Freundschaftsbeweise von Rabenkralle ================================================================================ 6. -- Die Schüsse erstarben, etwas Schweres fiel zu Boden. Shikamaru vernahm das Splittern von Knochen und er realisierte, dass irgendjemand ihn davor bewahrt hatte, als Mahlzeit für den Zombie zu enden. Hände schlossen sich um seinen Oberarm. Er hatte keine Ahnung, wem sie gehörten, doch sie halfen ihm, Ino nach oben zu ziehen und in Sicherheit zu bringen. Er beobachtete seine schlafende Kameradin einen Augenblick lang, dann atmete er tief durch und wandte sich um. Er hätte niemals gedacht, dass er das Gesicht, das er erblickte, so schnell wieder sehen würde. »Warum hast du uns geholfen?«, fragte er, als er den Überraschungsmoment hinter sich gelassen hatte. Temaris dunkelgrüne Augen blickten ihn ausdruckslos an, dann zuckte sie mit den Schultern und sagte: »Mir war einfach danach.« So recht glaubte er ihr nicht, dass es nur eine Laune von ihr gewesen war, aber er hinterfragte es nicht. Sie machte ein paar Schritte auf ihn zu und reichte ihm die Pistole. »Ich war so frei und hab sie leer geschossen«, sagte sie. »Der Bursche war ziemlich zäh.« Er steckte die Waffe weg und sein Blick glitt zu dem Zombie herüber, um dessen Kopf sich herum eine tiefschwarze Blutlache ausbreitete. »Danke«, sagte er, »auch wenn ich deinen Sinneswandel nicht verstehe.« Ihre Mundwinkel zuckten zu einem Lächeln. »Sagen wir einfach, dass du gar nicht so falsch lagst«, erwiderte sie. »Wozu unsere Gattung noch weiter dezimieren?« Ihre Augen fuhren zu seiner Wunde, ihre Miene wurde ernst und nüchtern setzte sie nach: »Du wirst sterben.« Shikamaru fasste sich an die Seite und fühlte die Wärme seines Blutes an den Fingern. Er lächelte selbstironisch. »Ich weiß.« --- Als Ino erwachte, klopfte ihr Herz wild. Sie hatte einen furchtbaren Traum gehabt. Die verrückte Frau hatte auf Shikamaru geschossen, während er versucht hatte, sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Sie sah den Zombie vor sich. Er lag vor ihr und sie trat zu, schaffte es aber nicht, ihn in den Abgrund zu schicken. Stattdessen rutschte sie weg, fiel und – Nein, es war kein Traum gewesen. Genau so hatte es sich zugetragen. Sie riss die Augen auf und sah sich hektisch um. Von dem Zombie gab es keine Spur, doch Shikamaru saß mit den Rücken an die Felswand gelehnt. Als sich ihre Blicke trafen, warf er ihr ein Lächeln zu. »Endlich ausgeschlafen?«, fragte er. Sie antwortete nicht und fiel ihm um den Hals. »Gott sei Dank!«, murmelte sie. »Ich hab befürchtet, du wärst tot!« Er zuckte die Achseln. »Unkraut vergeht eben nicht so schnell.« Sie schmunzelte, dann fragte sie: »Was war vorhin eigentlich los? Ich hab nur diese durchgedrehte Blondine gesehen und Schüsse gehört.« »Sie hat den Zombie erledigt«, erklärte er knapp. »Mehr nicht.« »Sie hat was?«, fragte Ino verständnislos. »Sie hat uns beiden den Arsch gerettet«, wiederholte Shikamaru. »Und warum?« »Sie meinte, ihr war einfach danach.« Sie runzelte die Stirn. »Ergibt das nur für mich keinen Sinn?«, fragte sie. »Hast du sie vorhin so lange bequatscht, bis sie die Seite gewechselt hat, oder was war los?« »Ich hab keine Ahnung«, gab er zurück. »Ich bin keine Frau und leide demnach auch nicht unter solchen Stimmungsschwankungen.« Sie knuffte ihm in die Seite und sein Gesichtsausdruck verzerrte sich vor Schmerz. »Tut mir leid«, murmelte seine beste Freundin rasch. »Ich wollte nicht so fest –« Sie unterbrach sich, nahm ihn genauer in Augenschein und bemerkte den Schatten auf seinem dunklen T-Shirt. Es war Blut. Bestürzt schlug sie die Hände vor den Mund. »Sie hat doch auf dich geschossen!«, stieß sie mit unnatürlich heller Stimme aus und zog an seinen Arm, mit dem er die Stelle zu verdecken versuchte. »Zeig mal her, vielleicht kann ich die Kugel –« Shikamaru schüttelte ihre Hand ab und presste sich den Ellenbogen in die Seite. Es tat unglaublich weh, doch er ließ dieses Gefühl nicht in seiner Miene widerspiegeln. »Es ist nur ein Streifschuss«, entgegnete er. »Mach dir keine Sorgen.« »Ich mach mir aber Sorgen!«, fuhr Ino ihn entrüstet an. »Und auch ein Streifschuss muss versorgt werden!« Bevor sie ihm noch einmal so nahe kam, stand er auf und brachte ein wenig Abstand zwischen ihr und sich. »Es ist alles in Ordnung«, murrte er. »Gehen wir weiter.« »Aber –« »Ich habe die Blutung schon halbwegs mit meinem Shirt gestoppt«, sagte er beherrscht. »Es ist nur ein Kratzer – und wir müssen die anderen warnen.« Dann marschierte er los. Ino schaute ihm nach. Sie bemerkte, wie er wankte, sah die dicken Blutstropfen, die ins Gras fielen, das große Loch in seinem Oberteil, das sie einen Blick auf die Verletzung erhaschen ließ. Ihr Atem stockte und ihr Herz blieb einen Moment stehen, nur um danach so schnell zu schlagen, dass es sie innerlich fast zerriss. Sie sprang auf und hechtete ihm nach. »Shikamaru«, sagte sie mit belegter Stimme. »Das ist keine Schusswunde, oder?« Er blieb stehen, wandte sich jedoch nicht zu ihr um. Er wusste, dass sie weinte und den Anblick der Tränen in ihren Augen konnte er nicht ertragen. »Ist doch egal«, sagte er trocken. »Wir haben keine Zeit, mich zu bemitleiden. Ändern kann man es jetzt sowieso nicht mehr.« Er hörte Inos Schluchzen, aber er ging weiter. Die wenige Zeit, die ihm noch blieb, musste er nutzen, um sie sicher zu ihren Kameraden zurückzubringen. Dann konnte er beruhigt sterben. --- Sie sprachen eine Weile nicht miteinander. Ino lief neben ihm her und mied es, den Blutfleck auf seinem Shirt anzusehen, der immer größer wurde. Der Weg durch den Tannenwald ging an einigen Stellen stark bergab und mit jedem Balanceakt hatte Shikamaru mehr Probleme, sich zu halten. Sie half ihm, wo sie konnte, doch sie sah den Schweiß, der ihm von der kleinsten Anstrengung von der Stirn perlte, sein Gesicht, aus dem immer mehr die Farbe wich. Seine Haut war nach wenigen Stunden so bleich geworden, dass er mehr tot als lebendig wirkte, seine Bewegungen wurden zusehends unkoordinierter und trotzdem schleppte er sich weiter. Sie bewunderte seinen Mut und glaubte nicht, dass sie an seiner Stelle den Willen und die Kraft aufgebracht hätte, so lange durchzuhalten. Schließlich durchquerten die beiden das Tal, bis sie in der Abenddämmerung auf den Pfad stießen, dessen Ende in die Nähe des Hauses führte. Dunkle Wolken zogen am Himmel auf und es begann zu nieseln. »Wenn du dich beeilst, bist du in einer Stunde da«, sagte Shikamaru. Seine Stimme klang sehr dünn, ähnelte einem gequälten Flüstern. »Wovon redest du da?«, gab Ino zurück. »Ich lasse dich doch nicht hier zurück!« »Jetzt mach schon«, forderte er sie auf. »Vielleicht ist es noch nicht zu –« »Mach dich nicht lächerlich«, unterbrach sie ihn. »Wir stolpern seit dem frühen Nachmittag durch die Gegend. Sie wissen, dass wir beide entkommen sind und sie haben den viel kürzeren Weg. Wenn sie wirklich vorhaben, das Haus zu überfallen, haben sie es längst getan.« Sie fuhr sich mit den Zähnen über die Unterlippe. »Warum soll ich dich also für nichts und wieder nichts alleine zurücklassen?« Er gab ihr keine Antwort. »Wir gehen zusammen hoch«, legte sie fest. »Und wenn es die halbe Nacht dauert.« »So ein Unsinn«, erwiderte er und seufzte. »Ich kann meine Arme und Beine kaum noch spüren. Ich schaffe es nicht.« »Doch«, widersprach sie, »du schaffst es. Wir gehen gemeinsam zu den anderen und wenn wir dort sind, dann …« Ino verstummte. Was machte sie sich da vor? Es war ein Wunder, dass Shikamaru es bis hierher geschafft hatte. Selbst mit ihrer Hilfe würde er wahrscheinlich auf dem halben Wege zusammenbrechen. Und warum sollte sie ihm diese Prozedur noch zumuten? Wenn es die kleinste Hoffnung gegeben hätte, wäre es den Versuch wert gewesen, doch so sehr sie sich es wünschte: Es gab sie nicht. Dass er starb, war so sicher wie der Sonnenaufgang am nächsten Morgen. Sie presste die Lippen aufeinander, aber sie schaffte es nicht, die aufkeimenden Tränen zu unterdrücken. Als die erste ihre Augen verließ, verbarg sie ihr Gesicht in ihren Händen. Shikamaru schleppte sich zu ihr, hob unter Schmerzen die Hände an und legte sie auf ihre Schultern. »Ino«, begann er und da ihm nichts Besseres einfiel, setzte er nach: »sei nicht so traurig. Irgendwann musste es einem von uns passieren.« »Aber warum ausgerechnet dir?«, schluchzte sie. »Warum ausgerechnet jetzt? Niemand sollte an seinem Geburtstag sterben müssen.« Er sagte nichts. Allein der Gedanke, sie trösten zu wollen, war ein sinnloses Unterfangen. Keine Worte der Welt waren dazu in der Lage. Sie weinte noch ein wenig, dann wischte sie sich mit dem Handrücken das Gesicht trocken und machte sich von ihm los. »Der Regen wird stärker«, meinte sie beiläufig. »Suchen wir uns einen Platz im Trockenen.« Nichts in ihrer Stimme wies mehr darauf hin, dass sie geweint hatte. --- Shikamaru lehnte an der Wand, hielt die Augen geschlossen und lauschte den dicken Regentropfen, die vor der Höhle auf die Erde prasselten. Es war das letzte Mal, dass er dieses Geräusch hören würde und er war dankbar für diesen Regenschauer, der das, was ihm bevorstand, mit sich nahm und so seine Gedanken reinwusch. Ino seufzte. »Zum Glück hält das Wetter die Horde auf«, meinte sie. »Ich hab keine Lust, nachher einen Dauerlauf nach oben zu veranstalten.« »Es sind doch keine Rennzombies wie in diversen Horrorfilmen«, bemerkte er mit einem Schmunzeln. »Du kannst also in Ruhe schlendern.« »Ich glaube ja nicht, dass ich besonders ruhig sein werde, wenn in der Nähe ein paar dutzend Untote herumlungern«, erwiderte sie, »aber ich werde auch nicht rennen, als wäre der Leibhaftige hinter mir her.« »Gibt es denn etwas Schlimmeres als diese Biester?« »Ich weiß nicht«, antwortete sie und zuckte die Achseln. »In Cartoons und Filmen wirkte der Teufel immer gerissener auf mich als diese lahmen, triebgesteuerten Schnecken.« Shikamaru stieß ein belustigtes Schnauben aus. Es war schön, dass Ino in dieser Situation ihren Humor nicht verloren hatte, selbst wenn sie damit nur ihre wahren Gefühle überspielte. »Sag mal«, meinte sie dann, »ist das hier nicht die Höhle, in der wir übernachtet haben, bevor wir das Haus gefunden haben?« »Dem Haufen Asche dort drüben nach zu urteilen, ja.« Sie blickte sich um und musste lachen. »Naruto hat hier drin ein Feuer gemacht und uns ausgeräuchert«, erinnerte sie sich. »Deshalb sind wir gleich weitergezogen, obwohl wir eigentlich noch ein paar Tage bleiben wollten.« »Und haben so schneller das Haus gefunden«, ergänzte er. »Und Naruto hat sich gleich wieder etwas beliebter gemacht.« Er lachte auf und sie stimmte mit ein. »Wie lange ist das jetzt her?«, fragte sie. »Fünf Wochen, sechs?« »In etwa«, erwiderte Shikamaru, »aber Sakura kann dir das sicher genauer sagen.« Bei der Erwähnung des Namens ihrer besten Freundin verschwand Inos Lächeln. »Meinst du, diese verrückten Leute haben den anderen etwas angetan?« Er dachte einen Moment nach, dann antwortete er: »Ich glaube nicht.« »Meinst du wirklich?«, fragte sie hoffnungsvoll. »Mit uns sind sie auch nicht gerade zimperlich umgesprungen.« »Das schon«, gab er zu, »aber es hätte uns schlimmer treffen können. Wir hätten auch auf eine Gruppe stoßen können, die uns gleich umgelegt hätte.« Ihre Mundwinkel zucken zu einem traurigen Lächeln. »Das berühmte Glück im Unglück, hm?« Shikamaru schwieg sich dazu aus, horchte kurz dem Regen und meinte: »Vor zwei Jahren hätte ich nie gedacht, dass ausgerechnet eine Zombie-Apokalypse Realität werden würde.« Ino blickte ihn niedergeschlagen an. »Für mich war es immer ein Hirngespinst von Romanautoren, Regisseuren und anderen Leuten, die zu viel Fantasie haben«, fuhr er fort. »Als es ein paar Wochen später hieß, ein Virus sei ausgebrochen, das Tote wiederauferstehen lässt, hab ich es für einen dummen Witz gehalten.« Sie nickte. »Ich habe gerade in unserem Blumenladen ausgeholfen, als sie es im Radio durchgegeben haben. Ich hab mich damals auch gefragt, welcher Scherzkeks den Sender übernommen hat.« »Ich habe mit Chouji im Park Schach gespielt, als ein Mann über die Wiese gelaufen kam und gerufen hat: Die Zombies sind los! Bringt euch in Sicherheit!«, erzählte er. »Niemand hat ihn ernst genommen.« »Wer würde das auch?« Sie lachte trocken und richtete ihren Blick auf ihre Hände. »Ich glaube jetzt manchmal noch, dass das hier ein schlechter Traum sein muss. Ich meine, Raccoon City ist überall! Wir sind Charaktere in einem verdammten Survival-Horror-Game!« Ino pausierte einen Moment, dann setzte sie nach: »Wir sind in einem Spiel ohne Rücksetzpunkte gefangen, das man leider nur einmal beginnen kann. Ist das nicht grausam?« Er wusste nicht, was er ihr darauf antworten sollte. »Ich würde mir wünschen, jemand könnte die Zeit zurückdrehen und würde verhindern, dass nach diesem Zombie-Virus geforscht wird«, sprach sie weiter. »Ich meine, was bringt so eine verdammte biologische Waffe, die Menschen in willenlose Untote verwandelt? Was hat das Militär und die Staaten, die das Projekt finanziert haben, jetzt davon, dass sie die Zivilisation und fast die ganze Menschheit ausgelöscht haben? Einen Scheißdreck haben sie! Die meisten dieser Ärsche wandeln selbst als menschenfressende Monster durch die Gegend. Das kann doch nicht –« »Ino!«, unterbrach Shikamaru sie. Er sprach so laut, wie es ihm noch möglich war. Fragend blickte sie ihn an. »Du hast jedes Recht, diese Leute zu verfluchen, aber an unserer Situation kannst du damit nichts ändern«, fuhr er ruhig fort. »Es ist, wie es ist. Irgendwann werden die Zombies wieder verschwinden, weil sie verwesen und keine neuen mehr nachkommen, aber bis dahin musst du dich zusammenreißen und dich mit dieser Welt arrangieren.« »Ich weiß«, sagte sie bitter, »aber …« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Ich weiß, dass sich das leicht sagt«, meinte er, »aber halte durch. Es wird nicht sofort geschehen, doch es wird besser werden. Hab einfach Geduld.« Ino riss sich von dem Anblick ihrer Hände los und blickte ihren besten Freund starr an. »Du hast gut reden«, sagte sie tonlos. »Du musst nicht mehr jeden Tag damit rechnen, dass ein Kamerad von dir …« Ihre Stimme versagte. Sie schaffte es nicht, den Satz zu vollenden, schaute wieder weg und flüsterte: »Entschuldige, vergiss es. Sprechen wir nicht mehr darüber.« Und das taten sie auch nicht. --- Stunde um Stunde verging. Der Regen war lange weitergezogen und der Mondschein erhellte das Gebiet auf unnatürliche Weise. Shikamaru hielt sich wach, indem er mit Ino in Erinnerungen an ihre Kindheit schwelgten, denn er wusste, dass es vorbei war, sobald seine Augen zufielen. Er hatte keine Angst vor dem Tod, doch er fürchtete das, was seiner besten Freundin bevorstand, wenn es soweit war. Und das galt es zu verhindern. »Erinnerst du dich noch, wie sehr wir gelacht haben, als Chouji die Geschichte erzählt hat, wie er sich vor der Polizei versteckt hat, weil sie ihn für einen Sprayer gehalten haben?« »Natürlich«, meinte Shikamaru amüsiert, »ich war selbst dabei.« »Ach, verdammt!«, fluchte sie. »Ich sollte mir mal besser merken, was ich wem erzähle.« Sie lachte, doch als sie seine ernste Miene bemerkte, verstummte sie wieder. »Du solltest gehen«, sagte er. Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, widersprach sie, »ich gehe auf keinen Fall, bevor du …« Sie schluckte. »Na, du weißt schon.« »Du musst aber«, erwiderte er gequält. »Ich möchte nicht, dass alles umsonst war, nur weil ich dich gebissen habe.« Inos Augen weiteten sich und ihr Puls begann zu rasen. Sie hatte sich damit abgefunden, dass er sterben würde, doch dass er zu einem Zombie wurde, sobald sein Herz zu schlagen aufhörte, hatte sie bis jetzt verdrängt. »Ich …«, stammelte sie, schaffte es jedoch nicht, ihrem Entsetzen Ausdruck zu verleihen. Sie wollte ihn nicht zurücklassen, solange er am Leben war, doch genauso wenig wollte sie sehen, wie er als Untoter auf sie losging. Sie schnappte nach Luft. »Nein, ich kann das nicht!« »Jetzt hau schon ab«, flüsterte er. »Wenn du gegangen bist, mache ich einfach die Augen zu. Es macht mir nichts aus, die letzten Minuten alleine zu sein, solange ich weiß, dass du in Sicherheit bist.« »Ich will aber nicht, dass du alleine sein musst!«, rief Ino aufgebracht. »Wir sind Freunde! Und Freunde lässt man nicht so zurück!« »Ich möchte aber, dass du gehst«, sagte er entschlossen. »Ich will dich nicht auch zu einem Zombie machen.« »Das wirst du nicht«, sagte sie ohne Zuversicht. »Ich verschwinde, bevor du die Gelegenheit dazu –« Sie unterbrach sich selbst. Es widerte sie regelrecht an, was sie sagte. Sie konnte nicht zulassen, dass Shikamaru ein Dasein als Monster fristen musste. Nur was konnte sie tun? Seine Hand tastete sich unter Schmerzen langsam zu seiner rechten Seite vor. Als er sie erreichte, sagte er: »Ich weiß eine Möglichkeit, die uns das ersparen würde.« Ino folgte seiner Bewegung. Seine Finger ruhten lose auf dem Griff der Pistole. »Was hast du vor?«, fragte sie. Er antwortete ihr nicht darauf und zog sie aus der Halterung. Er schaffte es nur unter größter Anstrengung, die Waffe überhaupt zu halten. »Selbst wenn ich noch in der Lage wäre, es selbst zu tun«, fuhr er fort, »wäre ich wahrscheinlich zu feige dafür.« Seine Hand bewegte sich ein Stück nach vorne, als wollte er ihr die Schusswaffe reichen. »Aber da das nicht zur Debatte steht …« Ungläubig starrte sie auf die silbern glänzende Pistole. Es war wirklich die einzige Option, die ihnen blieb, doch … »Hast du nicht gesagt, dass sie leer ist?« Er nickte kaum merklich. »Ich habe noch zwei Patronen in meiner Hosentasche«, flüsterte er. »Tenten hat sie mir vor der Abreise gegeben, weil sie wusste, dass ich vergessen würde, sie nachzuladen.« Inos Augen weiteten sich. »Dann soll ich dich …«, setzte sie an. »Du möchtest also, dass …« »Ich kann und möchte dich nicht dazu zwingen«, sagte Shikamaru, »aber ich bitte dich darum.« Sie schaute ihn mit leerem Blick an. Als hätte sie noch nicht verstanden, was er gesagt hatte. »Ich weiß, ich verlange viel«, setzte er nach. »Du musst es auch nicht tun, wenn du es dir nicht –« Ein Kopfschütteln brachte ihn zum Schweigen. »Sag nichts mehr«, sagte Ino und nahm ihm die Waffe aus der Hand. Sie betrachtete sie einen Augenblick, dann fragte sie: »In welcher Tasche ist die Munition?« Ein kleines Lächeln zuckte auf. »Sie ist in der Rechten.« Sie hatte seit Monaten keine Schusswaffe mehr in der Hand gehabt, aber die Handgriffe hatte sie sich gut eingeprägt, sodass sie fast von selbst gingen. Die Realität vor ihren Augen verschwamm, als sie die Patronen vorsichtig aus seiner Hosentasche kramte, ins Magazin tat und dieses mit einem leisen Klick einrastete. Mit klopfendem Herzen sah sie in das bleiche, blutleere Gesicht ihres besten Freundes. Es war furchtbar, ihn in diesem Zustand zu sehen, doch es war noch viel schlimmer für sie, wenn er erst zu einem Zombie geworden war. Das wollte sie sich, aber vor allem ihm, ersparen. Auch wenn er es nicht ausgesprochen hatte, wusste sie genau, dass er auf keinen Fall einer von ihnen werden wollte, selbst wenn es bedeutete, dass er bei vollem Bewusstsein sterben würde. Sie hielt den Griff der Pistole mit beiden Händen fest umschlossen, löste die Sicherung und richtete sie auf ihn. Langsam und mit zitternden Armen hob sie die Waffe immer weiter, bis der Lauf auf seine Stirn zielte. Konnte sie das?, fragte sie sich. Konnte sie wirklich abdrücken und sein Leben beenden? Ino senkte den Blick und atmete tief durch. Ein und aus, ein und aus, ein und aus … Eine innerliche Ruhe breitete sich in ihr aus. Sie musste es tun und sie konnte es tun. Nein, sie wollte ihm diesen Freundschaftsdienst erbringen. Er verdiente es, dass sie ihm diesen letzten Wunsch erfüllte. Nur wenn sie das tat, konnte sie sich im Spiegel noch in die Augen schauen. Sie hob den Kopf an. Shikamaru blickte ihr mit unbeirrter Gelassenheit entgegen. Seine Miene zeigte nicht einmal im Ansatz etwas wie Furcht. Er war vorbereitet auf das, was nun kam. Ihre Blicke lagen einen Moment aufeinander, dann murmelte er: »Ich danke dir für deine Freundschaft.« Ino schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln und deutete ein Kopfschütteln an. »Nein«, sagte sie, »ich danke dir, dass du so ein guter Freund warst.« Er lächelte ihr ein letztes Mal zu und schloss die Lider. Sie kniff die Augen zusammen, umfasste den Griff noch stärker. Das Geräusch des Schusses, den sie abfeuerte, brannte sich für immer in ihr Gedächtnis. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)