Quick Time Event von Flordelis ================================================================================ Kapitel 2: Das kann nicht gesund sein. -------------------------------------- Kurz darauf hatte Faren alles einfach nochmal gekauft und auch ein mitleidvolles „Owww“ von der Verkäuferin hinter dem Tresen erhalten. Aber er fand nicht, dass er ein solches benötigte, immerhin hatte er so die Bekanntschaft mit Ferris gemacht. Ferris war der Name des jungen Mannes, der ihn angerempelt hatte. Schon nach wenigen Minuten kannte er dessen Namen, sein Alter – sie waren gleichalt – und auch seine Handy-Nummer. Sein Ellenbogen schmerzte noch ein wenig, während er neben Ferris herlief, auf dem Weg zu Vincent, der immerhin noch auf ihn wartete. Glücklicherweise hatte sein neuer Freund – für ihn waren sie mit dem Austauschen der Nummern bereits Freunde geworden – sich bereit erklärt, ihm beim Tragen zu helfen, so dass Faren nur die Tüte mit den Croissants hielt. „Gehst du immer so forsch an neue Bekanntschaften heran?“, fragte Faren, als sie an der Ampel darauf warteten, dass es grün wurde. Normalerweise wäre er einfach so über diese Kreuzung gelaufen, aber gerade heute herrschte besonders viel Verkehr, weswegen er es als nicht sonderlich gute Idee empfand. Fast schien es ihm schon wie Schicksal, das ihm möglichst viel Zeit mit Ferris gönnen wollte. Dieser wirkte sehr zerknirscht, als er wieder auf den Zusammenstoß angesprochen wurde. „Das war echt keine Absicht, Mann. Ich war in Gedanken.“ „Und da rennst du immer so herum? Das kann nicht gesund sein.“ Ferris grinste schräg. „Ich hab nicht mal bemerkt, wie schnell ich war. Ich wollte eigentlich nur meine Gedanken sortieren. Aber hey, in dich reinzustoßen hatte doch auch was.“ Spielerisch stieß er Faren den Ellenbogen gegen die Brust, worauf dieser nur lachen konnte. „Sei froh, dass ich mir nicht mehr gebrochen habe, sonst würde ich dich sofort auf Schmerzensgeld verklagen.“ „Da gibt es eh nichts zu holen.“ Dennoch wurde Ferris ein wenig blass, auch wenn sein Grinsen blieb. „Aber gebrochen hast du eh nichts. Einem schönen Mann wie dir geschieht nie was Schlimmes.“ Faren fragte sich, ob das Universum überhaupt auf diese Art und Weise funktionierte. Falls ja, würde es jedenfalls erklären, warum Seline einen derart schnellen Aufstieg zur Third-in-command für Abteracht geschafft hatte. Aber er zweifelte daran, jemals jemanden zu finden, der ihm beantworten könnte, ob es wirklich auf diese Art und Weise ging. „Na ja, das würde ich so nicht behaupten“, erwiderte er daher. Er warf Ferris einen kurzen, musternden Blick zu, ehe er sich wieder auf die Ampel konzentrierte. „Ist denn bei dir etwas Schlimmes geschehen, dass du unbedingt schnell weg musstest?“ „Mehr oder weniger.“ Ferris sprach die Worte nur gedehnt aus, als überlegte er, was er eigentlich genau darauf antworten sollte. Oder dürfte. „Ich bin halt mit meinem Bruder aneinandergeraten, weiter nichts.“ Über diesen wusste Faren noch nichts, deswegen hakte er sofort nach. Die Ampel sprang derweil auf Grün, so dass sie die Straße überqueren konnten. „Er ist mein Vormund“, erklärte Ferris. „Seit dem Tod s-, unserer Eltern. Eigentlich kommen wir ganz gut miteinander aus, aber manchmal eben nicht so. Aber das liegt nur an mir, nicht an ihm. Er ist großartig … und so.“ „Wirklich? Dann würde ich den auch gern mal kennenlernen.“ Ferris lächelte ein wenig gequält, aber Faren machte sich nicht viel daraus. Wenn man sich gerade erst mit jemandem gestritten hatte, war man selten gut auf diese Person zu sprechen, er kannte das zur Genüge. Aber er hätte die Person, mit der er damals oft gestritten hatte, niemals als großartig bezeichnet. Deswegen glaubte Faren, dass die Beziehung der beiden im Grunde wohl eine gute sein musste. „Was hast du denn angestellt, dass ihr gestritten habt?“ „Ach, nichts Großartiges. Ich war nur die ganze Nacht unterwegs, das passt ihm nicht.“ Herzerwärmend. Der große Bruder machte sich Sorgen, weil der kleine Bruder die ganze Nacht nicht nach Hause kam. Eigentlich genau dieselbe Situation, wie er sie gerade mit Vincent durchmachte. Nur dass Vincent nicht sein Bruder war. „War die Party den Ärger wenigstens wert?“ Ferris war kein Dämonenjäger, das hätte er sofort gespürt. Aber er wirkte auch nicht wie jemand, der einfach nachts auf der Straße herumlungerte. Aber das Kopfschütteln sagte ihm, dass es auch keine Party gewesen war. „Ich war bei meinem Freund“, ergänzte Ferris noch. „Wir stehen nicht so auf Parties, sondern sind lieber bei ihm zu Hause. Allein.“ Er betonte das auf eine Art und Weise, die Faren bereits alles sagte, was er wissen musste. „Ah, so ein Freund also~. Dann war es das sicher auf jeden Fall wert.“ Obwohl Faren nach außen hin lächelte, fühlte er sich innerlich … er konnte das Gefühl nicht beschreiben. Es war ein heißes Stechen in der Brust, das ihn wieder einmal an Kieran erinnerte und daran, was er diesem niemals gesagt hatte, nicht einmal als sie sich im Klassenzimmer voneinander verabschiedet hatten. Dabei war ihm in jenem Moment bereits bewusst gewesen, dass Kieran nicht zurückkehren würde. Und dennoch hatte er gehofft und gewartet. Und eigentlich wartete er immer noch. Vielleicht war es Kieran ja, durch irgendeine absonderliche Eigenheit des Schicksals, gelungen zu überleben. Möglicherweise war er nur zu verletzt, lag in irgendeinem Krankenhaus oder an einem sonstigen Ort, wo man sich um ihn kümmerte. Es war doch möglich, dass er nur durch die Informationsmaschen von Abteracht gerutscht war, so eng diese auch sein mochten. Immerhin hatte man niemals seine Leiche gefunden. Aber auch die von vielen anderen nicht, schoss ihm direkt ein Gedanke dazwischen, den er lieber nicht hätte. Und sie sind alle unzweifelhaft tot. Normalerweise, so war ihm erklärt worden, waren Dämonen nicht sichtbar für das menschliche Auge. Sie befanden sich außerhalb der Wahrnehmung der Menschen, waren derart bizarr, dass sich das Auge schlichtweg weigerte, die Informationen umzusetzen und sie deswegen ausblendete. Bei Dämonenjägern gab es zwei Wege, damit sie Dämonen dennoch sahen: Es gab die geborenen Jäger wie Kieran oder Seline, bei denen es genetisch veranlagt war, dass sie alles sehen konnte. Dann gab es noch Quereinsteiger, so wie ihn, die eine Operation dazu benötigten. Genauer gesagt war es eine Laserbehandlung seiner Augen gewesen. Obwohl ihm die Vorstellung Furcht bereitet hatte, war er bereit gewesen, sie über sich ergehen zu lassen und bereute es immer noch nicht. Er war nicht Kieran, der aus idealistischen Gründen gehandelt hatte. Er war egoistisch. Farens einziger Grund, ein Jäger zu werden, war der Wunsch gewesen, Kieran nah zu sein, seine Welt zu erleben, durch seine Augen zu sehen. Dieser Wunsch war ihm erfüllt worden. Aber Kieran war dennoch nicht zurückgekehrt. Ferris schielte zu ihm hinüber, worauf Faren wieder aus seiner Gedankenwelt auftauchte. „Huh?“ Sein neu gewonnener Freund schmunzelte ein wenig. „Ach, ich habe mich nur gerade gewundert, warum du so verträumt wirkst. Du bist wohl auch verliebt, hm?“ „Könnte man so sagen.“ Nur war es ohne jede Zukunft. „Ist das Frühstück dann hier für deine Liebste? Oder deinen Liebsten?“ Trotz der düsteren Gedanken von zuvor, musste Faren bei dieser Vorstellung direkt schallend loslachen. Ein Spaziergänger, der gerade an ihnen vorbeikam, blickte ihn dafür mit gerunzelter Stirn an, aber er kümmerte sich nicht weiter darum. „Nein, nein“, sagte er lieber hastig. „Ich wohne aktuell bei jemandem, der so eine Art großer Bruder für mich ist. Für den ist das Frühstück, als Versöhnungsgeste.“ „Was ist denn mit deinen Eltern?“ Bei seiner wegwerfenden Handbewegung protestierte sein Ellenbogen wieder. Vielleicht sollte er das untersuchen lassen, sobald er bei Cerise gewesen war. „Mein Vater ist vor zwei Jahren bei diesem schweren Sturm gestorben. Meine Mutter arbeitet sehr viel. Da bin ich dann doch lieber bei Vincent untergekommen.“ Eigentlich hatte er es vorgezogen, auf der Straße zu leben, schon vor dem Dämonenangriff. Vincent war er erst später begegnet, aber durch ihn hatte er auch erfahren, dass sein Vater bei dem Angriff ums Leben gekommen war. Nun, Faren weinte ihm keine Träne hinterher. „Das tut mir leid“, sagte Ferris, der ja nichts von Farens Abneigung gegen seinen Vater wusste. „Und warum die Versöhnungsgeste? Habt ihr euch auch gestritten?“ „So ähnlich. Ich war auch die ganze Nacht unterwegs und er hat sich Sorgen gemacht. Da muss ich mich wieder ein bisschen gut mit ihm stellen.“ Für den Hauch einer Sekunde glaubte Faren etwas wie Neid in Ferris' Augen blitzen zu sehen. Aber es war so schnell verschwunden, dass er es sich eingebildet haben musste. Warum sollte Ferris auch auf ihn neidisch sein? Er hatte doch einen eigenen großen Bruder, der sich Sorgen um ihn machte. „Das wird bestimmt schon wieder mit euch“, meinte Ferris optimistisch. Das hoffte Faren jedenfalls. Er sagte es nicht oft, aber er war dankbar dafür, dass Vincent ihn bei sich aufgenommen hatte, obwohl er keinerlei Verpflichtung dazu hatte. Dass er sich derart undankbar zeigte, machte ihm manches Mal selbst Sorgen. „Das mit deinem Bruder und dir wird bestimmt auch wieder“, schloss sich Faren dem allgemeinen Optimismus an. „Blut ist bekanntlich dicker als Wasser, er kann ja nicht ewig wütend auf dich sein.“ „Da wäre ich mir nicht so sicher“, murmelte Ferris. Es war deutlich, dass er nicht weiter darüber reden wollte, also vertiefte Faren das Thema lieber nicht. Immerhin kannten sie sich erst einige Minuten, da wäre es sogar ihm sehr dreist vorgekommen, sich zu sehr in das Leben des anderen einzumischen. „Was machst du denn so, wenn du gerade nicht fremde Leute umrennst?“, fragte er daher lieber. „Ich jobbe. Bin alle paar Wochen in einem anderen Laden und einem anderen Beruf.“ Ferris hob die Schultern. „Ist ganz okay, aber bislang hab ich noch nichts gefunden, was ich wirklich weitermachen will.“ „Das kenne ich. Ich hab zuletzt sogar in einem Fast-Food-Laden gearbeitet. War aber auch nicht so das Wahre.“ Glücklicherweise hatte er das nur sehr kurzzeitig tun müssen, dann war von Abteracht das Angebot gekommen, ihn auch für seine Jäger-Dienste zu bezahlen und ihn nicht mehr wie einen Schüler zu behandeln. Dass es aber so schnell ging, hatte nur an dem akuten Personalmangel durch diesen Dämon gelegen. Ferris schnitt eine Grimasse. „Cowen würde mich umbringen, wenn ich mit so einem Job ankäme.“ Cowen musste dann also der große Bruder sein. Aber Faren konnte sich nicht vorstellen, dass es wirklich so käme. Mit Sicherheit übertrieb Ferris, wie ziemlich viele es gern taten. Keiner von ihnen ging weiter auf das Thema ein, stattdessen ließ Ferris lieber interessiert den Blick schweifen. „Ist ja eine hübsche Gegend hier.“ Vincent lebte in einer Mittelschicht-Gegend. Kleine Häuser reihten sich aneinander, jedes mit einem eigenen Garten, in dem Kinder spielen konnten. Vincent hatte keine Kinder und er weigerte sich auch prinzipiell, Faren zu sagen, wie er an das Geld für das Haus gekommen war – aber möglicherweise ging es ihn auch einfach nichts an. „Ja, ich wohne auch ziemlich gern hier. Besonders im Sommer lässt es sich gut aushalten.“ Mit einem eisgekühlten Drink im Schatten des Baums im Garten zu liegen … es gab kaum etwas Schöneres, fand Faren. Bei Vincents Haus schwenkte er schließlich auf den kleinen Pfad ein, der direkt zur Tür führte. Er war mit hellen Steinfliesen ausgelegt worden, zwischen ihnen wuchs ein wenig Unkraut, um das Faren sich besser mal wieder kümmerte, bevor es zu wuchern begann. Ferris folgte ihm beschwingt bis zur Tür, hielt aber wie elektrisiert inne, als er das Schild daneben bemerkte. Faren war es inzwischen derart gewohnt, dass er es kaum noch beachtete. Vincent Valentine Gesprächs- und Verhaltenstherapie Termine nach telefonischer Absprache Da Ferris sich nicht mehr rührte, sprach Faren ihn an: „Hast du Lust, noch mit reinzukommen? Vincent würde bestimmt gern wissen, wem ich meinen zersplitterten Ellenbogen verdanke.“ Er grinste, aber Ferris ging nicht mehr darauf ein und drückte Faren stattdessen die Becher mit Kaffee in die Hand. „Ich muss gehen, mein Bruder wartet bestimmt schon auf mich.“ Das kam ziemlich abrupt wie Faren fand, aber er widersprach auch nicht. Vermutlich war es ohnehin eine schlechte Idee, eine neue Bekanntschaft direkt zu Vincent mitzubringen. „Okay, ich meld mich dann bei dir.“ Ferris nickte ihm zu und lächelte noch einmal kurz, dann huschte er bereits davon, als hätte er gerade etwas Verbotenes getan. Faren sah ihm hinterher, bis er ihn nicht mehr sehen konnte, dann seufzte er leise und betätigte die Klingel, damit Vincent ihm aufmachte, hoffentlich mit einer besseren Stimmung als noch zuvor. 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