf. Und ich war mir der Schwere dieser Entscheidung bewusst. Und den schlimmsten ihrer Folgen auch. Jetzt wagte ich es, mich umzudrehen, zum Bett zurückzugehen und meinen Gürtel, mitsamt Tasche vom Boden aufzuheben. Ich warf noch einen letzten Blick auf die Bettdecke, die noch zerknittert war von Narutos und meinem Körper. Dann griff ich nach meinem Rucksack und ging wieder zum Fenster. „Wir können gehen.“ Keiner sagte ein Wort. Sakon hob nur seine Hand und alle setzten sich zeitgleich in Bewegung. Ich folgte ihnen über die Dächer, über die Dorfmauern, und schließlich über die Landesgrenzen hinaus. Ich schloss die Augen, nahm im Stillen Abschied von meiner ehemaligen Heimat. Von Naruto brauchte ich mich nicht zu verabschieden. Ich wusste, dass ich ihn in Gedanken mit mir mitnehmen würde. Er würde in meinem Kopf mit zu Orochimaru reisen, ob ich das wollte oder nicht. Aber ich hatte die vage Hoffnung, dass im Laufe der Zeit das Bild von ihm, die Erinnerungen an ihn – und an diese wenigen Minuten mit ihm in dieser wundervollen Illusion von Zuneigung, der ich so bereitwillig geglaubt hatte – verblassen würden. Irgendwann. Bis dahin konnte ich nur eines tun: die Bilder zu verdrängen versuchen und mich auf meine Rache an Itachi konzentrieren. Und das würde ich – das musste ich, wenn ich überleben wollte. „Wir rasten hier“, beschloss Sakon, der definitiv der Anführer der Gruppe sein musste. Er hielt an und der Rest tat es ihm gleich – ich ebenso, wenn auch widerwilliger. „Wir werden die Nacht hier verbringen und im Morgengrauen weiterziehen.“ Ich überlegte zu widersprechen. So lange konnten wir noch nicht unterwegs gewesen sein, wir waren – zumindest für meinen Geschmack – noch zu nahe an den Grenzen zum Land des Feuers sein. Doch ich sagte nichts. Ich wollte nicht sofort in einen Konflikt mit den anderen geraten. Ich hatte Zeit, versuchte ich mir einzureden. Bis noch vor wenigen Stunden hatte ich die Suche nach Macht, das Streben nach Rache beenden wollen. Was machte es dann jetzt für einen Unterschied, es noch eine Nacht länger aufzuschieben? Alle verteilten sich auf der Lichtung, setzten sich in den Schatten der Bäume. „Es wird eine kurze Nacht werden“, kündigte Sakon an. „Also nutzt die Zeit und schlaft jetzt.“ Ich schnaubte, schloss aber dennoch die Augen. An Schlaf war jedoch nicht zu denken. Mein Herz raste bei den Gedanken an den vergangenen Tag. Mein Körper fühlte sich seltsam an. Mein Kopf war zum Zerbersten gefüllt mit Gedanken an das, was heute passiert war. Ich erinnerte mich an alles, was Naruto zu mir gesagt hatte. Als hätte er es tausendmal getan. „Uchiha, wach auf“, hörte ich plötzlich eine Frauenstimme. Ich öffnete die Augen, überrascht, eine Hand an meiner Schulter zu spüren. Es war Tayuya, die Rothaarige der vier. Ich war irritiert, eigentlich hätte ich sie kommen hören müssen. „Es ist Morgengrauen. Wir gehen weiter.“ Ich schaute mich um. Und tatsächlich konnte ich die Färbung am Himmel sehen, die den Tagesanbruch verriet. Jetzt spürte ich auch den Speichel, der mein Kinn hinablief. Ich wischte ihn weg, schaute auf den schwachen Glanz auf meinem Handrücken. Ich konnte mich nicht erinnern, eingeschlafen zu sein. Kapitel 2: Der Weg in die falsche Richtung ------------------------------------------ „Naruto“, hörte ich eine vertraute Stimme. „Naruto, wach auf.“ Ich öffnete die Augen und erkannte Kakashi, der über mich gebeugt dastand. Ich spürte eine Matratze unter mir. Ich fühlte mich benommen. Verwirrt fragte ich mich, wo ich war. Ich schaute mich um, erkannte Sasukes Zimmer – und plötzlich fluteten die Erinnerungen meinen Kopf: Sasuke in diesem Raum, sein Rucksack auf dem Bett, gepackt und bereit für die große Reise. Ich erinnerte mich, weshalb ich hergekommen war, was Kakashi zu mir gesagt hatte. Ich erinnerte mich an die Wut über mein Unverständnis der Situation und der Motive Sasukes, an die Angst, zu spät zu kommen, ihn zu verlieren. Ich erinnerte mich an seine Überraschung, als ich ihn gepackt und aufs Bett geworfen hatte. Ich erinnerte mich, wie ich ihn festgehalten hatte, wie ich ihn umarmt hatte, wie ich seinen Nacken und schließlich seine Lippen geküsst hatte. Die Erinnerung war so präsent, dass ich es fast wieder spüren konnte. Ich sah wieder seinen erstaunten Blick, nachdem ich seinen Hals das zweite Mal berührt hatte. Seine ruhelosen Augen, die nicht sicher waren, was ich als Nächstes tun würde und ob es das war, was er wollte. Ich hatte es selbst nicht gewusst, was ich tun würde, bis ich es schließlich getan hatte. Ich hatte nur auf seine Lippen hinabgesehen und mein Kopf war auf einmal vollkommen leer gewesen. Ich hatte nur noch seine Augen und seine Lippen gesehen, hatte gewusst, dass ich wollte, dass er das eine schloss und ich das andere küssen durfte. Ich hatte das nicht geplant. Ich hatte es mir bisher nur vorgestellt, wie es sein würde, ihn zu küssen, wenn er nicht Sakuras Gesicht und ihre Lippen hatte. Doch ich hatte nicht erwartet, dass ich das so schnell herausfinden würde. Und als ich das dann getan hatte, als sich herausgestellt hatte, dass es wohl genau das war, was auch er wollte, wollte ich immer mehr und mehr davon. Mehr und mehr von Sasukes Lippen, Sasukes Haut, Sasukes Körper. Erst als er nur noch in Unterwäsche unter mir lag, schaltete sich mein Kopf wieder ein. Ich begriff, was ich im Begriff war zu tun. Ich verstand, wozu ich im Stande war in diesem Moment. Und deshalb wollte ich es ganz sicher wissen, dass ich keinen Fehler beging. Dass er das auch wollte, was ich vorhatte. Dass er mich danach nicht hasste. Dass ich nichts tat, was uns zerstören würde. Und er hatte bejaht, hatte mir bestätigt, dass ich weitergehen durfte, auch wenn ich nie ausgesprochen hatte, in welche Richtung und wozu. Auch das wusste ich selbst noch nicht. Ich hätte mich einfach von meinen Gefühlen leiten lassen. Schließlich hatten sie mich auch an diesen Punkt gebracht, was ich alles andere als bereute. Doch im nächsten Moment, nachdem ich mich wieder an Sasukes Hals geworfen und er seine Hand von meinem Rücken gehoben hatte, hatte ich einen Schmerz in meinem Nacken gespürt – und danach riss meine Erinnerung komplett ab. Ich blinzelte, richtete mich schlagartig auf, sodass Kakashi erschrocken ein Stück zurückwich. Ich glaubte, dass er bereits mehrere Male meinen Namen gesagt hatte, ohne dass ich reagiert hatte. Zu tief war ich in meinem Tagtraum aus meiner jüngsten Vergangenheit gefangen gewesen. Was war passiert? Weshalb sollte Sasuke mich bewusstlos geschlagen haben? Ich musste die Augen für einen Moment wieder schließen. Der Raum schwankte. Ich sah doppelt. Ich hielt eine Hand an meinen Kopf, als könnte das die Bewegung stoppen. Dann öffnete ich langsam meine Lider und ließ meine Augen das Zimmer absuchen, obwohl ich bereits wusste, dass sie nicht das finden würden, was sie finden wollten. Auch den vollgepackten Rucksack konnten sie nicht entdecken. Das Einzige, was sie fanden, waren meine Kleider, die noch immer auf dem Boden lagen. Nichts am Raum hatte sich verändert, außer dass Sasuke mitsamt seinen Sachen spurlos verschwunden war und das Fenster offen stand. Ich fragte mich, ob Kakashi es geöffnet hatte oder Sasuke dadurch verschwunden war. Warum hatte er dennoch fliehen wollen? Direkt nachdem er mir versprochen hatte, es nicht zu tun. Es ergab keinen Sinn. Es konnte einfach nicht sein. Irgendetwas musste ich übersehen haben. Vielleicht absichtlich. Denn als er mich geküsst hatte, hatte ich ständig versucht, den Gedanken abzuschütteln, dass es nur sein Abschied von mir sein könnte. „Oi“, hörte ich die Stimme meines Ausbilders wie aus der Ferne. „Antworte mir.“ Ich hatte ihn nicht nur gehört, sondern auch verstanden, doch ich konnte ihm nicht antworten. Ich starrte zum Fenster hinaus: Draußen war es taghell. „Kakashi-sensei!“, rief ich panisch und griff nach seiner Schulter. Er wich zurück, als konnte er noch nicht einschätzen, ob ich Freund oder Feind war. Ob ich ihm in meinem Zustand gefährlich werden konnte. „Wie lange ist es her, dass wir uns über Sasuke unterhalten haben?“, fragte ich ihn unvermittelt. Überrumpelt schaute er mich an, bevor er antwortete: „Das war gestern Abend.“ Meine Hand sank kraftlos von seiner Schulter. „Jetzt ist es Nachmittag.“ Sasuke hatte also einiges an Vorsprung. Mutlosigkeit wollte mich überschwemmen, aber ich drängte sie zurück. Ich würde schneller sein. Ich würde ihn einholen. Um jeden Preis. Meine Hände ballten sich wütend zu Fäusten. Warum hatte ich so lange geschlafen? Warum hatte Sasuke…? Nein, jetzt war keine Zeit dazu. „Wir müssen ihm nach!“, rief ich aufgebracht und wollte vom Bett aufstehen. Kakashi hielt mich an den Schultern zurück, drückte mich zurück auf die Matratze, und im nächsten Moment wusste ich, warum. Alles drehte sich vor meinen Augen. „Gib dir einen Moment“, sagte er ruhig. „Es ist gleich vorbei.“ Mir wurde schlecht. Ich fühlte mich erbärmlich. Schwach und nutzlos. Ich schloss wieder die Augen, doch das machte es nicht besser. Mein Magen war so verkrampft, als würde Sasuke – statt seine Finger zärtlich und unsicher über meinen Bauch streifen zu lassen, um festzustellen, dass ich an dieser Stelle kitzlig war – sich mit aller Macht dort hineinkrallen. Als ich die Lider wieder öffnete, ließ Kakashi meine Schultern los und entfernte sich ein Stück vom Bett, um mir den Raum zu geben, an meine Kleider zu kommen. „Was ist passiert?“, fragte er nach einem Moment leise, mit ernstem Blick gen Boden zu dem Kleiderhaufen dort gerichtet. Ich blickte ihm nicht ins Gesicht, zog mir zuerst meine Hose über, dann mein Shirt. Während ich meine Jacke überstreifte, sagte ich, mit Blick zu den nun kahlen Holzdielen hinab: „Sasuke hat mir versprochen zu bleiben.“ Kakashi schwieg. Er ließ mir alle Zeit, die ich brauchte. Doch keine Zeit der Welt würde mir ausreichen, um ihm zu erklären, was passiert war. Es waren Dinge, die man nur fühlen, aber nicht in Worte fassen konnte. „Er hat gesagt, er würde bleiben“, sagte ich deshalb das Einzige, was für Kakashi in diesem Moment wirklich wichtig war. Er sollte wissen, dass Sasuke versprochen hatte, dass er für mich hierbleiben würde. Es war das Einzige, was ich ihm sagen konnte. Dass Sasuke nicht mehr hier war, wusste er wohl längst. Im Innern meines Kopfes begann ein brennender Schmerz. Tränen stiegen mir in die Augen. „Er hat gesagt, er bleibt“, wiederholte ich mit schmerzhaft angespannten Stimmbändern. Kakashi gab keinen Laut von sich. Er wartete geduldig darauf, dass ich bereit war, ihm mehr zu erzählen. Aber das war ich nicht. Und wir hatten keine Zeit. Ich wischte mir die Tränen von den Wangen, aus den Augen und blickte entschlossen zu Kakashi auf. „Wir müssen ihm folgen“, stellte ich klar. „Wir müssen ihn zurückholen.“ Kakashi rührte sich nicht, keinen Millimeter, wie immer, wenn er nachdachte. „Wir müssen herausfinden, warum er gegangen ist. Und ihm klarmachen, dass das ein Fehler war. Dass es keinen Grund dazu gibt.“ Ich war mir ziemlich sicher, dass ich ein wenig Verwunderung in seinem rechten Auge sehen konnte. Verwunderung darüber, dass ich selbst nicht wusste, warum Sasuke verschwunden war. In meinen Augen konnte er wahrscheinlich nichts mehr außer Entschlossenheit lesen. Ohne Worte hatte ich mir geschworen, dass ich Sasuke zurückbringen würde. Immer hatte ich nur ein Ziel vor Augen gehabt: Hokage zu werden. Ich hatte es mir nie vorstellen können, dass mir irgendetwas einmal wichtiger werden würde als das. Doch jetzt spürte ich, dass etwas anderes sich noch über meinen Kindheitstraum gestellt hatte. Ich würde Sasuke zurückbringen. Egal, was ich dafür tun musste. Ich würde ihn zurückbringen. Mit allen Mitteln. Egal über wie viele Leichen ich gehen musste. Und ich hatte das starke Gefühl, dass es einige sein würden. ~ Kakashi hatte es geschafft, mich davon abzuhalten, allein loszuziehen. Er war mit mir zu Tsunade gegangen und hatte mir geholfen, ein Team zu organisieren, das die Verfolgung aufnehmen sollte. Und er hatte sogar um Hilfe von den Ninja aus Sunagakure gebeten. Sie würden sich Sasuke von der anderen Seite in den Weg stellen. Dennoch hoffte ich, dass ich der Erste sein würde, der auf ihn traf. Ich wollte es sein, der ihn zurückbrachte. Ich wollte es sein, der ihn zur Vernunft brachte, ohne ihn dabei ernsthaft zu verletzen. Ich wollte es sein, der zuerst erfuhr, warum er mir das angetan hatte. Wir reisten stunden-, vielleicht sogar tagelang; ich hatte vollkommen mein Zeitgefühl verloren. Jedenfalls hatte ich ausreichend Zeit, um noch einmal alles Revue passieren zu lassen, was zwischen Sasuke und mir passiert war. Immer und immer wieder. Aber ich fand keinen Anhaltspunkt, keinen Hinweis darauf, dass Sasuke schon von Anfang an vorgehabt hatte, mich bewusstlos zu schlagen und einfach zu gehen. Er hatte mich zurückgeküsst, er hatte geholfen, mich auszuziehen, er hatte die Augen geschlossen und bei fast jeder Berührung von mir gekeucht; ich hatte seine Eile gespürt, seine Verzweiflung, seine Leidenschaft. Das konnte nicht vorgetäuscht gewesen sein. Es war echt gewesen. Es musste echt gewesen sein. Weshalb aber sollte er dann geflohen sein? Weil er, ebenso wie ich, noch nicht wusste, wie es mit uns weitergehen würde? Weil er Angst hatte vor dieser ungewissen Zukunft? Warum hatte er nicht einfach mit mir darüber gesprochen? Ich hätte seine Zweifel beseitigt. Ich hätte ihm die Welt versprochen, wenn ich ihn damit hätte aufhalten können. Und ich würde das allerselbe versuchen, wenn ich ihn nun finden würde. Das Schlimmste aber war, ich hatte ihn bereits gefunden. Und dennoch war er unerreichbar für mich. Wie Neiji mit seinem Byakugan gesehen hatte, steckte Sasuke tatsächlich in diesem Holzfass, dass die Schall-Ninja mit sich herumgetragen hatten. Jetzt stand es hier, nur wenige Meter von mir entfernt auf weitem Feld. Aber ich kam nicht an Kimimaro vorbei. Kakashis Hunde hatten Sasuke für uns aufgespürt und konnten uns bereits sehr früh sagen, dass er nicht allein losgezogen war. Er war in Begleitung von vier Ninja aus Otogakure. Wir waren bereits allen der Gruppe begegnet, hatten uns ihnen in den Weg gestellt, versucht, sie zu bekämpfen, versucht, sie auszutricksen, doch all das hatte nicht funktioniert. Wir mussten unser Team Stück für Stück aufsplitten. Zuerst verloren wir Chouji. Dann Neiji. Dann Kiba und Akamaru. Bis schließlich Shikamaru sich anbot, den Kampf gegen Tayuya zu übernehmen, damit ich die Verfolgung von dem anfangs nicht eingeplanten ehemaligen fünften Mitglied der Schall-Ninja aufnehmen konnte: Kimimaro. Und vor diesem stand ich jetzt. Ich hatte schon eine ganze Weile gegen ihn gekämpft und spürte, dass ich keine Chance hatte. Keiner meiner Angriffe schien ihm etwas anhaben zu können. Ich war verzweifelt, wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Ich konnte nur immer wieder zu dem Fass herübersehen. Es war eine bizarre Vorstellung, dass Sasuke darin versteckt sein sollte. Und warum? Warum hatte man ihn dort eingesperrt? Hatte man ihn vielleicht – wie mich – zuvor bewusstlos geschlagen, um ihn leichter verschleppen zu können? Vielleicht war es dann gar nicht Sasuke gewesen, der mir in den Nacken geschlagen hatte. Ich hoffte es so sehr. Ich hoffte, dass ich ihn aus seinem Gefängnis befreien und er mir erzählen würde, dass er nicht wegen mir gegangen war. Dass er mich nicht hatte verlassen wollen. Nicht nachdem, was zwischen uns gewesen war. Eines jedenfalls stand für mich fest: Sasuke war nicht freiwillig mitgegangen. Und ich würde ihn retten. Dann bemerkte ich die Siegel, die den Deckel des Fasses verschlossen. Womöglich war es sogar Schlimmeres als eine simple Transportmöglichkeit. Als ich meinen Blick wieder Kimimaro zuwandte, stellte ich mit Schrecken fest, dass er auf mich zugestürmt kam und mich schon fast erreicht hatte. Ich hatte keine Zeit zu reagieren, da holte er bereits mit seiner Waffe aus Knochen aus. Entsetzt verfolgte ich das Geschehen, mein Körper erstarrt. Alles, was ich denken konnte, war: Nein, ich muss noch Sasuke retten. Im nächsten Moment sah ich etwas Grünes von der Seite auf mich zu schnellen und Kimimaro von mir fortschleudern. Ich blinzelte, erkannte Rock Lee, der schützend vor mir stand. Er hatte Kimimaro mit einem gewaltigen Kick zur Seite geworfen und übers Gras schlittern lassen. Erstaunt und unendlich dankbar schaute ich ihn an. Er wandte seinen Blick jedoch nicht von seinem Gegner ab, als er sagte: „Bitte überlasse diesen Kampf mir, Naruto-kun.“ Jetzt drehte er den Kopf ein Stück, um mir zuzulächeln. „Ich werde mich um ihn kümmern. Ich werde ihn besiegen. Du kannst dich auf mich verlassen.“ „Gejimayu“, sagte ich bewegt. Ich wusste nicht, wie ich meine Dankbarkeit ausdrücken sollte. „Naruto-kun“, sagte er ernst, das Grinsen in seinem Gesicht war verschwunden. Er wandte mir wieder den Rücken zu, bevor er sagte: „Geh und bring uns Sasuke-kun zurück.“ Mein Blick ging automatisch zu dem Holzfass zurück. Mit Entsetzen stellte ich fest, dass Rauch aus ihm aufstieg. Innerhalb von Sekunden entstand eine mehrere Meter hohe Rauchsäule, die sich immer weiter in den Himmel hinaufrankte. Sie verhieß nichts Gutes. Sie war violett-grau – für mich waren das Orochimarus Farben. Im nächsten Moment hörte man eine Explosion und sah den Rauch zu allen Seiten stieben. Das Fass musste gesprengt worden sein. Entsetzt beobachtete ich das Schauspiel, starrte in die Rauchsäule, versuchte, etwas in ihr zu erkennen. Meine Augen fanden eine schemenhafte Gestalt. Der Wind wehte den Rauch zur Seite und gab die Sicht frei auf Sasuke, der etwas entfernt vom Fass auf einem Hügel stand. Er wirkte verändert. Ich konnte nur nicht sagen, was sich gewandelt hatte. Ich konnte es nicht direkt zuordnen. Sein Gesicht sah eigentlich normal aus, aber ich konnte es auch nur aus dieser Entfernung sehen. Und nur sein Profil. Bevor er mir den Rücken zuwandte und losrannte. Ohne zu zögern, nahm ich die Verfolgung auf, Kimimaro und Lee vollkommen vergessen. Doch sie hatten mich nicht vergessen. Und Kimimaro hatte noch immer nicht vor, mich gehen zu lassen. Achtlos war ich losgerannt, hatte meinem Gegner den Rücken zugekehrt. Als ich über meine Schulter sah, konnte ich die Knochenwaffe sehen, die auf mich zuschnellte. Und plötzlich erstarrte jede Bewegung um mich herum. Lee hatte die Waffe mit bloßen Händen gestoppt. Mit einem kurzen Blick, den er nicht einmal sehen konnte, drückte ich ihm meine Dankbarkeit und meine Zuversicht aus, dass er diesen Kampf gewinnen konnte, und rannte weiter. Wir hatten keine Zeit, um noch mehr Worte zu verlieren. „Sasuke!“, schrie ich, während ich über den Hügel rannte. Warum lief er davon? Warum sollte er vor mir davonlaufen? Es machte keinen Sinn. Stimmte es doch, was die Ninja aus Otogakure gesagt hatten? War er wirklich freiwillig mitgegangen? Wollte er tatsächlich aus freien Stücken zu Orochimaru, nur um stärker zu werden? „Bleib stehen, Sasuke!“, rief ich, obwohl ich bereits wusste, dass er nicht auf mich hören würde, wenn er es beim ersten Mal schon nicht getan hatte. Aber ich wollte Antworten. Ich wollte ihn verstehen. Ich wusste von Itachi und von dem, was er getan hatte. Ich konnte es nachvollziehen, dass Sasuke sich rächen wollte, doch er musste doch einsehen, dass Rache keine Lösung war. Dass sie die Vergangenheit nicht ändern konnte. Dass sie seine Zukunft nur zerstören konnte. Ich folgte ihm über die weiten Felder, durch einen Wald, bis zu einem Wasserfall, in dessen Felsen zu beiden Seiten Skulpturen eingemeißelt waren, die zwei Shinobi darstellten, die ich nicht erkannte. Auf der anderen Seite des Flusses, auf dem steinernen Kopf des einen Ninja, blieb Sasuke stehen. Ich, aus Furcht, ihn noch weiter von mir fortzujagen, ihn Orochimaru in die Arme zu treiben, blieb ebenfalls stehen, auf dem Kopf des anderen. Die hunderte von Meter Abstand zwischen uns kamen mir wie eine treffende Darstellung der momentanen Distanz zwischen uns vor. Das fließende Wasser waren die noch ungeklärten Dinge, die unausgesprochenen Gefühle, die zwischen uns waren und in diesem Moment auch durch meinen Kopf strömten. Ich wusste, dass nichts diesen Fluss beenden konnte. Nichts würde diese Wassermassen aufhalten können. Nur Sasuke. Doch das schien er nicht vorzuhaben. Er schien nichts im Sinn zu haben, das im Entferntesten mich betraf. Er hatte mir den Rücken zugewandt. Ich fragte mich, ob er es nicht wagte, mir ins Gesicht zu sehen, oder ob er einfach keinen Grund sah, das zu tun. Als er sich in Bewegung setzte, sich von mir entfernen wollte, schrie ich: „Warum läufst du vor mir davon?“ Jetzt hielt er inne. Er schien zu überlegen, ob er sich davon provozieren lassen wollte oder nicht. Er wandte sich um. Zuerst dachte ich, er hätte sich darauf eingelassen, doch sein Blick war kalt. Er verriet keinerlei Emotion. Doch das war nicht der Grund, weshalb ich jetzt erschrak. Nicht nur war eine Hälfte seines Gesichts dicht mit diesen schwarzen Flecken übersät, die ich schon einmal gesehen hatte – sein linkes Auge war dunkel verfärbt mit einer orangenfarbenen Iris. Es sah nicht mehr normal aus. Es war unnatürlich. Es entstellte Sasukes Gesicht. „Ich laufe nicht davon“, stellte er ruhig klar. Ich starrte ihn entsetzt an. Er war also tatsächlich auf dem Weg zu Orochimaru. „Ich gehe nur fort von dem, was mich davon abhält, stärker zu werden.“ Mit diesen Worten wandte er sich wieder um und setzte gemächlich seinen Weg fort. Als hätte er alle Zeit der Welt. Als stünde hundert Meter entfernt nicht eine verzweifelte Seele, die ihn anflehte zu bleiben und das Gefühl hatte, ihn jeden Moment zu verlieren. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. „Bleib stehen, Teme!“ Als er nicht auf mich hörte, sprang ich. „Sasuke!“, schrie ich wütend und jetzt reagierte er, hörte wahrscheinlich, dass meine Stimme rasant näherkam. Er wandte sich im Gehen um, doch nicht mehr rechtzeitig, um mir noch ausweichen zu können. Ich landete auf seinem Bauch, rutschte mit ihm über den Felsen, bis er unter mir zum Liegen kam und zu mir aufschaute. Ich holte aus, zögerte, doch schlug dann zu. Ich benutzte meine linke Hand, in der Hoffnung, dass ich ihn so nicht bewusstlos schlagen würde in meiner Wut, traf damit seine Wange und schlug seinen Kopf zur Seite, sodass ich seine entstellte Gesichtshälfte nicht mehr sehen musste. Wenn sein Blick nicht so emotionslos gewesen wäre, hätte ich in diesem Moment denken können, dass wieder alles beim Alten war. Doch er schaute aus kalten Augen zu mir auf, drehte seinen Hals wieder gerade und spuckte mir ins Gesicht. Es war Blut, das aus seinem Mundwinkel lief, doch es tat mir nicht leid. Er musste aufwachen. Er musste es spüren. Doch es löste fast eine Gänsehaut bei mir aus, eben dieses warme Blut meine Wange hinablaufen zu spüren. Plötzlich griff er nach dem Kragen meiner Jacke und zog mich zu sich hinunter. Ich hoffte so sehr, mit jeder Faser meines Körpers, dass er mich küssen würde. Er brauchte sich nicht einmal dafür zu entschuldigen, was er getan und was er zu tun vorgehabt hatte. Er brauchte mich nur zu küssen und mir zu versprechen, dass er mit mir nach Konoha zurückkehren würde. Mehr nicht. Bitte. Bitte. Mehr nicht. Mehr verlange ich nicht, Sasuke. Doch mein lautloses Flehen nützte nichts. Plötzlich lachte er – ein leises schadenfrohes Lachen. „Worüber lachst du?“, wollte ich wissen. Er antwortete mir zuerst nicht, lachte nur weiter. „Was gibt es hier zu lachen?“, forderte ich eine Antwort. Dann sagte er: „Warum sollte ich nicht lachen dürfen? Wenn ich mich recht erinnere, hast du bei unserer letzten Begegnung auch gelacht.“ „Wovon sprichst du?“, fragte ich ihn verwirrt. Ich dachte daran, wie ich kurz hatte auflachen müssen, als seine Finger mich am Bauch gekitzelt hatten. Doch das konnte er wohl unmöglich meinen. „Du weißt genau, wovon ich spreche“, entgegnete er. „Ob du dich nun erinnern willst oder nicht, ich kann dir zeigen, wie es sich für mich angefühlt hat.“ Plötzlich hoben mich die Hände an meinem Kragen in die Luft, hoben mich hoch, bis ich mit den Füßen über dem Boden baumelte. Ohne jegliche Anstrengung war er währenddessen aufgestanden. „Und? Wo ist dein Lachen jetzt?“, fragte er mich, der ihn entsetzt ansah, und schlug mir in den Magen, sodass ich glaubte, gleich das Bewusstsein zu verlieren. Er legte so viel Kraft in diesen Schlag, dass ich mir sicher war, dass er sich nicht zurückhielt. Er könnte mich umbringen, wurde ich mir bewusst. Er würde mich fallen lassen wie einen zerbrochenen Shuriken. Und tatsächlich ließ er jetzt meinen Kragen los und warf mich die Klippe hinunter. Ich prallte auf der Wasseroberfläche auf und stieß in die Tiefe hinab. Plötzlich sah ich nur noch blau. Es war, als wäre ich in einer anderen Welt. Eine Welt ohne Sasuke. So schnell ich konnte, schwamm ich wieder nach oben. Als ich das Ufer des Flusses erreicht hatte und zu Sasuke zurückblickte, kam bereits eine Feuerkugel auf mich zu. Ich wich ihr nicht aus, sprang durch sie hindurch, geradewegs die Statue wieder hinauf zu ihm und entschied in diesem Moment, dass es nur eine Lösung gab: dasselbe zu tun, was er, oder vielleicht auch einer der vier Schall-Ninja, getan hatte; ich würde ihn bewusstlos schlagen und nach Konoha zurücktragen. Sasukes Blick war überrascht, als ich aus den Flammen auftauchte und direkt auf ihn zuflog. Ich landete einen Treffer in seinem Gesicht. Dann noch einen und noch einen. Bis er wieder Blut spuckte. Dieses Mal war es mehr; er spuckte es zu Boden und nicht in mein Gesicht. Jeder Schlag war eine Befreiung und eine Qual zur selben Zeit. Ich wollte ihm nicht wehtun. Ich wollte ihn nur zurückhaben. Ich zögerte. Er schützte sich nicht. Er wehrte sich nicht. Wollte er, dass ich ihn bewusstlos schlug? Wollte er, dass ich ihn zur Vernunft brachte, die er nicht mehr sehen konnte, seit Orochimaru ihn vergiftet hatte? „Ist das alles?“, fragte er plötzlich. „Mehr hast du nicht zu bieten?“ „Ich werde dich nach Konoha zurückbringen, selbst wenn ich dir jeden Knochen einzeln brechen muss!“, drohte ich ihm. Ich spürte die Wut in mir aufwallen. Ich konnte sie nicht zurückhalten. Sie übermannte mich. Und von da an ging alles so schnell. Unser Schlagabtausch verlief so reibungslos, als wäre er einstudiert worden. Doch irgendwann machte Sasuke einen Schnitt und zerstörte diese Balance zwischen uns. Er ließ Orochimarus Siegel seinen Körper in Besitz nehmen und verwandelte sich in ein seltsames Wesen mit Flügeln, die aussahen wie riesige Hände. Seine Haare hatten ihre Form verändert, in seinem Gesicht prangte ein schwarzes Zeichen. Ich erkannte ihn kaum wieder. Jedoch hatte ich auch nicht die Zeit, es zu versuchen, denn er kam auf mich zu, flog zu mir herüber und griff mich mit seinem mächtigen Chidori an. Ich versuchte mit meinem Rasengan zu kontern, doch irgendwie wusste ich, dass ich keine Chance hatte. Ein grelles Licht umgab uns, als unser Chakra kollidierte. Ein Licht, das die dunklen Schatten in Sasukes Gesicht jedoch nicht auslöschen konnte. Ich spürte den Wind, spürte die Kraft, die von ihm und vor allem von seiner linken Hand ausging, die immer näher kam, bis sie schließlich auf den Kern meines Rasengan traf und mit ihm zusammen explodierte. Die Wucht seiner Attacke drängte das Wasser des Wasserfalls zurück. Sie stoppte tatsächlich für einen Moment den Wasserstrom. Ich hatte es vorhergesehen. Ich hatte es gewusst, dass er dazu in der Lage war. Doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass er nicht nur das Wasser stoppte, sondern tatsächlich auch meinen Gedankenstrom. Denn im nächsten Augenblick verlor ich das Bewusstsein. ~ Ich sah, wie seine Augen sich schlossen, als mein Chidori ihn traf und ihn von mir fortschleuderte. Augenblicklich stoppte ich meinen Angriff. Ich streckte meine Hände nach ihm aus, bekam ihn aber nicht mehr zu fassen. Ich musste mit ansehen, wie er am Ufer des Flusses aufkam und reglos dort liegen blieb. Mein Chidori war also tatsächlich stärker als sein Rasengan. Ich konnte es noch gar nicht glauben, dass er überhaupt so stark war, dass er eine Chance gegen mich hatte, obwohl Orochimaru mir bereits eine Unmenge an neuer Kraft gegeben hatte. Ich konnte die Macht des Kyuubi aber auch noch gar nicht begreifen. Sie schien jedoch auch irgendwann an ihre Grenzen zu stoßen. So wie ich. Denn jetzt spürte ich, wie sich die Flügel auf meinem Rücken zurückzogen, ebenso wie die schwarzen Flecken, die meinen Körper übersäten und nun zurück zu meinem Nacken wanderten, der sie in sich aufsaugte. Und dann kam die Erschöpfung. Ich wartete ein paar Sekunden, spürte wie die Unruhe in mir die Trägheit in den Hintergrund drängte. Und als Naruto sich nicht regte, konnte mich nichts – weder die Schmerzen in meinem Nacken noch das Blei in meinen Beinen – davon abhalten, zu ihm zu gehen. Ich sprang von Fels zu Fels übers Wasser, landete auf der anderen Uferseite, blieb jedoch ein paar Schritte entfernt von dem stillen Körper am Boden wieder stehen. Er bewegte sich nicht. Jetzt fielen die ersten Regentropfen, trafen auf sein Gesicht, auf seine Augenlider, doch er zuckte nicht zurück. Mein Angriff konnte ihn nicht so sehr verletzt haben, oder? Er würde doch nicht… Ich hatte ihn doch nicht etwa… Mein Herz schlug unglaublich schnell in meiner Brust. Ich wagte es kaum, mich zu nähern. Ich wagte es kaum zu atmen. In der Hoffnung, so könnte ich einen Laut von ihm hören. Doch er blieb still. „Naruto“, wisperte ich, obwohl ich wusste, dass er mich nicht hören konnte, und wusste, dass er mir nicht antworten würde, wenn er es könnte. In diesem Moment löste sich mein Stirnband und kam klirrend neben ihm auf dem Boden auf. Er rührte sich noch immer nicht. Ich näherte mich noch einen Schritt und ging dann vor ihm in die Knie, sodass nicht mehr als sein Handgelenk in meiner Reichweite lag. Es sah fast so aus, als wollte er nach meiner Hand greifen. Doch er wusste nicht einmal, dass sie gerade in seiner Nähe war. Ich streckte meine Finger nach ihm aus, berührte seinen Arm, suchte seinen Puls. Ich fand ihn nicht. Ich rutschte nun doch noch ein Stück über den Boden näher an ihn heran, legte meine zitternden Fingerspitzen an seinen Hals. Ich befahl ihnen, meinen eigenen Herzschlag zu ignorieren, und tatsächlich spürte ich jetzt etwas schwach gegen sie pochen. Ich atmete wieder ein, bemerkte, dass ich die Luft angehalten hatte. Es bestand noch eine Chance. Ich war mir sicher, dass jemand nach ihm suchen und ihn bald hier finden würde. Dann war er wieder sicher. Dann würde er nach Hause zurückkehren. Zurück zu Sakura. Ich spürte warme Tropfen zwischen den eiskalten des Regens. Sie mischten sich auf meinem Gesicht. Eigentlich hatte ich mich nicht von ihm verabschieden wollen, doch jetzt konnte ich nicht mehr anders. Ich wusste, dass ich ihm nie wieder in die Augen sehen konnte, auch wenn er wahrscheinlich keine bleibenden Schäden von diesem Kampf davontrug. Ich könnte es nicht einmal dann, wenn er behauptete, mir verzeihen zu können, dass ich es nicht sicher gewusst hatte, ob er meinen Angriff überleben würde. Ich hatte keine andere Option mehr gesehen, rechtfertigte ich mich vor mir selbst. Er hatte sich einfach nicht vertreiben lassen. Nicht mit Worten, nicht mit Gewalt. Ich konnte mir noch immer nicht erklären, wieso. Warum war er mir überhaupt gefolgt? Nur weil ich mich Orochimaru anschließen wollte? Weil er Angst hatte, dass ich stärker und somit gefährlich für ihn werden könnte? Was ich hiermit wohl bewiesen hatte. Ich schaute auf den wehrlosen Körper hinab. Jetzt hätte ich wohl die einmalige Gelegenheit, ihn umzubringen. Hätte die Chance, Itachis Rat zu befolgen. Aber ich blickte nur auf dieses Gesicht hinab, das gerade so zerbrechlich auf mich wirkte – und wollte es berühren. Nach allem, was er zu mir gesagt hatte. Nach allem, was er mir angetan hatte in den letzten Tagen, wollte ich ihn dennoch berühren. Und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass er das auch bei mir tun wollte. Ich schloss krampfhaft die Augen, zwang meine Finger zurück, brachte sie dazu, sich von seinem Hals zu entfernen. Es war nicht einfach. Es war der einzige Beweis, dass der Kontakt zwischen uns noch nicht vollkommen abgebrochen war. Dass noch eine Verbindung bestand, die mir das Recht gab, hier zu sein. Doch damit täuschte ich mich nur selbst. Ich hatte kein Recht mehr dazu. Ich hatte es nie gehabt. Ich hielt meine linke Hand mit meiner rechten fest, verhinderte, dass sie zu Narutos Hals zurückkehrte. Stattdessen beugte ich mich über ihn, als wollte ich sein Gesicht vor dem Regen schützen, doch von meiner Nasenspitze tropften ständig neue Wasserperlen – mal kalte, mal warme. Ich presste meine Stirn gegen die seine, spürte, wie sich das Zeichen Konohas in meine Haut presste, als wollte es mich brandmarken. Als wollte es mich abstempeln als einen von ihnen – jedoch als einen, der nicht normal war, denn das Symbol würde auf meiner Stirn verdreht zu sehen sein. Meine Hände wollten wieder nach vorn, wollten ihn an mich heranziehen, ihn an mich pressen, doch ich wusste, dass ich das nicht wagen würde. Zu groß war das Risiko, ihn aufzuwecken, ihn zu verletzen, ihn zu ersticken mit meiner Verzweiflung. Und zu groß war die Gefahr, dass ich mich dann nicht mehr losreißen könnte, bevor seine Kameraden auftauchten und mich umbrachten für das, was ich getan hatte, und für das, was ich noch tun würde. Ich hob meine Stirn von dem Platz auf seiner, schaute auf seine geschlossenen Lider hinab und hoffte so sehr, dass die warmen Tropfen ihn aufwecken würden, bevor ich davonlaufen konnte. Doch er lag nach wie vor vollkommen reglos da. Es war eine Qual und eine Erleichterung zugleich. Ich dachte daran, wie es sein würde, ihn nach dem heutigen Tage nie wieder zu sehen. Aber irgendwie hatte ich die Hoffnung und gleichzeitig die Befürchtung, dass wir uns wieder begegnen würden. Ich konnte nur darauf vertrauen, dass ich bis dahin die Angelegenheit mit Itachi geklärt hatte, denn unser nächstes Aufeinandertreffen würde ich nicht überleben, das wusste ich. So stark Orochimaru mich auch bereits gemacht hatte, ich spürte es, dass die Kräfte, die in Naruto verborgen lagen, noch viel größer waren als alles, was sich antrainieren oder von anderen stehlen ließ. Narutos Kraft kam von etwas, das einem Naturphänomen glich. Einem Wunder. Und diese übernatürliche Kraft stand über den Dingen, die für einen Menschen machbar waren. Und wenn er sie erst einmal einzusetzen wusste, dann hatte ich keine Chance mehr. Nachdem ich ihn in dieser seltsamen Form eines feuerroten Fuchses gesehen hatte, fragte ich mich allerdings auch, ob es nicht eine Macht war, die auch eine Gefahr darstellte. Eine Gefahr für Narutos Leben. Ich kniff die Augen wieder zu, zwang meine Gedanken, eine andere Richtung einzuschlagen. Ich sollte nicht länger hier bleiben. Ich musste gehen. Ich musste einfach nur meine Augen geschlossen halten und gehen. Nicht mehr zurückblicken und meine Zukunft einzig und allein meiner Rache widmen. So schwer konnte das doch nicht sein. Das hatte ich schon Jahre lang getan, bevor ich die Gefühle erkannt hatte, die ich für diesen kleinen Dobe hier hegte. Damals war mein Ziel noch klar und deutlich vor meinen Augen gewesen, der Weg dorthin eindeutig, die Mittel, ihn zu beschreiten, ebenfalls. Es gab nichts, das mich diesen Weg, und meine Mittel, anzweifeln ließ. Es gab keine Kompromisse. Doch irgendwann hatte ich bemerkt, dass ich mein Ziel allmählich aus den Augen verloren hatte. Weil ich nur noch Augen hatte für Naruto. Ich erinnerte mich an so viele Situationen, in denen ich mich dabei erwischt hatte, wie ich ihn heimlich beobachtet hatte. Ich war so erleichtert gewesen, jedes einzelne Mal, dass er es nie bemerkt hatte. Jetzt konnte ich es schon gar nicht mehr sagen, wann es begonnen hatte. Wann ich die Gefühle für ihn entdeckt oder endlich richtig interpretiert hatte. Irgendwann hatte ich einfach festgestellt, dass ich von niemandem so sehr beeinflusst werden konnte wie von ihm. Alles drehte sich nur noch um ihn. Der Gedanke an Itachi war in den Hintergrund gerückt. Es hatte mich schockiert, als ich das zum ersten Mal wahrgenommen hatte. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht begriffen, was es war, das mich mit Naruto verband. Warum ich zu glauben schien, dass er mir das geben konnte, was sonst nur mein großer Bruder mir hatte geben können – allerdings vor langer Zeit. Ich begann zu verstehen, dass es mit Worten auch nicht wirklich zu erklären war. Ebenso wenig wie ich das Band zu Itachi damals hätte erklären können. Er war mein Bruder. Ich liebte ihn. Ich sah zu ihm auf. Er war mein Vorbild. Obwohl er mir das Leben nicht einfach gemacht hatte, die Erwartungen meiner Familie und aller anderen um mich herum nach oben geschraubt hatte. Ich liebte ihn trotzdem. Weil er – wenn auch nicht immer – für mich da war. Er war einfach da. Und ich wusste, ich brauchte ihn. Ich hatte irgendwann geschlussfolgert, dass es mit Naruto ähnlich war. Dass ich auch zu ihm aufsah, weil er sich durch nichts kleinkriegen ließ. Dass er in meinem Leben fest verankert und nicht mehr daraus wegzudenken war. Er war da. Für mich. Und ich brauchte ihn. Es gab vieles, was uns verband und über die Jahre zusammengeschweißt hatte. Es waren unter anderem die Dinge, die wir gemeinsam erlebt hatten. Eine gemeinsame Vergangenheit. Das war etwas, das ich – als Einzelgänger – nicht mit vielen teilte. Was ich außerdem mit ihm gemeinsam hatte, war unser Ehrgeiz. Etwas, das uns immer wieder aneinandergeraten ließ. Aber auch diese Rivalität verband uns. Ich erinnerte mich noch so gut an das gemeinsame Training im Land der Wellen, bei dem wir die ganze Nacht durchtrainiert hatten, weil keiner von uns hatte aufgeben wollen. Keiner hatte dem anderen unterlegen sein wollen. Wir hatten uns gegenseitig angestachelt und an unsere Grenzen getrieben. So sehr, dass wir uns gegenseitig stützen mussten, um am nächsten Morgen zum Haus unseres Auftraggebers zurückzukommen. Aber wir hatten es geschafft. Bis an die Spitze. Gemeinsam. Und ich war schon lange nicht mehr so glücklich gewesen wie an diesem Tag. Narutos Arm um meine Schultern gelegt zu haben, sein keuchender Atem so nahe bei mir, hatte mir Herzklopfen bereitet. Auch wenn mir jeder einzelne Muskel am Körper wehtat, war ich nahezu enttäuscht gewesen, als wir schließlich das Haus erreicht hatten. Ich hätte noch länger neben ihm hergehen können, mit so langsamen Schritten, dass man von Weitem gar nicht sicher gewesen wäre, ob wir überhaupt vorankamen. Und später an diesem Tag, bei dem Kampf gegen Haku, hatte Naruto sich für mich direkt in die Schusslinie begeben. Er hatte mich beschützen wollen und hatte mich schließlich dazu gebracht, dass ich ihn beschützen musste. Und wollte. Ich hatte es nicht glauben können, als er mich im Arm gehalten hatte. Wie sanft, wie liebevoll er es getan hatte. Sein Blick, als er die ganzen Nadeln in meinem Körper gesehen und befürchtet hatte, dass ich es nicht überleben würde. Seine Tränen. Ich war mir an diesem Tag so sicher gewesen, dass er dasselbe für mich empfand wie ich für ihn. Ich hatte es zu spüren geglaubt. Ich hatte meine Wünsche die Oberhand gewinnen lassen. Doch ich hatte schnell festgestellt, dass sich nichts geändert hatte. Dass ich es mir wohl nur eingebildet hatte. Dass ich meine Augen vielleicht absichtlich vor der Realität verschlossen hatte. Ich machte den Fehler und öffnete sie jetzt. Ich sah auf das nasse Gesicht hinab, das fast so aussah, als weinte er auch jetzt. Als weinte er mit mir. Nur waren seine Wangen dabei nicht gerötet, wie sie es hätten sein müssen. Und seine Haut war kalt. Ebenso wie seine Lippen, wie ich mit Entsetzen feststellte, als ich mich hinunterbeugte und sie mit meinen berührte. Es war kein Kuss – diese Berührung hatte nichts von der, die wir noch vor wenigen Tagen in meinem Bett ausgetauscht hatten. Es war wie ein Kontakt mit einem Gegenstand, etwas Kaltem, Leblosem. Ein Kontakt, den man zwar spüren konnte, doch es steckte nichts in ihm. Kein Gefühl, keine Bedeutung, kein Leben, kein Sinn. Es tat nur weh. Weil am anderen Ende nichts ankam. Alle Kraft verließ meinen Körper. Meine Finger, die an seinen Kopf zurückgefunden hatten und sich dort, so sanft sie konnten, in Hals und Wangen pressten, entkrampften sich und ließen schließlich von ihm ab. „Sayounara.“ Ich warf noch einen Blick auf meinen Stirnschutz, der neben ihm auf dem Boden lag. Ich überlegte, ihn aufzuheben und mitzunehmen, doch ich wusste, dass es besser war, das nicht zu tun. Ich wollte keine Andenken an ihn. Ich würde auch so durch zu vieles an ihn erinnert werden. Wie in Trance stand ich auf, mied seinen Anblick, drängte all die Erinnerungen zurück, und ging los, zu schwach zu rennen. Es war mir vorerst egal, wohin. Nur weg von hier. Weg von allem, was ich kannte. Von allem, was Erinnerungen wach- oder mich zu sich zurückrufen könnte. ~ Ich spürte ein ständiges Auf und Ab. Ich hörte Äste knarzen, Laub rascheln, Vögel zwitschern. Alles zog so schnell an mir vorbei. Ich sprang scheinbar durch einen Wald. Nein. Jemand trug mich. Jemand hielt mich sicher fest. Sasuke… Ich dachte an seine starken Arme, die mich in seinem Bett an sich gepresst hatten, und Hoffnung flutete mich, auch wenn ich sie in meinem gelähmten Körper nur gedämpft spüren können. Ich zwang meine schweren Augenlider auf. Nur verschwommen konnte ich durch den schmalen Spalt etwas sehen, doch ich erkannte helle Haare. Es war nicht Sasuke. Enttäuschung schwemmte alle Hoffnung fort. Nach einem genaueren Blick erkannte ich Kakashi. Ich wusste, was das bedeutete: Sasuke war nicht hier. Ich hatte ihn nicht aufhalten können. Ich war gescheitert. Ich hatte ihn verloren. Nein. Ich wollte es nicht wahrhaben. Vielleicht war Sasuke direkt hinter uns. Ich war nur zu schwach, um meinen Kopf zu drehen und nachzusehen. Ich versuchte, meinen Mund zu öffnen. „Sensei…“, keuchte ich. Es war mein dritter Versuch; die beiden Male zuvor hatte kein Laut meine geöffneten Lippen verlassen. Meine trockene Kehle weigerte sich, aber ich zwang sie dennoch. „Sasuke… Wo ist er?“ Kakashi schaute über seine Schulter zu mir zurück. „Ruh dich jetzt aus“, wich er meiner Frage aus. Ich wusste, was das bedeutete. Ich spürte ganz langsam die Tränen aufkommen. Mein Körper war zu schwach für eine schnellere Reaktion; ich konnte ihn kaum spüren. Er war taub vor Schmerz und Erschöpfung. Und Leid. Sasuke… Das war mein letzter Gedanke, bevor ich wieder von der alles verschluckenden Dunkelheit eingehüllt wurde. Kapitel 3: Meere lügen nicht ---------------------------- Ich rannte durch die scheinbar endlosen Korridore von Orochimarus untererdigem Versteck. Eine gewaltige Explosion hatte eben diese Steinmauern erschüttert. Sofort wusste ich, wer gerade aufeinandergetroffen war. Trotzdem versuchte ich, nicht an Yamatos Worte zu denken. Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass er Recht haben und es tatsächlich Sais geheime Mission sein könnte, Sasuke auszuschalten. Jetzt sah ich Licht am Ende des Tunnels. Es war kein Gang, der eigentlich hätte ins Freie führen sollen, doch jetzt lag eine riesige Fläche von diesem Steinboden im Tageslicht, den ich bisher nur bei Kerzenschein gesehen hatte. Mir wehte bereits die frische Luft der Steppenlandschaft entgegen. Alles erstrahlte im blendend weißen Licht der Sonne, von dem ich gar nicht wusste, wie sehr ich es bereits vermisst hatte. Ich erblickte Sai, der ohne Waffe in den Händen dastand und nach oben schaute. Ich folgte seinem Blick mit einer eindeutigen Vorahnung und erkannte etwas, das ich noch viel mehr vermisst hatte als Luft oder Licht. Sasuke thronte auf einem Felsen vor der grellen Nachmittagssonne. Das Licht blendete so sehr, dass ich die Augen zusammenkneifen musste, um ihn zu erkennen. Und auch dann erkannte ich ihn kaum wieder. Das Geräusch einer Klinge, die an Metall schleifte, ließ mich entsetzt zur Seite sehen. Sai zog sein Schwert. „Nein!“, schrie ich und stürmte auf ihn zu. Er hielt inne, verharrte mit seiner Schwertspitze noch hinter seiner Schutzhülle verborgen. „Er wird uns alle umbringen“, sagte er ernst. „Er lässt nicht mit sich reden, Naruto-kun. Gib es auf.“ „Nein!“, schrie ich und Sai starrte mich nur an. Ebenso spürte ich Sasukes Blick auf mir. Ich schaute wieder zu ihm auf. Er rührte sich nicht. Nichts schien ihn berühren zu können. Nichts, von dem, was sich hier unten abspielte, schien von Interesse für ihn zu sein. Als hätte es nichts mit ihm zu tun. „Sasuke…“, entfuhr es mir, jedoch so leise, dass er es wohl nicht hören konnte. Dennoch setzte er sich jetzt in Bewegung. Er kam den steilen Abhang hinunter. Für einen Moment schien er zu schweben, doch dann bewegte er sich so schnell – plötzlich stand er vor mir und legte einen Arm um mich. Meine Augen weiteten sich. Ich konnte es nicht fassen. Ich wollte etwas sagen, doch ich wusste nicht, was. Ich wollte ihm vertrauen, doch ich wusste nicht, wie. Ich wollte hoffen – und ich wusste nur zu gut, worauf. Plötzlich zuckte Sasukes Körper nach vorn und er starrte mich an, als hätte ich ihm in den Magen geschlagen. Automatisch suchten meine Augen seine Erscheinung ab, suchten die Ursache für seinen entsetzen Blick. Sie fanden eine Schwertklinge, die auf bizarre Weise aus seiner Brust ragte. Dann sah ich Sai, der hinter ihm stand, den Griff seines Schwertes in beiden Händen, seine Augen ernst, mit einer Spur von Mitgefühl. „Es tut mir leid, Naruto-kun. Es musste sein.“ Mit diesen Worten zog Sai seine Waffe zurück und ließ Sasukes Blut in mein Gesicht spritzen. „Nein!“, schrie ich und sah, wie Sasukes geweiteten Augen langsam zufielen. Sein Körper sank schwer hinab zu meinen Füßen. Ich hielt ihn fest, doch ich konnte ihn nicht davon abhalten, mich mit hinunterzuziehen. Meine Beine wollten mich selbst schon nicht mehr tragen. Ich atmete flach, als hätte ich selbst diese tiefe Fleischwunde, die ich in Sasukes Brust sehen konnte. „Nein“, murmelte ich und wollte das Blut stoppen, das unaufhörlich seine Kleider durchtränkte, doch ich wagte es nicht, ihn zu berühren, aus der absurden Angst heraus, ihm wehtun zu können. „Nein“, wiederholte ich immer wieder. „Nein.“ Da schlug Sasuke die Augen wieder auf. Er öffnete seine Lider jedoch so langsam, dass ich befürchtete, dass er es mit letzter Kraft tat. „Sakura!“, schrie ich jetzt, ohne meine Augen von Sasuke zu nehmen. „Tu etwas! Hilf ihm!“ Ich hörte ihre hastigen Schritte auf dem steinigen Boden. Sie eilte zu uns, doch ich fürchtete, dass sie zu spät kommen würde, denn in diesem Moment spuckte Sasuke Blut. Es fiel hinab auf seinen bereits scharlachroten Oberkörper. „Nein“, sagte ich abermals. „Bleib bei mir, Sasuke.“ Ich schloss die Augen, wollte all das Blut nicht mehr sehen. „Sakura!“, schrie ich, doch sie war bereits neben mir, stellte ich fest, als ich die Augen wieder öffnete. Ich sah, wie sie ihre zitternden Hände über Sasukes Wunde hielt. „Sie ist zu tief“, murmelte sie vor sich hin. Wahrscheinlich sprach sie nur mit sich selbst. Es wäre mir lieber gewesen, wenn sie es nur in ihrem Kopf getan hätte. „Sein Herz wurde getroffen. Er verliert zu viel Blut.“ „Nein“, war alles, was ich sagen konnte. Dann blickte ich in Sasukes Augen, die sich gerade wieder öffneten. „Nicht“, flüsterte er. Ich verstand nicht, was er meinte. Wollte er nicht gerettet werden? Wollte er hier etwa sterben? Jetzt? Und auf diese Weise? Noch bevor ich erfahren hatte, was mit uns passiert war? Und ob wir uns noch retten konnten? Er bewegte seine Lippen ein weiteres Mal. „Nicht weinen, Bibiri-kun.“ Erst jetzt, da er es sagte, bemerkte ich die Tränen, die meine Wangen hinabflossen. Etwas Ähnliches wie ein Lachen verließ meine Kehle. Ich schüttelte den Kopf, konnte nichts dazu sagen. Es war so absurd, dass er mich noch immer so nannte. Und das in dieser Situation, in der ich nur aus Angst um ihn weinte. Ich fürchtete so sehr, dass dieses Wort wieder das letzte sein würde, das er zu mir sagte, bevor er verschwand. Wie vor zweieinhalb Jahren auch. Seine Finger bewegten sich, als wollten sie etwas tun. Sie hoben sich mir entgegen und ich ergriff sie sofort, drückte sie zuversichtlich. „Du wirst das schaffen, Sasuke. Ganz sicher. Ich bin nicht den ganzen Weg hierhergekommen, nur um dich sterben zu sehen, hörst du, Teme! Dafür bin ich nicht hergekommen, dattebayo!“ „Wofür dann?“, fragte er leise und schluckte. „Wofür, Usuraton–?“ Ein gurgelndes Geräusch aus seinem Mund unterbrach ihn. Ich glaubte, dass es Blut war, das ihn davon abhielt weiterzusprechen. „Um dich nach Hause zu holen, Sasuke“, sagte ich leise. „Um dich zu mir zurückzuholen.“ Meine Stimme brach. Mein Körper fühlte sich taub an. Die wenigen Teile, die ich noch spüren konnte, schmerzten. Selbst die warmen Tränen auf meinen Wangen schienen im Wind zu brennen. Er ließ seine Augenlider zufallen. „Ich bleibe hier“, sagte er schwach, aber mit einer Gewissheit, die mir einen Schlag in den Magen versetzte. Ich starrte ihn an. „Nein“, sagte ich atemlos. Er öffnete seine Augen kein weiteres Mal. „NEIN!“ „Naruto-kun“, sagte eine Stimme, doch ich wollte sie nicht hören. „Naruto-kun“, wiederholte sie bestimmter und rüttelte an mir, wollte mich von Sasuke fortziehen. Sakura hatte ihre Hände bereits zurückgenommen. Sie hatte aufgegeben. Ich klammerte mich an Sasukes reglosem Körper fest. „Naruto-kun.“ Jetzt erkannte ich Sais Stimme und schlug die Augen auf. Ich konnte kaum noch etwas durch meine Tränen hindurch sehen. „Naruto-kun“, sagte er fast erleichtert, als hatte er befürchtet, ich würde einfach mit ihm sterben. „Du Verräter!“, schrie ich ihn an und packte ihn am Kragen. „Warum? Warum hast du das getan?!“ Er schaute mich nur erschrocken an, als verstand er nicht, was er getan hatte. Ebenso wenig wie er angeblich jegliche Form von Gefühlen verstehen konnte. Aber das war mir egal. Er hatte gewusst, wofür wir hier waren. Ich hatte ihm gesagt, wie viel mir an Sasuke lag. Und dennoch hatte er einfach… Er hatte einfach… Ich sah wieder das Messer in Sasukes Brust. Das Blut. Seine geschlossenen Augen. Ich holte aus – „Naruto!“, schrie Sakuras Stimme von irgendwoher. Ich dachte, sie müsste noch direkt neben mir stehen, doch es klang, als kam ihr Ruf aus weiterer Ferne. Ich schaute mich irritiert um und bemerkte erst jetzt, dass es ziemlich dunkel um mich war. Eben hatte ich doch noch in gleißendem Sonnenlicht gestanden. Sakura und Yamato standen ein paar Meter entfernt zwischen den Bäumen und sahen mit besorgten Gesichtern zu mir zurück. Sakura wandte nach einem langen Moment ihr Gesicht ab, als konnte sie meinem Blick nicht länger standhalten. Dann schaute ich mir die Umgebung genauer an. Wir waren nicht mehr in der Ruine von Orochimarus Unterschlupf. Wir waren mitten in einem Wald. Ich konnte nur starren und wieder die Bilder sehen, die ich bis eben gesehen hatte. Ich war verwirrt. Es konnte nicht sein. Auch die Tränen auf meinen Wangen waren noch nicht getrocknet. Ich musste kurz bewusstlos geworden sein. Doch wie hätte es dann bereits so dunkel und die Landschaft hier eine so andere sein können? Nein, ich hatte nicht geschlafen. Ich hatte doch eben noch Sasuke in meinen Armen gehalten. Ich hatte ihn gespürt. Ich hatte sein warmes Blut an mir trocknen gespürt. Ich suchte es auf meinen Kleidern, doch da war nichts. Nichts Rotes. Und nichts Warmes. Ich zitterte. „Naruto-kun?“, schaltete Sai sich wieder ein. Ich hatte ihn fast wieder vergessen. Dabei hielt ich noch immer seinen Kragen fest. Und ich ließ ihn auch jetzt nicht los. Ich schaute ihm verzweifelt in die Augen. „Wir haben Sasuke noch nicht gefunden, richtig?“ Es war die einzige Erklärung. Es musste ein Traum gewesen sein. „Richtig?“ Für mich hing alles von dieser Antwort ab. „Wir haben ihn noch nicht gefunden!“, beharrte ich und wusste, dass ich es nicht akzeptieren würde, wenn er etwas anderes behauptete. „Nein“, antwortete er zu meiner Erleichterung. „Wir haben ihn noch nicht gefunden.“ Er sagte das, als täte es ihm leid, dabei war es die beste Antwort, die er mir gerade geben konnte. Und die einzige, die ich ihm glauben würde. „Kann ich etwas für dich tun, Naruto-kun?“, fragte er schließlich. Ich bemerkte, dass die Tränen noch immer nicht aufgehört hatten. Und ich hatte seinen Kragen noch immer nicht losgelassen. Das schien ihn zu beunruhigen. Ich schüttelte den Kopf, ließ endlich von ihm ab und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Unerwartet legte er mir eine Hand auf die Schulter. Sofort dachte ich an Sasukes Arm, der vor Kurzem noch dort gelegen hatte. Dann sah ich wieder die Klinge in seiner Brust. Ich stieß Sais Hand fort. Er schaute mich überrascht und beinahe gekränkt an. Aber er konnte mir gerade nicht leidtun. Er hatte Sasuke sein Schwert durch die Brust… „Leg dich wieder hin, Naruto-kun.“ Es war die Stimme Yamatos, die meine Gedanken unterbrach. „Was ist passiert, Naruto?“, fragte Sakura jetzt zögerlich. Ich hatte das Gefühl, dass sie glaubte, dass Sai mir etwas angetan hatte. „Ich hatte einen Albtraum“, antwortete ich ihr leise. Ich war mir nicht sicher, ob sie mich gehört hatte, doch sie fragte nicht nach. Dennoch sagte ich: „Ein Albtraum, der zu real war, um nur ein Traum zu sein.“ Ich fühlte in meiner Gürteltasche nach Sasukes Stirnschutz. Er war noch immer da. Ich spürte die Erschöpfung von meinem Körper Besitz ergreifen. Ich befolgte Yamatos Anordnung und legte mich zurück ins Gras, in dem ich scheinbar zuvor gelegen hatte. Kurz darauf schlief ich ein und wusste am nächsten Morgen nicht mehr, dass ich in dieser Nacht überhaupt etwas geträumt hatte. ~ „Ne, Naruto?“, sprach Sakura mich irgendwann an, während wir auf die Entscheidung Yamatos warteten, was wir mit Sai anstellen sollten. Er saß von Holz gefesselt vor uns gegen einen Felsen gelehnt. Ich konnte es noch immer nicht fassen, dass er sich auf Orochimarus Seite gestellt hatte. Allmählich hatte ich das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wem ich noch trauen konnte und wem nicht. „Wovon hast du vorletzte Nacht geträumt?“, wollte Sakura auf einmal wissen. Ich schaute sie überrascht an. Warum sollte sie mich so etwas fragen? Aus heiterem Himmel? Außerdem vergaß man seine Träume doch wieder, oder nicht? „Hatte es etwas mit Sasuke-kun zu tun?“ Ich starrte sie nur an. Mein Kopf war vollkommen leer, bis auf die Frage: Was will Sakura von mir hören? Woher wollte sie überhaupt wissen, dass ich irgendetwas geträumt hatte? „Hatte es auch etwas mit Sai zu tun?“, fragte sie dann; ihre Stimme klang immer aufgeregter. „Hast du im Traum gewusst, dass wir ihm nicht trauen können?!“ Ich runzelte die Stirn, blickte zu Sai. Er schaute mich aufmerksam an, als wollte er ebenso eine Antwort auf diese Frage. Aber woher hätte ich das wissen sollen? Ich verstand nicht, worauf sie hinauswollte. „Hättest du es verhindern können, verdammt noch mal?!“, schrie sie mich an. „Sakura“, sagte Yamato streng. „Still. Wir sind dem Feind zu nahe, um so laut sein zu dürfen.“ „Gomennasai“, sagte sie kleinlaut und begann zu weinen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich verstand nicht, was passiert war. Alles erschien mir so unwirklich, als wäre es nur ein Traum. Doch Yamatos intensiver Blick zeigte mir, dass ich mich in der Realität befand. Er schaute mich an, als wollte er mich mit bloßen Augen zum Reden bringen. Doch ich wusste nicht, was er hören wollte. „Naruto-kun“, sagte er schließlich und ich blickte ihn hoffnungsvoll und furchtsam zugleich an. Ich wünschte mir, dass er mich aufklären würde, was hier gerade geschah. „Wir werden jetzt in Orochimarus Versteck eindringen. Wenn du noch irgendetwas weißt, das wir auch wissen sollten, dann sag es jetzt.“ Ich starrte Yamato nur mit offenem Mund an. Ratlos schüttelte ich den Kopf. Ich wusste nicht, wovon die beiden sprachen. Was alle drei, selbst Sai, zu wissen schienen. „Dann gehen wir jetzt“, sagte er abschließend. „Warum setzt du dich so für Sasuke ein?“, ergriff Sai plötzlich das Wort. „Warum liegt dir so viel daran, ihn zurückzuholen?“ Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Er hatte am wenigsten von allen das Recht, über Sasuke zu sprechen. Er kannte ihn nicht einmal. Er wusste überhaupt nichts über ihn. Wenn er auch nur ein weiteres Wort über ihn sagen würde, dann würde ich mich nicht zurückhalten, auch wenn er hilflos gefesselt vor mir saß. Ich machte einen Schritt auf ihn zu, wollte ihm das ins Gesicht sagen, doch bevor ich das tun konnte, sprach er weiter. „Ich habe ihn getroffen.“ Ich hielt inne. Mein kompletter Körper spannte sich an, als würde jeder Muskel auf diesen Satz reagieren. Er war ihm begegnet. Er hatte ihn gesehen, vor nur wenigen Minuten wahrscheinlich. Ein anderes, jedoch ähnliches Gefühl mischte sich meinem Zorn bei. Ich glaubte, dass es so etwas wie Eifersucht war. „Ich verstehe nicht, warum du ihn zurückhaben willst.“ Ich atmete tief ein, versuchte, mich zu beruhigen. Ich musste in Erfahrung bringen, was er wusste. Zuvor durfte ich ihm nichts tun. Doch ich verspürte den intensiven Drang, Sai zu verletzen. Ich wollte ihm ins Gesicht schlagen. Ich wollte ihn würgen. Ich wollte, dass er zu sprechen aufhörte. Doch er sagte: „Ihm bist du vollkommen egal.“ Mein Blick ging ins Leere. „Ignoriert ihn“, befahl Yamato. „Lasst ihn reden. Und lasst uns gehen.“ Er wandte sich von Sai ab, doch ich blieb stehen. Ich konnte und wollte mich nicht von der Stelle rühren. „Naruto“, sagte Sakura leise. Ich wusste nicht, ob sie erstaunt klang oder beruhigend klingen wollte, weil sie mich davon abhalten wollte, auf Sai loszugehen. Ich spürte alle Blicke auf mir, als ich entschlossen sagte: „Ich werde Sasuke zurückholen.“ Sai schaute mich nur ausdruckslos an. „Ich werde dafür kämpfen. Ich werde alles tun, was dazu nötig ist. Und wenn Orochimaru mich in Stücke reißt – ich werde Sasuke zurückholen.“ Nach diesen Worten lief ich, entschlossener denn je, auf den von Yamato geschaffenen Eingang zu. Als ich jedoch das singende Geräusch einer Klinge im Wind hörte, sprang ich instinktiv zurück – kurz bevor mich eine Handvoll Kunai durchbohrt hätte. „Wirst du nicht“, sagte eine männliche Stimme, die mir bekannt vorkam, und plötzlich stand Kabuto schützend vor Sai. Sein Anblick ließ mich rot sehen. Dieser Mann war die rechte Hand von Orochimaru. Er hatte ihm geholfen, schon damals im Chuunin-Turnier, Sasuke mit dem Mal Orochimarus zu versehen. Ihm diesen Virus einzupflanzen, der wahrscheinlich der Hauptgrund war, weshalb Sasuke sich überhaupt dazu hatte bringen lassen, zu Orochimaru zu gehen. Ich wusste, wenn ich die Gelegenheit bekommen würde, würde ich ihn umbringen. „Kagebunshin no Jutsu!“ Ich zögerte nicht, ging auf ihn los. Er wich jedem meiner Angriffe aus, mit wie vielen Kagebunshin ich ihn auch gleichzeitig zu attackieren versuchte. Er war einfach zu schnell. Yamato und Sakura versuchten es ebenfalls, doch auch sie bekamen ihn nicht zu fassen, weder mit ihren Händen, noch mit seinen Holzblöcken, die er aus dem Boden heraufbeschwor. Kabuto gelang es dabei sogar noch, Sai aus der Schusslinie zu bringen. Er brachte einen sicheren Abstand zwischen die beiden und uns, und befreite Sai aus seinem Holzgefängnis. „Was Sai gesagt hat, ist die Wahrheit“, begann Kabuto unvermittelt und machte einen Schritt auf uns zu. „Den Sasuke, den du kennst, gibt es nicht mehr.“ Wut erfüllte mich. Keiner hatte das Recht, über Sasuke zu urteilen. Niemand der hier Anwesenden kannte Sasuke auch nur annähernd so gut wie Sakura und ich. Ich wusste, dass die Chance bestand, dass sie Recht hatten, doch ich würde es mit meinen eigenen Augen sehen wollen. Und selbst dann würde ich ihn mit nach Konoha zurücknehmen und dort alles daran setzen, ihn wieder zur Vernunft zu bringen. Das Siegel Orochimarus musste irgendwie zerstört werden können. Es gab immer einen Weg. Man musste ihn nur finden. Und in diesem Fall würde ich ihn definitiv finden. Ich wollte Kabuto das Maul stopfen, doch ich wusste, dass er einfach viel zu schnell für mich war. Meine angespannten Arme zitterten vor Wut. Es machte mich wahnsinnig, diese Machtlosigkeit. Ich musste doch etwas tun können. Wenn ich nur schnell genug wäre, dann würde ich es aus Kabuto herausprügeln, wo Sasuke sich aufhielt. Plötzlich, als könnten meine Gedanken ihm bereits die Schmerzen bereiten, die ich ihm zufügen wollte, ging Kabuto in die Knie. Sai stand hinter ihm und hatte ihn sicher in seinem Griff. „Jetzt, Yamato-taichou.“ Nach einer überraschten Sekunde Reaktionszeit formte unser Teamleiter mit seinen Händen die notwendigen Zeichen und ließ einen Käfig aus Holz um Kabutos Körper entstehen. „Sai“, entfuhr es mir. Ich wusste nicht mehr, was ich von ihm halten sollte. Auf welcher Seite stand er nun? „Ich will euch helfen“, sagte er nur zur Erklärung. „Euch und Sasuke.“ Und seltsamerweise vertraute ich ihm. Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, warum. Wir mussten weiter. Wir mussten Sasuke finden. ~ „Sasuke-kun“, hörte ich die Stimme Orochimarus. „Wir haben Besuch.“ Ich öffnete die Augen, auch wenn ich bereits wusste, was ich am Eingang der Halle vorfinden würde. „Das ist Sai, ein junger Shinobi aus Konoha.“ Jetzt öffneten sich meine Augen ein Stück weiter. Aus Konoha? Das hatte ich nicht vorhergesehen. Sofort fluteten mich Erinnerungen an meine Heimat. An die letzten Stunden, die ich dort verbracht hatte. An die Person, die mich dort hatte fallen lassen, nur um mir zu folgen, damit ich sie ebenfalls fallen lassen konnte. Ich konnte die Bilder jetzt nicht aufhalten, sie strömten aus meinem Unterbewusstsein, freigelassen von dieser einen Information; alles, was ich tun konnte, war, es mir nicht anmerken zu lassen, dass es so war. Ich beäugte Sai kritisch, fragte mich, wozu er hier war. Lange blieb mein Blick an seinem Stirnschutz hängen, der mich so sehr an den Kampf mit Naruto erinnerte. Jetzt kam es mir alles, was damals passiert war, nur wie ein Traum vor. Meine Erinnerungen waren verzerrt, so gewaltsam hatte ich sie zu verdrängen versucht. So oft hatte ich sie im Traum verformt. Im nächsten Moment ergriff Sai das Wort: „Wie ich höre, bist du der Grund, weshalb Naruto-kun und Sakura-san losgezogen sind.“ Mein Herz blieb einen Moment stehen. Seit Jahren hatte ich diese Namen nur noch in meinen Träumen und Gedanken gehört; niemand hatte sie seither je laut ausgesprochen. Niemand. Nicht einmal ich selbst. Jedes Mal, wenn ich in meiner Verzweiflung in die Versuchung gekommen war, hatte ich meine Kiefer aufeinandergepresst oder mir auf die Zunge gebissen. Und dieser Junge hier sagte seinen Namen so selbstverständlich, als würde er es jeden Tag tun. Sagte er die Wahrheit? War Naruto wirklich auf der Suche nach mir? Zeitweise hatte ich fast die Zuversicht verloren, dass ich ihn jemals wiedersehen würde. Hoffnung wollte jetzt in mir aufkeimen, doch ich erstickte sie sofort. Wenn er mich suchte, dann sicher nur, um Rache zu üben. Um den Verräter, der ich war, zu bestrafen. „Du hast gesagt, du trainierst heute Nachmittag mit mir, Orochimaru“, wich ich dem gesamten Thema aus und stand auf. Ich wollte hier weg. Ich wollte kein weiteres Wort aus dem Mund des jungen Shinobi hören. Er hatte schon genug Schaden angerichtet mit seiner Anwesenheit und diesem einen Satz. Ich suchte den Blick meines Trainers und versuchte, meine Augen dabei nicht zu Sai schweifen zu lassen. „Ich habe viel über dich von Naruto-kun gehört“, redete dieser jedoch einfach weiter, als hätte ich mit ihm gesprochen. Meine Augen fokussierten sich ungewollt auf ihn. Auf seine freien Arme und Beine, seinen entblößten Bauch. Ich spießte ihn auf mit meinem Blick, so wie er mein Herz aufspießte mit seinen Worten. „Aber ich begreife noch immer nicht, was ihm an dir liegt. Wie er noch Hoffnung haben kann, dass du irgendwann nach Konoha zurückkehren wirst.“ Mein Atem stockte. Mein Herz schlug in doppeltem Tempo weiter. „Ich verstehe es nicht. Was verbindet euch denn überhaupt noch?“ Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Es war, als hielt er tatsächlich meine Brust fest. Als hätte er mein Herz in eisernem Griff, weil er wusste, wofür es schlug. Ich glaubte zu begreifen, dass er ein Genjutsu auf mich angewandt hatte, versuchte, es aufzulösen, doch es funktionierte nicht. Es war die Realität. Es waren nur seine Worte, die mich in einen Bann gezogen hatten. „Und nicht nur Naruto-kun“, fuhr Sai fort. „Bei Sakura-san ist es nicht anders.“ Mein gesamter Körper spannte sich an. Die Erwähnung Sakuras ließ die schrecklichen Bilder wieder aufkommen, wie Naruto nur Augen für sie hatte, wie er einen Arm um sie gelegt hatte, wie sie zusammen mein Zimmer verlassen hatten. Der Zorn, der in mir aufwallte, holte mich wieder in das Jetzt und Hier zurück. Und ich wusste, was ich tun wollte. Ich wollte Sai bestrafen für das, was er mir gerade antat. Ich benutzte mein Sharingan, um ihn Todesangst spüren zu lassen. Er sollte leiden. Er sollte bereuen. Und er sollte wissen, dass ich ihn umbringen würde für das, dass er scheinbar meinen ehemaligen Platz zwischen Naruto und Sakura eingenommen hatte. „Hör auf, Sasuke“, befahl Orochimaru und ich wandte nach einem Moment den Blick ab. Fürs Erste würde es ihm eine Lehre sein; das konnte ich an seinem kreidebleichen, von Schweiß überzogenen Gesicht sehen. Und ich würde schon noch eine Gelegenheit haben, ihn umzubringen. „Gehen wir“, sagte ich nur, bevor ich zielstrebig auf den Seitenausgang zuging und den Raum verließ. Orochimaru folgte mir zu einem unserer Trainingsräume. Ich versuchte, meine Gedanken zurückzudrängen, an nichts zu denken außer an mein Ziel, wollte meine Wut für mein Training nutzen, doch schon nach kurzer Zeit brach Orochimaru ab. „Du bist gerade nicht konzentriert genug“, sagte er streng. Er schien enttäuscht und verärgert, doch wie immer ließ er sich nicht viel davon anmerken. Erst wenn er einen gewissen Punkt erreicht hatte, rastete er aus und dann konnte es gefährlich für mich werden. „Ruh dich ein wenig aus“, sagte er jetzt jedoch ruhig. Es war, als zeigte er Verständnis für meine momentane Situation. Ich wusste jedoch, dass es nicht so war. Er war beunruhigt. Beunruhigt, was die Erwähnung von Narutos Namen bei mir anrichten konnte. „Wir können auch später noch trainieren.“ Ich nickte nur und verließ den Raum. Meine Hände waren zu Fäusten geballt, als ich durch die Korridore zu meinem Zimmer ging. Ich warf die Tür so fest hinter mir zu, dass sie ins Schloss fiel und wieder heraussprang. Ich schlug meine Faust gegen das Holz und zwang es so an seinen Platz. Ausruhen sollte ich mich. Ich schnaubte. An Ruhe war nicht zu denken. Weder für meinen Körper noch für meinen Geist. Rastlos ging ich in meinem Zimmer auf und ab. Ich hatte es geahnt, dass es irgendwann so kommen würde. Ich hatte versucht, mich mental darauf vorzubereiten, dass ich auch außerhalb von meinem Kopf wieder mit ihm konfrontiert werden würde, selbst wenn es nur sein Name, die simple Erwähnung dessen, war. Ich hatte nur gehofft, dass ich mich bis dahin besser im Griff haben würde. Diese Schwäche auch noch Orochimaru zu zeigen, war das Fatalste an der Sache. Früher oder später würde es ihn vielleicht doch noch dazu bringen, Naruto zu beseitigen, bevor er Akatsuki in die Hände fiel. Und davor fürchtete ich mich am meisten. Das wiederum war der Ansporn für mein Training. Meine Motivation, stärker zu werden, um Akatsuki die Stirn bieten zu können. Mein absolutes Ziel war es, alle Mitglieder der Organisation, allen voran Itachi, zu töten und sie davon abzuhalten, sich an der Macht der Jinchuuriki zu bereichern ¬– Jinchuuriki, wie Naruto einer war. Orochimaru hatte mir erzählt, was Akatsuki mit denjenigen vorhatte, die einen Bijuu in sich versiegelt trugen. Gaara hatte es bereits getroffen. Er hatte unter ungewöhnlichen Umständen sogar überlebt, doch da würde er der Einzige der Jinchuuriki bleiben, der so viel Glück hatte. Niedergeschlagenheit übermannte mich. Ich fühlte mich so machtlos. Ich hatte immer gedacht, Orochimaru wäre derjenige, der unübertroffene Stärke besaß. Doch da hatte ich mich getäuscht. Schon bald hatte ich herausgefunden, dass er noch keine Chance gegen Akatsuki hatte. Er selbst versuchte – wie ich – die Macht zu erlangen, etwas gegen sie ausrichten zu können. Manchmal war ich mir nicht ganz sicher, ob ich nicht sogar bereits stärker war als er. Und ob ihn das nur deshalb nicht störte, weil er ohnehin bald meinen Körper mit all seinen Kräften besitzen würde. Diese Gewissheit verdrängte ich immer wieder erfolgreich aus meinem Kopf. Es jagte mir etwas Angst ein, nicht zu wissen, wie es sein würde, wenn Orochimaru meinen Körper übernahm. Und ich hatte Albträume davon, dass Orochimaru nicht nur die Mitglieder Akatsukis zur Strecke bringen würde, sondern auch – ohne zu zögern – Narutos Leben mit meinen Händen auslöschen würde. Hin und wieder dachte ich darüber nach, ob ich denn noch eine Chance hatte, aus diesem Teufelskreis wieder herauszukommen. Ob ich möglicherweise sogar nach Konoha zurückkehren dürfte, wenn ich Orochimaru, der mir sicherlich bereits vertraute, umbrachte und dem Hokage gegenüber behauptete, nur ein Spion gewesen zu sein. Ein perfekt getarnter Maulwurf. Ob man mich am Leben ließe, wenn ich alle Geheimnisse Orochimarus, all sein Wissen über Akatsuki, an den Hokage weitergab. Ob man mit der Kraft Konohas und seiner Verbündeten eine Chance gegen diese mächtige Organisation hatte. Und ob all meine Probleme damit gelöst wären. Das größte davon war: Würde Narutos Bild von mir sich wieder reinwaschen lassen? Könnte er die letzten drei Jahre vergessen und mir verzeihen? Würde er mich zurück in seine Nähe lassen, wenn auch nicht direkt an seine Seite? Als ich von Konoha aufgebrochen war, hatte ich gedacht, dass es nichts Schlimmeres gäbe, als Naruto in den Armen einer anderen zu sehen. Doch die Jahre hier bei Orochimaru, in der Dunkelheit und Einsamkeit seiner Verliese, hatten mich gelehrt, dass es Schlimmeres gab. Und ich hätte alles dafür gegeben, die Zeit zurückdrehen zu können und mich noch einmal zu entscheiden, ob ich Konoha verlassen wollte. Ich spürte die Tränen mit einem beißenden Gefühl meinen Hals hinauf bis hinter meine Augen steigen, wo sie schließlich nach vorne schossen und schmerzhaft meinen Augapfel umflossen, als wäre es Säure, die ihn langsam zerfraß. So lange hatte ich mich davon abgehalten zu weinen. So lange hatte ich es geschafft, dem Drang nicht nachzugeben, auch wenn er mich immer wieder zu überwältigen versucht hatte. Seit dem Tag, nach dem ich ihn im Tal des Endes hatte bewusstlos liegen lassen, nach dieser Nacht, in der ich den ganzen Weg zu Orochimaru geweint hatte, hatte ich den seelischen Schmerz gewaltsam unter meine Kontrolle gebracht und es nicht wieder getan. Bis jetzt. Sai hatte all das wieder aufgewühlt, was ich schon beinahe erfolgreich in Emotionslosigkeit ertränkt hatte. Jetzt war es zu spät, der Damm war gebrochen. Ich konnte die Wassermassen nicht aufhalten. Es gab nur einen, der das jetzt könnte. Wider meinen Absichten legte ich mich auf mein Bett, rollte mich zusammen und kauerte dort wie früher, als ich noch ein kleiner Junge gewesen war. Ich wusste, dass ich mich wie ein Kind verhielt, doch so fühlte ich mich gerade auch: klein, einsam und hilflos. Die Tränenspuren auf meinen Wangen waren getrocknet, waren mehrere Male erneut überflutet worden und abermals getrocknet, als ich eine Aura vor meiner Tür spürte. Sofort erstarrte ich und lauschte mit offenen Augen. Die Tür öffnete sich nahezu geräuschlos. Ein absurder Gedanke ging mir durch den Kopf: Naruto ist hier. Aber ich wusste, dass das keine Eingebung war. Es war nur Wunschdenken. „Ninpou: Choujuu Giga“, hörte ich eine Stimme flüstern, die ich als Sais wiedererkannte. Das leise Hissen von Schlangen erfüllte den Raum. Sie kamen näher. Er hatte also den Spieß umgedreht. Jetzt versuchte er, mich zuerst zu töten. Ich fragte mich, warum. Ich fragte mich, ob er deshalb hier war. War die Erwähnung von Naruto Teil seines Plans gewesen? Hatte er mich damit schwächen wollen? Woher hatte er von dieser Schwäche erfahren? Hatten Naruto und Sakura ihn geschickt? Um mich zu töten? Um das dritte Rad am Wagen zu zerstören, das in die falsche Richtung gerollt war? „Was ist deine Aufgabe?“, fragte ich ohne Einleitung. Es dauerte einen Moment, bis er antwortete. Zu schockiert war er wohl darüber, dass ich ihn bemerkt hatte. „Der Auftrag, den mir Danzou gab, ist, dich zu töten“, sagte er sachlich. Das Hissen der Schlangen kam nicht mehr näher. Sie waren bereits bei mir. Sie warteten nur darauf, zubeißen zu dürfen. Doch zuvor wollte er mir scheinbar noch etwas sagen. „Aber ich bin hier, um dich nach Konoha zurückzubringen.“ Meine Augen weiteten sich. Ich starrte durch die Wand vor mir hindurch. Mit dieser Aussage hatte ich nicht gerechnet. Ich wollte sie nicht glauben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es so war. Niemand wollte mich wirklich zurück in Konoha haben. Alle sahen nur einen Verräter in mir. Ich war ein Nukenin. Eine Gefahr für das Dorf. Selbst Naruto hatte wahrscheinlich nur meinen Kopf gewollt, als er mich bis zum Tal des Endes verfolgt hatte. Auch wenn er anderes behauptet hatte. „Ich will diese Bande zwischen euch beschützen“, erklärte Sai und brachte mich damit komplett aus der Fassung. „Bande?“, echote ich wie in Trance. Ich wollte, dass er mir erläuterte, was genau er meinte. Was man ihm gesagt hatte, was uns verband. Ob Naruto tatsächlich mit ihm darüber gesprochen hatte. Ohne zu spotten. Vielleicht tat es ihm leid, was er getan hatte. Vielleicht war auch das der Grund gewesen, warum er mir bis ins Tal des Endes gefolgt war. Vielleicht wollte er sich bei mir entschuldigen. Vielleicht hatte er eingesehen, dass es falsch gewesen war. Vielleicht hatte er seine Gefühle für mich nur verleugnet, weil Sakura ihnen auf die Schliche gekommen war. Doch dann sagte Sai: „Diese Freundschaft zwischen euch dreien.“ Wut erfüllte mich. Das hatte man ihm also gesagt? Dass wir Freunde wären? Naruto, Sakura und ich? „Und dafür hast du meine Ruhe gestört?“, sagte ich bitter. Ich hörte Sai nach Luft schnappen. Er konnte die Kälte meiner Frage wohl spüren. Und er konnte es ahnen, dass ich vorhatte anzugreifen. Im nächsten Moment fielen mich die Schlangen an, wanden sich um meinen Körper, um mich bewegungsunfähig zu machen. Meine Geduld war am Ende. Mein Zorn explodierte und legte die umliegenden Korridore in Schutt und Asche. ~ Ich rannte durch die scheinbar endlosen Korridore von Orochimarus untererdigem Versteck. Eine gewaltige Explosion hatte eben diese Steinmauern erschüttert. Sofort wusste ich, wer gerade aufeinandergetroffen war. Trotzdem versuchte ich, nicht an Yamatos Worte zu denken. Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass er Recht haben und es tatsächlich Sais geheime Mission sein könnte, Sasuke auszuschalten. Jetzt sah ich Licht am Ende des Tunnels. Ich war meinem Ziel bereits so nahe. Ich konnte es spüren. Dann erblickte ich Sai, der ohne Waffe in den Händen dastand und nach oben schaute. Ich erreichte ihn, folgte seinem Blick gegen das gleißende Sonnenlicht mit einer eindeutigen Vorahnung. „Sasuke“, entfuhr es mir. Ich blieb stehen. Ich hatte es gewusst, dass er es sein musste, der dort oben stand. Dennoch überwältigte mich diese Tatsache. Ich wusste nicht recht, ob ich es glauben durfte. Ob nicht all das hier ein Trick war. Ein Traum wahrscheinlich. So unwirklich wie sich alles für mich anfühlte. Zweieinhalb Jahre waren vergangen, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte. Man konnte die Veränderung des Alters Sasuke deutlich ansehen. Er war sicherlich ein oder zwei Köpfe gewachsen und sein Körper, dessen Brust zur Hälfte frei lag, erschien mir jetzt muskulöser, männlicher. Die Haarsträhnen fielen ihm länger ins Gesicht. Und doch war es jetzt weniger verdeckt als damals. Früher hatte er immer seinen Stirnschutz getragen, der die komplette Stirn verdeckt hatte. Jetzt sah man mehr von der blassen Haut, die ich berühren wollte. Ich wollte sie unter meinen Fingern spüren. Ich wollte mich versichern, dass er nicht nur eine Fata Morgana war. Aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich wollte zu ihm, aber mein Körper bewegte sich nicht von der Stelle. Es schien, als hätte Sasuke die Zeit angehalten. Als wären wir alle gefangen in diesem Moment der Wiedervereinigung, von der keiner wusste, ob sie erfolgreich sein würde. Der Einzige, der das entscheiden konnte, war Sasuke. Doch er schien sich diesem Umstand nicht bewusst. Er war die Ruhe selbst. Es schien fast, als langweilte ihn diese Stille. Aber keiner wagte, sie zu zerstören. Keiner rührte sich. Alle warteten, was passieren würde. Alle warteten auf Sasuke. Auf irgendeine Reaktion. Sie kam nicht. Meine Beine begannen zu zittern. Ich konnte es nicht fassen, dass ich ihn endlich gefunden hatte. Dass er dort oben stand, unversehrt. Kein einziger dieser schwarzen Flecken im Gesicht oder an einem anderen Teil seines Körpers, wie es schien. Seine Augen waren dunkel, keine Spur mehr von dieser unnatürlich orangenfarbenen Iris. Ich hoffte auch, dass ich diese grässlichen dunklen Flügel nie wiedersehen musste, die ich zuletzt aus seinem Rücken hatte sprießen sehen. Nur das Mal in seinem Nacken war geblieben von dieser Zeit. Aber das würde ich in Kauf nehmen. Ich würde es küssend annehmen, wenn Sasuke mich nur ließ. Ich würde es küssen wie in der Nacht vor zweieinhalb Jahren. Ich wusste, dass ich mir gerade Hoffnungen machte, dass ich noch eine Chance hatte, exakt den Sasuke zurückzubekommen, der damals Konoha verlassen hatte. Mein Verstand sagte mir, dass das nicht ging, zu viel hatte sich verändert, zu viel war passiert, zu unwahrscheinlich war es, dass er zurückkommen wollte. Doch ich wollte nicht auf meinen Verstand hören. Ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Auch wenn man Sasuke keine allzu große äußerliche Veränderung anmerken konnte, während er scheinbar seelenruhig auf uns hinabblickte, spürte ich, dass sich doch einiges gewandelt hatte. Etwas war definitiv anders. Er wirkte anders auf mich. Seine Körperhaltung war auf jeden Fall eine andere; er hatte sein Kinn weiter angehoben als früher, auch wenn es dort oben stehend erst recht keinen Grund dazu gab; er hätte so oder so auf uns herabschauen müssen. Seine Pose erweckte auch deshalb einen anderen Eindruck, da er nicht mehr seine Hände in den Hosentaschen hatte. Eine Hand hatte er in die Hüfte gestemmt; sie schien noch an diese alte Angewohnheit erinnern zu wollen. Er wirkte so irgendwie selbstbewusster. Wie jemand, der schon die halbe Welt gesehen hatte. Er wirkte freier. Wie der Wind, der mit seinen Haaren spielte. Er wirkte offener. Wie das Gewand, das kaum seine Brust verdeckte. Selbst sein Chakra fühlte sich etwas anders an. Und doch war es immer noch eindeutig Sasuke. Für mich war er unverwechselbar. Er hätte sich noch so verändert haben können, ich hätte ihn überall wiedererkannt. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob das auf Gegenseitigkeit beruhte. Seine Augen schauten mit einer Leere zu mir hinab, als erkannte er mich gar nicht. Das Geräusch einer Klinge, die an Metall schleifte, ließ mich entsetzt zur Seite sehen. Sai zog sein Schwert. „Nein!“, schrie ich und stürmte auf ihn zu. Er hielt inne, verharrte mit seiner Schwertspitze noch hinter seiner Schutzhülle verborgen. „Er wird uns alle umbringen“, sagte er ernst. „Er lässt nicht mit sich reden, Naruto-kun. Gib es auf.“ Ich hatte ein Déjà-vu. Ich hatte das Gefühl, ich hatte ihn eben diese Worte schon einmal sagen hören. Doch wann? Wo? Wie konnte das sein? „Nein!“, schrie ich trotzdem bestimmt. Sai starrte mich nur an. Ebenso spürte ich Sasukes Blick auf mir. Ich schaute wieder zu ihm auf. Er rührte sich noch immer nicht. Niemand rührte sich. Und doch glaubte ich zu wissen, dass gleich etwas passieren würde. Dieses Wissen war irgendwo in diesem gerade so verwirrten Kopf von mir, doch es wollte mir nicht einfallen. Ich wusste nur, dass gleich etwas passierte. Doch ich wusste nicht, was. Plötzlich setzte Sasuke sich in Bewegung. Er kam den steilen Abhang hinunter. Zu mir. Ich hörte sein Gewand im Wind flattern. Keine Sekunde schien vergangen, da stand er auf einmal vor mir und legte einen Arm um mich. Mein Herz blieb stehen. Der Wind, den er bei dieser unfassbar schnellen Bewegung mitbrachte, wehte sachte um mein Gesicht. Er roch nach ihm. Es war Sasukes unverwechselbarer Duft – er hatte sich nicht verändert. Mein Herzschlag setzte wieder ein, als ich Sasuke einatmen hörte. „Naruto“, sagte seine Stimme so unglaublich nahe an meinem Ohr, wie ich nicht gedacht hätte, dass ich sie je wieder hören würde. Auch sie hatte sich verändert. Sie war tiefer geworden. Vielleicht war es jedoch auch nur sein Tonfall. Vielleicht wollte er, das nur ich seine Worte verstand. „War es nicht dein Traum, Hokage zu werden?“ Ich konnte nur weiterhin mit weit geöffneten Augen geradeaus schauen. Ich sah die Felsklippe vor mir jedoch nicht. Ich sah nur die Tatsache, dass Sasuke bei mir war. Dass er direkt vor mir stand. Dass er sanft meine Schulter berührte. Dass er mit mir sprach. Dass er meinen Namen gesagt hatte. „Warum bist du dann hier?“, fragte er weiter und es war wie ein Schlag in die Magengrube. „Solltest du nicht besser dafür trainieren?“ Meine Augenbrauen zogen sich etwas zusammen. Es tat weh, seine spöttischen Worte zu hören. Doch was hatte ich erwartet? Ich atmete zitternd ein. Ich hoffte, dass er das nicht hören konnte. „Jemand, der nicht einmal einen einzigen Freund retten kann, sollte nicht Hokage werden“, erklärte ich verbissen. Ich war selbst überrascht, wie sicher meine Worte klangen. Sasuke schwieg. Er verharrte in seiner Position. Ich konnte ihn ruhig atmen hören. Ich wollte mir einbilden, dass er sich wohl fühlte in meiner Nähe. Dass er diesen Moment absichtlich so lange hinauszögern würde, wie er nur konnte. Dass er ihn genießen würde, solange man ihn ließ. Ebenso wie ich es tat. Ich hörte erneut das Geräusch von schleifendem Metall. Dieses Mal kam es jedoch von direkt vor mir. Sasuke zog sein Schwert. Das Blut in meinen Adern gefror. Ich konnte es nicht fassen. Ich wollte etwas sagen, doch ich wusste nicht, was. Ich wollte ihm vertrauen, doch ich wusste nicht, wie. Ich wollte hoffen – und ich wusste nur zu gut, worauf. Sasukes Arm hob sich, streckte sich immer weiter. Ich konnte es nicht sehen, doch ich spürte es an dem leichten Druck, den sein anderer Arm auf meine Schulter ausübte. Und ich hörte es, wie die Klinge die Schwertscheide verließ und in der Stille summte. Noch ein, zwei Sekunden verstrichen, bis der Gesang des Metalls verstummt war. Das war der Moment, in dem ich mich an meinen Traum erinnerte. Meine Augen weiteten sich. Ich sah in rascher Abfolge die Bilder wieder vor mir, wie Sasukes Körper nach vorne zuckte, wie Sais Schwertspitze aus seiner Brust herausragte, wie all das Blut überquoll und Sasuke dennoch versuchte, mir etwas zu sagen. „Nein!“, schrie ich automatisch und griff um Sasukes Oberkörper, stieß mich vom Boden ab und sprang die steile Klippe hinauf. Ich hörte Sasuke an meinem Ohr keuchen, spürte, wie sich seine Hand in meine Schulter grub, um sich fest- und die Balance halten zu können. Oben angekommen, schaute ich zuerst panisch zu Sai hinab, der jedoch noch immer an Ort und Stelle stand, den Griff seines Schwertes in der Hand, aber er hatte es noch immer nicht vollständig herausgezogen. Er war vollkommen perplex. Ich ebenso, denn ich hatte erwartet, dass dasselbe passieren würde wie in meinem Traum. Dass Sai angreifen würde. Dass er Sasuke umbringen würde. Und auch wenn es gerade Sasuke gewesen war, der sein Schwert gegen mich erhoben hatte, war die Angst, ihn durch Sais Hand zu verlieren, größer. Sie hatte mich zum Handeln gezwungen. Ich wollte Sasuke in Sicherheit wissen. Ich wollte die Chance, mit ihm zu reden. Ich wollte die Chance, ihn umzustimmen. Ich wollte die Chance, ihn zu verstehen. Dann blickte ich in Sasukes Augen und sah sein Erstaunen. Es war wohl berechtigt. Ich musste davon ausgehen, dass er vorgehabt hatte, mich anzugreifen, und dennoch hatte ich ihn einfach gepackt und ihn aus der Reichweite der anderen gerettet – der einzigen, die mich davor bewahren könnten, seinem Schwert zum Opfer zu fallen. Und Sasukes Hand war tatsächlich kampfbereit am Schaft seiner Waffe. Was vielleicht aber nur daran lag, dass er befürchtete, dass ich ihn angreifen würde. Dass dieser Sprung bereits Teil meiner Attacke war. Aber weiter ging er nicht. Er verharrte in dieser Position und starrte mich nur wortlos an. Er konnte es ebenso wenig begreifen wie ich, wie viel Vertrauen ich noch immer in ihn legen konnte. Niemand würde das wohl verstehen. Ich starrte zurück. Erst jetzt wurde ich mir deutlich bewusst, dass ich ihn noch immer festhielt. Und er hatte auch noch immer seine Hand an meiner Schulter. Jetzt ließen seine Finger langsam, unendlich langsam, locker, ohne mich jedoch vollkommen freizugeben. „Naruto!“, schrie Sai von unten herauf und ich hörte die Panik, die aus seiner Stimme sprach. Ich war mir sicher, dass er glaubte, dass Sasuke mich angreifen würde, oder mich gar bereits kampfunfähig gemacht hatte; schließlich starrte ich Sasuke nur noch an, als stünde ich bereits unter seinem Bann – ohne dass sein Sharingan zu sehen war. Ich war froh, dass er es gerade nicht zeigte. Das machte mir mehr Hoffnung, dass der alte Sasuke noch immer in ihm steckte. „Naruto-kun!“, schrie Sai ein weiteres Mal und ich hörte den Widerhall seiner Schritte von den Steinwänden, als er zu uns heraufgerannt kam. Meine Augen weiteten sich erschrocken. Ich wusste, dass ich Sasuke vor Sai beschützen musste. Dass ich mit Worten diese Situation nicht mehr rechtzeitig retten konnte. Ich wandte mich um, zog zwei Kunai aus meiner Tasche und stellte mich mit ausgebreiteten Armen und bewaffneten Händen Sai in den Weg. Ich hörte Sasuke nicht weit von meinem Ohr erneut überrascht einatmen. Er war fassungslos. Sai dagegen schien damit gerechnet zu haben. Seine Gesichtszüge verhärteten sich. Er würde sich an mir durchkämpfen, das wusste ich. Und er würde es vielleicht sogar schaffen, denn zu sehr lenkte mich Sasukes Nähe ab. Sein Arm war noch immer um mich gelegt, schwebte jetzt jedoch ein Stück über meiner Schulter und berührte mich stattdessen am Hals. Er hatte ihn wahrscheinlich wegnehmen wollen, als ich mich urplötzlich umgedreht hatte, war dann jedoch in der Bewegung erstarrt. Ich versuchte, diese Tatsache und seine Nähe auszublenden, konzentrierte mich auf Sai, der rasant näherkam. Hinter ihm, wie ich aus dem Augenwinkel sah, rannte nun auch Sakura los. Ich atmete tief ein, verkrampfte meine Finger um die Kunai in meinen Händen, und wartete auf den richtigen Moment, um sie einzusetzen. Doch er kam nicht. Denn plötzlich drückte Sasukes Arm sich gegen meine Kehle. Entsetzt schnappte ich nach Luft. Er würde doch nicht… Ich hörte wieder Metall gegeneinander schleifen. Dann griff auch noch sein zweiter Arm um meinen Bauch wie eine Schlange, zog mich nach hinten, und ich hoffte im ersten Moment sogar noch, dass er mich an sich pressen würde, dass er mich umarmen wollte, dass er mich bei sich haben wollte in seiner letzten Minute, doch er war nicht mehr da – ich fiel. Erschreckt wollte ich meine Arme nach hinten ausstrecken, um mich abzufangen, doch damit wirbelte ich nur den schwarzen Nebel um mich herum auf, der mich einzuschließen und das Tageslicht auszusperren drohte. Es wurde für einen Augenblick vollkommen dunkel um mich, dann spürte ich etwas gegen mein Schlüsselbein pressen und auf einmal hatte ich wieder festen Boden unter meinen Füßen. Mit einem sanften Windstoß war der seltsame Nebel um mich herum verschwunden und ich sah Sasukes Hände, die mich sicher festhielten. Mein Atem ging schnell, mein Herz raste, meine Finger krallten sich in die Haltegriffe der Kunai in meinen Händen. Ich starrte mit weit aufgerissenen Augen vor mich in den Wald hinein. Sonnenlicht fiel durch die Blätter und tanzte auf dem Gras unter uns. „Naruto.“ Ich konnte es kaum glauben, dass es tatsächlich noch Sasukes Stimme war, die direkt an meinem Ohr sprach. Ich wusste nicht mehr, wo ich war, wusste nicht, wo die anderen waren, wusste nicht, was eben passiert war; woher sollte ich sicher wissen, dass Sasuke noch bei mir war? Wie konnte ich so sicher sein, dass dies Sasukes schlanke Hände waren? Ich hatte gedacht, jemand anderes hätte mich aus diesem Albtraum gerettet und würde mir gleich sagen, dass wir Sasuke noch nicht gefunden hatten. Abgesehen von meiner Brust, die sich rasch hob und senkte, rührte ich mich nicht. Ich wusste auch nicht, was ich tun sollte. Sasukes Hand war noch immer an meinem Bauch, die andere, die er an mein Schlüsselbein gepresst hatte, um mich vor dem Fall zu bewahren, lockerte allmählich ihren Halt und zog sich zurück. Erst jetzt begriff ich, dass er längst meine Kehle wieder freigegeben hatte. Ich schluckte, konnte jedoch danach noch immer nicht sprechen. Sasuke schien es nicht anders zu gehen. Er schwieg, wartete. Ich glaube, wir wussten beide nicht, worauf. Es verging eine Ewigkeit, bevor er erneut meinen Namen sagte. „Naruto.“ Ich drehte mich nicht um. Ich wusste nicht, wie ich ihm ins Gesicht sehen sollte. Als er allerdings seine Hand nun auch noch von meinem Bauch nahm und mir somit das unausgesprochene Recht entzog, bei ihm stehen bleiben zu dürfen, ließ ich die Kunai in meinen Händen ins Gras fallen und wandte mich um. Auf unsicheren Beinen stand ich nun vor ihm, meine Hände hingen ungelenk und hilflos neben meinem Körper. Ich fühlte mich so schutzlos ausgeliefert wie noch nie. Als würde ich ihm meine Seele offenlegen, als ich nichts als seinen Namen sagte. „Sasuke.“ Er schaute mich an, als wäre es wirklich so. Als sähe er plötzlich so tief in mich hinein, dass er nicht mehr sicher sein konnte, selbst wieder herauszufinden. ~ „Naruto“, sagte ich zum zweiten Mal. So lange hatte ich es mir verboten, diesen Namen auch nur zu denken, geschweige denn, ihn laut auszusprechen. Warum tat ich es jetzt? Warum hatte ich ihn hierhergebracht, anstatt ihn anzugreifen, als ich die perfekte Gelegenheit dazu gehabt hatte? Warum hatte ich mein Schwert weggesteckt und zog es auch jetzt nicht mehr in Erwägung, es wieder hervorzuholen? Er stand noch immer reglos mit dem Rücken zu mir. Er würde nicht ausweichen, das wusste ich jetzt. Er hatte es nicht getan, als ich die Felsklippe hinuntergekommen war, und er hatte sich nicht von der Stelle gerührt, als ich mein Schwert gezogen hatte. Entweder wollte er, dass ich ihn umbrachte, oder er war wirklich so gutgläubig zu denken, dass ich es auch dieses Mal nicht tun würde, nur weil ich ihn schon damals im Tal des Endes verschont hatte. Ich hatte meine Hand noch immer an seinem Bauch liegen. Je mehr Sekunden verstrichen, desto weniger Gründe konnte ich finden, sie noch länger dort zu halten. Langsam zog ich sie weg, als hoffte ich, dass er es nicht bemerken würde. Doch natürlich tat er das. Er reagierte nach einer kurzen Verzögerung und ließ, zu meiner Verwunderung, die Kunai aus seinen Fingern gleiten. Dann wandte er sich zu mir um und nahm mir fast den Atem. Ich hatte ihn von der Klippe aus bereits betrachtet, doch es war kein Vergleich dazu, ihn jetzt aus der Nähe zu sehen. Er sah erwachsener aus. Er schien ebenso schnell an Höhe gewonnen zu haben wie ich. Wir hatten noch immer dieselbe Größe. Wir waren auf einer Augenhöhe. Seine Statur war kräftiger, seine Schultern schienen breiter geworden zu sein. Seine Haare waren etwas länger als früher; einige Strähnen hingen wild über seinen Stirnschutz. Sein Gesicht war nicht mehr so rundlich wie früher; alles Kindliche war aus seinen Zügen verschwunden. Er wirkte ernster. Die Vorstellung, dass er noch immer so viel lachte wie damals, war unmöglich. Ich hatte ihn noch nicht einmal lächeln sehen. Etwas in mir krampfte sich zusammen. Ich wollte ihn lächeln sehen. Ich wollte, dass wieder alles wie früher war. Ich wollte, dass er sich darüber aufregte, dass die Missionen zu einfach waren. Ich wollte, dass er sich am Hinterkopf kratzte und sich dafür entschuldigte, dass er seinen Teil der Mission nicht erfüllt hatte. Dass er zu laut gewesen war und die Feinde auf uns aufmerksam gemacht hatte. Ich wollte, dass er mich mit einem Schmollmund ansah, weil Kakashi mich gelobt hatte, ihn aber nicht. Ich wollte, dass er die Arme verschränkte und „Bakasuke“ zu mir sagte. Ich wollte, dass er mich zu einem Trainingskampf herausforderte. Ich wollte sein Lächeln sehen, wenn ich die Herausforderung annahm. Ich schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. Ich durfte mich nicht von den schönen Erinnerungen einlullen lassen. Ich durfte mich nicht von Naruto in seinen Bann ziehen lassen. Auch jetzt sah er mich mit diesen großen Augen an, denen man nichts abschlagen konnte. Er würde mir sicherlich nur wieder etwas vorspielen. Sein einziges Ziel konnte nur sein, mich nach Konoha zu bringen, um dort die Belohnung für meinen Kopf einzukassieren. Der Hokage würde wahrscheinlich alles geben, um die Infos über Orochimaru von mir aus erster Hand zu bekommen. Das war sicher auch der Grund, weshalb er mich am Leben ließ. Weshalb er mich eben beschützt hatte. Vielleicht war er von Team 7 sogar der Einzige, der davon wusste. Der Einzige, der diese Spezialmission bekommen hatte. So gerne würde ich ihn einfach fragen, ob es so war. Doch er würde mir niemals eine ehrliche Antwort geben. Und vielleicht würde er mir auch überhaupt keine Antworten geben. Sein Mund blieb stumm. Sein Blick flehte dafür umso lauter. Ich war mir sicher, dass er glaubte, dass er mich allein damit überzeugen könnte, mit ihm zu gehen. „Wofür bist du hergekommen?“, fragte ich ihn jetzt direkt. Ich hielt die Stille nicht mehr aus und er schien nicht den Anfang machen zu wollen. Vielleicht würde er es mir sogar sagen. Vielleicht spielte es auch keine Rolle für ihn, ob er es mir sagte oder nicht, weil er ohnehin vorhatte, mich bewusstlos zurückzutragen. Wahrscheinlich konnte er sich gar nicht zurückhalten, weil es ihn in den Fingern juckte, wieder gegen mich zu kämpfen. Sein Blick wirkte im Moment jedoch eher, als könnte er keiner Fliege etwas antun. Und er hatte die Kunai fallen lassen. Nein. Er wollte nicht kämpfen. Noch nicht. Ich wusste nicht, womit ich gerechnet hatte. Oft hatte ich darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn wir wieder aufeinandertrafen. Ich hatte mich vor dieser Begegnung gefürchtet. All die Jahre lang. Nicht etwa, weil ich Angst hatte, er könnte so stark sein, dass er mich besiegen würde – ich war mir sogar ziemlich sicher, dass er mich schon im Tal des Endes hätte erledigen können, wenn er nur gewollt oder genug Kontrolle über sich gehabt hätte; ich hätte allenfalls Furcht verspürt vor dem, was mich erwartete, wenn er mich in Konoha auslieferte. Nein, es war hauptsächlich die Angst davor, wie er mich ansehen würde. Ob er es tatsächlich schaffen würde, mich ein weiteres Mal mit diesen glasklaren Augen zu täuschen. „Was willst du hier?“ „Ich will dich nach Konoha zurückholen, Sasuke“, antwortete er sofort, als hätte er nur auf diese Frage gewartet. Aber er schaute mich dabei an, als könnte er mich nicht verstehen. Als könnte er es einfach nicht begreifen, was mich von meiner Heimat fortgetrieben hatte. Dabei müsste er das am besten wissen. „Und wozu?“, fuhr ich ihn an. „Es gibt keinen Grund mehr für mich, in dieses Dorf zurückzugehen.“ „Warum?!“, brauste er auf. „Warum sind wir alle kein Grund für dich?“ Er schaute mich wütend an, seine Hände zu Fäusten geballt. „Wenn du schon nicht für mich zurückkehren willst, dann tu es mindestens für Sakura! Für Kakashi-sensei! Für dein Dorf!“ Meine Augen verengten sich zu Schlitzen. Aber ich wusste dennoch nicht, was ich darauf sagen sollte. Die Erwähnung Kakashis schmerzte mich. Doch die Erwähnung Sakuras noch mehr. „Was hat Orochimaru nur mit dir gemacht?“, wollte er jetzt wissen. In seiner Stimme schwang eine Besorgnis mit, die er nicht verbergen konnte. Oder: die er mich deutlich hören lassen wollte. Es klang fast übertrieben. „Wie konntest du dich nur so verändern? Ich erkenne dich fast nicht wieder…“ Der letzte Satz war kaum mehr als ein Flüstern. Ich schnaubte. „Du bist wirklich das Letzte. Treib deine Spielchen mit wem du willst, aber nicht mit mir. Kein zweites Mal.“ Er schaute mich verwirrt an, als wüsste er nicht, wovon ich sprach. Wie konnte er es nur zu leugnen versuchen? Glaubte er, nicht einmal drei Jahre würden alles aus meinem Gedächtnis löschen? Ich wandte mich um. „Geh nach Hause.“ Ich wartete einen Moment, bevor ich losging und hinzufügte: „Geh nach Hause und verwirkliche deinen Traum. Werde Hokage, so wie du es schon immer wolltest.“ Ich hörte ihn empört Luft holen. Dann schrie er: „Ich habe es dir eben schon gesagt! Wie soll ich Hokage werden, wenn ich nicht einmal einen einzigen Freund retten kann?!“ Ich hielt inne. Ja, dasselbe hatte er vorhin auch schon gesagt, doch es traf mich nichtsdestotrotz aufs Neue. Das war ich also für ihn? Nur ein Freund? Aus diesem Grund wollte er mich wiederhaben? Diese Worte klangen wie auswendig gelernt. Ich fing an zu lachen. Ich wusste nicht, was mehr wehtat. Die Schmerzen in meinem Kopf bei diesem fürchterlich ungewohnten und unechten Geräusch aus meinem Mund – oder die tiefen Stiche in meiner Brust. Ich wandte mich halb zu ihm um. „Was ist los, Naruto? Wieso lachst du nicht?“ Mein ganzer Körper erbebte bei dem Versuch zu lachen und ein fürchterlicher Schmerz durchfuhr mich, der mir die vielen Bilder zeigte, die ich über die Jahre so verzweifelt zu unterdrücken versucht hatte. Er riss an meinen Gesichtszügen und verformte sie zu einer gequälten Grimasse. Die Geräusche, die aus meiner Kehle kamen, waren alles andere als das, wozu ich sie zwingen wollte. Ich hielt eine Hand an meinen Bauch, dabei schmerzte das Lachen nicht nur dort, sondern überall. Ich war mir noch vor Kurzem so sicher gewesen, dass ich stark genug geworden war, um tatsächlich darüber lachen zu können. Ich hatte so hart dafür trainiert, um alles, besonders Naruto, hinter mir zu lassen, alle Bande zwischen uns zu trennen, und trotzdem fühlte ich mich so erbärmlich, so schwach, jetzt da ich ihm gegenüberstand. Ich versuchte, ihm diese Schwäche nicht zu zeigen. Diese Blöße würde ich mir nicht geben. Ich hatte abgeschlossen mit der Vergangenheit. Endgültig. „Ist es nicht genauso wie damals?“, fragte ich, noch immer belustigt klingend. Naruto blickte mich verständnislos an. Ich suchte sein Gesicht ab, nach irgendeinem Hinweis, der mir seine Gedanken verriet. Seine Augen waren so tief und rein, wie ich sie in Erinnerung hatte. Wie ich sie in jedem meiner Träume sah. Ich wandte mich um, wusste nicht mehr, ob ich meine Gesichtszüge unter Kontrolle hatte. Ich zwang alle Tränen zurück, die wieder und wieder drohten auszubrechen, und lachte stattdessen nochmals bitter auf, versuchte, mich dazu zu bringen, mich dafür, was er mir damals angetan hatte, rächen zu wollen. Doch noch immer wollte ich ihm nicht wehtun. Weil ich genau wusste, dass ich mir damit nur selbst wehtun würde. Auch mein erzwungenes Gelächter verletzte mich selbst um so vieles mehr, als es ihn das je könnte. „Ich finde das absolut nicht witzig!“, schrie er mich plötzlich an. „Hör endlich auf damit!“, rief er außer sich und rannte mit erhobenen Fäusten auf mich zu. Ich sah verschwommen, wie er schnell näherkam und mit seiner Rechten ausholte. Ich hätte diesem Schlag mit Leichtigkeit ausweichen können, wenn ich nur noch einen Funken Kraft in mir gehabt hätte, einen vernünftigen Gedanken zusammengebracht hätte. Aber alles, wozu ich in diesem Moment im Stande war, war meine Augen zu schließen und auf den Zusammenstoß zu warten. Dieser kam auch bald darauf. „Nichts hieran ist witzig!“ Seine Faust traf mich hart auf meiner linken Gesichtshälfte und brachte mich so tatsächlich für einen Moment in die Realität zurück. Ich taumelte ein paar Schritte zur Seite und legte meine Finger an meine pochende Wange. Ich hielt meine Augen geschlossen. Ich wollte Narutos Blick nicht sehen. Ich musste für ihn aussehen, als wäre ich vollkommen wahnsinnig. Ich konnte in keinster Weise mehr den Eindruck erwecken, ein Shinobi zu sein, ein stolzer Kämpfer. Ich war nur noch ein Wahnsinniger. Kurz darauf hörte ich meinen Namen aus seinem Mund, dieses Mal ganz in meiner Nähe. Ich öffnete langsam die Augen. Naruto starrte mich mit wilder Entschlossenheit an, sein Körper war nach wie vor in Kampfbereitschaft. Ich fragte mich, was der Grund dafür war. Wofür er so verbissen kämpfte. Wahrscheinlich glaubte er, dass er nur mit meiner Auslieferung sich genügend Ehre verschaffen könnte, um Hokage zu werden. Aber warum beendete er es dann nicht einfach? Warum brachte er mich nicht zur Bewusstlosigkeit? Es war bisher nur ein einziger Fausthieb gewesen. Er wusste, dass ich mehr aushielt als das. Aber er holte nicht noch einmal aus. Er blieb an Ort und Stelle stehen, auch wenn ihn das einige Anstrengung zu kosten schien. Er schaute mich unbeugsam an. „Ich werde dich nach Konoha zurückbringen, selbst wenn ich dir jeden Knochen einzeln brechen muss!“ Es waren dieselben Worte wie vor zweieinhalb Jahren. Es hatte sich nichts geändert. Als wäre die Zeit stehen geblieben, seit ich Konoha – Naruto – verlassen hatte. Er sagte mir immer wieder dasselbe. Er war wie eine kaputte Schallplatte. „Nur einen Grund…“, murmelte ich, während ich mich wieder aufrecht vor ihn stellte, nach wie vor in dem Bann seines intensiven Blicks. „Nenn mir nur einen Grund, weshalb ich nach Konoha zurückkehren sollte.“ Meine Stimme wurde lauter. „Nur einen verdammten Grund!“ Ich schrie: „Nur einen!“ „Weil ich dich –“ Er zögerte, versuchte seine Worte mit Bedacht zu wählen. Er suchte nach denjenigen, die mich umstimmen würden; ich konnte es deutlich sehen. Verzweifelt suchte er nach dem einfachsten Weg, um mich nach Konoha zu bringen. „Weil ich dich brauche, dattebayo!“ Etwas presste meinen Brustkorb zusammen. Er wusste genau, dass er mich damit treffen konnte. Er wusste genau, was mein Schwachpunkt war, was ich mir noch immer wünschte. Und er nutzte dieses Wissen schamlos aus. Jetzt war ich es, der die Kontrolle verlor. Mein Zorn übermannte mich. Seine Worte waren so absurd. Nach dem, was er getan hatte, zu behaupten, dass er mich brauchte! Es war der reinste Hohn! Nicht einmal jetzt, nach so langer Zeit, konnte er ehrlich zu mir sein. Es machte mich wahnsinnig. Ich hatte dieses Katz-und-Maus-Spiel satt. Wenn er damals schon von Anfang die Wahrheit gesagt hätte, hätte mir das so viel Leid erspart. „Du verdammter Heuchler!“ Ich zog mein Schwert und stürzte auf ihn zu. Alarmiert sprang er zurück und ließ mehrere Kagebunshin erscheinen. Nicht einmal seine Kampftechnik hatte sich geändert. Nichts. Ich zerschlug sie alle, auch diejenigen, die sich in den Bäumen versteckt hielten, damit er sie zu einem späteren Zeitpunkt einsetzen konnte. Hatte er geglaubt, dass ich es ihm so leicht machen würde? Dazu musste ich noch nicht einmal mein Sharingan einsetzen. Ich konnte sein Chakra auch so spüren. Dann griff ich Naruto direkt an. „Weil du mich brauchst!“, spottete ich, zeigte ihm, dass ich ihm kein Wort glaubte. „Dass ich nicht lache!“ Er schaffte es gerade noch, mir auszuweichen. Ich setzte jedoch sofort nach, bekam seinen Unterarm zu fassen und packte mit aller Kraft zu. „Wozu? Um mich auszuliefern?“ Wie von selbst setzte sich meine Wut frei, erzeugte mächtige Blitze, die ich durch seinen Körper strömen ließ. Sein von Schmerz erfüllter Schrei, der jetzt durch die Stille des Waldes hallte, zerriss mich innerlich. Egal was ich tat, letztendlich war immer ich derjenige, der am meisten Leid davontrug. Es war frustrierend. Doch ich konnte nicht aufhören. Ich musste ihn stoppen. Diesen Schmerz. Ein für alle Mal. „Sasuke…!“, rief Naruto verzweifelt und streckte seinen anderen Arm nach mir aus. Seine Finger griffen an den Saum meines Gewandes. Sie krallten sich in den Stoff, zogen daran, jedoch so schwach, dass er nicht mehr tat, als es etwas zu lockern und in Unordnung zu bringen. Er stand vornübergebeugt da, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Er krümmte sich vor Schmerzen. Sie zwangen ihn auch langsam in die Knie. Ich beobachtete das Geschehen, als hätte es nichts mit mir zu tun. Als geschah es nur in einem Traum, den ich nicht ändern konnte. Bitte, Sasuke…!“ Jetzt erst wachte ich aus meiner Trance auf. Ich ließ ihn los. Es war genug. Naruto sank langsam tiefer, seine Hand konnte den Stoff nicht mehr festhalten. Noch immer zuckten leuchtende Blitze meinen Arm herab. Doch sie konnten ihn nicht mehr erreichen. Mit einem Stöhnen fiel er rücklings zu Boden. Ich steckte mein Schwert zurück. Es war vorbei. Es war fast ein Wunder, dass er noch lebte. Sein Herz hätte eigentlich zum Stillstand kommen müssen. Ich starrte lange auf ihn hinab. Sein Gesicht war noch immer schmerzverzerrt. Sein Arm zuckte auch noch leicht. Die Elektrizität hatte seinen Körper noch nicht ganz verlassen. Aber das würde sie. Früher oder später würde sie das. Alles verlässt einen irgendwann. Bevor das wieder geschehen konnte, bevor er mich erneut verlassen konnte, wollte ich lieber selbst gehen. Auch wenn ein Teil von mir das nicht wollte. Auch wenn etwas in mir sagte, dass ich lieber auf ihn hinabstarren wollte, selbst wenn es schmerzte. Dass ich lieber wissen wollte, wo er war, was er tat und wie es ihm ging. Anstatt es nicht zu wissen und es mich ständig zu fragen. So wie ich es die letzten Jahre getan hatte. Nach einem letzten Blick, um mich zu vergewissern, dass er keinen allzu großen Schaden genommen hatte, riss ich meine Augen los und wandte mich schließlich zum Gehen. In diesem Moment griff Narutos Hand nach meiner. Ich erstarrte in der Bewegung. Warum ließ er mich nicht gehen? Warum hielt er so entschlossen an mir fest? Warum quälte er mich so? Ich schloss die Augen. Warum? Und wieder durchzogen ihn so viele Blitze, dass er den Kopf in den Nacken warf und aufschrie. Meine Hand ließ er aber nicht los. Im Gegenteil. Er verstärkte den Griff sogar noch. „Dieses Mal…“, presste er aus zusammengebissenen Zähnen hervor. „…lasse ich dich nicht… vor mir… davonrennen.“ Ich starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Wieso ging er so weit für mich? Ich schwächte jetzt meinen Chakra-Fluss, brachte ihn zurück auf ein normales Maß, stoppte das blitzende Element, das in uns beiden tobte. Auch jetzt ließ er meine Hand noch nicht los. Er drückte sie sanft, so wie damals, bei unserem ersten Date. Zu der Zeit hatte ich gedacht, dass ich es wohl niemals herausfinden würde, wie sich meine eigene Hand in seiner anfühlen würde. Jetzt wusste ich es. Aber es war nicht schön zu wissen, dass sein Arm dabei brennen musste wie Feuer. Lange verharrten wir in dieser Position. Ich schaute noch immer vor meine Füße, von ihm weg. Ich konnte es nicht glauben, dass er meine Hand, die ihn so gequält hatte, noch immer so liebevoll halten konnte. Warum tat er das? Ich spürte, wie ich mir wieder Hoffnungen machte, und versuchte, sie zu verdrängen. Ich hatte meine Lektion von damals nicht gelernt. Trotzdem würde ich alles in meiner Macht Stehende tun, diesem Drang nicht noch einmal nachzugeben. Dabei wäre es so einfach. Ich könnte mich einfach zu ihm umdrehen, ihn in meine Arme schließen und so tun, als wäre nichts gewesen. Als wäre das einfach nur ein schrecklich langer Albtraum gewesen. Es wäre so einfach, mich selbst zu belügen. Ich wusste genau, dass ich das konnte. Ich zögerte. So lange, bis mich die Realität wieder einholte. Naruto war schon immer so gewesen. Er zeigte immer vollen Körpereinsatz. Er hatte kein Problem mit Körperkontakt. Er war zu allen so. Es bedeutete nichts. Und er war mit Sakura zusammen. Ja, Sakura war mit Sicherheit bereits auf dem Weg hierher. Sie würde uns bald gefunden haben. Allzu weit hatte ich uns nicht von Orochimarus Versteck weggebracht. Diese Gewissheit ließ mich wieder klarer denken. Im nächsten Augenblick fand ich sogar die Kraft dazu, mich von Naruto loszureißen, indem ich seine Hand von mir wegschlug. Doch ich wusste, dass ihn das nicht dazu bewegen konnte, endlich aufzugeben. Dazu kannte ich ihn zu gut. Er würde seinen Willen durchzusetzen versuchen, egal was das nun für mich bedeutete. Darüber schien er sich keine Gedanken zu machen. Das hatte er noch nie getan. „Bitte, Sasuke“, flehte er und wollte erneut nach meiner Hand greifen, aber ich ließ ihn gar nicht erst, sondern machte einen Schritt von ihm fort, entfernte mich aus seiner Reichweite und wandte mich vollständig zu ihm um, nur um zu sehen, wie er, weil er meinen Arm nicht mehr zu fassen bekam, auf den Knien stehend, sein Gleichgewicht verlor und nach vorn umkippte. Er fing sich mit seinem linken Arm ab, doch dieser knickte einfach ein. Scheinbar hatte er mich zuvor mit seinem rechten und zuletzt mit diesem Arm festgehalten. Ich hatte sie also beide verletzt. Den anderen jedoch sicherlich stärker. Dort hatte ich ihn mit mehr Kraft und länger gefoltert. „Bitte bleib bei mir“, keuchte er verzweifelt, während er versuchte, sich aufzurichten. Meine Attacke hatte all seine Nerven gelähmt. Als er sich auf beiden Armen gleichzeitig abstützen wollte, brach der rechte unter seinem Gewicht weg und er landete wieder mit der Stirn im Gras. Er sah dabei so erbärmlich aus. So unfähig. Es tat weh, ihn so zu sehen. Wie konnte er sich mir gegenüber so zeigen? Warum störte es ihn nicht? Warum blieb er nicht lieber liegen und wartete, bis ich verschwunden war? Er wusste es doch bereits, dass ich ihn auch jetzt nicht umbringen würde. Ich hätte es längst getan, wenn ich es gewollt hätte. Er spürte es doch, dass ich es nicht konnte. Er hatte also nichts zu befürchten, wenn er nur stillhielt. Warum musste er mich mit dieser Tatsache so lange quälen? „Warum gibst du nicht dieses eine Mal auf und gehst zu deiner Sakura zurück?“, sagte ich unvermittelt. Ich war über mich selbst erstaunt. Über meine offenen Worte. Naruto schien das nicht minder zu überraschen. Ich sah seinen Körper erstarren. „Zu meiner Sakura?“ echote er meine Worte ungläubig gegen den Boden unter sich und stemmte sich nach oben. Es schien ihm unglaubliche Schmerzen zu bereiten, doch er stoppte nicht, bevor er auf den Knien saß und mich ansehen konnte. Mit großen verständnislosen Augen sah er zu mir auf. „Was hat Sakura mit dieser Sache zu tun?“ „Was sie damit zu tun hat“, wiederholte ich seine Worte murmelnd und schnaubte spöttisch. „Du musst sie sicher schon schrecklich vermissen“, antwortete ich ihm sarkastisch. „War sie nicht schon immer deine große Liebe?“, sprach ich weiter und hätte mich am liebsten dafür geohrfeigt. Ich hätte ihm kaum offensichtlicher zeigen können, wie fürchterlich eifersüchtig ich auf sie war. Und wie kindisch ich mich in diesem Moment verhielt. Aber ich konnte mich nicht mehr bremsen. „Du musst doch froh darüber sein, mich endlich loszuhaben. Ohne mich hattest du doch freie Bahn, oder nicht?“ „Idiot!“, fauchte er mich an und stieß sich jetzt kräftig vom Boden ab, um in einem Zug aufstehen zu können. Er sah mich wütend an, seine Hände schienen sich zu Fäusten ballen zu wollen, doch sie waren zu schwach dazu. Er konnte nur seine Finger leicht nach innen krümmen. „Sakura interessiert mich nicht!“ Wieder lachte ich schadenfroh auf. Es erleichterte mich etwas. Vielleicht war es sogar die Wahrheit. Vielleicht hatte er das Interesse an ihr verloren. Vielleicht hatte er sich nur den Spaß, mich mit ihr zu verletzen, nicht entgehen lassen wollen. Er konnte sicherlich genug Frauen haben. Vielleicht hatte er jede Woche eine andere. Nein, darüber wollte ich nicht nachdenken. Ich zerriss mutwillig meine Gedankenkette und setzte an anderer Stelle wieder an. „Hat sie etwa bemerkt, was für ein totaler Dobe du bist, und hat dich verlassen?“ Meine Mundwinkel zuckten. Der Gedanke war wie ein Lichtblick in einem düsteren Tunnel aus Hass und Eifersucht. Sein Blick veränderte sich, seine Haltung wurde aggressiv. Ich hatte wohl zu viel gesagt. Vielleicht war alles doch ganz anders als ich dachte. „Du bist…!“ Wie ein wildes Tier schoss er mit einem Satz nach vorn, überwand die Lücke zu mir, packte mich an den Schultern und riss mich mit sich zu Boden. Sofort nach unserem Sturz versuchte ich, mich aufzurichten, ihn mit aller Kraft von mir herunterzuschieben, doch er presste mich mit weitaus mehr als nur seinem Körpergewicht nach unten. Jeder einzelne seiner Muskeln schien angespannt und dieser plötzliche enge Körperkontakt ließ meine Haut am ganzen Körper prickeln. Ich wusste, wenn ich nicht schnell etwas unternahm, würde ich mich nicht mehr zusammenreißen können. Das Verlangen nach ihm wurde so stark, dass es jeden letzten Rest Selbstbeherrschung brauchte, meinen Gefühlen nicht einfach nachzugeben. Ich wollte ihn. Mehr als ich sonst irgendetwas auf dieser Welt je gewollt hatte. Selbst der Gedanke an Rache und Vergeltung schien in weite Ferne gerückt zu sein. „Du bist so ein Vollidiot!“, schrie er mich an. Ich zog mein Knie nach oben, wollte es zwischen seine Beine schnellen lassen, um ihn vorerst außer Gefecht zu setzen, doch er reagierte blitzschnell, als hätte er diesen Angriff von mir erwartet, und ließ eine meiner Schultern los, um mein Bein zu stoppen. Seine Hand lag nun warm auf meinem Oberschenkel. „Glaubst du, nach allem, was war, hätte ich noch Interesse an Sakura?!“ Nach allem, was war?, wiederholte ich in Gedanken. Wovon sprach er? Was war passiert, als ich nicht in Konoha gewesen war? „Glaubst du, es war nur ein Experiment?!“, fragte er entrüstet. Ich war vollkommen verwirrt. Ich hatte keine Ahnung mehr, worum es gerade ging. Aber ich konnte auch nicht klar denken; Narutos Hände verströmten eine unglaubliche Hitze, sowohl an meiner Schulter als auch an meinem Schenkel. Wütend ballte ich meine linke, meine stärkere Hand, zur Faust; er war selbst schuld, dass er gerade diese Schulter freigegeben hatte. Ich schlug zu, so stark wie es mir in dieser Position möglich war. Zwar verfehlte ich mein Ziel um Haaresbreite, doch es brachte Naruto so aus dem Gleichgewicht, dass ich es schaffte, den Spieß umzudrehen und nun ihn an den Waldboden zu nageln. Zitternd kniete ich jetzt über ihm, meine Oberschenkel rechts und links außerhalb von den seinen, die ich zusammenpresste, um sie bewegungsunfähig zu machen. Meine Hände waren an seinem Oberkörper, drückten ihn gegen die Erde unter uns. Diese Stellung konnte ich aber nicht lange halten, da Naruto sich zu wehren wusste. Unser Kampf ging weiter. Ich fragte mich, ob die Schmerzen in seinen Armen bereits aufgehört hatten. Er ließ sich nichts mehr davon anmerken. Vielleicht war er bereits über die Schmerzgrenze hinausgegangen und spürte es gar nicht mehr. Vielleicht spürte er gar nichts mehr. Wir zerrten am Körper des jeweils anderen, rollten dabei über den Boden und steckten beide eine ähnliche Zahl an Fausthieben ein. Ich spürte die warme Flüssigkeit, die mir seit geraumer Zeit an meinem Mundwinkel hinabfloss. Naruto hatte inzwischen mein ohnehin weites und bereits gelockertes Oberteil noch um einiges weiter aufgerissen, sodass es mir über die Schultern gerutscht und in meiner Armbeuge hängen geblieben war. Aber auch der Reißverschluss an seiner Jacke war nach mehrmaligem Reißen an seinem Kragen bis fast zur Hälfte geöffnet. Ich konnte nicht anders, als auf das schwarze T-Shirt zu starren, das er darunter trug und seine Muskeln kaum erahnen ließ. Naruto nutzte diesen schwachen Moment von mir, warf mich zur Seite und lag nun zum wiederholten Male über mir. Gerade als ich dasselbe mit ihm tun wollte, hielt er meine Handgelenke fest. Ich stemmte ihn mit aller Kraft, die ich noch hatte, nach oben. Ich wollte mich um jeden Preis aus diesem Klammergriff befreien. Tatsächlich schaffte ich es, ihn einige Zentimeter hochzuheben, doch er hielt dagegen. Es war eine reine Kraftprobe. Und es stellte sich bald heraus, dass wir gleichstark waren, aber ich im Nachteil war. Unsere Gesichter waren sich jetzt so nahe, dass Narutos Nase immer wieder leicht meine Wange streifte. Sein stoßweises Atmen unter dieser massiven Anstrengung spürte ich nahe an meinem Ohr und es jagte mir in regelmäßigen Abständen eine Gänsehaut über den gesamten Körper. Seine Lippen kamen meinen immer näher. Ich ahnte, was er vorhatte. Wollte er mich so etwa überzeugen? Glaubte er wirklich, dass ich das zulassen würde? Ich versuchte, ihn zurückzudrängen, aber allmählich verließ mich die Kraft dazu. Und Naruto hatte die Schwerkraft auf seiner Seite. Ohne dass ich etwas dagegen hätte unternehmen können, legte er seine Lippen auf meine. Dass wir noch immer mitten in einem Kampf waren, schien ihn dabei nicht zu stören. Ich wehrte mich weiter, aber im Grunde nur halbherzig. Zu sehr hatte ich mich nach dieser Berührung gesehnt. Und im entscheidenden Moment wurde ich schwach. Ich ließ es zu, dass er mich küsste. Dass er seine Lippen verzweifelt gegen meine presste, als glaubte er, mich so bekehren zu können. Anders hätte er es auch nicht verhindern können, dass ich mein Gesicht abgewandt hätte – wenn ich es denn hätte abwenden wollen. Aber ich behielt meine Position bei, genoss den Schmerz, der bei dieser Berührung mein Herz ausfüllte. Meine Arme ließen allmählich locker, kaum merklich zunächst. Er schien es dennoch zu spüren, löste, ohne den Kontakt vollständig zu brechen, seine Lippen leicht von meinen mit einem Keuchen, nur um mich dann erneut zu küssen, so leidenschaftlich, dass er mich mitriss in eine Illusion, der ich so gerne glauben würde. Und schließlich belog ich mich selbst, gab mich ihr hin und erwiderte den Kuss. Mir war nur zu schmerzlich bewusst, wie vergänglich dieser Moment war. Gerade deshalb wollte ich ihn genießen, doch mein Misstrauen war groß; die Furcht, ausgelacht, gedemütigt und verletzt zu werden, saß so tief, dass es wehtat. Plötzlich nahm er eine Hand von meinem Handgelenk, gab es vollständig frei. Im nächsten Moment spürte ich seine Finger an meiner Wange. Er presste seine warme Handfläche leicht gegen mich, als hatte er Angst, etwas kaputtzumachen. Der Griff um mein anderes Handgelenk hatte indessen jedoch kaum locker gelassen. Es war, als fürchtete er immer noch, dass ich mich von ihm losreißen würde, wenn er mir den Vorteil gab. Es war seltsam, dass er eine Seite von mir unerbittlich festhielt, während er der anderen freistellte zu tun, was sie tun wollte. Es war, als war er ebenso zweigeteilt wie ich. Als wollte ein Teil von ihm mir wehtun und der andere mich küssen. Er schien noch immer nicht begriffen zu haben, was mehr schmerzte. Mein freier Arm schoss nach oben, griff unter Narutos hindurch, legte sich an seinen Rücken, meine Hand an seinem Hinterkopf. So presste ich sowohl seinen Körper als auch seine Lippen stärker gegen mich, damit er nicht einmal die Chance hatte zu lachen oder auch nur irgendetwas anderes zu tun, als mich zu küssen. Verzweifelt legte ich alles in diesen Kontakt, als hoffte ich, meine Gefühle könnten so endlich zu ihm durchdringen. Als könnte ich sie ihm mit Gewalt aufzwingen oder sie ihm durch den Mund einflößen. Narutos Lippen waren angespannt – für einen fürchterlichen Augenblick lang dachte ich, dass es daran lag, dass er tatsächlich grinste. Doch dem war nicht so. Seine Augen waren angestrengt zugekniffen, wie ich feststellte, als ich meine wieder öffnete. Seine Anspannung kam wohl daher, dass ich unsere Kieferknochen so betäubend stark aufeinanderpresste. Es musste ihm ebenso wehtun wie mir. Langsam schwächte ich diesen Druck ab, gab ihm wieder die Chance, seinen Körper ein wenig zu entspannen und sich gegen meinen Griff wehren zu können. Doch das tat er nicht. Er verstärkte den Kontakt unserer Lippen wieder, als hätte er Angst, dass ich den Kuss brechen würde. Ich war überrascht von dieser Handlung. Warum ging er so weit? Ich konnte es einfach nicht nachvollziehen. Ich konnte jedoch auch nicht ausführlicher darüber nachdenken, denn seine Lippen forderten all meine Aufmerksamkeit. Allerdings nicht mehr lange. Denn dann hörte ich einen gequälten Laut aus seiner Kehle. Entsetzt schlug ich die Augen auf und sah sein Gesicht noch schmerzverzerrter als zuvor, dabei taten meine Hände nichts mehr, das ihm wehtun könnte. Ich begriff es nicht, wartete, was passieren würde. Ob er es mir erklären würde. Und tatsächlich löste er daraufhin unseren Kuss, aber vorerst nur, um mich mit einem flehenden Blick anzusehen. „Bitte, Sasuke“, sagte er dann mit gepresster Stimme. „Erklär es mir.“ Er ließ seine Finger zitternd über meine Wange streichen. „Erklär es mir, was passiert ist.“ Ich starrte ihn an, wusste nicht, was ich tun sollte. „Und komm zu mir zurück.“ Es war nur noch ein Flüstern. Ich war mir sicher, dass er kurz davor war zu weinen. Und ich wusste, das wäre ich auch, wenn ich nur sicher wüsste, was seine Worte bedeuteten. Wenn sie das waren, was ich befürchtete, dann wären es bittere Tränen der Uneinsichtigkeit, die ich vergießen würde. Und wenn sie das waren, was ich hoffte, wären es Freudentränen. „Wozu?“, wollte ich zum etlichen Male wissen. Ich fragte mich, wie oft ich ihm diese Frage nun schon gestellt hatte. Und dieses Mal wollte ich endlich eine ehrliche Antwort darauf. Es tat weh, es so deutlich zu spüren, dass ich ihm nicht mehr vertrauen konnte. Ich glaubte es ihm nicht, dass er mich für sich zurückhaben wollte. Ich glaubte ihm überhaupt nichts mehr. Wie konnte ich ihn noch lieben, wenn ich ihm nicht einmal vertrauen konnte? Ich spürte die Verzweiflung, die mich in diesem Moment übermannte. Gefühle durchströmten mich und wechselten so schnell, dass ich es selbst nicht mehr nachvollziehen konnte. Ich verstand meine eigene Welt nicht mehr. Nichts schien mehr zusammenzupassen in meinem Leben. Kein Gefühl zu keiner Handlung. Alles erschien mir so bizarr. Wie damals, als Naruto gelacht und Sakura aus meinem Kleiderschrank gerufen hatte. „Damit du und Sakura eure ach so komischen Scherze mit mir treiben könnt?!“, fragte ich provokant und wusste nicht, was ich mit meiner Hand auf seinem Rücken tun sollte. Ich konnte sie doch nicht einfach dort liegen lassen, als würde ich ihn umarmen wollen. Ich zog sie zurück. Ich legte sie auf dem Boden ab. Er blickte jetzt sichtlich verwirrt zu mir zurück. „Weißt du eigentlich, was du mir damit angetan hast?“, fragte ich fast tonlos. Vielleicht wusste er das wirklich nicht. Vielleicht konnte er es sich gar nicht vorstellen, wie es war, wenn einem das Herz gebrochen wurde. „Was ich dir angetan habe?“, wiederholte er fassungslos. „Du warst doch derjenige, der ohne ein Wort verschwunden ist!“, regte er sich auf und presste mein linkes Handgelenk stärker in den Boden, wahrscheinlich vollkommen unabsichtlich. Es war mir auch egal; ich wehrte mich nicht mehr und ich spürte den Schmerz kaum noch. „Du bist doch einfach gegangen und hast mich bewusstlos auf deinem Bett liegen lassen!“ Mein Kopf zuckte. Ich starrte ihn an. Wovon sprach er? „Ich verstehe es immer noch nicht.“ Es war, als sprach er meine Gedanken laut aus. Er ließ jetzt auch mein anderes Handgelenk los und ich dachte im ersten Moment, er würde aufstehen und gehen, doch er senkte seinen Kopf fast bis zu meinem Bauch hinab und legte seine Hände als Fäuste an meine Brust. „Warum hast du das getan?“ Er schlug leicht gegen meinen Brustkorb. „Warum hast du mich allein gelassen?“ Er schlug nochmals zu. „Warum hast du dich nicht schon bei unserem letzten Kampf von mir überzeugen lassen zurückzukommen?“ Er schlug stärker zu. „Warum konnte ich dich nicht schon damals zurückhaben?“ Und noch stärker. „Warum musste so viel Zeit vergehen?“ Etwas tropfte auf meinen entblößten Bauch. „Warum hast du mich so lange leiden lassen?“ Jetzt schlug er so hart zu, dass es fast wehtat. „Warum?!“ Er schaute zu mir auf, ließ mich wieder in seine nassen Augen tauchen. Genauso wie damals vor zweieinhalb Jahren. Ich konnte seinen Worten überhaupt nicht folgen. Ich war noch immer bei seiner indirekten Frage: Wieso ich ihn auf meinem Bett hatte liegen lassen? Was meinte er damit? „Du bist aufgestanden und gegangen“, sagte ich unvermittelt. Er schaute mich perplex an. Wahrscheinlich hatte er auch schon gar nicht mehr damit gerechnet, dass ich ihm noch irgendwann antworten würde. „Ich habe dich nicht auf meinem Bett liegen lassen“, erklärte ich ihm, wovon ich sprach. Auf welche seiner Fragen ich antwortete. Seine Augen suchten mein Gesicht ab, als versuchte er, ein Anzeichen dafür zu finden, dass das eine Lüge war. „Du bist aufgestanden und gegangen“, wiederholte ich. Und ergänzte: „Mit Sakura.“ „Sakura?“, echote er fassungslos. „Was zur Hölle hat Sakura schon wieder damit zu tun?!“ Jetzt waren es meine Augen, die sein Gesicht absuchten. Aber ich wusste, dass seine Entrüstung nicht gespielt war. Ich wusste es so sicher, wie man etwas nur wissen konnte. Diese Meere logen nicht. „Sakura war im Schrank versteckt“, sagte ich nur, als erklärte das alles. „Du hast sie herausgerufen, nachdem du dich wieder angezogen hast.“ „Im Schrank?“, schnaubte er. „Ist das dein Ernst? Wovon sprichst du, Teme?!“, fuhr er mich an. „Du hast überhaupt keinen Kleiderschrank, in den Sakura reinpassen würde!“ Ich starrte ins Nichts. Er hatte Recht. In meinem Schlafzimmer stand nur eine kleine Kommode. Aber in meiner Erinnerung an diesen Tag stand dort ein Schrank. Ein großer Schrank, aus dem Sakura auftauchte. „Außerdem habe ich mich erst wieder angezogen, nachdem Kakashi-sensei mich aufgeweckt hat“, erklärte er verärgert, als nahm er mir das besonders übel. „Da warst du längst weg!“ „Aufgeweckt?“, wiederholte ich, versuchte zu begreifen, was passiert war. „Ja, nachdem du mich bewusstlos geschlagen hast!“, ereiferte er sich. Dann wandte er den Blick ab. Murmelnd fügte er noch hinzu: „Vielleicht war das aber auch einer der Schall-Ninja, ich weiß es nicht.“ Er schaute mir wieder ins Gesicht, seine Züge leicht wütend. „Das müsstest du besser wissen!“ Ich ging die Erinnerung, die ich in meinem Kopf wie einen Film abspielen konnte, noch einmal durch. Irgendetwas stimmte nicht. „Sag es mir!“, forderte Naruto. „Warst du es? Oder wer war es?“ Und dann begriff ich: „Tayuya.“ „Wer?“, warf Naruto ein, doch ich hörte ihm nicht zu. „Wer ist Tayuya?“ Meine Gedanken überschlugen sich. Es war jetzt so offensichtlich. Ich dachte daran zurück, wie Tayuya mich aufgeweckt hatte, nachdem wir Konoha bereits verlassen hatten. Ich erinnerte mich an den Speichel, der bereits mein Kinn hinabgelaufen war. Ich hatte mich nicht erinnern können, eingeschlafen zu sein. Weil ich nicht eingeschlafen war. „Es war nicht echt“, sprach ich meinen Gedanken laut aus. „Es war eine Illusion.“ Ich starrte an Naruto vorbei und murmelte: „Es war ein Genjutsu.“ Dann blickte ich ihm wieder ins Gesicht, richtete mich ruckartig auf. Er wich automatisch zurück. Auf seinen Knien saß er jetzt vor mir und schaute mich erwartungsvoll an. „Es war Tayuya. Sie war Spezialistin für Genjutsu.“ Ich keuchte. „Sie haben versucht, mich dazu zu überreden, mit ihnen zu Orochimaru zu kommen.“ Naruto schien meinen Erläuterungen zu folgen zu versuchen. Er ließ mein Gesicht nicht aus den Augen, las darin so viel mit, wie er nur konnte, um zu begreifen, was ich ihm schilderte. „Und deshalb haben sie mir eine Illusion gezeigt, in der du und Sakura zusammen sind und mich auslachen, weil ich… Gefühle für dich habe.“ Narutos angestrengt gerunzelte Stirn entspannte sich nun mit einem Schlag. Er schaute mich mit großen Augen überrascht an. „Heißt das…?“ Sie sprühten nur so vor Hoffnung. „Heißt das, es ist immer noch so?“ Ich sah beschämt zur Seite. Ich hatte nicht geplant, ihm auf diese Weise meine Liebe zu gestehen. Und meine Gedanken waren noch zu voll von diesen Dingen, die ich gerade erst zu begreifen begonnen hatte. „Heißt es das?“, drängte Naruto weiter. Seine Augen begannen zu leuchten. „Heißt es da–?!“ Ich blendete Naruto für einen Moment aus, indem ich ihn eine Armlänge weit von mir hielt und hinab in meinen Schoß blickte. Dann ging ich das Geschehen noch einmal in meinem Kopf durch. Jetzt ergab alles einen Sinn. Niemals würde Naruto solche Dinge sagen. Niemals hätte er mich so behandelt. Niemanden hätte er so behandelt. Das bedeutete: Es war nie passiert. Und doch war etwas in meinem Zimmer passiert, denn sonst hätte er nicht davon gesprochen, dass ich ihn auf meinem Bett hatte liegen lassen. „Es war also nicht alles eine Illusion“, sagte ich und hoffte, dass er es mir bestätigen würde. Wenn all das, was in meinem Zimmer, auf meinem Bett, passiert war, nie geschehen wäre, würde es fast ebenso wehtun, wie der Illusion zu glauben. Denn dann wäre er vielleicht wirklich nur als Freund hier. Naruto sah mich aufmerksam an. Seine Brust lehnte leicht gegen meinen ausgestreckten Arm. Es war wie ein leichter Widerstand gegen diesen Abstand. Aber er wusste, dass die Sache erst geklärt sein musste. Zuerst in meinem Kopf und dann zwischen uns. Wir mussten verstehen, was passiert war. Wir mussten unseren Fehler begreifen. Wir mussten sichergehen, nicht erneut einen Fehler zu begehen. „An was kannst du dich zuletzt erinnern, bevor du bewusstlos geworden bist?“, fragte ich ihn jetzt angsterfüllt. Es durfte nicht alles eine Illusion gewesen sein. Er schaute an mir vorbei, schien in die Vergangenheit zu reisen und noch einmal nachzusehen, bevor er mir etwas Falsches sagte. „Bis du gesagt hast, du würdest Konoha nicht verlassen, wenn ich es auch nicht tue“, entgegnete er schließlich und schaute mir dabei wieder in die Augen. Erleichterung durchströmte mich, sodass die Spannung von meinem Arm abfiel und Naruto wenige Zentimeter näher kommen ließ. Das war nach unseren Küssen gewesen. Das war nach all den Berührungen gewesen. „Und du hast mich Bibiri-kun genannt“, fügte er noch mit einem fast knurrenden Unterton hinzu. Er zeigte mir einen leichten Schmollmund. Es war wieder wie früher. Es hatte sich nichts verändert. Meine Sicht verschwamm. Ich begriff erst, was passierte, als ich die Tränen über meine Wangen fließen spürte. Ich nahm automatisch meine Hand zu meinem Gesicht und wischte sie weg, wollte sie aufhalten. Doch es hörte nicht auf, es folgten immer mehr. Ich sah flüchtig zu Naruto auf, der mich fassungslos ansah. Er hatte wohl ebenso wenig erwartet wie ich, dass ich zu weinen beginnen würde. Er wartete jetzt nicht mehr, ließ sich von meiner Hand an seiner Brust nicht mehr aufhalten, sondern warf sich nach vorn und schloss mich in die Arme. Ich griff unter ihnen hindurch und drückte ihn verzweifelt an mich. „Es tut mir so leid.“ Ich vergrub mein nasses Gesicht in seiner Schulter. „Ich war so dumm. Wie habe ich glauben können, dass du mich wegen meiner Gefühle auslachen würdest? Wie habe ich glauben können, dass du dich mit Sakura gegen mich verschwören würdest?“ Ich konnte es jetzt selbst nicht fassen, dass ich das bis eben noch gedacht hatte. „Es tut mir so leid.“ „Es war also alles ein Missverständnis“, murmelte Naruto erleichtert und ließ eine Hand in meine Haare fahren. „Du wolltest mich nicht verlassen“, sagte er leise und atmete zitternd ein. „Das ist alles, was ich wissen wollte.“ Und dann drückte er sein Gesicht in meine Halsbeuge – wie damals – und presste mich an sich, als gäbe es für ihn keinen anderen Halt auf dieser Welt als mich. Ich war so glücklich, dass ich mein Leben endlich wieder verstand. Ich war so glücklich, dass Naruto mich nicht dafür hasste, was ich uns angetan hatte. Ich war so glücklich, dass sich nichts an seinen Gefühlen geändert zu haben schien. „Ich bin so glücklich“, wisperte er in meinen Nacken, der sich zunehmend nass anfühlte. „Ich bin so unglaublich glücklich.“ Jetzt brachen die Tränen nur noch unaufhaltsamer aus meinen Augen, stürzten sich auf Narutos Schulter. Der Druck in meinem Innern presste sie hervor. Ich hatte keine Möglichkeit, sie zurückzuhalten, doch es spielte jetzt auch keine Rolle mehr. Er war da und ich wusste, er würde sie auffangen. Er würde mich festhalten. Es würde alles gut werden. Ich konnte nur flüchtig an das denken, was mir noch bevorstand. Aber ich wusste, dass ich es, mit Naruto an meiner Seite, durchstehen würde. Er würde mich beschützen. „Ist das nicht rührend?“, sagte plötzlich eine Stimme, die ich sofort als die Orochimarus erkannte. Augenblicklich wich ich von Naruto zurück, so wie er von mir. Sofort waren wir auf den Beinen, unsere Hände bereits an unseren Waffen. Wir wandten uns der Stimme zu, die daraufhin spöttisch lachte. Orochimaru stand nur wenige Meter von uns entfernt zwischen den Bäumen. Er schaute uns nicht an, sondern ging gemächlich ein paar Schritte, als machte er nur einen Spaziergang durch den Wald. „Ich habe ja gewusst, dass du deine Freunde aus Konoha noch nicht losgelassen hast, Sasuke-kun. Aber das hier? Das hätte selbst ich nicht erwartet.“ Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Die Tränen auf meinen Wangen, die sich eben noch so warm angefühlt hatten, erkalteten augenblicklich. Jetzt war es aus. Er würde uns erledigen. Er wusste, dass ich ihm meinen Körper nun nicht mehr zur Verfügung stellen würde. Also brauchte er mich nicht mehr. Und Naruto würde er töten, bevor er in Akatsukis Gewalt gebracht werden konnte. Wir hatten keine Chance. „Ihr Uchihas seid immer wieder für eine Überraschung gut“, sagte Orochimaru amüsiert und lachte. Ich wusste, dass das kein gutes Zeichen war. Automatisch stellte ich mich schützend vor Naruto. Ich konnte nur noch daran denken, dass ich ihn retten musste. Ich musste ihm die Chance geben, um fliehen zu können. Doch ich wusste augenblicklich, dass er das niemals tun würde. Deshalb hatten wir keine Wahl. Wir mussten kämpfen. Ich wischte vorsichtig die Tränen von meinem einen Auge und dann vom anderen. Ich brauchte uneingeschränkte Sicht, wenn ich kämpfen wollte. Und ich durfte Orochimaru keinen Moment aus den Augen lassen. Jetzt blieb er stehen und schaute uns mit seinem verzerrten Lächeln direkt an. „Abunai!“, schrie ich und stieß Naruto aus der Schusslinie, als Orochimarus Schlangen auf uns zuschossen. Ich zog mein Schwert und schnitt ihnen die Köpfe ab, bevor ich die beiden Kunai vom Boden aufhob und sie nach Orochimaru warf. Ich wusste, dass ich ihn niemals damit treffen würde, es sollte nur eine Ablenkung sein, die mir genug Zeit verschaffte, um meine Feuerdrachentechnik einsetzen zu können. „Katon: Gouryuuka no Jutsu!“ Im nächsten Moment stand der Wald in Flammen. Rauchschwaden stiegen in den Himmel auf und versperrten uns die Sicht. „Wir müssen hier weg“, sagte ich und griff nach Narutos Hand. Gemeinsam mit mir würde er vielleicht fliehen, doch das würde Orochimaru nicht zulassen. „Ihr geht nirgendwohin“, sagte seine Stimme mit einer Gewissheit, die mir gar nicht gefiel. Ich konnte ihn nicht sehen, er war hinter Bäumen und dichtem Rauch verborgen, doch ich konnte sicher sein, aus welcher Richtung ich seine Stimme gehört hatte. Deshalb rannte ich los, zog Naruto mit mir in die andere. Er wehrte sich. Er schien nicht vorzuhaben fortzulaufen. Er lief nie vor etwas davon. „Wir müssen ihn bekämpfen“, sagte er jetzt und blieb stehen. Genau das hatte ich befürchtet. „Wir haben keine Chance gegen ihn“, versuchte ich ihm klarzumachen. „Wir müssen hier weg.“ „Nein“, sagte Naruto bestimmt. „Er wird dich überall finden, egal wohin wir laufen.“ Er schaute mich an, seine Augen gingen für einen flüchtigen Moment zu meinem Nacken. „Wenn du nicht sogar zuerst zu ihm zurückgehst.“ Es tat weh, dass er das glaubte. Dass er scheinbar nicht sicher war, wie sehr er mir noch vertrauen konnte. Doch ich konnte es ihm nicht verdenken. Ich hatte ihm allen Grund dazu gegeben. „Bitte, Naruto“, flehte ich. „Vertrau mir. Wir haben keine Chance. Nicht zu zweit.“ „Ich kämpfe allein gegen ihn“, beschloss er dann und ich keuchte. Das war absurd. Das war Selbstmord. „Könnt ihr euch nicht entscheiden, wer zuerst sterben soll?“, fragte Orochimaru ganz in der Nähe – hinter uns. Ich wirbelte herum, hielt meine Waffe schützend vor mich. „Kagebunshin no Jutsu!“, rief Naruto neben mir und die rasch aufeinander folgenden Geräusche verrieten mir, dass er eine ganze Menge von Doppelgängern geschaffen haben musste. Einige davon stellten sich jetzt schützend vor mich. Ich überlegte, mein Sharingan einzusetzen, um sehen zu können, wer der Echte war, doch damit würde ich nur Chakra verschwenden. Aber die Idee, meine Augen als Waffe einzusetzen, erschien mir gar nicht so abwegig. „Sasuke-kun“, sagte Orochimaru, als wäre er enttäuscht, und blieb ein paar Meter von mir entfernt stehen. „Glaubst du wirklich, du könntest mir mit deinem Sharingan etwas anhaben?“ Meine Gesichtszüge verhärteten sich. Er hatte mich durchschaut, noch bevor ich es eingesetzt hatte. Ich hielt es dennoch aufrecht. Vielleicht würde er doch noch den Fehler machen und mir in die Augen sehen. Aber das tat er nicht. Und dazu hatte er auch keine Zeit, denn jetzt griffen Narutos Kagebunshin an. Ich verfolgte das Geschehen, sah, dass der echte Naruto sich zum Glück zunächst im Hintergrund aufhielt, doch wer wusste, wie lange. Ich schaltete mein Sharingan aus und versuchte, Naruto bei seinen Angriffen zu unterstützen. Es war nicht einfach, seine Kagebunshin nicht mit meinen Attacken zu treffen, sie waren überall – und Orochimaru schien nirgendwo zu sein. Ich versuchte, alle Mittel, die mir zur Verfügung standen, einzusetzen, doch nichts schien Wirkung zu zeigen, nichts konnte Orochimaru treffen. Viele Chancen gab er uns jedoch auch nicht, denn er machte nun auch ernst, griff ebenfalls mit allem an, was er hatte. Einer nach dem anderen von Narutos Kagebunshin verpuffte ins Nichts. Seine Attacken mit seinem Rasengan verfehlten stets ihr Ziel. Ich bereitete gerade mein drittes Chidori vor und wusste, dass es mein letztes sein würde. Danach würden meine Kräfte nicht mehr ausreichen. „Oi!“, rief ich und bedeutete Naruto somit, dass er mich decken sollte. Er ließ ein paar Kagebunshin entstehen, die meine Gestalt hatten. Alle rannten von verschiedenen Seiten auf Orochimaru zu, wie ich selbst auch – nur war ich der Einzige, der gerade ein Chidori in seiner Handfläche formte. Orochimaru schlug wütend die Kagebunshin zur Seite. Nachdem er sie zuvor noch mit Freude einen nach dem anderen zerfetzt hatte, schienen sie ihm jetzt allmählich lästig zu werden. Und genau das machte ihn unvorsichtig. Ich lief in einem leichten Bogen auf ihn zu, wartete auf eine Öffnung im Kampfgeschehen, auf einen unbeobachteten Moment, fand diesen schließlich, als Orochimaru seinen Hals in die Länge auf ein paar weitere Kagebunshin schießen ließ, und hechtete auf seinen Körper zu. Aus dem Nichts schien eine weiße Schlange zu kommen, die mich zur Seite warf. Im nächsten Moment begriff ich, dass es keine Schlange war, sondern Orochimarus Hals. Er hatte mich also gesehen. Mein Chidori konnte ich zum Glück noch zurückziehen, doch mein Angriff war nun nichtig und ich stand – unbewaffnet – direkt in Orochimarus Reichweite, in die er mich geschlagen hatte. „Sasuke!“, schrie Naruto irgendwo hinter mir, bevor sich Orochimarus Hals um meinen Körper wickelte und mir jegliche Bewegungsfreiheit nahm. Ich wusste, jetzt war es aus. Ich hatte mich einen Schritt zu weit nach vorn gewagt. Plötzlich ließ der eiserne Griff seiner Halsmuskeln wieder nach und ich konnte mich befreien, sah, wie Naruto ein Rasengan direkt in Orochimarus Gesichtshälfte hineinbrannte. Ich keuchte vor positiver Überraschung, doch im nächsten Moment stockte mir der Atem. Denn ich sah die Klinge in Narutos Brust. Langsam löste sich der blaue Ball in seiner Hand in Luft auf, zusammen mit der Hälfte von Orochimarus Schädel, aus dem die Klinge hervorstand. Dann nahm er seinen Arm zurück und schaute zuerst zu seiner Brust hinunter, dann zu mir herüber. Er starrte mich fassungslos an. Als könnte er nicht begreifen, dass das Schwert aus Orochimarus Mund so scharf sein konnte, dass es in der Lage war, seinen Körper zu durchbohren. Plötzlich sank Orochimarus Kopf tiefer, zog somit die Waffe aus Narutos Brust und ließ ihn einfach zu Boden fallen. Ich stürzte nach vorn, doch kam nicht mehr rechtzeitig, um ihn aufzufangen. „Nein!“, schrie ich und sah, wie sich Narutos geweitete Augen angestrengt schlossen, als er schmerzhaft auf dem Boden aufkam. Mein Atem beschleunigte sich. „Nein“, murmelte ich und wollte das Blut stoppen, das unaufhörlich seine Kleider durchtränkte. „Nein“, wiederholte ich immer wieder. „Nein.“ Da schlug Naruto die Augen wieder auf. Er öffnete seine Lider jedoch so langsam, dass ich befürchtete, dass er es mit letzter Kraft tat. Ich sah ein Zucken aus dem Augenwinkel und blickte zu Orochimaru zurück. Sein Kopf lag mit leblosen Augen da, dennoch bewegte er sich. Ich verfolgte die lange Bahn seines Halses zurück zu seinem Körper, in dem sich etwas regte. Sofort wusste ich, was das bedeutete: Er war nicht tot; er würde sich nur wieder selbst gebären, sich regenerieren. Ich konnte sehen, wie er von innen seine Haut im Nacken auseinanderzog und langsam seinen Kopf durch diesen Riss schob. Ein nie gekannter Zorn ergriff von mir Besitz, ließ mich aufstehen, zu ihm hinüberstürzen und ihn mit meinem bisher stärksten Chidori zerfetzen. Seine Haut sank in sich zusammen, als hätte ich die Luft herausgelassen. Sie verfärbte sich in ein noch dunkleres Grau und starb, zusammen mit seinem Besitzer. Auf unsicheren Beinen wankte ich zu Naruto zurück. Ich konnte kaum noch das Gleichgewicht halten. Er lag da, seine Hand an seinem Bauch. Sie schien sich nicht bis zu seiner Wunde hinauf zu wagen. Er schaute zu mir herüber und lächelte. „Du hast es geschafft, Sasuke“, sagte er leise. „Sei still“, sagte ich fast tonlos und kniete mich vor ihm ins Gras. „Nicht sprechen.“ Ich griff vorsichtig unter seinen Rücken und unter seine Beine, hob ihn vom Boden hoch und drückte ihn sicher an mich. Ich musste ihn zu den anderen bringen. Irgendjemand würde ihm vielleicht helfen können. „Du hast uns alle gerettet“, flüsterte Naruto. „Ich bin so stolz auf dich.“ „Sei still, Dobe!“, fuhr ich ihn an und da gaben meine Beine nach. Ich stolperte und fiel mit ihm zu Boden. Meine Kräfte waren am Ende. „Es tut mir so leid“, entschuldigte ich mich sofort und wusste nicht, wie ich es ihm zeigen sollte, dass es mir wirklich leidtat. Er hatte die Augen geschlossen. Meine Hände wollten ihn berühren, wollten ihn wissen lassen, dass ich da war, doch ich zögerte, sah das Blut an meinen Fingern. Sein Blut. Sein halber Oberkörper war bereits scharlachrot. „Naruto!“, hörte ich plötzlich jemanden rufen. Ich schaute auf und erkannte Sakura, die auf uns zugelaufen kam. Bei ihr war der Jounin, der momentan Team Kakashi anzuführen schien. Erleichterung flutete mich. Sie würden ihm helfen. Sie würden ihn retten können. Dann hörte ich Sakura kreischen. Sie hatte Naruto in meinen Armen entdeckt. Auf einmal landete etwas hinter mir, das vom Himmel gefallen zu sein schien, und griff um mich, zog mich von Naruto fort. Der Arm, der meiner Kehle die Luft abzudrücken drohte, war kreidebleich. Ich wusste gleich, wer es war. Ich wehrte mich nicht gegen Sais Griff, ich hatte keine Kraft dazu. Ich konnte nur flehend zu Sakura schauen und rufen: „Tu etwas! Hilf ihm! Sakura!“ Ich verstand nicht, warum sie stehen geblieben war. Noch einige Schritte von Naruto entfernt. Sie hielt noch immer ihre Hand vor den Mund. „Bitte!“, schrie ich und wünschte, sie würde sich endlich von der Stelle rühren. „Lass ihn nicht sterben!“ „Sakura!“, rief Yamato und holte sie wieder in die Realität zurück. Jetzt kam sie auf uns zugeeilt und warf sich neben Naruto auf die Knie. Gebannt starrte ich auf Sakuras Hände. Sie leuchteten grünlich. Doch nichts geschah. Nichts schien sich zu verändern. „Naruto“, sagte sie leise. „Hörst du mich?“ Er schlug die Augen nicht auf, rührte sich nicht. Jetzt wehrte ich mich gegen Sais Griff. Ich wollte zu ihm. Ich wollte ihm helfen. Ich wollte ihn wachhalten. Ich wollte ihn zwingen, bei mir zu bleiben. „Lass ihn los, Sai-kun“, sagte Yamato unerwartet. Ich sah zu ihm auf. Er und Sai schienen einen Blick auszutauschen. Es dauerte einen Moment, bis Sai der Anweisung nachkam. Als er es schließlich tat, ließ ich mich nach vorn auf meine Knie und Hände fallen und rutschte die letzten Zentimeter durchs Gras zu Naruto. Vorsichtig ließ ich meine Finger unter seinen Hinterkopf fahren und drehte mir sein Gesicht zu. „Bleib bei mir“, flüsterte ich. Tatsächlich schlug er in diesem Moment die Augen auf. „Nicht weinen, Bibiri-kun“, sagte er langsam. Ich verstand nicht, warum er das sagte, denn noch weinte ich gar nicht. Vielleicht hatte er bereits Halluzinationen. Ich strich ihm sanft über die Wange. „Du wirst das schaffen, Naruto. Ganz sicher.“ Plötzlich lachte er schwach auf. Ich schaute ihn verwundert an. „Es ist genau wie in meinem Traum“, erklärte er. „Nur an–“ Das Blut nahm ihm die Luft zu atmen. Er schluckte es hinunter. „Nur anders herum.“ Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, doch ich wusste, er sollte besser still sein. „Sch…“, machte ich deshalb ruhig und legte meine zitternden Finger flüchtig an seine Lippen. Ich färbte sie blutrot. „Versprich mir nur, dass du das überlebst.“ Sein warmer Atem hauchte gegen meine Fingerkuppen, als er sagte: „Ich verspreche es.“ Mit diesem Satz fielen seine Augen ein letztes Mal zu. Kapitel 4: Zweifel ------------------ Als ich aufwachte, war das Erste, das ich spürte, ein Widerstand an meinem Handgelenk. Irritiert schlug ich die Augen auf und sah Sasukes Kopf nicht weit von meinem liegen. Als ich zu meiner Hand hinabblickte, sah ich, dass es seine war, die sie festhielt. Ich atmete tief ein, schaute mich im Raum um, erkannte das Krankenhaus Konohas, in dem ich nicht zum ersten Mal lag. Als ein Schmerz meine Brust durchfuhr, kamen plötzlich die Erinnerungen zurück. Die Ruinen, Sasuke, der einen Arm um mich legte, unsere Flucht vor Sai – vor allen –, die Aufklärung des Missverständnisses, Orochimarus Auftauchen, der Kampf im Wald und Sasukes Verzweiflung, als ich am Boden lag und meinen Körper nicht mehr wirklich spüren konnte. Doch jetzt war es vorbei. Mein Körper war wieder da. Und Sasuke bei mir. Ich atmete erleichtert ein, spürte an einem gewissen Punkt den Schmerz in meiner Brust und erinnerte mich wieder daran, wie entsetzt Orochimaru mich angestarrt hatte, als er seine linke Gesichtshälfte nicht mehr hatte spüren können. Ich fürchtete, ich würde diesen Anblick nicht mehr vergessen. Seine hervorstehenden Augen, diese bizarre Unförmigkeit seines Schädels – ein Zustand, den er sogar überlebt hatte, wie es schien. Ich hatte Sasukes Bewegungen nicht wirklich folgen können, als ich am Boden gelegen hatte und nur noch die Wunde in meiner Brust hatte spüren können. Ich hatte es nur gehört, dass er einen Wutschrei ausgestoßen hatte, während er auf Orochimaru zugestürmt war. Von seinem Gegner hatte ich nicht mehr gehört als ein gedämpftes Jaulen, als käme es aus einem geschlossenen Mund. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht nachzusehen. Ich hatte erst zur Seite geschaut, als Sasuke wieder zu mir zurückgekommen war. Und an diesem Punkt hatte ich gewusst, dass Orochimaru nicht mehr existierte. Ich hatte nichts mehr von seinem Chakra spüren können. Ich war übergelaufen vor Stolz. So gerne wäre ich Sasuke in die Arme gefallen. So gerne hätte ich ihn geküsst, doch alles, was er im Sinn gehabt zu haben schien, war, mich von diesem Ort fortzubringen. Und ich hatte keine Kraft gehabt, um mich zu widersetzen. Das Nächste, was ich gespürt hatte, war die Wärme von Sakuras Händen. Ich hatte es spüren können, dass sie etwas in meiner Brust veränderte; es hatte sich so seltsam angefühlt. Dann hatte ich Sasukes Hände an meinem Kopf gespürt und die Augen aufgeschlagen. Ich war zuversichtlich gewesen, dass die beiden mich retten würden. Schließlich war Team 7 in diesem Moment wieder vereint gewesen. Und wir hatten bisher noch jede Mission erfolgreich abgeschlossen. Etwas regte sich neben mir. Verspätet begriff ich, dass ich Sasukes Hand in meiner sanft gedrückt und ihn somit aufgeweckt hatte. Er hob den Kopf und blickte mich mit tiefen Schatten unter den Augen verschlafen an. Im nächsten Augenblick weiteten sie sich und schauten mich hellwach an. „Naruto!“, sagte er heiser und wollte einen Satz nach vorne machen, doch stoppte sich wieder. Die Bettkante war dazwischen und hielt ihn davon ab. Er saß auf einem Stuhl neben meinem Bett. Ob er das schon lange tat? „Sasuke“, sagte ich schwach und bemerkte, dass ich nicht weniger heiser war. Ich fragte mich, wie lange ich bewusstlos gewesen war. Und ob Sasuke all die Zeit hier an meinem Bett gesessen hatte. „Naruto“, sagte er nur ein weiteres Mal und drückte meine Hand mit seinen beiden Händen. Ihm fehlten scheinbar ebenso die Worte wie mir. Deshalb zog ich an einem seiner Handgelenke – ich sah es zu spät, dass sie übersät waren mit blauen Flecken –, zog ihn näher, weil ich selbst noch zu schwach war, um mich aufzurichten. Er stand vom Stuhl auf, als hätte er seit Tagen darauf gewartet, das tun zu dürfen, und warf sich mir auf die Brust. Ich unterdrückte einen Schmerzenslaut, doch er hörte ihn trotzdem und reagierte sofort, schreckte zurück und entschuldigte sich, wieder und wieder. Ich schüttelte den Kopf, hob meine Hand und griff nach seinem Oberarm, zog ihn zu mir zurück. Dann, als ich ihn erreichen konnte, legte ich sie an seinen Rücken und presste ihn zu mir hinunter – aber sanft, sodass es mir nicht wehtat. Ich strich ein paar Male über seinen Rücken, bevor ich zu seinem Hinterkopf wanderte und dort durch seine Haare fuhr. Es war fast wieder wie an dem Abend, bevor er Konoha verlassen hatte. Nur hatten wir die Positionen getauscht, mein Körper fühlte sich erschöpft und seltsam fremd an, die Stimmung war eine ganz andere, es war taghell im Raum – und es waren zweieinhalb Jahre vergangen. „Sasuke“, flüsterte ich und jetzt hob sich sein Kopf unter meiner Hand, er schaute mich erwartungsvoll an. „Ich habe gedacht, wir würden nie wieder zusammen in Konoha sein.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich auch nicht“, sagte er leise, als hätte er Angst, es würde uns jemand belauschen, der das noch wahrmachen könnte. Er griff nach meiner Hand, die kraftlos auf der Matratze lag, und verschränkte unsere Finger miteinander. „Ich bin so glücklich“, sagte ich mit geschlossenen Augen und kostete dieses warme Gefühl in mir aus. „Ich habe dich so vermisst“, flüsterte Sasuke plötzlich und verstärkte dieses Glücksgefühl in mir noch. „Immer wieder habe ich mit dem Gedanken gespielt, hierher zurückzukommen, doch ich dachte, niemand würde mich zurückhaben wollen.“ Ich schnaubte, bereute es sofort, denn es spannte ein paar Muskeln zu viel an. „Ich bin dir doch gleich hinterher, nachdem du verschwunden bist“, argumentierte ich leise, weshalb es seine Wirkung verfehlte. „Ich wollte dich sofort wieder zurückholen. Und ich habe es nicht nur mit Worten sondern auch mit Gewalt versucht. Aber du wolltest einfach nicht hören.“ „Nein“, gab er zu und senkte den Blick. „Es tut mir so leid. Ich habe es nicht geglaubt, dass du mich wirklich zurückholen willst. Nicht nach dem, was du zu mir gesagt hast.“ Er schüttelte den Kopf. „Was ich dachte, was du zu mir gesagt hast. Aber es war nur ein Genjutsu. Es war zum Glück nur ein Genjutsu.“ „Oi“, sagte ich sanft und strich ihm wieder durchs Haar. „Alles, was zählt, ist, dass du zurückgekommen bist.“ „Aber–“, begann er, doch ich ließ ihn nicht ausreden. „Und du hast Orochimaru besiegt“, ließ ich ihn wissen. „Aber nur mit deiner Hilfe“, warf er ein. „Das ist doch völlig egal, dattebayo!“, wies ich ihn milde zurecht. „Das Schlimmste daran ist, dass das sowieso nichts zählt“, sagte er niedergeschlagen. „Für die Dorfbewohner bin und bleibe ich ein Verräter. Ihr Vertrauen habe ich definitiv verloren.“ Er mied meinen Blick. Es sah aus, als schämte er sich dafür. „Dann holen wir es uns eben zurück, dattebayo!“, beschloss ich simpel, doch Sasuke schaute mich an, als hätte ich eine Offenbarung ausgesprochen. „Holen wir uns die Anerkennung, die wir verdient haben.“ „Du bist so…“, sagte er, noch auf der Suche nach Worten, und endete schließlich: „…schrecklich optimistisch, Dobe.“ Ich lächelte ihn schwach an. „Für dich gibt es einfach keine Hindernisse auf dieser Welt.“ Er drückte sanft meine Hand. „Wenn du von Akatsuki hinters Licht geführt worden wärst, hättest du dich trotzdem nicht fortlocken lassen. Du wärst geblieben und hättest alles getan, um mich umzustimmen.“ Er lachte auf. „Du hättest mich angeschrien, wie unfair es von mir wäre, so mit deinen Gefühlen zu spielen. Du wärst mir und Sakura sicherlich nachgegangen und hättest eine Schlägerei mit mir angefangen. Aber niemals hättest du Konoha verlassen.“ „Ja, wahrscheinlich schon“, gab ich mit einem Grinsen zu. „Aber ich kann Konoha auch nicht verlassen; ich will schließlich Hokage werden.“ Jetzt schnaubte er ein Lachen, während er den Kopf schüttelte. „Usuratonkachi.“ Er schaute mir mit lächelnden und gleichzeitig vor Nässe glänzenden Augen ins Gesicht. Ich nahm die Hand von seinem Rücken und legte sie an seine Wange. Bei der Berührung löste sich sein Lächeln plötzlich auf. Er schaute mich erstaunt an, ließ seine Augen mein Gesicht absuchen, als suchte er den Grund für mein Handeln. Oder die Erlaubnis, etwas Ähnliches zu tun. Er stemmte sich ein Stück höher, entzog sich meiner Hand, rutschte mit seinem Körper weiter zum Kopfende des Bettes hinauf und lehnte sich zu mir hinunter. Er zögerte, als wartete er wirklich noch auf eine Erlaubnis. Ich gab sie ihm wortlos, indem ich meine Hand, die noch in der Luft schwebte, an seinen Hals legte. Er ließ seinen Kopf zu mir hinabsinken, ich wollte ihm entgegenkommen, doch ich fand nicht die Kraft dazu; mein Rücken schien am Bett festgenagelt zu sein. Deshalb drückte ich ihn zu mir herunter, half ihm, seine Lippen gegen meine zu pressen. Er keuchte, kurz bevor sich unsere Lippen trafen. Ich keuchte, nachdem sie sich ein Stück voneinander gelöst hatten, und zwang ihn daraufhin sofort wieder tiefer. Ich ließ seine Hand los, die meine noch immer verschränkt hielt, um sie dazu benutzen zu können, auch seinen Körper zu mir hinunterzudrücken. Ich wollte ihn an mir spüren, auch wenn es wehtat. Nachdem ich seine Hand losgelassen hatte, stützte er sich nun auf beiden Ellenbogen ab, rückte damit weiter zu mir hinauf und legte die Finger seiner einen Hand an meinen Hals, fuhr mit ihnen hinter mein Ohr in meine Haare, und mit der anderen unter mir hindurch hinter mein Schulterblatt, drückte mich zu ihm hinauf, ihm entgegen. Es störte mich nicht, dass es schmerzte. Und er wusste nicht, dass es so war, denn er dachte, ich keuchte weiterhin nur wegen seinen Küssen. „Naruto“, flüsterte er und wirkte beinahe verzweifelt, wie er mich dabei küsste und berührte. Er schien meinen Körper abfahren zu wollen, doch nicht den Raum dazu zu haben. Ich konnte die Position meines Körpers fast gar nicht verändern unter ihm, doch immerhin konnte ich meine Arme frei bewegen. Und ich benutzte sie, zerrte die Bettdecke zur Seite und ersetzte sie durch Sasuke, zog ihn noch weiter in die Mitte des Krankenbetts, bis auch seine Beine über meinen lagen. Ein Knie musste sich zwangsläufig zwischen meinen Beinen abstützen. Leider lag dort noch ein Stück Bettdecke, die uns voneinander trennte. Ich wollte sie wegziehen, doch meine Hände wollten ihre Positionen an seinem Körper nicht mehr aufgeben, konnten ihre Erkundungstour nicht unterbrechen, konnten sich dem Drang nicht widersetzen. Sasuke selbst war es, der schließlich die Decke mit einem Fuß auf umständliche Weise zur Seite trat. Ich küsste ihn nur noch intensiver dafür. „Sasuke“, keuchte ich und suchte einen Weg unter sein Shirt. Ich wollte seine Haut an mir spüren. „Naruto“, hörte ich eine zaghafte Stimme sagen. Ich war einen Moment verwirrt. Dann folgte das Klopfen an der Tür und brachte mich schlagartig zurück in das Krankenzimmer. Ein Zimmer, von dem die Tür nicht abgeschlossen sein würde. Ein Zimmer, das jederzeit jemand betreten konnte. Sasuke schaute mich ebenso schockiert an, wie ich ihn wahrscheinlich gerade ansah. Dann sprang er vom Bett, zog dabei mit einer Hand die Bettdecke wieder über mich und setzte sich zurück auf den Stuhl neben dem Bett. Als sich die Tür des Krankenzimmers öffnete, verriet nichts, was wir bis eben getan hatten, außer mein schnelles Atmen, das meine Brust rasch hob und senkte. Sasuke hatte es irgendwie geschafft, dass man ihm nichts ansah, wenn man nicht genau wusste, dass man auf seine stark pulsierende Halsschlagader achten musste. „Naruto?“, sagte Sakura noch einmal unsicher, bevor sie eintrat. Sie wunderte sich wohl, warum man sie nicht hereingebeten hatte, wenn wir doch – scheinbar nichts tuend – hier saßen und sie hätten hören müssen. Doch das Keuchen war zu laut gewesen in unseren Ohren. Und die restliche Zeit zu kurz. „Sakura-chan!“, sagte ich etwas übertrieben fröhlich, was nicht ganz einfach war, so sehr wie ich außer Atem war. „Was machst du denn hier?“ Ich hatte das Gefühl, Sasuke wollte sich gerade gerne gegen die Stirn schlagen. „Ich wollte sehen, wie es dir geht“, sagte sie und kam zögerlich näher, trat auf die andere Seite des Bettes, auf der ebenfalls ein Stuhl stand, wie ich jetzt bemerkte. Sie rückte ihn näher heran und setzte sich, schaute kurz zu Sasuke herüber und dann wieder zu mir. Sofort fragte ich mich, ob die beiden schon miteinander gesprochen hatten. Was Sasuke ihr erzählt hatte. „Seit wann bist du wach? Hast du noch starke Schmerzen?“ Sie musste glauben, dass ich deshalb so schwer atmete. „Du bist so rot im Gesicht, hast du Fieber?“ Ich warf einen Blick zu Sasuke, als wüsste ich die Antworten nicht selbst, als könnte er ihr besser Auskunft geben. „Erst seit ein paar Minuten“, sagte ich schließlich, meine Augen wieder auf Sakura gerichtet. „…bin ich wach“, vervollständigte ich, damit keine Missverständnisse aufkamen. Auch wenn ich sowohl die Schmerzen als auch diese fiebrige Hitze ebenso erst spürte, seit ich vor ein paar Minuten aufgewacht war. „Und die Schmerzen halten sich in Grenzen.“ Ich wünschte mir so sehr, Sakura würde einfach wieder gehen. Ich wünschte mir, sie wäre nie hereingekommen. „Jetzt, wo du wach bist, wird es in deinem Fall wahrscheinlich sogar schneller heilen“, erklärte sie lächelnd. „Aber ich werde trotzdem noch einmal eine Salbe auftragen, wenn wir den Verband wech–“ „Wann kann ich aus dem Krankenhaus?“, fragte ich unvermittelt. Ich konnte nicht anders, als daran zu denken, was Sasuke und ich tun könnten – ungestört –, wenn wir bei mir oder bei ihm zu Hause waren. In einem Zimmer, dessen Türen man verriegeln konnte. Sakura hob überrascht ihre Augenbrauen. „Ich bin mir nicht sicher“, meinte sie dann und schaute sich im Raum um, als könnte die Antwort hier irgendwo herumliegen. „Aber solange die Wunde nicht verheilt ist, bleibst du liegen und schonst dich!“, befahl sie mir. Ich setzte mich unter Qualen auf. Jede Bewegung meines Oberkörpers schmerzte, als würde Orochimaru sein Schwert noch einmal hineinbohren. Ich hörte Sakura scharf einatmen. „Naruto!“, warnte mich jedoch Sasukes Stimme und mit einem Mal war er vom Stuhl aufgestanden und hatte seine Hände an meine Schultern gelegt. „Bleib liegen“, sagte er leise, seine Augen blickten direkt in meine. Sein Blick war so intensiv, dass ich nicht einmal darüber nachdachte, mich zu widersetzen. Langsam ließ ich mich zurück in die Kissen sinken. Sasuke nahm seine Hände zurück und setzte sich fast ebenso langsam wieder, als erwartete er, ich würde es jeden Moment wieder tun. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Sakura zwischen Sasuke und mir hin und her schaute. Ich wandte mich wieder ihr zu und meinte: „Wo ist diese Salbe?“ „Sie liegt hier“, sagte Sakura und zeigte neben sich auf den Nachttisch. „Wenn du willst, kann ich dir den Verband jetzt wechseln.“ „Ja, das wäre toll“, sagte ich und hoffte, dass diese Salbe Wunder wirkte. Ich wollte hier raus, aus diesem Krankenhaus, diesem öffentlichen Gefängnis ohne Privatsphäre. Sakura stand vom Stuhl auf und ging zu dem Schrank hinter ihr. Sie öffnete mit einem kleinen Schlüssel eine Tür und nahm einen Arzneikoffer heraus. Ich schaute währenddessen zu Sasuke herüber. Ich wollte seine Hand nehmen und etwas sagen, das ein Lächeln auf seine Lippen zaubern würde. Er war so still und ernst, seine Augen auf den Boden gerichtet. Wenn Sakura in dem Moment nicht ans Bett zurückgetreten wäre, hätte ich meine Hand nach ihm ausgestreckt. Sakura stellte den Koffer auf dem Nachttisch ab, öffnete ihn und nahm eine Schere heraus. Dann schlug sie die Bettdecke zurück und sagte: „Nimm die Arme über den Kopf. Und dann schön stillhalten.“ Sie schnitt den Verband an meiner Taille entlang auf und klappte ihn dann zur Seite, enthüllte eine noch nicht verheilte Fleischwunde. Es war kein schöner Anblick. Ich schaute zu Sasuke herüber und sah, wie er die Augen abwandte, als schämte er sich dafür. Als fühlte er sich schuldig. „Sasuke-kun?“, sprach Sakura ihn plötzlich an, was ich gerade hatte tun wollen. „Kannst du Naruto aufsetzen und ihn aufrecht halten?“ „Ja“, antwortete er etwas verzögert. „Natürlich.“ Er stand auf und beugte sich zu mir hinab. Ich war so fasziniert davon, wie sanft er mit einer Hand um meine Schulter griff und mit der anderen den unteren Teil meines Rückens stützte, dass ich vollkommen vergaß, ihm entgegenzukommen. Er mied den Bereich meiner Wunde dabei, so weiträumig er konnte, und hielt mich dennoch so sicher fest, dass ich den Schmerz fast nicht bemerkte. Ich konnte nur seine warmen Finger spüren. Als Sakura allerdings den Verband von meinem Rücken löste, spürte ich ein Stechen, das ich nicht ignorieren konnte. Ich krallte meine Hände, die sich an Sasuke festhielten, in seine Schultern und presste meinen Mund in Sasukes Halsbeuge, um nicht zu schreien. „Der Verband klebt so stark an der Wunde, weil du die ganze Zeit darauf gelegen bist“, erklärte Sakura. „Aber es ist schon vorbei.“ Auch wenn sie das sagte, das Brennen hatte noch nicht aufgehört. Aber Sasuke hielt mich fest und ich durfte mich an ihm festhalten. „Ich trage jetzt die Salbe auf“, meinte sie schließlich und ich hörte die Tube über den Nachttisch kratzen und sie den kleinen Deckel auf diesem ablegen, nachdem sie ihn abgeschraubt hatte. „Das könnte auch noch einmal ein bisschen brennen“, warnte sie und ich schaute zu ihren Händen, die sich meinem Rücken näherten, um einschätzen zu können, wann der Schmerz eintraf. Er blieb jedoch beinahe aus. Ich spürte nur die angenehme Kühle und ein leichtes Stechen. Dennoch ließ ich Sasuke nicht los. Ich drückte meine Lippen leicht gegen seinen Hals. Ich spürte die Gänsehaut, die ich damit auslöste deutlich. Ein kleines Lächeln stahl sich auf meinen Mund. Als Sakuras Finger die Salbe auf meinem Bauch verteilte, sog ich scharf die Luft ein und fluchte: „Kuso…“ Sasuke drückte ganz leicht meine Schulter, was mich ungemein von dem Schmerz ablenkte. Ich atmete seinen Geruch ein und konzentrierte mich ganz darauf, wie nahe er mir war. Und plötzlich war es vorbei und ich fürchtete, Sasuke wieder loslassen zu müssen. Doch Sakura griff nach einer Verbandrolle und bat Sasuke nur, ein Stück zurückzugehen, damit sie besser zwischen uns durchkam, wenn sie den Verband um mich herumwickelte, womit sie jetzt begann. Und ich genoss es einfach, von Sasuke noch eine Weile im Arm gehalten zu werden. Meine Finger begannen unwillkürlich, über seinen Nacken zu streichen, wo Sakura es nicht sehen würde. Ich wusste, dass Sasuke das nicht wollte. Es war mehr als offensichtlich. Aber es war vorerst in Ordnung. Vor allem vor Sakura. Ich wusste nicht, was sie noch für Sasuke empfand und wollte ihr auch nicht wehtun. Ich spürte die frische Gänsehaut unter meinen Fingerkuppen, doch das brachte mich nicht dazu aufzuhören. Lange konnte ich seinen Nacken ohnehin nicht kraulen, da meinte Sakura bereits stolz: „So, fertig.“ Ich wollte nicht, dass Sasuke mich losließ, er sah es auch deutlich an meinem Blick, als er seinen Kopf zurücknahm, doch er tat es trotzdem, lehnte mich sanft zurück. Bevor er damit sonderlich weit gekommen war, meinte ich jedoch: „Ich will sitzen bleiben. Ich will nicht liegen.“ Sasuke schaute zuerst zu Sakura herüber, als wusste er nicht, ob er das erlauben durfte. „Das ist kein Problem“, sagte sie und schüttelte die Kissen hinter mir ein wenig auf, bevor Sasuke mich mit meiner Mithilfe nach hinten schob und dann meinen Rücken langsam darauf sinken ließ. „Für die Wunde an deinem Rücken ist das definitiv besser“, meinte sie. Nach einem Moment fügte sie hinzu: „Ich hoffe trotzdem, du schläfst normalerweise auf dem Rücken. Auf dem Bauch solltest du in nächster Zeit auf keinen Fall schlafen.“ „Okay“, sagte ich, um ihr zu zeigen, dass ich das beachten würde. „Wie lange…“, fragte ich dann. „Wie lange habe ich eigentlich geschlafen?“ „Nur zwei Tage“, antwortete sie. „Andere wären bei dieser Verletzung länger nicht bei Bewusstsein gewesen.“ Sie spielte mit ihren Fingern und mied unsere Blicke. „Und die meisten hätten es gar nicht überlebt.“ „Die wenigsten haben auch jemanden dabei wie dich, Sakura-chan“, lächelte ich sie an. „Du hast mir das Leben gerettet, dattebayo.“ „Mh-mh“, verneinte sie und schüttelte den Kopf. „Der Kyuubi hat dir das Leben gerettet.“ Ich schnaubte. Dann schaute ich zu Sasuke herüber. Er schaute traurig auf die Hände in seinem Schoß hinab. „Kann ich“, begann ich abrupt, bereits ein entschuldigendes Lächeln im Gesicht, „jetzt etwas zu essen haben?“ Ich hatte tatsächlich Hunger. Nur hoffte ich auch, dass Sakura deshalb gehen und mich mit Sasuke allein lassen würde. Es gab noch so viel zu bereden. So viel auszutauschen. Worte. Gedanken. Blicke. Berührungen. „Also wirklich! Du bist schon wieder ganz der Alte“, sagte sie kopfschüttelnd. „Aber ich werde eine Schwester holen gehen, bevor du hier verhungerst.“ Ich grinste. Mein Plan war aufgegangen. „Danke, Sakura-chan“, sagte ich noch, bevor sie aufstand und zur Tür ging. Ehe sie allerdings durch sie verschwand, schaute sie zu Sasuke zurück und meinte: „Kann ich dich einen Augenblick sprechen, Sasuke-kun?“ Mein Mund öffnete sich vor Empörung. Wie gerne wäre ich eingeschritten, hätte eingeworfen: „Nein, das geht jetzt nicht, Sakura-chan“, doch das tat ich natürlich nicht. Sasuke zögerte, als dachte er dasselbe, doch dann nickte er und stand auf, folgte ihr zur Tür. „Bis später, Naruto“, verabschiedete Sakura sich. Dass Sasuke mich nur flüchtig ansah, aber nichts sagte, bedeutete für mich, dass er gleich wieder zurückkommen würde. Oder zumindest davon ausging, dass er das konnte. Als die Tür geschlossen war, atmete ich hörbar enttäuscht aus. Jetzt saß ich hier und musste warten – und mir den Kopf zerbrechen, was Sakura von Sasuke wollte. Ich fürchtete, dass es eine Sache war, die sie schon lange von ihm wollte. Das gefiel mir nicht, doch immerhin konnte ich sichergehen, dass Sasuke das nicht wollte. Nicht nach dem, was eben zum wiederholten Mal zwischen uns passiert war. Ich schloss die Augen und legte meinen Kopf in den Nacken. Ich fühlte mich eigenartig. Einerseits überglücklich und andererseits bereits so enttäuscht, dass ich gerade nicht so viel von Sasuke haben konnte, wie ich wollte. Plötzlich klopfte es an der Tür und sie öffnete sich, noch bevor ich etwas über meine Vorfreude über Sasukes so schnelle Rückkehr hinweg sagen konnte. Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, dass Sasuke Sakura so schnell loswerden würde. „Yo.“ Meine Stimmung sank spürbar und sichtbar, als ich Kakashi eintreten sah. „Ich habe gehört, dass du wieder wach bist.“ Natürlich hätte ich mich auch über den Besuch meines Lehrers gefreut, doch nicht, wenn ich mir Hoffnung machte, dass es jemand noch Wichtigeres sein könnte. „Soll ich wieder gehen?“ Kakashi hatte zwar die Tür geschlossen, doch dann war er stehen geblieben, noch nicht weit vom Eingang entfernt, und hob jetzt fragend seine Augenbrauen. „Nein, nein, Kakashi-sensei!“, entgegnete ich sofort und gestikulierte wild mit den Händen. Es schien ihm zu genügen; er kam auf mich zu, stellte sich ans Fenster, lehnte gegen den Sims und schaute mich vorerst nur an. „Wen hast du erwartet?“, fragte er schließlich. Er schien neugierig geworden zu sein. „Nein, warte“, sagte er, bevor ich auch nur hatte rot anlaufen können. „Du dachtest, Sakura würde zurückkommen, stimmt’s?“ Ich dachte daran, wie er mich vor zweieinhalb Jahren gefunden hatte. Fast komplett ausgezogen, in Sasukes Bett, bewusstlos. Er hatte mir nie gesagt, was er vermutet hatte, was passiert sein könnte. Ich zögerte. Sollte ich ihm die Wahrheit sagen? Ich hatte noch keine Zeit gehabt, mit Sasuke darüber zu reden, wie wir die Sache handhaben wollten. Eigentlich wollte ich es in alle Welt hinausschreien, dass Sasuke für mich zurückgekehrt war, doch ich hatte keine Zweifel, dass er darüber nicht sehr begeistert sein würde. Vor allem jetzt noch nicht. Deshalb entschied ich mich anders, kratzte mich am Kopf und log: „Erwischt.“ Kakashis Augen schienen kurz zu lächeln. Dann beendete er den Smalltalk und sein Blick wurde wieder ernst. „Naruto-kun“, begann er. „Du weißt, dass du nur knapp mit dem Leben davongekommen bist.“ Ich schlug meine Augen nieder und nickte. „Und du weißt hoffentlich, dass Orochimaru kein Gegner für Akatsuki gewesen wäre.“ Ich schaute wieder zu ihm auf. „Und du weißt, dass Akatsuki es auf dich abgesehen hat.“ Ich nickte wieder. „Und du weißt sicher auch, dass Sasuke Rache nehmen will an seinem großen Bruder.“ Ich nickte gar nicht erst, sondern wartete, bis er weitersprach. „Ich will, dass ihr nicht in die Nähe Akatsukis gelangt.“ Er sah mich streng an. „Alle beide.“ Sein Blick duldete keinen Widerspruch. „Unter keinen Umständen.“ „Aber du kannst uns hier auch nicht ewig verstecken“, argumentierte ich. „Sie werden Konoha angreifen.“ „Sie werden Konoha angreifen“, wiederholte er meine Worte, als wäre das ein unumstößlicher Fakt. „Aber hier haben wir noch eine geringe Chance, euch beschützen zu können.“ „Weiß Sasuke davon?“, fragte ich nach einer langen Stille. „Ich habe schon mit ihm gesprochen“, antwortete er lediglich, als wollte er mir nicht mehr verraten. „Und was hat er gesagt?“, wollte ich wissen. „Ich fürchte“, begann Kakashi, „dass er noch nicht in der Lage war, etwas dazu zu sagen, während du noch im Sterben gelegen hast.“ Ich starrte ihn nur an. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie es für Sasuke gewesen sein musste. Ich wollte mir jedoch gar nicht vorstellen, wie ich mich gefühlt hätte, wenn er an meiner Stelle gewesen wäre. Und wie Sakura es gesagt hatte: Ohne den Kyuubi hätte ich es wahrscheinlich nicht überlebt – Sasuke hätte diese Wunde vielleicht nicht überlebt. Kakashi schaute mich unverändert an. „Was hat er…?“, begann ich und fragte mich, wie Sasuke sich verhalten hatte. Wie er sich vor den anderen gezeigt hatte. Vielleicht hatte er es sogar längst erzählt, was zwischen uns war. Ich wusste es nicht. Man hatte uns einfach noch zu wenig Zeit gegeben. Zeit allein. „Was hat Sasuke gemacht?“ Als Kakashi nicht reagierte, fügte ich hinzu: „Als ich geschlafen habe.“ „Er hat die vollen zwei Tage an deinem Bett verbracht und sich nur selten von Sakura dazu überreden lassen, etwas zu essen oder zu trinken.“ Kakashis Augen fixierten sich auf mein Gesicht, als wollte er meine Reaktion studieren. „Er hat kaum mit uns gesprochen, nur dagesessen und ins Nichts gestarrt.“ Allein die Vorstellung weckte den Drang in mir, Sasuke nachzugehen und ihn in den Arm zu nehmen. Jetzt erst konnte ich seine Verzweiflung wirklich begreifen, die ich eben in seinen Berührungen gespürt hatte. „So viel ich verstanden habe, hat man ihn irgendwie dazu gebracht, dass er freiwillig mitgegangen ist“, erklärte er mir, was er bereits wusste. „Er hat von einem Genjutsu gesprochen. Weißt du etwas darüber?“ Ich öffnete den Mund, wusste jedoch nicht, was ich antworten sollte. „Wir haben noch nicht wirklich darüber gesprochen“, sagte ich schließlich. „Er wollte es mir erklären, aber dann hat uns Orochimaru angegriffen.“ „Aber du vertraust ihm?“, fragte er plötzlich. Perplex blickte ich Kakashi an. „Wie…? Natürlich vertraue ich ihm. Was gibt es für einen Grund, das nicht zu tun?“ Er schwieg einen Moment. Dann schaute er zum Fenster hinaus, als wollte er mir sagen, dass ich etwas weiter in die Ferne blicken sollte. Den größeren Zusammenhang begreifen sollte. „Es besteht die Möglichkeit, dass Sasuke für Akatsuki arbeitet.“ Ich lachte freudlos auf. „Was?!“ Ich schnaubte. „Das ist doch…! Das ist doch einfach nur absurd!“ Ich wollte, dass Kakashi mich ansah und die Entrüstung in meinem Gesicht sah. „Sasuke will Itachi umbringen!“ „Das ist genau der Punkt“, sagte er nur und ich runzelte die Stirn vor Unverständnis. Empört keuchte ich auf. Mehrere Male. Mir fehlten einfach die Worte. Kakashi dagegen wusste genau, was er mir sagen wollte: „Sasuke hat gemerkt, dass er keine Chance gegen seinen Bruder hat. Und deshalb sieht er vielleicht nur noch einen Weg, ihn zu besiegen.“ Ich schüttelte den Kopf. Ich verstand es nicht. Er erklärte es mir: „Sich mit ihm verbünden, um ihm dann unerwartet in den Rücken zu fallen.“ „Das würde Sasuke niemals tun“, sagte ich sofort. „Das könnte er nicht.“ „Ich glaube, du weißt nur noch nicht, wozu verzweifelte Menschen fähig sind“, sagte Kakashi ernst. „Ich habe ihn gestern noch an diesem Bett gesehen und wusste genau, wozu er fähig war.“ Er zögerte, bevor er hinzufügte: „Zu allem.“ Kakashis Blick war düster. Er machte mir Angst – Angst um Sasuke. „Man verschließt die Augen vor der Wahrheit, wenn man sie nicht sehen will“, sagte Kakashi leise. „Ich fürchte, dasselbe tust du gerade, Naruto-kun.“ „Nein!“, brach es sofort aus mir heraus. Das durfte er nicht von mir denken. Er musste mir vertrauen, dass ich Sasuke einschätzen konnte. „Nein, ich weiß ganz sicher, dass Sasuke…“, begann ich, doch wusste nicht, wie ich den Satz beenden sollte. „Bauchgefühle sind hier nicht gefragt, Naruto-kun“, sagte Kakashi kopfschüttelnd. Genau das hatte er von mir erwartet: Gefühle – keine Fakten. „Aber was hat er denn getan?“, wollte ich wissen. „Er hat mich doch gerettet! Er hat mit mir gekämpft!“ Ich schüttelte vehement den Kopf. „Das bedeutet doch erst recht, dass Sasuke auf unserer Seite ist!“ Kakashis Worte ergaben keinen Sinn für mich. Warum sollte man Sasuke misstrauen? Wenn Orochimaru noch am Leben wäre, dann könnte man denken, Sasuke könnte nur als Spion zurückgeschickt werden, doch er hatte ihn umgebracht. Er hatte Orochimaru beseitigt; ich war dabei gewesen; ich hatte es gespürt. „Nein, das tut es nicht“, widersprach Kakashi mir ruhig, als bedauerte er das aufrichtig. Oder als bemitleidete er mich wegen meiner Unwissenheit. „Orochimaru zu besiegen, war vielleicht ohnehin ein Ziel von Sasuke. Wenn du ihm dabei behilflich sein konntest, wieso hätte er diese Chance nicht ausnutzen sollen?“ Ich keuchte. Das konnte Kakashi nicht ernsthaft annehmen, dass das Sasukes Absichten waren. „Außerdem bist du der einzige Weg, um sich bei Akatsuki einzukaufen.“ Ich schaute Kakashi ratlos an. Ich begriff nicht. „Und dazu braucht er dich lebend.“ Plötzlich traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag. Er meinte, Sasuke würde mich ausliefern. Er würde mich Itachi übergeben, um ihm zu zeigen, dass er auf seiner Seite stand; dass er ihm seine Ziele zu erreichen half. Und wenn sich eine Gelegenheit bot, würde er seinen Bruder danach hinterrücks abstechen und damit seine Familie rächen. „Das würde er nicht tun!“, beharrte ich. „Sasuke würde es nicht wollen, Itachi mit solchen Mitteln zu besiegen. Er will ihn mit seiner eigenen Stärke bekämpfen, das weiß ich ganz sicher.“ „Aber was, wenn er keine Hoffnung mehr sieht, das je zu schaffen?“, warf Kakashi ein. „Was, wenn Orochimarus Machtlosigkeit gegen Akatsuki ihm gezeigt hat, dass es nicht in seiner Macht liegt, den Abstand zu Itachi jemals aufzuholen, um ihn mit eigenen Kräften zu schlagen?“ Kakashi schaute mich fordernd an. „Nein“, sagte ich entschlossen. „Das ist nicht wahr!“ „Ich behaupte nicht, dass es die Wahrheit ist, Naruto-kun“, lenkte Kakashi sofort ein. „Ich sage nur, dass es so sein könnte.“ Ich schüttelte abermals den Kopf. „Und wenn auch nur die kleinste Möglichkeit besteht, dass es tatsächlich so ist, sollten wir das nicht unterschätzen.“ „Es ist nicht so“, blieb ich stur. „Wenn du es irgendwie beweisen kannst, dann –“ „Ich weiß es einfach“, sagte ich nur. Er seufzte. „Das ist leider nicht genug.“ Wir schwiegen eine Weile. Ich versuchte, diese Anschuldigungen gegenüber Sasuke zu verdrängen, doch ich konnte nicht. Wenn selbst Kakashi so etwas dachte, was würden dann andere denken? Hatte ich Sasuke zu viel Hoffnung gemacht? Ich hatte wirklich gedacht, dass jeder hier ihn mit offenen Armen empfangen würde. Doch da war ich vielleicht der Einzige. „Naruto“, zog Kakashi plötzlich meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Ich schaute ihn an, wappnete mich für das, was er gleich sagen würde. Ich wusste, dass es nichts Gutes sein konnte. Ich erwartete heute keine guten Nachrichten mehr. Vor allem nicht von Kakashi. „Du darfst Sasuke kein Wort davon erzählen, hörst du?“ Ich antwortete ihm nicht, dachte nur bei mir: Niemals würde ich Sasuke wissen lassen, wie sehr man ihm misstraute. Dass es vor allem sein eigener Mentor war, der das tat. „Versprich es mir, Naruto-kun.“ Ich kniff die Augen zusammen. Es tat weh. Es Sasuke nicht zu erzählen, bedeutete, Geheimnisse vor ihm zu haben, mich verstellen zu müssen, ihn möglicherweise sogar belügen zu müssen. Ihm die Wahrheit zu erzählen allerdings, bedeutete, ihm noch ein Stück mehr von seiner Seele zu zerbrechen. „Naruto“, sagte Kakashi nun etwas dringlicher. Ich begriff zuerst nicht, warum, doch dann hörte ich das zaghafte Klopfen an der Tür. Mein Kopf wandte sich automatisch dem Geräusch zu, doch ich konnte immer noch spüren, wie schwer Kakashis Blick auf mir lastete. Er wollte noch eine Antwort. Er wollte mindestens ein wortloses Nicken. Doch ich konnte ihm nichts davon geben, denn im nächsten Moment erschien Sasuke in der Tür. Er blieb sofort stehen, als wäre er gegen die Wand geprallt, die durch die Stimmung im Raum entstanden war. Er schaute verwirrt von Kakashi zu mir. „Soll ich später wiederkommen?“, fragte er unsicher, den Türgriff noch in der Hand. „Nein, nein“, sagte Kakashi sofort lässig und ging selbst auf den Ausgang zu. „Ich wollte sowieso gerade gehen.“ Als er die Tür erreichte, sagte er noch: „Aber du weißt, dass du heute noch einen Termin beim Hokage hast.“ „Ja, ich weiß“, antwortete er leise, als würde das etwas daran ändern, dass ich ihre Unterhaltung mitverfolgen konnte. Es gefiel mir nicht, dass ich noch nichts davon gewusst hatte. Was wusste ich noch alles nicht? „Jaa, na“, sagte Kakashi dann nur noch, hob seine Hand zum Abschied und verschwand, zog die Tür hinter Sasuke ins Schloss. Dieser stand noch einen Moment unentschlossen da, bevor er auf mich zukam. „Warum musst du zu Tsunade-baachan?“, fragte ich als Erstes unsicher. Er atmete tief ein und schaute dann vor sich auf den Boden. „Ich habe noch immer keinen Bericht abgegeben.“ „Warum nicht?“, fragte ich nach und ich spürte die nagenden Zweifel an den Ecken meines Bewusstseins. Warum hatte er noch nichts erzählt? Lag es daran, dass er Geheimnisse hatte? Hatte Kakashi denn wirklich…? Ich stoppte meine Gedanken. Ich wollte Sasuke nicht verdächtigen. Ich vertraute ihm. Egal was Kakashi vermutete. Ich vertraute ihm. „Ich wusste einfach nicht, wie ich es erklären sollte“, versuchte er, es zu begründen. „Vor allem das, was vor zweieinhalb Jahren passiert ist und zu all dem hier geführt hat.“ Also hatte er noch niemandem etwas von uns erzählt. Wahrscheinlich war Sasukes Verschwiegenheit sogar der einzige Grund, warum Kakashis Misstrauen geweckt worden war. Und der Grund für seine Verschwiegenheit lag sicher nicht darin, dass er etwas zu verheimlichen hatte, sondern dass er nicht wusste, was er preisgeben wollte. „Was soll ich dem Godaime sagen?“, fragte er auf einmal passend zu meinen Gedanken. Ich zögerte, ihm zu antworten. Ich wusste es auch nicht. „Die Wahrheit“, beschloss ich dann. Ich wollte nichts auf Lügen aufbauen. Noch wusste ich nicht, wie ich das machen sollte, doch ich würde es versuchen. „Ich kann… Ich will…“, begann er und keuchte fristriert. „Ich weiß einfach nicht, wie ich es erklären soll. Ich habe gehofft, dass du mir dabei hilfst.“ Er schaute mich flehend an. „Komm her“, sagte ich sanft und winkte ihn zu mir. Ich konnte den Abstand zwischen uns nicht ertragen. Ich fühlte mich allein, wenn er so weit von mir weg war, dass ich ihn nicht berühren konnte. Und ich hatte das starke Gefühl, dass es ihm genauso ging. Er schien erleichtert, dass ich ihn zu mir rief. Er zögerte nicht herüberzukommen und setzte sich wieder auf den Stuhl rechts von meinem Bett. Ich streckte meine Hand nach ihm aus und er nahm sie in seine. Seine Finger waren kalt. Besorgt schaute ich ihm ins Gesicht. Als ich aufgewacht war, waren mir die Schatten unter seinen Augen aufgefallen, jetzt bemerkte ich auch die leicht eingefallenen Wangen und die Falten zwischen seinen Augenbrauen. Er war ruhelos. Er hatte Zweifel. Er hatte Angst. Ich drückte seine Hand einmal fest. Ich wollte ihm Sicherheit geben. Ich wollte, dass er wusste, dass ich für ihn da war und dass wir das schaffen würden. Irgendwie würden wir das schaffen, alle zu überzeugen. „Mit der Wahrheit“, begann ich erneut, „kannst du nichts falsch machen.“ Er nickte, wenn auch unsicher. „Du kannst vielleicht einfach nur ein paar Details weglassen. Vor allem von dem, was in deinem Zimmer passiert ist.“ Ich lächelte ihn schwach an, während ich mir leicht auf die Unterlippe biss, und ich war froh, dass seine Gesichtszüge sich jetzt etwas entspannten. Ich wollte noch zusätzlich ratlos mit den Schultern zucken, doch das hielt mein Rücken für eine nicht besonders gute Idee. Ein Schmerz fuhr, von der Wunde ausgehend, in alle Richtungen – vor allem nach innen, irgendwo in die Mitte meines Körpers. Ich konnte es nicht vor Sasuke verstecken; mein Oberkörper kam mit einem Ruck zum Halt. Ich öffnete die Augen wieder und sah noch, wie Sasuke den Blick von mir abwandte, als würde ihm allein der Anblick Schmerzen bereiten. „Ich hätte wohl doch noch ein bisschen länger schlafen sollen“, scherzte ich. „Dann wäre es bestimmt schon ein bisschen besser verheilt.“ „Es tut mir so leid“, sagte er plötzlich und ich erschrak beinahe. Ich ahnte Fürchterliches. Wofür entschuldigte er sich? Für das, was er mir vorgespielt hatte? Für das, was er gleich tun würde? „Wegen mir hast du diese Verletzung und trotzdem kann ich dir am wenigsten dabei helfen, sie zu heilen.“ Ich atmete innerlich erleichtert auf. Meine in meinem Kopf noch nicht einmal formulierten Befürchtungen hatten sich nicht bestätigt. „Du bist überhaupt nicht schuld daran, dass ich das hier habe“, sagte ich mit einer vagen Geste zu meiner Brust. „Ich bin selbst schuld, dass ich nicht schneller war.“ Er schüttelte den Kopf. Er wollte meine Ausreden nicht hören. Er wollte etwas entgegnen, doch ich zog an seiner Hand, noch bevor er etwas sagen konnte. Er schaute mich noch immer mit einem etwas schmerzverzerrtem Ausdruck an, aber wehrte sich nicht, ließ sich von mir vom Stuhl hinaufziehen. „Du kannst mir sogar unglaublich gut dabei helfen, wieder gesund zu werden“, ließ ich ihn wissen. „Keiner kann mich so gut ablenken wie du.“ Ich zog ihn zu mir hinunter. Er stand zwar direkt neben meinem Bett, doch er war noch immer zu weit entfernt. Ich wollte ihn näher bei mir haben. Ich wollte keine Distanz mehr zwischen uns. Nie wieder. „Ich glaube, das beruht auf Gegenseitigkeit“, sagte er mit einem schwachen Lächeln und einem ebenso sanften Händedruck. „Ich habe vorhin fast vergessen, wo wir hier sind.“ Ich dachte an unsere Küsse zurück und die Ungeduld, mit der wir die Bettdecke hatten beseitigen wollen. „Du hast aber trotzdem noch ziemlich schnell reagiert“, sagte ich anerkennend und zog ihn ein Stück weiter, zu mir aufs Bett. „Und du bist ein so schlechter Schauspieler, Usuratonkachi“, ließ er mich noch wissen, bevor er sich jetzt an den Bettrand setzte. Ich dachte an meine unbeholfene Art Sakura gegenüber zurück. „Gomen, gomen“, sagte ich und kratzte mich mit meiner freien Hand am Hinterkopf. Er warf einen flüchtigen Blick in mein Gesicht und schaute dann wieder in seinen Schoß, wo ich unsere Hände miteinander verschränkte. Jetzt lächelte er und meine Stimmung hob sich. Ich spürte Hoffnung in diesem Wirbelsturm aus negativen Gefühlen. Ein Klopfen ließ Sasuke sofort meine Hand loslassen und vom Bett aufstehen. Ich seufzte. „Herein?“, reagierte ich dieses Mal in angemessener Zeit. Die Tür öffnete sich und es kam eine Krankenschwester mit einem Tablett in ihren Händen zum Vorschein. „Ich habe gehört, hier verhungert jemand“, sagte sie mit einem breiten Grinsen. Ich warf ein Lächeln zurück und lenkte es dann zu Sasuke herüber. Er erwiderte es nicht, sondern sagte: „Ich werde dann jetzt zum Hokage gehen.“ Mein Lächeln verschwand. Ich konnte es sehen, dass das eine Aufgabe war, die er nicht erfüllen wollte. Er fürchtete sich vor diesem Gespräch. Und er kannte Tsunade nicht einmal; er wusste also gar nicht, was ihn erwartete. Zu gerne hätte ich mich angeboten mitzugehen. Doch Sasuke hatte mir bereits den Rücken zugekehrt und würde es wohl auch nicht zulassen, dass ich das Krankenbett verließ. Er ging zur Tür, die die Krankenschwester noch nicht einmal geschlossen hatte. „Kommst du… später wieder vorbei?“, fragte ich noch hastig. Er blieb stehen. Bevor er jedoch antworten konnte, sagte die Krankenschwester: „Aber nicht vergessen, die Besuchszeit endet schon in einer Stunde.“ Sasuke nickte mit dem Blick zum Boden und ich schaute ihn hoffnungsvoll an. Ich wusste jedoch nicht, ob er mir oder der Krankenschwester zugenickt hatte. „Sasuke?“, hielt ich ihn noch einmal auf, ehe er gänzlich zur Tür draußen war. Er blieb stehen, die Türklinke in der Hand; er war bereits zur Hälfte vom Türrahmen verdeckt. „Bis später“, war alles, was er sagte, bevor er die Tür schloss. Ich hatte das Gefühl, dass ein Stück meiner Energie mit ihm ging. Doch er machte mir Hoffnung, dass er sie später wieder zurückbringen würde. „Ist er eigentlich wirklich nicht verletzt?“, fragte die Krankenschwester plötzlich und stellte das Tablett geräuschvoll auf dem Nachttisch links von mir ab, sodass ich bei dem lauten Geräusch zusammenzuckte. Ich schaute irritiert zu ihr auf. „Er sieht aus, als hätte er Schmerzen, aber er hat sich von Anfang an geweigert, sich untersuchen zu lassen. Die liebe Sakura-san hat mir gesagt, dass sie zwar keine Verletzungen bei ihm gefunden hat, aber ich bin mir noch immer nicht sicher, ob er nicht vielleicht an inneren Verletzungen leidet.“ Ich schüttelte den Kopf. Keine, die die Ärzte hier heilen könnten. „Ich glaube nicht“, sagte ich statt meines Gedankens laut. Sie sollte sich keine unnötigen Sorgen machen. Und sie sollte vor allem aufhören, mir noch mehr Sorgen zu machen. Ich war davon ausgegangen, dass man ihn sofort untersucht hatte, als wir das Krankenhaus erreicht hatten. „Er hat nur viel durchgemacht.“ „Ach so“, sagte sie und holte einen kleinen Holztisch unter meinem Bett hervor, den sie über meinem Schoß platzierte, um dort das Tablett abstellen zu können. Sie hob den Deckel an und gab den Blick frei auf einen vollen dampfenden Teller. „Das sieht lecker aus!“, sagte ich zu ihr und griff nach den Stäbchen. Sie lächelte mir zu und ging zur Tür. „Lass es dir schmecken!“, sagte sie noch, bevor sie den Raum verließ. Als ich allein war, schaute ich auf den Teller hinab und ließ das Besteck wieder sinken. Mein Magen war ein einziger Knoten. Ich konnte nichts essen. ~ Sasuke war an diesem Abend nicht mehr zurückgekommen. Ich wusste nicht, ob Tsunade ihn so lange aufgehalten hatte, dass man ihn nicht mehr ins Krankenhaus gelassen hatte, oder ob Sakura ihm verboten hatte, noch eine weitere fast schlaflose Nacht im Krankenzimmer zu verbringen. Ich hoffte, dass ihn weder Sakuras Meinung noch die Regeln des Krankenhauses interessierten und er sich einfach zu mir hereinschleichen würde. Doch er kam nicht. Ich fragte mich, was Sasuke gerade durchmachte. Ob er noch immer bei Tsunade war und verhört wurde. Ob vielleicht sogar Mitglieder von ANBU das Verhör leiteten. Vielleicht hypnotisierten sie ihn, um ihre Antworten zu bekommen, wie ich das schon häufiger gehört hatte. Ich wollte zu ihm. Aber ich wusste, dass es nichts nützte. Das würde nur alles noch komplizierter machen. Und ich fühlte mich noch immer so schwach. Irgendwann war ich schließlich eingeschlafen. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war es schon hell. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war. Es gab keine Uhr in meinem Zimmer. Und Sasuke war immer noch nicht da. Irgendwie hatte ich gehofft, dass er mindestens wieder an meinem Bett sitzen würde, wenn ich aufwachte. Ungeduldig wartete ich, dass irgendetwas passierte. Doch nichts geschah. Ich hörte nur das Zwitschern der Vögel. Nichts im Raum bewegte sich. Das hielt ich ein paar Minuten aus, dann versuchte ich aufzustehen. Ich konnte nicht mehr untätig herumsitzen. Ich warf meine Beine über den Bettrand, stellte sie auf den glatten Boden. Sie fühlten sich schwach an, als hätte ich das Gehen verlernt. Die ersten Schritte waren sehr unsicher. Das Schlimmste allerdings war der Schmerz in meiner Brust, den ich bei jedem Schritt spürte. Ich hatte erwartet, dass er nachgelassen haben würde, doch diese eine Nacht hatte nichts geändert. Ich biss die Zähne zusammen auf dem Weg zur Tür und lehnte mich dort erst einmal daneben an die Wand, um Kraft zu sammeln. Ich überlegte, wo ich überhaupt hingehen sollte. Würde Sasuke bei sich zu Hause sein? Er konnte unmöglich noch bei Tsunade sein. Oder? Ich wurde die Vorstellung nicht wieder los, wie Sasuke inmitten eines abgedunkelten Raumes saß, seine Hände verbunden, vornübergebeugt vor Erschöpfung. Ich stieß mich leicht von der Wand ab und öffnete die Tür. Als ich auf den Gang trat, bemerkten mich die vorbeihastenden Krankenschwestern nicht. Ich ging den Korridor entlang, vorbei an etlichen Türen, die allesamt geschlossen waren. „Naruto?“, hörte ich plötzlich eine vertraute Stimme. Ich wandte mich um und sah Sakura hinter mir auf dem Gang stehen. „Wo willst du hin? Du solltest noch nicht aufstehen.“ „Sakura-chan“, sagte ich unter Anstrengung und ging die paar Schritte zu ihr zurück. Sie kam mir ab der Hälfte der Strecke entgegen, wartete noch immer auf eine Antwort. Ich gab sie ihr nicht, sondern fragte: „Wo ist Sasuke?“ Ihr Mund öffnete sich, doch sie sah nicht aus, als wollte sie etwas sagen. Sie wirkte eher entsetzt. Als bemerkte sie das selbst etwas verspätet, presste sie jetzt ihre Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. Es war mehr als deutlich, dass sie die Antwort wusste, sie mir aber nicht sagen wollte. „Du weißt es!“, warf ich ihr vor und musste mich zurückhalten, nicht handgreiflich zu werden. Dass sie es mir nicht sagen wollte, verhieß erst recht nichts Gutes. „Ich weiß es nicht“, behauptete sie. Ihre Augen mieden meinen Blick. „Mach mir doch nichts vor!“, fuhr ich sie an. „Ich weiß, dass er zu Tsunade-baachan gegangen ist. Du bist doch schon fast ihre rechte Hand; du weißt ganz sicher, wo Sasuke ist!“ „Ich weiß, dass er noch verhört wird, aber ich weiß nicht, wo“, rückte sie schließlich mit der Sprache heraus. „Er wird wirklich noch…“, sagte ich fassungslos. Die Entscheidung war schneller gefasst, als ich denken konnte. Ich wandte mich um und rannte los. „Naruto!“, rief Sakura. „Mach es nicht! Du kannst nichts tun!“ Es war mir egal, was sie sagte. Ich würde mit eigenen Augen sehen, was ich tun konnte. Ich würde es mit eigenen Händen versuchen, ihn dort herauszuholen. „Kakashi-sensei!“, hörte ich Sakuras Stimme durch den Gang schallen und auf einmal stellte sich mir unser Trainer in den Weg und hielt mich an den Armen fest. „Ich will zu Sasuke!“, schrie ich ihn an und schlug gegen seine Brust, spürte jeden Schlag in meiner eigenen, als würde ich gegen mich selbst schlagen. Ich wehrte mich gegen seinen Griff, wusste nicht, woher ich die Kraft dazu nahm. „Ganz ruhig, Naruto-kun“, sagte Kakashi mit seiner beruhigenden Stimme. „Sasuke geht es gut.“ „Das glaube ich dir nicht!“, sagte ich sofort und schüttelte den Kopf. Ich krallte meine Finger in die Weste, die er trug. „Das Verhör wird jeden Moment fertig sein“, sagte er dann, aber es konnte auch nur eine Lüge sein, um mich ruhigzustellen. „Man hat ihm schon gestern Nacht angeboten, eine Pause einzulegen und es auf heute zu vertagen, aber er wollte nicht. Er wollte es hinter sich bringen.“ Das stimmte mich tatsächlich etwas milder. Das war etwas, das ich Sasuke auf jeden Fall zutraute. Vielleicht sagte Kakashi doch die Wahrheit. Langsam ließ ich seine Weste wieder los und er gab meine Arme frei. „Leg dich zurück ins Bett, Naruto-kun“, bat er mich. „Sasuke-kun wird wahrscheinlich jeden Moment zurückkommen.“ Ich wollte ihm glauben. Ich wollte ihm vertrauen. Doch ich wusste wirklich nicht mehr, wem ich noch trauen konnte. Eine Schwäche überkam mich, die Erschöpfung holte mich ein, ebenso der Schmerz, und plötzlich hüllte mich Schwärze ein. Als ich die Augen aufschlug, spürte ich eine Matratze unter mir, doch die Dunkelheit war noch immer da. Der Mondschein allerdings versprach ein wenig Hoffnung. Das Fenster stand einen Spalt offen und ließ die frische Nachtluft herein. Mir war jedoch so warm, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass es schon lange offen stand. „Naruto“, hörte ich ein leises Flüstern von links, von dem Bett neben mir, auf dem eine Gestalt saß. Es dauerte einen Augenblick, bis meine Augen sich an die Dunkelheit im hinteren Teil des Raumes gewöhnt hatten, doch dann erkannte ich Sasuke, der vom Bett aufstand und zu mir herüberkam. „Sasuke“, sagte ich erleichtert und streckte meine Hände nach ihm aus. Er setzte sich wieder an den Bettrand und ließ sich von mir in eine Umarmung ziehen. „Alles in Ordnung?“, fragte ich und gab ihn wieder teilweise frei, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Es war jedoch zu dunkel, um viel zu erkennen. „Ja“, sagte er heiser. Dieses Mal glaubte ich, dass es davon kam, dass er in den letzten Stunden zu viel gesprochen hatte. „Habe ich dich aufgeweckt?“ „Bist du eben erst gekommen?“, fragte ich zurück und er nickte. „Haben sie dich so lange verhört?“ Jetzt schüttelte er den Kopf. „Nein, ich war noch eine Weile allein.“ Jetzt verstand ich, warum er so heiser klang. Er hatte geweint. „Warum bist du nicht gleich hergekommen?“, wollte ich wissen. Ich wollte für ihn da sein. Ich wollte ihn trösten können. Es tat weh zu wissen, dass er wieder alles allein hatte ertragen müssen. „Ich wollte nachdenken“, sagte er nur und ich zog ihn wieder an mich. Ich wollte ihn nie wieder loslassen. „Außerdem wollte ich sichergehen, dass mich niemand dabei erwischt, wenn ich mich hier zum Fenster reinschleiche.“ Ich glaubte, dass er auf ein Lachen von mir hoffte, doch mir war gerade nicht danach zumute. „Was hat Tsunade-baachan gesagt?“, wollte ich wissen. Das war jetzt das Wichtigste. „Sie berät sich noch“, war seine kurze Antwort. Er hatte mit dieser Frage definitiv bereits gerechnet. „Aber sie glauben dir“, sagte ich zuversichtlich, doch die Unsicherheit aus meiner Stimme war nicht zu verbannen. Warum hatte er geweint? „Sie müssen mir glauben“, sagte er nur. Es war keine Antwort. „Sie haben mich hypnotisiert.“ Mein Atem stockte. „Also werden sie davon ausgehen können, dass es die Wahrheit war, was ich gesagt habe.“ „Und was haben sie dich gefragt?“, sagte ich leise. Ich konnte es nicht fassen. „Ich weiß es nicht“, sagte er. „Ich kann mich nicht erinnern.“ Wir konnten also überhaupt nicht sagen, was das Ergebnis des Verhörs wirklich war. Man ließ uns vollständig in der Dunkelheit. Er drehte sein Gesicht meinem Hals zu. Ich spürte seine Wimpern an meiner Haut. Er schien mehrere Male zu blinzeln. „Aber sie wollen mich morgen noch einmal befragen.“ „Was?“, keuchte ich. „Das können sie nicht machen.“ Er nickte ein Doch in meiner Halsbeuge. Ich konnte spüren, wie er zitterte. Es tat mir innerlich weh, ihn so zu sehen. Ich hielt ihn an mich gepresst und rutschte mit ihm ein Stück zurück, sodass er halb neben mir, halb auf mir, Platz auf dem Krankenbett fand. Ich warf die Decke über uns und konzentrierte mich darauf, seinen durchgefrorenen Körper zu wärmen. Jetzt spürte ich die Tränen an meinem Hals. „Sasuke“, flüsterte ich und wusste nicht, was ich tun sollte, außer ihn an mich zu drücken und ihn spüren zu lassen, dass ich für ihn da war. Ich fand gerade keinerlei Worte der Hoffnung. „Ich“, begann er plötzlich und schluckte heftig. „Ich habe sogar darüber nachgedacht wegzulaufen“, gestand er mir zu meinem Entsetzen. „Ich hatte solche Angst.“ Ich presste ihn noch stärker an mich. Jetzt jagte er mir Angst ein. Was hätte ich getan, wenn er nicht wieder zu mir zurückgekommen wäre? Wenn er Konoha verlassen hätte? „Es tut mir so leid, dass ich nicht bei dir war“, wisperte ich. Die Reue zog meinen gesamten Leib von innen zusammen. „Du hättest nichts tun können“, sagte er. „Du hättest nur mitgelitten.“ „Das habe ich auch von hier“, ließ ich ihn wissen. „Ich hatte solche Angst um dich.“ Er schluchzte. „Ich lass dich nicht wieder los.“ Ich presste ihn stärker an mich. „Ich beschütze dich.“ Lange hielt ich ihn im Arm und irgendwann hörte er auf zu weinen. Es war nicht lange, bevor er aus Erschöpfung eingeschlafen war. ~ Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war Sasuke verschwunden. Dieses angenehme Gewicht seines Körpers, diese Wärme, diese Sicherheit, in der ich ihn hier wusste. Alles war weg. Panik ergriff mich fast augenblicklich. Er würde doch nicht wirklich fortgelaufen sein, oder? Er hatte gesagt, er hatte darüber nachgedacht. Aber nirgends war er sicherer als hier bei mir. Warum war er gegangen? War es einfach nur deswegen, dass er hier nicht gefunden werden wollte, wo er sich vielleicht gar nicht aufhalten durfte? Oder war er etwa freiwillig zum Verhör gegangen, um es hinter sich zu bringen? Dieses Mal wäre ich mitgegangen. Definitiv. Ich wollte ihm beistehen. Ich stand auf, ohne Rücksicht auf Verluste. Der Schmerz spielte gerade keine Rolle. Ich verlor keine Zeit, zog mir keine Schuhe an. Nur in den Hosen des Krankenhauses und von meinem Verband verdeckt, lief ich durch die Korridore, durch die Straßen des Dorfes, bis zum Haus des Hokage. Ich ignorierte die Rufe des ein oder anderen Dorfbewohners. Ich rannte an den Wachen vorbei, klopfte auch nicht an, sondern stürmte einfach in Tsunades Büro. „Wo ist Sasuke?“, forderte ich eine Antwort von der Frau, die hinter dem großen Schreibtisch saß. Sie war nicht erfreut über mein Hereinplatzen, doch meine Frage stimmte sie noch viel wütender. „Hoffentlich ist er bereits im Verhörzimmer, wir wollen gleich anfangen. Aber –“ „Warum tut ihr ihm das an?!“, schrie ich ungehalten. „Tsunade-sama!“, hörte ich die Stimmen der beiden Wachen hinter mir. Der Hokage machte nur eine Handbewegung und sie verstummten; die Tür schloss sich hinter mir. „Er hat nur einen Fehler gemacht!“, rief ich aufgebracht. „Er hat sich von Trugbildern auf den falschen Weg bringen lassen, na und?! Das hätte jedem passieren können!“ Tsunades Blick war hart. Aber sie schwieg, hörte mich an. „Jeder macht Fehler!“, beharrte ich. „Und niemals würde er ihn ein zweites Mal machen! Er hat daraus gelernt! Er bereut es wirklich!“ „Still“, sagte sie harsch. „Du kannst in diesem Fall am allerwenigsten nachvollziehen, was zu tun ist“, warf sie mir vor. „Was das Richtige für das Dorf ist. Für das Land“, erklärte sie. „Du vertraust ihm noch immer. Du bist blind, siehst in ihm nur sein früheres Ich, das er nicht mehr ist.“ Ich öffnete den Mund, doch sie ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen. „Es mag sein, dass er nur einen Fehler gemacht hat, doch dieser Fehler hat Leben gekostet, Naruto-kun. Und mit seinem Wissen, mit seiner Macht, kann er noch wesentlich mehr Schaden anrichten, als du dir auch nur vorstellen kannst.“ Ich schluckte. Ich begann zu begreifen, dass sie Recht hatte mit dem, was sie sagte. Doch das änderte nichts an dem, was ich zu ihr sagte. „Es spielt keine Rolle.“ „Oh doch, das spielt eine Rolle, Naruto“, sagte sie entschlossen und stand auf. „Aber –“, begann ich. „Könnt ihr ihn denn nicht wenigstens normal befragen? Er wird euch alles erzählen, was ihr wissen wollt!“ Sie ließ sich davon nicht aufhalten, ging weiterhin auf die Tür zu. „Ihr nehmt ihm jede Hoffnung, dass man ihn je wieder als Bürger Konohas akzeptieren wird! Ihr trampelt in seinem Unterbewusstsein herum! Ihr macht ihn innerlich kaputt!“, schrie ich und jetzt verstummten ihre Schritte. Ich öffnete wieder die Augen und sah, dass sie innegehalten hatte. „Es gibt keine andere Methode, um sicherzugehen, Naruto-kun. Es tut mir leid.“ Sie setzte ihren Weg fort, verließ das Büro und ließ mich verzweifelt zurück. Verzweifelt, aber nicht allein, denn die beiden Wachen standen nicht weit von mir. Sie gaben mir noch einen Moment, dann brachten sie mich wortlos ins Krankenhaus zurück. Einer von ihnen bewachte mein Krankenzimmer, damit ich das Verhör nicht stören konnte. Stunden später hörte ich die Wache zum ersten Mal etwas hinter der Tür sagen. „Du darfst eintreten“, verstand ich. Dann klopfte es und die Tür öffnete sich. Es war Sakura. „Warum wird dein Zimmer bewacht, Naruto?“, fragte sie besorgt. „Was ist passiert?“ Sie blieb an meinem Bett stehen und wartete auf eine Antwort. Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte es ihr nicht sagen. Ich wollte, dass sie wieder ging. Ich wollte allein sein, wenn ich nicht bei Sasuke sein konnte. „Hat man dich angegriffen?“, fragte sie ängstlich klingend. Ich schaute zu ihr auf. Sie glaubte tatsächlich, dass es zu meinem Schutz war und nicht dazu, mich hier gefangen zu halten. Sie wusste schließlich von Akatsukis Plänen. Wahrscheinlich wusste sie nur nicht, dass Sasuke noch immer verhört wurde. „Nein“, antwortete ich ihr endlich. „Ich habe nur wieder versucht, das Krankenhaus zu verlassen.“ Sie seufzte und schüttelte den Kopf. Allerdings wusste sie nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie wusste natürlich, was der Grund dafür sein musste. Sie bewegte sich auf den Stuhl neben meinem Bett zu. Sasukes Stuhl. Vorsichtig fragte sie an: „Kann ich irgendetwas–?“ „Bitte geh“, sagte ich sofort, noch bevor sie Platz genommen hatte. Auch wenn ich ihren Blick mied, konnte ich ihn deutlich spüren. Ebenso wie das Entsetzen, die Fassungslosigkeit – und ich konnte den Riss hören, der in dem Vertrauen zu mir entstand. „Lass mich bitte allein.“ Es dauerte eine ganze Weile, bis Sakura sich wieder regte. Sie entfernte sich, ging zur Tür, wo sie noch eine Zeit lang stehen blieb. Sie wollte noch etwas sagen, doch sie wusste nicht, wie. Es tat mir leid, sie so wegzuschicken, aber ich konnte gerade keine Gesellschaft ertragen. Ich horchte auf, als die Wache das nächste Mal sprach. „Bitte“, war alles, was sie sagte. Als die Tür aufging, erwartete ich Kakashi, denn ich hörte, wie sich Schritte von meiner Tür entfernten, die wohl die der Wache sein mussten. Und wer sollte seinen Job übernehmen, wenn nicht mein Mentor? Ich war mehr als überrascht, als Sasuke zur Tür hereinkam. Ich konnte nicht einmal seinen Namen sagen, auch wenn er mir auf der Zunge lag. „Das Verhör wurde eingestellt“, verkündete er mir emotionslos, nachdem er die Tür geschlossen hatte. „Eingestellt?“, wiederholte ich. „Was soll das heißen? Vertagen sie es nur wieder?“ Ich folgte Sasukes Bewegungen mit meinen Augen, bis er neben mir auf dem Stuhl saß, auf den Sakura sich eben hatte setzen wollen. Dann betrachtete ich sein Gesicht genauer. Es sah noch ein wenig ausgezehrter aus als gestern. „Wahrscheinlich“, sagte er niedergeschlagen. Ich öffnete den Mund. Vielleicht war es meine Schuld. Vielleicht hatte ich Tsunade doch umgestimmt bekommen. Ich hatte allerdings nicht darüber nachgedacht, was genau das für Sasuke bedeutete: nämlich, dass er keine Möglichkeit hatte, klare Verhältnisse zu schaffen, seine Unschuld zu beweisen, und ständig in der Angst leben musste, wieder verhört zu werden. Er schwieg noch einen Moment, dann sagte er: „Ich fürchte, sie glauben mir noch immer nicht.“ Meine Stirn runzelte sich. Wieso sollten sie das? Sein Unterbewusstsein konnte er schließlich nicht beeinflussen. Natürlich sagte er unter Hypnose die Wahrheit. „Sie vermuten, dass ich eine Blockade im Kopf haben könnte, die mich davon abhält, ihnen die Dinge zu verraten, die sie wissen wollen.“ Er schaute von seinen verschränkten Händen in seinem Schoß zu mir auf. „Eine Blockade, die Orochimaru ohne mein Wissen geschaffen haben soll.“ „Das ist doch absurd!“, rief ich fassungslos. „Es ist nicht unmöglich, Naruto“, sagte er leise. „Ich weiß nicht, was er alles mit mir gemacht hat.“ Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte überhaupt nicht darüber nachdenken, was Orochimaru mit Sasuke angestellt hatte. Schließlich hatte er ihn genug verwirrt, um ihn glauben zu lassen, dass ich ihn nicht bei mir haben wollte. „Sobald ich wieder aufstehen kann“, kündigte ich an und Sasuke schaute zu mir auf, „werden wir Akatsuki jagen und beweisen, auf welcher Seite wir stehen.“ Wir würden es beweisen, dass Kakashis Vermutung nicht stimmte. Wir würden sie einfach alle auslöschen, bis auf den letzten von ihnen, und dann sollten sie noch einmal versuchen, Sasuke zu unterstellen, dass er für sie arbeitete. „Akatsuki jagen?“, wiederholte dieser überrascht. „Ich glaube, du weißt nicht, was du da sagst. Wir haben keine Chance gegen sie, nicht einmal mit einer Armee.“ „Deshalb greifen wir auch nicht mit einer Armee an“, sagte ich entschieden. „Sondern nur wir beide.“ Er schaute mich lange an. Dann ließ er den Blick sinken. „Ich darf Konoha nicht verlassen.“ „Was?“, entfuhr es mir fassungslos. „Ich darf Konoha nicht mehr verlassen“, wiederholte er. Leiser fügte er hinzu: „Es klang, als wäre das endgültig.“ „Mich interessieren die Regeln nicht, die man nur für dich aufgestellt hat, weil man dir nicht vertraut.“ Entschlossen blickte ich ihn an. „Wir werden gehen und es allen beweisen, dass du nach Konoha gehörst.“ Ich streckte meine Hand nach ihm aus. Er zögerte nicht, danach zu greifen. „An meine Seite.“ Kapitel 5: Jede Nacht --------------------- Die Entlassung aus dem Krankenhaus sollte frühestens in einer Woche stattfinden, als ich meine Sachen zusammenpackte und ging. Es war bereits später Abend und niemand entdeckte mich, als ich durch das Fenster und über die Dächer Konohas sprang. Es tat unglaublich gut, wieder den Wind zu spüren. Fast hätte ich mich frei gefühlt. Als ich Sasukes Zuhause erreicht hatte, sah ich das Licht in seinem Schlafzimmer brennen. Ich hatte ihm extra aufgetragen, auch wenn er sich gewehrt hatte, dass er endlich einmal eine Nacht zu Hause in seinem eigenen Bett verbringen sollte. Ich hatte allerdings nicht vor, dass er sie dort allein verbringen würde. Sasuke hatte mich bemerkt, bevor ich auch nur gegen die Fensterscheibe geklopft hatte. Er schob das Glas zur Seite und sagte erstaunt: „Naruto! Was machst du hier?“ Ich stieg durch den Fensterrahmen und schob das Glas zurück, bevor ich ihm antwortete: „Wir brechen morgen früh auf.“ „Morgen schon?“, sagte er überrascht. „Aber du solltest eigentlich noch im Krankenhaus liegen. Die Wunde ist noch nicht wieder vollständig verheilt.“ Er war dagegen. Ganz offensichtlich. Er hatte Angst. Angst, die Regeln zu brechen, die ihn hier gefangen hielten. „Sie kann auf dem Weg heilen“, sagte ich nur. „Es wird wohl eine ganze Weile dauern, bis wir sie überhaupt gefunden haben. Bis dahin wird wieder alles in Ordnung sein.“ Sasuke schaute mich nicht überzeugt an. Ich wusste, dass er widersprechen wollte, doch ich kam ihm zuvor: „Ich habe einen Plan.“ Sein Mund öffnete sich, doch schloss sich wieder. Es war offensichtlich, dass er meinen Vorschlag hören wollte. „Wir“, begann ich und mein Kopf pochte. Ich hatte die Tage im Krankenhaus über nichts anderes nachgedacht. „Wir könnten so tun, als würdest du mich an Itachi ausliefern wollen.“ Sasuke starrte mich entsetzt an. Ich wusste nicht, ob es allein die Erwähnung dieses Namens war oder die Vorstellung, ihm gegenübertreten zu müssen – oder die, so zu tun, als würde er mich aushändigen, als würde ich ihm nichts bedeuten. „Du könntest behaupten, dass du mehr Macht willst“, erklärte ich. „Dass Orochimaru dir falsche Versprechungen gemacht hat. Und dass du zu Akatsuki gehören willst, weil selbst Orochimaru sie gefürchtet hat.“ Ich schaute ihm in die Augen. Ich sah nichts als Erstaunen darin. „Du könntest Itachi sagen, dass du ihm beweisen wolltest, wozu du alles fähig bist. Dass du seine Anerkennung suchst. So könnten wir ihn auch von den anderen fortlocken und nur gegen ihn allein kämpfen.“ „Das ist, muss ich zugeben, gar keine schlechte Idee“, meinte Sasuke nach einem Augenblick überrascht. Er klang jedoch auch skeptisch. Wusste er, dass ich nicht allein auf diese Idee gekommen war? Er fragte argwöhnisch: „Aber warum bist du plötzlich so erpicht darauf, Akatsuki zu besiegen?“ Ich schwieg eine Weile. „Ich habe gesehen, was sie mit Gaara getan haben.“ Meine Hand ballte sich leicht zur Faust. „Ich will nicht, dass noch irgendjemand anderes ihnen zum Opfer fällt.“ „Natürlich, aber es ist riskant, wenn gerade du in ihre Nähe gehst.“ Er schüttelte den Kopf. „Es ist zu riskant, Naruto. Das werden wir auf keinen Fall tun. Hörst du?“ Es lag so viel Besorgnis in seiner Stimme. Ich spürte die Tränen in meine Augen steigen. Ich war so erleichtert. Ich warf mich nach vorn und umarmte ihn stürmisch. Überrascht versuchte er, uns davon abzuhalten, nach hinten zu fallen. Ich hatte es nie angezweifelt, dass Sasuke keine solchen Absichten hatte, wie Kakashi es beschrieben hatte. Dennoch war ich unglaublich erleichtert, dass er es mir noch einmal bestätigt hatte. „Sasuke.“ Ich presste ihn so fest an mich, wie ich nur konnte. „Was ist los?“, fragte er verwirrt, doch ich konnte ihn nur stärker an mich drücken. „Naruto?“ Ich konnte ihm nicht antworten. Und irgendwann gab er es auf nachzufragen und erwiderte die Umarmung nur noch. ~ Ich verstand nicht, was durch Narutos Kopf ging, doch solange, was auch immer es war, es ihn nicht von mir forttrieb, war es in Ordnung für mich. Denn das war es, was ich momentan am meisten fürchtete: dass er erkannte, dass er mich nicht brauchte. Dass er begriff, dass er mich nur hatte haben wollen, als er glaubte, mich nicht haben zu können. Dass er feststellte, dass ich ihm nur ein Klotz am Bein war. Dass er einen Grund fand, alles wieder rückgängig machen zu wollen. Und es gab einen Grund, wenn er richtig darüber nachdachte. Vielleicht konnte er es noch nicht sehen, doch ich wusste, dass ich ihm jetzt im Weg stand, wenn er die Anerkennung des Dorfes wollte – wenn er Hokage werden wollte. Niemand würde einen Anführer wollen, der das Wohl des Volkes nur für eine einzige Person aufs Spiel setzte. Und dann auch noch für einen Verräter wie mich. Ich presste ihn an mich, so wie er mich, und wusste nicht, ob ich wirklich wissen wollte, was in ihm vorging. Lieber wollte ich noch etwas länger in der Illusion leben, als sie schon jetzt zu zerstören. Als seine Arme auf einmal locker ließen und er seinen Kopf zurücknahm, glaubte ich, dass er kurz davor war, sie doch bereits jetzt selbst zu zerstören, egal was ich tat. Ich würde es nicht mehr aufhalten können. Es lag alles in seiner Hand. So wie damals, vor zweieinhalb Jahren. Nur war es da zum Glück nicht seine Hand gewesen, die mich hatte fallen lassen. Es waren fremde Hände gewesen. Es waren Tayuyas Hände gewesen, die mich in den Abgrund gestoßen hatten. Naruto hielt inne, als er weit genug entfernt war, um mir ins Gesicht blicken zu können. Weiter ging er nicht. Ich war erleichtert, dass es so war. Doch etwas zerschlug diese Erleichterung augenblicklich. Denn er schaute mich mit großen Augen an. Und ich konnte Tränen in ihnen sehen. Jetzt wollte ich definitiv wissen, was los war. Irgendetwas musste mir entgangen sein. War es etwa, weil er wusste, dass er Akatsuki nicht entkommen würde? Und wusste, dass das seinen Tod bedeutete? Aber das würde ich zu verhindern wissen. Itachi hatte mir alles genommen. Naruto würde er mir nicht nehmen können. Ihn würde er nicht in die Finger bekommen. Das würde ich nicht zulassen. Um das zu verhindern, würde ich mein Leben geben. Ich erwartete, dass Naruto irgendetwas zu mir sagen würde. Doch er schaute mich nur an. Und dann küsste er mich unerwartet – unerwartet heftig. Vielleicht hatte er gewusst, dass ich gleich etwas gefragt hätte, und hatte deshalb meinen Mund versiegelt. Vielleicht war aber auch einfach nur dieses unbändige Verlangen zurückgekehrt, das ihn mich jetzt auf mein Bett werfen und mir die Kleider vom Leib zerren ließ. Ein Verlangen, dem ich selbst ebenso hilflos ausgeliefert war. Ich rollte mich auf ihn, wollte seine Haut spüren. Ich wollte einfach mit ihm verschmelzen, damit ich immer bei ihm war, aber niemand mich sehen konnte, niemand mich fürchten konnte, niemand seinen Traum zerstören konnte. Unsere Küsse waren verzweifelt. Wir waren uns bestens bewusst, dass das unsere letzte gemeinsame Nacht sein könnte. Die wenigen Nächte, die wir zusammen im Krankenhaus verbracht hatten, hatten wir uns stets zurückgehalten. Ich hatte Rücksicht auf den Zustand von Narutos Körper genommen, so gut ich konnte, und er hatte Rücksicht darauf genommen, dass ich nicht gesehen werden wollte. Deshalb waren wir nicht weiter gegangen, als uns zu küssen, weil die Gefahr, seine Wunde wieder aufzureißen, zu groß gewesen war, und jederzeit jemand hätte hereinplatzen können. Jetzt fühlten wir uns unbeobachtet, frei, in diesem kleinen Raum. Und ich wusste nicht mehr, was das Wort Rücksicht bedeutete. Ich kratzte über seinen Verband, wollte ihn beiseiteschaffen, wollte die Haut darunter küssen, doch zum Glück kam ich noch rechtzeitig wieder zur Vernunft und konnte mich noch stoppen. Allerdings konnte ich mich nicht davon abhalten, ihn an mich zu pressen und seinen Verband abzutasten, ob ich nicht doch irgendwo ein freies Stück Haut dazwischen finden konnte. Ich küsste seinen Hals hinab, seine Schulter, seinen Arm bis zu seinen Händen, wanderte dann zu seinem Bauch, der zusammenzuckte wie schon damals, und zu seiner Hüfte, an der bereits meine Hände waren, um ihm die Hose mitsamt der Unterwäsche auszuziehen. Dann wanderte ich an seinem anderen Arm wieder zu seinem Kopf hinauf und küsste ihn, rieb unsere Körper gegeneinander, als würden wir erfrieren, wenn wir es nicht täten. Dabei glühten wir vor Hitze. Doch es spielte keine Rolle. Er sollte mich brandmarken, wo er nur konnte. Ich gehörte ihm. Und ich hoffte so sehr, er gehörte mir. Er keuchte auf, als ich unter seinen Beinen hindurchgriff und seine Waden auf meinen Schultern ablegte. Er wusste genau, was das bedeutete, wappnete sich spürbar dafür. Ich setzte vorsichtig an, doch dann stieß ich zu, konnte mich nicht länger zurückhalten. Ich wusste wirklich nicht mehr, was Rücksicht bedeutete. Naruto unterdrückte einen Schrei und sein Körper verkrampfte sich fürchterlich. Sofort tat es mir leid, doch ich konnte mich nicht mehr bremsen. Ich war in ihm und ich wollte noch tiefer. Er stöhnte mit jedem Stoß schmerzhaft auf, aber er stoppte mich nicht, krallte nur seine Finger in meine Schultern und kniff die Augen zusammen. Ich küsste ihn flüchtig auf den Mund, konnte dem Drang nicht widerstehen, auch wenn es bedeutete, dass ich kurz aus dem Rhythmus kam. Er keuchte umso lauter, als ich wieder weitermachte, nahm jetzt jedoch eine Hand und zwang meinen Kopf zu ihm hinunter. Er wollte mich küssen. Er tat es leidenschaftlich, vereinnahmte meinen Mund so sehr, dass ich beinahe das Atmen vergaß. Ich versuchte, meinen Rhythmus beizubehalten und ihn trotzdem zurückzuküssen. Es war eine fast nicht zu bewältigende Aufgabe. Aber es schien ihm zu genügen, wenn meine Lippen auch nur bei ihm waren, damit er sie berühren konnte. Plötzlich spürte ich, wie sich sein Körper anspannte, wie er seinen Rücken durchbog und leise aufschrie. Ich spürte, wie etwas meinen Bauch benetzte, und begriff, dass er noch vor mir gekommen war. Ich stieß noch ein paar Male zu – zu mehr war ich auch nicht mehr fähig, so sehr wie er sein Innerstes zusammenpresste – und kam dann in ihm. Erschöpft ließ ich meinen Oberkörper nach vorn sinken, bettete meinen Kopf auf seinem Bauch und lauschte mit dem einen Ohr seinem schnellen Herzschlag und mit dem anderem unserem atemlosen Keuchen. Es dauerte, bis sich wieder jemand von uns regte. Es war Narutos Hand, die schließlich von meiner schweißnassen Schulter glitt, um in meine Haare zu fahren. „Sasuke“, flüsterte er und griff mit der anderen Hand schwach in meine Schulter, auf der sie noch immer lag. Ich glaubte, er wollte sie zu sich hochziehen. Ich stemmte mich nach oben, kam ihm entgegen, legte mich komplett über ihn, sodass unsere Köpfe auf gleicher Höhe waren. Ich küsste ihn, dieses Mal ganz ohne Hast, aber mit ebenso viel Hingabe. Er keuchte, als ich mich ein Stück von seinen Lippen entfernte. Dann schluckte er ein paar Male hintereinander. Ich fragte mich, ob sich seine Kehle auch so trocken anfühlte wie meine. „Ich habe“, begann er atemlos „so etwas noch nie erlebt.“ Ich lächelte, presste mein Gesicht in seinen Hals, während seine Finger abwesend über meine Haare strichen. „Glaubst du, ich?“, fragte ich zurück. Ich war so erleichtert, dass er mir keine Vorwürfe machte. Dass er mich nicht belehrte, was Rücksicht bedeutete. „Jede Nacht“, keuchte er und ich schloss die Augen, um ihm besser lauschen zu können. Ich spürte seinen Puls an meiner Wange. „Ich will das jede Nacht.“ Ich lachte leise in seine Halsbeuge hinein. „Das würde dein Körper nicht mitmachen“, warnte ich ihn und hob den Kopf, schaute in seine lächelnden Augen und legte meine Hand an seine Wange. Es war faszinierend, als sie sich beim Sprechen bewegte. „Doch, das halte ich aus“, meinte er zuversichtlich und legte seine Arme um meinen Oberkörper. „Außerdem werde ich das nächste Mal oben sein.“ Ich keuchte empört auf. „Ach, so hast du das also geplant.“ Ich hob die Augenbrauen. „Das werden wir dann sehen.“ Er grinste breit. „Ja, du wirst schon sehen“, kündigte er an. „Wenn ich meine Verletzung nicht hätte…“ „Was dann?“, forderte ich provokant, mit einem ausgedehnten Grinsen auf den Lippen. Ich wusste, dass unsere Unterhaltung absurd war, vor allem in der momentanen Situation, doch wir waren noch so berauscht von dem, was wir eben erlebt hatten, dass uns das nicht kümmerte. Er grinste mich breit an, seine Augen schienen benebelt. Ich wusste genau, wie er sich fühlte. Ich war mir sicher, ich blickte ihn gerade ebenso betrunken wirkend an. „Dann… Dann hättest du es gar nicht erst nach oben geschafft.“ Ich lachte. „Bist du sicher?“ „Ich bin mir ganz sicher“, sagte er nahezu lallend; wahrscheinlich hatte er entschlossen klingen wollen, doch das war ihm nicht sonderlich gelungen. Ich strich ihm noch einmal über die Wange und ließ dann wieder meinen schweren Kopf auf ihn sinken. Ich schloss die Augen und atmete tief seinen Geruch ein. In diesem Moment veränderte Naruto die Position seiner Arme auf meinem Rücken, als wollte er mir mehr Freiraum zum Atmen geben. Ich wunderte mich erst darüber, als er leise sagte: „Kagebunshin no Jutsu.“ Meine Stirn runzelte sich, als ich das altbekannte Geräusch hörte, mit dem sein Doppelgänger erschien. Ich schlug die Augen wieder auf, schaute zuerst zu seinem Ebenbild, das sich auf die Tür zubewegte, dann hob ich ein Stück den Kopf an und blickte zu Naruto auf. „Was hast du…?“, begann ich, doch meine Frage erübrigte sich, als das Licht im Raum ausging und ich dasselbe Geräusch noch einmal hörte, mit dem sein Doppelgänger in der Dunkelheit verschwand. Ich lachte und ließ erschöpft meinen Kopf zurück in die Kuhle zwischen seiner Schulter und seinem Hals fallen. „Dafür verschwendest du Chakra?“, fragte ich empört. Er drehte seinen Kopf mir zu und flüsterte mir ins Ohr: „Lieber verschwende ich Chakra, als dich dazu zu bringen, von mir herunterzugehen, nur um das Licht ausschalten zu können.“ Ich lächelte in mich hinein und ließ meine Hand über seinen Bauch streichen. Er griff nach meinen Fingern und verschränkte sie mit seinen. Ich wusste, dass es für mich nie einen schöneren Moment in der Dunkelheit gegeben hatte. Ich wusste, dass es mich nicht stören würde, wenn die Sonne niemals wieder aufging. Aber ich wusste, dass sie das tun und dass ich bald einschlafen würde, ohne etwas dagegen tun zu können. Ich konnte nur beten, dass ich früh genug aufwachen würde, um es noch länger genießen zu können, neben ihm zu liegen, bevor wir dieses Bett verließen. Ich wusste, ich würde alles tun, um das hinauszuzögern. ~ Ich schlug die Augen auf und spürte zum ersten Mal in meinem Leben, dass ich nicht alleine in der Dunkelheit aufgewacht war. Jemand lag neben mir, wärmte mich und drückte mich leicht an sich. Ich wusste augenblicklich, wer dieser Jemand war, und musste lächeln. Er hatte mir meinen Wunsch erfüllt. Er hatte mich nicht allein aufwachen lassen. Mit diesem Lächeln wollte ich mich zu Sasuke umdrehen, doch dann hörte ich das unterdrückte Schluchzen hinter mir. Ich hielt inne, was er wohl spürte, denn jetzt hielt auch er die Luft an. „Sasuke?“, fragte ich leise und wandte mich schließlich um. Er schaute mich mit großen Augen an, wohl erschrocken, dass ich ihn beim Weinen ertappt hatte. „Was ist los?“ Er schüttelte den Kopf, konnte zunächst nicht sprechen. Er schluckte einige Male und schloss die Augen, als könnte er so die Tränen vor mir verbergen. Schließlich wisperte er, unterbrochen von unregelmäßigen Atemzügen. „Ich bin so glücklich.“ Ich schaute ihn mit einem schmerzverzerrten Lächeln an. Ich wusste, was er meinte. Ich konnte es spüren, dass es ihm ebenso erging wie mir. Er war überglücklich darüber, dass wir zusammen hier lagen, doch er war auch traurig, weil er wusste, dass wir dieses Hier vorerst hinter uns lassen mussten. „Ich auch“, ließ ich ihn wissen und legte meine Arme um ihn, presste ihn an mich. In Gedanken fügte ich hinzu: Nie bin ich glücklicher aufgewacht. „Aber–“ „Ich weiß“, unterbrach ich ihn sofort. Er sollte es gar nicht erst laut aussprechen. Es war schlimm genug, dass wir es beide dachten. „Ich weiß“, wiederholte ich noch einmal. Lange sagte daraufhin niemand mehr etwas. Wir klammerten uns nur aneinander fest und hofften, dass die Zeit stehen blieb. Hofften, dass wir niemals dieses Bett verlassen mussten. Diese Stadt. Dieses Land. Diesen Schutz. „Lass uns bleiben“, sagte er irgendwann in die morgendliche Stille. Meine Augen weiteten sich, als ich begriff, wie er das meinte. Ich konnte es jedoch nicht glauben, dass er das sagte. „Lass uns hier bleiben“, wiederholte er mit mehr Nachdruck. Das konnte er unmöglich wollen. So würde er das Vertrauen von Tsunade und Kakashi nicht zurückgewinnen können. Vielleicht war er sich dessen noch nicht bewusst. Vielleicht – „Es ist mir egal, was die Leute im Dorf von mir halten“, unterbrach er meine Gedanken. „Oder Kakashi oder der Hokage.“ Seine Stimme wurde immer fester, sicherer. Doch ganz sanft endete er mit: „Wenn nur du mir vertraust, reicht mir das.“ „Sasuke…“ Ich nahm meinen Kopf ein Stück zurück und blickte ihm in die Augen. Seine Tränen waren noch nicht ganz getrocknet. Ich konnte sie im schwachen Licht des Morgengrauens schimmern sehen. „Ich will nicht, dass du deinen Traum für mich aufs Spiel setzt“, fuhr er plötzlich fort. Ich runzelte die Stirn. Welchen Traum? Ich wusste nicht, wovon er sprach, bis er sagte: „Wenn du mit mir unerlaubt das Dorf verlässt und auch zum Nukenin wirst, dann kann es sein, dass du niemals Hokage werden kannst.“ Als ich begriff, ging mein Blick durch ihn hindurch. Natürlich. Er hatte Recht. Wenn ich unseren Plan so ausführte wie gedacht, dann würde ich nicht nur mit denselben Problemen konfrontiert wie er, ich würde mir damit definitiv den Weg verbauen zu meinem großen Ziel. Endgültig. „Ich will, dass dein Traum wahr wird“, sagte er entschlossen und jetzt schaute ich ihm wieder in die Augen. „Ich will nicht, dass du ihn für mich gefährdest.“ Ich schüttelte den Kopf. „Wir werden ihn nicht gefährden“, sagte ich überzeugt. „Wir werden uns um Itachi kümmern und es ganz Konoha beweis–“ „Nicht, Naruto“, sagte er mit geschlossenen Augen. „Bitte tu das nicht.“ Für einen Augenblick schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass er fürchten könnte, dass ich seinen Bruder umbrachte. Doch das war absurd. Meine Schultern spannten sich unwillkürlich an. Ich hasste diese Zweifel, die Kakashi in meinen Kopf gepflanzt hatte. Ich hasste sie. Und ich würde alles tun, um sie zu verbannen. Doch ich wusste nicht, wie ich das anstellen sollte. Vor allem, wenn Sasuke sich weigerte, mir dabei zu helfen. „Naruto“, holte dieser mich wieder in die Gegenwart zurück. „Bitte“, flehte er mich an. Ich schaute in seine Augen und wusste nicht, was ich tun sollte. Die Situation überforderte mich. Einerseits wollte ich unbedingt Sasukes Ehre wiederherstellen, doch andererseits konnte ich diesen Augen nichts abschlagen. Ich konnte weder vor noch zurück. Ich war in der Schwebe. Dabei fühlte ich mich so schwer wie ein Stein. „Lass uns“, begann er irgendwann und seine zarten Finger strichen über meine Stirn, meine Wange hinab. Wenn er nicht so ernst und ängstlich dabei ausgesehen hätte, hätte ich das Gefühl gehabt, dass er versuchte, mich zu verführen – zu der Antwort, die er hören wollte. „Lass uns mindestens noch einmal darüber nachdenken“, bat er mich jedoch nur. Ich schloss die Augen. „Bitte, Naruto.“ Seine Stimme war nur ein Hauch. „In Ordnung“, sagte ich leise. Ich konnte Sasuke erleichtert einatmen hören. „Wir werden noch warten.“ Ich öffnete meine Augen wieder, doch sah nichts als schwarz. Es waren Sasukes Haare. Er hatte sich nach vorn geworfen, gegen mich, hielt mich fest. „Arigatou“, sagte er ganz in der Nähe meines Ohrs. „Arigatou.“ Ich ließ meine Augenlider wieder zufallen und atmete tief durch. Ich spürte den Wind in mir, doch ich fühlte mich nicht frei. ~ Naruto hatte sich von mir überreden lassen, zurück ins Krankenhaus zu gehen, bevor jemand bemerkte, dass er die Nacht über verschwunden gewesen war. Von Krankenschwestern und ein paar gelegentlichen Besuchern abgesehen, verbrachten wir den Tag dort allein. Wir redeten so viel, wie wir noch nie miteinander geredet hatten. Bisher hatten wir einfach keine Zeit dafür gefunden. Und keine Kraft. Ich erfuhr davon, was er die vergangenen Jahre getan hatte, wo er überall gewesen war, was er von wem gelernt hatte, gegen wen er wo gekämpft hatte, was er erlebt hatte – ohne mich. Er wollte auch von mir wissen, was ich in der Zeit getan hatte, doch ich wusste, dass es nicht viel zu erzählen gab und ich wollte mich nicht daran erinnern. Er zeigte Verständnis und ich war ihm so dankbar dafür. Ich wusste, was er gerade alles für mich tat. Ich versuchte jedoch, diese Tatsache vorerst in meinen Hinterkopf zurückzudrängen, weil ich wusste, dass ich noch nicht damit umgehen konnte. Ebenso wie mit meinen damit verbundenen Befürchtungen. Ich wusste, was dieses Warten, dem er zugestimmt hatte, für ihn bedeutete: Er würde trainieren. Sobald er aus dem Krankenhaus entlassen war, würde er trainieren, bis er stark genug war, um auch nur im Entferntesten eine Chance gegen Akatsuki zu haben. Und dann würde er aufbrechen. Entweder würde er mich zwingen, mit ihm zu gehen, oder er würde – wenn er feststellte, dass ich mich zu sehr wehrte – allein gehen. Davor fürchtete ich mich umso mehr. Aber ich wollte ihm vertrauen. Ich wollte glauben, dass ihm meine Ängste nicht nur bewusst waren, sondern dass er sie auch verstand und danach handeln würde. Als die Krankenschwester das Abendessen gebracht hatte – für Naruto und für mich –, hatte ich zum ersten Mal seit Langem wieder wirklich Hunger. Nachdem wir aufgegessen hatten, stellte Naruto sein Tablett auf seinen Nachttisch und winkte mich näher zu sich heran. Ich lehnte mich ein Stück nach vorn, hielt ihm mein Ohr entgegen und wartete gespannt, was er mir im Flüsterton sagen wollte. Er sagte jedoch nichts, sondern bereitete mir nur eine Gänsehaut, indem er mit seiner Zunge meine Ohrmuschel entlangfuhr. Ich keuchte, zuckte zurück. Meine Hand schnellte zu meinem Ohr hinauf. Ich blickte ihn empört an. So etwas konnte er doch nicht einfach tun. Ohne Vorwarnung. Ohne Privatsphäre. Ohne Möglichkeit, hier noch weiterzugehen. Ich spürte die Röte auf meinen Wangen. „Naruto!“, ermahnte ich ihn gedämpft, kurz bevor es an der Tür klopfte. Ich rutschte augenblicklich ein Stück zurück. „Unzertrennlich, ihr beide“, sagte die Krankenschwester, als sie eintrat. Es war dieselbe Frau wie jeden Tag. Sie wunderte sich also nicht mehr, dass ich ständig hier war. Sie wunderte sich nicht einmal mehr, dass ich stets auf Narutos Bett saß. „Hat es euch geschmeckt?“ „Es war superlecker, dattebayo!“, kommentierte Naruto. „Gochisousama deshita“, murmelte ich leise. „Ich habe es dir schon einmal angeboten“, begann sie an mich gewandt, während sie die beiden Tabletts und das Geschirr darauf übereinanderstapelte. „Möchtest du wirklich nicht in dem leeren Bett hier schlafen?“ Ich schüttelte hastig den Kopf. Wenn sie wüsste, dass ich schon mehr als einmal in diesem Zimmer geschlafen hatte, nur eben in Narutos Bett… „Na, da kann man wohl nichts machen“, meinte sie nur schulterzuckend und ging zur Tür. „Und nicht vergessen, in einer Stunde ist die Besuchszeit zu Ende.“ Ich nickte wortlos. „Hai, hai“, sagte Naruto nur leichtfertig. Ich glaubte zu wissen, warum. Als die Krankenschwester verschwunden war, bestätigte er mir meine Vermutung, denn er schlug die Decke zurück und stand vom Bett auf. „Komm“, sagte er, bevor er das Fenster aufschob und nach draußen aufs Dach stieg. Ich wollte ihn aufhalten, wollte ihn dazu überreden, noch zu warten, bis die Besuchszeit vorbei war, bis es draußen wirklich dunkel war. Doch er hechtete bereits los. Ich schnaubte, folgte ihm und schob die Glasscheibe hinter mir wieder zurück, sodass es fast aussah, als wäre das Fenster geschlossen. Aufmerksam beobachtete ich Narutos Bewegungen, als er über die Dächer sprang und zu ihm aufholte. Ich hatte Angst, dass er seinem Körper schon zu viel zumutete. Dass ein Schmerz ihn durchzucken könnte, er dadurch einen Fuß falsch setzte und vom Dach stürzte. Ich ließ ihn nicht zu weit vorausgehen. Es dauerte nicht lange und wir hatten mein Zuhause erreicht. Er ließ sich zum Fenster in mein Schlafzimmer ein und grinste mich an, während ich selbst durch den Rahmen stieg. Ich schloss das Fenster wieder, während ich sagte: „Wir hätten auch die Tür benutzen können, wenn du sowieso so offen durch das Dorf läufst.“ „Niemand hat uns gesehen“, meinte er nur optimistisch und kam auf mich zu. „Aber du hast es definitiv provoziert“, unterstellte ich ihm. „Ich wollte nicht mehr warten“, sagte er und machte noch einen letzten Schritt in meine Richtung, vernichtete fast jeglichen Abstand. Er legte eine Hand an meinen Hals und küsste mich stürmisch. Ich fühlte mich ein wenig überrumpelt. Es war mir klar gewesen, dass er nicht nur zum bequemer Übernachten hierhergekommen war. Doch es gleich zu Anfang so offensichtlich zu machen, was er wollte… Er zog mein Shirt nach oben und küsste meinen Hals, während er es mir über den Kopf zog. „Naruto“, zügelte ich ihn sanft und legte meine Hände an seine Schultern, um ihn ein Stück auf Abstand zu halten. Doch er wollte nicht hören, ließ sich nicht bremsen. Er küsste mich einfach wieder gierig auf den Mund, griff um mich und zerrte mich in Richtung Bett. Es war nicht, dass ich das nicht wollte, was er vorhatte. Doch ich wollte nicht mehr diese Verzweiflung mit dabei haben. Diesen Zeitdruck. Ich wollte nicht, dass es sich so anfühlte, als hätten wir nach dieser Nacht keine weitere Gelegenheit mehr. Als würden wir bald wieder voneinander getrennt. Wir versteckten uns ohnehin schon, waren uns bewusst, dass wir hier nicht frei waren. Er würde sich vielleicht nicht so sehr beobachtet fühlen wie ich mich, doch ich wusste, dass man mich nicht aus den Augen ließ. Zumindest wenn ich mich den Stadttoren näherte. Vielleicht bildete ich es mir auch nur ein, doch ich war mir sicher, jede Wache Konohas schaute ein wenig alarmiert, wenn sie mich sah, weil sie wusste, dass ich die Grenzen nicht überschreiten durfte und sie einschreiten musste, wenn ich es versuchen würde. „Naruto“, sagte ich gegen seine Lippen und verstärkte den Druck gegen seine Schultern. Jetzt hielt er inne. Er schaute mich an, ohne jedoch seine Hände zurückzunehmen. Er wartete. Ich wusste jedoch nicht, was ich ihm sagen sollte. Ich konnte es nicht in Worte fassen. Deshalb nahm ich ihn einfach in den Arm und drückte ihn an mich, gab ihm keine Möglichkeit mehr, mich zu küssen. Nach kurzem Zögern erwiderte er diese Umarmung. „Naruto“, flüsterte ich noch einmal; es war alles, was ich sagen konnte. Doch er verstand, was ich ihm damit sagen wollte. Er legte eine Hand an meinen Hinterkopf und atmete tief ein und aus. „Sasuke…“ Lange standen wir da, in dem immer dunkler werdenden Raum. Als ich das nächste Mal die Augen öffnete, war es bereits so schwarz um uns, dass ich schon fast vergessen konnte, wo wir waren. Dass ich den Käfig nicht mehr sehen konnte. „Ich will nicht, dass es so bleibt“, sagte er plötzlich. Meine Augen flogen augenblicklich noch weiter auf. Doch sie sahen nichts mehr. „Ich will nicht, dass wir uns verstecken müssen.“ Ich hatte es gewusst, dass er das absichtlich gemacht hatte, unverhohlen über die Dächer zu springen. Er wollte gesehen werden. Er wollte es nicht verstecken, dass er auf meiner Seite stand. Ich war ihm dankbar dafür, doch es machte mir auch Angst. Diese Leichtsinnigkeit. Dieser Starrsinn. „Ich will noch einmal mit Tsunade-baachan reden.“ „Noch einmal?“, fragte ich sofort und entfernte mich von ihm, um ihm ins Gesicht blicken zu können. Meine Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit und dennoch sah ich nur schemenhaft seine Züge. „Wann hast du mit ihr gesprochen?“ „Am letzten Verhörtag“, antwortete er mir, fast widerwillig. „Worüber?“, wollte ich wissen. „Worüber wohl?“, meinte er leicht frustriert und nahm seine Arme fort, wandte sich von mir ab. Er ging auf das Fenster zu und ich fürchtete einen Moment lang, dass er wieder gehen würde. „Ich wollte, dass sie aufhören, dich zu quälen.“ Mir fehlten die Worte. Ich konnte ihn nur anstarren. Ein seltsames Gefühl erfüllte mich. Ich glaubte, dass es die Zuneigung war, die sein Körper in diesem Moment verströmte. Sie schien den Raum zu füllen, mich einzuhüllen. Ich konnte sie deutlich spüren. Ich hatte mich in der Dunkelheit, ohne Körperkontakt, nie so geborgen gefühlt. Plötzlich überkam mich der intensive Drang, ihn in den Arm zu nehmen. Ich wollte mich irgendwie bei ihm bedanken. Ich ging auf ihn zu, die zwei Schritte, die er sich von mir entfernt hatte, und umarmte ihn von hinten. Ich wusste nicht, wie ich mich jemals revanchieren sollte für all das, was er für mich getan hatte. Allein dafür, dass er mich all die Jahre nicht aufgegeben hatte. Dass er nie aufgehört hatte, nach mir zu suchen. Dass er nie die Hoffnung verloren hatte, auf eine Rettung für meine Seele. Niemals würde ich ihm dafür etwas zurückgeben können. Niemals genug. ~ „Ich liebe dich“, flüsterte er in die Stille und ich konnte nur zum Fenster hinausstarren. Noch nie hatte jemand diese Worte zu mir gesagt. Nie hätte ich gedacht, sie gerade aus Sasukes Mund zu hören. Nicht einmal damals, bevor er Konoha verlassen hatte. Als ich noch in diesem traumähnlichen Zustand unseres ersten Dates gewesen war. Da hatte ich über so etwas noch nicht nachgedacht. Da war ich mir erst selbst bewusst geworden, dass ich etwas für ihn empfand, das über Freundschaft, über Rivalität hinaus ging. Und dann hatten wir gegeneinander gekämpft und ich hatte nie wieder zärtliche Worte aus seinem Mund erwartet. Daraufhin war er auch spurlos verschwunden gewesen, jahrelang, und hatte meine Zuversicht, ihn wiederzufinden und zurückzuholen, hart auf die Probe gestellt. Als wir uns schließlich wiedergefunden hatten, war alles erst einmal nebensächlich gewesen, selbst unsere Gefühle. Das Wichtigste war, dass der andere da war. Und jetzt sprach er diese Worte aus, die von so tief aus seiner Seele zu kommen schienen. Es schien ihm nicht leicht zu fallen. Es schien nahezu schmerzhaft für ihn zu sein. Aber er brachte sie über seine Lippen. Für mich. Es war das schönste Geschenk, das er mir machen konnte. „Sasuke…“ Ich wollte mich umdrehen, doch er schien mich nicht loslassen zu wollen. Vielleicht fürchtete er, dass ich seinen Griff lösen wollte. Es dauerte eine Weile, bis unser sanfter Kampf beendet war und ich mich zu ihm umwenden konnte. Ich schaute ihm in die Augen, die zum Glück von dem Licht, das durchs Fenster fiel, schwach erleuchtet waren. Sie glänzten im Halbdunkel. Ich wollte seine Worte erwidern, doch ich konnte nicht. Ich spürte den Widerstand in meiner Kehle. Es war, als war dieser kleine Satz zu groß, um durch meinen Hals zu passen. Deshalb hatte Sasuke ihn wohl auch nur flüstern können. Ich spürte, dass ich nicht einmal das schaffen würde, deshalb wollte ich meine Lippen für mich sprechen lassen. Ich legte sie sanft an die seinen, ohne diesen Drang, diese Begierde, diese Verzweiflung wie zuvor. Ich kostete jeden Moment aus und spürte, dass es genau das war, was Sasuke gewollt hatte. Ich hatte ihm zuvor wohl Angst gemacht. Ich war mir nicht ganz sicher, warum, doch ich glaubte, dass es diese Hast gewesen war. Die Eile, die ihn vielleicht auch an die Geschwindigkeit denken ließ, mit der sich alles ändern konnte. Als hätte es ihm diese Vergänglichkeit zu stark deutlich gemacht. Als hätte er in meiner Hast diese Kurzlebigkeit erkannt, die ich momentan selbst so sehr fürchtete. Denn keiner konnte uns sagen, wann Akatsuki zuschlagen würde. Keiner konnte wissen, ob wir eine Chance gegen sie haben würden. Und niemand konnte uns garantieren, dass wir diesen Krieg überleben würden. Sasuke war sich dessen ebenso gut bewusst wie ich. Und deshalb seufzte er jetzt in unseren Kuss hinein, weil ich ihm die Chance gab, diese Unaufhaltsamkeit der Dinge für einen Moment zu vergessen und sich fallen zu lassen. „Naruto“, keuchte er und ließ seine Hände durch meine Haare, über meinen Rücken fahren. Er tat es anfangs langsam, doch auch er wurde immer rastloser. Ich bremste ihn wieder, indem ich meine Lippen von seinen löste und sie nach einem Moment des Innehaltens gegen seine Stirn presste. Es war ein Teufelskreis, in dem wir uns beide befanden. Er drehte sich immer schneller, bis einer von uns die Kraft fand, um ihn wieder anzuhalten. Zum Glück waren wir nicht allein, konnten uns vielleicht noch gegenseitig retten. Meine Finger fuhren seinen Körper ab, als hätten sie alle Zeit der Welt. Ich redete es mir selbst ein, dass es so war. Ich musste es, wenn ich ihm – uns – diesen Gefallen tun und ihn nicht wieder zum Weinen bringen wollte. Lange berührten wir einfach nur gegenseitig unsere Oberkörper, küssten uns, unseren Hals, unsere Schultern. Ich küsste gerade zum zweiten Mal sein Ohr, als er mich leicht in Richtung Bett zog. Ich leistete schwachen Widerstand, doch hatte von Anfang an vor nachzugeben. Er legte sich auf die Matratze und zog mich an der Hand mit sich. Nebeneinander auf der Seite liegend, uns zunächst nur in die Augen schauend und somit noch etwas langsam vergehende Zeit schindend, begann das Spiel von Neuem. Wir berührten uns, so gemächlich wir konnten. Er beschäftigte sich wieder lange Zeit mit meinem Bauch, der ihn so zu faszinieren schien. Meine Muskeln zuckten zurück, wie er es sich erhoffte. Es zauberte ein Lächeln auf seine Lippen. „Du bist immer noch kitzlig“, flüsterte er in die Stille. Ich lachte leise auf. „Hast du erwartet, dass sich das ändern würde?“ „Ich habe es befürchtet“, war seine Antwort, bevor er seine Finger ein weiteres Mal über meine Haut streifen ließ und die Reaktion meines Körpers beobachtete. Er wiederholte das noch etliche Male, bis meine Muskeln zu erschöpft zu sein schienen, um noch so stark zurückzuzucken. Irgendwann reichte uns die obere Körperhälfte des anderen nicht mehr aus und Sasuke war der Erste, der etwas dagegen unternahm und meine Hose öffnete. Ab diesem Punkt war es nicht mehr sehr einfach, sich zurückzuhalten. Ich gab mir Mühe, doch es dauerte nicht lange und ich hatte ihn komplett ausgezogen. Und dann konnte er erst recht nicht mehr von mir verlangen, dass ich mich beherrschen konnte. Das tat er auch nicht. Er konnte sich selbst nicht mehr zurückhalten. Unsere Körper verselbständigten sich. Ich legte mich auf ihn und suchte einen Weg, um ihm so nahe zu sein, wie ich nur konnte. Ich fand ihn nicht; es war mir nie nahe genug. Als ich schließlich zwischen seinen Beinen lag, wusste ich, dass ich mein Ziel fast erreicht hatte. Doch kurz darauf drückte Sasuke mich von sich und rollte mich neben sich, trennte unsere Körper voneinander. Aber nicht für lange, denn er legte sich sofort auf mich, küsste mich vom Hals bis hinab in meinen Schoß. Ich keuchte und krallte mich in seine Schulter, wollte seinen Kopf von dort fortziehen. Er sog scharf die Luft ein und ich begriff, dass ich meine Fingernägel mitten in Orochimarus Siegel gebohrt hatte. Sofort ließ ich von dieser Schulter ab, strich zögerlich, entschuldigend, über seinen Oberarm. Ich wollte etwas sagen, doch er ließ sich von dem Schmerz gar nicht lange aufhalten; es schien fast, als spornte er ihn sogar noch an. Ich hatte seinen heißen Atem in meinem Schoß gespürt, als er erleichtert ausgeatmet hatte, doch jetzt presste er nicht mehr seine zarten Lippen gegen meine Haut, sondern schloss sie ein mit der Hitze seines Mundes. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Er berührte mich fast nur an dieser einen Stelle, doch etwas durchzuckte meinen gesamten Körper. Ich drückte mich in die Matratze unter mir, als könnte ich so seiner heißen Zunge entkommen, die mich zu verbrennen schien. So viele Verletzungen, tiefe Wunden und fürchterliche Qualen hatte ich schon ausgehalten, doch dieser süße Schmerz erschien mir jetzt noch viel schlimmer. Ich hielt ihn nicht aus. Gerade wollte ich ihn von mir fortdrücken, da wich er von selbst zurück. Erleichtert atmete ich auf. Ich blickte zu ihm hinab und sah, dass er gerade wieder seinen Kopf zu meinem Schoß hinabsenken wollte. Sofort krallte ich meine Finger in seine Oberarme und zog ihn nach oben. „Oi, oi! Runter von mir, Teme!“, beschwerte ich mich und schob ihn zur Seite, bevor er meinen Protest ignorieren und einfach weitermachen konnte. Er schaute mich einen Moment verwirrt und auch etwas unsicher an; ich nutzte diesen Moment und warf ihn komplett von mir herunter, rollte ihn auf den Rücken und mich selbst auf ihn. Über ihm lauernd, schaute ich überlegen auf ihn herab und erklärte: „Ich glaube, du vergisst: Dein Name ist Sas-uke.“ Seine Augen weiteten sich. Er wusste genau, was das bedeutete. „Und das heißt: Hier oben ist mein Platz, damit das klar ist.“ Er schnaubte. Ich konnte den Widerwillen und seinen Kampfgeist in seinen Augen funkeln sehen. Er würde mir diese Position nicht kampflos überlassen. „Das hättest du wohl gerne, Usuratonkachi“, meinte er und wollte mich von sich stoßen, doch ich krallte meine Hände in der Matratze fest und behielt vorerst meine Stellung. Ich grinste. „Ich zeig dir gleich, wo dieser schmale Hammer hängt!“, drohte ich, griff blitzschnell nach seinen Handgelenken und nagelte sie links und rechts von seinem Kopf an das Bett. Er zerrte an meinem eisernen Griff, doch ich war stärker. Ich grinste siegessicher. Er versuchte, mich wegzutreten, aber ich setzte seine Beine mit meinen außer Gefecht. Er schaute mit einem entschlossenen Blick zu mir auf, als überlegte er sich gerade eine neue Strategie, doch sein Mundwinkel zuckte ganz leicht, seine Augen begannen zu lächeln und seine Hände ließen allmählich locker. Ich begriff: Er wollte nachgeben. Und dann konnte ich mich nicht mehr zügeln. Ich fiel über ihn her, küsste ihn und drängte ihm meinen Körper entgegen. Er stöhnte und keuchte, als unsere nackten Körper aufeinandertrafen, ich wollte noch mehr von diesen Lauten aus seinem Mund hören, doch ich konnte mich nicht davon abhalten, ihn zu küssen. Ich wollte diese heiße Zunge spüren, die ich zuvor an ganz anderer Stelle gespürt hatte. Eben diese Stelle verlangte jetzt besonders nach Aufmerksamkeit, drängte sich in den Vordergrund und forderte Einlass. Sasuke verwehrte ihn mir nicht. Er schloss die Augen und klammerte sich an mir fest, seine Arme an meinen Schultern, seine Beine an meinen Hüften. Ich rutschte nach vorne, suchte nach der richtigen Position und bewegte mich vorsichtig gegen ihn. Ich spürte den Widerstand mehr als deutlich und musste nach nur ein paar Zentimetern stoppen. Ich küsste ihn zur Ablenkung, damit er sich entspannte, und versuchte es weiter. Nur ein Gedanke hielt mich unter Kontrolle: Ich wollte ihm nicht wehtun. Deshalb arbeitete ich mich langsam vor. Und ich genoss es. Jedes Keuchen von ihm ließ mich breiter lächeln. Jedes Stöhnen löste fast eine Gänsehaut aus. Ich wusste, dass ich meinen Körper nicht ewig würde zurückhalten können, doch ich versuchte es, so lange ich konnte, zögerte das Ende heraus, so wie er es gewollt hatte. So wie es auch ich wollte. Irgendwann war jedoch der Punkt erreicht, an dem ich meinen Körper nicht mehr davon abhalten konnte, immer schneller zu werden. Und zusammen mit seinem Stöhnen, mit seinen Fingern, die sich in meinen Rücken gruben, und mit der Hitze unserer Körper überschritt ich meine Grenze der Körperbeherrschung und kam. Ich sank auf ihn nieder und fühlte mich so unendlich schwer und leicht zugleich. Ich fühlte mich schwerelos. Und frei. Kapitel 6: Abschiedsbrief aus Metall ------------------------------------ Als ich aus dem Nebel meiner Schläfrigkeit auftauchte und meinen Körper zu spüren begann, bemerkte ich sofort, dass etwas fehlte: Wärme. Ich öffnete die Augen und blickte mich um. Der Raum war geflutet von Sonnenlicht, doch es wärmte mich nicht. Ich war allein in meinem Zimmer. Mein Herz schlug einen Takt schneller. Ich versuchte, es sogleich wieder zu beruhigen. Es gab etliche Gründe, weshalb er vielleicht ein oder zwei Zimmer weiter war. Dennoch gewann mein Puls stetig an Geschwindigkeit. Ich stand auf, konnte keine Sekunde länger stillhalten. Ich zog mir hastig meine Unterwäsche über, öffnete die Schlafzimmertür und trat auf den Gang, lauschte, ob ich Geräusche aus Bad oder Küche hören konnte. „Naruto?“, rief ich leise in die Stille meiner Wohnung. Es kam keine Antwort. Jetzt lief ich los. Ich öffnete jede Tür in der Wohnung, durchsuchte jedes Zimmer, doch Naruto war in keinem von ihnen. Ich rannte zurück ins Schlafzimmer, suchte nach einem Zeichen, einem Indiz. Mein Blick fiel auf den Nachttisch und dann sah ich es: Mein Stirnschutz lag dort. Derselbe Stirnschutz, den ich damals, nach unserem Kampf im Tal des Endes hatte neben ihm auf dem Boden liegen lassen. Ich hatte nicht gewusst, dass er ihn noch hatte. Dass man ihn überhaupt für ihn mitgenommen hatte, denn Naruto hatte mir erzählt, dass es Kakashi gewesen war, der ihn nach unserem Kampf zurück nach Konoha gebracht hatte. Aber warum hatte er ihn jetzt hierhergelegt? Ich konnte es nur in eine Richtung deuten: Es war ein wortloser Abschiedsgruß. Ich nahm den Stirnschutz in die Hand und starrte ihn an, als enthielt er all die Antworten, die ich brauchte. Doch der Mechanismus war zerstört. Der Kratzer mitten durch das Metall hatte die Botschaft unkenntlich gemacht. Aber ich wusste, wie sie lautete: Sayounara. Es war eine Verabschiedung mit einem Funken Hoffnung. Denn dieses Stück Metall war nicht nur ein Abschiedsbrief sondern zugleich auch ein Pfand. Eine Bürgschaft, die mich wissen lassen sollte, dass er wieder zu mir zurückkehren würde – so wie damals. So wie ich es insgeheim gehofft hatte, als ich es bei ihm hatte liegen lassen. Ich hatte gebetet, dass er es mir eines Tages wieder zurückbringen würde. Dass es ihn zu mir führen würde. Und das hatte es. Aber, wie es schien, nicht für lange. Ich dachte daran, wie er davon gesprochen hatte, dass er wollte, dass wir uns nicht verstecken mussten. Dass wir frei waren. Und ich wusste, in seinen Augen gab es nur einen Weg dorthin. Er wird doch nicht allein – Niemals würde er so etwas Unvernünftiges tun. Er würde sich nicht völlig auf sich gestellt Akatsuki in den Weg stellen. Er wusste, dass er keine Chance hatte. Aber andererseits hatte er auch vorgehabt, dass nur wir beide sie bekämpften. Was fast ebenso lebensmüde war. Ich sprang auf, zog mir mit bebenden Händen meine Hose und meinen Waffengürtel an, und öffnete das Fenster. Ich rannte über die Dächer, versuchte dabei, Ausschau nach Naruto zu halten, doch ich konnte ihn nirgends entdecken, sah nur ein paar Kinder auf einem Dach spielen. Meine Augen suchten die Dorfmauern ab, aber fanden nichts als ein paar Wachen. Wenn sie gesehen hätten, dass Naruto Konoha verlassen wollte, dann hätten sie ihn doch sicher aufgehalten. Sie hatten doch gewiss die Anweisung, weder mich noch ihn gehen zu lassen. Er konnte nicht unbemerkt geflohen sein. Das versuchte ich mir einzureden, doch ich wusste genau, wie schnell Naruto war. Und ich wusste genau, dass er immer Mittel und Wege fand, um seine Ziele zu erreichen. Er würde es auch dieses Mal geschafft haben. Mit seinem perfekten Henge no Jutsu war das wahrscheinlich auch überhaupt kein Problem. Damals hatten die Wachen ja nicht einmal bemerkt, dass ich es gewesen war statt die echte Sakura. Panisch sprang ich auf die Haupttore zu. Zwei Wachen saßen wie immer dort und warteten auf Reisende oder Heimkehrer. Doch ich war nichts von beidem, also mied ich sie, huschte zwischen den Häusern durch, ohne länger als eine Millisekunde in ihrem Blickfeld zu sein. Ich würde mit etwas Abstand zum Tor über die Mauer springen und hoffen, dass ich im Wald verschwunden sein würde, bevor mich eine der Wachen von ihren Posten aus entdeckte. „Sasuke!“, rief eine Stimme hinter mir und ich erkannte sie zuerst nicht. Es war definitiv nicht Narutos. Ich drehte meinen Kopf herum, ohne an Geschwindigkeit zu verlieren. Wenn es nicht das war, was ich suchte, dann gab es keinen Grund für mich anzuhalten. Und das war es nicht; es war Kakashi, der erneut nach mir rief: „Bleib stehen, Sasuke!“ Er war auf jeden Fall anwesend gewesen, als Tsunade das Verbot für mich ausgesprochen hatte. Er wusste, dass ich das Dorf nicht verlassen durfte. Und er würde mich aufhalten. Ich hatte nicht lange Zeit, um mich zu entscheiden, ob ich gegen ihn kämpfen wollte oder nicht, denn im nächsten Moment hielt mich etwas am Bein fest. Mein Oberkörper wurde nach vorn geworfen und meine Arme streckten sich automatisch dem Boden entgegen, um meinen Fall zu bremsen – doch ich fiel nicht. Ich schaute zu meinem Fuß hinab und sah einen Ast mein Gelenk umklammern. Er rankte sich immer weiter mein Bein hinauf. Sofort blickte ich mich um. Ich wusste, nach welchem Gesicht ich suchen musste, und ich fand es. Yamato stand auf einem der Dächer und hatte seine Augen auf mich fixiert. Ich blickte zurück zu Kakashi. „Lasst mich gehen!“, schrie ich. Die Panik in mir ebbte nicht ab. Ich wusste, dass ich keine Zeit zu verlieren hatte. Ich spürte, dass Naruto in Gefahr war. „Wir können dich nicht gehen lassen, Sasuke-kun“, sagte Kakashi ruhig. „Du weißt selbst ganz genau, dass du noch nicht das Recht hast, das Dorf zu verlassen.“ „Aber Naruto…!“, schrie ich, ohne zu wissen, wie ich den Satz beenden sollte. Kakashi begriff jedoch sofort. „Wo ist er?“, fragte er dennoch atemlos. Seine Augen suchten mein Gesicht ab, als könnte er ihn dort finden. „Warum ist er nicht bei dir?“, fragte er weiter. „Wann hast du ihn zuletzt gesehen?“ „Heute Nacht“, sagte ich, bevor ich darüber nachgedacht hatte. Kakashi schien diese Antwort allerdings nicht zu wundern. „Izumo! Kotetsu!“, rief Kakashi plötzlich zu den Eingangstoren herüber. Die beiden standen bereits da, ihre Hände nur noch den Bruchteil einer Sekunde von ihren Waffen entfernt. „Seht nach Asuma!“ „Jawohl“, kam es einheitlich von den beiden zurück und sie verschwanden in die Richtung, aus der ich gekommen war. „Wir sind davon ausgegangen, dass ihr wieder ins Krankenhaus zurückkehren würdet, wie am Tag davor“, sagte Kakashi nachdenklich. „Aber trotzdem war eine Wache stationiert“, dachte er laut weiter. „Man hat uns beobachtet?“, entfuhr es mir schockiert. Ich hatte zwar erwartet, dass alle Bescheid wussten, dass weder ich noch Naruto das Dorf verlassen durften, doch rund um die Uhr beschattet zu werden? Was hatte dieser Wachposten gesehen? In diesen beiden Nächten? In der ersten hatten wir, bevor wir uns schlafen gelegt hatten, sogar das Licht brennen lassen. „Hatten wir eine andere Wahl?“, fragte Kakashi harsch. „Außerdem, wie sich herausgestellt hat, haben wir euch nicht gut genug im Auge behalten. Wir hätten nicht leichtsinnig werden dürfen.“ Sein Blick war ernst. „Das war ein großer Fehler.“ Er schaute aus seinen Gedanken auf und fragte: „Was glaubst du, wo Naruto ist? Hat er etwas zu dir gesagt?“ Ich holte tief Luft. Wie sollte ich es erklären? Wir hatten über so vieles gesprochen. Und auch wenn ich mir ziemlich sicher war, dass Naruto sich auf die Suche nach dem Versteck Akatsukis gemacht hatte, wollte ich diese Vermutung nicht laut aussprechen. Irgendwie glaubte ich das auch nicht. Naruto wäre nicht ohne mich gegangen. Noch nicht. „Kakashi-senpai“, rief Kotetsu, der gerade zu uns zurückgeeilt kam. Kakashi wandte nach einem Moment den Blick von mir ab; er schien zu bemerken, dass ich ihm nicht so schnell eine Antwort geben würde. Die beiden Jounin tauschten einen wortlosen Blick aus, doch ich wusste nicht, was er bedeuten sollte. Etwas Gutes war es jedenfalls nicht. Warum war Izumo nicht mit zurückgekommen? „Wurde Asuma-sensei angegriffen?“, fragte ich vorsichtig. Ich wollte es eigentlich nicht bestätigt haben, dass der Grund, weshalb Izumo nicht hier war, der war, dass er Asuma ins Krankenhaus bringen musste. „Er wurde ausgeschaltet“, sagte Kakashi kalt und ich schluckte. Asuma-sensei wurde…! Wurde er wirklich…? Panik ergriff mich. Aber wer hatte ihn angegriffen? Niemals würde Naruto seinen Lehrer oder irgendeinen anderen Bürger Konohas angreifen. Aber wer dann? Und warum? Bedeutete das etwa…?! „Sie sind hier“, sagte Kakashi nur. „Wer?“, fragte ich, auch wenn ich genau wusste, wen er meinte. Aber ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Er antwortete mir dennoch: „Akatsuki.“ Mir lief ein Schauer den Rücken hinunter. „Nein.“ Mehr konnte ich nicht sagen. „Nein.“ Mein Gehirn wollte diese Information nicht verarbeiten. „Nein.“ Deshalb war Naruto nicht hier. Er hatte ihre Ankunft bemerkt. Er wollte sie jagen. Er würde nicht stoppen, bis er sie alle erledigt hatte. Nur um meinen Namen reinzuwaschen. Mit Blut. Mit seinem Blut. „Nein!“, schrie ich und wehrte mich jetzt gegen den Ast, der mich festhielt. Ich trat mit aller Kraft mit meinem freien Bein dagegen, doch es nützte nichts, das Holz wollte nicht zersplittern. „Sasuke!“, rief Kakashi streng und plötzlich hielt etwas mein Knie fest und stoppte es, bevor ich erneut ausgeholt hatte. Es war Kakashis Hand. „Wir werden ihn finden.“ Er schaute mich eindringlich an. „Sie können noch nicht weit sein.“ Ich nickte hastig. Ich wollte ihm glauben. Ich musste ihm glauben. Andererseits würde ich auf der Stelle durchdrehen. Es war meine Schuld. Ich hatte zu fest geschlafen. Ich hatte Naruto einfach unbemerkt gehen lassen. Oder schlimmer noch: hatte ihn von Akatsuki direkt neben mir unbemerkt entführen lassen. „Yamato“, sagte Kakashi nur und es war ein eindeutiger Befehl. Sofort löste sich die Ranke um mein Bein, doch die Hand meines ehemaligen Trainers blieb, wollte mich stützen, bis ich sicher auf den Dachziegeln stand. Doch dazu kam es nie, denn meine Beine zitterten, mein Körper wankte. Dennoch wollte ich loslaufen, aber ich wusste nicht, in welche Richtung. Verzweifelt blickte ich mich um und dann wieder in Kakashis Gesicht. „Folge mir“, sagte er ruhig. Ich nickte hastig. All die Zeit bei Orochimaru hatte ich es geschafft, keine Emotionen zu zeigen, doch hier, zurück in Konoha, zurück in Narutos Nähe, in der ich sehen konnte, dass er in Gefahr war, war das etwas vollkommen anderes. „Dann los“, war das Letzte, was Kakashi zu mir sagte. Er löste die Hand von meinem Bein, nahm mir jeglichen Halt. Es war fast, als hätte er mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Das war der Moment, in dem eine Explosion den in Stein gemeißelten Kopf des fünften Hokage zerstörte. „Naruto…!“, entfuhr es mir und ich rannte los, Kakashis Worte vergessen. Ich konnte nicht warten, bis er vorauslief. Und ich brauchte keine Führung, wenn ich sehen konnte, wo ich hinmusste. Ich nahm den kürzesten Weg Richtung Berg, sprang von Dach zu Dach, dicht gefolgt von Kakashi, Yamato und Kotetsu, die sich hinter mir irgendwelche Anweisungen zuriefen. Ich verstand sie nicht. Es interessierte mich auch nicht. Ich hatte nur ein Ziel: Naruto zu beschützen. Ich sah, wie – aus dieser Entfernung schien es so unendlich langsam zu geschehen – die Felsbrocken auf die Stadt herabregneten und die Häuser und Straßen verwüsteten. Wir konnten nichts dagegen tun, wir waren noch zu weit entfernt. Wir konnten nur starren, entsetzt. Meine Augen suchten den Ursprung der Explosion, doch sie konnten ihn nicht genau ausmachen. Dann sah ich etwas Orangenes den Berg hinaufspringen und im Wald verschwinden. Naruto. Zwei dunkle Gestalten folgten, verschwanden ebenfalls über der Klippe. Nein. Ich beschleunigte mein Tempo, wusste aber genau, dass ich diesen Sprint nicht lange würde durchhalten können. Ich hatte in den letzten Tagen nicht trainiert und fühlte mich daher etwas ungelenk. Und das Schlimmste war: bei Naruto würde das noch viel schlimmer sein. Er lockt sie vom Dorf weg, erkannte ich, was meinen Puls nur noch mehr antrieb. Er bringt das Dorf in Sicherheit und sich dafür umso mehr in Gefahr. Kakashi und die anderen konnten nicht mehr mit meiner Geschwindigkeit mithalten. Sie fielen immer weiter zurück und ich wusste, dass das daran lag, dass sie in dem Tempo rannten, wie ihre Kondition das zuließ. Ich dagegen rannte, so schnell ich konnte, und wusste genau, dass ich so nicht lange durchhalten würde. Doch es war mir gleich. Ich musste Naruto jetzt retten. „Naruto!“, rief ich, so laut ich das während dem Rennen tun konnte. Er sollte anhalten. Er sollte diese Verfolgungsjagd stoppen. Er sollte sich nicht weiter von mir entfernen. „Naruto!“, schrie ich ein weiteres Mal und hoffte, dass er mich hören konnte. Es war nicht klug, meine Anwesenheit auch unseren Feinden zu verraten, das wusste ich. Doch ich sah keinen anderen Weg. Plötzlich scheuchte eine Explosion einen Vogelschwarm auf. Ich verlor keine Zeit, sprang über das Geäst in die Richtung, aus der die Tiere geflogen kamen. Bald sah ich die Staubwolke, die der Wind mir entgegentrieb. Nein. Ich versuchte, die Bilder, die sich automatisch in meinem Kopf formten, auszublenden. Ich sah Naruto wieder bewusstlos am Boden im Tal des Endes liegen. Ich hielt abrupt inne, als ich zwei Gestalten in schwarzen Mänteln mit roten Wolken auf einer Lichtung stehen sah. Meine Augen blieben gar nicht erst an ihnen hängen, suchten sofort die Umgebung ab – den Boden, auf dem ich Narutos Körper vermutete. Doch er war nicht zu sehen – nicht am Boden, denn er stand auf einem Felsen, auf dem Rest des Berges, der von der Explosion verschont geblieben war. Ich keuchte auf vor Erleichterung und zog damit nicht nur Narutos überraschten Blick, sondern auch die Aufmerksamkeit der beiden Mitglieder Akatsukis auf mich. Sie schauten mich einen Moment aufmerksam an, dann wandten sie mir den Rücken zu, als wäre ich so oder so kein Hindernis für sie, und griffen Naruto an. „Nein!“, schrie ich innerlich, denn ich brauchte den Atem, um selbst loszusprinten und anzugreifen. Im nächsten Moment sah ich nur noch Feuer. Die Flammen aus meinem Mund formten eine Kugel, die auf meine Gegner zurollte. Sie wichen ihr aus, ließen sie die Bäume verbrennen. „Kagebunshin no Jutsu!“, hörte ich den altbekannten Ausruf Narutos und beobachtete, wie seine Doppelgänger aus dem Nichts erschienen, sich aufteilten und sich auf unsere beiden Gegner stürzten. Ich bemerkte, dass sie alle keinen Stirnschutz trugen. Wie das Original. Schneller, als man es begreifen konnte, waren sie verpufft – allesamt. Nur der echte Naruto blieb zurück, der von dem kleineren, aber muskulöseren der beiden – Kakuzu war sein Name, wie ich später erfuhr – mit einem Schlag in die Brust fortgeschleudert wurde. Ich hörte Naruto aufschreien, konnte den Schmerz fast spüren, den er gerade fühlen musste. Und ich war mir sicher, dass er bewusstlos werden würde. Diese Schmerzen mussten einfach zu viel für ihn sein. Man hatte genau seine Wunde getroffen. Seine Augen schlossen sich bereits im Flug. Er ging zu Boden, bevor ich einen Fuß vor den anderen setzen konnte. Und blieb liegen. „Naruto!“, schrie ich, doch ich wusste, dass das nichts nützte. Er konnte mich nicht hören. Ich rannte auf seinen Angreifer zu, mein Chidori formte sich praktisch von selbst in meiner Hand, doch er wich mir aus. Er war unglaublich schnell, aber Kakashi ebenso. Unbemerkt war er hinter Kakuzu aufgetaucht, traf ihn mit seinem Raikiri und bohrte sich damit durch seinen Rücken. Ich blieb stehen, keuchend, schaute mich nach seinem rothaarigen Begleiter um, der jedoch gerade von der Lichtung floh, Yamato und Kotetsu auf seinen Fersen. Entsetzt blickte ich zu der Stelle, an der Naruto auf dem Boden aufgekommen war – er war noch immer da. Der Rothaarige hatte ihn nicht mitgenommen. Er war in Sicherheit. Ich atmete erleichtert aus. Es war vorbei. Ich wollte zu Naruto herübergehen, doch ich konnte mich kaum bewegen. Mein Körper rächte sich für das zu schnelle Laufen und für den psychischen Stress. Ich stützte mich gegen die Felswand neben mir ab, versuchte, meinen Atem zu beruhigen. Dann schaute ich zu Kakashi herüber. Dieser nahm erst jetzt seine Hand zurück, nachdem Kakuzus Brust vollständig durchbohrt war. Dennoch lachte dieser nur, wandte sich um und griff Kakashi frontal an. Im ersten Moment begriff ich nicht, was passiert war, doch es war auch keine Zeit, um das zu verstehen, denn Kakuzu verfehlte Kakashi nur knapp mit seiner Faust, holte wieder zu ihm auf und schlug ihm so kräftig in den Magen, dass er sich auflöste. Ich registrierte, dass es nur ein Bunshin gewesen war und Kakashi in sicherer Entfernung neben mir stand. „Nimm Naruto und bring ihn weg von hier“, sagte er jetzt, ohne mich anzusehen. Er ließ Kakuzu nicht aus den Augen. Er hatte sein Sharingan permanent im Einsatz. „Aber –“, begann ich. Kakuzu war definitiv kein leichter Gegner und da Yamato und Kotetsu dem anderen nachgegangen waren, war Kakashi allein. Er konnte in diesem Kampf jede Hilfe brauchen, die er kriegen konnte. Naruto von hier fortzuschaffen, war keine Lösung. Er war nirgends im Dorf sicher, denn keiner konnte mir sagen, ob nicht noch mehr Mitglieder Akatsukis hergekommen waren. Und niemand wusste, wer gerade hinter den Stadtmauern lauerte. Ich wollte Naruto nicht allein verteidigen müssen. Ich fühlte mich dieser Aufgabe nicht gewachsen. Lieber wollte ich das Dorf beschützen und Naruto in Kakashis Obhut wissen, als die Schuld auf mich nehmen zu müssen, wenn ihm etwas passierte. Ich schaute zu meinem ehemaligen Trainer zurück, aber er erwiderte meinen Blick nicht, schaute noch immer zu unserem Gegner herüber. Erst jetzt bemerkte ich, dass Kakashi mir soeben bewiesen hatte, wie viel Vertrauen er noch in mich hatte. Naruto bewusstlos in meine Hände zu geben, während sich Akatsuki hier in der Nähe aufhielt, wenn er dachte, dass ich möglicherweise für die Organisation arbeitete, wäre schlimmer noch, als ihn einfach umzubringen. Es wäre, als legte er seinem Feind eine Waffe in die Hände, die er bestens einzusetzen wusste. Aber das tat er eben nicht. Er sah mich nicht als Feind. Er vertraute mir. Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob das daran lag, dass er spürte, dass meine Verzweiflung von eben echt gewesen war, oder daran, dass er wusste, was Naruto und ich in den vergangenen Nächten getan hatten. Ich ging meine Möglichkeiten noch einmal im Kopf durch und entschied mich dann. „Nein“, sagte ich entschlossen. „Ich werde bleiben.“ Jetzt schaute Kakashi einen Augenblick überrascht zu mir herüber. Ich erwiderte seinen Blick jedoch nicht, sondern fixierte ihn auf Kakuzu und überlegte, wie lange ich es bei diesem Kampf herauszögern konnte, mein Sharingan einzusetzen. „Sasuke-kun“, sagte Kakashi dann, und ich war mir sicher, dass er noch etwas sagen wollte, doch in diesem Moment bäumte Kakuzu sich auf und schrie, als die Nähte, die seine Gliedmaßen zusammenhielten, zu reißen drohten. Etwas schien aus ihm herauszuwollen. Seine zerrissene Kleidung gab schließlich den Blick frei auf seinen Rücken, an dem vier Masken aufgenäht zu sein schienen, von denen die eine bereits durch Kakashis Angriff zerstört worden war. Eben an diesen vier Stellen schwebten nun schwarze Gestalten hervor und stellten sich um Kakuzu herum auf. Wobei die mit der zerbrochenen Maske sofort zu schmelzen begann. Kakashi wartete ab, was passieren würde. Wie diese neuen Gegner angreifen würden. Es gefiel mir gar nicht, als einer von ihnen den Mund öffnete und Flammen spie. Sofort rannte ich los, beinahe durch die Flammen hindurch, auf dem direkten Weg zu Naruto und rettete ihn aus der Reichweite dieser Kreatur. „Bring ihn weg von hier“, sagte Kakashi ein weiteres Mal. Er wusste, dass es zu riskant war, Naruto in der Schusslinie zu lassen. Und er schien Vertrauen in mich zu haben, dass ich diesen beschützen konnte. Ich würde dieses Vertrauen nicht enttäuschen. Ich nahm Naruto sicher auf meine Arme, schaute noch ein letztes Mal zu Kakuzu herüber, dann zu Kakashi, der mir zunickte – und rannte los. „Der Jinchuuriki bleibt hier!“, schrie Kakuzu jetzt und mehrere schwarze Gestalten kamen auf mich zu. Mit Narutos schwerem leblosen Körper in den Armen konnte ich nicht viel tun. Ich konnte nur rennen, doch es war klar, wer schneller sein würde. Ich kann ihn nicht beschützen, ging es mir durch den Kopf. Es sind zu viele. Ich warf einen Blick über meine Schulter. Drei Gestalten waren mir dicht auf den Fersen. Die eine machte sich gerade wieder bereit, Feuer zu speien. Kakashi folgte den schwarzen Schatten und kehrte Kakuzu und der anderen Gestalt den Rücken zu. Nein. Kakashi-sensei! Es war riskant. Es war unnötig. Er würde sowieso nicht alle drei aufhalten können, bevor sie mich erreicht hatten und dazu zwangen, Naruto wieder abzulegen und zu kämpfen. Ich schaute wieder vor mich in den Wald, wollte auf einen der Äste hinaufspringen, um dem Feuer vielleicht noch rechtzeitig entkommen zu können, doch da sah ich plötzlich jemanden direkt vor mir zwischen die Bäume treten. Ich holte entsetzt Luft, wich aus einem Reflex heraus noch aus, bevor die Information in meinem Gehirn ankam, dass es Shikamaru war. Nachdem ich an ihm vorbeigelaufen war, schaffte ich es abzubremsen. Ich wandte mich um und sah, dass die drei Gestalten in ihrer Bewegung erstarrt waren. Kakashi rief: „Gut gemacht, Shikamaru-san!“, bevor er sich umwandte und Kakuzus nächsten Angriff abwehrte. „Geh“, sagte Shikamaru jetzt so leise, dass nur ich gemeint sein konnte. Er schaute mich nicht an. Sein konzentrierter Blick war auf seine bewegungslosen Gegner gerichtet. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, wie ich ihm danken sollte für die Rettung. „Mendokusee, na. Aber du kannst jetzt gehen. Wir schaffen das auch ohne dich.“ Gerade überlegte ich, ob ich jetzt nicht erst recht bleiben und ihm helfen sollte, doch da rief er bereits: „Ino! Du bist dran!“ Von rechts zwischen den Bäumen hörte ich einen entschlossenen Ruf, bevor eine der drei Gestalten begann, auf die anderen beiden loszugehen. Die beiden hatten die Situation bereits bestens unter Kontrolle. Und ich war mir sicher, ich hörte irgendwo in der Nähe auch das Knirschen von Kartoffelchips. Ich wandte mich um und rannte los. Ich wusste leider noch nicht, wohin. Doch ich hoffte, dass ich in Konoha am sichersten sein würde. Innerhalb der Mauern. In der Nähe von anderen Shinobi. In der Nähe des Hokage. Dieser würde wohl ebenfalls alles daran setzen wollen, Naruto zu beschützen. Ich erreichte mein Ziel jedoch nicht mehr. Denn es dauerte nicht lange und eine laute schwarze Wolke umgab mich. Ein Schwarm pechschwarzer Raben griff mich an. Ich wusste nicht, was geschah, doch ich konnte nichts mehr sehen, bis die Vögel sich wieder zurückzogen. Sie flogen alle auf dieselbe Stelle zu, wenige Meter vor meinen Füßen, und nahmen die Gestalt eines Mannes an. Mein Körper erstarrte. Itachi stand vor mir und sah mich mit seinen kalten roten Augen an. Meine Arme wurden schwach. Mit einem Mal spürte ich das Gewicht Narutos viel stärker. Ich musste seinen schweren Körper ablegen. Aber ich musste ihn an einen sicheren Ort bringen. In der Nähe Itachis war das sicher nicht. Doch ich wusste, dass dieser mir keine Gelegenheit dazu lassen würde. Er konnte sehen, dass der andere bewusstlos war, und wusste, dass er mich nur beiseitezuräumen hatte, bevor er an das kam, für das er hier war. Er kam blitzschnell auf mich zu. Ich setzte augenblicklich mein Sharingan ein und konnte das Genjutsu sofort durchschauen. Es war nicht mein Bruder, der vor mir stand. Es war nur eine billige Kopie. Ich spürte sein Chakra hinter mir. Ich zögerte nicht lange, sondern griff an. Itachi wich nicht aus. Ich traf ihn mit meinem Schwert mitten in die Brust, direkt ins Herz. Er starrte überrascht ins Nichts, als Blut sein Kinn hinabrann. „Nicht schlecht, kleiner Bruder“, sagte er in ruhigem Tonfall. „Aber nicht gut genug.“ Sofort wusste ich, dass ich einem weiteren Genjutsu zum Opfer gefallen war. Ich wich der Klinge aus, die sich in meinen Rücken bohren wollte. Ich musste mich mehr konzentrieren, sonst hatte ich keine Chance. Niemand würde auf uns aufmerksam werden. Unsere Kämpfe fanden ausschließlich innerhalb unserer Genjutsu statt. Niemand würde mir jetzt noch helfen können. Es war pure Ironie, dass ich die letzten Jahre lang nichts anderes getan hatte, als für diesen Kampf zu trainieren, mich auf dieses Aufeinandertreffen vorzubereiten. Jetzt war es so weit und ich war in keinster Weise vorbereitet. Nicht lange nachdem Naruto bei Orochimaru aufgetaucht war, hatte ich aufbrechen wollen, hatte ich nach Itachi suchen wollen, aber jetzt war er zu mir gekommen. Er hatte mich zuerst gefunden. Er war mir schon immer einen großen Schritt voraus gewesen. „Ich hatte gehofft, du wärst bereits stärker“, sagte Itachi jetzt. Er klang eher traurig als enttäuscht. „Ich denke, du weißt, dass es Zeit ist, sich zu verabschieden.“ „Der Einzige, der sich von dieser Welt verabschieden muss, bist du!“, schrie ich ihn an und startete eine Attacke. Ich glaubte, ein schwaches Schmunzeln über Itachis Lippen huschen zu sehen, bevor er seine Arme öffnete, um mich und mein Schwert zu empfangen. Es machte mich krank, dass er den Kampf so amüsant fand. Noch bevor ich zugestochen hatte, wusste ich, dass es nur ein Trugbild war, das ich angriff. Ich spürte noch im Rennen seine Aura auf und änderte meine Laufrichtung ab, stürmte direkt auf den richtigen Itachi zu. Jetzt wich er aus. Er spürte die Gefahr. Ein weiteres Genjutsu war zerstört und das nächste begann. Nun befand er sich in meinem. Ich war mir jedoch ziemlich sicher, dass er das wusste. Lange ging dieses Spiel hin und her, bis meine Augen schmerzten. Ich hasste es, mein Sharingan einzusetzen. Ich hasste es, dass Itachi dieselben blutroten Augen hatte wie ich. Ich hasste ihren Anblick. Ich hasste die Tatsache, dass wir fast die Einzigen waren, die noch ein Sharingan besaßen. Und ich hasste vor allem den Grund dafür. Ich kämpfte mit aller Wut, die ich in mir trug. Mit all meiner Verzweiflung. Und obwohl wir noch immer starr mitten im Wald standen und nur innerhalb unserer selbst geschaffenen Illusionen kämpften, waren wir außer Atem. Wir hatten schon einiges an Chakra verbraucht. Itachi jedoch mehr als ich, wie es schien. Deshalb brach ich jetzt meine eigene Illusion und rannte auf ihn zu, ohne ihm in die Augen zu sehen. Ich starrte auf seine Brust und zog mein Schwert. Er verstand, was passierte, reagierte und wich aus, jedoch zu spät. Ich streifte noch seinen Oberarm. Er hatte kaum Zeit, weiter zurückzuweichen, da hatte ich ihn bereits am Bauch erwischt. Es war eine Genugtuung, endlich echtes Blut von ihm fließen zu sehen. Ich vergewisserte mich mit meinem Sharingan, ob ich auch nicht doch wieder in eine seiner Trugbildfallen getappt war, doch das schien nicht der Fall. Er war einfach nur langsam, erschöpft. Ich fragte mich, ob er heute schon gekämpft hatte. War er es etwa gewesen, der Asuma umgebracht hatte? Neue Wut erfüllte mich und ließ mich meine eigene Deckung vollkommen vergessen. Ich schlug nach ihm aus, lebensmüde in diesem Moment des Hasses, ließ ihm keine Möglichkeit mehr auszuweichen. Ich fügte ihm zwar auch keine lebensbedrohliche Verletzung zu, doch ich schwächte ihn und würde ihn früher oder später auch so zu Fall bringen. Endlich war ihm sein Gerede vergangen. Endlich hielt er seinen Mund und quälte mich nicht mit dieser Stimme, die mich in meinen Albträumen schon genug gequält hatte. Erst als ich ihn letztendlich doch schwer verwundet hatte, begann er wieder zu sprechen. „Warte“, sagte er mit gepresster Stimme, nachdem ich das Schwert wieder aus seiner Brust gezogen hatte und ein Stück zurückgewichen war. Er hielt schließlich noch immer sein Schwert in der Hand, in dessen Reichweite ich nicht stehen wollte. Jetzt allerdings ließ er es fallen. „Komm her“, keuchte er, als das Klirren aufgehört hatte. Er hob seinen Arm, ließ ihn jedoch sogleich wieder sinken, als wäre er ihm zu schwer. Ich starrte ihn nur an. Dann setzte er sich in Bewegung, kam langsam auf mich zu. „Lass mich noch…“, röchelte er. Er bekam kaum noch Luft. „…ein letztes Mal…“ Er wankte auf unsicheren Beinen auf mich zu. Ich war starr vor Angst. Einerseits war es Angst, dass er mich mit seiner letzten Kraft noch angreifen würde. Andererseits war es Angst, dass er gleich vor meinen Augen sterben würde. „Ich muss…“, sprach er weiter und ich wusste, ich wäre gerannt, wenn ich es gekonnt hätte. „…noch ein letztes…“ Er stolperte mir gefährlich nahe. „…Mal…“ Er streckte seine Hand wieder nach mir aus. „…deine Stirn…“ Meine Augen weiteten sich. Nicht nur weil er mir jeden Moment so nahe sein würde, dass er mich berühren konnte, sondern auch weil ich mich gerade wieder daran erinnerte, wie er damals immer mit seinen Fingern gegen meine Stirn geschnippt hatte. Wie er sich dafür entschuldigt hatte, dass er keine Zeit für mich hatte. Wie er mich dabei immer angelächelt hatte. Wie ein liebevoller großer Bruder. Wieso?, fragte ich mich. Wieso hatte er sich so verändert? Ich hätte ihn das so gerne gefragt, doch ich wusste nicht, wie. Mein Mund wusste nicht mehr, was er dafür tun musste. Meine Lippen begannen zu zittern. Ich fühlte mich schwach, ausgelaugt. Ich hörte nur noch das Rauschen in meinen Ohren. Meine Sicht verschwamm, als ich versuchte, meinen Blick auf Itachis Hand zu fokussieren. Seine Finger waren nur noch Millimeter davon entfernt, meine Stirn zu berühren, als ich plötzlich einen starken Wind meinen Körper umwehen spürte, der mich dazu zwang, die Augen zu schließen. Ich hörte eine Explosion. Ich spürte einen Schmerz, am ganzen Körper, am stärksten im Gesicht, das Itachis Hand jedoch noch nicht berührt hatte. Der Wind zog die Beine unter mir fort, warf mich hoch in die Luft. Ich flog. Ich fiel. Ich öffnete noch einmal meine Augen, wollte Itachi sehen, wollte wissen, was mit ihm geschah. Doch ich spürte, wie meine Sinne schwanden. Ich versuchte meine Augen aufzuhalten, doch meine Lider wurden immer schwerer. Das Letzte, was ich sah, waren aufgewirbelte Blätter vor einem fast wolkenlosen blauen Himmel. Ich hatte das Gefühl, ich war eines von ihnen. ~ Als ich die Augen aufschlug, sah ich nur weiß. Ich wusste sofort, dass ich im Krankenhaus lag, doch es dauerte, bis ich mich wieder daran erinnerte, warum. „Sasuke!“, keuchte ich dann panisch und setzte mich ruckartig auf, was ich sofort bereute, als der Schmerz durch meine Brust fuhr. Ich erinnerte mich an den Kampf gegen Kakuzu. Als er mit seiner Faust mit aller Wucht gegen meine Wunde geschlagen hatte, dachte ich, ich würde augenblicklich sterben. Nie hatte ich einen größeren Schmerz gespürt. Meinen Arm, der ebenfalls fürchterlich wehtat, an meine Brust gedrückt haltend, schaute ich aus dem Fenster und sah in der Ferne den zerstörten Hokage-Berg. Sasuke. Sofort stand ich auf, verließ mein Bett, verließ mein Krankenzimmer. Auf dem Korridor sprach ich die nächstbeste Krankenschwester an. „Wo ist Uchiha Sasuke?“ Sie blickte mich nur irritiert an. „Das musst du an der Rezeption fragen…“, war ihre verwirrte Antwort, doch ich war bereits weitergerannt. Sie konnte mir nicht weiterhelfen. Die nächste Arzthelferin sprach ich erst gar nicht mehr an, sondern lief, ohne zu zögern, weiter. Noch bevor ich die Rezeption erreicht hatte, kam mir Kakashi entgegen. Er blieb stehen, als er mich sah, wahrscheinlich überrascht, dass ich bereits aufgestanden war. „Wo ist Sasuke?“, fragte ich sofort und lief die letzten paar Meter zu ihm. Mein Trainer öffnete den Mund, doch fand keine Worte, atmete nur schweren Herzens aus. Ich starrte ihn an, hörte nur das Pochen meines Herzens. Es schlug schmerzhaft von innen gegen meine Wunde. „Ist er verletzt?“, wisperte ich fast. Kakashi schien mir noch immer nicht antworten zu wollen. Warum sagte er nichts? Sasuke würde doch nicht… „Wo ist er?!“, schrie ich mit allem, was ich hatte. Ich konnte meine Arme nur schwer davon abhalten einzugreifen und mit Gewalt zu versuchen, meine Antworten zu bekommen. Kakashi legte seine Hände auf meine Schultern und sagte mit ruhiger Stimme: „Er ist noch im OP.“ Er lebt noch. Er lebt noch. Er lebt noch, dachte ich erleichtert. Es war wie eine Beruhigungsformel, doch meine Anspannung wollte noch nicht von mir abfallen. „Aber es sieht nicht gut für ihn aus.“ Ich starrte Kakashi an. Dann schüttelte ich den Kopf. Das wollte ich nicht hören. Er würde es schaffen. Wie schwer auch immer er verletzt war. Er würde es schaffen. Sakura würde ihn wieder hinbiegen. Egal was es war. „Was ist passiert?“ Jetzt atmete Kakashi erst recht hörbar tief ein. „Du kannst dich nicht erinnern?“ Meine Augen suchten sein Gesicht ab. Woran sollte ich mich erinnern können? Kakuzu hatte mich bewusstlos geschlagen und dann… war ich hier aufgewacht. Kakashi wartete noch einen Moment, doch als ich ihm nicht antwortete, nahm er eine Hand von meiner Schulter und griff nach meinem Handgelenk. Es schmerzte fürchterlich, auch wenn er es eigentlich nur sanft berührte. Ich schaute hinab auf meinen eigenen Arm und bemerkte erst jetzt, da Kakashi den Stoff meines Ärmels zurückschob, dass mein kompletter Unterarm gerötet war. Es war genauso wie nach meinem Training, bei dem ich versucht hatte, mein Rasengan mit dem Windelement zu kombinieren. Jetzt erkannte ich auch den Schmerz wieder. Und ich wusste, was das bedeutete: Ich hatte meine noch unausgereifte Technik eingesetzt. Doch wann? Und warum? Ich kann mich ni– Plötzlich kam die Erinnerung zurück. Sie war schwach, sie war verschwommen. Aber ich sah meine Hände, wie sie mit denen eines Kagebunshin ein Rasengan formten und ich sah einen weiteren, der den Wind für meine Attacke beisteuerte. Und ich sah Sasuke, der mich ebenso wenig beachtete wie Itachi, den ich daraufhin angriff. „Du hast Fuchsgestalt angenommen“, erklärte Kakashi mir. Ich blickte erstaunt in sein Gesicht auf, hatte zuvor abwesend durch seinen Oberkörper hindurchgestarrt, wie ich jetzt bemerkte. „Du hast Uchiha Itachi bekämpft. Und besiegt.“ Überrascht schaute ich ihn weiterhin nur sprachlos an. „Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, hätte ich gesagt, dass er geflohen ist. Denn man hat nichts mehr von ihm gefunden. Du hast nichts von ihm übrig gelassen.“ Ich erinnerte mich wieder, wie ich aufgewacht war. Am Waldboden, nur wenige Meter entfernt von Sasuke und Itachi, die sich nur reglos angestarrt hatten. Beide hatten ihr Sharingan im Einsatz gehabt. Und ich glaubte zu verstehen, dass sie sich damit einen unsichtbaren Kampf lieferten. Einen Kampf, von dem ich nicht wusste, wer ihn gewinnen würde. Ich konnte nicht einmal sagen, wer wen in die Enge trieb. Sie atmeten beide bereits schwer. Es jagte mir mächtige Angst ein, die Situation nicht einschätzen zu können. Doch dann stürzte sich Sasuke plötzlich direkt auf seinen Bruder, vollkommen blind vor Wut, und ich wusste sicher, dass ich etwas tun musste. Egal wie. Bis ich mir allerdings genügend Kraft des Kyuubi geholt und meinen gebrochenen Körper aufgerafft hatte, stand Sasuke reglos da und ließ Itachi auf ihn zukommen. Ich glaubte, dass er in einem Genjutsu gefangen war. Mein Kopf war für einen Moment vollkommen leer. Ich hatte nur noch das Ziel vor Augen, Sasuke in Sicherheit zu wissen. Aber dieses Ziel hatte ich auch mit dem Mord an Itachi nicht erreicht. „Ich will zu ihm“, kam es tonlos aus meinem Mund. „Bring mich zu ihm!“, schrie ich Kakashi an, sodass er automatisch vor mir zurückwich. Er wartete noch einen Moment ab, wie um zu sehen, ob ich noch die Kontrolle verlieren würde. Doch ich spürte bereits die Niedergeschlagenheit über mich kommen. Ich hatte alles falsch gemacht. Es war meine Schuld. Wenn Sasuke diese Verletzung nicht überlebte… Ich hatte Sasuke bei meinem Angriff nicht mehr gesehen. Ich hatte nur noch Itachi vor Augen gehabt. Das Hindernis, das ich aus dem Weg räumen wollte. Ich hatte keine Ahnung, wo genau sich Sasuke befunden hatte, als ich angegriffen hatte. Aber allzu weit von Itachi entfernt konnte es nicht gewesen sein. Und er war wohl auch nicht mehr ausgewichen. Meine Attacke hatte ihn vielleicht fast so stark erwischt wie Itachi selbst. Und von Itachi soll fast nichts mehr übrig sein. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich konnte und wollte es nicht verhindern. Mein Körper fühlte sich so machtlos an. Er schmerzte überall. Er schien mir wie betäubt vor Schmerz. Ich glaubte nicht einmal, dass ich noch meine Faust ballen konnte. Plötzlich ergriff Kakashi wieder das Wort: „Ich habe Sakura-san den Auftrag gegeben, Sasuke-kun in dein Zimmer zu bringen, sobald er aus dem OP kommt.“ Ich wollte zu ihm aufblicken. Ich wollte ihm danken. Vor allem dafür, dass er es so klingen ließ, als würde das ganz sicher der Fall sein. Seine Worte gaben mir Hoffnung. Und wenn es nur falsche Hoffnung war. „Lass uns in dein Krankenzimmer zurückgehen“, sagte er schließlich sanft. Ich nickte. Ich wusste, ich konnte im Moment nichts tun. Doch meine Beine bewegten sich dennoch nicht von der Stelle. Letzten Endes trug Kakashi mich zurück in mein Zimmer. Und ich war ihm mehr als dankbar dafür. Ich wusste, nicht lange und meine Beine hätten ohnehin nachgegeben. „Kakashi-sensei“, sagte ich leise, als ich mich gerade wieder in mein Krankenbett gelegt hatte. „Ist Sasuke bei Bewusstsein?“ Lange schwieg mein Trainer und mied meinen Blick. Ich wollte die Antwort eigentlich nicht hören, doch ich musste es. Ich brauchte mehr Klarheit. Ich wollte wissen, ob ich gerade meine letzte Gelegenheit verpasste, mich von ihm zu verabschieden. „Nein“, kam schließlich die Antwort. Es schien, als wollte er noch etwas hinzufügen, doch hielt sich davon ab, weil er wusste, dass es mir nur wehtun würde. „Wie hoch ist die Chance, dass er es überlebt?“ Die Antwort auf diese Frage wollte ich erst recht nicht wissen, doch ich brauchte sie. Ich brauchte Kakashis Zuspruch. Ich brauchte mehr Hoffnung. Ich brauchte etwas, dass diese fürchterlichen Schuldgefühle milderte. Sie waren das Einzige, was mich davon abhielt, zu Sasuke in den OP zu laufen. Denn ich fühlte mich, als hätte ich nicht das Recht, bei ihm zu sein, weil ich der Grund war, dass er überhaupt dort auf der Bahre lag. „Die Chancen stehen eigentlich sehr gut“, sagte Kakashi unerwartet. Ich starrte ihn hoffnungsvoll an. „Der Punkt ist mehr der, dass die Ärzte befürchten, dass er vielleicht nie wieder Chakra einsetzen können wird.“ Ich schluckte. Das war für einen Shinobi fast dasselbe wie der Tod. Ich starrte auf meinen Arm. Das war es auch, was Sakura vor nur ein paar Wochen zu mir gesagt hatte. Wenn ich diese Technik zu oft einsetzte, dann würde auch ich kein Chakra mehr kontrollieren können. Ich hatte gewusst, wie fatal die Folgen waren, aber in dem Moment, als ich aus der Ferne Itachi auf Sasuke hatte zugehen sehen, blutüberströmt, mit einer gierigen Hand nach ihm ausgestreckt, da sah ich nur noch rot. Ich spürte jedoch auch, dass ich selbst nicht mehr die Kraft hatte, um etwas gegen ihn ausrichten zu können, und übergab deshalb einen Teil meines Körpers dem Kyuubi. Ich konnte es nicht wissen, wozu er ihn benutzen würde. Hätte ich geahnt, dass er Sasuke damit schaden würde, hätte ich es nicht zugelassen. Aber es musste schnell gehen. Ich hatte keine Zeit, die Risiken abzuwägen. Und ich hätte noch viel weniger einfach zusehen können, wie Itachi seinen kleinen Bruder ermordete. „Das größte Problem ist, dass Sasuke nicht die Regenerationsfähigkeit besitzt, wie du das tust“, erklärte Kakashi weiter. „Wenn er sich mindestens so schnell heilen könnte wie du, dann wäre vielleicht noch mehr zu retten.“ Meine Stirn runzelte sich schmerzhaft zusammen. „Aber auch mit etlichen Heilern im Einsatz, auch Tsunade-sama selbst, ist es keine leichte Aufgabe.“ Eine Weile schwiegen beide. „Ich will, dass du darauf vorbereitet bist, wenn du wieder auf Sasuke-kun triffst.“ Ich nickte, versuchte mir vorzustellen, wie er aussehen würde. Wie sehr er mich möglicherweise dafür hassen würde, was ich ihm angetan hatte. Dass ich ihn verletzt hatte. Zum zweiten Mal. Dieses Mal physisch. „Aber du musst auch immer daran denken, dass du ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hast.“ Ich schaute zu Kakashi auf. „Ohne dich wäre er vielleicht gar nicht mehr hier.“ Ich nickte, versuchte, diesen Gedanken in meinen Kopf zu brennen. Es war richtig. Es war richtig, was ich getan habe. Dieser Gedanke gab mir ein wenig Halt. Dann lächelte ich schwach zu meinem Lehrer auf. „Danke, Kakashi-sensei.“ Plötzlich klopfte es leise an der Tür und sie öffnete sich. Erwartungsvoll blickte ich auf. Eine Krankenschwester trat ein und hielt die Tür auf für ein Krankenbett, das von Sakura hereingeschoben wurde. Ich wusste sofort, dass es Sasuke war, der auf diesem Bett lag, auch wenn er dick in Bandagen eingewickelt war, am ganzen Körper. Selbst im Gesicht. Den Teil davon, den man noch sehen konnte, war rot und glänzte, als wäre er nass. Sofort kamen die Tränen zurück und auch meine Beine verselbständigten sich, traten an das Bett heran, noch bevor es seinen Platz erreicht hatte. „Sakura“, hörte ich Kakashis Stimme leise warnen. Ich glaubte, dass er sie davon abhielt, mich anzusprechen, und ich war ihm dankbar dafür. Wortlos verließen die drei den Raum. Als die Tür ins Schloss fiel, ließ ich mich vor Sasukes Bett auf die Knie fallen und weinte in die Matratze hinein. ~ Als ich die Augen öffnete, schmerzten meine Augenlider. Als das Tageslicht in meine Augen fiel, schmerzten meine Augäpfel. Als ich eine Hand von der Matratze hob, um mich vor dem Licht zu schützen, schmerzte mein kompletter Arm. Als ich ein Augenlid wieder aufzwang, sah ich die Bandagen. Was ist passiert?, fragte ich mich benommen. Dann kam, Blitz um Blitz, eine Erinnerung nach der anderen. Das leere Bett in meinem Schlafzimmer. Naruto auf der Flucht. Der Kampf gegen Kakuzu. Das Treffen auf Itachi – Ich sah wieder seine ausgestreckte Hand, die zu meiner Stirn zu wollen schien, erinnerte mich an den Wind und die wirbelnden Blätter vor dem wolkenlosen Himmel. Was war passiert? Es ergab noch immer keinen Sinn. Wo ist Naruto?!, ging es mir schlagartig durch den Kopf. Ich hatte ihn ablegen müssen, um gegen Itachi zu kämpfen. Doch dann kam dieser Wind, diese Explosion. Was war mit ihm passiert? War er in Sicherheit? Ich schlug nun auch das zweite Auge auf, bemerkte dabei, dass eine Salbe meine Lider verklebte und das Öffnen noch schwieriger machte. Ich drehte mein Gesicht, im Schatten meiner Hand, zur Seite und sah einen Schrank, einen weißen Schrank, der mir bestätigte, dass ich im Krankenhaus lag. Unter Schmerzen wandte ich den Kopf nach rechts und sah ein leeres Bett. Die Decke lag zurückgeschlagen da. Ein Patient musste mit mir dieses Zimmer teilen. War es Naruto? Hieß das, es ging ihm gut? War er bereits wieder auf den Beinen? In dem Moment sah ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Etwas regte sich direkt vor mir. Etwas, das ich bisher nicht gesehen hatte, weil es hinter der Matratze versteckt gewesen war. Ein blonder Haarschopf kam zum Vorschein. Narutos große Augen starrten mich überrascht an. Er ist hier. Es geht ihm gut. Erleichterung flutete mich. „Sasuke“, flüsterte er jetzt und sah mich angsterfüllt an. Es war, als fürchtete er sich vor dieser Begegnung. „Wie geht es dir?“, fragte ich ihn sofort. Er hatte schrecklich gerötete Augen. Ansonsten konnte ich jedoch zum Glück keine starken Verletzungen sehen. „Wie es mir geht?“, keuchte er. „Wie geht es dir?“ Seine Hände zuckten nach vorn, wollten zu mir, doch sie fanden keine Stelle, die nicht von einem Verband verborgen war. Er zog sie wieder zurück, traute sich nicht, mich zu berühren. „Bestens“, sagte ich nur und es war kein Scherz, auch wenn ich mit den Bandagen im Gesicht nicht richtig lächeln konnte. Er sagte nichts dazu. Er schien mir nicht zu glauben. „Aber was ist passiert?“, wollte ich wissen. „Wer hat uns gerettet?“ Das Sprechen tat weh, weil der Verband dabei über meine geschundene Haut an Kinn und Wangen rieb, doch ich brauchte Antworten. „Kakashi-sensei“, war seine knappe Antwort. Mehr schien er nicht sagen zu wollen. „Was ist los?“, fragte ich beunruhigt. „Ist jemand…?“ Ich wollte es nicht aussprechen müssen. Sofort dachte ich an Shikamaru, Ino und Chouji. Er schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht.“ Sein Blick war verzweifelt. Er beunruhigte mich. „Was ist passiert?“, wiederholte ich nur. Ich hatte das Gefühl, dass er etwas wusste, von dem ich noch nichts ahnte. „Ist Itachi etwa…?“ „Er…“, begann er zögerlich. Seine Hände machten nervöse Bewegungen. „…hat es nicht überlebt.“ Ich atmete erleichtert aus. „Ich dachte schon, er wäre noch entkommen.“ Naruto schaute mich mit einem überraschten, doch hoffnungsvollen Blick an. „Aber was ist überhaupt passiert?“ Jetzt wandte er wieder seine Augen ab. „Woher kam dieser Wind?“, wollte ich wissen. „Und wer hat Itachi umgebracht?“ Naruto holte tief Luft. Dann zögerte er noch einen Moment, bevor er leise sagte: „Ich.“ Er wartete auf eine Reaktion, doch als sie nicht kam, schaute er mir wieder in die Augen. „Ich dachte, du warst bewusstlos“, sagte ich nur erstaunt. „Als ich aufgewacht bin, hast du gerade gegen Itachi gekämpft. Und bis ich aufstehen konnte, ist er schon auf dich zugegangen und da habe ich… Ich konnte nicht anders… Ich musste–“ Ich stoppte ihn, indem ich meine bandagierte Hand auf seine geballte Faust legte. Jetzt schaute er mir in die Augen, runzelte schmerzverzerrt seine Stirn und warf seinen Kopf nach unten, presste sein Gesicht in die Matratze. „Es tut mir so leid.“ „Was tut dir leid?“, fragte ich und überlegte, ob er sich tatsächlich sorgte, dass ich es ihm vorwerfen würde, dass er meinen Bruder umgebracht hatte, den ich selbst hatte umbringen wollen. Vielleicht glaubte er, dass er mir meinen Rachezug zerstört hatte. Doch dem war nicht so. Ich war einfach nur froh, dass es vorbei war. Ich hatte mich bereits in so einer starken Angststarre befunden, dass ich nicht mehr hatte handeln können. Ich hätte Itachi nicht einmal mehr den Gnadenstoß geben können. Ohne Narutos Einsatz wäre er wahrscheinlich langsam und qualvoll erstickt. Und so sehr ich meine Rache auch immer haben wollte, letztendlich hatte ich dennoch Mitleid mit ihm. Ich wusste nicht, warum. Und ich fürchtete, dass ich es nie erfahren würde. „Ich…“, begann er und hob seine freie Hand. „Ich habe das hier…“ Er schien vage auf meinen bandagierten Körper zu deuten. „…angerichtet.“ Ich schaute ihn nur verwirrt an. Ich verstand nicht, wie er das meinte. Niemals hätte er mich absichtlich verletzt. Wie also sollte er schuld daran sein, dass mein gesamter Körper in Bandagen lag? Vielleicht meinte er, dass er mich nicht rechtzeitig hatte beschützen können. „Ich habe dich mit Itachi kämpfen sehen und habe Panik bekommen“, erklärte er jetzt, ohne mir dabei in die Augen sehen zu können. Ich war mir allerdings auch ziemlich sicher, dass er sich gerade wieder daran zurückerinnerte. „Ich war aber so schwach, dass ich keinen anderen Weg gesehen habe, als mir die Kraft des Kyuubi zu borgen. Und dann habe ich die Kontrolle verloren.“ Ich überlegte nachzufragen, was das bedeutete, doch er fuhr sogleich fort. „Ich habe eine neue und noch unausgereifte Technik eingesetzt. Und nicht nur Itachi damit getötet, sondern auch dich verletzt.“ „Aber das spielt doch keine Rolle“, meinte ich nur, erleichtert, dass es keine schlimmeren Nachrichten zu geben schien. „Du hast mir vielleicht das Leben gerettet. Dann liege ich eben eine Weile im Krankenha–“ „Du wirst vielleicht nie wieder Chakra einsetzen können!“ Ich hielt überrascht inne. Ich hatte weder mit diesen Worten, noch mit dieser Lautstärke gerechnet. „Du…“, ergriff Naruto erneut das Wort, doch er wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Und dann schnitten ihm ohnehin die Tränen das Wort ab. Ich atmete tief ein und aus. Ich begriff jetzt, was es war, was Naruto beschäftigte. Ich schaute auf meine verbundenen Arme hinab und versuchte, das Chakra in ihnen zu spüren. Ein augenblicklicher Schmerz durchfuhr sie und den Rest meines Körpers. Ich keuchte auf. Jetzt erst konnte ich es fühlen, dass etwas nicht stimmte. Es war kein gewöhnlicher Schmerz. Es war, als wäre tief in meinem Körper etwas zerbrochen und die Scherben hatten sich überall verteilt, steckten nun in jedem Bereich meines Körpers tief im Fleisch, sodass man sie nie wieder alle herausholen konnte. „Kein Chakra einsetzen!“, sagte Naruto plötzlich alarmiert. Er hatte unbemerkt seinen Kopf gehoben und schaute mich nun mit entsetzten Augen an, in denen noch die Tränen funkelten. „Ich wollte es nicht einsetzen, Usuratonkachi“, sagte ich amüsiert. Ich bemühte mich um einen unbeschwerten Tonfall. Es war nicht einfach bei diesen überwältigenden Schmerzen, die noch nicht abgeklungen waren. „Du sollst dein Chakra auch nicht bündeln“, sagte er dann beinahe verärgert. „Du musst warten, bis es verheilt ist, was noch… heilen kann.“ Er senkte wieder den Kopf, doch jetzt hob er ihn gleich wieder, als ich leicht seine Hand drückte. „Es ist mir nicht so wichtig.“ „Was?“, kam es erstaunt zurück. Ich lächelte und drückte seine Hand noch einmal. „Ich habe meinen Clan gerächt – mit deiner Hilfe – und ich hatte nie geplant, Hokage zu werden. Also, was spielt es für eine Rolle, ob ich nur noch mit meinen Armen und Beinen kämpfen kann?“ Lange starrte Naruto mich fassungslos an. Dann blickte er zu unseren Händen hinab und fragte leise: „So wie Gejimayu?“ Hoffnungsvoll schaute er jetzt wieder in meine Augen auf. „Genau. So wie Lee“, betätigte ich ihm. Nun versuchte er sich wieder an einem Lächeln. Ich war so erleichtert, dass seine Stimmung endlich wieder anhob. Ich konnte einen schuldbewussten Naruto nicht lange ertragen. Es tat mir weh, ihn so zu sehen. Mehr noch als all die Schmerzen in meinem Körper. „Was mich am meisten interessiert“, begann ich, nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten, „ist die Frage, warum du gestern Morgen nicht mehr da warst, als ich aufgewacht bin.“ Ich schaute ihn aufmerksam an. Naruto war zunächst überrascht von der Frage. „Bei mir in der Wohnung“, fügte ich noch hinzu, um deutlicher zu machen, von welchem Tag ich sprach. Es kam mir vor, als wäre es unglaublich lange her. Er presste seine Lippen etwas aufeinander, schaute mich hin und her gerissen an, als überlegte er, wie er es formulieren sollte, damit es nicht so schlimm klang. „Ich habe eigentlich zu Tsunade-baachan gehen wollen“, erklärte er etwas peinlich berührt. „Ich wollte mit ihr verhandeln.“ „Verhandeln?“, fragte ich irritiert. „Ja“, sagte er noch ein wenig unsicherer. „Ich wollte sie bitten, dir wieder zu erlauben, das Dorf zu verlassen“, rückte er dennoch mit der Sprache heraus. „Und uns ein Team zur Verfügung zu stellen, ein Back-up für unsere Aktion.“ „Und du hattest wirklich Hoffnung, dass sie darauf eingegangen wäre?“, fragte ich etwas ungläubig. „Ich hätte es versucht“, sagte er nur lächelnd. „Man muss alles erst einmal versuchen.“ „Usuratonkachi“, murmelte ich nur und schloss die Augen. Ich hörte daraufhin das Rascheln der Bettdecke und spürte, wie Naruto sich näherte. Ich hätte die Augen wieder geöffnet, doch da küsste er mich bereits. ~ Ungeduldig wartete ich im Krankenzimmer, ging rastlos auf und ab. Sasuke hatte die letzten sechzehn Stunden nur geschlafen. Vor etwa einer halben Stunde war er aufgewacht und kurz darauf abgeholt und weggebracht worden, um den Zustand seines Körpers genauer ansehen zu lassen. Ich hatte solche Angst, dass er mit schlechten Nachrichten zurückkommen würde. Als sich endlich die Tür öffnete, war ich bereits ein nervliches Wrack. Wieder kam zuerst eine Krankenschwester ins Zimmer, dann ein Krankenbett und dann Sakura. Das Krankenbett allerdings war leer. Fassungslos schaute ich auf die durchwühlte Decke, als sähe ich dort jemanden, der sich unter fürchterlichen Schmerzen wand. „Wo ist – ?“, begann ich, doch in diesem Moment kam Sasuke hinter Sakura ins Zimmer. „Dieser Baka hier“, erklärte Sakura, „wollte unbedingt selbst laufen.“ Sie warf ihm einen bösen Blick zu. „Obwohl er strengste Bettruhe verschrieben bekommen hat.“ „Wie…?“, begann ich, doch brachte die Frage nicht zu Ende. Ich schaute mir nur Sasuke an, der all die Verbände abgenommen bekommen hatte. Er sah wieder vollkommen normal aus – unverletzt noch dazu. Ich war froh, dass es so war und dass die Bandagen jetzt weg waren. Selbst das Küssen hatte es einem schwer gemacht. Mit nur halbem Ohr hörte ich den beiden Krankenschwestern dabei zu, wie sie das Bett richtig hinstellten. Dann sagte Sakura noch etwas zu Sasuke wegen dem Medikament, das er einnehmen sollte. Mit einem „Mata ne!“ und einem Lächeln an jeden von uns verschwand sie zusammen mit ihrer Kollegin. Ihr gemeinsames Kichern hallte noch einen Moment den Korridor entlang. Ich runzelte die Stirn. „Was sollte das denn jetzt?“, murmelte ich vor mich hin und blickte in Sasukes Gesicht, das noch unbehaglich zur geschlossenen Tür sah. Mein Herz blieb einen Augenblick stehen. „Was…?“, begann ich erneut. „Was sagen die Ärzte?“, wagte ich es schließlich, die wichtigste Frage in diesem Moment auszusprechen. „Sakura meinte, dass ich wieder fast vollkommen gesund werde“, sagte er leise und wandte sich endlich von der Tür ab und mir zu. „Ein paar meiner Zellen wurden für immer von meinem Chakra-Netz getrennt, doch nicht zu viele. Die meisten davon im Gesicht.“ Ich starrte es an. Es hatte sich nicht verändert. Ich war mir sicher, dass er noch Schmerzen hatte, irgendwo unter dieser hellen zarten Haut, doch nichts gab einen Hinweis darauf. „Das bedeutet hauptsächlich, dass ich mein Sharingan nicht mehr einsetzen kann“, erklärte er weiter. Ich starrte ihn unverwandt an. Er sagte das einfach so, als ob ihm das nichts ausmachte. Und er bestätigte es mir: „Aber das stört mich nicht. Ich will einfach nur noch vergessen, wo ich herkomme.“ Ich schluckte. Ich hatte das starke Bedürfnis, ihn in die Arme zu nehmen. „Sasuke“, sagte ich leise und machte einen vorsichtigen Schritt auf ihn zu. „Es ist das Beste so“, sagte er seufzend. Dann lächelte er mich schwach an und streckte seine Hand nach mir aus. Ich nahm sie ohne zu zögern in meine. Es machte mich unglaublich glücklich, dass er meinen Beistand wollte. Dass er mit dieser Geste sogar offen danach verlangte. Gestern hatte er nicht einmal geweint, trotz dieser Angst, die er um seinen Körper gehabt haben musste. Ich hatte mich gefragt, ob er es nur vor mir verborgen hatte, um mich nicht zu kränken, doch als ich ihn jetzt vor mir stehen sah, mit seiner Hand nach mir ausgestreckt, kam mir ein anderer Gedanke: Was, wenn ich ihm wirklich wichtiger war als seine Karriere als Shinobi? Wir verschränkten unsere Finger miteinander und ich schaute ihn einmal von oben bis unten an, suchte nach Verletzungen, doch ich fand keine. Keine, die das Auge sehen konnte. „Ich bin so froh, dass es dir gut geht“, sagte ich leise. Ich fragte mich, ob er es aus meiner Stimme heraushören konnte, wie tief aus meinem Innern diese Worte kamen, denn er lächelte nur. „Und ich bin so erleichtert, dass du mir keine Vorwürfe machst“, brachte ich mit nur sehr schwacher Stimme hervor. Nun schüttelte er den Kopf. „Ich bin einfach nur froh, dass dir nichts passiert ist“, sagte er und schaute mir intensiv ins Gesicht. Seine Augen zogen mich in ihren Bann, auch ohne Sharingan. Insgeheim war ich fast erleichtert, dass er mich wohl nie wieder mit diesen roten Augen ansehen würde. Sie erinnerten mich stets an die Zeit im Tal des Endes, als er mich so hasserfüllt und kalt angesehen hatte. Sasuke legte jetzt eine Hand an meine Hüfte und drückte mit der anderen sanft meine mit ihm verschränkte. Er kam noch einen kleinen Schritt näher, sodass seine Beine beinahe die meinen berührten. Diese Fastnähe wollte ich nicht und deshalb trat ich selbst noch einen Schritt nach vorn. Er schmunzelte. „Du musst immer noch eins draufsetzen oder?“ Ich grinste ihn schief an. Dann schüttelte ich den Kopf. „Nein, ich will nur…“ Ich wusste gar nicht, was ich ihm hatte antworten wollen. Ich wusste lediglich, dass er mir unglaublich nahe war, dass ich mich vorlehnen und dass ich ihn küssen wollte. Ich legte meine freie Hand um seine Hüfte, zog mich noch näher zu ihm heran und legte meine Lippen auf seine. Er schloss die Augen, noch bevor ich es tat. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, die Erde drehte sich weiter, während wir uns berührten. Mein Herz blieb nicht stehen, sondern wollte ihm nur ganz langsam entgegenspringen. Ich fühlte mich uneingeschränkt und frei. Die Zeit der Hast war vorüber. Wir konnten genießen, was wir taten, jede Bewegung auskosten. Wir mussten den anderen nicht mehr bremsen. Noch nicht. Jetzt war nur eines wichtig: die Nähe zueinander auszuschöpfen, bis uns das nicht mehr genügen würde. Wir wussten beide, dass dieser Punkt kommen würde, doch jetzt schien er uns noch fern. Ich löste die Verschränkung unserer Hände und ließ meine Finger durch seine Haare fahren, immer und immer wieder, bis ich genau wusste, wie seidig und weich sie sich anfühlten. Sasuke benutzte seine freie Hand, um sie über meinen Rücken bis in meinen Nacken hinauffahren zu lassen. Es fühlte sich so unglaublich gut an. Ich seufzte in unseren Kuss und vertiefte ihn, indem ich meine Zunge durch meinen bereits geöffneten Mund zu ihm schickte. Er empfing sie bereitwillig und nun war er es, der seufzte. Unendlich langsam spielten wir mit unseren Zungen, ließen sie die andere streifen, umkreisen und neckend anstupsen. Ich wollte mich am liebsten fallen lassen. Wollte mich nur darauf konzentrieren müssen, was unserer Münder machten, doch wir standen mitten im Raum. Deshalb zog es mich zu den Krankenbetten herüber. Ich machte einen Schritt zurück, zog Sasukes Körper mit mir, mit meinen um ihn geschlungenen Armen. Er stolperte mir ein paar Schritte nach, ließ sich von mir leiten. Erst als ich mit einem Knie auf die Matratze stieg, schien er es zu bemerken, wo ich ihn hinführte. Jetzt löste er seine Lippen von meinen, schaute sich um, sah das Bett hinter – und unter – mir und wollte etwas sagen, doch ich küsste ihn wieder, dieses Mal leidenschaftlicher, und ließ ihm keine Wahl mehr. Ich nahm auch noch das zweite Knie aufs Bett, robbte rückwärts über die Matratze, zog ihn mit mir und auf mich, immer tiefer, immer höher, bis er mich komplett bedeckte. Als er schließlich auf mir lag, wir das Gefühl des anderen Körpers auf uns wirken ließen, mit geschlossenen Augen –, hatten wir den Punkt erreicht. Meine Hände wurden ruheloser. Sie suchten nach Verschlüssen und anderen Möglichkeiten, um ihm seine Kleider zu stehlen – und seine Körperwärme. Ich wollte ihn an mir spüren. Wollte sicher wissen, dass diese zarte Haut sich noch immer so anfühlte wie vor drei Tagen. Vor allem jetzt, da sie endlich von all diesen Bandagen befreit worden war. „Nicht hier, Naruto“, wisperte Sasuke zwischen unseren Küssen. „Warum nicht?“, fragte ich nur zurück und küsste ihn noch intensiver, sodass er keine Gelegenheit mehr hatte, zu antworten oder weiter zu protestieren. Ich schob sein Shirt nach oben und küsste seine Brust. Er schien hin und her gerissen, ob er es zulassen sollte oder nicht. Ich grinste, als er eine Hand in meinen Haaren vergrub und die Augen schloss. Ich nahm das als Entscheidung seinerseits und handelte danach. Ich öffnete den Knopf seiner Hose und küsste derweil meinen Weg zu deren Bund hinab. Er keuchte. Seine Hände wussten nicht mehr, was sie tun sollten. „Naruto“, flüsterte er meinen Namen und ich genoss es so sehr. Ich wollte ihm noch viel mehr solcher Worte und Geräusche entlocken. Und das würde ich auch auf jeden Fall noch tun. Nichts und niemand konnte mich daran hindern. Aber zuerst musste ich diese Lippen wieder küssen. Ich brauchte ihre Wärme, ihre Weichheit, ihren Geschmack. Und ich konnte es genau sehen, dass er das auch brauchte. Er stöhnte in den Kuss hinein, zog mich eng an sich. Meine Zunge zeigte keine Scheu mehr. Meine Hände ebenso wenig. Sie zogen ihm jetzt den Stoff über den Kopf, diese kam allerdings nur bis zu zu seinen Handgelenken, die sich auf dem Bett abstützten. Ich gab ihm deshalb einen leichten Schubs, stieß ihn zur Seite, ließ das Shirt jedoch nicht los, sondern zog es so über seine Hände, während er zur Seite fiel. Er schaute einen Moment überrascht, wehrte sich aber nicht, grinste nur und ließ sich fallen, rollte sich auf den Rücken und blickte mich erwartungsvoll an. Das Kleidungsstück vergessen, legte ich mich auf ihn, bedeckte ihn, wie auch seine Lippen, die mir bereits entgegenkamen. Ein plötzliches Klopfen an der Tür riss uns aus unserem Kuss. „Kuso“, fluchte Sasuke leise und griff sofort zu seinem Hosenknopf und daraufhin zu seinem Shirt. In Windeseile hatte er sich wieder tadellos angezogen, während ich eilig das Bett verließ und ebenfalls alle Hinweise in meinem Erscheinungsbild vernichtete, die auf eine wilde Küsserei hindeuten könnten. Auch als ich damit fertig war, öffnete sich die Tür jedoch noch nicht. Ich schaute zu Sasuke, der sich ebenfalls wunderte. Er hatte seine Bemühungen auch bereits beendet, so auszusehen, als ob er sich ausruhte, so wie er das sollte. Ich warf einen Blick zur Tür, dann einen fragenden zurück zu ihm. Er nickte und ich sagte: „Herein?“ Es dauerte noch lange, bis sich die Tür schließlich öffnete. In dieser Zeit schauten Sasuke und ich uns immer wieder irritiert an, bevor wir wieder zur Tür sahen, die sich endlich öffnete. Wir fragten uns wahrscheinlich gerade beide, wofür wir uns so sehr beeilt hatten. „Yo“, sagte Kakashi dann, als er den Kopf zur Tür hereingestreckt hatte. „Kakashi-sensei“, sagte ich freudig überrascht. Die Freude war natürlich ein wenig übertrieben; ich hätte in diesem Moment gerne etwas anderes getan. „Wie geht es euch beiden?“, fragte er und schloss die Tür hinter sich. Ich holte tief Luft, doch wusste nicht gleich, was ich antworten sollte. Ich hatte mich bis eben noch wundervoll gefühlt – bis jemand an die Tür geklopft hatte. „Ziemlich gut, würde ich sagen.“ „Bei dir wundert mich das nicht“, sagte Kakashi mit einem Lächeln. „Aber dir geht es auch gut, Sasuke-kun?“ „Ja“, antwortete er zögerlich. „Den Umständen entsprechend.“ „Du wirst noch ziemliche Schmerzen haben“, sagte unser Trainer. „Aber du hast ja Naruto-kun hier, um dich gesund zu pflegen.“ Ein wenig überrascht über diese Worte zog ich die Augenbrauen hoch und schaute von Kakashi zu Sasuke, der den Blick von uns beiden zu meiden schien. Kakashi schaute Sasuke noch eine Weile an, bevor er einen Schritt rückwärts machte und seine Verabschiedung einleitete: „Gut, ich wollte nur sehen, wie es euch geht.“ Er lächelte jeden von uns einmal freundlich an. „Ich lass euch dann mal wieder.“ „Äh, Kakashi-sensei?“, fragte ich noch eilig. Er schaute mich aufmerksam an. „Sasukes Verbote sind doch jetzt aufgehoben, oder? Er darf sich jetzt wieder frei bewegen, oder nicht?“ Kakashi nickte. „Natürlich darf er das.“ „Kann er dann schon heute das Krankenhaus verlassen?“, fragte ich wissbegierig. Ich brauchte diese Information dringend. Denn wenn nicht, dann würde ich diese Tür verbarrikadieren oder ihn entführen müssen. Ich brauchte mehr ungestörte Zeit mit ihm. „Ihr macht doch sowieso, was ihr wollt“, meinte Kakashi nur. „Was fragt ihr also noch?“ Überrascht schaute ich von meinem Trainer zu Sasuke, dessen Wangen sich gerade röteten. „Was ist?“, fragte ich nun an Letzteren gewandt. „Ich gehe dann mal“, sagte stattdessen jedoch Kakashi, als wollte er sich jetzt besser aus der Affäre ziehen. Leider hatte ich noch nicht begriffen, um welche Affäre es hier ging. „Einen Moment, Kakashi-sensei“, hielt Sasuke ihn auf. „Werden solche Dinge streng vertraulich behandelt?“ Jetzt schaute ich zwischen Sasuke und Kakashi hin und her. „Was für Dinge?“ „Selbstverständlich, Sasuke-kun“, antwortete Kakashi. Beide schienen meinen Einwurf zu ignorieren. „Aber ich habe so ein Gefühl, dass sich manche Dinge dennoch rasant herumsprechen werden.“ Er zwinkerte uns zu. „Jaa, ne!“ Mit diesen Worten verschwand er zur Tür hinaus und ließ uns allein zurück. „Was war das denn gerade?“, fragte ich jetzt und schaute Sasuke fordernd an. „Habe ich etwas verpasst?“ „Nein“, sagte er hastig. „Nein, hast du nicht.“ Es war mehr als offensichtlich, dass das eine Lüge war. Aber ich wusste, es war eine, zu der ich die Wahrheit aus ihm herauskitzeln konnte. „Oi“, sagte ich misstrauisch. „Was soll die Geheimnistuerei?“ Ich warf mich ohne Vorwarnung auf sein Bett und presste seine Handgelenke links und rechts von seinem Kopf in die Matratze. „Warum weiß Kakashi etwas, das ich nicht weiß?“ Sasuke schaute mich zunächst mit offenem Mund an. „Er weiß einiges mehr als du, Dobe“, entgegnete er dann nur und wehrte sich gegen meinen Griff. Ich war mir sicher, dass er darüber nachdachte, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass Kakashi noch einmal zurückkommen würde. „Teme!“, fuhr ich ihn an und setzte mich – zur Strafe für diese Beleidigung – auf seine Hüfte, hatte neben seinen Armen nun auch noch seinen Körper in meiner Gewalt. „Du verrätst mir jetzt sofort, was los ist!“ Ich beugte meinen Oberkörper zu ihm hinab. „Oder…“, setzte ich langsam hinzu und ließ meine Hand seinen Unterarm hinabgleiten, herüber zu seiner Brust wandern, an dieser hinab und wieder hinauf unter sein Shirt. „Naruto!“, sagte er entrüstet und hielt meine Hand mit seiner freien an sich gedrückt, sodass ich sie nicht mehr bewegen konnte. „Nicht hier, habe ich gesagt, Usuratonkachi!“ „Dann sag mir, worüber du gerade so geheimnistuerisch mit Kakashi-sensei geredet hast“, verlangte ich. Er seufzte. Ich wusste, ich hatte das Argument gewonnen. Es gefiel mir, ein so gutes Druckmittel gegen Sasuke in der Hand zu haben. Er gab jetzt offensichtlich nach, lockerte ebenso auch seinen Griff; dennoch hielt ich meine Hand nicht zurück, sondern ließ sie tiefer unter den Stoff seines Oberteiles fahren. „Oi! Ich sag es dir ja schon!“, protestierte er und hielt meine Hand mit mehr Nachdruck fest. Ich hob fordernd die Augenbrauen. „Also?“ Er zögerte noch, doch als ich meine Finger wieder zu bewegen versuchte, sagte er schnell: „Man hat mich beschattet, seit ich in Konoha bin. Wie ich es schon geahnt habe.“ Er schaute mir flüchtig in die Augen und dann wieder zur Seite. Ein leichter roter Schleier legte sich über seine Wangen. Es war faszinierend, dabei zuzusehen. „Und daher hat man… uns zwangsläufig gleich beide beobachtet.“ Ich hob die Augenbrauen noch ein Stück höher. „Vor allem immer dann, wenn wir das Krankenhaus verlassen haben.“ Er wartete auf meine Reaktion. „Und?“, fragte ich schließlich. „Und weiter?“ „Man hat uns zusammen gesehen, Naruto!“, rückte er jetzt mit der Sprache heraus. „Wie viel genau, weiß ich auch nicht, aber man weiß auf jeden Fall, dass wir zwei Nächte bei mir verbracht haben und die restlichen hier.“ „Ja und?“, fragte ich weiter. Ich verstand nicht, was er mir damit sagen wollte. Sasuke schloss die Augen und seufzte erneut. „Stört es dich gar nicht, wenn alle Welt von uns weiß?“ „Nein“, antwortete ich ihm ehrlich. Er schaute mich etwas fassungslos an. „Und es stört dich auch nicht, wenn sie uns gehört oder gar gesehen haben bei –“ Er schüttelte den Kopf. „Du weißt schon.“ Meine Augenbrauen hoben sich jetzt noch höher. „Nein“, war alles, was ich zunächst sagte. Ich spürte das Grinsen, das sich in meinem Gesicht ausbreitete. Jetzt zog ich meine Hand aus seinem Griff und ließ sie zu seinem Hosenbund hinabfahren. „Das macht mir eher Lust auf mehr.“ „Du wi–“, begann er, doch meine Lippen an seinem Unterbauch unterbrachen ihn. „Naruto!“, zischte er leise. „Wenn jemand hereinkommt!“ „Dann schicken wir ihn wieder raus“, antwortete ich schlicht. „Und wenn du unbedingt darauf bestehst“, begann ich, gab seine andere Hand noch frei und streckte meinen Arm über seinen Kopf hinweg zum Bettvorhang aus, den ich mit einem starken Ruck zur Hälfte zuzog, sodass derjenige, der als Nächstes den Raum betrat, uns immerhin nicht sofort sehen würde, „dann können wir uns auch ein bisschen mehr Zeit verschaffen zum… Wiederanziehen.“ Sasukes Augen weiteten sich kurz, doch je länger ich ihn anschaute, desto deutlicher wurde es, dass sich ein glückliches Lächeln durch seine angespannten Gesichtszüge kämpfte. Epilog: Schicksal ----------------- Alle schauten mich an. Es war eigenartig, der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit so vieler Menschen gleichzeitig zu sein. Aber es war das, was ich immer gewollt hatte. Ich wollte in die Fußstapfen meines Vaters treten, sie ausweiten und vertiefen, damit niemand sie je übersehen können würde. Unter all den Blicken spürte ich ein Augenpaar ganz besonders. Er hatte mich immer im Visier, ließ mich nicht aus seinen dunklen Augen. Es war fast, als war er allzeit bereit, sein Leben für mich zu geben, wenn jemand angreifen würde. Ich lächelte ihm zu und er schlug für einen Moment die Augen nieder, bevor er sie wieder auf mich fixierte. Er stand einige Meter schräg links hinter mir – weit genug entfernt, um nicht mehr im Rampenlicht zu stehen, doch nahe genug, um jederzeit zur Stelle zu sein. Ich hätte ihn in diesem Moment unglaublich gerne direkt neben mir stehen gehabt, hätte mir gewünscht, seine Hand halten zu dürfen. Nie war ich nervöser gewesen in meinem Leben. Zwar hatte er mir zuvor gut zugeredet, hatte mich beruhigt, so gut er konnte, mich mit Küssen abgelenkt und ermutigt, doch jetzt drohten meine Beine dennoch zu zittern. Ich glaubte, die Erwartungen und Hoffnungen aller Menschen des Dorfes auf meinen Schultern liegen zu spüren. Ich wollte ihn bei mir haben, um mir einen Teil dieser Last abzunehmen. Und ich wusste, dass er das auch wollte, doch ebenso wusste ich, dass er das nicht tun würde. Unsere Freunde wussten über uns Bescheid. Das halbe Dorf wusste Bescheid. Doch zu seinem Schutz wusste es nicht die ganze Welt. Die Gefahr, dass jemand den Schwachpunkt des neuen Hokage irgendwann ausnutzen würde, war zu groß. Konoha sollte unverwundbar erscheinen. Und mit so vielen Verbündeten war es das in meinen Augen auch. Die Zerschlagung Akatsukis hatte die Welt geeint und Frieden einkehren lassen. Die Mitglieder der Organisation hatten diesen letzten bitteren Kampf nicht überlebt, wie so viele unserer Verbündeten und unserer eigenen Leute auch. Die Verluste waren hart für viele von uns, doch jeder wusste, für was sie gestorben waren und dass sie es jederzeit wieder tun würden. Ich war unglaublich erleichtert, als ich das Podest verlassen, der Menge den Rücken zukehren und in mein Büro gehen durfte. Ich bat alle, den Raum zu verlassen und mir einen Moment allein zu gönnen, um das Ganze verarbeiten zu können. Shikamaru, mein von mir ausgewählter strategischer Berater, schnaubte nur und ging mit einem Kopfschütteln und einem Lächeln auf den Lippen. Er brauchte es nicht zu sagen, dass er das Amt, das ich ihm zugeteilt hatte, lästig fand. Und er brauchte es ebenso wenig zu sagen, dass er sich geehrt fühlte. Dennoch hatte er es getan. Beides. Als die Tür sich hinter ihm und den anderen geschlossen hatte, atmete ich, in meinem Sessel sitzend, tief ein und wieder aus. Noch bevor ich das ein weiteres Mal tun konnte, war eine Hand an meinem Rücken. „Das hast du wundervoll gemacht“, lobte Sasuke mich, ließ seine Hand hinaufgleiten und drückte bekräftigend meine Schulter. „Wirklich?“, fragte ich ihn und schaute hoffnungsvoll zu ihm auf. Er nickte nur, aber ein wunderschönes Lächeln zierte seine Lippen. Ich konnte nicht anders, als vom Stuhl aufzustehen und ihn an mich zu drücken. „Ich war so nervös.“ „Das habe ich gesehen“, sagte er leise und leicht amüsiert. „Das hätte man aber nicht sehen dürfen!“, protestierte ich sofort und schaute ihm ins Gesicht. „Wie muss das auf die Leute gewirkt haben? Niemand will einen unsicheren Hokage!“ „Niemand außer mir hat einen unsicheren Hokage gesehen“, antwortete er mir rätselhaft. Als ich ihn fragend ansah, fügte er hinzu: „Niemand kann deine Körpersprache so gut lesen wie ich.“ Ich schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Bakasuke.“ Er lächelte mich an. „Ich habe es mir schon immer gut vorstellen können, wie du mit diesem Hut aussehen würdest.“ „Wirklich?“, wollte ich erstaunt wissen und löste unwillkürlich die Verschränkung meiner Arme sogleich wieder. Sasuke nutzte diese Gelegenheit und griff nach meiner Hand, verschlang seine Finger mit meinen. „Ich habe es mir sogar bei unserem ersten Date vorgestellt“, sagte er unerwartet. Ich hob die Augenbrauen. „Auch wenn ich dich da mit Sakuras Augen angesehen habe; als du dort oben auf dem Hokage-Berg gestanden und auf das Dorf hinabgeblickt hast, wusste ich schon, dass du irgendwann Hokage werden würdest.“ Mein Mund öffnete sich vor Verblüffung. Das hatte er mir nie erzählt. Wir hatten zwar mehr als einmal noch über dieses erste fatale Rendezvous gesprochen, doch das war nie zur Sprache gekommen. Er strich mit seinem Daumen über meine Fingerrücken. „Hokage ni natte omedetou“, flüsterte er dann und schaute von unseren Händen in meine Augen auf. Ich sah dieses Lächeln, dieses pure Glück in ihnen, das er auf meine eigenen Augen und meinen ganzen Körper zu übertragen schien, und ich wusste, dass ich diesen Moment nie vergessen würde. Immer wieder musste ich mit einem Lächeln und einem warmem Gefühl in mir daran zurückdenken. So auch ein Jahr später, als ich gerade nach einer langen Sitzung aus dem Besprechungszimmer kam und mich auf den Weg zur Dachterrasse des Hokage-Hauses machte. Ich wusste gar nicht genau, was die Erinnerung an meinen Amtsantritt ausgelöst hatte; wahrscheinlich war es allein die Tatsache, dass ich gerade ziemlich glücklich war. Automatisch fragt man sich in diesem Moment, warum man so glücklich ist. Und prompt hat man die Antwort vor Augen, in meinem Fall: Sasuke. Und wenn ich an ihn denke, dann denke ich oft an diesen Gesichtsausdruck, den er mir vor einem Jahr – und so ähnlich auch schon etliche andere Male danach gezeigt hat. Und als hätte ich es vorhergesehen, blickte Sasuke mich auch jetzt mit deutlich lächelnden Augen an, als ich das Dach betrat. Ich liebte es, mit anzusehen, wie sich die kleinen Fältchen um seine Augen vertieften. Hier im hellen Tageslicht waren sie am klarsten zu erkennen. „Ich hatte schon befürchtet, du kommst gar nicht mehr“, sagte er über seine Schulter und stieß sich dann leicht vom Geländer ab, um sich in meine Richtung zu drehen. Es war längst zu einem Ritual geworden, dass er hier auf mich wartete, wenn Besprechungen stattfanden, denen er nicht beiwohnen durfte. Ich ging auf ihn zu, stellte mich direkt neben ihn und legte beide Hände an das Geländer, um mich davon abzuhalten, sie um Sasuke zu legen. Denn da hätte er heftigst protestiert, hier in aller Öffentlichkeit. Zu so etwas war er noch immer nicht bereit, aber das war auch gut so, dass er mich in dieser Hinsicht bremste. Ich wollte ihn nicht in Gefahr bringen mit meiner Beziehung zu ihm. Deshalb hielt er sich noch immer mehr im Hintergrund auf. Aber das störte mich nicht, solange ich selbst oft genug in den Hintergrund oder hinter verschlossene Türen treten durfte. Ich atmete tief die frische Luft ein. Stundenlang war ich in einem geschlossenen Raum eingesperrt gewesen; jetzt genoss ich die kühle Brise des Windes. Ich ließ meinen Blick über Konoha schweifen und hatte das Gefühl, ich konnte das Dorf atmen hören und auch sehen. Es war unglaublich lebendig und schien vor Energie nur so zu strotzen. Sasuke drehte sich mit mir zurück in Richtung Dorfmitte und lehnte ebenfalls wieder gegen das Geländer. Obwohl er fragen wollte, wie die Besprechung gelaufen war, auch wenn er in meinem Gesicht sehen konnte, dass es positiv gewesen sein musste, schwieg er, weil er wusste, dass ich diese Ruhe gerade brauchte. Dieses Durchatmen nach einem langen Tag. Der Begriff „Ruhe“ war allerdings relativ, beziehungsweise: Das Schreien der Kinder, die durch die Straßen rannten, war nichts, das diese Ruhe stören konnte. Wir verfolgten beide eine Gruppe von vier kleinen Jungen, die sich gegenseitig um die Häuser jagten. Einer von ihnen sprang geschickt auf das Dach eines Shops hinauf. Das dünne Material konnte sein Gewicht allerdings nicht halten und brach deshalb durch. Erschrocken blieb der Junge stecken und die anderen drei Kinder rannten weg, als der Ladenbesitzer vor die Tür kam. Der Junge, der feststeckte, versuchte hastig, sich zu befreien und richtete damit nur noch mehr schaden an. Mit einer laut schallenden Entschuldigung machte auch er sich – in seinem Fall über die Häuserdächer – aus dem Staub. Ich schmunzelte. „Natsukashii, ne… Das erinnert mich an uns damals…“ „Du meinst wohl eher, es erinnert dich an dich“, korrigierte er mich. „Ich war als Kind nicht so.“ Mein Lächeln wurde breiter. Dann zog mit einem Mal ein stärkerer Wind auf, der mir meinen traditionellen Hokage-Hut vom Kopf zu wehen drohte. Ich hielt ihn mit einer Hand fest und wartete, bis der Luftstrom wieder etwas abflaute. Indessen sah ich den Blättern dabei zu, wie sie im Wind tanzten. „Komm“, sagte ich dann nach kurzer Überlegung und trat einen Schritt vom Geländer zurück. Eigentlich wäre ich gerne noch eine Weile mit Sasuke auf dem Dach stehen geblieben, doch ich wollte ihm etwas sagen und vor allem wollte ich ihn küssen. Das durfte ich unter freiem Himmel nur dann, wenn weit und breit niemand war, der uns sehen könnte. Ich war heilfroh, dass Sasuke nie bei den Fröschen trainiert hatte und deshalb nicht so gut Auren spüren konnte, wie ich das tat. Denn so musste er immer auf mein Urteil vertrauen, ob wir allein waren oder nicht. Nicht selten legte ich das Wort „allein“ deswegen sehr frei aus. „Ich will dir etwas zeigen“, kündigte ich jetzt an und bewegte mich langsam auf den Ausgang zu, ohne meine Augen von ihm zu nehmen. Er runzelte leicht die Stirn, irritiert über meine Aussage, aber folgte mir sogleich. Sobald wir die Tür hinter uns geschlossen hatten und im Inneren des Gebäudes waren, blieb ich jedoch bereits wieder stehen und begrüßte ihn nachträglich noch mit einem Kuss auf die Lippen, während ich meine Arme um ihn legte. „Die Besprechung ging ein wenig länger als geplant, aber dafür habe ich auch etwas erreicht“, verkündete ich ihm jetzt ebenso verspätet, bevor ich ihm noch einen zweiten Kuss gab. „Und was?“, fragte er verwundert nach. Er wusste, dass in solchen Gesprächen, bei denen er nicht dabei sein durfte, meist schwierige Entscheidungen gefällt werden mussten. Selten hatte das etwas damit zu tun, dass ich Dinge erreichte, die ich wollte. Ich ließ ihn los, ging ein paar Schritte und spannte ihn noch etwas auf die Folter. „Was hast du erreicht?“, fragte er deshalb nach. Ich grinste nur und zwang ihn somit, mir zu folgen. „Oi, Naruto.“ Er folgte mir eine Treppe nach der anderen hinab in die Kellergewölbe des Gebäudes, wobei ich immer wieder ein Grinsen über meine Schulter zu ihm nach hinten warf. Irgendwann, vor allem nachdem wir die beiden Wachenpaare passiert hatten, schüttelte er nur noch den Kopf. „Was soll das denn, diese Geheimnistuerei?“, fragte er erst wieder, als wir alle Treppen hinter uns gelassen hatten. „Genau das habe ich mich auch gefragt“, entgegnete ich undurchsichtig. „Deshalb habe ich den Ältestenrat ja auch um den Gefallen gebeten.“ „Du wirst es mir nicht sagen, von was du sprichst, oder?“, fragte er mit nur noch wenig Hoffnung in der Stimme. „Nicht bevor wir da sind, nein“, frohlockte ich und genoss es unverhohlen, ihn so lange zappeln zu lassen. Und ich machte meine Worte wahr. Erst als wir im tiefsten Untergeschoss angekommen waren und vor der Tür zur Bibliothek standen, wandte ich mich zu ihm um und eröffnete ihm mit einem fast aus den Nähten platzenden Lächeln: „Du darfst ab jetzt mein Leibwächter sein.“ „Wie meinst du das?“, fragte er unsicher. „Bin ich das nicht quasi schon?“ „Nein, nicht ganz“, antwortete ich ihm. „Denn ab heute“, begann ich und deaktivierte mit dem Auflegen meiner linken Handfläche das Siegel und öffnete mit meiner Rechten dann die Tür, „darfst du mich überallhin begleiten, darfst alles wissen, hören und sehen, bei allen Gesprächen mit dabei sein, egal worum es geht.“ Erstaunt sah er mich an. Ich grinste, in freudiger Erwartung auf seine weitere Reaktion. Er schnaubte allerdings nur sanft und schüttelte mit einem Lächeln den Kopf. „Das hättest du nicht tun müssen, Naruto-sama.“ „Oi, du sollst mich nicht so nennen, dattebayo!“, beschwerte ich mich. Sasuke tat das selten, mich mit „sama“ anzusprechen; meist nur dann, wenn er mich ärgern wollte. Ganz zu Anfang meines Amtes hatte er es sich angewöhnt, mich vor anderen so zu nennen, auch wenn ich ihn gebeten hatte, das nicht zu tun, aber er hatte sich dazu verpflichtet gefühlt und wollte in den Augen anderer nicht respektlos erscheinen, hatte er gesagt, doch eigentlich wollte er einfach nur nicht allzu deutlich durchscheinen lassen, wie nahe wir uns standen. Irgendwann hatte ich es ihm schließlich wieder ausgeredet, weil ich diese Förmlichkeit zwischen uns einfach nicht haben wollte, egal in welchen ausgewählten Situationen. Doch er tat es immer noch ab und zu, beispielsweise wenn vollkommen fremde Menschen mit im Raum waren – oder eben einfach nur, um mich zu ärgern. Auch jetzt schaffte er das. Sichtbar verärgert wandte mich von ihm ab, um das Licht anzuschalten und weiter in die Bibliothek hineinzugehen, die tief unter dem Hokage-Haus in der Erde lag, weshalb das alte Gemäuer um uns herum keine Fenster hatte. Nur die Wenigsten hatten Zugang zu den Inhalten, die hier sicher verwahrt waren, und auch diejenigen mussten sich erst die Erlaubnis des Hokage holen. Sasuke folgte mir, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Sofort leuchtete das Siegel auf, das die Tür wieder verriegelte, bis meine Hand den Weg erneut freigab. Wenn ich wollte, könnte ich ihn hier einsperren, so lange ich Lust dazu hatte, ohne dass ihm jemand anderer als ich heraushelfen konnte. Ich war mir ziemlich sicher, dass das mit ein Grund war, weshalb ich unbedingt die Erlaubnis haben wollte, Sasuke überallhin mitnehmen zu dürfen. „Freust du dich denn gar nicht?“, fragte ich jetzt, als er sich desinteressiert, wenn nicht gar unbehaglich, in dem Raum umsah, der vom Boden bis zur Decke mit Büchern und Schriftrollen vollgestopft war. Die einzige Abwechslung war ein langer schmaler Tisch in der Mitte, vor dem zwei Stühle standen. „Hier befinden sich fast alle Geheimnisse, von denen Konoha je wusste.“ „Ich habe hier eigentlich nichts zu suchen, Naruto“, meinte er jetzt ernster. „Wir wollten mich doch aus solchen Dingen heraushalten, damit ich eben nicht zu viel weiß.“ Er zögerte, bevor er den eigentlichen Grund zugab: „Und es nicht zu offensichtlich wird.“ Enttäuscht, dass er sich nicht darüber zu freuen schien, zog ich einen Schmollmund. „Manche Dinge sind vielleicht nicht für meine Ohren bestimmt“, argumentierte er weiter und ließ seinen Blick durch die Regalreihen schweifen. „Oder für meine Augen.“ „Ich will aber, dass du alles siehst und alles hörst“, erwiderte ich und ging auf ihn zu. „Du sollst nicht nur im Geheimen mit mir diskutieren und mir bei meinen Entscheidungen helfen, du sollst auch offiziell mein Berater sein, so wie Shizune-san das für Tsunade-sama war“, erklärte ich ihm. „Du hast doch schon Shikamaru“, konterte er. „Wofür brauchst du da mich?“ „Shikamaru ist ein Stratege, den ich für schwierige Missionen brauche“, sagte ich ernst. „Dich will ich als meinen Beschützer und Berater zugleich.“ Sasuke schaute mir flüchtig in die Augen, blickte dann wieder zu Boden. Ich ging auf ihn zu. „Ich will, dass jeder weiß, dass ich meine Beschlüsse immer nur mit deiner Hilfe gefasst habe. Dass ich nur wegen dir so oft schon richtig entschieden habe.“ Ich trat ganz an ihn heran und legte meine Hände an seine Hüften. „Und dass ich das auch, schon längst bevor ich Hokage geworden bin, so gemacht habe. Schon immer eigentlich.“ Jetzt kam wieder das Lächeln durch seine Gesichtszüge und er erwiderte die Geste mit einer ebenso leichten Umarmung, ohne den Blickkontakt zu brechen. „Es freut mich, dass dir das so wichtig war“, sagte er schließlich und gab mir einen kurzen Kuss. „Und ich werde mein Bestes geben, dir ein guter Berater zu sein.“ Ich lächelte ihn glücklich an. „Das wollte ich hören.“ Ich zwickte ihn in die Seite. „Warum nicht gleich so?“ Er zuckte ein wenig und beschwerte sich lachend: „Hey.“ Dann legte er einen Unterarm auf meiner Schulter ab und kraulte meinen Nacken, wie er es oft tat. Ich genoss es mit nur halb offenen Augen. Trotzdem sah ich es, als er seinen Blick senkte, und öffnete sie wieder ganz. Er schaute auf unsere Hüften hinab, an denen wir gerade miteinander verbunden waren. Ich presste sie mithilfe meiner Hände stärker gegeneinander, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass ich ihn beobachtete. Er schaute sogleich auf, eine Frage in seinen Augen, die aber nichts mit unseren Hüften zu tun hatte. „Hattest du es von Anfang an vor, dieses Thema heute anzusprechen?“, wollte er jetzt wissen. „Wie lange hast du das schon geplant, ohne mich auch nur zu fragen vorher?“ „Wenn ich es dir gesagt hätte, hättest du mich sowieso nur davon abzubringen versucht“, warf ich ihm vor und er konnte es nicht verleugnen. „Ich habe schon lange darüber nachgedacht und nur darauf gewartet, dass sich eine gute Gelegenheit ergibt, um es vorbringen zu können.“ „Und heute war so eine Gelegenheit?“, fragte er nach. „Ja“, antwortete ich zögerlich. Er hob die Augenbrauen und ich seufzte. Bevor er auch nur nachhaken konnte, schilderte ich: „Man wollte von mir wissen, warum du so selten auf Missionen geschickt wirst.“ „Im Ernst?“, wollte er leicht alarmiert wissen. Sofort entschärfte ich die Situation: „Es ging eigentlich darum, dass wir demnächst eine große Anzahl an Shinobi Sunagakure zur Verfügung stellen sollen, und da kam die Frage auf, wer entbehrt werden könnte.“ Ich zog meinen Mund schief. „Und da ich – wegen dir – weder einfach die Wahrheit sagen konnte, noch so egoistisch sein und ehrlich antworten durfte, dass ich dich schlicht und ergreifend nicht entbehren will“, erklärte ich und atmete etwas genervt aus – warum musste er auch alles so kompliziert machen? –, „musste ich eben mit einem Teil der Wahrheit rausrücken und sagen, dass du bereits mein engster Berater bist. Inoffiziell.“ Er schüttelte den Kopf und lachte. „Und das haben sie dir auch noch durchgehen lassen“, stellte er ungläubig fest. „Du musst wirklich bei allen einen Fels statt nur einem Stein im Brett haben.“ Ich zuckte mit den Achseln und freute mich über sein indirektes Lob. Jeder wusste, wie schwer es war, sich besonders mit dem kritischen Ältestenrat gutzustellen. „Du hast eine besondere Gabe im Umgang mit Menschen. Darum beneidet dich jeder“, ließ er mich wissen und zögerte, bevor er noch hinzufügte: „Und man muss dich einfach dafür lieben.“ Ich grinste ihn breit an. „Solange das bei dir funktioniert, ist mir alles recht…“ Er sagte nichts dazu, doch er spiegelte mein Lächeln wider und schlang seine Arme enger um mich. Ich ließ meine ebenfalls seinen Rücken hinauffahren und vergrub meine Finger in seinen Haaren. Seine Augen fielen langsam zu, als mein Gesicht näherkam. Ich überlegte, ihn zu necken, wie ich es öfters tat, indem ich nur seine Nase anstupste, statt ihn richtig zu küssen, doch ich entschied mich dagegen, wollte selbst nicht warten müssen. Er seufzte in unseren Kuss und plötzlich wurde mein Körper hellwach. Diese leisen Geräusche aus seinem Mund machten meinen Körper unruhig. Die Tatsache, dass hier nur gedämpftes Licht herrschte und wir uns in keinem anderen Raum so sicher sein konnten wie hier, dass niemand ihn unerwartet betreten würde, machte die Sache noch besser. Plötzlich kam mir ein Gedanke und ich hielt inne. Grinsend lehnte ich mich in unserer Umarmung ein Stück zurück und fragte Sasuke: „Erinnerst du dich an die etlichen Male, die Kakashi-sensei uns gestört hat?“ „Ja, leider“, murmelte Sasuke missmutig, jedoch erst nach einer kurzen Verzögerung; meine plötzliche Frage hatte ihn etwas aus dem Konzept gebracht. „Ich habe ihn übrigens damals noch gefragt, wie viel er und die anderen mitbekommen haben von den Nächten im Krankenhaus und bei dir zu Hause, direkt nach deiner Rückkehr nach Konoha“, verriet ich ihm jetzt. Mir war eben erst aufgefallen, dass ich das ihm gegenüber nie erwähnt hatte. Damals hatte ich das absichtlich getan, damit er sich vor Kakashi nicht noch mehr schämte als ohnehin schon zu der Zeit, doch irgendwann hatte ich einfach nicht mehr daran gedacht, es ihm noch zu erzählen. „Und?“, wollte er nun wissen. Ganz offensichtlich fürchtete er meine nächsten Worte. Er versuchte, meinen Gesichtsausdruck zu analysieren, um abschätzen zu können, ob meine Antwort gut oder schlecht ausfallen würde. „Er meinte nur: ‚Ihr könnt froh sein, dass Ero-sennin gerade nicht hier war’“, zitierte ich Kakashis Worte. Sasuke schloss die Augen. „Das darf nicht wahr sein, oder?“ Ich musste lachen bei dem zutiefst beschämten Blick. „Heißt das jetzt, sie haben nicht gespannt, so wie Jiraiya das sicher getan hätte, oder haben sie das doch und er wollte nur sagen, dass wir, weil Jiraiya nicht da war, zum Glück nicht auch noch zu neuem Material für seine Bücher geworden sind?“ Ich lachte auf. „Daran habe ich noch gar nicht gedacht.“ Er schaute mich noch fragend an. Deshalb antwortete ich ihm: „Das weiß keiner so genau, wie er das gemeint hat. Mehr wollte er mir einfach nicht verraten.“ Er atmete niedergeschlagen aus und ließ die Schultern hängen. Ich küsste seine Stirn und küsste seine geschlossenen Augen. „Nicht aufregen“, wisperte ich. „Das ist doch jetzt egal.“ „Wie bist du eigentlich jetzt darauf gekommen?“, fragte er leise. „Ich weiß nicht“, begann ich mit unschuldig klingender Stimme, doch er hörte es genau, dass es nur gespielt war. „Vielleicht habe ich nur gerade gedacht, dass uns das hier drin auf keinen Fall passieren kann. Und dass wir das unbedingt ausnutzen sollten, wenn wir schon einmal hier sind.“ Ein Schmunzeln kräuselte seine Lippen. Er schüttelte ganz leicht den Kopf. „Usuratonkachi.“ Ich liebte es, dass er mich noch immer so nannte. Ich küsste ihn jetzt auf den Mund, vertiefte die Berührung auch gleich, drängte ihn gegen die Tür. Als ich mich allerdings für einen Moment dagegen abstützen wollte, leuchtete das Siegel auf und öffnete mit einem Klicken das Schloss. Sasuke schaute mich entsetzt an. „Keine gute Idee“, murmelte ich gegen seine Lippen und zerrte ihn fort von der Tür, die sich daraufhin wieder selbst verschloss. Ich schob ihn jetzt, unter heftigem Küssen, in die Raummitte zum Tisch, verlor unterwegs meinen Hut dabei, den ich mir aber ohnehin gleich abgezogen hätte, wenn Sasuke es nicht noch vor mir getan hätte. „Das ist nicht dein Ernst“, keuchte dieser jetzt, nachdem er gegen die Tischkante gestoßen war und ich ihn auf die Holzplatte hinuntergedrückt hatte. „Oh doch“, grinste ich, zwischen seinen Beinen stehend, mein Oberkörper zu ihm hinunterlehnend. „Das ist mein voller Ernst.“ An der Weise, wie er mich hiernach küsste, erkannte ich, dass er nur leicht entrüstet, aber nicht wirklich abgeneigt war. Das beschleunigte das Ganze, denn so half er mir dabei, uns von den lästigen Stoffen an unseren Körpern zu befreien. Statt sie allerdings auf den Boden zu werfen, hob ich jedes Mal einen Teil seines Körpers hoch, um darunter den Tisch mit unseren Kleidern für ihn auszulegen. Wie bequem ich es ihm damit tatsächlich machte, konnte ich nicht sagen, aber er beschwerte sich nicht. Und als er immer lauter zu keuchen begann, glaubte ich nicht, dass es noch etwas mit dem Tisch zu tun hatte. Er krallte seine Hände immer stärker in meinen Rücken und ich hielt ihn ebenso unsanft an seinen Hüften fest, während ich mich immer schneller vor- und zurückbewegte. Wir waren dabei, den Punkt zu überschreiten, an dem wir die Kontrolle verloren. Sasuke stöhnte jetzt immer länger auf und mein Körper bewegte sich von selbst – bis er sich nicht mehr bewegen konnte und erschöpft mit ihm auf die Tischplatte niedersank. Ich verharrte einen Moment benommen in dieser Position – halb stehend, halb liegend –, dann nahm ich meine letzte Kraft zusammen und schob ihn dem anderen Tischende entgegen, sodass er nun auch noch mit seinen Beinen auf dem Holz lag und ich mich zu ihm legen konnte – halb neben ihn, halb auf ihn. So blieben wir lange Zeit liegen und warteten, bis wir wieder gleichmäßig atmeten. Dann hob ich den Kopf, stützte ihn auf meinen angewinkelten Arm, der gerade noch Platz auf der Holzplatte fand, und schaute auf Sasuke herab, der mit geschlossenen Augen friedlich dalag. Jetzt öffnete er sie, als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete und streckte seine Hand nach mir aus, zog mich wieder zu sich hinunter, um mich küssen zu können. Mein Arm legte sich um seine Schulter, drehte ihn mir zu, sodass wir beide auf der Seite, uns gegenüber, lagen. Nur unsere Beine waren miteinander verschränkt. Meine Hand hatte sich in seinen Nacken gelegt, an die Stelle, von der ich wusste, dass sich dort ein Tattoo in Form des Uchiha-Fächers befand. Sasuke hatte seit damals nie wieder Kleidung mit dem Zeichen seiner Familie getragen – er hatte das, was nicht spätestens bei der Verwüstung Konohas durch Pain zerstört worden war, weggeworfen, und alles, wovon er sich nicht hatte trennen wollen, verwahrte er in einer kleinen Box, weit hinten in seinem Kleiderschrank, wo niemand sie zufällig finden würde. Ich hatte ihn noch kein einziges Mal dabei gesehen, wie er sie hervorgeholt hatte. Er hatte nach außen alle Hinweise auf seine Herkunft vernichtet, doch er wusste, dass er selbst – wie auch ich – diese Wurzeln niemals vergessen würde. Weil er das auch nicht vergessen wollte, und um seinen Stolz gegenüber seinem Clan ein Zeichen zu setzen, hatte er sich das Symbol mit schwarzer Tinte unter seine Haut spritzen lassen. Noch im selben Jahr seiner Rückkehr nach Konoha hatte er das getan, nicht lange nach dem Kampf gegen Itachi. Plötzlich hörten wir ein dumpfes Klopfen an der Tür. Wir schauten uns an. Sasukes Augen weiteten sich. „Es kann niemand reinkommen“, erinnerte ich ihn sofort leise. „Ja, aber man weiß genau, dass wir hier drin sind“, entgegnete er und er hatte Recht. Mindestens die Wachen, an denen wir vorbeigegangen waren, würden es wissen und es demjenigen gesagt haben, der nun vor dieser Tür stand. Er legte einen Arm über seine Augen, als könnte er so seine Scham verstecken. Ich liebte es, dass er immer noch so schüchtern war, wenn es um solche Dinge ging. „Ich wimmele ihn einfach ab, so schnell ich kann“, versprach ich leise und richtete mich etwas auf. Sasuke dagegen regte sich zunächst kein bisschen. Er nickte lediglich und ich grinste. „Aber – auch für dein Alibi – bräuchte ich dazu trotzdem ein paar Kleider“, flüsterte ich ihm ins Ohr. Er warf einen Blick unter sich, erinnerte sich an die Dinge, die ich unter ihn gelegt hatte, und stöhnte genervt auf, bevor er sich aufsetzte und ebenfalls begann, sich anzuziehen, auch wenn ich ihn immer wieder davon abhielt, indem ich ihn küsste. „Jetzt beeil dich gefälligst!“, zischte er, kurz bevor ein zweites, energischeres Klopfen folgte. „Ich komme!“, rief ich laut in Richtung Tür und fragte mich sowohl, ob man das von draußen hatte hören können, als auch, was die Person vor der Tür wohl gerade dachte. Was konnte einen in einem relativ kleinen quadratischen Raum so lange davon abhalten, die Tür zu öffnen? Mir noch eilig meinen Hut wieder aufsetzend, ging ich zum Eingang, schaute noch einmal zurück und versicherte mich, dass Sasuke, der sich hinter einer Regalreihe verstecken wollte, bis er sich wieder vollständig angezogen hatte, von hier aus nicht mehr zu sehen war, bevor ich meine Hand an das Metall legte, das Aufleuchten abwartete und die Tür schließlich einen Spalt breit öffnete. Einen verdächtig schmalen Spalt. Shikamaru schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Mit verschränkten Armen stand er ungeduldig wartend da. „Mendokusee kedo“, begann er in seinem üblichen gelangweilten Tonfall. „Es kam gerade eine dringende Nachricht, die nur vom Hokage persönlich zu öffnen ist.“ „Okay, ich komme sofort“, sagte ich seufzend, aber lächelnd. Ich war auch viel zu glücklich. „Nur einen Augenblick“, bat ich und wusste nicht, wie ich es ihm begründen sollte. Ich wusste nur, dass ich Sasuke zuerst noch hier herauslassen musste, wenn er nicht hier auf mich warten wollte. Und dazu sollte er besser ordentlich angezogen sein. „Nein, ich will es gar nicht wissen“, sagte Shikamaru abwinkend und wandte sich um. „Ich warte im Büro.“ „Danke, Shikamaru!“, rief ich ihm noch hinterher, bevor ich die Tür wieder schloss und zu Sasuke zurückging, der bereits angezogen war, wenn man von seiner Jounin-Weste absah, die noch auf dem Tisch lag. Er wollte gerade nach dieser greifen, da griff ich nach seinem Arm und wirbelte ihn zu mir herum. Ich drängte ihn wieder – jetzt von der anderen Seite – gegen die Tischkante. Da ich einen seiner Arme festhielt, konnte er auch dieses Mal nicht verhindern, dass ich ihn problemlos nach hinten zur Tischplatte hinunter- und in den Stoff seiner Weste hineindrücken konnte. Er schnaubte empört, doch bevor er noch mehr protestieren konnte, hatte ich mich über ihn gebeugt und küsste ihn stürmisch. „Dir gefällt es wirklich, wenn wir Besuch bekommen, oder?“, fragte er skeptisch, als ich meine Lippen von ihm gelöst hatte und ihn anlächelte. Er griff nach meinem Hut und nahm ihn liebevoll von meinem Kopf, legte ihn hinter sich auf den Tisch. „Warum?“, fragte ich nach. „Weil du schon wieder über mich… herfällst“, entgegnete er, etwas peinlich berührt. „Ich nutze jede gute Gelegenheit, die ich habe, um über dich herzufallen“, erklärte ich ihm. Der Schleier über seinen Wangen wurde noch röter und ich grinste, bevor ich ihn erneut küsste. Er streckte seine Arme nach mir aus und zog mich an sich heran. Ich ließ das kurze Zeit zu, dann brach ich jedoch den Kuss und flüsterte in sein Ohr: „Ich sollte jetzt wirklich gehen. Vielleicht ist es tatsächlich etwas Wichtiges.“ Er seufzte. „Ich hätte nie gedacht, dass du so ein Pflichtgefühl entwickeln würdest“, sagte er leise, als er mich freigab und ich mich zurücklehnte. „Du bist ja fast zum Arbeitstier mutiert.“ „Soll ich meine Position etwa nicht ernst nehmen?“, fragte ich zurück. „Doch, das natürlich schon“, nuschelte er zur Antwort. „Aber?“, blieb ich hartnäckig. „Ich hoffe nur, du vergisst mich dabei nicht irgendwann“, murmelte er. Erstaunt blickte ich ihn an. Jetzt färbte sich sein komplettes Gesicht tiefrot. Er öffnete den Mund, wollte noch irgendetwas hinterhersagen, doch ihm fiel nichts ein. Ich lächelte ihn warm an und beugte mich noch einmal zu ihm hinunter: „Niemals“, sagte ich nur und küsste ihn ein weiteres Mal. Als ich mich von ihm löste, blieb er auf dem Tisch liegen. „Willst du etwa hier bleiben?“, fragte ich überrascht. „Ja“, war seine klare Antwort. „Warum?“, wollte ich wissen. „Um zu testen, ob du mich nicht vergisst“, sagte er und ich schüttelte den Kopf. „Ich beeile mich, okay?“, sagte ich und beugte mich doch noch einmal zu ihm hinab. „Und wenn ich zurückkomme, erwarte ich, dass du dich wieder ausgezogen hast.“ Einer seiner Mundwinkel zog sich nach oben und zauberte ein teuflisches Lächeln in sein Gesicht. „Mal sehen“, sagte er dann jedoch nur und wandte desinteressiert den Blick ab. Ich streckte meine Hand nach meinem Hut aus, gab Sasuke auf dem Weg noch einen letzten Kuss auf die Wange, dann entfernte ich mich endlich in Richtung Tür. „Bis gleich“, sagte ich, bevor ich ging. Den ganzen Weg die Treppen hinauf konnte ich das Grinsen nicht aus meinem Gesicht wischen. Als ich einige Zeit später eben diese Stufen wieder heruntergehastet kam, meinen Hut in der Hand, damit ich schneller laufen konnte, fühlte ich mich schrecklich schuldig. Ich hatte Sasuke viel länger warten lassen als geplant. Und er hatte nicht einmal die Möglichkeit gehabt, das Warten aufzugeben. Leider hatte ich auch kaum die Möglichkeit gehabt, die dringende Nachricht unbeantwortet zu lassen. Wahrscheinlich wäre es sogar schneller gegangen, wenn ich nicht die ganze Zeit an Sasuke hätte denken müssen. Als ich die Tür öffnete, bereits mit einer Entschuldigung auf den Lippen, hatte ich bei Sasukes Anblick jedoch plötzlich das Gefühl, dass ich überhaupt nicht ungeduldig erwartet wurde. Ich vermutete, dass es etwas mit der Schriftrolle zu tun hatte, die jetzt vor ihm auf dem Tisch lag. Er saß auf einem der beiden Stühle und schien vertieft in den Text vor sich. „Was ist das?“, fragte ich und ging auf ihn zu, legte meinen Hut auf dem Tisch ab, meine Arme um seinen Oberkörper und mein Kinn auf seine Schulter. Ich sah einen Stempel mit dem Familienwappen der Uchihas am Ende des Textes. „Die Wahrheit über meinen Bruder“, war Sasukes leise Antwort. Ich konnte hören, dass er geweint hatte. Ich atmete erschrocken die Luft ein. Was hatte er gefunden? Meine Augen wollten den Text überfliegen, wollten wissen, was darin stand, was er erfahren hatte, oder ob es einfach nur seine Vergangenheit zu sehr aufgewühlt hatte, doch ich konnte mich nicht darauf konzentrieren. Ich wollte Sasuke in den Arm nehmen. Ich drehte seinen Stuhl zur Seite, vom Tisch weg und zwang ihn somit dazu, mich anzusehen. Plötzlich sprang er jedoch von selbst auf und warf sich mir in die Arme. „Ich habe es immer gewusst“, wisperte er. „Ich habe es gewusst.“ Ich strich ihm durch die Haare und wartete, bis er mir die komplette Geschichte über den Auftrag Itachis erzählt hatte. Ein Auftrag, der sein Leben verändert, verstümmelt und letztendlich zerstört hatte. Es war eine grausame Geschichte. Und ich stand an ihrem Ende. Panik überkam mich. Ich hatte Itachi umgebracht. Obwohl er unschuldig war. Vielleicht hatte er das ihm nur mitteilen wollen, als er mit letzter Kraft auf ihn zugegangen war. Vielleicht hatte ich allein ihn so lange um diese Erkenntnis und vor allem auch noch um seinen Bruder gebracht. „Ich…“, begann ich und Sasuke zuckte zurück, als wüsste er, was ich sagen wollte. Als wäre ihm erst in diesem Moment wieder klargeworden, dass ich derjenige gewesen war, der Itachi getötet hatte. „Hast du davon gewusst?“, fragte er entsetzt. Ich runzelte die Stirn, fragte mich einen Moment, was er meinte. „Nein“, antwortete ich dann. „Nein, ich wusste nichts davon. Sonst hätte ich…“ Ich wusste gar nicht, wie ich es in Worte fassen sollte. „Sonst hätte ich doch niemals gegen deinen Bruder gekämpft.“ Es herrschte einen Moment Stille. Spätestens jetzt sank diese Erkenntnis ein. „Es tut mir so leid“, entschuldigte ich mich. „Hätte ich gewusst, dass er dir nichts antun will…“ „Du hättest nichts tun können“, sagte er jetzt entschieden. Ich horchte angespannt auf. „Hättest du es nicht getan, hätte ich ihn umgebracht. Ich hatte bereits seine Lunge verletzt. Ohne dich wäre er vielleicht langsam und qualvoll gestorben.“ Meine Panik legte sich wieder ein wenig. Ich glaubte ihm. „Außerdem“, fuhr er fort, „hat er das mit Absicht getan. Er wollte, dass ich die Wahrheit nicht erfahre, damit ich mich nicht an Konoha rächen würde.“ Lange schwiegen wir wieder. Ich versuchte nachvollziehen zu können, wie Sasuke sich gerade fühlte. Es war nicht einfach. „Ich hatte es nie glauben wollen, dass mein Bruder so etwas Erbarmungsloses tun würde“, sagte er schließlich, sein bereits fast trockenes Gesicht an meinem Hals. „Bis zum Schluss habe ich mich geweigert, es zu glauben, obwohl er es mir in seinen Visionen sogar gezeigt hat.“ Er lachte leise auf. „Jetzt weiß ich, dass er es nur für das Wohl Konohas getan hat. Es war zwar gnadenlos, aber es war nur eine Mission. Es war nicht sein freier Wille. Er hatte ein gutes Herz. Daran habe ich immer geglaubt.“ Ich küsste seinen Kopf, drückte ihn an mich. Ich war so stolz auf ihn, dass er diese traurigen Neuigkeiten so positiv auffassen konnte. Nach einem kurzen Moment der Stille fuhr er fort: „Und ich bin froh, dass jetzt, da ich es herausgefunden habe, du Hokage bist.“ Überrascht nahm ich meinen Kopf ein Stück zurück, aber nicht weit genug, um ihm ins Gesicht blicken zu können. „Denn jetzt würde ich niemals auf die Idee kommen, mich gegen die Oberhäupter Konohas aufzulehnen, die das zugelassen haben.“ Ich schaute mit weit geöffneten Augen geradeaus in die dunklen Regalreihen. „Niemals würde ich dir die Dinge vorwerfen, die andere vor dir getan haben. Aber wenn an deiner Stelle ein anderer stehen würde, wenn ich es schon früher erfahren hätte – als der dritte Hokage noch gelebt hat, oder direkt nach Itachis Tod –, wüsste ich nicht, ob ich mich hätte zurückhalten können. Die Wut wäre wahrscheinlich zu stark gewesen. Aber jetzt ist nichts mehr zu ändern. Die Dinge sind, wie sie sind.“ Sasuke drückte mich leicht an sich. „Für mich wird Itachi immer mein liebevoller großer Bruder sein. Und jetzt weiß ich auch, dass er ein Held war, der alle Schande auf sich genommen und sich für seine Heimat geopfert hat.“ „Du kannst wirklich stolz auf deinen Bruder sein“, sagte ich jetzt leise. Ich drückte Sasuke stärker an mich und spürte seine lächelnden Lippen an meinem Hals. „Ich bin ihm vor allem dankbar, dass er dich damals verschont und so lange beschützt hat.“ Jetzt erwiderte er den festen Druck meiner Umarmung und flüsterte: „Danke, dass du mich mit hierhergenommen hast.“ Ich lächelte und vergrub mein Gesicht in seinen Haaren. Vielleicht war es Schicksal gewesen. Wie Blätter im Wind ließen wir uns treiben Und ohne dass wir es bemerkten, drifteten wir fort Auseinander, voneinander, bis wir uns aus den Augen verloren Und schon waren wir nicht mehr am selben Ort Doch unsere Gedanken haben nie den anderen vergessen Kein Tag verging ohne diesen Namen in unseren Köpfen Wir haben uns gesucht, jeder auf seine Art Und lernten, aus der Hoffnung Kraft zu schöpfen Wie Blätter im Wind, im Sturm der Zeit Verschlug es uns nach hier, brachte es uns nach dort Riss uns in die eine Richtung und dann wieder fort Für den Zusammenstoß waren wir beide jederzeit bereit Der Wind war es, der uns schließlich wieder zueinanderführte Der uns aufeinanderprallen ließ und schmerzhaft bewusst machte Dass alles nur ein Trick gewesen war, der uns zu einem falschen Lachen brachte Ein Lachen, dessen bittere Kälte man deutlich spürte Diese verschenkten Jahre sind jetzt Vergangenheit Keiner denkt noch oft daran zurück Wir stehen zusammen auf dem Dach, in Zweisamkeit, Und der Wind ist noch immer da – zum Glück Hosted by Animexx e.V. 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