Echo von Nordwind ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Prolog | Es gab Wünsche, die nicht erfüllt werden konnten, Wünsche, die besser unausgesprochen blieben, und Wünsche, die dem Wünschenden selbst verborgen waren. Er war vorsichtig mit seinen Wünschen geworden, denn er hatte gelernt, dass jeder von ihnen seinen Preis hatte und manch einer mehr kostete als er zu zahlen bereit war. Es hatte eine Zeit gegeben, da war ihm jeder Preis Recht gewesen, doch das war lange her und er hatte auch gelernt, dass er mit den Folgen seiner Wünsche leben musste. Er trug diese Bürde schwer auf seinen Schultern. Zu Leben in dem Wissen, dass jeder einzelne Mensch, dem er in seinem bisherigen Leben getroffen hatte, seinem Wunsch zum Opfer gefallen war, darin bestand sein Preis. Müsste er dieselbe Entscheidung noch einmal fällen, so würde er eine andere Wahl treffen. Wie viele Menschen wären noch am Leben, hätte er sich damals entschieden in den Tod zu gehen. Doch er war nur ein Kind gewesen, ein Kind, das nur den einen Wunsch gehabt hatte, zu Leben. Blut klebte an seinen Händen. Dabei hatte er niemals verstanden wie es dort hingelangt war. Er wusste nur, dass es vielleicht anders gekommen wäre, wenn er niemals einen ersten Atemzug getan hätte. Doch er hatte niemals den Mut gehabt, den Tod zu wählen. Er hatte sich immer gewünscht eine Chance zu erhalten, die Chance zu leben. Um der Mensch werden zu können, der er sein wollte. 1 - Er war zu weit gegangen. Die vertraute Wärme seiner Magie hüllte Fai ein und legte sich um seine Schultern wie ein weiches Tuch, als er aus der Kraft, die der helle Pfiff freisetzte, ein Netz aus Runen wob, um die fremde Magie, die eigentlich seine eigenen Zauberkräfte hätte unterdrücken sollen, zurückzudrängen. Die ihm innewohnende Macht war stärker als die Magie dieser Welt, kraftvoller und schlauer. Er hatte sie vermisst, die Sicherheit und Gewissheit in der Lage zu sein beinahe alles zu tun. Magie zu wirken um zu helfen, zu beschützen und das Leben zu vereinfachen. Es war ein befreiendes Gefühl. Mit der Leichtigkeit eines Blicks zwang er den gigantischen geflügelten Löwen in das ätzende Meer zu seinen Füßen, wo sich die windende Kreatur in dampfenden weißen Wolken auflöste. Er hatte einen Fehler begangen. Er fiel nur allzu leicht in die alte Gewohnheit zurück, es fiel ihm schwer sich zurückzuhalten. Doch er musste vorsichtig sein, dufte nicht zu weitgehen, nicht zu viel preisgeben. Als er einen Schild errichtet, der sie schützend umschloss, spürte Fai die Augen seiner Reisegefährten auf sich, erleichterte, aber vor allem überraschte und verständnislose Blicke. Ein Paar roter Augen, rot wie das Glühen der aufgehenden Sonne, musterte ihn prüfend, als versuchten sie ihn zu durchdringen auf der Suche nach Antworten auf ungestellte Fragen. Fai ignorierte sie alle und wandte den Kopf zu Mokona, die auf seiner Schulter saß. „Mokona,“ begann er mit einem matten Lächeln auf den Lippen, „würdest du uns bitte in eine andere Welt bringen.“ Die kleine Kreatur erwiderte seine Bitte mit zweifelndem Blick. „Aber der Bannkreis funktioniert hier nicht-...“ setzte sie zur Antwort an, doch Fai unterbrach sie sogleich. „Ich glaube, du wirst gleich merken, dass er hier funktioniert,“ ermunterte er sie mit einer Zuversicht, die keinen Widerspruch zuließ. Noch immer zweifelnd breitete Mokona ihre Flügel aus und schrie nur wenige Sekunden später entzückt auf. „Es hat funktioniert!“ rief sie lachend, „der Bannkreis ist erschienen!“ Die Blicke seiner Reisegefährten waren noch immer auf Fai fixiert, doch er war nicht bereit mehr von sich preis zu geben, stattdessen konzentrierte er sich darauf den Schild aufrecht zu halten, während der Bannkreis unter ihren Füßen Form annahm und Mokona sie alle einsog. Der Schaden war bereits angerichtet. Fai war klar, dass er sich schnellstens eine Ausrede überlegen musste, noch ehe sie die neue Welt erreichten. Eine weitere plumpe Erklärung, eine weitere Lüge. Er hatte einer dieser vielen Grenzen überschritten, die er sich selbst gesetzt hatte. Er hatte jenes Versprechen gebrochen, das er sich selbst gegeben hatte. Er war so dumm gewesen. Wem hatte er etwas vormachen wollen? Er war noch niemals sonderlich willensstark gewesen und sein Vorsatz, keine Magie mehr zu verwenden, bereits von Beginn der Reise an dem Untergang geweiht. Er hatte es immer gewusst und dennoch… ehe er den Gedanken zu Ende denken konnte, wurde ihm plötzlich schwarz vor Augen und er bemerkte mit wachsendem Schrecken, wie er langsam aber allmählich das Bewusstsein verlor. ~~~ Fai atmete tief ein, während das Bewusstsein langsam zu ihm zurückkehrte und kalte, feuchte Luft seine Lungen füllte. Einige endlose Sekunden kämpfte er dagegen an und wollte zurück in den wohligen Dämmerschlaf fallen, doch vergebens. Er spürte den Schmerz in seinem Rücken und den harten, kalten Grund auf dem er lag noch ehe er die Augen geöffnet hatte. Vorsichtig begann er seine Hände zu bewegen, dann die Beine. Scheinbar hatte er sich bei der unsanften Landung nicht weiter verletzt. Stöhnend setzte er sich auf und öffnete langsam die Augen, doch seine Welt blieb dunkel. Einen Moment lang überkam ihn die Panik und er fuhr sich mit den langen, schlanken Fingern über die Augen um sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich offen waren. Er zwang sich ruhig zu bleiben und nahm einen weiteren tiefen Atemzug. Die Luft schmeckte feucht und kalt, modrig und alt. Dunkel, sagte er zu sich selbst und zwang sich langsam zu atmen, es ist nur dunkel. Er hatte noch niemals Angst vor der Dunkelheit gehabt. Um ihn herum war es so dunkel, dass Fai kaum die eigene Hand sehen konnte, die er sich direkt vor die Augen hielt. Er streckte die Arme aus und begann um sich herum zu tasten. Mit der rechten Hand stieß er auf Widerstand. Eine harte, kalte Felswand, wie er nach kurzem Abtasten feststellte. Das bestätigte seine Vermutung, dass er sich in einer Höhle oder etwas derartigem befand. Langsam stand er auf, während er sich weiterhin mit einer Hand an der Felswand abstützte, und machte einen vorsichtigen, schwankenden Schritt nach vorne. Die Dunkelheit hatte ihm seinen Gleichgewichtssinn geraubt. „Hallo?“ rief er in die Finsternis hinein. „Hallo,“ antwortete eine andere Stimme, aber nein, es war nur sein eigenes Echo. „Hallo....Hallo...“. Er lauschte in die Dunkelheit, doch außer dem hohlen, schwindenden Hall seines Echos konnte er keine weiteren Geräusche ausmachen. „Hallo?“ versuchte er es dennoch erneut, „ist irgendjemand hier?“ Er wartete. „Hallo,...Hallo,“ hallte das Echo. Es war das erste Mal, dass Fai alleine in einer neuen Dimension angekommen war. Die Gruppe war zwar schon zuvor einmal getrennt worden, doch damals hatte es ihn gemeinsam mit Kurogane in einen anderen Winkel jener Welt verschlagen. Eine überraschende Wendung, die Fai gerade recht kam und ihm genügend Zeit verschaffen würde um an einer Erklärung für den plötzlichen Gebrauch seiner Magie, den er zuvor gleich jeder Situation so vehement abgelehnt hatte, zu feilen. Doch zunächst musste er einen Ausgang aus dieser Höhle finden. Langsam tastet er sich an der Felswand entlang vorwärts. Ein leichter Luftzug verriet ihm die richtige Richtung, oder zumindest hoffte er das. Er atmete erleichtert auf, als es allmählich heller wurde und er schwaches Tageslicht in der Ferne ausmachen konnte. Als er endlich den Ausgang der Höhle erreichte musste er die Augen schließen, die sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, so hell war das Licht. Er atmete tief die frische, klare Luft ein. Es roch nach Regen. „Hat lange genug gedauert,“ bemerkte eine vertraute Stimme nicht weit von ihm entfernt. Fai zuckte überrascht zusammen und hob eine Hand um sein Gesicht vor dem Licht der Sonne abzuschirmen, ehe ihm klar wurde, wer gesprochen hatte und seine Mundwinkel sich zu jenem zwanglosen Lächeln hoben, das ihm so sehr zur Gewohnheit geworden war. „Herrje, Kuro-tan, hast du mich erschreckt,“ bemerkte Fai heiter, während er langsam ein Auge öffnete um sich allmählich an die Helligkeit zu gewöhnen. Er entdeckte seinen Reisegefährten nur wenige Meter entfernt, wo dieser mit gekreuzten Beinen und dem Schwert an die Schulter gelehnt auf dem Boden saß, während er Fai mit vernichtendem Blick anfunkelte. Die typische Reaktion des Ninjas auf Fais schier endlose Repertoire an albernen Spitznamen amüsierten den Magier noch immer wie am ersten Tag. „Nenn mich nie wieder bei diesem Namen,“ fauchte der Krieger, doch Fai tat so, als würde er es gar nicht bemerken und fragte stattdessen vergnügt: „Hast du etwa gewusst, dass ich da drin bin und hast hier draußen gewartet, statt mir zu helfen, Kuro-rin?“ Mit einer vagen Geste deutete er hinter sich auf die Höhle, die er eben verlassen hatte. „Dein Gekreische war ja kaum zu überhören...“ antwortete Kurogane gereizt aber ungerührt von dem verletzten Gesichtsausdruck, den Fai gespielt aufsetzte. Das war dann wohl seine Rache, dachte Fai amüsiert, der Ninja blieb ihm selten etwas schuldig, auch wenn er seiner Schlagfertigkeit gewöhnlich eher mit dem Schwert in der Hand Ausdruck verlieh. „Autsch,“ erwiderte er, als hätten ihn Kuroganes Worte schwer getroffen. „Warum hast du mir nicht geantwortet?“ Kurogane musterte ihn prüfend, lauernd und antwortete mit einer feinen Spur Spott in der ernsten Stimme: „Wie? Du kannst mit deiner Magie riesige Löwen vernichten und Magie freie Zonen durchbrechen, aber kein Licht anzünden?“ Ah, die Schonzeit war wohl schon vorüber. Dass Kurogane aber auch immer so schnell zum Punkt kommen musste. Fai lachte und setzte erneut ein albernes Grinsen auf seine Lippen. „Ich glaube du überschätzt mich ein wenig,“ erwiderte er abwinkend und schirmte mit einer Hand die Augen ab, während er in den Himmel hinauf sah. Er hatte sich geirrt, es war gar nicht so hell, stattdessen bedeckten dunkle Wolken den Himmel und es roch nach Regen. „Ich habe nur die Verteidigungszauber etwas zurückgeschoben, damit Mokona die Transportmagie wirken konnte. Es war eine andere Art von Magie, als jene, dich ich bisher genutzt habe. Sie funktioniert mit Tönen~..“ „Erzähl keinen Scheiß,“ schnitt ihm Kurogane das Wort ab, während er schließlich aufstand, das Schwert in der Hand. Die plötzliche Schärfe in seiner Stimme war eine Warnung für Fai. Er erkannte diesen Ton und wusste, dass er auf Messers Schneide tanzte. „Ich hab Augen im Kopf. Hälst du mich etwa für blöd?“ Im Gegenteil, dachte Fai, und das ist das Problem. Das heitere Lächeln hielt sich hartnäckig auf Fais Lippen. Er war keineswegs dazu bereit ihre Gespräch in diese Richtung fortzuführen. Er sah sich um und ignorierte Kurogane schlichtweg. Sie befanden sich in rauen Gelände am Fuße eines recht beachtlichen Gebirges im Norden, dessen Gipfel durch die dichten hindurch kaum auszumachen waren. Zur anderen Seite gen Süden konnte er sanfte, grüne Hügel entdecken und etwas weiter entfernt einen Laubwald, der sich bis zum Horizont hin erstreckte. „Sag, Kuro-tan,“ Fai wandte sich wieder zu Kurogane um, nur um zu sehen, wie sich dessen Gesicht beim Klang des Spitznamens missmutig verzog, „Wo sind denn Mokona und die Kinder?“ Kurogane starrte Fai für einen Moment lang an, in dem seine roten Augen sich wie in einem stummen Zweikampf in die kobaltblauen des Magiers bohrten. Würde der Ninja Fais plumpen Versuch das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, ignorieren oder würde er ihn ziehen lassen? Fai war sich erst nicht sicher und wartete ab, doch schließlich warf ihm Kurogane einen letzten verärgerten Blick zu, der Fai klar machte, dass das Thema noch nicht erledigt war. Doch fürs erste war er aus dem Schneider. Er würde heute nicht den Halt verlieren. „Keine Ahnung,“ antwortete Kurogane schließlich auf Fais Frage während er sich mit der Hand durch das kurze, schwarze Haar fuhr und ebenfalls den Blick über die Landschaft schweifen ließ. „Ich glaube nicht, dass sie in der Nähe sind.“ „Herrje,“ machte Fai erneut und trug noch immer das ewige Lächeln auf seinen Lippen, „dann wurden wir wohl schon wieder getrennt. Allerdings verstehen wir noch immer was der andere sagt, also können wir nicht so weit von Mokona entfernt sein.“ Das letzte Mal, als sie getrennt worden und Kurgane und Fai im Lande Yama gelandet waren, hatten sie ein halbes Jahr lang dort festgesessen, ehe Syaoran, Sakura und Mokona endlich aufgetaucht waren. Damals jedoch hatte Fai kein Wort verstanden, während Kurogane sich zumindest mit den Einheimischen hatte verständigen können. Es war anfangs hart gewesen sich nicht unterhalten zu können, er hatte es mit Gesten und Zeichen versucht und war recht gut damit klar gekommen. Dann wiederum war es amüsant gewesen mit ernster Miene so zu tun, als hätte er Kurogane etwas wichtiges mitzuteilen, während dieser mit zunehmender Irritation, die sich deutlich in seinem Gesicht widerspiegelte, versucht hatte den Worten des Magiers irgendwelchen Sinn abzugewinnen, obwohl Fai das noch nicht einmal selbst gelungen war. Und natürlich hatte ihm niemand Fragen gestellt, oder wenn doch, so hatte er sie nicht verstanden, das war vermutlich das Beste an seiner Zeit dort gewesen. Keine Fragen bedeuteten keinen Grund für ihn zu lügen. Sie entschieden sich dazu auf die Suche nach ihren Reisegefährten zu gehen und brachen gen Süden auf in Richtung der Hügel und dem Wald. Kurogane ging schweigend, immer wachsam, während Fai mit fröhlichem Lächeln vergebens versuchte den Ninja in ein belangloses Gespräch zu verwickeln. Auf seine Fragen erhielt der Magier nur ein Brummen, auf den Versuch seinen Gefährten mit albernen Spitznamen zu reizen, nur eine zuckende Augenbraue. Kurogane war also noch immer sauer auf ihn, vermutete Fai mit einem müden Lächeln auf den Lippen, das Kurogane nicht bemerken würde, weil er Fai noch nicht einmal eines Blickes würdigte. Er war zu weit gegangen, hatte einen Fehler begangen. Doch der Schaden war bereits angerichtet und es gab kein zurück mehr. Das Lächeln schwand von Fais Lippen, nur für einen Moment, doch er bemerkte nicht, dass sein Gefährte ausgerechnet in diesem Augenblick doch zu ihm hinüber sah. 2 - II | Ein leichter Nieselregen hatte bald eingesetzt nachdem Fai und Kurogane aufgebrochen waren. Fai bereute längst, dass er seinen Hut in Recort demonstrativ dafür geopfert hatte, Kurogane davon abzuhalten sich in die ätzenden Fluten vor den Stufen der Bibliothek zu werfen. Er wünschte sich seinen Mantel mit der wohlig warmen, Fell besetzten Kapuze herbei, doch andererseits war er nicht bereit einen Preis dafür zu bezahlen und er hatte aus erster Hand erfahren, dass kein Wunsch in Erfüllung ging, ohne dass man nicht zuerst für ihn bezahlt hatte. Fai beschloss stattdessen den Regen zu begrüßen. Er breitete die Arme aus, schloss die Augen und hielt sein Gesicht mit einem leisen Lachen auf den Lippen dem düsteren Himmel entgegen, als wolle er ihn herausfordern. Das kühle Nass durchtränkte sein blondes Haar und bald klebten ihm die langen Strähnen im Gesicht. Es war kalt und nass und dennoch fühlte sich Fai so lebendig wie schon lange nicht mehr. Er genoss die natürliche Stille dieser Welt, in der es keine anderen Geräusche zu geben schien außer das Rauschen des Regens und das Schmatzen ihrer Stiefel im matschigen Gras. Kurogane, der den Kopf tief in den hohen Kragen seines Mantels gezogen hatte, musterte ihn mit einem Blick, als wolle er prüfen, ob Fai letztendlich vollkommen den Verstand verloren hatte. Aber andererseits hatte er diese Vermutung wahrscheinlich schon lange gehabt. Der Ninja schüttelte verständnislos den Kopf und beschleunigte seine langen Schritte um mehr Abstand zwischen sich und dem Magier zu bringen, was Fai nur noch lauter lachen ließ. Als der Regen gegen Abend nachließ und schließlich vollständig versiegte, hatten sie den Rand des Waldes erreicht, doch noch immer keine Spur von ihren fehlenden Reisegefährten gefunden. Stattdessen waren sie mit etwas Glück auf die Ruinen eines kleinen Dorfs gestoßen, die sich hervorragend als Lagerstätte anbot. Es war nur eine Ansammlung einer handvoll heruntergekommener Hütten und einem alten von Ranken überwuchertem Brunnen in ihrer Mitte. Die Dächer der Gebäude waren verfallen und das Mauerwerk teilweise eingestürzt, nur eines wirkte halbwegs bewohnbar. Es war vollkommen still dort, nur das Rascheln der Blätter im Wind war zu hören. „Hallo?“ rief Fai laut in diese Stille hinein, „ist irgendjemand hier?“ Kurogane, der mit vorsichtigen Schritten, konzentriertem Blick und der Hand am Schwertgriff vorne weg gegangen war, fuhr zu ihm herum und starrte ihn entsetzt an. „Was machst du da, du Idiot!“ zischte er und ließ den Blick prüfend über die scheinbar verlassenen Gebäude schweifen. Das Grinsen auf Fais Lippen wurde bei der Reaktion seines Gefährten noch breiter. „Ach komm schon, Kuro-pin. Hier ist niemand.“ Fai deutete mit einer trägen Geste auf die Ruinen der Gebäude um sie herum. Kurogane warf ihm einen vernichtenden Blick aus funkelnden roten Augen zu, ehe er leise vor sich hin knurrend davon stapfte. „Wäre es ein Hinterhalt gewesen, dann wären wir jetzt tot und das alles nur wegen dir.“ „Ja, ja,“ rief Fai ihm fröhlich nach, dann folgte er dem gereizten Ninja zu jener Hütte, die noch am ehesten den Eindruck machte, dass sie nicht über ihren Köpfen zusammenstürzen würde. Das alte Strohdach war zwar nicht mehr vollständig dicht und das Glas in den Fenstern zerschlagen, aber dennoch war das kleine Gebäude im Innern weitgehend trocken geblieben und die nahezu vollständig intakten steinernen Wände boten Schutz vor dem Wind. Es gab nur einen Raum in dessen Mitte sich eine kleine Feuerstelle befand. Möbel befanden sich keine mehr darin, dafür gab es jedoch eine ganze Menge Spinnweben in den Ecken, deren Bewohner durch das plötzliche Eindringen der beiden Fremden aufgescheucht wurden. Im Eingang hing eine morsche Holztüre, die Kurogane beim Versuch sie zu öffnen vollständig aus den Angeln riss. Sie entschieden sich dazu, die Hütte als Nachtlager zu verwenden, ehe sie in den Wald hinüber gingen, auf der Suche nach trockenem Feuerholz und etwas Essbarem., denn es wurde schnell dunkel. Auf dem Weg dorthin passierten sie einen kleinen Bachlauf, an dem sie ihren Durst stillen konnten, denn der Brunnen im Dorf hatte sich nach einer kurzen Inspektion als leer erwiesen. Das dichte Blätterwerk der Bäume hatte den Waldboden weitgehend vor dem Regen geschützt, das üppige Grün hatte bereits stellenweise begonnen sich gelblich zu färben. Es würde also bald Herbst werden. Fai ging in die Hocke und summte leise vor sich hin, während er trockene Äste und Rindenstücke aus dem Unterholz fischte. Als er schließlich den Arm voll brennbarem Material hatte, stand er auf und sah sich um. Kurogane war irgendwo zwischen den Bäumen verschwunden, hoffentlich der Spur eines Tieres folgend, dass sie als Abendessen zubereiten konnten. Nach dem langen Fußmarsch und der Tatsache, dass sie in der letzten Welt auch nichts mehr gegessen hatte, ließ ihm allmählich denn Magen knurren. Als Fai den Blick über den Waldboden schweifen ließ, entdeckte Fai zu seiner Freude etwas tiefer hinein einen Strauch mit kleinen, runden, tiefrot leuchtenden Beeren. Er brachte schnell das Holz zu der Hütte und kehrte dann zurück. Vom Boden hob er ein gebogenes Stück Rinde auf, das ihm als Schale dienen würde, ehe er begann die Beeren vom Strauch zu zupfen. Fai nahm eine der kleinen Beeren zwischen Daumen und Zeigefinger und drehte sie langsam, ehe er dazu ansetzte sie sich in den Mund zu stecken. „Willst du dich umbringen?“ unterbrach ihn plötzlich eine wohlbekannte Stimme in seiner Bewegung. Fai zuckte erschrocken zusammen, wobei ihm die Rindenschale aus seiner Hand glitt und die Beeren auf den Boden kullerte. „Kuro-tin, du musst wirklich aufhören dich so anzuschleichen,“ wies er seinen Gefährten an ohne sich zu diesem umzudrehen. Stattdessen folgte sein Blick wehmütig den Beeren, die zwischen Gräsern, abgebrochenen Zweigen und Wurzeln verschwanden. „Ich hab mich nicht angeschlichen, du passt nur absolut nicht auf!“ knurrte Kurogane und Fai musste nicht hinschauen, um zu wissen, dass die Braue des Ninjas verärgert zuckten, „Wenn ich ein wildes Raubtier gewesen wäre, wärst du jetzt mein Abendessen.“ Fai lachte und drehte sich schließlich doch um, während er sich langsam aufrichtete. „Aber Kuro-rin, du hast unser Abendessen doch schon gefangen,“ antwortete er mit einem heiteren Grinsen auf den Lippen und deutete auf den toten Hasen, den Kurogane in einer Hand hielt, „kein Grund zum Kannibalen zu werden.“ „Ich hab dir gerade das Leben gerettet,“ erwiderte der Ninja gereizt, „also hör auf meinen Namen zu malträtieren und zeig ein wenig Dankbarkeit!“ Fai schenkte ihm ein fröhliches Lächeln. „Bei allem Respekt, Kuro-sama, das einzige Raubtier hier weit und breit bist du.“ Kurogane maß ihn mit einem ungläubigen Blick und schloss dann einen Moment lang die Augen, wohl um in einem stillen Gebet die Götter, welche immer es auch sein mochten, um Geduld anzuflehen. Oder um Erlösung, Fai war sich da nicht so sicher. „Hat dir nie jemand beigebracht, dass man keine Beeren essen soll, die man nicht kennt?“ Fai starrte Kurogane an, das Lächeln noch immer auf den Lippen, doch für den scharfen Beobachter wirkte es nun schal. Er schüttelte langsam den Kopf. „Die da,“ Der Ninja wies auf die Beere, die Fai noch immer zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, „ist giftig.“ „Oh.“ Fai betrachtete enttäuscht die Beere zwischen seinen Fingern, ehe er sie zu Boden fallen ließ, wo sie zu den anderen kullerte. Kurogane fuhr sich mit dem Rücken der Hand, die sein Schwert hielt, über die Stirn. „Es ist ein Wunder, dass du so lange überlebt hast,“ brummte er, mehr zu sich selbst, als an Fai gewandt. Er ließ den Magier stehn und machte sich kopfschüttelnd auf den Weg zurück zu der verlassenen Hütte. Sobald er hörte, wie Kurogane sich stampfend von ihm entfernte, schwand das Lächeln von Fais Lippen. Kein Wunder, nein, dachte er schwermütig, nur ein Wunsch, dessen Preis er noch immer bezahlte. Fai schüttelte den Kopf um die düsteren Gedanken abzuwerfen, die allmählich Form annahmen. Nicht jetzt. Er stand auf, klopfte sich die Hände an seinem Mantel ab und folgte seinem Reisegefährten. Als er die Hütte erreichte, saß Kurogane vor dem Eingang und hatte bereits damit begonnen seine Beute für das Essen vorzubereiten. Fai setzte erneut ein Lächeln auf, ehe er Kurgane zuwinkte – eine Geste, die der Ninja in keiner Weise zu schätzen wusste und vollkommen ignorierte – und an ihm vorbei in das Innere der Hütte ging. Er ging in die Knie und begann das Holz, das er zuvor gesammelt hatte, in der Feuerstelle aufzuschichten. Er hatte vielleicht nie gelernt genießbare Beeren von giftigen zu unterscheiden, doch wie man ein Feuer anzündete, das wusste er. Es war wohl auch kaum erstaunlich, zog man in Betracht, dass er viele Jahre lang in einer Welt gelebt hatte, die von Eis und Schnee dominiert wurde. Als schließlich die erste Flamme um die Äste und Rindenstücke züngelte, setzte Fai sich auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken gegen die steinerne Wand und legte die Arme um die angewinkelten Beine. Seine Augen waren auf das wachsende Feuer fixiert, während ihm allmählich bewusst wurde, wie müde er eigentlich war. Der lange Marsch und das Wirken der Magie hatte an seinen Kräften gezehrt, weshalb sein Körper nun nach Schlaf verlangte. Draußen dämmerte es bereits. Er erwischte sich dabei, wie er beinahe einnickte, als Kurogane die Hütte betrat. In der Hand hielt er einige Äste auf deren angespitzte Enden er Fleischstücke aufgespießt hatte. Sie hatten keinerlei Ausrüstung bei sich, abgesehen von dem wenigen, das sie am Körper trugen, was bei weitem nicht viel war. Vielleicht ließ sich in einer der anderen Hütten etwas nützliches finden, doch das hatte bis zum Morgen Zeit. „Was meinst du ist mit den Menschen hier geschehen?“ Fai lehnte sich mit dem Rücken zurück gegen die Wand und starrte ins Feuer. „Dieses Dorf wurde schon vor vielen Jahren verlassen. Vielleicht sind sie ausgewandert, weitergezogen,“ überlegte er weiter. „Oder sie wurden ausgerottet,“ erwiderte Kurogane trocken. Fai lachte. „Der ewige Optimist,“ bemerkte er belustigt. „Ist dir aufgefallen, dass keine Straße in dieses Dorf führt? Es gibt noch nicht einmal einmal einen Weg.“ Sein Reisegefährte brummte zustimmend. Keiner von ihnen wusste die Antwort auf dieses Rätsel. Sie aßen schweigend und als Kurogane später aus dem Wald zurück kam, wo er noch mehr Holz geholt hatte um das Feuer auch über die Nacht hin am brennen zu halten, hatte Fai den Kopf bereits auf die Knie gelegt und war im Sitzen eingeschlafen. Er musterte den Magier einen Moment lang prüfend, dann brummte er leise: „Also gut, ich übernehme die erste Wache.“ Er setzte sich auf die anderen Seite des Feuers im Schneidersitz auf den Boden und zog sein Schwert aus der Scheide um mit dem Daumen die scharfe Klinge zu prüfen. Im Kragen seines Mantels verbarg Fai das schmale Lächeln, das sich auf seine Lippen geschlichen hatte, ehe er vollkommen in den Schlaf sank. 3 - III | Fai wachte auf, als er eine Berührung an seiner Schulter spürte. Es war noch immer tiefste Nacht und nur das Glühen der Kohlen in der kleinen Feuerstelle erhellte den Innenraum der Hütte in schwachem rötlichen Licht. „Du bist dran.“ Kurogane stand neben ihm und als er sich sicher zu sein schien, dass Fai ihn gehört hatte und nicht wieder direkt einschlafen würde, kehrte er auf seine Seite des Feuers zurück, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und schloss die Augen. Fai unterdrückte ein Gähnen und spielte wehmütig mit dem Gedanken sich zurück in den wohligen Schlaf fallen zu lassen, doch manche Wünsche blieben besser unerfüllt. Kurogane würde ihm niemals verzeihen, wenn er diesem Verlangen nachgab und damit ihre Sicherheit aufs Spiel setzte. Fai stand auf und schob einen Ast in die Glut, ehe er die Hütte verließ um tief die erfrischende Nachtluft einzuatmen und die vom Schlaf trägen Muskeln zu lockern. Es half ein wenig, doch ganz wach fühlte er sich noch immer nicht. Sein Hals fühlte sich trocken und rau an und so entschied er sich zu dem kleinen Bach hinter der Hütte zu gehen, den sie am Nachmittag entdeckt hatten und etwas Wasser zu trinken. Mit ein Bisschen Glück würde es ihm helfen den Rest der Nacht nicht mit schweren Lidern und verstörenden Dämmerschlafträumen kämpfen zu müssen. Noch immer bedeckten dichte Wolken den Himmel, doch hier und da kam etwas Mondlicht hindurch und nachdem sich Fais Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, gelang es ihm die schmale Schneise im hohen Gras auszumachen, die sie am späten Nachmittag hinterlassen hatten. Die Grashalme reichten ihm bis zu den Knien und waren noch immer nass vom Regen. Sie streiften im Vorbeigehen die Beine seiner Hose und hinterließen nasse Spuren darauf. Er konnte das leise Gurgeln des Wassers hören noch ehe es hinter den hohen Halmen und kleinen, dornigen Sträuchern, die entlang des Bachlaufs wuchsen, sichtbar wurde. Fai ging am sandigen Bachbett in die Knie, tauchte die schlanken Hände in das kühle Wasser und formte mit ihnen eine Schale. Er trank einige Schlucke und spritze sich etwas Wasser ins Gesicht, in der Hoffnung, dass es ihm helfen würde vollends wach zu werden. Er war seit langem zum ersten Mal eingeschlafen, ohne dass ihn seine eigene Gedanken zuvor stundenlang wachgehalten hatten. Er hatte nicht einmal geträumt und wenn doch, dann war es ein solch belangloser Traum gewesen, dass er sich nicht mehr daran erinnern konnte. Vielleicht gab es doch noch Hoffnung für ihn. Er war von Albträumen heimgesucht worden soweit er zurückdenken konnte. Er kannte sie inzwischen, es änderte sich selten etwas – Sie handelten von seinem Bruder, von Ceres, den Flüchen, die auf ihm lasteten, den Fehlern, die er begangen hatte, und seinen Lügen – und dennoch verstörten sie ihn noch immer. Vielleicht etwas weniger als früher. Seine Träume waren ein weiteres seiner Geheimnisse, die er für sich behielt und vor seinen Reisegefährten verbarg. Sie machten ihn traurig, doch Trauer passte nicht zu seinem neuen Selbst, zu seiner stets gut gelaunten Maske. In Ceres hatte er gelernt, dass Menschen dazu neigten eher zu vertrauen und sich weniger Sorgen zu machen, wenn man ihnen mit einem Lächeln begegnete. Ein Lächeln auf den Lippen war wie eine stilles Zeichen dafür, dass alles gut werden würde, und ein Schild gegen unangenehme Fragen. Ein Rascheln im Gras ließ Fai plötzlich aufhorchen. Es war völlig windstill, bemerkte er, während er sehr langsam aufstand, und bis auf das leise Glucksen des Wassers kein Geräusch zu hören. Der Mond lag tief hinter den dichten bedrohlichen Wolken verborgen, die sich kaum sichtbar am schwarzen Himmel abzeichneten wie eine finstere Vorahnung. Ehe Fai sich umdrehen konnte trieb ihm ein tiefes, dunkles Knurren einen eisigen Schauer über den Rücken. Ein großer Schatten trat aus den Büschen hervor. Ein Paar roter Augen glühten in der Dunkelheit wie aufflammende Kohlen. Er hatte sich geirrt, Kurogane war wohl doch nicht das einzige wilde Tier in dieser Welt. Fai machte einen vorsichtigen Schritt zurück und stand mit einem Fuß im Bachbett. Er hatte Mühe Halt auf den glitschigen Steinen zu finden. Er spürte wie das kalte Wasser langsam in seinen Stiefel eindrang. Nicht weit von ihm entfernt stand eine Kreatur zwischen den hohen Grashalmen, die Fai vage an einen Wolf erinnerte, doch war sie deutlich größer wie ein gewöhnlicher Wolf, denn sie reichte Fai bis zur Taille. Das schwarze Fell verschmolz nahezu gänzlich mit der Dunkelheit der Nacht. Als Fai langsam abwehrend die Hände hob, knurrte das Tier erneut, wobei die ungewöhnlich langen, scharfen Fangzähne sichtbar wurden, die bleich in der Dunkelheit schimmerten. Fai schätze die Entfernung zwischen ihm und der Kreatur so ein, dass es etwa zwei Sätze brauchte, ehe sich die spitzen Reißzähne in sein Fleisch bohrten. Er wich einen weiteren Schritt zurück, so dass er nun mit beiden Beinen im Wasser stand. Als die Kreatur schließlich mit gefletschten Zähnen zum Sprung ansetzte, wurde Fai schlagartig klar, dass er sich geirrt hatte. Die Bestie brauchte nicht zwei sondern nur einen Satz um ihn zu erreichen. Fai wich in letzter Sekunde aus und sprang zur Seite. Die Kreatur setzte ihm sofort nach, woraufhin Fai erneut zurückwich. Das unheimliche Wesen war verdammt schnell und Fai blieb nicht lange Zeit um über seine Möglichkeiten nachzudenken ehe er erneut auf Abstand gehen musste. Er hatte keine Waffe und so würde ihm nichts weiter übrig bleiben als weiterhin auszuweichen, bis einer von ihnen einen Fehler machte oder die Kreatur die Jagd leid wurde und sich zurückzog. Seinen Gedanken wurden abrupt von einem schaurigen Heulen unterbrochen, dass die Stille der Nacht zerriss. Ein weiteres rot leuchtendes Augenpaar tauchte in der Dunkelheit auf und noch eines. Fai zählte insgesamt fünf, während er sich allmählich dem Ausmaß der Gefahr bewusst wurde, in der er tatsächlich schwebte. Er brauchte einen neuen Plan. Und zwar schnell. Einen Moment lang zog er in Betracht seine Magie zu nutzen und ohne sich dessen bewusst zu sein, hob er bereits die Hand. Er spürte die vertraute Wärme in sich aufsteigen, das Verlangen ihr nachzugeben und den einfachen Weg zu gehen, ehe er sich zur Vernunft zwang und die Hand wieder sinken ließ. Er war nicht bereit dazu Fragen zu beantworten. Fragen, deren Antworten das Kartenhaus aus Lügen, das er so sorgsam aufgebaut hatte, zum Wanken bringen würden. Er war nicht bereit Kurogane erneut gegenüberzutreten und diesen scharfsinnigen Blick auf sich zu spüren, unter dem seine Fassade zu bröckeln begann. Nein, er war nicht bereit eine weitere hohle Erklärung zu finden, von der sie beide wussten, dass sie nicht der Wahrheit entsprach. So lange er nicht dazu bereit war die Wahrheit zu sagen, die Lügen hinter sich zu lassen, durfte er dem Verlangen nicht nachgeben sich der verlockenden Macht hinzugeben, die in ihm schlummerte. Er atmete einmal tief ein und wieder aus. Es musste einen anderen Weg geben. Es hatte immer einen gegeben, bis zuletzt bei ihrer Flucht aus Recort. Die Kreaturen hatten Fai inzwischen umzingelt. Sie lauerten im hohen Gras, schlichen in weiten Bögen leise knurrend um ihn herum. Fai wich erneut aus, als eine der Kreaturen sich von hinten auf ihn stürzte. Würde Kurogane es hören, wenn er laut um Hilfe rief? Er hatte schon früh bemerkt, dass der Ninja einen sehr leichten Schlaf hatte und seine erste Reaktion beim Erwachen der Griff nach dem Schwert war. Kurogane würde kommen um ihm zur Hilfe zu eilen, wenn er merkte, dass Fai in Schwierigkeiten steckte. So wie er es immer tat, obwohl Fai bereits mehr als einmal selbst nur mit letzter Not der blank gezogenen Klinge des Ninja entkommen war. Es war ein Spiel, das sie beide genutzt hatten um den jeweils anderen besser einschätzen zu können und das nur allzu schnell zu einer albernen Gewohnheit geworden war. Er fragte sich wie Kurogane reagieren würde, wenn Fai seinen schnellen, wohl gezielten Hieben eines Tages einmal nicht auswich. Fai schüttelte den Kopf um die ablenkenden Gedanken loszuwerden. Erst einmal musste er diese Nacht überleben. Oh, aber offenbar war es gar nicht mehr nötig Kurogane zu wecken. „Du ziehst das verdammte Unglück echt an, oder?“ Kurogane stand etwas weiter von Fai entfernt im hohen Gras mit dem blank gezogenen Schwert an die Schulter gelehnt. Eine Welle der Erleichterung überkam Fai. Er grinste breit und winkte seinem Gefährten zu. „Oh, Kuro-tan, bist du gekommen um mich vor den bösen Monstern zu retten?“ Er wich einem weiteren Angriff aus und landete auf einem alten Zaunpfahl, der aus dem hohen Gras hervorragte. „Vielleicht solltest du mal anfangen zu kämpfen statt immer nur auszuweichen, du verdammter Mistkerl,“ brüllte Kurogane zurück, die Kreaturen hatten sich inzwischen auch ihm zugewandt und er wehrte ihre Angriffe mit dem Schwert ab. „Aber ist Kämpfen nicht dein Job, Kuro-puu?“ Fai balancierte noch immer lässig mit einem Bein auf dem Zaunpfahl. Seine Haltung wies nicht die geringste Anspannung auf, sondern wirkte absolut gelassen. Er ließ es so einfach und beiläufig erscheinen, als würden physikalische Gesetze für ihn nicht gelten. Und vielleicht taten sie das auch nicht, wer wusste schon, in welchen Formen sich seine Magie noch manifestieren konnte. Eine der Kreaturen war von Fais akrobatischen Künsten wenig beeindruckt und stürzte sich mit weit aufgerissenem Maul auf ihn. Fai sprang erneut zur Seite und landete im Gras, die Kreatur setzte ihm augenblicklich nach, doch als Fai erneut ausweichen wollte, zerrte etwas mit einem scharfen Ruck an seinem Knöchel und riss ihn zu Boden. Ein stechender Schmerz fuhr ihm durchs Bein und er musste wohl aufgeschrien haben, denn Kurogane war mit einem Mal an seiner Seite und wehrte die Bestie ab, die sich eben noch auf ihre zu Boden gegangene Beute hatte stürzen wollen. „Alles in Ordnung?“ Kurogane maß Fai mit prüfendem Blick unter zusammengezogenen Augenbrauen. Es dauerte nur den Bruchteil eines Augenblicks, ehe der Schrecken aus Fais Gesicht wich und das gewohnte Lächeln an seine Stelle trat. „Ich muss wohl ausgerutscht sein,“ erwiderte er, doch der besorgte Blick in seinen Augen erzählte eine ganz andere Geschichte. Die Erde unter ihm war aufgewühlt vom Regen und matschig. Für einen Moment hatte es sich so angefühlt, als wäre er in den Boden eingesunken und als hätte sich eine knochige Hand um seinen Knöchel gelegt und lange scharfe Klauen sich durch das Leder seiner Stiefel gebohrt. Fai schüttelte den Kopf. Oder vielleicht war es auch nur Einbildung gewesen. Vielleicht hatte er sich nur in den langen, rasiermesserscharfen Halmen verfangen. Es dauerte nicht lange ehe Kurogane die schaurigen Kreaturen in die Flucht geschlagen hatte. Sie zogen sich knurrend und heulend in die Tiefen des Waldes zurück, der bei Tageslicht so einladend und friedlich gewirkt hatte und nun wie eine dunkle Bedrohung am Rande des Dorfes lauerte. Fai wischte sich die matschigen Hände am Mantel ab, ehe er versuchte aufzustehen. Scharfer Schmerz fuhr ihm sofort durch das Bein. Fai biss die Zähne zusammen und atmete tief ein und aus ehe er sich mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen zu Kurogane umwandte. „Ich glaube, ich hab mir den Knöchel verstaucht.“ „Nicht zu fassen...,“ knurrte Kurogane abfällig. Mit Kuroganes Hilfe humpelte Fai zurück in das Innern der kleinen Hütte, wo er sich mit einem erschöpften Seufzen auf den Boden sinken ließ und sich, das verletzte Bein ausgestreckt, mit dem Rücken gegen die Wand lehnte. „Was für ein anstrengender Kampf,“ bemerkte er und schloss die Augen. Kurogane, der im Begriff war das Feuer wieder in Gang zu bringen, warf ihm einen verärgerten Blick zu. „Du bist die ganze Zeit nur weggelaufen!“ Fai lächelte nur ohne die Anschuldigung abzustreiten. „Was glaubst du waren das für Kreaturen?“ Kurogane zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung,“ antwortete er schlicht. „Ich habe im Wald keine Spur von ihnen gesehen.“ Fai beobachtete ihn, während Kurogane nachdenklich die Stirn in Falten legte und seine Augen dem Tanz der Flammen folgten. „Was ist?“ „Erinnerst du dich noch an die Kiji in Outo?“ Kurogane sah auf und schien zu überlegen, wie er seine Gedanken in Worte fassen sollte. „Damals konnte ich ihre Präsenz überhaupt nicht spüren.“ Fai strich sich eine blonde Strähne aus der Stirn und dachte über das nach, was Kurogane ihm zu sagen versuchte. „Weil sie nicht echt waren,“ stellte er fest. Kurogane nickte. „Und ist es das Gleiche mit den Wesen hier?“ „Nein,“ erwiderte Kurogane und lehnte sein Schwert neben sich an die Wand. „Aber die Kreaturen da draußen hatten keine lebendige Präsenz, sondern eine dunkle, Schattenartige.“ Ihm fiel keine bessere Beschreibung ein. Ein beunruhigendes Gefühl, wie die Berührung einer kalte Hand, breitet sich in Fais Magengegend aus. Etwas in dieser Welt schien nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Die Nacht war nun wieder still, bis auf das Rascheln des Windes im Laub der Bäume. „Vielleicht sind diese Wesen dafür verantwortlich, dass dieses Dorf verlassen ist,“ überlegte Fai nachdenklich. „Vielleicht sind die Menschen deshalb von hier fortgegangen.“ Kurogane warf einen Ast ins Feuer, der bei seinem Aufprall die Kohlen zerbarst und rotglühende Funken empor steigen ließ. „Oder sie sind alle von diesen Monstern gefressen worden,“ brummte er. Fais Mundwinkel bogen sich amüsiert, während er begann mit beiden Händen seinen verletzten Fuß abzutasten. Schmerz schoss sein Bein empor und Fai biss die Zähne zusammen um sich nichts anmerken zu lassen. „Wie schlimm ist es?“ Kurogane hatte jede seiner Bewegungen aufmerksam verfolgt. Natürlich hatte er das. Ihm entging selten etwas, vor allem dann nicht, wenn Fai sich unbeobachtet glaubte. Er hatte längst bemerkt, dass er besser Acht geben musste. Kurogane hatte ihm vom ersten Tag an misstraut. Es war Fai niemals gelungen ihn zu täuschen, ihn in die Irre zu führen mit seiner aufgesetzten Heiterkeit und dem falschen Lächeln. „Alles in Ordnung,“ erwiderte Fai ungerührt und beendete seine Untersuchung. Es war nichts gebrochen, doch er würde das Bein einige Tage nicht allzu sehr belasten können. Er zog das unverletzte Bein an die Brust, schlang seine Arme darum und legte den Kopf auf sein Knie. „Es tut nur ein Bisschen weh.“ Er spürte die Last des scharfen Blickes auf sich, mit dem Kurogane ihn maß. „Du würdest es mir auch nicht sagen, wenn es schlimmer wäre,“ behauptete dieser vielleicht mehr zu sich selbst als an Fai gewandt. Fai erwiderte seinen Blick aus halb geschlossenen Augen, das immerwährende Lächeln auf den Lippen. „Warum fragst du dann?“ Die Frage schwebte zwischen ihnen wie eine stumme Herausforderung. Die Stille stand zwischen ihnen wie eine Wand, die keiner von ihnen mehr zu durchbrechen wagte. Jedenfalls nicht an diesem Abend. Fai wandte den Blick ab. Er beobachtete das zuckende Züngeln der Flammen und lauschte dem Knistern des Holzes. Als er das nächste Mal aufsah, hatte Kurogane die Augen geschlossen und atmete gleichmäßig. Er war wohl eingeschlafen. 4 - IV | Der Morgen brach an, angekündigt vom hellen Zwitschern eines Vogels – einer Nachtigall vielleicht – lange bevor die ersten goldenen Strahlen der aufgehenden Sonne durch die zerbrochenen Fensterscheiben der kleinen Hütte fielen. Fai mochte diese Zeit des Tages am liebsten, wenn es noch immer dunkel war, doch die Nacht bereits schwand. Es war jener Zeitpunkt, an dem er langsam ausatmete und die düsteren Träume und Gedanken, die in der Finsternis lauerten, hinter sich ließ um den neuen Tag mit all seinem Licht, seiner Geschäftigkeit und seinen Ablenkungen zu begrüßen. Doch an diesem Morgen hatte er sich zu früh gefreut, denn auch als die Sonne schließlich aufgegangen war, bedeckten wie schon am Vortag graue Wolken den Himmel und es begann bald darauf zu regnen. Ein eisiger Windzug fuhr durch die zerbrochene Fensterscheibe herein und trug den Geruch von feuchtem Gras und nassem Laub in die Hütte. Fai zog fröstelnd den Mantel enger um sich. Das lange, reglose Sitzen auf dem kalten Boden mit dem Rücken zum kalten Mauerwerk hatte seine Glieder steif werden lassen. Er versuchte leise und vorsichtig aufzustehen um die eingeschlafenen Muskeln ein wenig zu lockern, doch der stechende Schmerz in seinem Bein ließ ihn das Vorhaben sofort abbrechen. Er biss die Zähne zusammen um ein Keuchen zu unterdrücken, denn er wollte Kurogane um keinen Preis wecken, und ließ sich gegen die Wand zurücksinken. Doch Kurogane war bereits wach und hatte Fais kläglichen Versuch Aufzustehen unter zusammengezogenen Brauen hervor skeptisch beobachtet. „Alles in Ordnung, huh?“ Der sarkastische Ton in seiner Stimme war kaum zu überhören. Fai wandte überrascht den Kopf zu ihm um und sobald seine Augen auf die Kuroganes trafen war dieses Lächeln auf seinen Lippen. Dieses leere, zwanglose Lächeln, das in so groteskem Widerspruch zu dem Schrecken stand, der sich in den kobaltblauen Augen spiegelte. Kurogane verabscheute diese Lächeln und musste jedes Mal wenn er es zu sehen bekam gegen den Drang ankämpfen Fai die Faust ins Gesicht zu schlagen. Es war das Lächeln, das Fai immer dann aufsetzte, wenn er etwas verbergen wollte, was so oft vorkam, dass es bereits als Dauerzustand gelten konnte. Kurogane konnte beim besten Willen nicht begreifen, warum der Magier offensichtlich das dringende Bedürfnis hatte sein wahres Gesicht hinter dieser Maske zu verbergen und ihn in allen Angelegenheiten zu belügen, anstatt auch nur ein einziges Mal ehrlich zu sein. Es war eine Sache, dass er nicht über seine Vergangenheit sprechen wollte und sich bei allem was damit in Verbindung stand, einschließlich seiner magischen Fähigkeiten, in Schweigen hüllte, doch eine völlig andere, wenn es um Verletzungen ging. Sein schweigen würde sie eines Tages noch alle in Gefahr bringen. „Vielleicht ist doch nicht alles ganz in Ordnung,“ gab Fai scheinbar unbekümmert zu, das Lächeln hartnäckig auf seinen Lippen fixiert. Kurogane antwortete nicht. Er zwang sich dazu ruhig zu bleiben, stand auf und nahm das Schwert in die Hand, das neben ihm an der Wand gelehnt hatte. „Ich schau mich einmal in den anderen Hütten um, vielleicht findet sich etwas Brauchbares.“ Ohne auf Fais Zustimmung zu warten verließ er die Hütte und ging hinaus in den Regen. Fai blieb alleine zurück mit der Stille, dem Knistern des Feuers und dem Prasseln des Regens. Er lehnte den Kopf zurück gegen das kühle Mauerwerk und schloss die Augen. Seine Lippen bildeten eine blasse Linie. Als Kurogane zurückkehrte, den Arm voller Dinge, die ihnen von Nutzen sein könnten, war Fai offenbar eingeschlafen. Es war ihm leicht anzusehen, denn der Ausdruck in seinem Gesicht war so entspannt und friedlich wie es nur selten vorkam. Es war ein ungewöhnlicher Anblick, denn normalerweise hatte Fai einen sehr unruhigen Schlaf. Kurogane, der mehr als einmal gezwungen gewesen war sich mit ihm ein Zimmer zu teilen, hatte in unzähligen Nächten beobachtet, wie sich der Magier im Schlaf unruhig herum wälzte und unverständlich vor sich hin murmelte, als plagten ihn schreckliche Albträume. Das Seltsamste dabei war, dass Fai von Zeit zu Zeit seinen eigenen Namen rief, als gehöre er einem anderen. Kurogane hatte ihn niemals darauf angesprochen. Er kannte seinen Gefährten inzwischen gut genug um zu wissen, wie ein solches Gespräch aussehen würde: Fai würde sein falsches Lächeln aufsetzten – dieses verdammte, verhasste Lächeln – und der Frage mit irgendeiner Belanglosigkeit und einem seiner lächerlichen Spitznamen, die einzig und alleine dem Zweck dienten Kurogane abzulenken, ausweichen, so wie er es immer tat. Er würde lügen und Kurogane würde ihn dafür hassen. Er kannte das Spiel inzwischen nur allzu gut. Kurogane gab sich Mühe keine lauten Geräusche zu machen, als er seine Schätze auf dem Boden der Hütte nahe dem Feuer ausbreitete: ein alter, verbeulter Topf, ein Keramikkrug, der bis auf eine Kerbe an der Öffnung völlig intakt zu sein schien, ein fransiges Stück Seil und einen langen, schlanken Stock, den Kurogane so hin schob, dass Fai ihn mit der Hand erreichen konnte, sobald er aufwachte. Er verließ die Hütte wieder und begab sich in Richtung des Waldes. Er machte sich keine Sorgen um Fais Sicherheit, denn wenn der Magier wollte, konnte er sich verteidigen, zu diesem Zweck hatte er den Stock dagelassen und wenn der nicht ausreichte, sollte Fai gefälligst seine Magie nutzen. Dazu war er ja offensichtlich durchaus imstande, wie er bei ihrer Flucht aus Recort eindeutig beweisen hatte. Ein anderes Thema über das der Magier nicht gewillt war zu sprechen, wie Kurogane bereits bei ihrer Ankunft in dieser Welt festgestellt hatte. Fai hatte ihn diesbezüglich geradeheraus belogen. Im Schatten der Bäume, deren dichtes Blattwerk ihn vor dem gröbsten Regen abschirmte, hielt Kurogane Ausschau nach möglichen Nahrungsmitteln – ob nun Pilze, Beeren, genießbare Wurzel, Kräuter oder Wild, ihm war alles recht – und nach Spuren der gespenstischen Kreaturen, denen sie in der vergangenen Nacht begegnet waren. Zwischen gefallenen Blättern, Ästen, wilden Farnen und knorrigen Wurzeln fand er jedoch weder einen Hinweis auf die seltsamen Monster, noch auf ihre verschollenen Reisegefährten. Es schien, als wäre diese Welt ganz und gar verlassen. Kurogane war bereits eine ganze Weile unterwegs – es mussten mehrere Stunden vergangen sein – als er beschloss umzukehren und zu nachzusehen, ob Fai inzwischen wieder wach war. Er hatte aus dem Schal, der zu seiner Kleidung aus Recort gehörte, ein Bündel geknotet in das er alles Essbare gelegt hatte, das er hatte finden können. Es würde genug sein um in dem alten Topf, den er am Morgen gefunden hatte, eine Suppe zu kochen. Mit etwas Glück könnte ihm auf dem Heimweg noch ein Hase oder etwas ähnliches begegnen. Kurogane legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf um am Stand der Sonne die ungefähre Zeit zu bestimmen, doch das dichte Blattwerk der Bäume gab keinen freien Blick auf den Himmel. Selbst wenn, waren da noch immer die dicken Regenwolken, die seit dem Morgen wohl kein Stück weitergezogen waren, auch wenn es inzwischen aufgehört hatte zu regnen. Kurogane drehte sich um und hielt inne. Sein Blick streifte dorniges Gestrüpp, Wurzeln und Gräser, die zwischen abgebrochenen Ästen emporragten. Das war nicht der Weg den er gekommen war, oder doch? Er musste wohl tiefer in den Wald vorgedrungen sein, als ihm bewusst gewesen war. Als er sich weiter umsah, wurde ihm allmählich klar, dass er nicht die geringste Ahnung hatte aus welcher Richtung er gekommen war und wohin es zurück zum Dorf ging. Er drehte sich einmal im Kreis, doch die Bäume um ihn herum sahen alle gleich aus und keine Richtung kam ihm bekannt vor. Er suchte nach seinen eigenen Spuren, doch er konnte nicht einmal einen abgeknickten Zweig entdecken, dabei war es nahezu unmöglich gewesen durch die Büsche und das dichte Unterholz zu dringen ohne welche zu hinterlassen. Auch der moosige, weiche Waldboden bot ihm keine Anhaltspunkte. Es herrschte vollkommene Stille, der Wind war eingeschlafen und das sorglose Zwitschern der Vögel, das er sicher noch vor wenigen Minuten gehört hatte, verstummt. Nur das Tropfen von den nassen Blättern, die sich mit Regenwasser angefüllt hatten, hallte dumpf in der unheimlichen Stille. Mit einem Mal wirkte der Wald viel dunkler als zuvor, das Licht gedämpft, als hätte bereits die Abenddämmerung eingesetzt, doch dazu musste es eigentlich noch viel zu früh sein. Kurogane legte die Stirn in Falten und zwang sich ruhig nachzudenken. Sein Orientierungssinn war unter normalen Umständen absolut zuverlässig. Er hatte sich noch nie verirrt. Kurogane schloss die Augen um sich besser auf seine Wahrnehmung konzentrieren zu können, doch er vernahm kein einziges Geräusch und zu seiner Verwunderung auch nicht das geringste Anzeichen von Leben. Die Pflanzen und Bäume um ihn herum wirkten wie hohle Schatten ganz ähnlich den wolfsartigen Kreaturen in der vergangenen Nacht. Er spürte weder die Präsenz von Vögeln, Insekten noch der anderen Waldbewohner. Kurogane spannte seine Muskeln. Etwas stimmte nicht mit diesem Wald, nein, mit dieser ganzen Welt. Als Kurogane plötzlich ein Knacken im Unterholz etwa fünf Schritte hinter sich hörte, öffnete er die Augen und fuhr mit dem blank gezogenen Schwert in der Hand herum. Seine Augen suchten mit raschem, scharfen Blick den Waldboden ab und die dornigen Büsche, die zwischen den knorrigen Wurzeln der dicken, massiven Baumstämme wuchsen. Doch dort war nichts. Dafür konnte er nun deutlich den Pfad im Unterholz erkennen, den er gekommen war. Der Wald wirkte heller als nur wenige Augenblicke zuvor, es gab keinerlei Zeichen dafür, dass die Abenddämmerung bereits eingesetzt hatte. Das fröhliche Gezwitscher der Vögel und das Zirpen von Grillen untermalte die natürliche Stille. Hoch oben fuhr der Wind durch das Geäst der Bäume und brachte die Blätter zum Rascheln. Kurogane schüttelte langsam den Kopf und sah sich ein letztes Mal zweifelnd um. Hatte ihm sein eigener Verstand einen Streich gespielt? Hatte er sich all das nur eingebildet? Vielleicht hätte er es Fai gleichtun sollen und noch etwas von dem in der letzten Nacht verpassten Schlaf nachholen. Ein ungutes Gefühl blieb als er sich schließlich auf den Rückweg machte und nagte an ihm bis er aus den Schatten des Waldes heraustrat. Er bahnte sich seinen Weg durch das hohe Gras zurück in das verlassene Dorf. Er mochte diese Welt nicht. Auf den ersten Blick wirkte sie friedlich, doch etwas sagte ihm, dass sie besser bald von hier verschwinden sollten. Er hoffte inständig, dass es Fais Bein inzwischen schon besser ging, so dass sie sich schnell wieder auf die Suche nach den anderen machen konnten. 5 - V | Als Kurogane in das verlassene Dorf zurückkehrte und die Hütte erreichte, die ihnen als Unterkunft diente, stand Fai dort im Eingang. Mit einer Hand stütze er sich am Mauerwerk ab, den anderen Arm hatte er auf den langen Stock gelehnt, den Kurogane ihm am Morgen mitgebracht hatte. Seine Augen waren halb geöffnet, sein Blick in die Ferne gerichtet und seine Lippen bildeten eine ungewöhnlich gerade Linie. Es war offensichtlich, dass er mit den Gedanken weit weg war und Kurogane nicht kommen hörte. Kurogane blieb einige Schritt weit entfernt stehen und beobachtete seinen ungewohnt gedankenverlorenen Reisegefährten einen Augenblick lang. Fai hatte den verletzten Fuß leicht angewinkelt, es war offensichtlich, dass er das Bein nicht belasten konnte. Kurogane konnte nur hoffen, dass es nicht allzu schlimm war und sie so bald wie möglich aufbrechen konnten. „Der Stock war als Waffe gedacht, nicht um dir eine Möglichkeit zu geben dich in mehr Schwierigkeiten zu bringen,“ sagte Kurogane schließlich mit einer Spur Sarkasmus in der Stimme um auf sich aufmerksam zu machen. Als Fai auch auf seine Worte nicht reagierte, kam Kurogane näher heran und blieb neben ihm stehen. „Worüber denkst du nach?“ fragte er schließlich in der Hoffnung, sein Reisegefährte hatte einen Hinweis darauf gefunden in was für einer seltsamen Welt sie hier gelandet waren oder wie sie ihre verschollenen Gefährten finden konnten und war bereits damit beschäftigt in Gedanken einen Plan auszuarbeiten. Entgegen Kuroganes Erwartung jedoch schien Fai keineswegs überrascht zu sein plötzlich angesprochen zu werden, vielleicht hatte er seine Anwesenheit doch schon eher bemerkt. Fai wandte sich langsam zu ihm um, mit gehobenen Augenbrauen und seinem typischen ausdruckslosen Lächeln auf den Lippen. „Du warst eine ganze Weile weg,“ antwortete er ohne auf Kuroganes Frage einzugehen, was ein sicheres Zeichen dafür war, dass er nicht über seine Gedanken sprechen wollte egal mit welchen Mitteln Kurogane versuchen würde ihn dazu zu bringen. „Es ist ein verdammt großer Wald,“ erwiderte Kurogane schroff. Wenn Fai keine Lust hatte mit ihm zu reden, dann würde er es ihm gleich tun. Davon abgesehen würde Fai ihn bis in alle Ewigkeit damit aufziehen, wenn er ihm erzählte, dass er sich beinahe im Wald verirrt hatte, ganz gleich unter welchen Umständen. Auf keinen Fall wollte er seinem Gefährten ein weiteres Werkzeug in die Hand drücken um ihn in den Wahnsinn zu treiben. Diese verfluchten, albernen Spitznamen, mit denen er so gerne um sich warf, waren Ärgernis genug. „Konntest du irgendwas finden?“ „Nein.“ Kurogane schüttelte den Kopf und ging an Fai vorbei in die Hütte um sein Bündel abzulegen. Die Hoffnung, dass Fai irgendein nützlicher Gedanke gekommen war, hatte er bereits aufgegeben. „Keine Spur von den anderen oder diesen Monstern. Auch kein Hinweis darauf in was für einer Welt wir hier gelandet sind.“ Als er wieder heraustrat, stand Fai mit beiden Armen auf den Stock gestützt da, hatte die Augen geschlossen und schien die leichte Brise zu genießen, die ihm sanft durch das sandfarbene Haar fuhr. Seine Körperhaltung zeigte nicht das geringste Zeichen von Anspannung und er wirkte völlig gelassen. „Dich stört das nicht im geringsten, oder?“ stellte Kurogane irritiert fest, während er spürte wie ein dumpfer Zorn in ihm aufwallte. Fai regte sich nicht. „Was meinst du?“ „Dass wir hier festsitzen.“ Es gelang Kurogane eben so den Ärger aus seiner Stimme zu verbannen. „Dir ist es scheißegal, ob du hier bist oder in irgendeiner anderen Welt.“ Nun wandte sich Fai doch zu ihm um, lachend. „Was redest du da, Kuro-tan?“ Die plötzlich aufblitzende Kälte in Fais kobaltblauen Augen strafte das heitere Lächeln auf seinen Lippen Lügen. „Glaubst du ich enthalte dir etwas vor?“ Kurogane ignorierte seine Worte, er hatte Fai lange genug gewähren lassen ohne seine Absichten in Frage zu stellen. Er hatte sich lange genug Lügen angehört und nicht weiter auf Antworten beharrt, wenn Fai immer und immer wieder das Thema gewechselt hatte. Er hatte lange genug darauf gewartet, dass Fai auch nur ein einziges Mal die Wahrheit sagte. „Ist das nicht, was du zu der Hexe gesagt hast,“ fuhr er unbeirrt fort, „dass du überall sein willst, nur nicht in deiner eignen Welt? Ist es nicht jedes Mal ein Risiko für dich, wenn wir die Dimension wechseln? Fürchtest du nicht jedes Mal, dass wir in deiner Welt landen könnten?“ Fai erstarrte. Er erinnerte sich sehr gut an seine Ankunft an jenem Ort, von dem er gewusst hatte, dass dort Wünsche erfüllt wurden. Er erinnerte sich an Yuuko, die es nicht gewagt hatte sich in derselben Dimension aufzuhalten wie er, an Syaoran, der mit entschlossenem Blick Sakura fest im Arm hielt, und an den abschätzenden Blick aus blutroten Augen. Er war nicht aus Zufall dorthin gekommen, sondern um den Preis für seinen Wunsch zu bezahlen. Der letzte Wunsch, der ihm geblieben war. Er hatte jenen schwarz gekleideten Mann mit einem Lächeln gemustert, dessen selbstsichere Haltung und den festen, herablassenden Blick aus roten Augen bewundert. Er war derjenige, gegen den Fai würde antreten müssen, sein Gegenspieler. Die Spielfigur der Hexe. Jener Mann, den er er wahrscheinlich töten musste. Und während Fai ihn weiter beobachtet hatte, war ihm allmählich klar geworden, dass es ihm vielleicht nicht gelingen würde. „Ich glaube du hast nicht einmal versucht darüber nachzudenken wie wir die anderen finden oder hier wegkommen.“ Kurogane ballte wütend die Hand zur Faust. „Genau wie damals in Yasha.“ Es war eine etwas weit hergeholte Anschuldigung, doch ganz falsch lag er damit nicht. Fai schüttelte langsam den Kopf, verwundert über den plötzlichen Zorn in der Stimme seines Gefährten. „Natürlich habe ich darüber nachgedacht, wie-...“ begann er, doch Kurogane unterbrach ihn mit schneidend kalter Stimmer. „Wie wäre es dann, wenn du deine Magie benutzt um dein Bein zu heilen,“ schlug sein Gefährte vor während er Fai finster, beinahe herausfordernd anstarrte, „oder um herauszufinden wo die anderen sind?“ Fai zwang sich dem Drang zu widerstehen die Augen zu schließen, sie vor dem Gespräch zu verschließen, das ihm bevorstand. Er wäre am liebsten weggelaufen, doch er wusste bereits, dass es keine Zweck hatte. Magie. Darum ging es also. Er hatte gewusst, dass Kurogane ihn nicht so einfach davon kommen lassen würde. Seine Lügen hatten ihn endlich eingeholt und er balancierte erneut auf Messers Schneide. Er kannte dieses Spiel, diesen gefährlichen Tanz, und er wusste auch, dass ihn eine falsche Bewegung, ein falsches Wort das Gleichgewicht kosten konnte. Es war nicht mehr dasselbe Spiel wie zu Beginn ihrer Reise, denn es war schwieriger geworden, mit jedem Blick, jedem Wort, jedem Schritt, jeder Entscheidung und jedem Lächeln hatte er sich tiefer in sein dichtes Netz aus Lügen verstrickt, so dass er kaum noch atmen konnte. Dennoch musste er nun eine weitere Karte auf das Dach des wankenden Gebildes legen, in der Hoffnung, dass es nicht unter seinen Füßen in sich zusammenbrach. „Ich kann nicht,“ erwiderte Fai schließlich vage und zwang sich das schale Lächeln auf seinen Lippen aufrecht zu halten. „Ja, das habe ich mir gedacht.“ Der abfällige Ton in Kuroganes Stimme und die Ablehnung in seinen Augen trafen Fai wie ein Schwerthieb und er hatte Mühe es sich nicht anmerken zu lassen. Er schüttelte ratlos den Kopf. „Ich meine es ernst, ich konnte noch nie Heilzauber benutzen, ganz egal wie sehr ich versucht habe es zu lernen.“ Kurogane starrte ihn weiter an und mit einem Mal war da ein kalter Hass in seinen Augen, der Fai unwillkürlich zurückweichen ließ. Komisch, dieses beklemmende Gefühl der Hilflosigkeit, wenn man die Wahrheit sagte und einem keiner glaubte. Eine ironische Wendung, die er wohl verdient hatte. „Es muss einen anderen Weg geben,“ sagte Fai schließlich und versuchte seine Stimme versöhnlich klingen zu lassen. Dieses Gespräch musste ein Ende finden, ehe er das Gleichgewicht verlor. „Wir werden die anderen schon finden. Wir sind erst seit zwei Tagen hier.“ Doch Kurogane war nicht bereit nachzugeben. „Das letzte Mal saßen wir ein halbes Jahr fest. Aber das würde dir ziemlich gut passen, oder?“ Der schneidenden Ton in seiner Stimme machte deutlich, dass Kurogane an einem Waffenstillstand nicht interessiert war. Er war ein Krieger und er würde diese Schlacht bis zum Ende kämpfen, ganz gleich welchen Ausgang sie nahm und was am Ende noch von ihnen übrig blieb. Doch Fai war kein Kämpfer, er hasste Auseinandersetzungen und statt Kurogane entgegenzutreten, tat er was er am Besten konnte: Er lief davon. „Ich bedaure, dass du so denkst,“ antwortet er matt, ehe er sich von seinem Gefährten abwandte und auf den Stab gestützt in Richtung des Baches davon humpelte. Er war nicht weit gekommen, ehe Kuroganes Stimme ihn erneut innehalten ließ. „Es ist nicht nur, dass du nicht mehr in deine Heimat zurück kannst, weil man dich verfolgt,“ mutmaßte Kurogane und Fai spürte, wie sich der scharfe Blick des Ninja in seinen Rücken bohrte, „du willst es gar nicht, oder?“ Fai ballte die zitternden Finger seiner freien Hand zur Faust, während die anderen fest den Stab umklammerten. Nahe dran, zu nahe. Die Klinge unter seinen Füßen war ins Wanken geraten und er kam bedrohliche nahe daran seine Balance zu verlieren, doch Kurogane sprach erbarmungslos weiter. „Gibt es dort nichts, dass du zurückgelassen hast? Nichts, für das du zurückkehren willst?“ Fai schloss die Augen und ließ den Schmerz, der ihn erfasste über sich hinweg schwemmen. Wie hatte er nur zulassen können, dass dieses Gespräch so aus dem Ruder lief? Wie hatte er sich so leicht durchschauen lassen können? Wann hatte er zugelassen, dass dieser Mann, der eigentlich sein Feind hätte sein sollen, nahe genug an ihn herankam um ihn allein mit Worten zu verletzten, wo er sich doch geschworen hatte, es niemals wieder zu tun, niemals wieder zu vertrauen? „Nein,“ antwortete er schließlich tonlos und wollte eben weitergehen, als er doch noch einmal innehielt und sich umdrehte. „Ich kann den Fluch spüren, der auf dir liegt,“ erklärte er plötzlich sanft, während sich ein schmales, trauriges Lächeln auf seine Lippen schlich. „Du kannst nicht töten ohne dich selbst zu schwächen. Es ist ein starker Zauber, aber wer auch immer ihn gewirkt hat, hatte nur gute Absichten. Ich kann verstehen, warum du zu einem solchen Menschen zurückkehren willst.“ Mit diesen Worten drehte sich Fai um und humpelte davon, ehe ihn Kurogane erneut aufhalten konnte. Dieser jedoch stand nur da und sah seinem Gefährten sprachlos und verärgert zugleich nach. 6 - VI | Dunkelheit füllte den Innenraum der Hütte und das leise Rascheln der Blätter in einer sanften, kühlen Brise drang durch das Fenster mit der zerbrochenen Scheibe herein, als Fai plötzlich mitten in der Nacht wieder erwachte. Er lag neben der Feuerstelle in seinen Mantel gehüllt und öffnete langsam die Augen, während er allmählich den traumlosen Schlaf abstreifte. Etwas hatte ihn geweckt, doch er konnte nicht genau sagen was es gewesen war. Eine Stimme oder eine Berührung? Er erinnerte sich vage an ein seltsames Geräusch, wie Metall, das auf Stein schlug, konnte aber nicht sagen, ob es tatsächlich da gewesen war oder nur in seiner Einbildung existiert hatte. Schlaftrunken strich er sich mit halb offenen Augen die kinnlangen, blonden Strähnen aus der Stirn. War es schon Zeit für seinen Teil der Nachtwache? Hatte Kurogane ihn geweckt? Sie beide hatten den Rest des Tages in missmutigem Schweigen verbracht und waren einander aus dem Weg gegangen so gut es in der kleinen Hütte nach Anbruch der Dunkelheit eben möglich gewesen war. Sie hatten etwas gegessen und ohne ein Wort zu wechseln hatte Kurogane die erste Wache der Nacht übernommen, während Fai sich auf seiner Seite des Feuers in seinen Mantel kuschelte und die Augen schloss. Doch nein, Kurogane war verschwunden. Es war das erste, das Fai auffiel, dann bemerkte er, dass das Feuer in der Mitte der kleinen Hütte beinahe erloschen war. Nur schwach glühten die heruntergebrannten Kohlen in der Finsternis der Nacht. Vielleicht war Kurogane in den Wald gegangen um neues Brennholz zu holen? Doch nein, Fai entdeckte einen Stapel mit trockenen Ästen und Zweigen nicht unweit von der Stelle entfernt, an der er selbst zusammengerollt lag. Müdigkeit drückte auf Fais Lider, die immer schwerer wurden, und der Schlaf rief verlockend seinen Namen. Wahrscheinlich war Kurogane zum Bach hinüber gegangen um sich zu erfrischen, überlegte Fai, während er sich erneut dem trägen Schlummer hingab. Fai schloss die Augen, nur um sie im gleichen Moment wieder schlagartig zu öffnen. Da war es wieder, das Geräusch. Metall auf Stein. Fai setzte sich auf, griff nach dem langen Stock, der an seiner Seite lag und zog sich daran hoch. Er war mit einem Mal hellwach. Er verzog das Gesicht und biss die Zähne zusammen als der Schmerz seinen Knöchel empor schoss. Nichtsdestotrotz humpelte er mit einem Arm auf den Stock gestützt am beinahe erloschenem Feuer vorbei hinüber zum Eingang der Hütte und warf einen Blick hinaus. Erneut vernahm er das Geräusch aus der Richtung in der die Mitte des kleinen Dorfes und der alte Brunnen lagen. Eine bekannte Stimme gesellte sich dazu, doch sie war so leise, dass Fai nicht sagen konnte was Kurogane sprach und mit wem. Da er sich mit seiner Verletzung unmöglich anschleichen konnte und Kurogane seine Anwesenheit wahrscheinlich selbst bei bester Gesundheit sofort bemerken würde, gab Fai sich keinerlei Mühe leise zu sein, als er vor die Hütte hinaus trat und in die Richtung humpelte in der er vage die Gestalt seines Reisegefährten auszumachen glaubte. Die Nacht schwieg still. Kein Wind ging durch das Blätterwerk in den Bäumen oder die dornigen Sträucher am Rande des Dorfs, kein Vogel sang ein spätes Schlaflied, nur das Geräusch von Fais hinkenden Schritten durchbrach die Finsternis, beinahe als stände die Zeit still. Kurogane stand dort regungslos beim Brunnen mit blank gezogenem Schwert im schwachen Mondlicht. Fai blieb stehen, er konnte lediglich die Silhouette seines Gefährten ausmachen und die im diffusen Licht schimmernde Klinge. Fai vernahm Kuroganes leise Stimme, doch er konnte noch immer kein Wort von dem verstehen, was dort gesprochen wurde. War dort noch jemand? Vielleicht verborgen in der Dunkelheit zwischen den anderen Hütten? Fai machte einen weiteren Schritt und öffnete bereits den Mund um den Namen seines Gefährten zu rufen, als der große Ninja plötzlich mit blitzender Klinge zu ihm herumfuhr und Fai mitten in der Bewegung verharren ließ. Fais Augen weiteten sich vor Überraschung, als er den tiefen, kochenden Hass bemerkte, der Kuroganes Gesicht zu einer grimmigen Maske verzerrte. Er hatte noch niemals einen solch gnadenlosen Ausdruck bei seinem Reisegefährten gesehen. „Verräter,“ zischte Kurogane mit einem Mal, als er Fai entdeckte. Er spukte das Wort aus, als läge es wie Gift auf seiner Zunge. Die tief roten Augen glühten beinahe wie lodernde Flammen in der Dunkelheit. Fai erstarrte. Ein eisiger Schauer jagte ihm über den Rücken. Das Wort traf ihn wie ein Schwertstich in die Brust und ließ ihn unwillkürlich zurückweichen. Was wusste Kurogane? Mit wem hatte er gesprochen? Wer hatte Fai verraten? War es die Hexe gewesen? Die Fragen rauschten durch seinen Kopf und eine plötzliche Furcht lähmte seine Gedanken, hielten ihn davon ab klar zu denken. Er konnte nichts weiter tun als stumm in Kuroganes lodernde Augen zu starren und zu hoffen, dass diese Situation nur ein Albtraum war, dass er in Wirklichkeit noch immer in der Hütte schlief. Fai hatte keine Plan für eine Situation wie diese, keine Ausrede, keinen Fluchtweg, keine Lüge. Es war ihm, als wäre der Boden unter seinen Füßen eingebrochen, als hätte die scharfe Klinge auf der er so lange mit traumwandlerischem Leichtsinn getanzt hatte letztendlich ein Schnippchen geschlagen und eingefordert was er ihr so lange wie im Spott versagt hatte. „Du warst es die ganze Zeit.“ Kuroganes Stimme bebte vor brodelndem Zorn. In Sekundenschnelle, schneller als Fai blinzeln konnte, stand Kurogane plötzlich neben ihm. Er schwang sein Schwert, die Klinge schnitt singend durch die kühle Nacht, blitzend im Mondlicht, ehe sie eine Haaresbreite von Fais Kehle entfernt verharrte. Fai hatte noch nicht einmal den Versuch unternommen zurückzuweichen. Die flinke Gewandtheit, mit der er sich gewöhnlich mühelos bewegte, war stumm und leise in der Finsternis verschwunden. Anmut und Leichtfüßigkeit hatten ihn verlassen, während er nichts weiter tun konnte als dem schneidenden Hass in Kuroganes Augen mit tiefer Furcht zu begegnen. Die Kälte hatte seine Muskeln und Glieder zu Eis erstarren lassen. Ein kühler Windhauch fuhr plötzlich über den Dorfplatz, raschelte in den Büschen und trieb einige Strähnen seines sandfarbenen Haares in Fais Stirn. „Wo ist das Schwert?“ Kuroganes Stimme zitterte, als müsse er sich dazu zwingen die Worte hervor zu pressen und den Drang zu unterdrücken die schneidende Klinge tief in Fais Körper zu bohren. Fai stellte überrascht fest, wie mit einem Mal Verunsicherung in den rot glühenden Augen aufblitze, nur um den Bruchteil einer Sekunde später Argwohn zu weichen. „Du hattest es eben noch.“ Irgendwo im Schatten des Waldes begann eine Nachtigall zu singen. „Welches Schwert?“ erwiderte Fai matt. Er fühlte sich plump und schwer, das Gewicht auf seinen Schultern drohte ihn zu erdrücken. Der Schmerz in seinem Bein wurde allmählich unerträglich und er wusste nicht, wie lange er sich noch auf den Beinen halten konnte. „Das Schwert mit dem meine Mutter ermordet wurde,“ antwortete Kurogane zornig. „Du hattest es eben noch in der Hand. Ist das einer deiner Zaubertricks?“ Ein schmales, trauriges Lächeln schlich sich auf Fais Lippen, als ihm klar wurde, dass Kurogane gar nichts wusste. Erleichterung überkam ihn und wusch über ihn hinweg. Er taumelte einen Schritt zurück und sank auf die Knie, während die scharfe Klinge ihm die Haut am Hals aufritzte. Nicht tief genug, dass Blut floss, nur so weit um einen tiefroten Schnitt zu hinterlassen. Der Stab fiel mit einem dumpfen Geräusch neben ihm auf den Boden. „Ich habe in meinem ganzen Leben noch kein Schwert in der Hand gehabt.“ Fai schloss die brennenden Augen und grub seine Finger tief in die weiche, feuchte Erde. „Du hattest es eben noch.“ Hörte er Kurogane leise die Worte wiederholen wie um sich selbst von ihrer Richtigkeit zu überzeugen, während er noch immer das Schwert vage in Fais Richtung hielt. „Ich habe es gesehen.“ Fai biss die Zähne zusammen und zwang die Tränen zurück, die sich in seinen Augen bildeten. Waren es Tränen der Erleichterung oder der Enttäuschung, Fai konnte es nicht mit Sicherheit sagen, doch er war nicht bereit sie zuzulassen. „War es nur eine Illusion?“ Er spürte, wie Kurogane langsam sein Schwert zurück zog und eine Schritt auf Fai zu machte. Ehe er jedoch weitergehen konnte, sah Fai auf und streckte den Arm aus um ihn aufzuhalten. „Komm nicht näher!“ Kurogane hielt in der Bewegung inne. Fai brachte es nicht über sich seinem Reisegefährten in die Augen zu sehen und starrte stattdessen verbissen auf einen Punkt an dessen Schulter. Einige Fäden ragten an einer Stelle aus dem Stoff des Mantels hervor, wo eine Naht aufgerissen war. Hatte Kurogane geträumt oder halluziniert? Fai konnte es nicht sagen. Hatte er Fai wirklich mit dem Schwert in der Hand gesehen, das seine Mutter getötet hatte? War es ein Zauber gewesen, den Fai nicht gespürt hatte? Er wusste es nicht. Was er jedoch mit unumstößlicher Sicherheit wusste, war dass Menschen in seiner Umgebung früher oder später den Verstand verloren, dass ihnen ein Unglück widerfuhr, dass sie wahnsinnig wurden und oft schnell starben. Hatte der Fluch, der sein ganzes Leben bestimmt hatte, von seiner Geburt bis zu diesem Moment, ihn letztendlich eingeholt? War das der Grund dafür, das diese seltsamen Dinge in dieser seltsamen Welt geschahen? Kurogane, der im ersten Moment gezögert hatte, schlug Fais Befehl nun in den Wind, überwand in wenigen Schritten den Abstand zwischen ihnen und packte Fais ausgestreckten Arm um ihn wieder auf die Beine zu ziehen. Für einen winzigen Moment begegneten sich ihre Augen – Kobaltblau traf auf Glutrot – dann ging Kurogane wortlos an Fai vorbei und verschwand in den Schatten der Hütten und des hohen Grases, das am Dorfrand wuchs, in Richtung des kleinen Baches. Fai verharrte eine ganze Weile regungslos um sich zu sammeln, dann hob er seinen Stab auf und humpelte zur Hütte zurück. Als er das Innere betrat, warf er einige Zweige und Rindenstücke in die erloschene Glut. Wortlos hob er die Hand und schrieb mit dem Zeigefinger eine Rune in die klare Nachtluft, während die warme Vertrautheit seiner Magie ihn sanft umschmiegte. Er formte mit den Lippen einen stummen Befehl ehe er die Schriftzeichen behutsam auf die Feuerstelle hinunter blies. Zwischen den Zweigen und Rindenstücken stoben plötzlich wie aus dem Nichts golden glühende Funken empor, ehe mit einem Mal zuckende Flammen aufloderten. Fai lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und ließ sich an ihr herab sinken, während er mit leerem Blick in das Feuer hinab starrte. Er war müde, unendlich müde, und der Schlaf drückte schwer auf seine Lider. Und obwohl er nichts lieber wollte als sich dem süßen, traumlosen Vergessen hinzugeben, zwang er sich wach zu bleiben. Es dauerte kaum eine halbe Stunde, ehe Fai leise, beinahe lautlose Schritte vernahm, die sich der Hütte näherten, und Kuroganes große, dunkle Gestalt im Eingang erschien, das Schwert in der Hand. Wortlos setzte sich Kurogane auf seine Seite des Feuers, dann nahm er einen ledernen Lappen aus einer der Innentaschen seines Mantels und zog sein Schwert blank. Fai beobachtete, wie sein Gefährte begann mit geübten Handbewegungen die scharfe Klinge zu reinigen, die im Licht der orangeroten Flammen schimmerte. Es dämmerte inzwischen und die Finsternis zog sich allmählich zurück bis nur noch die langen Schatten zurückblieben. „Woher hast du das Schwert?“ fragte Fai plötzlich in das Schweigen hinein. Kurogane hielt in der Bewegung inne und sah ihn über das Feuer hinweg ratlos an, als verstünde er die Frage nicht. Noch immer war dort ein Funken Argwohn in seinen tieferoten Augen. „Du hattest es nicht in der Hand, als wir Record verlassen haben,“ erläuterte Fai daraufhin schlicht, die Stimme neutral, tonlos. „Wo hast du es gefunden?“ Kurogane schien zu überlegen. „Ich hatte es, als ich in dieser Welt angekommen bin.“ Fai erwartete, dass Kurogane, nachdem sie diese Frage eindeutig nicht geklärt hatten, sich wieder stumm seiner Arbeit zuwenden würde, doch er hatte sich geirrt. Kurogane hielt weiterhin fest den Blick auf ihn gerichtet, so lange bis Fai schließlich den Drang verspürte zur Seite zu schauen, stattdessen jedoch hob er fragend eine Augenbraue. „Warum bist du nicht ausgewichen, als ich dich angegriffen habe?“ Die Frage stand zwischen ihnen wie eine stumme Herausforderung. Fai schwieg, er hatte keine Antwort darauf, keine ehrliche zumindest. Kurogane sprach weiter, als hätte er mit eben dieser Reaktion von Fai gerechnet. „Es ist verdammt schwer jemanden zu beschützen, dem nichts an seinem eigenen Leben liegt.“ Fai starrte seinen Gefährten fassungslos an, der vor einer knappen Stunde noch kurz davor gewesen war Fais Leben eigenhändig zu beenden statt es zu bewahren. Doch er verbiss sich einen spöttischen Kommentar, es gab eine richtigen Zeitpunkt für alles und dies war nicht der Moment Kurogane unnötig zu provozieren. „Ich habe niemals darum gebeten, beschützt zu werden,“ erwiderte er deshalb schlicht und zwang ein mattes Lächeln auf seine Lippen. „Nein, hast du nicht.“ In Sekundenschnelle zog Kurogane ein kleines Messer aus einer der Innentaschen in seinem Mantel, drehte es in der Hand und warf es mit unglaublicher Geschwindigkeit in Richtung von Fais Kopf. Fai reagierte in letzter Sekunde, als die scharfe Spitze des Messers nur noch eine Haaresbreite von seinem Gesicht entfernt war. Er warf seine Kopf zur Seite und für den Bruchteil einer Sekunde schwand das Lächeln von seinen Lippen und wich einem dunkleren und kälterem, einem gefährlichen Ausdruck, der so schnell wieder verblasste, wie er erschienen war. Das Lächeln, heiterer als zuvor, war wieder zurück auf Fais Lippen noch ehe sich die scharfe Klinge des Messers in den bröckelnden Mörtel zwischen den Mauersteinen bohrte. „Was soll der Unsinn, Kuro-rin?“ Die Leichtigkeit in Fais Lächeln reichte nicht seine Augen, doch das tat sie nie. Die kobaltblauen Augen blieben kalt und distanziert, während sie jeder von Kuroganes noch so kleinen Bewegungen folgten. „Du bist schnell und offensichtlich dazu in der Lage dich zu verteidigen,“ stellte Kurogane kühl fest und ignorierte die Verunstaltung seines Namens. „Was ich nicht verstehe, ist warum du dich nicht wehrst anstatt jedem Angriff nur auszuweichen und davon zu laufen.“ Fai bedachte ihn mit einem langen Blick, doch als er den Mund öffnete um mit einer Albernheit das Thema zu wechseln, kam ihm Kurogane zuvor. „Behalte dein falsches Lächeln, deine albernen Witze und deine Distanz. Bleib dabei Fragen zu meiden und vor jedem wegzulaufen, der versucht dem nahe zu kommen, was auch immer du zu verbergen versuchst,“ fuhr Kurogane mit gesenkter Stimme fort, während der Ausdruck in seinem Gesicht sich zunehmend verfinsterte. „Aber fang endlich an richtig zu kämpfen oder du bringst uns noch alle in Gefahr.“ Fai spielte mit dem Gedanken Kurogane darauf hinzuweisen, dass die einzige Gefahr für Fai in den letzten Stunden von dem missgestimmten Ninja selbst ausgegangen war, verbiss sich aber den Kommentar, als Kurogane schließlich hinzufügte: „Du kannst deine Lügen behalten, aber du wirst deinen Feinden selbst gegenüber treten müssen. Ich kann dir nur den Rücken freihalten.“ Fai zog das Messer aus der Wand, betrachtete es einen Augenblick lang und warf es dann mit einer schnellen, geschickten Bewegung zurück in Kuroganes Richtung, der es träge mit der Hand in der Luft fing. „Was weißt du schon von meinen Lügen?“ Kurogane hob eine Augenbraue und starrte Fai über die Flammen hinweg finster an. „So einiges,“ erwiderte er frostig. „Ich bekomme sie jedes Mal zu hören, wenn ich dich etwas frage.“ Fai starrte mit klirrend kalten kobaltblauen Augen zurück, das Lächeln war von seinen Lippen verschwunden und seine Stimme klang bitter, als er schließlich sprach. „Vielleicht solltest du mir dann keine Fragen stellen.“ 7 - VII | Weder Fai noch Kurogane hatten in dieser Nacht ein Auge zugetan und als es schließlich zu dämmern begann, stand Kurogane auf und nahm sein Schwert. Er würde keine Sekunde länger als nötig in diesem verdammten, verfluchten Dorf bleiben. Wäre da nicht der bescheuerte Magier mit seiner dämlichen Verletzung so hätte er diesen verteufelten Ort schon nach ihrer ersten Nacht dort wieder verlassen. „Gehen wir,“ befahl Kurogane mit fester Stimme, die keinen Widerspruch zuließ. Nicht dass Fai den Eindruck erweckte, als wollte er lieber in der Hütte bleiben. Kurogane kam nicht umhin zu bemerken, dass das Gesicht des Magiers mit jedem Tag, den sie in dieser Welt verbrachten, blasser geworden war und es ihm zunehmend schwerer fiel das heitere Lächeln aufrecht zu halten. Mehr als einmal war ihm bereits aufgefallen, dass die Lippen des Magiers eine ungewöhnliche gerade, dünne Linie bildeten. Und obwohl er sich oft gewünscht hatte Fai das alberne Grinsen aus dem Gesicht schlagen zu können, erweckte dessen Abwesenheit nun sein Misstrauen. Er beobachtete wie Fai nach dem Stock griff und sich mit dessen Hilfe langsam aufraffte. Kurogane entging nicht wie Schmerz in den himmelblauen Augen des blonden Magiers aufblitzte, als dieser das verletzte Bein belastete. Sie würden nicht schnell voran kommen und da Fai dazu tendierte seinen physischen Zustand zu verbergen und keinen Mucks zu machen, wenn er dringend eine Pause benötigte, würde Kurogane umso mehr darauf achten müssen. Doch es half alles nichts, sie mussten diesen verfluchten Ort so schnell wie möglich verlassen und ihre Reisegefährten finden. Kurogane würde keine weitere Nacht in diesem verdammten Dorf verbringen und wenn er Fai dafür tragen musste. Etwas stimmte so ganz und gar nicht mit dieser Ansammlung zerfallener, verlassender Hütten und dem verdammten, finsteren Wald. Nichts in dieser verfluchten, menschenleeren Welt ergab einen Sinn. Weder die albtraumhaften Kreaturen, die Fai in der ersten Nacht hier grundlos angefallen hatten, noch die Tatsache, dass der Wald ihn selbst gefangen gehalten hatte wie in einem Käfig aus Bäumen und Sträuchern, und insbesondere nicht die Ereignisse der letzten Nacht. Sie verließen die Hütte und gingen im Schatten der Bäume am Waldrand entlang nach Osten. Die Sonne stieg langsam am Himmel empor und es versprach bald ein warmer, wolkenklarer Tag zu werden. Die Vögel zwitscherten fröhlich hoch oben im Geäst der Bäume zwischen den dichten sommergrünen Blättern und eine sanfte Brise fuhr durch das hohe, saftig grüne Gras, das sich bis zum Horizont hin erstreckte und Wellen gleich im Wind wogte. Ein Tag wie aus einem Bilderbuch, Kurogane verzerrte missmutig das Gesicht, beinahe als wolle ihn der Himmel wegen seiner Paranoia verspotten. Doch der Himmel war Kurogane egal, war es schon immer gewesen. Er ließ sich von dieser scheinbaren Idylle nicht zum Narren halten. Sie waren schon einige Stunden unterwegs und hatten immer wieder kleinere Pausen eingelegt. Fai ging ungewöhnlich schweigend neben Kurogane, einen Arm auf den Stock gestützt, die andere in der tiefen Manteltasche vergraben. Die Ereignisse der vergangenen Nacht hatten ihm wohl die Sprache verschlagen oder beschäftigten ihn zumindest ebenso sehr wie Kurogane selbst. Er hatte das Geschehen bereits zig Mal in Gedanken wiederholt und konnte sich noch immer keinen Reim daraus machen. Er konnte sich daran erinnern wie er mitten in der Nacht aus der Hütte gegangen war um sich mit ein paar einfachen Schwertübungen wach zu halten. Er war zum Brunnen hinüber gegangen und hatte sein Schwert blank gezogen. Das Schwert, das er eigentlich nicht haben sollte, wie Fai richtig bemerkt hatte. Kurogane war es so sehr gewohnt ein Schwert bei sich zu tragen, dass er dessen Vorhandensein kein einziges Mal in Frage gestellt hatte, doch Fais Worte entsprachen der Wahrheit, er hatte es nicht gehabt, als sie aus Record geflohen waren. Eine weitere unbeantwortete Frage. Draußen im schwachen Mondlicht, als er mit einigen einfachen Übungen begonnen hatte seine Muskeln zu lösen, war mit einem Mal eine vertraute Gestalt aus den tiefen Schatten zwischen den Hütten hervorgetreten. Kurogane war in der Bewegung erstarrt, als er die beinahe geisterhafte Erscheinung seiner Mutter erkannt hatte, die regungslos verharrte und keinen Tag gealtert war seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Er hatte sie angesprochen, doch sie hatte nicht reagiert, bis er mit einem Mal mit leiser, vertrauter Stimme, die Kuroganes Herz einen Schlag aussetzten ließ, gesagt hatte: „Du weißt wer mich getötet hat.“ Sie hatte ihre blasse Hand gehoben und mit dem Finger auf jemanden gezeigt, der hinter Kurogane stand. Als er sich auf ihren Befehl umdrehte, hatte er Fai entdeckt, der das Schwert hielt. Das verfluchte Schwert mit dem seine Mutter ermordet worden war, das Schwert, dessen Träger er niemals zu Gesicht bekommen hatte. Es verschwand jedoch in jener Sekunde als Kurogane nahe genug an Fai heran gekommen war um mit der scharfen Klinge seines Schwerts dessen Leben zu beenden. Die Waffe in Fais Hand war kein Schwert gewesen, es war nicht einmal eine Waffe, sondern nur der Stock, den Kurogane selbst ihm gegeben hatte. Es musste eine Illusion gewesen sein, eine Halluzination. Ein Trick. Jemand hatte ihn hinters Licht führen wollen und ihn dazu bringen sich gegen Fai zu wenden. Kurogane ballte die Hand zur Faust. Und was hatte der dämliche Magier getan, dieser nichtsnutzige, elende Idiot? Nichts. Er hatte einfach nur da gestanden und darauf gewartet, das ihm Kurogane den Kopf vom Hals schnitt, als hätte er jedes Recht dazu. Er war nicht einmal zur Seite gewichen und davon gelaufen wie er es doch sonst immer so elegant tat. Was war nur los mit diesem lebensmüden Wahnsinnigen? Kurogane konnte beim besten Willen nicht begreifen, warum Fai nicht bereit war sein eigenes Leben zu verteidigen und sich zu wehren. „Warum glaubst du ist mein Leben es wert beschützt zu werden?“ Kurogane sah überrascht auf, als Fai neben ihm mit gesenkter Stimme zu sprechen begann, als hätte er Kuroganes Gedanken gelesen. Wer wusste schon wozu der Magier in Wirklichkeit fähig war, wenn doch sonst nichts an ihm echt war. Weder seine Gesten, sein Lächeln oder seine Worte. Kurogane betrachtete den blonden Magier nachdenklich und verärgert zugleich. Fai hatte den Blick steif auf den unsichtbaren Weg vor ihm gerichtet, seine Lippen bildeten eine blasse Linie. Es war ungewöhnlich. Nicht dass Fai sprach, denn Fai konnte, zu Kuroganes Missfallen, einen ganzen Tag lang ununterbrochen reden, ohne dabei tatsächlich irgendetwas zu sagen. Aber dass Fai ihm eine so offene Frage stellte, die ihn selbst betraf, war noch nie vorgekommen. Natürlich aber, wie hätte es auch anders sein können, musste es sich dabei um eine ganz besonders dämliche Frage handeln, die nur dem verflucht, verdrehten Spatzenhirn eines Magiers entspringen konnte. Kurogane spielte einen Moment lang mit dem Gedanken Fai zu ignorieren, entschied sich dann jedoch dazu, dass es besser war zu antworten. Wer konnte schon wissen, ob Fai nicht ausnahmsweise einmal ehrlich zu ihm sein würde? „Weil ich immer die Leben derjenigen schütze, die an meiner Seite kämpfen,“ erwiderte er schließlich ohne ein Zögern in der Stimme. Es war die Wahrheit. Kurogane sah keine Sinn darin andere zu belügen. Lügen hatten in seiner Lebenspraxis keinen Nutzen, sie waren nur dazu gut alles komplizierter zu machen, jedoch nicht dazu geeignet Probleme zu lösen, sie wirklich zu lösen. Lügen waren nur ein Schein und ein Weg sich selbst zu betrügen. „Auch wenn sie nicht kämpfen?“ Fais Stimme verriet nichts über die Gedanken, die bei diesen Worten durch seinen verqueren Kopf schwirrten, auch der Ausdruck in seinem Gesicht blieb unverändert.“ Kurogane seufzte lautlos. Er war nicht auf diese Reise gegangen um mit einem unverbesserlich dämlichen Magier über denn Sinn des Lebens zu diskutieren. Es war eine absolut ziellose und nutzlose Diskussion, wenn man einmal davon absah, dass er diese Reise überhaupt nicht freiwillig angetreten hatte, sondern angeblich um selbst eine Lektion über das Leben zu erteilt zu bekommen. Nun gut, da konnte er wohl auch ebenso gut teilen, was er bisher gelernt hatte. „Jedes Leben ist kostbar,“ erwiderte er schließlich. Er wusste, dass seine Worte der Wahrheit entsprachen und er war von ihrer Richtigkeit überzeugt. „Es ist das wertvollste, das wir besitzen, denn einmal verloren kann es nicht wiederhergestellt werden.“ Kurogane kam nicht umhin zu bemerken, wie sich der Ausdruck in Fais Augen bei diesen Worten verfinsterte. Er wusste nicht weshalb und Fai würde es ihm mit Sicherheit nicht sagen. „Was, wenn ich jemanden getötet habe?“ Eine ungewöhnliche Bitterkeit erfüllte die Stimme des Magiers, als er die Frage stellte. „Oder Tausende?“ „Tausende?“ wiederholte Kurogane die Frage und schnaubte höhnisch. „Das glaube ich nicht.“ Fai blieb stehen und sah überrascht auf. Seine leicht geweiteten, kobaltblauen Augen trafen auf die Kuroganes. „Warum nicht?“ „Weil du schon daran zerbrechen würdest, wenn du nur einen einzigen töten müsstest.“ Kurogane schüttelte beinahe unmerklich den Kopf. Was für eine bescheuerte Unterhaltung. Er konnte unmöglich feststellen wie viel Wahrheit in Fais Worten lag, doch so wie er den Magier einschätze konnte es nicht allzu viel sein. Und selbst wenn, so interessierte es Kurogane nicht besonders. Er brauchte nichts über die Vergangenheit des Magiers zu wissen und vielleicht wollte er es auch gar nicht. Alles was ihn interessierte war, dass Fai endlich begriff, dass er sein Leben schützen musste, um nicht andere dazu zu zwingen diese Aufgabe für ihn zu übernehmen. Aber Kurogane glaubte nicht, dass der Magier das verstand oder überhaupt verstehen wollte. „Was wenn ich Schuld an ihrem Tod habe?“ Was auch immer geschehen war, Fai schien es nicht loszulassen und Kurogane wurde allmählich wütend. Hörte der Magier ihm überhaupt zu? Hatte er auch nur ein einziges Wort von alledem gehört, das er ihm auf dieser Reise gesagt hatte? „Hast du ihren Tod gewollt?“ fragte er deshalb nun mit deutlicher Ungeduld in der Stimme. Er war noch niemals ein besonders geduldiger Mensch gewesen. Er konnte anderen beibringen mit einer Klinge umzugehen, doch Ordnung in den verworrenen Schädel eines irren Magiers zu bringen, so dass er wieder klar denken konnte, ging weit über seine Kompetenzen hinaus. „Hast du die Klinge geführt, die ihr Leben beendet hat?“ Fai setzte dazu an etwas zu sagen, doch Kurogane konnte bereits in seine Augen erkennen, welche Antwort ihm auf den Lippen lag. „Dann ist auch kein Blut an deinen Händen,“ fuhr er grimmig fort ohne Fai zu Wort kommen zu lassen. „Mein Klinge hingegen hat vermutlich wirklich Tausende getötet.“ Fai starrte ihn einen Augenblick lang fassungslos an, als wüsste er nicht, was er mit diesen Worten anfangen sollte, dann wandte er sich schließlich wortlos um und ging weiter. Kurogane folgte ihm ebenfalls schweigend. 8 - VIII| Die Nachmittagssonne stand inzwischen hoch am blauen, wolkenlosen Himmel und ein leichte, warme Brise fuhr durch das endlose Meer an hohen Grashalmen, das sich bis zum Horizont hin erstreckte. Die Halme wogten im Wind wie sanfte Wellen. Fai humpelte auf seinen Stock gestützt an Kurogane vorbei und versuchte verbissen den pochenden Schmerz in seinem Bein zu ignorieren, während er sich die Worte des Ninjas durch den Kopf gehen ließ. Wie leicht es doch sein würde ihnen Glauben zu schenken, sie über sich hinweg waschen zu lassen, um alle Schuldgefühle, jeden einzelnen Fehler den er gemacht hatte, hinfort zu schwemmen. Welch eine Erleichterung es sein würde, die Verantwortung von sich zu stoßen, die Last von seinen Schultern zu nehmen und ein Leben frei vom Gewicht seiner Vergangenheit führen zu können. Aber nein, das los zulassen woran er sein Leben lang geglaubt und wonach er gelebt hatte, war nicht leicht. Wenn er jemals beschließen sollte es zu versuchen, würde es wahrscheinlich das Schwierigste sein, das er jemals in seinem Leben getan hatte, sofern es ihm denn überhaupt gelingen mochte. Seine Wünsche wogen schwer auf seinen Schultern, doch es war eine Last, die er sich selbst aufgebürdet hatte. Fai machte einen weiteren Schritt und hielt dann plötzlich in der Bewegung inne. Etwas lag direkt vor ihm, er konnte es spüren. Er konnte die Magie spüren, die es verbarg. Als Kurogane zu ihm aufschloss und mit einem fragenden Seitenblick an ihm vorbei gehen wollte, streckte Fai den Arm aus um ihn aufzuhalten. „Halt, geh nicht weiter,“ warnte Fai ohne den Blick von dem zu nehmen, das vor ihnen lag. Kurogane blieb neben ihm stehen und Fai konnte dem verwunderten, argwöhnischen Ausdruck in seinem Gesicht entnehmen, dass der Ninja nichts bemerkt hatte. Fai jedoch ließ sich nicht beirren, und streckte den Arm gerade vor sich aus, als wolle er die Luft berühren. „Da ist eine Barriere, ich kann sie spüren.“ „Ich sehe nichts,“ erwiderte Kurogane skeptisch und betrachtete die weiten Wiesen, die vor ihnen lagen und sich unter dem wolkenlosen blauen Himmel bis zum Horizont hin erstreckten. Fai schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. Sie ist magisch, man kann sie nicht sehen, nur spüren.“ Fai legte die langen, schlanken Finger flach auf die unsichtbare Wand. Seine Fingerspitzen versanken darin und lösten kleine Wellenbewegungen aus, die sich träge wie auf einer Wasserfläche ausbreiteten. „Man kann hindurch gehen,“ stellte Fai verwundert fest. „Es ist nur eine optische Barriere.“ „Na dann!“ Ehe Fai ihn aufhalten konnte, ging Kurogane mit energischen Schritten und einem zornigen Ausdruck im Gesicht an ihm vorbei und trat durch die Barriere, die sich wabernd hinter ihm schloss. Fai schüttelte fassungslos den Kopf. Scheinbar hatte Kurogane das Limit seiner Geduld erreicht was diese seltsame Welt betraf. Ein Gedanke nagte an Fai, eine Idee oder eine Erinnerung, er konnte es nicht genau sagen, aber die Magie dieser Barriere kam ihm entfernt vertraut vor, er konnte es nur nicht genau einordnen und ihm blieb keine Zeit darüber nachzudenken. Er musste Kurogane folgen. Fai durchbrach die Barriere und stand zu seiner Verwunderung an der gleichen Stelle wie zuvor. Es war dieselbe Wiese, er konnte sogar ihre Spuren im Gras hinter ihnen sehen. Doch vor ihnen lag nun nicht mehr ein ewiges Meer an grünem Gras, das bis zum Horizont hin reichte, sondern ein Dorf. Eine Ansammlung verlassener, halb verfallener Hütten, und ein schattiger Laubwald. Kuroganes grimmig verzerrter Gesichtsausdruck bestätigte Fais eigene Vermutung: Es war dasselbe Dorf, das sie am Morgen verlassen hatten. „Das kann ja wohl verdammt nochmal nicht wahr sein,“ knurrte Kurogane und stapfte wütend auf die Ruinen zu. Fai folgte ihm nur Sekunden später nachdenklich. Da war etwas im hintersten Winkel seines Kopfes, das ihm keine Ruhe lassen wollte. Ein Gedanke oder eine Erinnerung, die er nicht zu fassen bekam. Es hatte mit der Barriere zu tun, mit der Magie, die sie erschaffen hatte. Etwas daran kam ihm sehr bekannt vor, doch er wusste nicht recht, was es war. „Das muss ein Traum sein, ein verdammter Albtraum,“ brummte Kurogane leise vor sich hin, als Fai ihn schließlich wieder eingeholt hatte. Sie hatten die Hütten beinahe erreicht, da blieb Fai mit einem Mal wie erstarrt stehen. Kurogane ging noch ein paar Schritte weiter, bemerkte dann, dass Fai ihm nicht mehr folgte und drehte sich schließlich irritiert zu seinem Reisegefährten um. Sein Blick wirkte deutlich gereizt und stellte eine stumme Frage: Was ist jetzt schon wieder? „Du hast recht, das ist ein Albtraum,“ erwiderte Fai langsam, während seine Augen starr auf einen Punkt in der Ferne fixiert waren, während es in seinem Kopf arbeitete. Kuroganes Blick verfinsterte sich, als ihm klar wurde, dass Fais Äußerung kein Stück weit zur Besserung oder Klärung ihrer Situation beitrug. „Muss mein persönlicher Albtraum sein,“ knurrte er verstimmt. „Ich und der irre Magier alleine in dieser Welt mit einem verfluchten Dorf.“ Fai löste sich aus seinen Gedanken. „Das ist ein Albtraum!“ rief er und seine Miene hellte sich langsam auf, während ihn Kurogane zunehmend anstarrte, als hätte er den Verstand verloren. „Ich habe so etwas schon einmal gesehen. Wir sind in einem Alptraum gefangen.“ Er sah Kurogane mit einem Grinsen an. „Überleg doch mal, eine komplett menschenleere Welt, das verlassene Dorf, die Kreaturen, meine Verletzung, die nicht besser wird und die Illusion gestern Nacht! Das sind alles Erlebnisse wie man sie in einem Albtraum hat.“ Kurogane zog nachdenklich die Stirn in Falten. Vielleicht war der Magier doch nicht ganz irre. „Das würde zu meinem Erlebnis im Wald passen,“ überlegte er langsam. „Im Wald?“ Fai sah ihn fragend und ein wenig überrascht an. „Davon hast du mir gar nichts erzählt.“ „Ach ja?“ erwiderte Kurogane ironisch und bedachte ihn mit einem beinahe herausfordernden Blick. „Wie sich das wohl anfühlt?“ Fai starrte einen Augenblick lang wortlos zurück, ehe Kurogane erneut das Wort ergriff. „Und wie kommen wir jetzt hier raus?“ „Ich habe keine Ahnung.“ Fai zuckte mit den Schultern, während er sich mit beiden Händen auf seinen Stock stützte. „Die Barriere, durch die wir gegangen sind funktioniert wie ein magischer Spiegel, sie wirft alles zurück, das hineingeht. Es ist eine Magie, die Albträume in Gefäßen bannt, zum Beispiel in nach innen verspiegelten Glaskugeln. So können die Alpträume nicht nach außen gelangen. Wir müssen in einer davon gelandet sein.“ „Und wie zerstören wir das Ding?“ „Die Barriere ist magisch, du kannst sie nicht einfach mit deinem Schwert zerschlagen.“ „Dann benutz deine verdammte Magie um uns hier herauszuholen!“ Fai konnte deutliche sehen, dass Kurogane allmählich die Geduld mit ihm verlor. Und wer konnte es ihm verübeln? „Ich kann nicht,“ erwiderte er dennoch starr und sah zur Seite, woraufhin sich Kuroganes Blick erneut verfinsterte. „Ich glaube dir kein Wort.“ Die Ehrlichkeit mit der Kurogane diese Worte sprach, traf Fai wie ein Schlag ins Gesicht. Es war nicht so, dass er nicht gewusst hatte, dass Kurogane ihm nicht glaubte, oder dass er keinen guten Grund dazu hatte, dennoch schmerzte es, die Worte ausgesprochen zu hören. Ein tiefer, dumpfer Schmerz. „Du verstehst das nicht,“ setzte Fai zu seiner Verteidigung an, wurde jedoch sogleich unterbrochen. „Nein, natürlich nicht!“ fuhr ihm Kurogane zornig dazwischen. „Du erklärst es ja auch nicht! Du kannst den ganzen Tag lang reden ohne auch nur ein Wort dabei zu sagen!“ Fai schüttelte langsam den Kopf. Wie sollte er erklären was er in all der langen Zeit, die er nun gelebt hatte, immer und immer wieder ums neue auf schmerzhafte Weise gelernt hatte? „Meine Magie hat noch niemals irgendwen gerettet,“ erwiderte er schließlich matt. „Vor allem nicht mich selbst!“ „Du hast uns in Recort gerettet,“ warf Kurogane ein. Die Augen hatte er verengt und mit scharfem Blick auf Fai fixiert. „Und wo hat uns das hingebracht?“ Fai hob hilflos beide Arme und deutete vage auf ihre Umgebung. „Tu das nicht,“ warnte Kurogane drohend und Fai sah ihn fragend an. „Gib dir nicht selbst die Schuld an allem was schief geht.“ Fai bedachte ihn mit einem langen, undeutbaren Blick, ehe er schließlich den Arm vor sich ausstreckte und begann Runen in die Luft zu malen, wobei er sich einmal um sich selbst drehte. Er war diese Diskussion so leid. Seine Finger zogen schimmernde Spuren, während er den Zauber wob. Doch etwas stimmte nicht, denn die Runen verschwanden eine nach der anderen nachdem er sie vollendet hatte. Der Zauber fiel in sich zusammen. „Es funktioniert nicht,“ bemerkte Fai schließlich resigniert und gab auf. „Natürlich nicht, weil es keine echte Magie ist, sondern nur geträumt. Genau wie dein Schwert.“ Er konnte mit dieser Magie ein Feuer entzünden und er hätte wohl auch die Kreaturen bekämpfen können, denn all das war eben so unecht wie die Magie selbst, doch er konnte damit nicht den Bannzauber aufheben. Dementsprechend würden auch keine Portalmagie funktionieren. Fai zog nachdenklich die Stirn in Falten. Wenn er richtig lag und sie tatsächlich in einem Bannzauber gelandet waren, was ihm sehr wahrscheinlich erschien obwohl er noch niemals davon gehört hatte, dass es möglich war, dann wollte er nicht wissen, was als nächstes auf sie lauerte. „Und was machen wir jetzt?“ Kurogane stemmte sein Schwert in den Boden und sah sich finster um. Fai zuckte die Schultern. „Ich denke, wir müssen einfach nur aufwachen.“ Kurogane wandte sich nun erneut zu ihm um und blickte Fai irritiert an. „Ach wirklich,“ bemerkte er sarkastisch. „Und wie genau stellen wir das an?“ „Wie wacht man aus einem Alptraum auf?“ überlegte Fai leise und dachte nach. Normalerweise konnte man sich dazu zwingen aufzuwachen, wenn man wusste, dass man träumte. Doch das funktionierte nicht. Fai legte den Kopf schief und ließ seinen Blick über den Horizont wandern, dem die Sonne langsam entgegen sank. Wann erwachte man aus Alpträumen? Fais Augen weiteten sich ein wenig in Erstaunen, als ihm schließlich die Erkenntnis kam. Es gab nur eine Möglichkeit. Ehe Fai es sich anders überlegen oder zu lange darüber nachdenken konnte, wandte er sich zu Kurogane um und sagte mit fester Stimme: „Bring mich um.“ „Gibst du etwa schon auf?“ Kurogane hob eine Augenbraue und der Sarkasmus in seiner Stimme war kaum zu überhören. Es dauerte einen Augenblick, bis ihm klar wurde, dass Fai seine Aufforderung ernst gemeint hatte. Er ballte die Faust um den Griff seines Schwertes. „Bist du verrückt geworden?“ „Nein, vertrau mir,“ erwiderte Fai und seine Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln, als ihm die Ironie seiner Worte bewusst wurde. „Man wacht immer aus einem Albtraum auf, wenn man stirbt.“ Kurogane schüttelte langsam den Kopf. „Du bist verrückt geworden.“ Als ihm allmählich bewusst wurde, dass Fai tatsächlich von seiner Theorie überzeugt war und nicht nachgeben würde, zog der große Ninja die Stirn in Falten und musterte seinen Reisegefährten misstrauisch. „Warum bringst du nicht mich um?“ Fai starrte mit festem Blick zurück. „Das kann ich nicht,“ gestand er schließlich. „Nicht einmal wenn ich wollte. Mir ist klar geworden, dass es Wünsche gibt, die nicht in Erfüllung gehen können.“ War es nicht eben das, was er auf dieser Reise gelernt hatte? Dass die Erfüllung seines Wunsches unmöglich war? Wenn dem wirklich so war, dann gab es keinen Grund für Fai Kurogane entgegenzutreten, ihn zu töten. Und selbst wenn es möglich gewesen wäre, war der Preis vielleicht zu hoch. „Du wirst nicht durch meine Hand sterben.“ „Und was dann?“ „Dann werde ich den Bannzauber lösen und dich befreien oder du tötest dich selbst und wachst ebenfalls auf.“ Fai musste unwillkürlich lächeln, als er seinen eigenen Worten lauschte. Kurogane würde ihm niemals glauben. Er hatte es nicht gewusst, damals als er beschlossen hatte niemals wieder Magie zu wirken. Weil er geglaubt hatte, dass seine Magie mit einem Fluch behaftet war, der alle Menschen um ihn herum ins Unglück stürzte und in den Wahnsinn trieb. Aber wem hatte er etwas vormachen wollen? Er hatte immer gewusst, dass er den Drang seine magischen Kräfte zu nutzen nicht ewig würde unterdrücken können. Irgendwo tief vergraben, hatte er immer gewusst, dass der Punkt kommen würde, an dem er sich entscheiden musste ein Opfer zu bringen. Doch als es schließlich so weit gewesen war, war er nicht dazu bereit gewesen, er war nicht bereit gewesen andere unter seiner Entscheidung leiden zu lassen. Niemals wieder sollte ein anderer unter seinen Entscheidungen leiden müssen. Niemals wieder. Doch seine Entscheidung hatte dazu geführt, dass sein Kartenhaus aus Lügen zu wackeln begann. Es war von Beginn an niemals sonderlich stabil gewesen, doch nun drohte es ganz in sich zusammenzufallen. Er war gehasst, verbannt, verflucht, gerettet und benutzt worden. Und er war noch immer ein Werkzeug, eine Spielfigur auf dem Brett. Doch all das war ihm egal gewesen, solange er immer noch am Leben war, lebendig gehalten durch sein Wunsch. Aber nein, es war nicht mehr nur ein Wunsch, nicht wahr? Doch seine Wünsche hatten niemals irgendwem geholfen, zuallerletzt ihm selbst. Seine Wünsche hatten immer nur Leid über jene Menschen gebracht, die ihm nahe gestanden hatten. Er hatte immer gewusst, dass es besser gewesen wäre, wenn er an jenem Tag gestorben wäre, gemeinsam mit Fai, doch sein Wunsch zu leben war immer stärker gewesen als die Vernunft. Dumm. Wie dumm er doch gewesen war. Fai hingegen war klug genug gewesen eine andere Wahl zu treffen. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, was geschehen wäre, wenn er dieselbe Wahl getroffen hätte wie sein Bruder. Er hatte sich so sehr in seinen Lügen verstrickt, dass es ihm schwerfiel sich zu bewegen. Er trug das Grinsen auf seinen Lippen wie einen Schild gegen Fragen und Argwohn und den Witz auf der Zunge gegen Misstrauen. Doch all seine Mühen hatten nur das Gegenteil bewirkt. Kurogane hatte ihm immer misstraut und es würde auch jetzt nicht anders sein. Doch Kurogane hob sein Schwert und zog die Klinge blank, dann betrachtete er das blitzende Metall zögernd. „Was hast du schlimmes getan, dass du glaubst Tausende auf dem Gewissen zu haben?“ fragte er schließlich an Fai gewandt, der wiederum die Schultern hob. „Ich wurde geboren und wollte leben.“ Es ging zu schnell. Fais Augen weiteten sich in Erstaunen, als er mit einem Mal den Schmerz in seiner Brust spürte, wo die Klinge ihn durchbohrt hatte. Es ging zu schnell, als dass er hätte schreien können. „Das ist kein Verbrechen,“ hörte er Kuroganes leise Stimme sagen. Epilog: Epilog -------------- Hello, hello Anybody out there? Cause I don't hear a sound Alone, alone I don't really know where the world is but I miss it now Als Fai langsam die Augen öffnete, war alles um ihn herum dunkel. Nicht dunkel, wie die Dunkelheit der Nacht, sondern dunkel wie die schwärzeste Finsternis, die nur bei der vollkommenen Abwesenheit von Licht existierte. „Hallo?“ rief er in die Finsternis hinein. „Hallo,“ antwortete eine andere Stimme, aber nein, es war nur sein eigenes Echo. „Hallo....Hallo...“. Er lauschte in die Dunkelheit, doch außer dem hohlen, schwindenden Hall seines Echos konnte er keine weiteren Geräusche ausmachen. „Hallo?“ versuchte er es dennoch erneut, „ist irgendjemand hier?“ Er wartete. „Hallo,...Hallo,“ hallte das Echo. Hatte er sich geirrt? War seine Idee doch nicht des Rätsels Lösung gewesen? War das die Strafe für seine endlosen Lügen. Leise und schleichend stieg die Panik in ihm auf. Er war sich sicher gewesen. So sicher, dass er bereit gewesen war sein Leben zu riskieren, doch nun erfasste ihn der Zweifel. Manche Wünsche waren es nicht wert, dass man für sie ein Leben riskierte, ganz gleich wessen. Lass mich nicht sterben, dachte er, ich will nicht sterben. Ich will leben, auch wenn es schmerzhaft wird, ich will leben. I'm out on the edge and I'm screaming my name Like a fool at the top of my lungs Sometimes when I close my eyes I pretend I'm alright But it's never enough Cause my echo, echo Is the only voice coming back Shadow, shadow Is the only friend that I have Listen, listen I would take a whisper if that's all you had to give But it isn't, is it? You could come and save me and try to chase the crazy right out of my head „HALLO?“ Dumpfe Schritten hallten in der Dunkelheit. „Halt endlich die Klappe und komm aus dieser Höhle raus,“ antwortete eine bekannte Stimme. Some wishes may not come true. But it doesn't matter, cause wishes might change. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)