The GRIMM and the BIEST - Part 2 [Aftermath] von hikabella ([GRIMM - Nick x Renard]) ================================================================================ Prolog: -------- „Ich gehe jetzt besser…“, hatte Detective Burkhardt gemurmelt und dabei seine Jacke und das Hemd eingesammelt, welche er während eines… ‚Handgemenges‘ mit Sean Renard, dem Captain der Portland P.D., Royal und Halb-Zauberbiest, ‚verloren‘ hatte. Dann verließ er das Haus.   Eigentlich hatte er nur seinen Vorgesetzten zur Rede stellen wollen, was seine Mutter mit Juliette gemacht hatte, dass diese nun plötzlich ebenfalls ein Hexenbiest war. Aber im Laufe dieser Aktion war die Stimmung umgeschlagen und beide Männer fanden überraschender Weise heraus, dass sie eigentlich ein ganz anderes Interesse aneinander hatten… Wobei das allerdings zugegebenermaßen keine bewusste Entscheidung beider Seiten gewesen war, sondern sich vielmehr die inneren Wesen gewissermaßen durchgesetzt hatten.   Als der Ränkeschmied, der er war, sah Renard in dieser unerwarteten körperlichen Anziehung der Beiden natürlich sofort die Möglichkeit, vielleicht doch noch den Grimm für seine Sache zu gewinnen, indem er ihn auf diese Weise an sich band. Sein inneres Biest leckte sich bereits genüsslich die metaphorischen Lippen bei dem Gedanken daran, was das für es bedeuten könnte.   Doch das würde nur die Zeit zeigen, ob es sich um eine einmalige Ausnahme gehandelt hatte, einen Ausrutscher, oder ob man vielleicht doch darauf aufbauen konnte… Auf dem Revier -------------- Einige Tage später saß Captain Renard in seinem Büro und las die neuesten Berichte seiner Detectives zu verschiedenen Fällen. Schließlich kam er zu Nick’s Fallakte über den Willahaare und er seufzte innerlich.   Detective Burkhardt war ihm in den letzten Tagen aus dem Weg gegangen. Er hatte ihn nur von weitem durch die Fenster seines Büros beobachten können. Und er begann sich ernsthaft Sorgen zu machen um den Grimm. Nick nahm die Sache mit Juliette überhaupt nicht gut auf. Er hatte angefangen wieder auf der Couch zu schlafen. Die Tierärztin dachte ihr Lebensgefährte könne sich nicht dazu überwinden, wissentlich neben einem Hexenbiest zu schlafen. Aber Renard wusste es besser. Der Detective war einfach von Schuldgefühlen zerfressen und wusste nicht, wie er das wieder gut machen konnte. Wie sollte er ihr in die Augen schauen, wenn er das Gefühl hatte, mit seinem Wunsch, wieder ein Grimm zu sein, so viel Leid verursacht zu haben? Es war auch seine Hilflosigkeit, die ihn auf die Couch trieb. Eine, wie er damals erzählt hatte ‚nicht sehr rückenfreundliche Schlafstätte‘. Er wollte sich bestrafen. Ganz einfach. Warum erkannte die Frau das nicht?   Gut, vielleicht war auch etwas Abscheu dabei. Aber ernsthaft, wer konnte ihm das verdenken? Die ‚wahre‘ Gestalt eines Biestes war selten für jemanden attraktiv, der selber nicht auch ein Hexen- oder Zauberbiest war.   Sei es wie es sei, am Ende beschloss Juliette, dass dieses Mal nicht Nick derjenige sein sollte, der das Feld - wenn vermutlich auch nur vorübergehend - räumen würde. Sie selber würde gehen. Und zuallererst tauchte sie schnurstracks auf seiner Schwelle auf. Sie hatte ihn gebeten ein paar Tage in seinem Haus wohnen zu dürfen, aber der Royal hatte abgelehnt. Er durfte sich nicht noch tiefer in die Beziehung der beiden einmischen (obwohl es seinem eigenen Biest insgeheim gefiel, dass offensichtlich Stille zwischen seinem Grimm und dem Neu-Hexenbiest herrschte).   Letztlich war Juliette entweder in ein Hotel gezogen oder vielleicht sogar zu Henrietta. Renard wusste es nicht genau. Und nach seiner Ablehnung ihr zu helfen, würde sie ihn wohl auch kaum darüber informieren, wo sie sich nun tatsächlich aufhielt. Er hatte seine Prioritäten festgelegt, und die gingen nicht in Richtung Juliette.   Er hatte aber kurz mit Henrietta telefoniert, die ihm von ihrer Begegnung mit Nick berichtet hatte. Der Royal war etwas verärgert darüber, was seine alte Bekannte mit dem Grimm veranstaltet hatte. Mit einer unverhohlenen Befriedigung hatte sie berichtet, wie sie dem Grimm – seinem Grimm! – eine Lektion hatte. Dieses Biest! Sean tobte innerlich, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen. Juliette hatte etwas davon erzählt, dass Henrietta ihr gut zugeredet hatte die Beziehung mit Nick aufrecht zu erhalten. Und ihm wiederum rät sie, Abstand zu seiner Freundin zu halten? Was versuchte das alte Hexenbiest damit zu erreichen?   Jeden Tag, der seitdem vergangen war, kam Nick mit einem immer finsterer werdenden Gesichtsausdruck zur Arbeit. Er machte seinen Job, aber Renard bekam den Eindruck, als wäre sein Detective ständig mit den Gedanken ganz woanders. Selbst Hank war den Blicken nach zu urteilen, die er seinem Partner immer wieder zuwarf, aufgefallen, dass etwas nicht stimmte. Aber offenbar weigerte sich der Grimm darüber zu reden und es war nicht an Renard Detective Griffin darüber aufzuklären, was im Hause Silverton/Burkhardt gerade los war.   Doch vielleicht sollte er…   An diesem Punkt seiner Überlegungen öffnete Wu seine Bürotür und steckte den Kopf hinein.   „Lassen Sie mich raten, Sergeant“, antwortete der Captain bevor Wu auch nur den Mund aufmachen konnte. „Ein neuer Fall für unsere spezielle ‚Task Force‘?“. Er hatte das aufgeregte Glitzern in den Augen des Mannes bemerkt. Das legte er neuerdings öfter an den Tag, wenn es um die ‚besonderen‘ Fälle ging.   Der Asiate nickte bestätigend. „Jawohl, Sir.“   Er seufzte leise. Und wieder ein Wesen-Fall. Ein ganz normaler Tag in Portland also.   Andererseits, das könnte auch die Gelegenheit sein, endlich mit Nick zu reden. Hier konnte er ihm nicht ausweichen und wohl auch kaum einen weiteren Kinnhaken verpassen. Also winkte er leicht in Richtung der beiden Detectives. „Dann holen Sie sie rein, Wu.“   ***   Der Sergeant fasste kurz zusammen, was er bisher von der Zentrale gehört hatte. „Es geht um das Ehepaar Ellie und George Graupner. Er arbeitslos, sie arbeitet als Sekretärin, keine Kinder. Die Kollegen wurden wegen Hausfriedensbruch und häuslicher Gewalt alarmiert. Zudem hat es, nachdem dieser Anruf gemacht wurde, wohl einen Verletzten gegeben. Wie schwer konnten die Officer vor Ort bislang noch nicht sagen, sie warteten zum Zeitpunkt der Rückmeldung noch auf den Notarzt.“   Der Captain hob eine Braue. „Und?“, hakte er nach. „Bislang habe ich noch nichts Ungewöhnliches an dem Fall feststellen können, das unserer besonderen Aufmerksamkeit bedarf.“   „Moment noch, eine Sache fiel mir bei den Meldungen auf“, antwortete Wu und hob zum Verdeutlichen den Zeigefinger während er einen nach dem anderen bedeutungsschwanger ansah. „Der Mann soll die Officer, die zuerst vor Ort waren ‚angefaucht‘ haben“, fasste Wu zusammen. „Also habe ich mal nachgeforscht. Der Mann ist bereits polizeibekannt wegen diverser Schlägereien und Fahrens unter Alkoholeinfluss.“ Er reichte Hank die Mappe, die er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte. „Und es wurde wiederholt von einem ‚unüblichen Verhalten‘ berichtet.“   „Wenn man nichts verträgt sollte man nichts trinken, Wu“, meinte Hank nur während er die Akte durchging und dann an Nick weiterreichte.   „Stimmt schon“, gab der Sergeant zu, „aber seit ich weiß, dass da draußen mehr unterwegs ist als dein durchschnittlicher betrunkener Raufbold, dachte ich…“   „Du dachtest, es könnte einer von ‚denen‘ sein, stimmt’s?“ Hank grinste schief. Seit Wu Bescheid wusste hatte er ein Faible für Wesenfälle entwickelt.   „Ich kenne den Mann“, merkte Nick plötzlich an und sah von der Akte wieder hoch. Sein Blick traf den von Renard und ein paar Sekunden lang schien die Welt nur noch aus ihnen beiden zu bestehen.   Seit ihrem Kampf vor ein paar Tagen war der Detective dem Royal aus dem Weg gegangen, aber hier bei ihrer üblichen Fallbesprechung hatte er nicht weiter darüber nachgedacht. Bis zu diesem Augenblick. Seine Pupillen weiteten sich für einen Moment und der Mund von Renard verzog sich zu einem leichten Schmunzeln.   „Woher?“ Hanks Stimme klang wie durch Watte gedämpft in Nicks Ohren. Er hatte noch immer diesen Tunnelblick, der alles außer Renard ausschloss.   „Nick?“, diesmal hatte sein Partner ihn auf die Schulter geklopft und der Grimm zuckte leicht zusammen, als hätte Hank ihm einen Elektroschock verpasst. „Hey Mann, alles in Ordnung?“, fragte der Detective dann auch gleich. Natürlich war es seinem aufmerksamen Blick nicht entgangen, dass Nick eben noch mit seinen Gedanken ganz weit weg gewesen sein musste.   Burkhardt hüstelte und deutete auf das Foto des Verdächtigen. „Ja ich… hatte vor einer Weile mal eine unschöne Begegnung mit ihm und seinen Kumpels.“   „Unschön für wen?“, fragte Wu neugierig.   Hank drehte sich zu ihm um und zog eine Braue hoch. ‚Ehrlich Mann? ‘, schien sein Blick sagen zu wollen.   Wu hob die Hände abwehrend. „Hab‘s kapiert, 'Grimm-Business‘ schon klar.“ Er nahm die Mappe wieder an sich und betrachtete intensiv das Foto. „Also ist er ein Wesen.“ Neugierig hob er den Blick und starrte Nick an. „Welche Art?“   „Glauben Sie etwa Detective Burkhardt kennt alle Wesen der Stadt?“, fragte der Captain und zog leicht verärgert die Brauen zusammen. Nick hüstelte daraufhin leicht und blickte etwas verlegen zur Seite. „Oder etwa doch?“ Die Brauen wanderten erstaunt wieder nach oben.   Der Grimm seufzte und nickte. „In diesem Fall schon“, gab er zu und zuckte mit den Schultern. „Klaustreich.“   „Nun, das passt immerhin“, antwortete Renard, verschränkte die Hände und tippte mit seinen Fingerspitzen an die Unterlippe während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte.   „Inwiefern?“, fragte nun auch Hank interessiert. Er hatte sich die ganze Zeit mit verschränkten Armen an einen der Aktenböcke gelehnt und richtete sich nun auf, um einen Schritt näher zu kommen.   „Klaustreiche neigen dazu… Ansprüche auf Dinge und Personen zu erheben, die ihnen nicht gehören“, erklärte Nick. „Und wenn sie nicht freiwillig bekommen was sie wollen… Erinnerst du dich noch an Juliettes…“, er zögerte unmerklich und fuhr dann fort, „…Freundin mit dem brutalen Ehemann?“   Hank legte den Kopf schief und dachte nach. „Oh“, meinte er dann als es ihm wieder einfiel, „stimmt, der war ja auch ein Klaustreich.“   Wu hob die Hand. „Neuling?“, warf er ein.   „Klären Sie ihn unterwegs auf“, ordnete Renard an. „Und gehen Sie lieber gleich, bevor noch was passiert. Bei Klaustreichen kann man nie wissen. Kümmern Sie sich um den Mann, Detectives. Bislang gibt es noch keinen Toten in dem Fall und das sollte nach Möglichkeit auch so bleiben.“   „Stimmt“, bestätigte Nick. „Der letzte Schwung mit denen wir zu tun hatten, gehörte zu dieser Wesenrein-Gruppe. Alles üble Burschen miteinander…“   „Alle?“, fragte Wu wieder.   „Die meisten“, schränkte Renard ein.   „Aber auch nur weil sich die anderen nicht erwischen lassen“, mutmaßte der Grimm mit einem finsteren Ausdruck.   Renard schüttelte tadelnd den Kopf. „Kein Generalverdacht, Nick. Es gibt sicher auch viele friedliche Bürger unter ihnen.“   Der Detective schnaubte. Er machte mit seiner Haltung mehr als deutlich, dass er seinem Vorgesetzten nicht wirklich glaubte.   Der Captain legte den Kopf schief und betrachtete seinen Grimm aufmerksam. Es war klar, dass Nick derzeit wegen der Sache mit Juliette aufgebracht und verletzt war. Aber das durfte sich gefälligst nicht auf seine Arbeit auswirken. Er entschloss sich dem Mann einen kleinen Dämpfer zu verpassen. Mit einer hochgezogenen Braue hielt er den Blick des anderen fest und lehnte sich vor. Das Biest in ihm fing an unterschwellig zu brodeln. Nick konnte das spüren und machte automatisch einen halben Schritt zurück, bevor er sich bremsen konnte. „Gerade Sie Nick, sollten es doch besser wissen, oder Mr. ‚ich-bin-nicht-wie-meine-Vorfahren‘-Grimm?“   Das hatte gesessen, er konnte das sehen. Burkhardts Pupillen wurden einen Moment lang größer bevor er leicht beschämt den Blick senkte.   Mit einem zufriedenen Nicken, dass das geklärt war lehnte sich der Captain wieder zurück. „Also los, gehen Sie“, forderte er seine Mitarbeiter auf. „Sie wissen was zu tun ist.“   Seine Untergebenen nickten kurz, um zu zeigen, dass sie verstanden hatten und drehten sich zur Tür, die Wu gerade für sie drei geöffnet hatte.   „Alle außer Ihnen, Nick. Auf ein Wort, Detective.“   Der Grimm war schon fast aus dem Büro raus, hatte bereits den Türgriff in der Hand, und hielt nun mitten im Lauf inne. Langsam drehte er sich wieder zu seinem Vorgesetzten um. „Ist noch was?“, fragte er und seine Stimme wurde kalt.   Die anderen beiden Polizisten waren bereits einige Schritte weiter gegangen, blieben nun aber stehen und sahen sich nach dem Grimm um. Wu warf Nick einen fragenden Blick zu, aber Hank taxierte kurz das Gesicht seines Vorgesetzten, nahm dann den Sergeant bei der Schulter und drückte ihn sanft, aber bestimmt in Richtung Ausgang. „Wir gehen schon mal zum Auto vor, beeil dich“, rief er seinem Partner über die Schulter zu. Was auch immer er im Gesicht des Royals gesehen hatte überzeugte ihn darin, dass es hierbei um eine Sachen zwischen den beiden Männern ging – und zwar ausschließlich um ihn und Nick. Und das schnelle Kopfnicken des Captains gab ihm Recht. Und als einfaches Ungesicht wollte er sich nicht unbedingt in das Grimm/Royal-Business einmischen, wenn es nicht sein musste.   Burkhardt war indessen einen Schritt in Renard‘s Büro zurück getreten und hatte die Tür wieder hinter sich zu gemacht. Der Captain legte den Kopf schief und sah den Mann an. Heute war nichts mehr von der unbändigen Wut und Verzweiflung in dem Jüngeren zu spüren, die ihn neulich Abend in sein Haus getrieben hatte. Nur eine tiefe Leere zeichnete sich in den stahlblauen Augen und den dunklen Schatten darunter ab. Hatte der Grimm überhaupt geschlafen in letzter Zeit? ‚Ach ja, die Couch…‘   „Wegen neulich...“, begann er schließlich, brach ab und räusperte sich. Nick kratze sich tatsächlich mit einer leicht verlegenen Geste hinter dem rechten Ohr, bevor er die Arme vor der Brust verschränkte. Klassische Übersprunghandlung – Flucht oder Angriff. Renard hoffte nur, dass der Detective ihm hier auf dem Revier nicht gleich wieder an die Kehle springen würde, sollte er sich doch eher für letzteres entscheiden. Bei Grimms konnte man nie wissen und dieser hier sah aus, als würde ihm gerade alles, was ihm etwas bedeutete weggenommen, einschließlich dem Boden unter den Füßen. Sean kannte diesen Gesichtsausdruck nur zu gut. Zuletzt hatte der Jüngere so ausgesehen, als Juliette ihr Gedächtnis verloren hatte und er aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen war. Es hatte Monate gedauert, bis Nick wieder einigermaßen wie er selbst ausgesehen hatte. Und nun würde er Juliette vielleicht ganz verlieren. Was mochte das wohl mit der Seele des Mannes, der vor ihm stand, anrichten?   „Was ist damit?“, fragte der Detective schließlich barsch, da Renard ihn sekundenlang nur wortlos angestarrt hatte. Es klang beinahe feindselig. Nick stemmte die Hände in die Hüften während er auf die Antwort des Captains wartete. Die goldene Marke an seinem Gürtel blitze kurz im Sonnenlicht auf, welches durch das Fenster hinter Renards Schreibtisch in den Raum hinein schien, als er den Oberkörper ein wenig seinem Vorgesetzten zudrehte.   Der Royal sammelte sich und klopfte ein paar Mal leise mit seinem Stift auf den Tisch, bevor er schließlich weiterredete. „Wollen Sie darüber reden?“   In den Augen des Grimms blitzte es kalt auf und er strahlte wieder diese gefährliche Aura aus, in dessen Gegenwart das Biest beinahe verzückt aufseufzte. Nick verschränkte erneut die Arme vor der Brust in einer Maske purer Ablehnung. „Da gibt's nichts zu sagen. Wie Sie schon meinten, das ist eine Angelegenheit zwischen Juliette und mir. Wenn das alles ist, wir müssen los. Ich will nicht dass wir nachher doch noch eine Leiche haben.“ Er zog eine Augenbraue hoch. Seine Aussage klang beinahe wie eine Drohung.   Einen weiteren Moment lang ruhte noch Renards Blick auf dem jungen Grimm, dann entließ er ihn mit einer knappen Geste. Der Detective verließ schnellen Schrittes das Büro und die Tür fiel etwas geräuschvoller als nötig ins Schloss. Der Captain konnte noch sehen, wie er zu seinem Schreibtisch ging, wortlos die Jacke vom Stuhl riss und zügig den Raum verließ. Es wirkte beinahe wie eine Flucht.   Renard lehnte sich zurück und tippte mit den Fingerspitzen aufeinander. Seine Mundwinkel umspielte ein leises Lächeln, während er vor seinem geistigen Augen den ‚speziellen‘ Abend Revue passieren ließ. 'Lauf nur davon, mein kleiner Grimm', dachte das Biest. 'Das macht die Jagd nur interessanter... Früher oder später wirst du dich mir stellen müssen. Mal sehen, wer dann die Oberhand behält...'   In dem Augenblick klopfte es an seiner Tür und Sergeant Franco steckte den Kopf rein. „Sir? Wir haben eine Messerstecherei im ‚Broadway Saloon‘ in Beaverton. Ein Toter, ein Schwerletzter.“   Renard seufzte leise und das Biest war mehr als unzufrieden unterbrochen worden zu sein. Aber die Pflicht rief. Der Captain dachte kurz nach. In dieser Gegend war es eher unwahrscheinlich, dass großartig Wesen involviert waren. Zumindest war ihm noch nicht zu Ohren gekommen, dass sich in der Bar eine größere Zahl von ihnen versammelte. „Ok, Franco, schicken Sie Holtby und Bauer hin.“   „Geht klar, Sir“, antwortete der ältere Sergeant und schloss die Tür wieder.   Das Handy in der Schreibtischschublade fing in diesem Moment an zu surren. Renard holte es raus und schaute auf die Rufnummernanzeige. 'Interessant', dachte er nur und hob ab. „Ja?“, meldete er sich kurzbündig und lauschte gespannt den Worten des Anrufers.   Wutausbrüche ------------ Hank und Wu saßen bereits im Auto, als Nick die Garage betrat. Er nahm auf dem Beifahrersitz Platz und legte den Sicherheitsgurt an, bevor sein Partner den Motor startete.   „Was wollte der Captain denn von dir?“, fragte Wu mit hochgezogener Augenbraue und deutete mit dem Daumen zurück über seine Schulter.   „Irgendwas über das wir Bescheid wissen sollten?“, hakte auch Hank nach.   „War nichts weiter“, meinte Nick nur in einem genervten Ton und winkte ab. Er atmete geräuschvoll aus und starrte aus dem Fenster.   ‚Also wenn das ‚nichts‘ ist, dann bin ich ein Blutbader‘, dachte Hank zweifelnd und warf einen Blick in den Rückspiegel. Dort traf er auf den ebenfalls zweifelnden Blick von Wu. Er zog einen Mundwinkel hoch und schüttelte kaum merklich den Kopf. Der Sergeant glaubte dem Grimm ebenso wenig, dass alles okay wäre, wie er selber. Aber Hank hatte ums Verrecken keine Idee was hier vor sich gehen mochte.   Höchst ärgerlich.   Auf der Fahrt zum Tatort redeten beide Detectives nicht viel miteinander und selbst Wu hielt sich auffällig zurück mit seinen beißenden Kommentaren. Sogar die Klaustreich-Lektion fiel aus, Wu würde es sich halt eben wieder im Trailer mit den Büchern gemütlich machen müssen. Nicht dass ihn das groß störte…   Seit Wu eingeweiht war lief es immerhin an den Tatorten viel lockerer und schneller ab. Sie mussten sich keine komischen Ausreden und merkwürdige Theorien mehr aus den Fingern saugen, um ihn ruhig zu halten. Ein einfaches „Wesen“ genügte und es wurden keine weiteren Fragen gestellt. Das machte es Nick leichter seinem ‚Zweitjob‘ nachzugehen. Im Nachhinein wunderte er sich tatsächlich gelegentlich, warum sie den Sergeant eigentlich nicht schon viel früher eingeweiht hatten.   Aber natürlich wusste er die Antwort: weil er es nicht verstanden hätte.   Der arme Kerl war ja damals fast durchgedreht, als er auf den Aswang traf, da wollte der Grimm ihm einfach nicht noch mehr zumuten. Aber Wu hatte seinen Platz in der kleinen privaten Eingreiftruppe gefunden und ganz wie der Nerd, der er im tiefsten Inneren seines Herzens war, verbrachte der Sergeant nun ganze Nächte damit alle Bücher und Wesen zu studieren, über die Nicks Tagebücher zu berichten wussten.   Er hoffte bloß, dass nicht irgendetwas passierte, das den Asiaten wieder aus der Bahn warf.   So wie er selber gerade aus der Bahn zu rutschen drohte.   Nick konnte gelegentlich den verwunderten Blick von Hank auf sich spüren, aber der Grimm sah sich nicht genötigt (oder auch nur in der Lage) irgendwas zu sagen, dass die Situation entspannt hätte. Er war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt und Gott wusste, er hatte genug um die Ohren, um das er sich Sorgen machen musste.   ‚Adalind‘, dachte er wieder und sah förmlich einen roten Schleier vor seinen Augen vorbeiziehen. Wenn sie das nächste Mal aufeinandertrafen würde Nick für nichts garantieren können…   ***   Schließlich kamen sie am Tatort an. Ein Streifenwagen wartete am Bordstein, davor stand ein Krankenwagen und ein Techniker vom CSI machte eben noch Fotos von der eingetretenen Tür.   Es handelte sich um eines der einfacheren Häuser in der Straße. Zwei Stockwerke, kein Keller und an der rechten Seite eine Garage mit Auffahrt. Das Grundstück hatte an der Vorderseite keinen Zaun und das kleine Blumenbeet vor den Fenstern war vertrocknet. Links neben dem Haus verlief ein kleiner Weg der vermutlich in den Garten führte. Hier versperrte anscheinend normalerweise eine Tür aus Maschendrahtzaun den Weg, doch im Augenblick stand diese weit offen. Vermutlich hatten die Kollegen das Haus von allen Seiten begutachten wollen und sie geöffnet. Gleiches galt auch für das Garagentor, das ebenfalls geöffnet worden war und den Blick auf eine große Sammlung von eingedellten Kartons und Kisten, angeordnet um einen kanariengelben 74er Ford Mustang mit schwarzer Motorhaube herum freigab. Kein übermäßig wertvolles Modell, aber ganz sicher keine Familienkutsche. Ein Muscle-Car.   „Scheußliche Farbe“, kommentierte Wu und schüttelte bei dem Anblick den Kopf. Warum nicht schwarz? Oder wenigstens rot? Blau mit Weiß wäre auch besser gewesen als das…   Der Wagen passte jedenfalls optisch nicht so recht zum Gesamteindruck des Hauses, da die Lackierung blitzte und funkelte. Offenbar war er das Lieblingsstück des Hausherren und das Einzige, was ihn interessierte, denn das Haus machte ansonsten insgesamt einen eher schäbigen, heruntergekommenen Eindruck.   Schließlich traten sie an die Eingangstür und begrüßten die Kollegen.   „Wow“, meinte Wu und pfiff leise durch die Zähne beim Anblick der zersplitterten Tür und des rausgebrochenen Schlosses. „Da war aber jemand sauer…“   „Klaustreiche sind sehr besitzergreifend“, erinnerte ihn Hank und sah sich dann im Eingangsbereich des Hauses um.   „Ach was“, merkte Wu an und zog wie üblich seine Augenbraue hoch.   Nick ging an beiden vorbei und sprach den Officer an, der dort auf sie gewartet hatte. „Da hatte einer ziemlich viel Kraft“, meinte der und deutete auf die Tür kaum dass Nick ihn begrüßt hatte. „Die Frau hatte abgesperrt und wollte ihn nicht ins Haus lassen, weil ihr Mann betrunken war und herumschrie. Schließlich gab die Tür nach und er fiel über sie her. Hat sie ziemlich böse im Gesicht erwischt, aber zum Glück kamen wir noch rechtzeitig, bevor er ihr schlimmeres antun konnte.“   „Wer hat die Polizei gerufen?“, wollte Hank wissen, der inzwischen zu Nick und dem Officer getreten war, Wu im Schlepptau.   „Einer der Nachbarn“, antwortete der Officer und schlug sein Notizbuch auf. „Ein gewisser Stuart Franklin von schräg gegenüber. War wohl gerade auf dem Weg zur Arbeit, als er das Drama mitbekam. Rief sofort die 911 und versuchte dann den wütenden Ehemann zu stoppen. Hat zwar der Frau etwas Zeit verschafft, ihn dafür aber selber fast das Leben gekostet.“ Der Officer deutete auf die Liege und den darauf festgeschnallten Mann beim Rettungswagen. Hank konnte sehen, dass sein Gesicht unter der Sauerstoffmaske blutig war, genau wie sein zerrissenes Hemd. Die Sanitäter untersuchten offenbar gerade noch vereinzelte Schnitt- und Platzwunden, bevor sie die Liege in den Krankenwagen hoben.   „Ich versuche kurz mit ihm zu reden bevor man ihn wegbringt“, sagte er zu seinem Partner. „Sprich du mit der Frau, dann nehmen wir uns zusammen den Ehemann vor.“   „Ist gut.“ Nick wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Officer zu, der wohl auf Anweisungen von dem Detective wartete. „Wo ist der Ehemann?“   „Der wurde von den Kollegen bereits aufs Revier gebracht. Er war kaum ruhig zu stellen, also wollten sie ihn erst mal zur Ausnüchterung in eine Zelle stecken.“   „Auch gut“, antwortete Nick. „Und die Frau?“   „Im Wohnzimmer mit meiner Partnerin. Sie wird gerade ärztlich versorgt.“ Er deutete mit der Hand in die entsprechende Richtung.   Der Detective nickte und dankte ihm für die Hilfe. Dann folgte er der angegebenen Richtung und betrat gemeinsam mit Wu das Wohnzimmer.   Es sah hier drinnen eindeutig nach einem Kampf aus. Stühle waren umgekippt, eine Lampe musste vom Tisch gefegt und an die gegenüberliegende Wand geschleudert worden sein. Überall lagen Glasscherben und verstreutes Obst. Vermutlich hatte die Frau eine Schale zur Verteidigung geworfen, stellte Nick mit geübtem Blick fest, da die Splitter und Äpfel alle eine Bewegung in Richtung Eingangstür zeigten. Viel hatte es ihr aber nicht geholfen.   Die angekündigte Polizistin stand bei der Ehefrau und befragte sie routiniert mit ruhiger Stimme. Die Frau saß halb zusammengesunken auf der Couch, eine Decke wärmend über ihren Schultern ausgebreitet, als könnte diese sie vor der Welt beschützen. Das Make-Up des Opfers war völlig verschmiert und ihre linke Wange war rot und geschwollen. Ein Sanitäter hatte seine Tasche auf dem Couchtisch bei der Frau abgestellt und zog gerade Gummihandschuhe über, um die Verletzung zu versorgen. Er nahm ein paar kleine Kompressen aus einem sterilen Beutel und betupfte damit vorsichtig die geplatzte Lippe und Augenbraue. Die Frau zuckte vor Schmerz zusammen und zeigte eine Aufwallung.   „Tugendschaf“, seufzte Nick (Warum ließ sich so ein sanftes Wesen auf einen Klaustreich ein? Das Ende war doch von Anfang an abzusehen gewesen…).   „Die Frau sieht auch wirklich fast aus wie ein Opferlamm“, murmelte Wu leise. „Dabei ist doch noch ne Weile hin bis Ostern…“. Er winkte der Polizistin zu und nickte in Richtung seines Begleiters. Der Officer entschuldigte sich bei der Frau und trat zu ihren Kollegen.   „Sarge“, nickte sie dem Asiaten zu und betrachtete den Grimm neugierig.   „Dana“, begrüßte Wu die Frau und deutete auf Nick. „Das ist Detective Burkhardt. Ich glaube ihr hattet noch nicht das Vergnügen, oder?”   „Nein”, antwortete die Polizistin und lächelte. „Aber ich habe schon viel von Ihnen gehört, Detective.“ Sie lächelte geheimnisvoll ehe sie leicht den Kopf bewegte und ihr Wesen offenbarte.   „Officer Dana“, nickte er zur Begrüßung. ‚Eine Scharfblicke, nicht schlecht. Gute Beobachtungsgabe‘, dachte Nick. Er warf Wu einen Blick zu, hob die Braue und deutete mit einem leichten Kopfnicken in Richtung des Officer. Mit den Lippen formulierte er ein tonloses ‚Wesen‘.   Der Sergeant verzog den Mund und hob die Brauen. Er warf der Frau einen schnellen Blick zu und schien sie mit neuen Augen zu betrachten. „Ich gehe mal schnell mit Ihrem Kollegen die Befragung der Nachbarn koordinieren. Bin gleich wieder da“, meinte Wu schließlich und entfernte sich in Richtung Eingangstür.   Nick schaute ihm einen Moment hinterher und wandte sich dann wieder der Polizistin zu. Er neigte den Kopf zur Seite und lächelte schief. „Respekt für das Outing, Officer. Ich treffe nicht oft jemanden, der in meiner Gegenwart so offen damit umgeht.“   Sie zuckte mit den Schultern. „Wir stehen schließlich auf derselben Seite, Sir“, antwortete sie ruhig. „Ich weiß von Ihren Fällen und wie Sie mit den Wesen umgehen. Vor einiger Zeit haben Sie einer Bekannten von mir geholfen. Sie erinnern sich bestimmt an die Sache mit diesen Geisterjägern?“ Burkhardt brummte zustimmend. Die Ehefrau eines der Opfer des Mataca Zumbida war selber eine Scharfblicke gewesen. „Ich gebe zu, ich hatte erst so meine Zweifel, aber Sie sind wirklich nicht wie Ihre Vorfahren. Sie helfen Wesen.“ Dann deutete sie mit einem Nicken auf die Ehefrau. „Und sie kann jede Hilfe gebrauchen, die sie kriegen kann.“   Nick seufzte und betrachtete die verängstigte Frau. „Tugendschafe haben es nie leicht“, antwortete er. „Aber warum sie sich ausgerechnet auf einen Klaustreich eingelassen hat…“   „Die übliche Geschichte“, meinte Officer Dana und zuckte wieder mit den Schultern. „High School Liebe – er war der beliebte Sportlertyp und sie die Graumaus-Leseratte. Er war anfangs ganz liebevoll und aufmerksam, trug sie auf Händen. So lange, bis er ihr den Ring an den Finger steckte und sie zu seinem Eigentum erklärte. Eine Zeit lang lief es wohl trotzdem noch gut, dann wurde er arbeitslos und begann mit der Sauferei. Sie musste das Geld verdienen, schob Doppelschichten um alles zu finanzieren und gleichzeitig erwartete er von ihr den Haushalt zu führen und ihn von vorne bis hinten zu bedienen. Und wenn sie nicht schnell genug neues Bier ranschaffte… naja, Sie verstehen.“ Dana schlug die Rechte zur Faust geballt in die flache Linke und verzog die Mundwinkel.   Ja, der Detective verstand nur zu gut, was die Polizistin meinte. Nicht ohne Grund hatten Klaustreiche so einen schlechten Ruf als Ehepartner. Dass es trotzdem immer noch Frauen gab, die sich mit ihnen einließen ging über seinen Verstand.   „Allerdings…“, Officer Dana zögerte und zog die Brauen zusammen. „Seien Sie mir nicht böse, Detective, aber warum hat man Sie zu diesem Fall hinzugezogen? Nichts gegen Sie persönlich“, beeilte sie sich zu sagen, „aber es ist doch eher ungewöhnlich, dass bei einem Fall von Hausfriedensbruch, häuslicher Gewalt und Körperverletzung zwei Detectives mit der Spezialität Mordermittlung hinzugezogen werden. Und dann auch noch ausgerechnet ein Grimm…“   „Warum wundert Sie das, Dana? Wenn Sie schon wissen was ein Grimm ist müsste Ihnen doch klar sein, dass sowas zu seinem Aufgabengebiet gehört“, antwortete Wu, der inzwischen unbemerkt dazu getreten war, schlicht. „Er kümmert sich eben um alle ‚wesentlichen‘ Fälle beim Portland P.D.“. Er grinste.   Überrascht sah Dana erst Wu an und warf dann Nick einen fragenden Blick zu. Der winkte ab. „Ja, der Sergeant weiß Bescheid. Wir können also frei reden.“   „Genau, ich bin ein… wie heißt das? Ein ‚eingeweihtes Ungesicht‘, richtig?“ Er wippte auf den Zehenballen vor uns zurück, als versuchte er sich etwas größer zu machen.   „Wie du sagst, so ist es, Wu.“ Nur mit Mühe konnte Nick ein leises Lachen unterdrücken und tätschelte stattdessen seinem Kollegen die Schulter.   Die Polizistin wandte sich daraufhin ihrem Vorgesetzten wieder zu und grinste. „Heißt das, ich darf jetzt die ganze Wahrheit in meine Berichte schreiben, Sarge?“   „Er weiß Bescheid, Officer, nicht das ganze Department“, beeilte sich Nick zu sagen, zwinkerte ihr dann aber zu und meinte verschwörerisch, „aber Sie können ihm ja kleine Zettelchen reinlegen, wenn es Ihnen Spaß macht. Er liiiebt interessante Wesen-Geschichten.“ Nick schnaubte amüsiert über den typischen genervten Ausdruck des Asiaten.   „Ha ha.“ Wu sah wieder Officer Dana an. „Und unser lieber Grimm hier sollte besser mal kurz dem Ehemann auf die Finger klopfen, wenn ich mich hier so umsehe. Hat er genug mit zu tun.“ Diesmal verzog der Detective das Gesicht und rollte mit den Augen.   „Soso“, meinte die Officer nur mit unbestimmtem Ton und ihr Blick wanderte über Wu‘s Schulter zur Tür.   „Nick?“, bat Hank, der eben den Raum betrat, seinen Partner zu sich. Der entschuldigte sich bei den uniformierten Kollegen und ging rüber zur Tür, wo Hank auf ihn wartete.   „Er weiß übrigens auch Bescheid“, hörte Nick noch Wu sagen, dann wandten sich die beiden wieder der Ehefrau zu.   „Und hast du was rausbekommen?“, der Grimm sah seinen Partner fragend an.   „Ich habe nicht viel von diesem armen Kerl erfahren können, bevor sie ihn ins Krankenhaus gebracht haben. Nick, der Mann hatte einen Kreislaufstillstand, während ich ihn ansprach. Der Notarzt meinte er könnte schwere innere Blutungen davongetragen haben, da mehrere Rippen gebrochen wurden. Er müsse sofort operiert werden. Und selbst dann können sie noch nicht sagen, ob er wieder gesund wird.“   Nick pfiff leise durch die Zähne. „Da hatte aber wirklich jemand ne Mordswut.“   „Kann man so sagen. Auf jeden Fall ist aus dem Hausfriedensbruch und häuslicher Gewalt damit jetzt mindestens zusätzlich eine Anklage wegen schwerer Körperverletzung geworden. Und wenn der Mann die OP nicht überlebt haben wir sogar einen Mord. Du musst dir definitiv mal den Ehemann vornehmen, Nick.“   Die Augen des Grimm wurden wieder kalt bei diesen Worten, genau wie vorhin auf dem Revier. Er warf einen kurzen Blick auf die verletzte Ehefrau und verließ dann schnellen Schrittes das Haus, die Hände zu Fäusten geballt. Überrascht sah Hank ihm eine Sekunde hinterher, dann lief er seinem Partner nach, der bereits beim Auto angekommen war und die Fahrertür aufriss. „Hey, Nick, was ist denn los? Wo willst du denn hin?“   „Wohin? Na ich geh natürlich mein Werkzeug holen“, antworte der mit beißendem Sarkasmus in der Stimme. „Glaubst du etwa ich hab meine Doppelaxt hinten im Kofferraum zu liegen?“ Er deutete mit dem ganzen Arm in die entsprechende Richtung, während er sich mit der anderen Hand auf den Türrahmen stützte. Ein leichter Grauschleier zog sich einmal über seine Haut und seine Augen blitzten gefährlich.   Er wirkte so wütend, dass Hank unwillkürlich die Hände hochriss. „Hey Mann, ganz ruhig. Muss ja nicht gleich jeder mitkriegen, dass du ein Grimm bist. Was hast du denn in letzter Zeit? Du bist doch sonst nicht so reizbar…“   „Was ich habe?“ Wütend schmiss Nick die Tür wieder zu. „Na was denkst du denn, was ich hab?“ Mit beiden Fäusten hämmerte er einmal auf den Rahmen des Autos und warf dann die Arme in die Luft. „Kaum zu glauben, dass mich auch mal jemand fragt, was ich habe oder möchte.“ Er schnaubte wütend und deutete auf das Haus, aus dem sie gerade gekommen waren. „Ist dir eigentlich klar was du gerade eben zu mir gesagt hast? Das ‚um den Ehemann kümmern‘? Das höre ich jetzt schon zum dritten Mal heute Morgen. Weißt du nicht was das normalerweise bedeutet, wenn du jemanden wie mich damit beauftragst? Was soll ich denn tun? Ihn windelweich prügeln? Ihn ‚Kraft meiner Grimmigkeit‘ aus der Stadt jagen? Einen Kopf kürzer machen?“ Nick schloss kurz die Augen, atmete tief durch und schüttelte leicht den Kopf. Als er den Blick wieder hob und seinen Partner ansah wirkten seine Augen einfach nur leer. „Hank, was machen wir hier eigentlich? Der Officer hat Recht wenn sie sich wundert was zwei Mordermittler hier vor Ort sollen. Der Mann wurde beobachtet, bei der Tat aufgegriffen und bereits verhaftet. Darum kümmern sich die normalen Officers. Alles andere ist Sache der CSIs und der Staatsanwaltschaft. Was sollen wir hier also ermitteln? Warum sind wir hier?“   „Weil der Captain uns hergeschickt hat. Bell hier nicht den falschen Baum an. Wenn du ein Problem mit dem Fall hast, dann solltest du es vielleicht mit ihm klären und nicht mir deswegen den Kopf abreißen…“   „Weißt du was“, meinte der Grimm und reckte das Kinn. „Genau das werde ich tun.“ Er holte sein Handy aus der Jackeninnentasche, rief aus dem Speicher die Nummer von Sean Renard auf und wählte. Nach nur zwei Freizeichen wurde am anderen Ende der Anruf entgegengenommen. „Captain? Ich hab’s mir anders überlegt. Wir sollten wirklich reden.“ ***   Nachdem er den Captain angerufen und das Handy nach dem kurzen Gespräch wieder in seine Jackentasche gesteckt hatte, war Nick noch einen Moment am Wagen stehen geblieben, um sich wieder zu beruhigen. Die arme Frau hatte schon genug mitgemacht, da musste sie nicht auch noch einen wütenden Grimm erleben. Renard hatte ihn auf den Feierabend vertröstet, also musste er das hier wohl oder übel erst mal zu Ende bringen.   Als er schließlich das Haus wieder betrat war der Sanitäter gerade fertig geworden und packte seine Sachen zusammen. Der Grimm hatte mit Engelszungen auf die Ehefrau eingeredet, damit sie ihren Mann anzeigt, aber die Frau war viel zu verängstigt. Was auch immer ihr Mann hatte erreichen wollen, als er den Nachbarn fast totprügelte, es hatte zumindest die Frau überzeugt, dass es besser wäre sich einem Klaustreich nicht entgegenzustellen.   „Oder können Sie nicht…?“, hatte ihn das Tugendschaf mit einem tränenreichen Augenaufschlag gefragt.   Genau so eine Situation hatte er immer vermeiden wollen. Es lag Nick viel daran den Wesen von Portland zu helfen, für Gerechtigkeit zu sorgen, wo er konnte. Aber er war immer noch ein Polizist und was sich die Frau von ihm erwartete… oder vielleicht auch nur unterschwellig erhoffte… das wäre Selbstjustiz. Und das machte er nicht.   Zugegeben, es war nicht so, dass er dazu nicht in der Lage gewesen wäre. Viel von dem, was vor nicht allzu langer Zeit beim Aufeinandertreffen mit diesen ‚Wesenrein‘ passiert war fiel unter Selbstjustiz. Und wenn man es genau betrachtete fiel so einiges, was er in seinem ‚Nebenjob‘ tat und erlebte unter diesen Begriff, doch bei Wesen war das eben nicht so einfach. Hier gab es kein Schwarz und Weiß, sondern eine einzige große Grauzone, mit all den jahrhundertealten Fehden und Antipathien der verschiedenen Wesengruppen gegeneinander. Und dem Wesenrat und dem Gesetzbuch-Kodex nicht zu vergessen. Aber Nick glaubte trotz allem noch an Recht und Gesetz. Und die Frau hatte noch lange nicht alle normalen Möglichkeiten ausgeschöpft.   Sicher, Nick hatte bereits zweimal mit solchen einseitigen Ehen zu tun gehabt und in beiden Fällen war es für die Frauen schier unmöglich gewesen, sich alleine aus dieser Ehe zu befreien. Aber sie mussten es ja auch nicht unbedingt alleine bewältigen. Auch unter den Wesen gab es in der Gemeinde Möglichkeiten Hilfe zu bekommen. Wenn man denn nur danach fragte. Das hatte ihm Rosalee damals erzählt, nachdem er von Alicia und ihrem Mann berichtet hatte. Und diese Informationen gab er nun an die verzweifelte Frau weiter in der Hoffnung, sie würde seinem Rat folgen. Er versicherte ihr trotzdem, sie könne sich jederzeit an ihn wenden, wenn es schlimmer werden würde und sie Hilfe bräuchte. Gleichzeitig hatte er aber auch ihre Erwartungen an das, was er auszurichten vermochte, gedämpft. „Ich tue was ich kann, aber wir regeln das nach Recht und Gesetz und nicht anders.“ Das Tugendschaf hatte ihn daraufhin mit erstaunten großen Augen angesehen.   Officer Dana hatte ihm ihrerseits während des Gespräches mehrfach prüfende Blicke zugeworfen und sogar zustimmend genickt, als er der Frau von den Hilfemöglichkeiten erzählte. Ihr war mit Sicherheit aufgefallen, dass er nach Hanks Bemerkung zunächst wütend das Haus verlassen hatte. Ihre eigene Reaktion auf die dumme Anmerkung von Wu hatte deutlich gezeigt, was sie unter diesem einfachen Satz verstand. Nämlich das gleiche, wie Nick selber. Zum Abschied hatte sie ihm dann auch tatsächlich die Hand geschüttelt und eine leise Bemerkung über ahnungslose Ungesichter gemacht. „Lassen Sie sich von den Leuten bloß nicht zu irgendwas Dummem überreden“, hatte sie gesagt. „Sie helfen den Wesen von Portland mehr, wenn Sie so weitermachen wie bisher und Ihren Job als Polizist erledigen. Axtschwingende Grimms gab es bereits genug. Sie sind anders und das meine ich positiv, Detective. Und abgesehen davon erreicht man mit Drohungen bei Klaustreichen eh meistens eher das Gegenteil. Hat mich jedenfalls wirklich gefreut Sie mal persönlich kennenzulernen, Grimm.“   „Ganz meinerseits, Officer Dana.“ Der Detective würde es wahrscheinlich niemals zugeben, aber das Gespräch hatte ihm gut getan. Er begegnete so oft Misstrauen, dass dieser Vertrauensvorschuss einiges wieder gut machte.   Dann traf er letztlich doch noch auf den Mann. Rein dienstlich natürlich.   Nachdem er ausgenüchtert war, hatte Hank ihn in den Verhörraum bringen lassen, um ihn mit der schweren Körperverletzung zu konfrontieren, der er beschuldigt wurde. Der hilfsbereite Nachbar hatte die OP inzwischen überstanden, aber sein Zustand wurde von den Ärzten noch immer als ‚sehr kritisch‘ eingestuft.   Nick hatte sich während des Verhörs absichtlich im Hintergrund gehalten, bereit Hank jederzeit zu unterstützen, sollte es notwendig werden. Und da es um einen Klaustreich ging, war es natürlich irgendwann nötig.   Er hatte erst ruhig mit verschränkten Armen an die Wand gelehnt gestanden und nur beobachtet. Als sich der Mann dann immer mehr in seine Wut steigerte und auch der Pflichtverteidiger seinen Mandanten nicht mehr beruhigen konnte schritt er ein.   Eigentlich brauchte es nicht viel. Der Klaustreich wallte während einer seiner Tiraden auf und Nick trat nur an den Tisch und stützte sich ihm gegenüber mit beiden Händen auf der Platte ab. Als hätte er ihn geschlagen zuckte der Klaustreich zurück und seine Aufwallung verschwand. Seine Lippen formulierten ein entsetztes ‚Grimm‘. Hank musste sich beinahe ein Lächeln verkneifen und der Anwalt sah seinen Schützling leicht irritiert an. Offenbar war der kein Wesen.   „Beten Sie lieber, dass der Mann überlebt, George“, hatte er dem Klaustreich gesagt, bevor er sich wieder aufrichtete. „Ansonsten sehen wir uns wieder.“ Dann schaute er Hank und den Anwalt fragend an. „Möchte jemand einen Kaffee? Ich könnte einen vertragen…“ Feierabendgespräch - Teil 1 --------------------------- Der Captain rollte die letzten Meter mit seinem Auto den Bürgersteig entlang, zog die Bremse an und stellte dann den Motor ab. Beide Hände noch am Lenker warf er prüfende Blicke in die Umgebung. Alles schien ruhig zu sein. Nun, es war ja auch eine eher ruhige Wohngegend, in die Detective Burkhardt gezogen war. Schöne alte viktorianische Häuser gebaut kurz nach der Jahrhundertwende des 19. Jahrhunderts säumten rechts wie links die hügelige Straße.   Er war überrascht gewesen, als er diesen Anruf von Nick bekommen hatte. Besonders wenn man bedachte, wie sehr er sich noch kurz zuvor so vehement dagegen gewehrt hatte. Ob irgendetwas am Tatort vorgefallen war?   Bevor Renard den Schlüssel abzog und ausstieg überprüfte er noch, ob seine Waffe an der Hüfte gut zu erreichen war. Nick hatte ihn zwar… eingeladen, aber falls der Grimm wieder in Raserei verfiel wollte er gerüstet sein. Dann schaute er kurz in den Rückspiegel und öffnete die Fahrertür. Der Asphalt unter seinen Füßen war nass, aber das war in Portland im Herbst nicht weiter verwunderlich. Er warf die Tür hinter sich zu und drückte den Knopf für die Zentralverriegelung auf dem Zündschlüssel, ehe er ihn in seiner Manteltasche verschwinden ließ. Noch einmal nach rechts und links blickend setzte sich der Captain in Bewegung und überquerte die Straße. Dann trat auf den schmalen Beton Weg, der zum Hauseingang führte.   Er vermochte nicht genau zu sagen warum, aber das Haus machte irgendwie einen verlassenen Eindruck auf ihn. Vielleicht lag es an der halbvertrockneten Blumenampel, keine Ahnung. Auf jeden Fall konnte er spüren, dass die Hausherrin weg war. Renard warf einen Blick durch das Türfenster ins Haus hinein. Plötzlich spürte er Schmerzen in der Brust. Halb panisch drehte er sich von der Tür weg, stolperte die zwei Schritte zurück zur Treppe, um mehr Licht zu haben und zog er den Mantel beiseite. Vorsichtig tastete er nach seinen Narben. Als er die Hand wieder hervorzog und auf Blutflecken prüfte, konnte er zum Glück keines sehen. Dieses Mal jedenfalls nicht. Der Royal atmete tief ein und langsam wieder aus, um sich etwas zu beruhigen. Die drei Schüsse waren ihm genau hier beigebracht worden. Auf der Türschwelle. Er hatte nicht unbedingt daran gedacht, dass so etwas passieren könnte, als er Nicks Vorschlag sich bei ihm zu Hause zu treffen zugestimmt hatte. Eigentlich dachte er, er hätte das Trauma oder was es war, längst überstanden. Immerhin lebte er noch, während Steward von der kleinen Grimm einen Kopf kürzer gemacht worden war. Eine Tatsache die, wie Renard zugeben musste, ihm eine ungeheure Befriedigung verschaffte. Wieder einmal hatte er einen Anschlag seiner ‚Familie‘ überlebt. Wenn auch nur knapp und nur dank des Opfers seiner Mutter.   Aber er lebte, das war die Hauptsache.   Wenn nur diese merkwürdigen Blutungen nicht wären…   „Wollen Sie schon wieder gehen?“, hörte er die raue Stimme des Hausbesitzers hinter sich. Der Captain war so in Gedanken gewesen, dass er gar nicht mitbekommen hatte, wie Nick die Tür geöffnet hatte.   „Ich genieße nur den Ausblick, Detective“, antwortete der Royal ausweichend. Er straffte seine Schultern und zog seine Krawatte glatt, bevor er sich wieder zur Tür umdrehte. Nur um zu entdecken, dass sie offenstand, aber der Grimm bereits wieder hineingegangen war. ‚Er hat bestimmt mein hektisches Atmen gehört…‘ Wollte der Mann ihm etwa einen Moment geben sich zu sammeln? Das wäre in dieser Situation erstaunlich rücksichtsvoll. Oder brauchte er selber diese Extra-Zeit?   ‚Durch hier draußen warten bekomme ich keine Antworten‘, dachte Renard und trat entschlossen ein.   Im Haus sah es wüst aus. Überall eingedrückte Wände, Möbel standen scheinbar wahllos herum, Lampen fehlten und hatte hier nicht mal ein Glastisch gestanden? Es fehlte sogar ein Stück vom Geländer der Wohnzimmertreppe gegenüber. Das hübsche Schmetterlingsbild bestand nur noch aus einem demolierten Rahmen und in der Wand drum herum konnte er Abdrücke von Messern erkennen. Sogar einer der Balken über seinem Kopf war zersplittert stellte er überrascht fest.   „Du meine Güte, was ist hier passiert?“, fragte er entsetzt und drehte sich um die eigene Achse um den ganzen Schaden in sich aufzunehmen. Typisch für einen Polizisten liefen gleich mehrere Szenarien vor seinem inneren Auge ab. Hatten Nick und Juliette gekämpft? Hatte jemand anderes die beiden angegriffen? Er erinnerte sich, dass vor nicht allzu langer Zeit der Marechaussée in das Haus eingedrungen war und versucht hatte Juliette als Druckmittel gegen Nick zu verwenden. Und dabei vom Hexenbiest überraschend getötet worden war. Aber wenn Renard genau darüber nachdachte, konnte jener Kampf zwar vielleicht ein paar der fehlenden oder verrückten Möbel und Vasen erklären, aber so ein Ausmaß an Zerstörung hatte es den Berichten nach damals nicht gegeben. Und zumindest Juliette hätte sicher längst dafür gesorgt, dass ihr Heim wieder in Ordnung gebracht worden wäre.   Was hieß dieser Kampf musste danach stattgefunden haben.   Aber Nick würde doch nicht…   „Denken Sie an Ihre eigenen Worte Captain und ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse“, kam dessen Stimme aus dem Küchenbereich auf ihn zu. In den Händen hielt er zwei Flaschen Bier. Eine war bereits geöffnet und er nahm gerade einen tiefen Zug aus ihr. Die andere bot er seinem… ‚Gast‘ an. Halb betäubt griff Renard nach der grünen Flasche und drehte den Verschluss ab. Er seinerseits nahm nur einen kleinen Schluck, aber sein Mund war plötzlich zu trocken zum Sprechen.   Nick deutete mit der Flasche in der Hand in einer ausladenden Geste auf die ganze Bescherung. „Sowas passiert wohl, wenn zwei… Hexenbiester sich streiten.“   „Zwei?“, der Captain verschluckte sich fast vor Überraschung und musste sich kurz räuspern, um den Tropfen Bier aus der falschen Kehle zu bekommen. „Wie meinen Sie das?“   Nick sah seinen Vorgesetzten an und zog eine Braue hoch.   Renard verstand. „Adalind“, stellte er mit einem Seufzen in der Stimme fest. Er war nicht mal wirklich verwundert. Und das erklärte immerhin das blaue Auge…   „Wer sonst“, bestätigte Nick und nahm noch einen Schluck Bier.   „Warum?“   „Wegen Diana natürlich. Sie dachte wohl Juliette sei ‚der schwache Punkt‘ in unserer Truppe… Muss ein böses Erwachen gegeben haben.“ Er schnaubte mit leichter Genugtuung. „Den Blick hätte ich gerne gesehen…“   „Wahrscheinlich hat Adalind den Schreck ihres Lebens bekommen, als sie die Wahrheit begriff“, antwortete Renard und stieß mit Nick auf diese Tatsache an. Die beiden Flaschen klirrten leise, als sie aufeinander trafen.   „Ja…“, Nick atmete einmal tief durch. Beinahe tonlos meinte er „aber nicht nur sie…“. Dann drehte er sich von dem Anblick weg und marschierte kommentarlos in den einzigen unzerstörten Bereich des Wohnzimmers.   Der Captain wunderte sich einen Moment lang, warum die Sachen nicht längst wieder instand gesetzt worden waren, wenn Nick der Anblick so verstörte, aber dann wurde ihm klar, dass das Haus ein Sinnbild für die Beziehung der beiden und den seelischen Zustand des Detectives war. Er würde das Haus sicher irgendwann reparieren, oder Bud und seine Leute mit der Reparatur beauftragen, aber im Augenblick spiegelte die Zerstörung exakt seine Stimmung wieder, also ließ er es vorläufig so. Mit einem leichten Kopfschütteln folgte er dem anderen Mann in den unversehrten Bereich.     ***         Nick hatte sich auf die Couch sinken lassen und hielt sich an seiner Bierflasche fest. Seine Knöchel traten weiß hervor aber er hob nicht den Blick. Renard sah sich um und zog sich dann einen Stuhl an den Couchtisch heran, auf den er sich setzte.   Minutenlang nippten beide schweigend an ihrem Bier. Dann hatte der Captain genug und er wagte einen Vorstoß.   „Detective, ich will Sie eigentlich nicht drängen, aber Sie haben gesagt Sie wollen reden. Also… reden wir.“   Der Grimm hob die Flasche ein letztes Mal an die Lippen und kippte entschlossen den letzten Rest des Inhaltes hinunter. Mit mehr Schwung als nötig stellte er die nun leere Flasche auf den Tisch, dass es knallte und sah sein Gegenüber fest an. „Na schön“, stimmte er zu und verschränkte die Arme vor der Brust während er sich zurücklehnte. „Also warum?“   Renard runzelte die Stirn. „Warum was?“   „Was sollte das heute mit dem Fall?“   Der Captain zog überrascht eine Braue hoch. Darüber wollte Nick reden? Ausgerechnet? „Wie darf ich die Frage verstehen?“, gab er den Ball zurück.   „Hank und ich sind Mordermittler, was haben wir bei Problemen mit häuslicher Gewalt zu suchen?“   Der Royal legte den Kopf schief. „Ich dachte das wäre klar, Detective. Wenn die Polizei um Hilfe gebeten wird helfen wir. Oder ist Ihnen dieses Konzept neu? Falls Sie es noch nicht gehört haben, auf jedem unserer Fahrzeuge steht ‚Dienen und Schützen‘.“   Nick rollte mit den Augen und warf die Hände in die Luft. „Natürlich weiß ich das. Wenn ich den Leuten nicht helfen wollte, hätte ich wohl kaum diesen Beruf ergriffen.“   „Wo ist dann also Ihr Problem?“, fragte Renard mit echter Verwunderung in der Stimme.   „Mein Problem?“ der Detective legte den Kopf schief und kniff die Augen halb zusammen. Er beugte sich vor, stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch vor ihm auf und bedachte den Captain mit einem finsteren Blick.   „Na schön. fassen wir doch mal zusammen, was heute so los war“, schlug er vor. „Ein brutaler Ehemann bricht in sein eigenes Haus ein, greift seine Frau an und prügelt den Nachbarn fast zu Tode“, zählte Nick auf. „So weit, so gewöhnlich. Nur dass es sich dabei um Wesen handelt und der örtliche Grimm geschickt wird, sich um den Fall und ganz besonders den Ehemann ‚zu kümmern‘.“ Er malte kleine Anführungszeichen in die Luft.   „Detective, dass…“   „Soweit also die Fakten. Denken wir jetzt mal eine Runde weiter“, setzte der Grimm unbeirrt fort und ließ sich wieder in die Couch zurück sinken. „Auf der einen Seite haben wir ein Wesen und auf der anderen einen Grimm. Hmm, was kann das wohl bedeuten?“ Nick tat, als würde er einen Moment über seine eigene Frage nachdenken und zuckte dann übertrieben mit den Schultern. „Ich weiß nicht, vielleicht laufen sie ja Händchenhaltend über‘n grünen Klee?“ Zwei Sekunden später wurde aus dem gespielt naiven Ausdruck in seinem Gesicht wieder die wütende Maske. „Wohl kaum“, stellte der Grimm fest und verschränkte die Arme wieder vor der Brust, während er seinen Vorgesetzten anstarrte.   Renard zog eine Braue hoch. Dem Detective musste heute wirklich eine ganze Elefantenherde über die Leber gelaufen sein, wenn er sich so wortreich aufregte. Redselig war der jüngere normalerweise nicht, er war eher ein Mann der Tat… „Vermutlich nicht, nein“, stimmte er Nick schließlich zu, da der offenbar auf eine Antwort wartete.   „Eben!“, der Grimm sprang auf und begann wild gestikulierend im Raum herum zu tigern. „Üblicherweise heißt das im Gegenteil eher ‚Kopf ab‘, nicht wahr? Aber offensichtlich denkt sich niemand hier auch nur ansatzweise irgendwas dabei einem Grimm zu sagen, er solle sich um ein brutales Wesen kümmern“, fuhr Nick fort und baute sich schließlich wieder vor dem Couchtisch auf. Er beugte sich vor und stützte sich erneut auf der Tischplatte ab. Seine Hände verursachten dumpfe Geräusche, als sie auf das Holz trafen. Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den Royal und seine Lippen bildeten einen Strich. „Inklusive Ihnen!“   Die Augen seines Vorgesetzten wurden größer, während sie seiner Bewegung folgten. Der Grimm hatte sich wieder aufgerichtet und lief ein paar Schritte in Richtung der Trümmer. Bei dem Anblick verzog er das Gesicht, blieb stehen und atmete geräuschvoll aus. So vieles war in so kurzer Zeit geschehen. Er hatte gedacht, er würde inzwischen mit allem fertig, was man ihm als Knüppel zwischen die Beine warf, aber da hatte er sich scheinbar gründlich geirrt.   Einige Herzschläge später drehte er sich erneut zu Renard um.   „Was also mein Problem ist möchten Sie wissen? Ich werde es Ihnen sagen, Captain. Mein Problem sind solche gedankenlosen Bemerkungen, die ich mir ständig anhören muss. ‚Der Mann verprügelt seine Frau – hey, dann schicken wir den Grimm, der wird ihm schon zeigen was ne Harke ist…‘“, antwortete er mit gepresster Stimme.   „Nick, hören Sie doch…“, versuchte Renard weiterhin ihn zu unterbrechen, aber der Detective ließ noch immer keinen Einwand zu.   „Also soll ich wirklich tun, was ein Grimm eigentlich tut und was mir hier offenbar ohnehin jeder zutraut, obwohl man mich ja wohl langsam besser kennen müsste? Soll ich mich wie ein Grimm um den Mann kümmern? Ist es das, was Sie wollen? Was alle wollen? Mal ernsthaft, ich soll Wesen nicht alle über einen Kamm scheren, aber bei mir ist das okay? Wissen Sie, ich habe es satt die ganze Zeit als mordlüsterner Irrer abgestempelt zu werden. Ich habe es satt mich zu rechtfertigen. So satt! Aber wenn eh nichts anderes von mir erwartet wird, vielleicht sollte ich tatsächlich mal den Grimm machen, den alle in mir sehen. Ich will ja die Erwartungen der Leute in mich nicht enttäuschen…“ Der Sarkasmus triefte aus seinen Worten und er schnaubte wütend.   „Detective“, warf Renard, dem nun endgültig der Geduldsfaden gerissen war, streng ein und sprang ebenfalls auf. „Niemand hält Sie für einen ‚mordlüsternen Irren‘. Und was ich erwarte ist dass Sie Ihren Job machen. Wie alle anderen auch. Nicht mehr und nicht weniger.“ Er baute sich vor dem Grimm auf und nutzte jeden Zentimeter Körpergröße, den er mehr in die Waagschale legen konnte aus, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen.   „Meinen Job?“, Nick zog die Braue hoch und verschränkte wieder die Arme vor der Brust. Er war nicht gewillt dem Royal auch nur einen Jota nachzugeben. „Sicher doch, aber mit welchem Teil von mir reden Sie denn gerade? Dem Polizisten oder dem Grimm? Denn falls Sie es noch nicht wussten, die Jobbeschreibungen laufen da ein wenig auseinander. Oder vielleicht bin ich doch eher Ihr ‚royales Schoßhündchen‘? Mach Sitz, mach Männchen, kümmer dich um den Typen?“   „Wann habe ich Sie jemals wie meinen Schoßhund behandelt?“ Renard wurde lauter. Dieser dämliche Grimm… er machte noch alles kaputt! Dachte er etwa, er wäre der Einzige mit so einem Problem? Dann sollte er mal versuchen eine Meile in seinen Schuhen zu laufen… „Sie haben keine Ahnung, was in Portland wirklich passiert, Grimm!“   „Habe ich nicht? Tja vielleicht, muss ich aber auch nicht. Dafür sind Sie ja da, um sich um das große Ganze zu kümmern, nicht wahr?“, antwortete Nick mit ätzender Stimme und zog mit den Händen einen großen Kreis vor Renards Gesicht. „Da fällt mir ein, wie geht’s denn dem Widerstand?“, fragte er den Royal zuckersüß. „Die müssten ja langsam mitbekommen haben, dass wir ihnen die Entführung von Diana untergeschoben haben, nicht wahr? Und was ist überhaupt mit Ihrem Vater? Keine Aussöhnung mit dem verlorenen Sohn in Sicht?“   „Ich muss mich Ihnen gegenüber nicht rechtfertigen, Detective!“ Wütend piekte Renard dem schwarzhaarigen den Finger in die Brust, was der mit einem bedrohlichen Knurren kommentierte, bevor er mit der Linken die Hand wegwischte.   „Nicht? Wenn nicht mir, wem dann? Bin ich denn nicht ‚Ihr Grimm‘? Haben Sie mich nicht in all das reingezogen?“   „Wo reingezogen? In den alten Wesen-Konflikt? Ich habe Neuigkeiten für Sie Nick: Sie sind der letzte Nachkomme einer Familie von Grimms, Schlüssel-Grimms zumal. Sie wurden schon in die Sache reingezogen, bevor Sie auch nur geboren waren!“   Beide starrten sich mit grimmig funkelnden Augen an. Am Ende war es der Grimm, der den Blick abwandte.   „Und wieder werde ich nicht nach meinen eigenen Taten beurteilt…“, seufzte er und legte den Kopf in den Nacken. Hinter seiner Stirn machte sich ein dumpfes Pochen bemerkbar und er begann die Nasenwurzel zu massieren. Seine Stimme war ruhiger, als er wieder anfing zu sprechen. „Mein bester Freund ist ein Blutbader, Rosalee ist ein Fuchsbau. Wir sind wie eine Familie. Ich war sogar ihr Trauzeuge, obwohl es gefährlich war, einen Grimm auf eine Wesenhochzeit zu bringen. Und ich bin praktisch Ehrenmitglied der Eisbiber-Loge von Portland. Monroe und Bud sind wegen unserer Freundschaft ja sogar fast von den Wesenrein hingerichtet worden. Und trotzdem stehen die drei weiter zu mir. Ich hatte gehofft, inzwischen wäre meine Position in dem Ganzen klar geworden: ich beschütze Wesen, ich will sie verstehen und sie nicht einfach so wie meine Vorfahren töten. Ich habe wieder und wieder und wieder gezeigt, dass ich nicht so ein Grimm bin und auch nicht sein will. Ich meine, was soll ich denn noch tun?“ Langsam klang er verzweifelt.   „Nick, ich…“, begann Renard und wurde erneut vom Grimm ignoriert.   „Heute hat sich mir gegenüber sogar ein Officer freiwillig als Scharfblicke geoutet, weil sie gehört hat, dass man mir vertrauen kann. Also, Captain, wenn mir schon Fremde vertrauen, warum dann nicht die Menschen, die mir am nächsten stehen?“ Er war wieder an den Durchgang zum zertrümmerten Wohnbereich getreten und starrte mit leicht glasigen Augen auf die vielen Glas- und Holzsplitter. Seine Lippen waren so fest aufeinandergepresst, dass sie einen weißen Strich bildeten. ‚Ah‘, dachte Renard. ‚Jetzt kommen wir der Sache näher. Da liegt der Hase im Pfeffer…‘ „Juliette?“, fragte er mit sanfter Stimme.   „Ja verdammt!“ Voller Wut schlug Nick mit der Linken auf eine der bis dato noch unversehrten Wände ein und hinterließ prompt eine Delle. Dann lehnte er sich mit der Stirn an die Wand und atmete geräuschvoll aus. Die linke Faust trommelte leicht neben dem Kopf an die Wand, die rechte hing wie ein nasser Sack an seiner Seite herunter.   „Nick“, versuchte Renard ihn zu beschwichtigen und trat langsam und mit halb erhobenen Händen auf den Grimm zu. „Bitte beruhigen Sie sich. Keiner von uns hält Sie für so einen Grimm, verstanden? Aber Sie sind und bleiben nun mal ein Grimm. Und nichts in der Welt wird etwas daran ändern.“   Nicks Gesicht schnellte zur Seite, während er sich noch immer mit der Linken an der Wand festhielt. Seine Augen blickten finster drein, wirkten beinahe Schwarz. Dabei hatte das Biest sich bislang noch gar nicht gezeigt. „Nichts?“ Seine Stimme wurde gefährlich ruhig. Er richtete sich auf und drehte sich mit dem Oberkörper zu Renard um. „Es war bereits anders, der Grimm war weg, doch wir haben ihn zurückgeholt.“   Der Grimm versprühte eine Aura des gerechten Zorns und in seinen Augen funkelte es gefährlich auf. Renard (oder besser sein inneres Biest) konnte nicht anders, ein wohliger Schauer lief seinen Rücken entlang. Wie der Jüngere so dastand erinnerte ihn an neulich Abend in seinem Haus. Ein Krieger, den er gedachte früher oder später für sich zu gewinnen. Und nach ihrer letzten privaten Begegnung in vielleicht mehrfacher Hinsicht.   Aber vorher musste er, mussten sie beide, erst mal dieses Problem hier lösen. So lange der Grimm an sich und seinen Motiven zweifelte würden sie nicht vorankommen.   Der Captain schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu ordnen und wieder in die Gegenwart zu lenken. So einfach, wie der Grimm sich das dachte war das bei weitem nicht… „Nick, ob Sie nun ‚sehen‘ können oder nicht, Sie werden immer ein Grimm sein. Für alle Wesen, die mit Ihnen zu tun hatten, für alle Wesen die auch nur von Ihnen gehört haben und für alle Wesen, die Sie trotz allem fürchten. Oder glauben Sie ernsthaft, dass sich daran etwas grundlegend geändert hätte? Sie sind nun mal der ‚Grimm vorn Portland‘. Viele friedliche Wesen sind gerade wegen Ihnen in die Stadt gezogen in den letzten beiden Jahren. Sie selbst sind nicht mehr derselbe Mann, der Sie noch vor vier Jahren waren. Sie kennen die Wahrheit, wissen Bescheid und wollen noch immer helfen. Außerdem“, fuhr Renard fort und wischte alle Einwände beiseite, „haben Sie nicht selbst gesagt, dass es gar nicht Ihre Entscheidung war? Warum also geben Sie sich die Schuld?“   „Weil sie das nur für mich gemacht hat!“   „Nein“, wies ihn der Captain zurecht. „Sie hat es für ihre Freunde getan. Sie hat es wegen ‚Wesenrein‘ getan. Und es hat Ihrem Freund Monroe das Leben gerettet. Und dem Eisbiber. Und wer weiß wie vielen noch, die sich die Gruppe als nächstes geschnappt hätte. Juliette hat sicher nicht erwartet, dass so etwas dabei rauskommt, aber Sie haben doch letztlich beide erreicht, was Sie wollten. ‚Wesenrein‘ wurde zerschlagen und Ihr Freund gerettet.“   „Hurra…“ Der Grimm schlug beide Hände vors Gesicht und fuhr sich dann mit den Fingern durchs Haar bevor er antwortete. Seine Stimme klang unendlich müde, als er schließlich sagte: „Und was hat es uns gebracht?“. Sein Blick wanderte wieder in Richtung des Chaos' im Nebenraum.   Renard konnte den Schmerz in Nicks Stimme beinahe schmecken. Bittersüß. „Nick, schätzen Sie Ihre Arbeit nicht zu gering. Sie wollten immer nur helfen…“   Der Grimm schnaubte abfällig und machte einen halben Schritt auf ihn zu. Renard musste sich zusammenreißen, um nicht seinerseits einen Schritt zurückzuweichen.   „Tolle Hilfe, wenn ich dafür das Leben von Juliette zerstört habe…“   „Kein Grimm zu sein hätte auf Dauer Sie zerstört, Nick“, hielt der Royal dagegen. „Sie und Ihre Beziehung. Denn unbewusst hätten Sie es Juliette immer vorgeworfen, was Sie ihretwegen aufgeben mussten. Plötzlich wieder ‚normal‘ zu sein… Sie haben Monate gebraucht, um sich an die Sache zu gewöhnen, da kann man hinterher nicht einfach nach fünf Minuten wieder zur Tagesordnung zurückkehren.“   „Hank kommt doch auch mit Wesen klar, ohne ein Grimm zu sein…“, es klang beinahe trotzig.   „Aber für Hank hatte sich nie wirklich etwas geändert, außer dass er einfach nur Bescheid wusste, Nick. Er hat sich nicht in aberwitzige Gefahr gebracht, weil er dachte er wäre immer noch Superman. Oder wie war das mit den Leuten vom Boxstall? Wäre die Kleine nicht da gewesen, um Sie Beide raus zu hauen…“   Der Grimm machte große Augen. „Woher wissen Sie…“   „Ach kommen Sie Nick, ohne Ihre Grimm-Stärke wären Sie doch nie in der Lage gewesen dem Promoter das Genick zu brechen. Das kann nur ein anderes Wesen oder ein echter Grimm.“   Nick seufzte und schüttelte den Kopf. „Ich hätte nie gedacht, dass ich es tatsächlich vermissen würde, ein Grimm zu sein“, gestand er schließlich und senkte den Blick. „Ich war wütend darüber, was man mir genommen hatte. Es fühlte sich an, als hätte man mir ein Loch in meine Brust gerissen“, er klopfte sich selber mit der rechten Faust auf den Brustkorb und verharrte in der Bewegung. „Bis zu diesem Augenblick hatte ich selber nicht wirklich verstanden, was es eigentlich bedeutet ein Grimm zu sein. Diese Kraft zu haben. Sehen zu können. Dass es tatsächlich einen Unterschied macht.“ Er lachte freudlos und trat langsam an eines der Fenster. „Zu Beginn war es einfach nur lästig gewesen. Sogar verstörend“, sagte er mehr zu sich selbst. „Ich dachte ich werde wahnsinnig. Hinzu kam, dass ich mit niemanden auf Arbeit darüber reden konnte. Woher ich meine ‚Ahnungen‘ hatte. Wie ich auf manche der Täter kam. Zum Glück hatte ich Monroe an meiner Seite. Und schließlich habe ich es als Teil von mir akzeptiert. Als Teil meines Erbes, der mich mit meinen Vorfahren verbindet. Mit meiner Mutter. Ich war stolz, dieses Erbe weiterzuführen, auch wenn ich das Ganze etwas anders… anpacke. Und dann wird es mir plötzlich genommen… Es war… einfach weg…“ Nick legte seine Arme um die Brust, als wollte er sich selber zusammenhalten, als wäre dieses Loch immer noch da und drohte ihn zu verschlingen.   Natürlich war es ‚nicht einfach weg‘, dachte Renard, aber es musste sich für den jungen Mann so angefühlt haben. Vermutlich war das für den Grimm so, wie wenn ein Wesen nicht mehr aufwallen konnte, weil bestimmte Hormone fehlten. Nick hatte auf einen Teil seiner Persönlichkeit keinen Zugriff mehr gehabt. Eine gewiss verstörende Erfahrung…   Als Kind hatte Sean sich manchmal vorgestellt, dass Grimms im Grunde auch nur Wesen waren. Wesen, denen aus irgendeinem Grund die Fähigkeit zur Aufwallung abhandengekommen war. Sie konnten immer noch sehen, waren stärker und schneller als selbst die meisten Wesen und hatten diese furchterregenden Augen. Möglicherweise waren diese das Ergebnis eines Fluches, eines Hexenbiest-Zaubers? Vielleicht waren die Grimm deshalb so böse auf Wesen und ganz besonders Hexenbiester? Weil diese das tun konnten, was ihnen selber nicht mehr möglich war - aufwallen. Töteten sie vielleicht nur, um ihren eigenen Schmerz zu lindern? Als eine Art Rache? Oder war es genau umgekehrt, Grimms waren eigentlich normale Menschen gewesen, die von einem Fluch zu halben Wesen gemacht wurden? Um das beschützen zu können vielleicht, was Nicks Vorfahren so sorgsam mit den sieben Schlüsseln weggesperrt hatten? Das würde zumindest die sieben Ursprungsfamilien erklären. Sieben Grimms und sieben Royals… Als Prinz eines eben dieser sieben Häuser war Renard natürlich anders in Bezug auf Grimms erzogen worden, als normale Wesen. Selbstverständlich kannte er alle diese Horrorgeschichten, die Märchen, die die Erwachsenen ihren Kindern vor dem Schlafen gehen erzählten. ‚Seid immer auf der Hut, sonst holt euch der Grimm!‘ Kinder der königlichen Familien dagegen lernten früh, dass ein Grimm vor allem ein Werkzeug war, ein Mittel um die Wesen in der Bevölkerung im Zaum zu halten. Ein Royal, der einen Grimm an seiner Seite hatte, war praktisch unbesiegbar. Aber für die Royals war ein Grimm normalerweise auch nur genau das – ein verlängerter Arm, ein Mittel zum Zweck, eine Waffe. Sie betrachteten Grimms nicht als Menschen, nur als Werkzeuge. Nicht mehr und nicht weniger. Schaffte man es einen ‚freien‘ Grimm zu fangen, dann wurde er anschließend von der Familie ‚liebevoll umerzogen‘. Stellte er sich jedoch als unbeugsam heraus, dann würde man den fraglichen Grimm eher töten, als ihn wieder gehen zu lassen. Nicht, dass er sich noch einer anderen Familie oder gar dem Widerstand anschloss. Nick wäre beinahe ebenfalls ein Opfer genau dieser Einstellung geworden, als Renards Bruder Eric den Baron auf ihn gehetzt hatte. Ein Machtkampf (nicht nur) zwischen den Familien auf den Rücken der Grimms… Sean war sich nur zu deutlich bewusst, dass auch er nicht völlig frei von dieser Einstellung gegenüber Grimms war. Obwohl er selber mit der Familie auf Kriegsfuß stand wegen seiner… gemischten Herkunft, die jahrelange royale Indoktrination hatte seine Spuren hinterlassen. Doch Nick war ein zäher Brocken. Wenn Renard heute in Betracht zog, was er mit dem Grimm seit dessen Erwachen in den letzten Jahren so erlebt hatte, wie der Jüngere auch aus den schlimmsten Begegnungen immer wieder als Sieger hervorgegangen war und wie er stets das Quäntchen mehr Kraft gefunden und neue Eigenschaften und Fähigkeiten adaptiert hatte… Ja, dieser junge Grimm mit den stahlblauen Augen war zweifelsfrei etwas Besonderes. Er galt inzwischen sogar als eine Art Hauptpreis unter den Royals. Jeder wollte ihn für sich und seine Zwecke haben oder vernichten, wenn das nicht möglich war. Das Biest knurrte leise auf bei dem Gedanken, jemand anderes könnte sich an seinem Grimm vergreifen… Nein, nicht Grimm, korrigierte er sich selber, an Nick. Sean sollte tatsächlich versuchen mehr auf den Mann hinter dieser Abstammung, hinter diesem Begriff, einzugehen, wenn er hoffte mehr zu erreichen. Renard wollte nicht auf das Zauberbiest reduziert werden, warum sollte es dem Jüngeren anders gehen? Kurz überlegte der Captain, ob das eigentlich normal für einen Grimm war, sich in diesem Maße zu entwickeln. Diese Dinge… wie den Zombie… zu ihrer Stärke hinzuzufügen. Aber wenn man es genau betrachtete, was an Wesen und Grimms war schon ‚normal‘? Und Nick war ohnehin Einzigartig mit seiner Unabhängigkeit und dem festen Willen eben nicht wie ein klassischer Grimm zu sein. All das hatte ihn im Laufe der Zeit nur noch wertvoller gemacht, und die Angst des Wesenrates vor ihm unterstrich das noch. Zu gerne hätte er Kelly bei ihrer letzten Begegnung dazu befragt, doch der Captain bezweifelte, dass sie seine Frage ehrlich beantwortet hätte. Vermutlich hatte nicht mal Nick selber seiner Mutter von den Veränderungen erzählt. Was wohl sonst noch alles an dem Detective anders war, fragte sich Renard unwillkürlich und sein Blick wanderte gierig an der schlanken, durchtrainierten Gestalt entlang. Sein inneres Biest leckte sich vor Freude die Lippen bei dem Gedanken daran, den Grimm Stück für Stück zu untersuchen und ihm alle seine Geheimisse zu entlocken… ‚Geduld‘, besänftigte Sean das Biest, ‚alles zu seiner Zeit…‘ Bevor es auch nur irgendeine Art von gemeinsamer Zukunft zwischen ihnen beiden geben konnte, musste die Angelegenheit mit Juliette geklärt sein. So lange würde er auch noch warten können. ‚Aber vielleicht mit etwas Druck…‘, säuselte das Biest wieder, doch Renard wies alle Verlockungen von sich. Das wäre genau der falsche Weg. Nick konnte man nicht zwingen. Man konnte sein Vertrauen nicht einmal gewinnen, man musste es sich verdienen! Und genau das hatte er vor. Der Royal zwang sich den Blick von dem am Fenster stehenden Nick zu lösen. Er zog sein Jackett aus, warf es über einen Stuhl und begann wortlos im Wohnzimmer einige der Lichter einzuschalten. Das würde noch ein langer Abend werden… Feierabendgespräch - Teil 2 --------------------------- Draußen wurde es inzwischen dunkel. Wu, Hank und er hatten wohl doch mehr Zeit mit dem Klaustreich-Fall verbracht, als Nick ursprünglich gedacht hatte. Gedankenverloren beobachtete er die Straße. Wieder einmal fiel ihm der Mann mit dem Hund auf, den er schon vor einer ganzen Weile das erste Mal vor dem Haus beobachtet hatte. Sein Blick folgte den Beiden, bis sie um dieselbe Ecke verschwanden, wie damals. Seine Gedanken wanderten zu Adalind. Auch wenn er es nicht gerne zugab, nach der Erfahrung mit dem Verlust seines Grimms konnte er das Hexenbiest etwas besser verstehen unbedingt wieder ein Wesen sein zu wollen. Aber das hatte ihr trotzdem nicht das Recht gegeben, sich so in seines und Juliettes Leben einzumischen. Wenn er ihr das nächste Mal begegnete, würde er… Klickgeräusche hinter ihm holten Nick in die Gegenwart zurück und er warf einen kurzen Blick über die Schulter. Er musste wohl ein Weilchen so rumgestanden haben, denn Renard hatte angefangen im Raum die Lampen anzuschalten. Kleine warme Lichtinseln breiteten sich hinter ihm im Wohnzimmer aus. Früher hätte er es als heimelig empfunden, heute machte es ihn eher traurig. Das konnte aber auch an seinem Spiegelbild auf der Scheibe liegen, das ihn mit dunklen Schatten unter den Augen entgegenblickte. „Na, wieder auf der Erde angekommen?“, hörte er die Stimme des Captains einige Schritte entfernt sagen. „Auch wenn Sie das vielleicht nicht gerne hören wollen, das war gute Arbeit heute, Detective. Mir ist klar, dass Sie und Griffin eigentlich für Schwerverbrechen zuständig sind, aber Sie sind nun mal auch der Mann für Wesenfälle beim Portland P.D.“ Nick schnaubte. „Das Gleiche hat Wu heute auch schon gesagt. Trotzdem, es war kein Mordfall, also warum Hank und ich?“ Renard trat hinter ihn und blickte ihn halb von der Seite an. „Ich verstehe nicht, warum Sie damit so ein Problem haben, Detective. Aber wenn Sie es unbedingt wissen wollen, gerade weil es kein Mordfall war, habe ich Sie geschickt. Sie sind der Grimm von Portland. Überall in der Stadt wird über Sie geredet. Und alle sind neugierig auf Sie.“ „Na toll, Willkommen zur Freak-Show. Sollte ich Eintrittskarten verkaufen?“ „Wenn es Ihnen Spaß macht, Nick. Aber wenn hier einer der Freak ist, dann ja wohl eher Typen wie dieser selbstgerechte Klaustreich, dem Sie so genüsslich einen kleinen Schrecken eingejagt haben. Gucken Sie nicht so erstaunt, Detective, ich hab im Beobachtungsraum zugesehen. Aber was ich eigentlich sagen wollte, die Leute haben gehört, dass es hier in der Stadt einen Grimm gibt, der sie beschützt, nicht jagt. Aber normalerweise trifft man Sie nur dann an, wenn es einen Mord an oder durch ein Wesen gab. Eher weniger, wenn es darum geht den ganz normalen Wahnsinn des Alltags zu bewältigen. Zeigen Sie den Leuten ruhig, dass Sie in erster Linie Polizist sind. Ohne natürlich die Leute aus den Augen verlieren zu lassen, dass Sie trotzdem gefährlich werden können, wenn es die Situation erfordert.“ Der Royal trat neben Nick und legte ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter. „Und ich möchte, dass Sie wissen, dass ich diesen Zwiespalt gut verstehen und nachvollziehen kann. Ja, meine Bemerkung war vielleicht etwas unbedacht, aber wenn ich der Meinung wäre, Sie müssten sich als klassischer Grimm um ein Problem kümmern, seien Sie versichert, den Unterschied würden Sie merken. Und ich würde Sie nie dazu nötigen etwas in der Art zu tun, wenn Sie nicht wollen. Und ich sehe Sie nicht als eine Art Schoßhund an“, stellte er nachdrücklich fest. Renard schüttelte seufzend den Kopf. Dann fuhr er mit ruhiger Stimme fort. „Aber ich würde mich gerne gemeinsam mit Ihnen um die Probleme der Wesen kümmern. Denken Sie darüber nach. Grimms arbeiten schon seit Jahrhunderten mit den Royals zusammen.“ „Wohl eher für die Royals, nicht mit ihnen“, korrigierte der Detective beißend und warf einen missbilligenden Blick auf die Finger, die ihn berührten. Renard zog seine Hand weg und machte eine vage Geste. „Zugegeben, heutzutage ist das in den meisten Fällen so. Wer nicht für die königlichen Familien arbeitet, arbeitet normalerweise gegen sie. Und die Familien tun fast alles, um die Waagschale zu ihren Gunsten zu halten.“ Der Royal verzog das Gesicht und verschränkte nun seinerseits ebenfalls die Arme vor der Brust. „Der Verrat“, mutmaßte der Grimm. Ihm fiel auf, dass Renard irgendwann im Laufe des Abends nicht nur seinen Mantel, sondern auch sein Jackett ausgezogen haben musste. War er schon so lange hier? „Ich kann nicht für alle Familien sprechen, aber zumindest in meiner ist das so, ja“, bestätigte der Captain. „Sehr zu meinem Bedauern, das kann ich Ihnen versichern. Es gab aber auch Zeiten, da war das anders. Da haben wir wirklich zusammengearbeitet. Für ein friedliches Zusammenleben von Wesen und Menschen.“ Er stützte seine Hände in die Hüfte und schwelgte einen Moment in dieser Vorstellung. „Überlegen Sie mal, Nick. Wenn wir beide so zusammenarbeiten würden, was könnten wir nicht alles erreichen… Wäre das nicht phantastisch? Ein kleines Utopia…“ Das Biest seufzte unwillkürlich zufrieden auf bei dem Gedanken. Gemeinsam mit dem Grimm dieses Utopia zu bauen entsprach ganz genau seinen Vorstellungen, doch der bewusste Teil des Royals unterdrückte diese Reaktion sofort. Es war noch zu früh dafür… Nick schnaubte unterdessen leise. „Ein Utopia… das braucht schon mehr, als nur uns beide.“ ‚Uns beide…‘, schnurrte das Biest innerlich noch lauter. Wie das klang… „Aber es wäre ein Anfang“, gab Renard dann laut zu bedenken. „Nick, ich bin nicht so naiv zu glauben, dass wir von heute auf morgen die gesamte Welt umkrempeln können. Was wir im Augenblick tun können ist bestenfalls ein erster Schritt, aber alles Große hat einmal klein angefangen. Mit diesem ersten Schritt.“ „Und wo sollen wir Ihrer Meinung nach anfangen?“ „Nicht sollen, Detective. Sie haben bereits angefangen. Sie sind nicht der Grimm, den alle erwartet haben und Sie schmeißen alte Vorurteile einfach über Bord. Sie bringen die Leute – die Wesen - dazu, ihre jahrhundertealte Sicht der Dinge zu überdenken. Sie haben es fertig gebracht, dass ein Bauernschwein und ein Blutbader für ein größeres Gut zusammenarbeiten. Sie trotzen den Royals und dem Verrat. Sie helfen, Nick. Und das ist mehr, viel mehr, als je ein Grimm in den letzten Jahrhunderten für die Wesen getan hat. Sie haben es selbst gesagt, Ihre besten Freunde sind Wesen, die Eisbiber lieben Sie geradezu. Sie halten die Waage zwischen Gesetz – Wesenrat - Wesen und den Menschen. Natürlich“, gab er zu, „kann es auch mal Rückschläge geben, aber davon sollte man sich nicht entmutigen lassen. Es ist eben ein Lernprozess, für Sie genauso wie für mich und alle anderen Wesen in der Stadt.“ Und vermutlich war auch genau das der Grund, warum der Wesenrat ein Kopfgeld auf Nick ausgesetzt hatte. Sie hatten Angst vor den möglichen Veränderungen, die dieser junge, unkonventionelle Grimm mit sich bringen würde… Der Detective ließ sich die Worte durch den Kopf gehen. Ganz Unrecht hatte der Captain ja nicht, aber… Der Royal lachte beim Anblick von Nicks zweifelnden Gesichtsausdruck leise in sich hinein. „Wissen Sie, anfangs, als sich Ihr…“, er machte eine wage Geste mit der Hand in seine Richtung und steckte sie dann anschließend in die Hosentasche, „als sich Ihr… Grimm, zum ersten Mal zu zeigen begann, war ich durchaus skeptisch was Sie betraf“, gestand er seinem Untergebenen. „Bis dahin hatte ich Ihnen zugegebenermaßen nicht übermäßig viel Beachtung geschenkt. Sie waren ein guter Officer und wurden ein noch besserer Detective. Damit hatte es sich dann auch schon fast. Natürlich hatte ich als Ihr Vorgesetzter Ihre Personalakte gelesen, bevor Sie zu uns aufs Revier kamen und wusste über Ihre Mutter Bescheid, aber es gab nie irgendwelche Anzeichen dafür, dass Sie ein Grimm sein könnten. Bei all den Wesen, die tagtäglich im Revier aufschlugen hätte ich das mitbekommen, wenn eines auf Sie reagiert hätte oder umgekehrt. Doch dann kam Ihre Tante in die Stadt und Sie wurden von einem Sensenmann angegriffen und ich musste nach und nach meine Meinung revidieren.“ Ein kleines wehmütiges Lächeln umspielte Renards Lippen bei der Erinnerung. Wenn er damals doch nur anders mit der Angelegenheit umgegangen wäre… er hätte von Anfang an Nicks Vertrauter sein können. Doch die Chance hatte er vertan, als er Adalind mit der Beseitigung von Marie Kessler beauftragte. Wirklich zu dumm, dass er damals noch nicht hatte absehen können, dass sich diese Aktion letztlich als großer Fehler erweisen würde. Dann räusperte er sich kurz. „Meine… Familie hat bereits damals Druck auf mich ausgeübt, dass ich Ihnen den Schlüssel wegnehmen sollte, von dem sie vermuteten, dass ihn Marie Kessler aufbewahrte. Am besten sollte das geschehen noch bevor der Grimm in Ihnen völlig erwachen konnte. Aber ich habe mich noch nie wirklich an das gehalten, was die anderen von mir erwarteten.“ Er zuckte mit den Schultern. „Und Sie auch nicht Detective.“ Der Grimm dachte nach. Das klang ja alles gut und schön, aber konnte er wirklich so einen Unterschied machen? Konnten er und der Captain gemeinsam dafür sorgen, dass die Wesen in Portland in Frieden leben konnten? Das wäre ein zu schöner Gedanke. Alleine wenn er an Gruppen wie die ‚Wesenrein‘ dachte wurde ihm klar, wie sehr Wesen eigentlich mit sich selbst im Unreinen lagen. Das Tugendschaf heute war ein gutes Beispiel dafür gewesen. Sie hielt sich von vorneherein für nicht stark genug, um sich gegen ihren Mann wehren zu können. So wie der Klaustreich natürlich dachte, er könne sich alles erlauben. Wenn er Juliette doch nur diese Idee begreiflich machen könnte. Sie war fest davon überzeugt, dass sie als Hexenbiest unmöglich mit einem Grimm zusammen sein konnte… Renard beobachtete Nicks Minenspiel. Er konnte fast die Rädchen im Kopf des Grimms klicken hören. Die Idee an sich schien ihm erst mal zu gefallen. Auch der Gedanke mit ihm zusammenzuarbeiten sorgte bei Nick offenbar nicht mehr für das gleiche Unbehagen, wie er es lange Zeit zur Schau gestellt hatte. Das war doch schon mal was, darauf konnte man aufbauen. Der Captain hatte schon das Gefühl den Mann aus seinem Loch befreit zu haben, da merkte er wie dessen Stimmung von eben noch positiv wieder nach düster zu kippen begann, als Nick den Kopf sinken ließ und seufzte. „Detective?“ „Sie reden von friedlicher Co-Existenz zwischen allen Menschen, ob Wesen, Grimm oder Ungesicht. Sie sagen, dass es möglich wäre, weil mir die Wesen zu vertrauen beginnen.“ Er hob den Blick wieder und die Augen, die eben noch hoffnungsvoll geleuchtet hatten waren wieder kalt und leer. „Aber der Mensch, der mich am besten kennt – kennen müsste - denkt, ich würde ihn umbringen. Einfach weil ich ein Grimm bin… Ich meine… Wie kommt sie nur darauf? Warum hat sie Angst vor mir?“ Renard schüttelte leicht den Kopf. Der Grimm drehte sich gedanklich scheinbar immer noch im Kreis. „Ich glaube nicht, dass sie wirklich Angst vor Ihnen hat, Nick.“ „Sie meinte, kaum dass es bei ihr anfing mit der Verwandlung, bekam sie Alpträume, in denen ich sie köpfen wollte. Aber warum? Ich meine ich würde doch nie… ich könnte ihr doch nie was tun…“ Sein Blick wanderte in die Ferne und er sah wieder Juliettes Gesicht vor sich, wie sie ihm zum ersten Mal ihre Aufwallung zeigte. ‚Warum hast du nichts gesagt‘, hatte er sie gefragt. ‚Weil ich Angst hatte‘, war ihre weinende Antwortet. ‚Ich hatte Angst du würdest mich umbringen…‘ Nick holte tief Luft und brachte sich mit einem Kopfschütteln zurück in die Gegenwart. Er presste die Lippen zusammen und sah Renard kurz von der Seite an, bevor er den Blick zum Boden wandte. „Ich weiß es war falsch von mir, dass ich… einfach aus dem Haus raus bin, aber ich… ich konnte in dem Moment einfach nicht darüber reden. Über das, was sie mir gerade noch an den Kopf geworfen hat. Ich brauchte frische Luft, also bin ich raus ohne ein Wort zu sagen…“, gestand der Grimm mit leiser Stimme. Er hatte schließlich genug Zeit gehabt sich dieses Gespräch immer und immer wieder durch den Kopf gehen zu lassen. Er hätte sie in den Arm nehmen müssen, sie trösten und ihr sagen dass alles wieder gut wird. Und stattdessen… war er wortlos gegangen. Traurig schüttelte Nick den Kopf. „Und dann kam der Anruf wegen dem Willahaare-Fall und ich war erst irgendwann in den frühen Morgenstunden wieder zu Hause. Hab mich dann auf die Couch geschmissen, weil… weil ich sie nicht wecken wollte und weil…“ „Weil Sie erst mal mit sich selber ins Reine kommen mussten?“, meinte Renard verständnisvoll. „Selbst ich war schockiert, als Juliette mir gezeigt hat, was mit ihr geschehen war.“ „Schockiert?“, der Jüngere schnaubte. „Das ist noch gar nichts im Vergleich dazu, wie Juliette damals reagiert hat, als ich ihr erzählt habe, dass ich ein Grimm bin… Sie wollte mich glatt einweisen lassen und hat mich angesehen, als wäre ich verrückt…“ Nick presste die Lippen aufeinander, drehte sich mit dem Rücken zum Fenster, die Arme noch immer vor der Brust verschränkt. „Als wäre ich ein wildes Tier…“ Gedankenverloren ging er einige Schritte durch den Raum. Die ganze Zeit konnte er Renards Blick auf sich spüren, aber es war kein unangenehmes Gefühl. In den Augen des Zauberbiestes lag Verständnis und Mitgefühl. Zwei Dinge, die Nick von seinem Vorgesetzten nicht erwartet hatte. Normalerweise blieb Renard stets professionell distanziert in seinem Verhalten. Er konnte zornig werden, oh ja. Er konnte leidenschaftlich sein, hinterhältig und gewitzt. Als Vorgesetzter war er streng, aber dennoch immer fair. Und mehr als einmal hatte Renard ihm und Hank den Rücken freigehalten und seine Aktivitäten als Grimm gedeckt. Aber Nick hatte ihn nie so… mitfühlend erlebt. Es war keineswegs so, dass sich der Grimm in der Gegenwart des Halb-Zauberbiestes komplett wohl gefühlt hätte, aber es bereitete ihm auch kein Unbehagen mehr, stellte er leicht über sich selber überrascht fest. Das mochte aber auch der Tatsache geschuldet sein, dass Renard die einzige Person war, mit der er reden konnte und die ihn auch nur ansatzweise verstand. Nick würde früher oder später natürlich mit den anderen ebenfalls über das Problem von und mit Juliette reden müssen, aber so lange er selber noch nicht in vollem Umfang begriffen hatte, was eigentlich gerade ablief, konnte er ihnen keine Erklärung bieten. Und den Fragen wollte er sich im Augenblick erst Recht nicht stellen. Der Captain dagegen schien zu verstehen, was ihn bewegte. Geduldig wartete er, bis Nick bereit war weiter zu sprechen. Als er sich schließlich wieder ans Fenster stellte seufzte der Grimm leise. „Im Nachhinein ist mir schon klar, warum sie so lange geschwiegen hat. Ich habe ja auch fast ein Jahr gebraucht ihr reinen Wein einzuschenken. Und dann hat es außerdem noch den Kratzer von dieser elenden Katze gebraucht, sonst hätte ich vermutlich noch monatelang geschwiegen und sie hätte mich bis dahin vermutlich längst verlassen.“ Nick massierte sich die Nasenwurzel und dachte zurück an die Zeit, wo er Juliette das erste Mal beinahe verloren hatte. „Ich dachte wir hätten inzwischen gelernt, miteinander zu sprechen, wenn es um so wichtige Dinge geht…“ „Haben Sie das?“, zweifelnd zog Renard eine Braue hoch. „Ich hatte da eher nicht so den Eindruck. Oder wie war das mit, ‚Sie haben sie nicht drum gebeten, den Gegenzauber durchzuführen‘? Mir klingelt da immer noch so ein wenig das Ohr zu dem Thema…“ Nick räusperte sich unangenehm berührt und biss sich auf die Unterlippe. „Tja, offenbar nicht…“ Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand neben dem Fenster und studierte geistesabwesend seine Schuhspitzen. „Und nun hat sie selber Reißaus genommen. Aber wissen Sie was, Captain?“, er hob wieder den Kopf und sah seinen Vorgesetzten fest in die Augen, „selbst wenn ich an dem Abend zurückgekommen und ins Schlafzimmer gegangen wäre, bin ich mir fast sicher, sie hätte eh nicht mit mir unter einer Decke liegen wollen. Ich hätte sie ja im Schlaf umbringen können…“ Müde rieb er sich über das Gesicht und lachte freudlos. „Warum vertraut sie mir nicht? Ich bin immer noch derselbe Mann wie vorher. Ob ich nun ein Grimm bin oder nicht und sie ein Hexenbiest oder nicht sollte doch eigentlich keine Rolle spielen.“ „Hier weiß sie das auch“, antwortete Renard und deutete mit der Rechten auf sein Herz. Dann zeigte er auf seine Stirn. „Aber hier? Sie dürfen nicht vergessen, sie ist jetzt ein Wesen und Juliette weiß was Grimms tun. Das ist eine Art Urinstinkt, verstehen Sie? Als würde ein Kaninchen vor einer Schlange stehen… Dagegen kommt man nur schwer an, wenn einen alles auf einmal überwältigt. Ging es Ihnen nicht anfangs ähnlich? Und sie weiß außerdem von Ihrer langen Feindschaft mit Hexenbiestern. Und nun ist sie selber eines und sieht sich damit vermutlich unbewusst als Ihren Todfeind an. Aber viel wichtiger ist, sie vertraut sich im Moment selber nicht.“ Renard zögerte einen Moment. „Ich weiß gar nicht, ob ich Ihnen das eigentlich erzählen darf. Als Juliette mich vor ein paar Tagen aufsuchte war sie völlig verzweifelt. Sie möchte nichts lieber, als ihr bisheriges Leben zurück haben, Sie zurück zu haben. Sie liebt Sie, Detective. Und sie hat furchtbare Angst, dass sie Ihnen wehtun könnte, wenn sie bei Ihnen bleibt.“ Das Biest in ihm krümmte sich bei diesen Eingeständnissen. Mochte es doch bedeuten, dass der Grimm sich auf lange Sicht von ihm abwenden und wieder mit Juliette zusammen kommen konnte. „Klar, weil ich ja auch so schwach bin…“, schnaubte Nick und stemmte die Fäuste in die Hüften. „Weil sie so unberechenbar ist“, stellte der Royal klar. „Sie hat vor meinen Augen den Motor eines Sportwagens explodieren lassen, nur weil der Kerl am Steuer sie fast umgefahren hätte, und sie war nicht mal übermäßig aufgebracht. Sie hatte das nicht geplant und konnte erst gar nicht glauben, was sie im Stande ist zu tun. Juliette ist außergewöhnlich. Sie war schon immer eine starke Frau und jetzt mit diesen Kräften in der Hinterhand ist sie hundert Mal gefährlicher, als es Adalind jemals war.“ Renard zuckte kurz mit den Schultern und verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. „Wobei Miss Schade vielleicht ein eher schlechtes Beispiel ist. Bevor sie von Ihnen ‚entbiestet‘ wurde und sich dann der Contaminatio Ritualis unterzog, war sie eigentlich eine eher schwache Vertreterin ihrer Art.“ Dann legte er den Kopf schief und sah Nick fragend an. „Was sagt eigentlich Henrietta zu der ganzen Sache?“ Der Grimm bewegte nur leicht den Kopf in seine Richtung und wandte sich dann schnell wieder ab. „Dass ich Abstand zu Juliette halten soll.“ Der Royal zog die Stirn in Falten. Das konnte doch nicht alles gewesen sein. So wie das Hexenbiest am Telefon geklungen hatte… „War das alles?“, fragte er ungläubig. „Mehr hat sie dazu nicht gesagt?“ „Nicht wirklich“, Nick atmete lautstark aus. Er verschränkte wieder die Arme vor der Brust und seine Schultern verspannten sich. „Wie darf ich das verstehen?“, bohrte Renard nach. Der Anblick wie der Jüngere sich verkrampfte tat ihm beinahe körperlich weh. Wie gerne würde ihm das Biest einen Teil dieser Anspannung nehmen. Diesen Frust, der sich in der Seele des Grimms aufgebaut hatte. Aber der Detective würde es derzeit sicher nicht zu schätzen wissen, wenn er einen Vorstoß in dieser Richtung wagen würde, also blieb er stumm und wartete, dass Nick weiterredete. Schließlich hob der Detective den Blick. „Es mehr darum, was sie getan hat als das, was sie sagte“, stellte er klar. „Sie hat… mich geküsst. Und… sie hat mich dazu gebracht… sie… auch küssen zu wollen.“ Renard verschluckte sich fast vor Überraschung. „Sie… hat was?“ Er hatte zwar gewusst, dass das alte Hexenbiest seinem Grimm eine kleine Lektion hatte erteilen wollen, aber das… Das Biest stöhnte innerlich auf. Henrietta machte es ihm damit nicht gerade leichter, Nicks Vertrauen zurückzugewinnen. Der zog währenddessen heftig Luft ein und atmete zitternd aus, als würde er gleich auf jemanden losgehen wollen. Doch stattdessen senkte er den Kopf und schien nicht bereit weiter auf die Angelegenheit einzugehen. „Verstehe“ murmelte der Captain schließlich leise vor sich hin. Das erklärte zumindest einen Teil des Frustes seines Detectives. „Was passierte danach?“, wollte er mit sanfter Stimme wissen. Mit leicht stockender Stimme erzählte Nick von seinem letzten Gespräch mit Juliette, als sie sich ihm vollständig in Aufwallung zeigte und von ihm verlangte er möge sie sofort küssen, wenn er sie tatsächlich lieben würde. Aber die Art, wie sie sich benahm, das war nicht mehr seine Juliette und nach dem, was Henrietta ihm kurz vorher erzählt und getan hatte brachte er es nicht einmal über sich, das Hexenbiest anzusehen. Er hatte ihr versprochen, dass er lernen würde sie so zu akzeptieren und zu lieben, so wie sie auch ihn zu akzeptieren gelernt hatte. Aber Juliette gab ihm keine Chance. Sie verhöhnte ihn und ließ ihn einfach stehen. Inmitten dieses Trümmerfeldes, das einmal ihr gemeinsames Wohnzimmer gewesen war. Seit dem war sie ihm aus dem Weg gegangen und hatte auch keinen seiner Anrufe mehr beantwortet. Es war klar für Renard, dass der Mann vor ihm am Ende seiner Kräfte angelangt war. Juliette hatte ihn weggestoßen, höchstwahrscheinlich um ihn zu beschützen. Aber der Grimm konnte oder wollte das nicht akzeptieren. Der Royal konnte ihm das nicht mal verübeln. Eine Schocktherapie, wie sie Juliette veranstaltet hatte, war auch nicht wirklich hilfreich für gegenseitiges Verständnis. Aber er war ein wenig überrascht, wie hart doch Juliette mit Nick ins Gericht gegangen war. So wie er es darstellte war er sich über seine falsche Reaktion im Klaren, aber seine Freundin gab ihm keine ernsthafte Möglichkeit die Sache zu erklären. Und das war sehr untypisch für Juliette. Die ‚alte‘ Juliette jedenfalls. Einerseits bestand sie so vehement darauf, ihr altes Leben zurück haben zu wollen, und Nick war ein wichtiger Teil eben dieses Lebens, das sie nicht aufgeben wollte, aber gleichzeitig behandelte sie ihn so… abweisend. Kalt. Distanziert. Ja fast berechnend… wie ein Hexenbiest eben einen Grimm behandeln würde. Das konnte ja noch heiter werden mit den beiden… „Hören Sie, im Augenblick sieht es vielleicht schlimm aus, aber Sie beide haben schon ganz anderes überstanden. Sie werden auch das in den Griff kriegen“, versuchte Renard den Detective aufzumuntern. „Und was, wenn sie gar nicht mehr will?“ Die Stimme des Grimm war kaum mehr als ein Flüstern. Erschöpft und mit hängenden Schultern ging Nick die paar Schritte bis zur Couch hinüber und ließ sich wieder darauf sinken. Er griff blind nach seiner Bierflasche, um einen Schluck zu nehmen, stellte dann aber fest, dass sie bereits leer war. Die Hand mit der Flasche sank hinunter auf seinen Schoß. Der Detective ließ den Kopf hängen und stützte die Unterarme auf den Oberschenkeln ab. So vorgebeugt verharrte er. Seufzte noch einmal kurz und blieb dann still sitzen. „Nick, so kommen wir auch nicht weiter. Ich…“ Renard stockte. Und musste fast zweimal hinsehen, um sicher zu sein, dass ihm seine Augen keinen Streich spielten. Der graue Schleier war wieder aus dem Mann hervor gebrochen, zog sich über Gesicht und Hände und ließ ihn nach wenigen Sekunden wie einen lebenden Leichnam aussehen… „Verdammt“, murmelte er leise und eilte an die Seite des Grimms. Der Captain hockte sich neben den Mann, legte ihm eine Hand auf die Schulter und rüttelte leicht daran, als wollte er ihn aufwecken. Die Flasche rutsche ihm aus der Hand und gab ein leicht dumpfes Geräusch von sich, als sie auf dem Teppich aufschlug. „Nick, hören Sie auf damit. Kommen Sie wieder zu sich!“ Doch er wartete vergeblich auf eine Reaktion. Der Grimm saß einfach nur stumm da, wie eine Statue, eine Puppe deren Seile durchgeschnitten worden waren, ein kaputtes Spielzeug… Es war zwar nicht das erste Mal, dass Renard diese Zombiefizierung erlebte, aber das erste Mal, bei dem Nick nicht in Raserei verfiel sondern tatsächlich mehr wie tot wirkte. „Nick!“ In der Stimme des Captains schwang mehr als ein Hauch von Besorgnis mit. Renard wusste zwar, dass der Körper des Mannes vor ihm seit der Vergiftung mit dem Cracher-Mortel-Gift anders… ‚tickte‘, wie bei der Sache mit dem verlangsamten Puls. Aber es war ja nicht nur das. Er schwitzte auch nicht mehr und konnte lange Zeit unter Wasser bleiben und würde hinterher trotzdem nicht außer Atem sein. Er war schneller, er war stärker, hatte ein Super-Gehör… er war der perfekte Jäger – wie ein Raubtier. Und doch war er nur ein Mensch mit Gefühlen und Problemen. Und manchmal verfiel er eben scheinbar in Starre. Als der graue Schleier auch nach einer gefühlten Ewigkeit des Schüttelns und Namenrufens nicht verschwand, begann sich Renard dann aber doch ernsthafte Sorgen zu machen. Was sollte er tun? Wie lange er auch den Finger an die Halsschlagader drückte, er konnte nichts fühlen. Weder einen Puls noch einen Hauch von Atmung. Wie lange konnte der Grimm so verharren, bevor es zu Gewebe- oder gar Hirnschäden bei ihm kam? Das durfte er auf keinen Fall zulassen. Renard stieß den Couchtisch mit mehr Schwung als nötig beiseite, damit er Platz hatte sich vor Nick zu stellen. Dann drückte er den Mann mit dem Rücken gegen die Lehne. Sein Kopf schlackerte ungerührt zurück. Das Biest zog ein Augenlid hoch. Die Pupille weitete sich leicht, es war also noch nicht zu spät. Und dann machte er das, was er vermutlich schon von Anfang an hätte machen sollen: er gab dem Detective mit voller Wucht eine Ohrfeige. Dessen Kopf knallte zur Seite und ein überraschter Seufzer war zu hören. Die Wange färbte sich knallrot und als hätte jemand einen Farbfilter vor einen Scheinwerfer platziert begann sich das Grau zurückzuziehen und die Haut des Grimms sah wieder rosa und lebendig aus. „Auuuu!“, beschwerte sich der so Geschlagene und tastete mit der Hand nach seiner linken Wange. „Was sollte das denn?!“ Wütend funkelte er seinen Vorgesetzten an, der immer noch halb über ihn gebeugt da stand. „Sind Sie wieder unter den Lebenden?“ Renard schüttelte leicht die linke Hand und streckte die Finger vorsichtig aus. Vielleicht hatte er im Eifer des Gefechts die Rückhand doch ein wenig… zu hart durchgezogen. Aber der Grimm hatte auch einen ziemlichen Dickschädel und er wollte sichergehen, dass der Mann so schnell wie möglich wieder aufwachte. „Bin ich… was?“, irritiert bemerkte der Grimm den zur Seite geschobenen Tisch und die am Boden liegende Flasche zu seinen Füßen. Der Captain richtete sich wieder auf und strich sich nonchalant die Krawatte glatt, bevor er den Stuhl heranzog, auf dem noch sein Jackett hing, und sich Nick gegenüber hinsetzte. „Wieder wach, Detective. Ich dachte schon ich müsste den Leichenbeschauer rufen… Machen Sie sowas bitte nie wieder. Sie sollten wirklich mal an Ihrer Beherrschung arbeiten.“ Der Royal richtete scheinbar ungerührt seine Manschetten, schlug das rechte Bein über das linke und faltete die Hände in seinem Schoß. Er sah Nick mit einem so gelangweilten Ausdruck wie möglich an, obwohl sein Puls flatterte und seine Hände noch leicht zitterten. In seinen Schläfen pochte das Blut. Adrenalin… Unwillkürlich fragte Renard sich, ob Nick wohl das Rauschen in seinen Adern hören konnte… Der Captain versuchte immer eine gewisse Distanz zu wahren, aber mit diesem… diesem unmöglichen Grimm, war das besonders schwer durchzuhalten. Erst recht nach neulich Abend. Der Grimm seinerseits sah alles andere als ruhig aus. Er sprang auf und tigerte wieder einige Schritte durch den Raum. Seine Wange brannte. Nicht nur wegen des Schlages, sondern auch ein wenig vor Scham. Wie hatte er sich nur so gehen lassen können? Und das ausgerechnet in der Gegenwart dieses Mannes? Gerade vor Renard wollte er sich eigentlich keine derartige Blöße geben… Und was bildete sich der Royal überhaupt ein, ihn wegen seiner Beherrschung zu tadeln? Er hatte sich den ganzen verdammten Tag lang beherrscht. Immerhin war es seine Wange, die schmerzte und langsam anschwoll. Wer von ihnen beiden hatte sich hier wohl eben nicht im Griff gehabt? Er hatte doch gar nichts gemacht…Nick blieb stehen und sah seinen Vorgesetzten wütend an. Er stemmte die Hände in die Hüften, während er automatisch die Brust rausstreckte. „Meine Beherrschung?“ „Ganz recht, in der Tat. Sie sollten dringend lernen, sich nicht von Ihren Gefühlen derartig überwältigen zu lassen. Sie sind zu bedeutend, Nick, um sich wie ein Schuljunge mitreißen zu lassen. Und zu gefährlich. Sonst ist das Grau bald nicht nur vorübergehend und wir müssen sie doch noch beerdigen.“ Und das könnte er nicht ertragen… „Bin ich Ihnen etwa zu ‚instabil‘, Captain? Soll ich zum Seelenklempner, sonst werde ich vom Dienst suspendiert?“ Renard rollte einmal mit den Augen. Seit wann war der Detective so ein Seelchen? „Übertreiben Sie doch bitte nicht gleich so. Obwohl Ihnen ein Psychologe vielleicht ganz gut tun würde. Sie müssen sich scheinbar unbedingt mal ein paar Sachen von der Seele reden. Und oftmals ist dafür ein unbeteiligter Dritter besser geeignet, als die Leute, die uns näher stehen. Wer will schon seinen Freunden alles erzählen, was in einem vorgeht… Andererseits, wenn Sie die Wahrheit erzählen würden, könnte man vielleicht versuchen Sie einweisen zu lassen… Außer der Arzt wäre selber ein Wesen, aber ich kenne da spontan leider niemanden…“ ‚Und selbst wenn, würde derjenige wohl kaum einem Grimm helfen wollen, sonst müsste er selber bald in Therapie‘, fügte er gedanklich hinzu. Der Detective wanderte auf und ab. Er hatte die Spielchen seines Vorgesetzten langsam satt und wollte einfach nur etwas Eis in einen Beutel tun, um damit seine Wange zu kühlen. Mit jedem wütenden Herzschlag pulsierte die Stelle schmerzhaft auf. Der Royal hatte sich nicht gerade zurückgehalten, als er ihm eine verpasste. War das wirklich nötig gewesen so hart zuzuschlagen? Eine leise lachende Stimme in seinem Inneren war wohl eben dieser Ansicht, zumindest sagte sie ihm er solle aufhören sich zu beklagen und einfach härter werden. Dieses weinerliche Gehabe war eines Grimms nicht würdig. Er sollte sich mehr darüber freuen, einen starken Partner gefunden zu haben… Nick schüttelte sich unwillkürlich bei diesen Gedanken… Partner… wo war das jetzt hergekommen? „Was wollen Sie eigentlich von mir, Captain?“, fragte der Detective schließlich mit genervter Stimme und blieb endlich stehen. Renard lächelte schief. Inzwischen hatte sich sein Puls wieder etwas beruhigt und er hatte keine Mühe mehr, seine Stimme locker zu halten. „Sie haben mich doch um das Gespräch gebeten, Nick. Wenn Sie möchten, dass ich gehe, dann tue ich das auch. Ich will mich keinesfalls aufdrängen, doch ich denke, Sie sollten aufhören wegzulaufen und sich endlich dem eigentlichen Problem stellen.“ „Und was ist Ihrer Meinung nach das eigentliche Problem?“, fragte der Grimm mit einem ätzenden Tonfall. „Dass Sie sich selber nicht wirklich verstehen.“ „Was gibt es da zu verstehen? „Offenbar so einiges. Fragen Sie mal Ihren kleinen Zombie da drinnen, was er von der ganzen Sache hält. Oder den Grimm.“ Renard tippte sich ein paar Mal mit dem Finger auf die Brust und deutete dann kurz auf sein Gegenüber. „Wie dem auch sei. Was ich eigentlich sagen wollte, als Sie plötzlich anfingen einen auf Scheintod zu machen, geben Sie noch nicht auf, aber denken Sie auch daran, Juliette ist nicht mehr die süße unschuldige Tierärztin, die sie mal war. Sie müssen sich beide die Zeit nehmen sich der… Situation anzupassen.“ „Das versuche ich doch“, antwortete der Grimm frustriert und warf die Hände in die Luft. „Immer und immer wieder versuche ich mit ihr zu reden, ihr zu sagen, ‚komm bitte nach Hause, wir kriegen das schon hin‘, aber sie ignoriert mich. Wann immer ich auf der Straße unterwegs bin halte ich Ausschau nach ihr. Ich habe sogar versucht sie an der Tierklinik abzufangen, aber sie geht nicht mal mehr zur Arbeit. Was soll ich denn machen?“ „Geben Sie ihr einfach Zeit, haben Sie Geduld. Es ist für ihre Freundin alles andere als einfach, sich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangieren. Sie muss vermutlich erst mal selber mit sich klar kommen. Aber Juliette liebt Sie, das weiß ich ganz sicher, Nick. Wenn sie kann, kommt sie zurück.“ „Wenn sie kann?“ „Wenn sie glaubt es zu können…“, bestätigte Renard ruhig. Es war die reine Wahrheit, aber der verletzte Ausdruck in Augen des Grimms versetzte ihm einen kleinen Stich und das Biest in ihm protestierte dagegen, dass er dem Mann gut zuredete, mit jemand anderes eine Beziehung zu führen. Das Biest wollte ihn für sich alleine. Wenn es nach ihm gehen würde, dann sollte sich Juliette gefälligst von dem Grimm fernhalten. Die Frau hatte schon viel zu lange Einfluss auf sein Leben genommen… ‚Bleib ruhig‘, flüsterte er dem Biest immer wieder zu. ‚Er muss von sich aus auf uns zukommen, alles andere hat keinen Wert…‘ Doch sein inneres Wesen machte sehr deutlich, was es davon hielt warten zu müssen – nämlich nichts! Der Detective seufzte unterdessen und rieb sich entnervt über das Gesicht. „So viel zu dem ‚was auch immer passiert, wir stehen das gemeinsam durch‘…“, murmelte er vor sich hin. „Hören Sie, Nick…“, begann Renard, brach aber ab, als Nick die Hände hob. „Lassen Sie es gut sein, Captain. Was da zwischen Juliette und mir läuft ist nicht Ihr Problem.“ ‚Irgendwie doch‘, dachte das Biest, sagte aber nichts. Beide Männer sahen sich sekundenlang stumm an und beäugten einander. Dann atmete der Jüngere einmal tief durch und ging kommentarlos an Renard vorbei in Richtung Küche. „Und was haben Sie jetzt vor?“, fragte der Royal besorgt und erhob sich halb aus dem Stuhl, um dem Grimm zu folgen, falls es nötig werden sollte. „Mich zu betrinken“, kam die schlichte Antwort seines Untergebenen und er sank zurück in den Stuhl. Der Captain konnte hören, wie die Kühlschranktür auf und wieder zu gemacht wurde und das leise Klirren von Flaschen, die gegeneinanderschlugen. Als Nick wieder im Türrahmen erschien hatte er zwei frische Flaschen Bier in den Händen. „Auch noch eins?“ Hilferuf -------- Währenddessen in einer anderen Ecke der Stadt, lag die Straße, in der das Haus des Tugendschaf/Klaustreich-Ehepaars stand, in vollkommener Dunkelheit und Stille. Einzig im Schlafzimmer der Graupners glimmte ein schwaches Licht. Die eingetretene Tür war im Laufe des Tages notdürftig repariert worden und im Wohnzimmer hatte die Frau stoisch wieder für Ordnung gesorgt. Wie so oft in letzter Zeit. Es war nicht das erste Mal, dass ihr Mann handgreiflich wurde, aber es war noch nie so schlimm gewesen. Zertrümmerte Möbel, umhergeworfene Teller und Tassen, vielleicht auch mal ein blauer Fleck wenn George richtig mieser Laune war, aber niemals so etwas wie heute. Ellie musste an den netten Nachbarn denken, der jetzt wegen ihres Mannes im Krankenhaus um sein Leben kämpfte. Der arme Stuart, er hatte doch nur versucht ihr zu helfen. Wie er so dagelegen hatte auf dem Gehweg... Vielleicht hätte sie doch die Tür aufmachen sollen. Stuart Franklin war auch ein Wesen, ein Tugendschaf wie sie. Und dennoch hatte er den Mut gehabt, sich ihrem wütenden Mann entgegenzustellen. Vielleicht würde er sogar sterben, weil George ihn so schwer zugerichtet hatte… Stuart war ein echter Held. Und sie war so feige… Müde setzte sich das Tugendschaf an den Rand ihres Ehebettes und ließ den Kopf hängen. ‚Ehe…‘, dachte sie voller Bitterkeit. Als wenn man ihre Beziehung zu George als ‚Ehe‘ bezeichnen konnte. ‚Sklavenhaltung‘ war eigentlich der bessere Ausdruck dafür. In Gedanken versunken fuhr sie mit der Hand über die Tagesdecke, auf der sie saß. Es war ein wunderschöner Quilt, ein Hochzeitsgeschenk ihrer Familie. Im Licht der Nachttischlampe konnte sie die zarten handgestickten Linien und verschlungene Muster erkennen. Ihre Eltern hatten sie damals gewarnt, sich auf den Klaustreich einzulassen. „Ellie“, hatten sie immer wieder gesagt, „da kann nichts Gutes bei rauskommen.“ Aber George war damals so nett und aufmerksam zu ihr gewesen und sie wollte nicht glauben, dass die Vorurteile gegen Klaustreiche auch auf diesen jungen Mann zutrafen, der um sie warb. Sie hatte nicht hören wollen. Nun musste sie fühlen. Leise schluchzte sie. Plötzlich drang ein Geräusch an Mrs. Graupners Ohr, das sie hochschrecken ließ. Es klang, als würde jemand versuchen die Hintertür zu öffnen. In der vollkommenen Stille des Hauses war das verräterische Klacken des alten Schlosses und das Knarzen der Scharniere bis hoch ins Schlafzimmer zu hören. Ellie hatte das Schloss längst austauschen lassen wollen. Es war völlig verrostet und hakte manchmal. Ihr Mann hatte das aber verboten. Das wäre unnütze Geldausgabe, sagte er immer. Im Nachhinein schien es, als wenn das ausnahmsweise mal zu ihrem Vorteil war, dass sie sich in dieser Sache nicht hatte durchsetzen können. Andernfalls hätte sie vermutlich niemals mitbekommen, dass jemand versuchte einzubrechen. Aber… war es wirklich ein Einbrecher? Das Schloss hatte nur kurz geklackert. Es klang nicht, als hätte jemand länger daran rumgestochert… Es klang tatsächlich so, als wenn… jemand einen Schlüssel benutzt hätte. Aber… George sollte doch über Nacht eingesperrt werden. Das hatte zumindest die nette Polizistin gesagt. Er konnte das demnach also nicht sein, oder? Aber was, wenn doch? Leicht verängstigt zog Ellie ihren Morgenmantel etwas fester um ihren Körper und schaltete die kleine Lampe aus, bevor sie langsam aufstand und nach dem Telefon auf der Kommode vor dem Fenster griff. Daneben lag die weiße Visitenkarte von diesem Detective Burkhardt. Die nahm sie in die andere Hand und ging vorsichtig die letzten Schritte bis zur Schlafzimmertür. Einige Sekunden lang lauschte sie in den Flur hinaus und glaubte leise Schritte zu hören. Dann schloss sie behutsam die Tür und drehte den Schlüssel zweimal um. Anschließend setzte sie sich wieder auf den Rand des Bettes und betrachtete die Visitenkarte in ihrer Hand. Sie hielt sie so, dass die Schrift im schwachen Licht der Straßenlaternen zu lesen war. ‚Portland P.D. – Det. Nicholas Burkhardt‘ stand darauf. Unter dem Namen war seine dienstliche Telefonnummer angegeben. Und auf der Rückseite hatte er seine Mobilnummer notiert. Kurz ließ sie ihre Begegnung mit dem Polizisten früher am Tag Revue passieren. Dieser Burkhardt war ein seltsamer Mann. Zuerst hatte er gar nicht mit ihr geredet, sondern nur mit der netten Polizistin und einem weiteren Kollegen in Uniform. Dann hatte sie während der Sanitäter sie verarztete gemerkt, wie der Detective wütend das Haus verließ. Ellie wusste nicht warum, aber sie hatte die Welle dieser Wut förmlich auf der Haut spüren können und war zusammengezuckt. Der Sanitäter bezog das natürlich auf sich und entschuldigte sich sofort, aber das war es nicht gewesen. Ja, die Wunde an der Stirn schmerzte, aber nicht halb so sehr, wie die, in ihrem Inneren. Angst war ein scharfes Schwert und diese Wut machte ihr furchtbare Angst. Sie hatte so viele Jahre unter der Wut ihres Mannes gelitten… Und dann war der Detective wieder da, setzte sich ruhig zu ihr auf die Couch und stellt sich vor. Und bot ihr seine Hilfe an… Er war so… nett, freundlich, verständnisvoll. Beinahe sanft. Kein Vergleich zu der Wut, die er nur Minuten vorher ausgestrahlt hatte. George war hinterher niemals so nett zu ihr, wenn er einen seiner Anfälle hatte. Nie tat es ihm wirklich leid, was er seiner Frau antat. Im Gegenteil, immer war sie selber an allem Schuld und müsse sich das selber zuschreiben, wenn er wütend wurde. Detective Burkhardt dagegen… er entschuldigte sich für sein Verhalten und hörte ihr ruhig zu, als sie den Ablauf beschrieb. Nie unterbrach er sie oder beschimpfte sie, weil ihr Mann solche Probleme verursachte. Hinterher wies sie sogar auf mehrere möglichen Hilfestellen für Frauen in ihrer Lage hin, an die sie sich wenden konnte. Einige davon kannte sie und wurden speziell von Wesen für Wesen geführt. Bislang hatte sie sich nur nie getraut, dort hinzugehen. Ihr Mann hätte jegliche Verzögerung oder spätere Heimkehr von der Arbeit sofort bemerkt. Oder wenn sie dort auch nur angerufen hätte. Auf Arbeit durfte sie nicht privat telefonieren. Sie besaß zwar ein Handy, aber nur um immer erreichbar für ihn zu sein. Und George kontrollierte jeden Tag die Anrufer-Listen, daher konnte sie es nicht riskieren, von dem Gerät aus jemanden zu kontaktieren. Ein zweites Telefon konnte sie ebenfalls nicht kaufen, weil ihr Mann auch sämtliche Ausgaben und die Kreditkartenbelege überprüfte. Und wenn sie die Telefonzelle an der Haltestelle benutzt hätte, dann hätte sie ihren Bus verpasst. Und das hätte dazu geführt, dass sie später gefahren wäre, was wiederum George wütend gemacht hätte… ‚Ich weiß Ihr Mann ist ein Klaustreich‘, hatte er leise gesagt, ‚und das diese Wesen dazu… tendierten ihren Partnern das Leben zur Hölle zu machen. Ich habe das schon zweimal erlebt. Aber Sie müssen das nicht alleine durchstehen, Mrs. Graupner. Es gibt Leute, die Ihnen helfen können.‘ Überrascht hatte sie aufgeschaut. Woher wusste der Detective über ihren Mann Bescheid? Über die Wesen? Ungewollte wallte sie einen Moment auf, und dann konnte sie es sehen - er war ein Grimm! Sofort kroch Panik in ihr hoch, ein leibhaftiger Grimm… Was wollte er von ihr? War er gekommen, um sie umzubringen? Aber er hatte gleich abgewiegelt und mit sehr sanfter Stimme auf sie eingeredet und die Polizistin hatte ihn dabei unterstützt. Eine Polizistin, zumal selber ein Wesen, würde doch kaum einen Grimm unterstützen, der ihr Böses wollen würde, oder? Der Grimm machte ihr trotzdem Angst, aber noch mehr verwunderte er sie. Er wolle helfen, hatte er gesagt. Einen Augenblick lang hatte sie sich der vagen Hoffnung hingegeben, er könne das Problem ‚endgültig‘ für sie lösen, aber das hatte er abgelehnt. Er sein nicht ‚so ein Grimm‘, sondern Polizist. Aber er hatte auch gesagt, wenn sie Hilfe bräuchte, könnte sie ihn jederzeit anrufen. Und genau das tat sie jetzt. Sie tippte die Nummer von der Karte ins Telefon und wartete auf das erlösende Freizeichen.   *** Aus den zwei Bier waren inzwischen vier oder fünf geworden, so genau hatte Nick nicht darauf geachtet. Eigentlich hatte er vorgehabt sich ordentlich zu betrinken, aber dieser Zombie-Nebeneffekt hatte seinen Metabolismus offenbar so gründlich umgekrempelt, dass ihm das einfach nicht zu gelingen schien. Er fühlte sich nicht mal leicht beduselt. Früher hätten zwei Bier gereicht und er hätte angefangen blöde zu grinsen. Vielleicht sollte er auf etwas Stärkeres wechseln, überlegte Nick, aber mehr als Wein hatten sie normalerweise nicht im Haus. Sie… Traurig schüttelte er den Kopf. Das hieß wohl jetzt eher ‚hatte er nicht im Haus‘. Nick verzog den Mund und setzte die Bierflasche wieder an. „Was ist los, Detective?“ Der Grimm sah seinen Vorgesetzten an, der zu seinem großen Erstaunen noch immer bei ihm im Wohnzimmer saß und ebenfalls eine Flasche Bier in der Hand hielt. Von Hank hätte er ja erwartet, dass der sich einem ‚Saufgelage‘ anschließen würde, von Renard eher weniger. Aber da saß der Royal, locker zurückgelehnt auf dem Stuhl und die Flasche in der Hand, als wäre es das normalste von der Welt. „Ich glaube ich muss Ihnen mal etwas von meinem Lieblingsscotch mitbringen, Nick. Immer nur Bier, wo bleibt denn da der Genuss?“ „Wenn Sie mein Bier nicht mögen können Sie ja gehen“, antwortete der Detective säuerlich und nahm den letzten Zug aus seiner aktuellen Flasche. Dann stellte er sie vor sich auf den Couchtisch und lehnte sich wieder zurück in die Sitzpolster. Er runzelte die Stirn. Vielleicht hatte der Alkohol inzwischen doch angefangen zu wirken oder er spürte die ersten Auswirkungen einer verspäteten Gehirnerschütterung nach der Ohrfeige von vorhin, obwohl das Pochen in seiner Wange inzwischen längst zurückgegangen war. Jedenfalls legte er den Kopf schief und sah den anderen Mann mit leicht glasig wirkenden Augen fragend an. „Warum sind Sie überhaupt noch hier?“ „Ich hatte heute Abend nichts vor und Sie sahen aus, als könnten Sie etwas Gesellschaft gebrauchen, Detective“, zuckte Renard mit den Schultern, streckte die Beine aus und überkreuzte sie an den Knöcheln. Der Grimm schnaubte amüsiert. Bis sein Magen anfing lautstark zu knurren. „Hunger?“ „Keinen Appetit“, wiegelte der Jüngere ab. Missbilligend runzelte Renard die Stirn. „Sie wissen aber schon, dass Alkohol auf leeren Magen nicht gerade die beste Idee ist, oder? Wann haben Sie zuletzt was gegessen, Nick?“ Der Detective dachte ernsthaft darüber nach. Zum Frühstück hatte er nur den üblichen Becher schwarzen Kaffee getrunken und tagsüber war er wie so oft nicht dazu gekommen, etwas zu essen. Ursprünglich hatte er vorgehabt sich unterwegs was beim Chinesen zu besorgen, da seine eigene Kochkunst nicht über die Zubereitung von Spiegeleiern und Speck hinausging (und selbst da musste er höllisch aufpassen, dass nicht am Ende nur noch Kohle in der Pfanne übrig blieb). Aber im Eifer des Gefechts den Royal zu treffen, hatte er auch das wieder vergessen. „Also ich…“ „Lassen Sie es gut sein“, winkte Renard ab. „Wenn Sie nicht mal mehr wissen, wann sie zuletzt was zwischen den Zähnen hatten ist es eindeutig an der Zeit für Pizza. Kommen Sie, ich bestelle uns was.“ Er kramte in der Innentasche seiner Jacke, die hinter ihm über der Stuhllehne hing und förderte sein Handy zu Tage. „Ich kenne da einen ganz ausgezeichneten Italiener, der zum Glück auch außer Haus liefert“, schwärmte er, während er das Adressbuch durchging, „sowas Gutes haben Sie garantiert noch nie gegessen, Detective. Ich empfehle…“ Doch bevor er die Nummer wählen konnte klingelte das Handy des Grimms. Renard seufzte bedauernd und ließ sein Telefon sinken. Nick kramte umständlich aus seiner Hosentasche sein eigenes hervor. Er stutzte kurz, als er die Anrufer Nummer las und ging dann ran. „Burkhardt“, meldete er sich und setzte sich aufrechter hin. Der Captain zog bei dieser Reaktion und dem wachsamen Blick, den der Grimm zeigte, seine Beine wieder heran und richtete sich ebenfalls auf. Gespannt wartete er darauf zu erfahren, wer seinen Untergebenen zu so später Stunde noch anrief und warum. „In Ordnung“, antwortete dieser gerade und erhob sich von der Couch. „Bleiben Sie ruhig, ich bin unterwegs. Verschließen Sie die Tür, aber unternehmen Sie erstmal nichts weiter, ich werde sofort die Kollegen informieren. Ja… Nein… Hören Sie, ich bin auf dem Weg, warten Sie auf mich, ja? Okay, bis gleich.“ Damit legte er auf, verstaute sein Handy wieder in der Hosentasche und marschierte schnellen Schrittes in Richtung Eingangstür. Als wäre ihm gerade eben erst wieder eingefallen, dass er ja noch Besuch hatte, blieb er plötzlich stehen und sah Renard an, der inzwischen auch aufgestanden war und bereits nach seinem Jackett griff. „Ein Notfall?“, fragte der Captain nur. „Ja“, bestätigte Nick die Vermutung seines Vorgesetzten. „Das war die Frau, bei der wir heute Vormittag waren, das Tugendschaf. Sie sagt, jemand versucht sich Zutritt zum Haus zu verschaffen und jetzt hat sie natürlich furchtbare Angst.“ Der Captain zog eine Braue hoch. „Ich dachte ihr Mann wäre noch bei uns in Gewahrsam?“ „Ist er auch“, bestätigte der Detective und zog währenddessen seine Jacke über, bevor er seine Waffe und seine Marke wieder am Gürtel befestigte und nach dem Autoschlüssel griff. Er winkte Renard sich zu beeilen. „Aber er hat auch einen Bruder, soweit ich mich entsinne.“ Sein Gesicht drückte tiefe Besorgnis aus. „Oh“, meinte der Captain und beschleunigte seine Schritte. „Ich komme mit, aber wir fahren besser mit meinem Auto, dann können Sie von unterwegs die Kollegen alarmieren“, legte er fest. „Wie ist die Adresse?“   *** Der Vorteil den Wagen des Captains zu nehmen lag darin, dass es ein Dienstwagen mit entsprechendem Blaulicht war, welches nun fröhlich vor sich hin blinkte. Das brachte die beiden Männer in kürzester Zeit zum Haus des Ehepaares Graupner. Kurz bevor sie in die richtige Straße einbogen, schaltete Renard diese Lichter jedoch aus, damit sie den Einbrecher nicht vorwarnten. Beide Polizisten sprangen aus dem Fahrzeug, kaum dass der Motor aus war, und zogen ihre Dienstwaffen. Nick ging voran und Renard deckte seine Flanke. Das Haus lag im Dunkeln. Von außen war auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches zu sehen. Die Frau hatte von der Hintertür gesprochen, also warf der Grimm nur einen kurzen Blick auf die Eingangstür und fand sie geschlossen und notdürftig repariert vor. Mit der Taschenlampe in der einen Hand und der Waffe in der anderen arbeiteten sich beide Polizisten langsam an der Garage vorbei zur Hintertür vor. Dort angekommen deutete Nick mit dem Strahl der Taschenlampe auf den Spalt zwischen Tür und Rahmen und Renard nickte als Zeichen, dass er es gesehen hatte. Der Captain stellte sich mit dem Rücken zur Wand neben die Treppe und beobachtete die Umgebung, während der Detective voran ging. Vorsichtig nahm der Grimm eine Stufe nach der anderen und versuchte dabei keine Geräusche zu machen. Aber die Treppe war aus Holz und knarzte trotz aller Vorsicht leise unter seinem Gewicht. Irgendwo in der Nachbarschaft bellte plötzlich wild ein Hund. Er musste die vielen Fremden bemerkt haben, die in seinem Revier herumliefen und das schien ihm nicht zu gefallen. Nick hoffte nur, dass das Kläffen den Einbrecher nicht zu früh auf sie aufmerksam machen würde. Auf dem oberen Treppenabsatz angekommen, warf der Detective zunächst einen schnellen Blick durch das Türfenster. Die dünne Gardine, die von innen davor hing, ließ genug Durchblick in den dahinterliegenden Raum frei. Keiner zu sehen. Er winkte Renard zu ihm zu folgen und der rückte sofort nach. Dann deutete der Grimm auf den Schlüssel, der noch im Schloss steckte und der Captain schnaubte leise. Wer immer auch im Haus war, es handelte sich dabei um keinen gewöhnlichen Einbrecher. Der Bruder des Ehemannes klang immer wahrscheinlicher. Nahestehende verwandte Klaustreiche unterstützten sich wohl immer gegenseitig, wenn es um ihr ‚Eigentum‘ ging, mutmaßte Nick, der an Robins Fall und den dortigen Sheriff zurück dachte. Der war ihr Schwager gewesen, doch statt der Frau zu helfen, wie es eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre, unterstützte er lieber seinen Bruder darin die Frau auszubeuten, wie es eben Klaustreiche tun. Nick verabscheute das. Renard hatte inzwischen seitlich neben der Tür Stellung bezogen und deutete mit einer Kopfbewegung, dass er bereit war. Während Nick vorsichtig die Tür öffnete und den Raum dahinter betrat, rückte der Captain nach und sicherte die linke Seite ab. Der Detective wandte sich dementsprechend nach rechts. Niemand stellte sich ihnen entgegen. Der Grimm deutete auf die Zimmerdecke. Die Frau war im ersten Stock und vermutlich damit auch der Eindringling. Besorgt warf Renard einen Blick auf seine Uhr. Die Verstärkung sollte jeden Moment auftauchen. Sie mussten sich also beeilen, falls im Obergeschoss Dinge passierten, die ein Ungesicht besser nicht sehen sollte. Trotzdem checkten die beiden schnell und sorgfältig die angrenzenden Räume, bis sie zur Treppe gelangten. Anders als bei Nick daheim hatte dieses Haus nur eine Treppe die nach oben führte. Sollte der Eindringling also flüchten wollen, musste er auf jeden Fall an ihnen beiden vorbei kommen. Außer natürlich er sprang aus dem Fenster. In diesem Moment geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Plötzlich war laut splitterndes Holz zu hören und eine Frau – höchstwahrscheinlich Mrs. Graupner – schrie über ihnen aus Leibeskräften auf. Nick und Renard sahen sich kurz an und stürmten dann die Treppe empor und folgten den Hilferufen. Die zweite Tür auf der linken Seite stand offen. Der Grimm betrat den Raum wieder zuerst, die Glock weiter im Anschlag. „Portland P.D.!“, rief er, um sich anzukündigen. Und bekam prompt Antwort in Form eines vollaufgewallten Klaustreichs, der ihm entgegensprang. Nick wich ein wenig zur Seite und holte automatisch mit der Rechten aus. Er erwischte das Wesen mit dem Griff seiner Dienstwaffe am Hinterkopf und der Mann ging zu Boden. Renard tastete an der Wand neben der Tür nach dem Lichtschalter und tauchte den Raum in grelles Licht. Während der Grimm sich noch dem Angreifer widmete, sah der Captain bereits im Nebenraum nach der Frau. Völlig verängstigt, die Hände schützend vor dem Gesicht, doch scheinbar unverletzt kauerte sie halb hinter der Kloschüssel versteckt. Sie hielt immer noch das Telefon in der Hand, mit dem sie wohl vor wenigen Minuten bei Detective Burkhardt angerufen hatte. „Mrs. Graupner?“, fragte er und steckte, nachdem er sich überzeugt hatte, dass sich kein weiterer versteckter Angreifer im Raum aufhielt, seine Waffe zurück in das Halfter. „Ich bin Captain Renard, Portland P.D.“, stellte er sich vor und bot ihr hilfreich die Hand an. Mit einiger Anstrengung zog er das Tugendschaf zurück auf die wackeligen Beine. „Wo ist der Gr… Ich meine, der Detective?“, fragte Mrs. Graupner mit zittriger Stimme. „Grimm ist schon in Ordnung, ich weiß Bescheid“, winkte Renard mit einem schiefen Grinsen ab. Und wie er das wusste... „Der…“ Im Schlafzimmer nebenan gab es den Geräuschen nach zu urteilen ein kurzes Handgemenge: der Lattenrost knarzte protestierend auf. Jemand musste gegen oder auf das Bett gestoßen worden sein. Schließlich erklang das typische Geräusch von zuschnappenden Handschellen. Danach wurde es still. Nick hatte offenbar den Mann verhaftet. Gut so… „Der kümmert sich nebenan um ihren ungebetenen Besuch“, stellte der Captain fest und warf der Frau prüfende Blicke zu, aber sie schien keine frischen Verletzungen erhalten zu haben. „Geht es Ihnen soweit gut? Möchten Sie sich lieber hinsetzen?“ Ihr Morgenmantel war verrutscht und das Gesicht tränenverschmiert. Die Hände zitterten wie Espenlaub, als die Frau das Frottee zurecht rückte. „Es… es geht schon, danke.“ Renard war nicht überzeugt, beließ es aber erstmal dabei. Stattdessen fragte er, „Kennen Sie den Mann, der Ihnen das angetan hat?“ Mrs. Graupner nickte. „Mein Schwager“, antwortete sie leise und senkte den Blick. Also hatte Nick Recht gehabt mit seiner Vermutung. Der Royal drehte sich zu seinem Begleiter um, begann „Alles in Ordnung bei Ihnen, Detec…“, aber der Rest des Satzes blieb ihm bei dem Anblick im Halse stecken. Nun, zumindest hatte der Grimm dem Mann Handschellen angelegt, aber der Rest war so ganz und gar nicht in Ordnung. Nick hatte den Klaustreich beim Kragen gepackt und starrte ihn finster an. Sein Gesicht war wieder in diesen grauen Zustand verfallen und das Wesen winselte beinahe vor Angst. „Nick“, rief Renard den Mann beim Namen, aber der Grimm reagierte nicht. Er stand weiter unbeweglich neben dem Bett und funkelte den Angreifer wütend an. Vor dem Haus waren die quietschenden Reifen einiger Fahrzeuge zu hören und durch die Fenster waren die blitzenden Lichter von Polizeiautos zu sehen. Ihre Verstärkung war offenbar eingetroffen. Bald würden die Kollegen das Haus stürmen und Nick stünde dann hier oben wie Pik 7 herum. ‚Das sollte besser kein anderer zu Gesicht bekommen‘, dachte Renard. Dass würde sonst nur Fragen aufwerfen, die keiner von ihnen beantworten wollte. Eile war also geboten. „Warten Sie hier“, bat der Captain die Frau und schob sie freundlich aber nachdrücklich von der Tür weg. Erschreckt weiteten sich ihre Augen, aber sie nickte nur stumm und zog ängstlich den Mantelkragen hoch, als wollte sie sich in dem flauschigen Material verkriechen. Vermutlich dachte sie, ihr Schwager hätte sich losgerissen und würde sich gleich wieder auf sie stürzen… Er hasste es, die arme Frau noch weiter zu verängstigen, aber besser das, als zu sehen, was ihr Held gerade machte. Drei schnelle Schritte brachten den Captain dann dicht hinter seinen Untergebenen. Hier bezog er Stellung, schirmte den Grimm so gut es ging vom Einsichtsbereich beider Türen ab und legte ihm eine Hand auf seine Schulter. Den winselnden Klaustreich, der verzweifelt versuchte mit den Füßen irgendwo Stand zu finden beachtete er nicht. „Detective…“, flüsterte er eindringlich, „lassen Sie es gut sein. Sie haben den Mann verhaftet. Den Rest übernehmen die Kollegen von der Streife.“ Wie aufs Stichwort waren von unten mit einem Mal schwere Schritte und laute ‚Portland P.D.‘-Rufe zu hören. Na Super… „Hier oben“, gab der Royal den Kollegen zähneknirschend Bescheid, „alles unter Kontrolle.“ „Er wird das wieder tun, oder?“, fragte Nick leise und bedrohlich. „Sobald wir ihm den Rücken zudrehen wird er wieder versuchen der Frau etwas anzutun.“ „Das können Sie nicht wissen, Nick“, versuchte ihn der Captain zu beruhigen, obwohl er selber nicht recht daran glaubte. „Doch“, wiedersprach der Grimm. „Ich kann es in seinen Augen sehen…“ Er schüttelte den Mann, den er noch immer am Kragen hielt. Der Klaustreich war etwas kleiner als der Detective und stand wackelig auf den Zehenspitzen. Er versuchte winselnd seinen Kopf zur Seite zu drehen. Offenbar sah er etwas viel schlimmeres in den Augen des Grimm, obwohl er inzwischen längst nicht mehr in Aufwallung war. „Nick“, flüsterte Renard eindringlich und legte eine Hand über die des Grimms, um ihn zum Loslassen zu bewegen. „Gleich kommen die anderen, und Sie…“ Bevor er noch irgendein weiteres Wort sagen konnte, schienen die Lichter von mehreren Taschenlampen in ihre Richtung. Als sich der Captain halb zur Tür umdrehte stürmten zwei Uniformierte mit gezückter Waffe den Raum. „Portland P.D.!“ Ruhe nach dem Sturm? -------------------- „Portland P.D.“, riefen die beiden Officer erneut, da keiner der im Raum anwesenden Personen sofort reagierte. Renard musste leicht die Augen zusammenkneifen und mit einer Hand sein Gesicht abschirmen, da das Licht der Taschenlampen ihn blendete. „Hier ebenfalls“, antwortete er ruhig. „Alles unter Kontrolle.“ Nick stand noch immer mit dem Rücken zur Tür und den Kollegen, löste sich aber nun mit einem kleinen Seufzer aus seiner Erstarrung und das Grau verschwand. Er ließ den Klaustreich los, der prompt das Gleichgewicht verlor und rücklings auf dem Bett landete. Immerhin fiel er weich. Der Grimm ballte die Hände zu Fäusten, die noch immer vor Wut leicht zitterten. Finster ließ er den Mann nicht einen Wimperschlag lang aus den Augen und reckte dem Wesen das Kinn herausfordernd entgegen. „Oh, hallo Captain“, grüßten die Männer, sobald sie ihn erkannten. Die Lampen und Waffen wurden gesenkt und der Raum kurz mit den Augen abgesucht. Da offenbar keine weitere Gefahr drohte steckten sie ihre Waffen weg und richteten sich auf. „‘Tschuldigung, wir haben Sie nicht gleich gesehen, Sir.“ „Schon gut Officers, wir machen alle nur unsere Arbeit“, winkte Renard ab. „Wir haben den Verdächtigen bereits verhaftet“, teilte er mit und warf Nick einen schnellen Seitenblick zu, bevor er mit dem Daumen auf den Mann deutete, der hinter ihm auf dem Bett lag. Der Captain beobachtete die beiden Uniformierten während sie näher kamen. Der Grimm stand zwar noch immer wie eine stumme Herausforderung an den Klaustreich vor diesem, aber da die Kollegen weder seltsam reagierten noch irgendwelche Fragen stellten hatten sie wohl nichts davon mitbekommen, dass der Detective nur Sekunden zuvor noch wie eine lebende Leiche ausgesehen hatte. Renard konnte das nur Recht sein. Er schob den Grimm etwas barsch beiseite, als er den mit Handschellen gefesselten Mann am Ellenbogen packte, vom Bett zog und den uniformierten Kollegen entgegen schob. Normalerweise hätte Nick zumindest ein erbostes ‚hey‘ von sich gegeben, immerhin musste er sich am Nachttisch abfangen, weil der Captain ihn mit seinem Stoß aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, aber er blieb still, das Gesicht weiter vom Geschehen abgewandt. „Nehmen Sie ihn mit Officers“, wies Renard die Neuankömmlinge an. „Er ist festgenommen wegen Hausfriedensbruch und tätlichem Angriff. Lesen Sie ihm seine Rechte vor und schaffen Sie ihn aus meinen Augen.“ „Jawohl, Sir“, nickten die beiden, packten den Mann rechts und links am Arm und zogen ihm mit. Kaum waren die Männer aus der Tür legte Renard dem Grimm die Linke auf die Schulter und sah ihn besorgt an. „Alles klar bei Ihnen?“ Der Jüngere rieb sich mit einer Hand über die Stirn und legte die andere an die Hüfte neben seiner Dienstwaffe. Das war eine typische Haltung für den Detective – von dem finsteren Blick und den zusammengepressten Lippen mal abgesehen, die noch immer maßlose Wut ausdrückten. Das war eher typisch für den Grimm. Renard hob fragend eine Braue und Nick atmete tief durch, bevor er schließlich nickte. Der Captain klopfte ihm einmal kurz auf die Schulter und trat dann einen Schritte beiseite. „Detective?“, kam plötzlich die leise Stimme von Ellie Graupner aus dem Badezimmer und brachte damit ihre Anwesenheit wieder in Erinnerung. Vorsichtig lugte sie am Türrahmen vorbei ins Schlafzimmer. Nick räusperte sich und zwang sich zu einem aufmunternden Lächeln, auch wenn er sich keineswegs danach fühlte. „Das war gerade noch rechtzeitig, was?“ Die Frau presste die Lippen aufeinander und nickte kurz, bevor sie wieder nervös die Augen niederschlug. „Hat… hat mein… Schwager Sie verletzt, Detective?“ fragte sie leise und deutete auf ihre linke Wange. „Wurden Sie… meinetwegen verletzt?“ Nick warf Renard einen überraschten Blick zu und tastete nach seiner Wange. „Nein, das ist früher am Tag passiert. Es hatte nichts mit Ihnen zu tun, Mrs. Graupner.“ „Da bin ich aber erleichtert“, flüsterte sie mit zittriger Stimme. „Ich will nicht, dass noch wer meinetwegen verletzt wird…“ Ihre Knie fingen an unter ihr nachzugeben und sie musste sich am Türrahmen festhalten. „Sie sollten sich besser setzen“, empfahl daraufhin der Captain und bot ihr seine Hand als Stütze an, aber die Frau hob ablehnend die Hand. „Es… geht schon.“ Renard trat ein paar Schritte zurück, um ihr Platz zu machen. Er verfolgte aufmerksam, wie sie mit wackeligen Schritten zum Grimm hinüber ging - bereit notfalls einzugreifen, sollte sie es nicht alleine schaffen. Vorsichtig setzte sie sich auf das Bett, bevor ihre Knie nachgeben konnten. Sie hielt noch immer mit einer Hand das Telefon umklammert. Mit der anderen richtete sie sich unbeholfen ein wenig die Haare und hielt dann wieder ihren Mantel zu. Es schien ihr ein wenig unangenehm zu sein in diesem Aufzug vor den Männern herumzulaufen. Unbeholfen lächelte sie den Grimm an. Eine kurze Aufwallung schwappte über ihre Züge und ließ das Tugendschaf für einen Moment sichtbar werden. Verlegen kicherte sie und lächelte dann erneut kurz in seine Richtung, bevor sie die Augen wieder niederschlug. Wollte sie etwa mit Nick flirten? Das Biest knurrte leise und Renard musste sich zusammenreißen, die arme Frau nicht finster anzustarren. Sein Herz schlug etwas schneller und der Magen krampfte sich leicht zusammen… Was an Adrenalin bei der Erstürmung des Hauses gefehlt hatte, machte sich offenbar nun bei diesem Anblick in ihm bemerkbar. Bis sich seine Nägel schmerzhaft in das weiche Fleisch seiner Handflächen bohrten, war dem Royal gar nicht bewusst gewesen, dass er die Hände in den Manteltaschen zu Fäusten geballt hatte. Nun verschränkte er die Arme locker vor der Brust und verlagerte sein Gewicht auf den anderen Fuß. Er zwang sich ruhig zu atmen und konzentrierte sich darauf, die verkrampften Glieder zu entspannen. Bis er die leichte Röte auf den Wangen von Mrs. Graupner bemerkte funktionierte das auch ganz gut. Aber bei diesem Anblick verkrampfte sich das Biest erneut. Renard schüttelte den Kopf. Die Frau war gerade erst knapp einem Anschlag ihres Schwagers entgangen, sie wusste vermutlich selber nicht einmal genau, was sie eigentlich gerade tat. Die Röte musste nicht einmal irgendwas in Richtung Nick bedeuten, es konnte auch einfach bloßes Schamgefühl dahinter stecken. Und davon hatten Tugendschafe ja reichlich zu bieten. Aber dem Biest war das völlig egal. Die Frau verletzte sein Territorium. Das würde es nicht dulden… Einen Moment lang war Sean selber wegen der Tiefe seiner spontanen Abneigung dieser Frau gegenüber überrascht. Und das nur, weil sie dem Grimm wie ihren Retter in strahlender Rüstung ansah. Vielleicht war es ganz gut, dass er nicht regelmäßig mit dem Detective zu Einsätzen fuhr, stellte Renard zähneknirschend fest, auch wenn sie bei den seltenen Gelegenheiten stets wie ein perfekt eingespieltes Team arbeiteten. Aber offenbar konnte er seinem Biest in Nicks Gegenwart nicht trauen, vernünftig zu reagieren. Andererseits… tat das Biest in letzter Zeit ohnehin selten etwas vernünftiges, wenn es um den Grimm ging. „Erzählen Sie uns bitte was passiert ist, Mrs. Graupner“, forderte der Captain die Frau schließlich auf und lenkte damit ihren Blick wieder auf sich. „Na… natürlich…“ Mit leiser Stimme berichtete das Tugendschaf, wie sie gerade zu Bett gehen wollte, als mit einem Mal Geräusche aus dem Erdgeschoß ihre Aufmerksamkeit erregten. Sie hatte sofort die Tür zum Schlafzimmer abgeschlossen und den Detective angerufen. Einige Minuten lang blieb es danach ruhig und sie hatte schon gehofft, sie hätte sich das vielleicht doch alles nur eingebildet, aber plötzlich bewegte sich die Klinke und jemand drückte von außen gegen die Tür. Sie hatte noch versuchen wollen zusätzlich einen Stuhl unter die Klinke zu packen, aber der Angreifer war schneller. Er trat die Tür ein und packte sie brutal am Handgelenk. „Ich… versuchte mich loszureißen und ins Bad zu kommen“, berichtete sie weiter und rieb sich unbewusst über die rote Stelle an ihrem Arm, auf der sich deutlich die Finger des Angreifers abzeichneten. „Ich… schlug mit dem Telefon auf seine Hände ein und er ließ mich endlich los. Aber ich hatte wohl zu viel Schwung und fiel hin. Ich weiß nicht genau, was dann passierte… hab mir wohl den Kopf irgendwo angeschlagen, einen Augenblick lang sah ich nur Sterne.“ Beide Polizisten nickten. Das musste passiert sein, unmittelbar bevor sie die Treppe hochgestürmt waren. Die Geräusche, die sie von Unten gehört hatten, passten jedenfalls zu ihrer Schilderung. „Was geschah danach?“ fragte Nick weiter. Kurz warf sie ihm einen tränenerfüllten Blick zu. „Ich weiß nicht genau, ich lag am Boden und bekam plötzlich so schlecht Luft… und es war so dunkel um mich herum. Ich erinnere mich nur an sein… dreckiges Lachen und… seine… Hand an meinem… Slip…“ Sie schluchzte leise. Es schien, dass der Mann versucht hatte sie zu vergewaltigen. Vermutlich als Strafe dafür, dass sein Bruder verhaftet worden war. „Er hörte erst auf, als Sie beide in den Raum stürmten.“ Ihre Hände rangen nun unruhig in ihrem Schoß. Das Telefon piepte ein paar Mal auf, vermutlich hatte sie aus Versehen irgendwelche Tasten gedrückt. Nick fing Renards Blick ein und zog die Braue hoch während er mit dem Zeigefinger erst auf seine Kehle tippte und dann mit einer Kopfbewegung auf die Frau deutete. Der Captain blickte prüfend an die entsprechende Stelle bei Mrs. Graupner und verstand sofort worauf der Detective hinaus wollte. Die Frau war gewürgt worden. Nicht bloß tätlicher Angriff, sondern auch versuchter Mord und versuchte Vergewaltigung. Und wenn man jetzt noch davon ausging, dass der Ehemann seinen Bruder angestiftet hatte… das würde beide Männer für eine Weile hinter Gitter bringen. Vorausgesetzt die Frau machte keinen Rückzieher. „Gut, Mrs. Graupner, machen Sie sich bitte keine Sorgen mehr, wir passen jetzt auf Sie auf. Ab hier übernehmen erst Mal die Kollegen von der Spurensicherung. Sie müssen aber morgen bitte im Revier vorbei kommen und eine offizielle Aussage machen.“ Der Captain sah kurz auf die Uhr. Die Männer sollten eigentlich bald da sein – falls sie nicht an einem anderen Tatort aufgehalten wurden. „Wir warten nur eben noch auf die Ambulanz, Mrs. Graupner. Sie sollten heute Nacht vermutlich besser ins Krankenhaus.“ „Nein nein“, antwortete sie erschrocken und riss die Augen auf. „Kein Krankenhaus, keine Ambulanz.“ Renard seufzte. Was hatte diese Frau bloß? „Mrs. Graupner, zu Ihrem eigenen Besten sollten Sie sich untersuchen lassen. Sie könnten sich eine Gehirnerschütterung zugezogen haben. Damit ist nicht zu spaßen. Und die Kollegen von der Tatortermittlung müssen auf jeden Fall Ihre Verletzungen dokumentieren und Beweismittel sicherstellen.“ „Beweise?“ sie klang erschrocken. „Aber… wozu?“ „Für die Anklage vor Gericht. Ihr Schwager ist in Ihr Haus eingedrungen und hat Sie angegriffen“, antwortete der Detective. „Und die roten Striemen an ihrem Hals sprechen nicht gerade von einer liebevollen Umarmung.“ Verwirrt fasste sie sich an die Kehle und stöhnte überrascht auf, als sie die gequetschten Stellen berührte. „Aber warum sollte Thomas…“ Der Captain runzelte die Stirn. Sie schien sich ihrer Lage noch immer nicht voll bewusst zu sein. Was hatte sie denn erwartet, was der Mann von ihr wollte? „Und… vor Gericht? Ich… aber... wenn mein Mann das erfährt… er ist doch sein Bruder, ich meine…“ Nick fing Renards Blick auf und rollte nur mit den Augen. Tugendschafe… „Ihr Mann hat seine eigenen Probleme, Mrs. Graupner“, stellte der Captain fest. „Sie sollten sich selber einen Gefallen tun und morgen diese Aussage machen. Danach werden Sie beide Männer für eine Weile nicht mehr belästigen.“ „Genug Zeit, um sich in Ruhe ein neues Leben aufzubauen“, ergänzte Nick und zog einen Mundwinkel hoch. „Yo, Nick? Captain?“ tönte in diesem Moment die für diese Zeit viel zu muntere Stimme von Sergeant Wu zu ihnen herauf. „Oben“, meldete sich Renard und trat an die Tür, um seinen Untergebenen in den Raum zu winken. „Mrs. Graupner“, begann Nick währenddessen, wurde aber von der Frau unterbrochen. „Bitte“, warf sie ein, lächelte unsicher und legte dem Detective beide Hände auf den Arm, „bitte nennen Sie mich Ellie. Das… hat schon lange keiner mehr gemacht…“ Nick warf Renard einen hilflosen Blick zu, aber der war mit dem Sergeant beschäftigt und stand mit dem Rücken zu ihm. „Also gut… Ellie“, der Grimm seufzte leise. Das Adrenalin in seinem Kreislauf hatte zwar inzwischen begonnen abzuebben, aber er musste sich noch immer schwer zusammenreißen, sich auf die Frau zu konzentrieren und dabei höflich zu bleiben. Ihm war eigentlich mehr nach Schreien und Wände eintreten zumute. Aber dafür konnte ‚Ellie‘ ja nichts. Nicht wirklich jedenfalls. Andererseits… Er räusperte sich. „Hören Sie, wenn Sie nicht im Krankenhaus bleiben möchten und die Ärzte keine Einwände haben, wird Sie niemand dazu zwingen. Aber Sie sollten sich wirklich untersuchen lassen. Der Captain hat Recht, eine Gehirnerschütterung ist keine leichte Sache. Sie sollten heute Nacht auf jeden Fall nicht alleine sein, nur um sicher zu gehen. Haben Sie jemanden, bei dem Sie vielleicht bleiben könnten? Verwandte? Freunde?“ Das Tugendschaf schniefte und rieb sich mit dem Handrücken über die Nase. Sie bot wirklich einen schrecklichen Anblick. „M…meine Eltern“, flüsterte sie schließlich. „Sie wohnen am anderen Ende der Stadt.“ „Wollen Sie sie anrufen?“ „Ich… ich glaube nicht…“, schüttelte sie den Kopf. Wahrscheinlich wollte sie nicht schon am Telefon ein ‚Wir haben es dir ja gesagt‘ hören. Schwere Schritte auf der Treppe kündigten die erwarteten Kollegen vom CSI an und bereits wenige Augenblicke später betraten auch schon zwei Männer mit ihren Laborköfferchen und großen Fotoapparaten bewaffnet den Raum. Einer der Officer von vorhin hatte sie nach oben begleitet und schaute nun Wu in Erwartung von Anweisungen für die weitere Vorgehensweise an. Der Sergeant winkte ihn beiseite und erteile ihm leise die entsprechenden Befehle. „Na gut“, meinte Nick und konzentrierte sich wieder auf das Tugendschaf. „Dann übernehmen jetzt die Kollegen. Und wenn Sie fertig sind, wird ein Officer Sie zu Ihren Eltern fahren, sofern die Ärzte keine Einwände haben, in Ordnung?“ „Kö…können Sie nicht…?“ fragte sie hoffnungsvoll und sah Nick wieder mit diesen großen traurigen Augen an. Der Grimm kratzte sich verlegen am Hinterkopf und sah sich kurz mit einem leicht verzweifelten Ausdruck in den Augen nach seinem Vorgesetzten um. Der stand noch mit Wu an der Tür, aber diesmal sah er auf, als er Nicks Blick auf sich spürte. „Ellie, ich…“ Der Gesichtsausdruck des Detectives zeigte Renard nur zu deutlich, dass der gerne irgendwo anders gewesen wäre. Überall, nur nicht hier. „Es tut mir Leid, Mrs. Graupner“, mischte der Captain sich daher nun ins Gespräch ein und kam wieder näher, „aber der Detective kann leider nicht. Er muss sich erst mal um… andere Dinge kümmern.“ Er deutete mit dem Daumen in Richtung Fenster, wo ihr lautstark lamentierender Schwager zu hören war, der vermutlich auf der Rückbank des Streifenwagens herumtobte. Der Mann hatte sich erstaunlich schnell erholt, aber so waren Klaustreiche nun mal. Feige im Angesicht eines Stärkeren und Großmäuler, wenn die Gefahr vorüber war. „Aber die Kollegen werden Ihnen sicherlich genauso gut helfen.“ Er lächelte verbindlich, streckte die Hand nach dem Grimm aus und winkte ihn zu sich. „Kommen Sie, Nick?“ Es tat ihm zwar Leid für die Frau, aber selbst wenn er nicht dessen Gesichtsausdruck gesehen hätte, er konnte seinen Detective nicht hier lassen. Ellie Graupner war verletzt, seelisch wie körperlich, und man konnte ihr ansehen, dass sie sich am liebsten dem Grimm an den Hals geworfen hätte. Ihrem Retter in der Not… Das Biest fing in seinem Inneren wieder an zu rumoren. Es würde den Grimm keine Sekunde länger als nötig in der Gegenwart dieser Frau dulden. Und ausnahmsweise konnte Sean ihm da nur lebhaft beipflichten. Er musste seine Leute schützen. Und seinen Grimm insbesondere. „Sofort Captain“, Nick sah seinen Vorgesetzten kurz dankbar an. Der Royal hatte den Wink sofort verstanden. Wesen oder nicht, als Polizist musste er den professionellen Abstand wahren. Alles andere konnte sie in Teufels Küche bringen. Denn sollte das irgendjemand in den falschen Hals bekommen und gäbe es auch nur den geringsten Zweifel an den Handlungsweisen des Polizisten, wäre das mindestens ein Fall für die Dienstaufsicht. Einer der Gründe, warum Polizisten normalerweise ja auch immer zu zweit unterwegs waren und warum man weibliche Officers damit betraute, sich um Frauen in so einer Lage zu kümmern. Das Department hatte kein Interesse an möglichen Klagen wegen sexueller Belästigung. In diesem Moment traf der Sanitäter ein und deckte damit praktischerweise ihren Rückzug. „Machen Sie sich keine Sorgen, Ellie“, beeilte sich der Detective daher der Frau zu versichern, während er beiseitetrat, um Platz für den Notarzt zu machen. Der begann auch sogleich damit, das Tugendschaf zu untersuchen. „Die Kollegen werden sich gut um Sie kümmern. Vielleicht ist sogar noch Officer Dana im Dienst. Ich werde mal in der Zentrale nachfragen. Sie wissen doch, die Kollegin von heute Vormittag?“ Elli blickte enttäuscht drein und schniefte erneut, nickte aber bestätigend, dass sie sich erinnerte. „Soll ich sie für Sie rufen?“ bot er hoffnungsvoll an. Das wäre die perfekte Lösung für beide Seiten. Einen Moment zögerte sie noch, sah den Captain wieder flehentlich an, nickte aber dann aber doch zustimmend als der ein Kopfschütteln andeutete. Es war ihr zwar anzusehen, dass sie lieber seinen Begleitschutz gehabt hätte, aber sie drängte zum Glück nicht weiter. Nick war erleichtert. „Gut, dann leite ich das an die Zentrale weiter. Jetzt werden wir uns erst mal mit Ihrem Schwager unterhalten. Falls noch was sein sollte, Sie haben ja noch meine Karte. Und was Ihren Mann betrifft… denken Sie darüber nach, was ich Ihnen heute Mittag erzählt habe. Sie müssen das nicht alleine durchstehen, es gibt Einrichtungen, die Ihnen helfen können.“ Aufmunternd nickte er ihr noch einmal zu, bevor er Renard in Richtung Treppe folgte.   * * * „Einrichtungen die helfen?“ fragte der Captain auf der Treppe halb über die Schulter hinweg, kaum dass sie außer Hörweite der normalen Polizisten waren. Der Detective zuckte mit den Schultern, auch wenn der Mann vor ihm das kaum gesehen haben konnte. „Rosalee hatte mir in der Richtung mal ein paar Adressen genannt, an die sich… Wesen mit… derartigen Problemen wenden können.“ Der Royal nickte beifällig. Das hatte die Fuchsbau gut gemacht. Es zeigte, dass der Grimm durch seine Freunde mehr in der Wesengemeinde verwurzelt war, als er angenommen hätte. Das konnte sich noch als großer Vorteil für beide Seiten erweisen. Solange sich der Wesenrat nicht einmischte. „Und warum speziell dieser Officer?“ fragte er interessiert. Nick grinste verschmitzt. „Wegen ihres besonderen… Hintergrundes.“ Renard blieb kurz stehen, drehte sich halb zu ihm um und sah ihn prüfend von der Seite an und nickte dann, „Wesen“. Was auch sonst… Am Fuß der Treppe blieben beide stehen und warteten auf den Sergeant, der noch die CSI-Leute instruierte. Die rote Stelle auf Nicks Wange hatte mittlerweile angefangen sich an den Rändern bläulich zu verfärben. Renard fühlte sich bei dem Anblick… etwas zwiegespalten. Einerseits bedauerte er, dass er Nick vorhin mit mehr Kraft als nötig erwischt hatte, aber andererseits… auch wieder nicht. Ab und an brauchte der Grimm einfach eine kleine Erinnerung daran, dass er nicht Superman war, lachte das Biest leise in seinem Inneren. Wu erschien wenig später auf dem Kopf der Treppe und gesellte sich dann zu ihnen. „Hey, hatte nicht erwartet, dass wir heute hier noch mal auftauchen würden“, begrüßte er den Grimm locker und stemmte die Hände in die Hüften. „Klaustreiche“, antwortete Nick lapidar und zuckte nur mit einer Schulter. Wu verzog den Mund und hob eine Augenbraue. Dann deutete er mit einem Finger auf Nicks verfärbte Wange. „War der das? Sah gar nicht so stark aus… hat dich überrascht, wie?“ Er schnaubte vergnügt über seinen privaten Witz. Der Grimm zog nun seinerseits eine Braue hoch und sah Renard strafend an. „Nun, ich fürchte das war meine Schuld, Sergeant“, gab der Captain zu und schob die Hände in die Taschen seines Mantels. Er ignorierte die ungläubig aufgerissenen Augen von Wu und warf einen kurzen Blick in die Runde. Die normalen Officer hatten sich bereits nach draußen verzogen und ein Streifenwagen fuhr gerade vom Haus weg. Damit waren sie im Erdgeschoss alleine. Die Spurensicherung würde dagegen oben sicher noch einen Moment brauchen. Sie hatten also keine unerwünschten Zuhörer zu befürchten. Vorerst jedenfalls. Während Renard so abgelenkt war, deutete Wu fragend mit dem Daumen auf ihren Vorgesetzten und formte lautlos mit den Lippen ein ‚was zur Hölle…‘ in Richtung Nick. Doch der Detective winkte nur ab. „Ein Missverständnis.“ Wu zog die Stirn kraus. Es war klar, dass er Nick nicht glaubte. Der Sergeant. wippte einmal auf den Zehenspitzen und seine Augen wanderten an Renard prüfend auf und ab. Dann hob er beschwichtigend die Hände und schüttelte leicht den Kopf. ‚Wenn Du meinst…‘, schien sein Blick zu sagen und er ließ es erst mal dabei bewenden. „Wo ist eigentlich Hank?“, fragte er stattdessen. „Zu Hause nehme ich an“, antwortete Renard und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Augen des Asiaten wurden wieder größer. Er betrachtete Nick verwundert. „Und ich habe dein Auto draußen gar nicht gesehen…“ „Das liegt daran, dass ich ihn hergefahren habe, Sergeant. Ich war gerade zufällig bei Nick zu Hause, als der Anruf von der Frau kam und es war ja wohl kaum nötig mit beiden Fahrzeugen hier aufzukreuzen.“ „Zufällig?“, in Wus Stimme schwang mehr als nur ein Hauch Unglaube mit, während er sich wieder mit diesem übertriebenen Seitenblick Nick zuwandte. ‚Ach was?‘ Nicks Schultern verspannten sich kurz und die Augen wurden für den Bruchteil einer Sekunde zu Schlitzen, dann sorgte die schneidende Stimme ihres Vorgesetzten dafür, dass Wu sich wieder ihm zuwandte. Nick atmete langsam aus und versuchte seine Fäuste wieder zu lockern. „Wollen Sie etwa einen detaillierten Bericht, wie wir unseren Feierabend gestalten, Sergeant?“ Der Captain klang verärgert. Offenbar war er von den Fragen ebenso genervt, wie der Grimm. Was irgendwie ein komisches Licht auf die Sache warf, fand Wu. Vor allem das ‚wir‘… Aber dieses Mal behielt er den Gedanken lieber für sich. Vorerst. „Natürlich nicht, Sir…“ „Wu, du weißt nicht zufällig, ob Officer Dana noch im Dienst ist?“, versuchte Nick dann den kleinen Asiaten abzulenken, bevor der noch eine weitere blöde Bemerkung machen konnte, die ihm ganz sicher im Kopf rumschwirrte. Der Sergeant machte einen selbstgefälligen Eindruck und wandte Nick wieder mit dieser übertriebenen Bewegung den Kopf zu. Ob das typisch für Asiaten war? „Nicht nur zufällig, Nick. Das gehört zu meinem Job.“ Er warf einen schnellen Blick auf seine Armbanduhr. „Und wenn ich mich nicht irre sollte sie noch etwa eine Stunde Dienst haben.“ Wu legte den Kopf schief und sah sein Gegenüber fragend an. „Warum?“ „Weil wir sie hier brauchen, Sergeant“, antwortete Renard knapp an Nicks Stelle. „Rufen Sie die Zentrale und fordern Sie sie an. Mrs. Graupner… die… ‚besonderen Umstände‘ erfordern die Anwesenheit eines weiblichen Officers mit... speziellem Hintergrund.“ „Mit anderen Worten“, fasste Wu zusammen und griff nach seinem Funkgerät an der Schulter, „wir brauchen ein Wesen um ein anderes zu beschützen. Geht klar, Sir.“   * * * Fünf Minuten später waren Nick und der Captain wieder am Auto und Renard öffnete die Fahrertür. Den Griff in der Hand drehte er sich zu seinem Detective um. „Wo soll ich Sie absetzen? Zu Hause? Oder wollen Sie tatsächlich noch ins Revier und sich gleich mit dem Eindringling beschäftigen?“ Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den Streifenwagen, der eben losfuhr. Wu wollte noch mal aufs Revier und liegengebliebenen Papierkram erledigen, hatte er behauptet. Was übersetzt vermutlich eher hieß, dass er sich unterwegs was zu essen holen und im Trailer endlich die Bücher nach Klaustreichen durchforsten wollte. Dieser kleine Nerd… Nick blieb halb auf der Straße stehen und vergrub die Hände in seinen Jackentaschen. Er wirkte unentschlossen, als er den schwächer werdenden Scheinwerfern hinterherblickte. „Wenn ich ehrlich sein soll“, gab Renard zu bedenken, da der Grimm sich scheinbar nicht wirklich entscheiden konnte, „ich würde Ihnen davon abraten den Mann heute noch ins Verhör zu nehmen, Detective. Es ist schon spät und Sie haben sich Ihren Feierabend und das Bier redlich verdient. Kommen Sie, ich fahre Sie nach Hause. Aber vorher besorgen wir Ihnen noch was Anständiges zu essen“, bestimmte er mit einem Augenzwinkern und winkte Nick endlich einzusteigen. Doch kaum saß er im Auto, überlegte der Detective es sich anders. „Lassen Sie mich einfach bei Monroe raus, Captain. Oder wollen Sie vielleicht noch aufs Revier und die beiden Männer verhören?“ Der Royal schüttelte den Kopf und setzte rückwärts aus der Parklücke. „Nein, nicht mehr um diese Zeit. Die sollen sich ruhig erst mal über Nacht etwas abkühlen in der Zelle.“ Kurz runzelte er die Stirn, als ihm etwas einfiel. „Ich hoffe die Kollegen denken daran, die beiden Brüder nicht zusammen in eine Zelle zu stecken. Ich will nicht, dass die sich absprechen können…“ Renard legte den Vorwärtsgang ein und beschleunigte langsam, während ein kleiner Teil von ihm insgeheim bedauerte, den Grimm nicht noch zum Essen einladen zu können und den Abend so angenehmer ausklingen zu lassen, als er begonnen hatte. Im Wein liegt die Wahrheit -------------------------- „Dürfen Sie eigentlich noch fahren“, wunderte sich Nick, der eben das Funkgerät, welches im Handschuhfach des Wagens versteckt war, wieder verstaute und die Klappe schloss. Er hatte die Zentrale wegen der Unterbringung angefunkt und alles nötige im Namen des Captains in die Wege geleitet. Der Detective hatte eigentlich schon vor Stunden Dienstschluss gehabt, aber der Job machte leider viel zu oft Überstunden erforderlich. Seine beiden Jobs genaugenommen… Dafür konnte er den Rest dieses Abends hoffentlich ohne weitere Klaustreiche verbringen. In den Akten wurden zumindest keine weiteren männlichen Verwandten mehr aufgeführt die Ärger machen konnten. Wenigstens etwas. „Vorhin war das ja ein Notfall, aber jetzt?“ „Keine Sorge, im Gegensatz zu Ihnen hatte ich ja nur etwas über eine Flasche. Und es war Light Bier“, erinnerte ihn der Captain mit einem Schmunzeln. Der Grimm verzog das Gesicht. „Erinnern Sie mich daran, dass ich den Vorrat an ‚nicht-Light‘-Produkten aufstocke…“ „Und ich bringe Ihnen bei Gelegenheit die versprochene Flasche Scotch mit, Detective. Etwas mehr Geschmack kann nie schaden, glauben Sie mir.“ Der Jüngere schnaubte leise zur Antwort und verschränkte dann die Arme vor der Brust. Offenbar hielt er nicht allzu viel von diesem Angebot. Oder er mochte keinen Scotch. Was eine echte Schande wäre. Renard setzte den Blinker und warf beim Abbiegen beiläufig einen Blick über die rechte Schulter. Nicht nur mit der Absicht nach Radfahrern oder Fußgängern Ausschau zu halten, sondern auch und im Besonderen, um Nick möglichst unauffällig einen Blick zuzuwerfen (um diese Zeit war ohnehin nicht mehr viel Betrieb auf den Seitenstraßen). Der einstmals adrette junge Detective hatte in den letzten Jahren viel von seiner jungenhaften Unschuld verloren. Sein Ausdruck war härter geworden, seine Schultern breiter. Ein Lächeln stahl sich nur noch äußerst selten auf sein Gesicht. Zudem schien er ständig unter Strom zu stehen. Als würde er jederzeit einen Angriff erwarten. Er war zu einem Kämpfer gereift, dem man sich nur mit gebotener Vorsicht nähern sollte. Er war wahrhaftig ein Grimm, wie er im Buche stand. Renard hätte nur zu gerne gewusst, was Nick eigentlich selber von dieser Entwicklung hielt, aber der Detective hatte sich bislang beharrlich ausgeschwiegen. Insgeheim bezweifelte der Captain aber, dass der Grimm bisher überhaupt mit irgendwem groß darüber gesprochen hätte. Das war nicht Nicks Art. Aber vermutlich auch gleichzeitig sein größtes Problem. Unmerklich schüttelte er der Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Der Grimm hielt währenddessen die Arme vor der Brust verschränkt und den Blick stur geradeaus gerichtet. Natürlich hatte er den prüfenden Seitenblick seines Vorgesetzten bemerkt, war aber entschlossen nicht darauf zu reagieren. Der Royal vermittelte ihm das Gefühl, als versuche er sich ihm irgendwie aufzudrängen und Nick mochte das nicht. Früher am Abend hatte er dieses Verhalten bei Renard zwar auch schon bemerkt, aber da es hatte ihn nicht wirklich gestört. Jetzt, nach der Begegnung mit dem Klaustreich, war er körperlich wie mental in Aufruhr und wollte nur noch seine Ruhe haben. Sollte ihm das Biest jetzt zu nahe kommen, er würde für nichts garantieren können... Jeder Faser in seinem Körper schrie, er solle sich auf den Mann neben ihm stürzen und sich für den Schlag revanchieren. Er war immerhin ein Grimm… Nick biss die Zähne zusammen und presste die Lippen aufeinander. Es ging nicht an, dass der Captain bemerkte, was für ein Durcheinander in seinem Inneren herrschte. Er konnte es kaum erwarten, dass der Wagen endlich vor Monroes Haus zum Stehen kam und er Abstand zwischen sich und das königliche Biest bringen konnte.   * * * Einige Minuten später hielt Renards schwarzer Suburban vor Monroes und Rosalees Haus. Mit leichter Sorge im Blick ließ der Captain den Grimm aussteigen. „Soll ich vielleicht mit rein kommen?“, fragte er. „Ich könnte…“, doch bevor er weiterreden konnte, stoppte ihn der finstere Ausdruck in Nicks Gesicht. Offenbar wollte der Detective alleine mit seinen Freunden reden. Und vermutlich nicht unbedingt über die Sache mit Juliette. Okay, fair genug, dass er ihm diese Möglichkeit gab. Nick weiter unter Druck zu setzen würde sie beide nicht voran bringen. „Dann… sehen wir uns morgen auf dem Revier. Versuchen Sie trotzdem ein paar Stunden Schlaf zu bekommen. Gute Nacht, Detective.“ ‚Süße Träume…‘ „Nacht“, antwortete Nick knapp und warf die Tür zu. Er trat ein paar Schritte zurück und wartete auf der Straße stehend, bis der Royal außer Sicht war. Einige Sekunden lang blickte er dem Wagen noch hinterher, bevor er einmal tief Luft holte und zur Haustür lief. Er hatte extra versucht die Tür nicht zu laut zu schließen, aber Monroe mit dem feinen Gehör eines Uhrmachers, hatte es trotzdem gemerkt. Nick hatte die Hand gerade mal halb zum Anklopfen erhoben, da wurde ihm bereits geöffnet. „Lass mich raten“, sagte der Blutbader mit einem leicht säuerlichen Ausdruck, „du bist nicht auf ein Bier vorbeigekommen, oder?“ Als er Nicks Verletzung sah stutzte er und hob fragend eine Braue. Nick verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. „Hättest du denn eines für mich?“ „Sicher“, erwiderte Monroe leicht überrascht und trat beiseite, um seinen Freund ins Haus zu lassen „Mieser Tag, was?“, meinte er mitfühlend und deutete auf die rote Wange. „Du hast ja keine Ahnung“, murmelte Nick und schälte sich aus seiner Jacke. „Du kannst auch einen Schluck Rotwein haben, wenn du möchtest. Wir waren gerade dabei diese neue Sorte zu versuchen. Aus rein ökologischem Bio-Anbau. Er soll eine ganz wunderbare Note haben. Rosie?“, rief er laut seiner Frau zu und nahm Nicks Jacke entgegen, „wir haben Besuch.“ Dann warf er einen verwunderten Blick die Straße entlang. „Aber… wo ist denn eigentlich Hank? Oder bist du heute alleine unterwegs? Ihr seid doch sonst immer nur im Doppelpack oder zu dritt zu haben - neuerdings…“ „Nein, ich bin alleine hier, komme gerade von einem Tatort.“ In Richtung Wohnzimmer ließ er ein etwas lauteres „Hey Rosalee“ hören. „Ohne Hank und Auto?“, der Blutbader schloss die Eingangstür und hängte die Jacke an einen freien Haken daneben. Nick zuckte mit den Schultern. „Der Captain hat mich mitgenommen.“ Monroe quittierte die Antwort mit einer erhobenen Augenbraue und deutete in Richtung Wohnzimmer. „Besuch wie – ‚Besuch‘ oder Besuch wie – ‚ich brauche eure Hilfe bei einem Fall‘?“, fragte die Fuchsbau und drehte sich auf der Couch sitzend so, dass sie zum Eingang hinübersehen konnte. Vor ihr standen die bereits geöffnete Flasche besagten Rotweins und zwei halbgefüllte Gläser auf dem Tisch, die nur darauf warteten geleert zu werden. Mit leichtem Bedauern in der Stimme begrüßte sie den Neuankömmling mit einem „Hey, Nick“. Wenn der Grimm um diese Zeit vorbei kam gab es normalerweise immer irgendwas Dringendes. Also würde es wohl noch etwas dauern, bis sie einen Schluck trinken konnten. Und sie hatte sich den ganzen Tag schon auf den ersten Schluck gefreut, nachdem Monroe diesen Wein so angepriesen hatte. „Schwer zu sagen“, antwortete Monroe mit Blick auf ihren Freund vage. Der Grimm hatte sich noch nicht geäußert und schien selber noch nicht so Recht zu wissen, was er eigentlich wollte. „Aber er trinkt einen Schluck mit.“ „Also eher nicht dienstlich“, entschied Rosalee mit einem breiten Grinsen und unverhohlener Erleichterung in der Stimme. Sie erhob sich kurz von der Couch, um ein weiteres Glas aus der Küche zu holen und mit Wein zu füllen. Sie war so auf das Einschenken konzentriert gewesen, dass sie bis zu dem Moment, in dem sie Nick tatsächlich das Glas hinhielt, ihn sich gar nicht genau angeguckt hatte. Doch nun erschrak sie ob seines finsteren Ausdruckes und der verletzten Wange. „Nick, alles klar mit dir? Was ist passiert?“ Sie nahm sein Gesicht in eine Hand und drehte seinen Kopf leicht zur Seite, so dass sie einen besseren Blick auf die Wange werfen konnte. „Soll ich dir Salbe draufmachen oder willst du lieber einen Kühlbeutel?“, fragte sie besorgt, aber er hob nur abwehrend die Hände und versuchte ihr sein Gesicht zu entziehen. „Lass nur, Rosalee, ist schon gut. Nicht so schlimm…“ „Nicht so schlimm? Aber…“ Zum ersten Mal blickte sie sich aufmerksam um und realisierte wirklich, dass ihr Freund alleine vorbeigekommen war. Und das auch noch ohne Grimm-Angelegenheiten im Hinterkopf, wie es schien. „Wo ist Hank? Ist was mit ihm?“ „Ich nehme an er ist zu Hause?“ die Stimme des Grimms klang unendlich müde. „Tut mir Leid, dass ich euch so spät störe, aber ich… ich wusste nicht…“ „Mach dir mal keine Sorgen, Nick“, versicherte ihm der Blutbader und schob ihn an Rosalee vorbei zum Couchtisch. Er deutete auf den Sessel. „Setz dich, trink einen Schluck und dann reden wir.“   * * * Aus einem Schluck wurde etwas mehr und spätestens als Monroe die zweite Flasche hervorzauberte wurde ihm klar, dass Nick wohl nicht die Absicht hatte, komplett nüchtern zurück nach Hause zu fahren. „Ich will mich ja nicht einmischen“, begann der Blutbader vorsichtig und nahm den Flaschenöffner zur Hand, „aber ist bei dir und Juliette alles in Ordnung? Du hast noch nicht ein Wort gesagt. Und das ist ein wenig…“ Er schien nach dem richtigen Wort zu suchen. „Ein wenig… verstörend“, ergänzte Rosalee mit einem unsicheren Lächeln in Richtung des Grimms. „Tut mir Leid Leute, mir geht bloß grad so vieles durch den Kopf“, entschuldigte der sich für seine Schweigsamkeit. Er hob die Mundwinkel in einem verzweifelten Versuch, ein Grinsen zustande zu bringen, aber versagte dabei auf ganzer Linie. „Also habt ihr ein Problem“, stellte Monroe fest und zog den Korken aus der Flasche. Es gab ein leises Plöpp und der Blutbader grunzte zufrieden. Nick machte ein säuerliches Gesicht und hob die Schultern. „Gute Frage… Wenn du sie siehst kannst du sie selbst fragen. Mit mir redet sie zur Zeit nicht...“ Rosalee machte große Augen. „Wie, sie redet nicht mit dir? Schweigt ihr euch zu Hause die ganze Zeit an?“ „Dafür müsste man sich ja tatsächlich mal sehen“, stellte Nick klar. „Sie geht mir aber momentan ständig aus dem Weg…“ Monroe machte große Augen und wechselte einen erstaunten Blick mit seiner Frau. „Ist was passiert? Ich dachte sie wäre über die Sache mit ‚Du-weißt-schon-was‘ längst hinweg…“ „Tja, falsch gedacht“, antwortete der Grimm nur und stürzte den letzten Schluck Wein hinunter. Das nun leere Glas hielt er bittend Monroe entgegen, der ihm auch gleich aus der neuen Flasche nachschenkte. Der Blutbader verteilte für sich und Rosalee ebenfalls noch ein wenig der dunkelroten Köstlichkeit auf die Gläser. Bevor er die Flasche beiseite stellte, steckte er den Korken wieder halb in die Öffnung, damit der Wein nicht zu viel Sauerstoff zog. Denn das wäre eine echte Schande gewesen. Der Händler hatte tatsächlich nicht übertrieben, der Wein war wirklich exzellent. Umso mehr bedauerte er, dass Nick nicht in der Stimmung war, den Trank richtig zu genießen. Innerlich musste er trotz der Ernsthaftigkeit der Situation fast lächeln. Manchmal war dieser Gedanke einfach noch immer etwas seltsam für den Blutbader - ein Grimm war sein bester Freund. Monroe hatte ihn sogar als Trauzeugen eingesetzt. Ohne ihn hätten sich er und Rosalee schließlich niemals kennengelernt. Nick war ein Teil seiner Familie, seines Rudels, wenn man so wollte. Es gab fast nichts, was er nicht zu tun bereit gewesen wäre für diesen Mann (oder schon getan hätte). Und das gleiche galt auch umgekehrt. Bei der Sache mit den ‚Wesenrein‘… Ohne den Grimm würde er heute hier vermutlich nicht mehr sitzen. Und das verdankte er auch Juliettes Bereitschafft, den Gegenzauber durchzuführen. Darum irritierte ihn diese scheinbare Funkstille zwischen den beiden einigermaßen. Auch Rosalees Blick zeigte Erstaunen an, was hieß, dass sie auch keine Ahnung hatte, was gerade im Hause Burkhardt/Silverton los war. Und wenn Juliette nicht mal mit ihr über Probleme mit ihrer Beziehung gesprochen hatte… dann musste da schon einiges im Argen liegen. „Also dann erzähl mal, wo genau drückt denn der Schuh?“, fragte Monroe, lehnte sich auf der Couch wieder zurück und legte seiner Frau gemütlich einen Arm um die Schultern. Über den Rand seines eigenen Glases hinweg beobachtete er seinen besten Freund. Nick schnaubte und schüttelte den Kopf. „Wenn es nur der Schuh wäre…“ Der Grimm zuckte nur mit den Schultern. Er stützte sein Kinn mit der Linken auf die Lehne und schwenkte mit der anderen Hand sanft sein Glas. Der dunkle Rotwein zog leichte Schlieren von Innen gegen das dünne Material. „Du willst nicht drüber sprechen“, stellte die Fuchsbau mit sanfter Stimme fest. Nick seufzte und ließ sein Glas und die Linke sinken. „Tut mir leid“, murmelte er und senkte der Kopf ein wenig. „Ich verstehe selber noch nicht was da eigentlich gerade passiert.“ Dann sah er wieder hoch und lächelte schwach. „Ich… brauchte wohl einfach nur etwas nette Gesellschaft.“ „Hey Mann, dafür sind Freunde da“, in Monroes Stimme lag eine gezwungene Fröhlichkeit, die die Sorge um seinen besten Freund verbergen sollte. Ganz gelang es ihm nicht, aber der Grimm verzog das Gesicht immerhin zu einem schiefen Lächeln. Er wusste den Versuch des Blutbaders zu schätzen. Einen Moment später zuckte Nick kurz zusammen, da ihm bei dieser Bewegung das Gesicht schmerzte und die Mundwinkel sanken wieder nach unten. „Willst du nicht doch…“, fragte Rosalee erneut und deutete auf seine Wange, aber Nick schüttelte ablehnend den Kopf. „Nein danke, das geht schon.“ „Und warum bist du nun heute alleine zum Tatort?“, wechselte Monroe das Thema, da sein Freund über seine Beziehung offenbar nicht reden wollte. Der Grimm lehnte sich darauf wieder etwas entspannter im Sessel zurück. „Das war sogar das zweite Mal heute, dass ich da hin musste“, begann er zu erzählen. „Heute Vormittag wurden wir schon Mal zu dem Haus gerufen.“ Er machte eine wage Geste mit der Hand und nahm einen kleinen Schluck Wein aus seinem Glas, bevor er es vor sich auf den Tisch stellte. „Eine Frau wurde von ihrem betrunkenen Ehemann verprügelt.“ Rosalee schüttelte angewidert den Kopf. „Wer nichts verträgt sollte besser nichts trinken. Ich hasse solche Typen…“ „Sehe ich ganz genau so, Nick. Männer die sowas ihren Frauen antun gehören selber verprügelt“, pflichtete der Blutbader ihr bei. „Es geht ja noch weiter“, meinte Nick und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ein Nachbar hörte den Lärm und verständigte die Polizei.“ „Gut so“, befand Monroe. „Allerdings“, dämpfte Nick dessen Freude, „wartete er nicht auf das Eintreffen der Streife, sondern…“ „… er ging selber dazwischen? Oh mein Gott, ist ihm was passiert?“, fragte Rosalee entsetzt. Der Grimm nickte bedrückt. „Der Ehemann hat ihn fast totgeschlagen, bevor die Officer ihn in Gewahrsam nehmen konnten“, erzählte er mit leiser Stimme. Monroes Lippen zitterten vor Wut und er verstärkte kurz den Griff um Rosalees Schultern. „Das ist… unglaublich!“ Nick konnte ihm da nur zustimmen. Bei dem Gedanken an diesen Mann fing sein Blut ebenfalls langsam wieder an zu kochen und sein Blick wurde finster. Die Fuchsbau legte den Kopf schief und beobachtete ihren Freund aufmerksam. „Irgendwas fehlt hier in dem Bild“, meinte sie. „So traurig das auch ist, und ich will keinesfalls herzlos klingen, aber warum wurdest du dann noch zum Tatort geschickt? Ich dachte ihr kümmert euch nur um Morde und Schwerverbrechen. Hat der Mann seine Frau etwa doch totgeprügelt?“ Der Grimm schüttelte den Kopf. „Nein, zum Glück nicht.“ „Aber dann verstehe ich nicht…“, wunderte sich nun auch Monroe, nur um Sekunden später seine Frage selber zu beantworten. „Lass mich raten, Wesen?“ „Klaustreich“, bestätigte Nick. Monroe knurrte leise. „Ich hasse diese Sorte…“ Rosalee rieb ihrem Mann beruhigend den Rücken. „Nicht ärgern, Schatz…“, an ihren gemeinsamen Freund gewandt fragte sie, „ich nehme stark an die Frau ist keiner?“ „Nein“, bestätigte der Grimm. „Tugendschaf.“ Monroe warf die Hände in die Luft. „Sowas kann nicht gut gehen… Da ist Ärger doch vorprogrammiert.“ Er schüttelte genervt den Kopf und massierte sich leicht die Schläfen. Klaustreiche hatten ihren Ruf nicht ohne guten Grund weg. „Okay“, fuhr er fort. „Das war heute Vormittag, und was war eben los?“ „Der Ehemann hat einen Bruder…“ Der Blutbader hob die Hände. „Du brauchst nichts weiter zu sagen. Er hat versucht die Ansprüche seines Bruders ‚durchzusetzen‘.“ Trotz der Ernsthaftigkeit der Situation musste Nick schmunzeln. „So ungefähr, ja.“ „Und was jetzt?“, fragte Rosalee. „Tja, gute Frage“, antwortete Nick und beugte sich im Sessel etwas vor. Er kratzte sich nachdenklich am Oberschenkel und ließ die Hände dann in den Schoß fallen. „Wir kriegen den Ehemann wegen schwerer Körperverletzung dran, wenn wir Glück haben wegen versuchten Mordes an dem Nachbar und Verabredung zum Mord im Falle der Frau. Seinen Bruder hoffentlich wegen Einbruchs, versuchten Mordes, Verabredung zum Mord sowie versuchter Vergewaltigung, aber ich bin mir nicht sicher, ob die Frau wirklich Anzeige erstatten geschweige denn überhaupt Aussagen wird. Wir haben sie ja kaum dazu gekriegt sich untersuchen zu lassen. Mit dem Einbruch könnte es aber schwieriger werden, da der Schlüssel im Schloss steckte.“ „So eine verdammte Sauerei“, schimpfte Monroe und haute mit der flachen Hand einmal auf den Tisch, dass es laut rumste und seine Frau erschreckt zusammenzuckte. „Der Ehemann hat garantiert seinem Bruder den Schlüssel gegeben und ihn auf seine Frau gehetzt. Dafür sollten beide bestraft werden!“ „Das sehe ich ja auch so, darum auch ‚Verabredung zum Mord‘, aber ich bin nicht sicher, wie viel wir davon nachweisen können, was auch vor Gericht standhalten würde. Ich kann ja wohl kaum zum Richter gehen und ihm sagen ‚Das sind Klaustreiche, die machen das eben so‘“. Nick verzog das Gesicht. „Glaub mir, ich würde den beiden liebend gerne dieses freche Grinsen aus den Gesichtern wischen, aber ich fürchte hier sind wir auf Geständnisse angewiesen.“ „Die man euch wohl kaum freiwillig geben wird“, stellte Rosalee leicht säuerlich fest. „Eher nicht, nein“, bestätigte der Grimm und lehnte sich wieder an die Rückenlehne an. „Und die werden kaum gegeneinander aussagen“, ergänzte Monroe Einen Moment blieben alle still und ließen die Gedanken wandern. Dann warf Rosalee ihrem Mann einen verschmitzten Blick zu und fing an zu Grinsen. „Was?“ wollte ihr Mann wissen, doch sie wandte sich wieder dem Grimm zu. „Sag mal Nick, du warst doch in dem Haus, richtig?“ „Ja natürlich. Und?“ antwortete er verwundert. „Ist dir da nicht irgendwas aufgefallen?“ fragte sie weiter. „Irgendwas, das nicht so recht in den Rahmen passte?“ Der Detective runzelte die Stirn und legte den Kopf schief. „Was meinst du mit ‘nicht in den Rahmen passte‘?“ Worauf wollte die Fuchsbau hinaus? Monroe blickte zunächst ebenfalls verwirrt drein, doch dann wurden seine Augen größer. Er strahlte Rosalee an. „Geniale Idee, Rosi. Aber natürlich, das ist es!“ „Was denn?“ „Man müsste das natürlich gut verkaufen, aber es könnte klappen“, meinte Rosalee aufgeregt. „Das klappt ganz sicher“, bestätigte Monroe. „Hallo? Würde mich bitte mal einer von euch aufklären, wovon ihr hier redet?“ beschwerte sich Nick leicht säuerlich. Mit leicht schuldbewusstem Blick wandten sich beide Wesen wieder dem Grimm zu. „Natürlich, entschuldige“, wiegelte Rosalee ab. „Sieh mal, du weißt doch, dass Klaustreiche sehr besitzergreifend sind, nicht wahr?“ fing Monroe an zu erklären. „Ist mir nicht entgangen, wie du weißt.“ „Ja schon“, warf Rosalee ein, „aber das erstreckt sich ja nicht nur auf deren Partner, sondern auch auf Materielles.“ „Wie dem ‚Unbezahlbar‘. Hab ich ebenfalls mitbekommen.“ „Genau“, bekräftigte der Blutbader. „Jeder Klaustreich hat etwas, das er mit Klauen und Zähnen verteidigen würde.“ Er überlegte einen Moment und fuhr dann fort. „Ich hab dir doch von dem Typen damals in der High-School erzählt, du erinnerst dich vielleicht.“ Der Grimm bestätigte mit einem Nicken, wirkte aber immer noch verwirrt und fragte sich, worauf seine Freunde eigentlich hinaus wollten. „Tja, der hatte so ein aufgemotztes Auto, eine Corvette glaube ich, die war sein ein und alles. Ständig am Polieren, immer ein Tuch zur Hand, bereit, um auch nur den kleinsten Staubkorn wegzuwischen. Einmal hatte es dann jemand tatsächlich gewagt auch nur ganz leicht den Lack zu berühren. Und dafür fast seinen Arm verloren.“ In Nicks Kopf machte es Klick und seine Augen wurden ebenfalls größer. Er erinnerte sich an das offene Garagentor und diesen gelben Mustang, auf den Wu so abschätzig hingewiesen hatte. Der Wagen war tatsächlich das einzig gepflegte in, an und um das Haus gewesen. Das musste demnach sein wertvollster Besitz sein. Wenn man ihm also sagen würde, dass… Vor seinem inneren Auge begann ein Plan Gestalt anzunehmen und ein diebisches Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Grimms aus, das selbst durch die Schmerzen, die es in der Wange verursachte, nicht verschwinden wollte. Die beiden Wesen bemerkten seinen Gesichtsausdruck und nickten nachdrücklich. „Jetzt hast du’s verstanden“, grinste Monroe und wackelte vor Vergnügen mit den Brauen. Er legte seiner Frau wieder den Arm um die Schultern und zog sie an sich, um ihr einen Kuss zu geben. „Du bist echt ein Genie, Rosi.“ „Darauf trinke ich“, sagte die Fuchsbau und hob ihr Glas. Monroe und Nick nahmen ihre ebenfalls in die Hand und alle Drei stießen mit breitem Grinsen im Gesicht an. „Cheers!“ Geständnisse ------------ „Ich werde ohne meinen Anwalt nichts mehr sagen, Detective. Ich kenne meine Rechte, ich muss mich nicht selbst belasten.“ Mit einem selbstzufriedenen Grinsen im Gesicht lehnte sich George Graupner auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Nick und Hank (dem der Plan sofort gefallen hatte, als sein Partner ihm am nächsten Morgen davon berichtete) hatten vereinbart, dass sie den Ehemann zu einem letzten Verhör holen wollten, um ihn dort auf die Probe zu stellen und Rosalees Theorie zu testen. Wenn sie Glück hatten, kam etwas dabei raus. Wenn nicht…. Dann hatten sie es wenigstens versucht. Soweit war alles nach Plan verlaufen, jetzt kamen sie in die entscheidende Phase. Hank warf einen gespielt enttäuschten Blick über seine Schulter zum Grimm, der nun seinerseits mit den Schultern zuckte und die Hände in die Hüften legte. „Das ist in der Tat Ihr gutes Recht, Mr. Graupner“, bestätigte Nick leichthin. Die wunde Stelle in seinem Gesicht war inzwischen blau-lila geworden und der Klaustreich grinste gehässig bei diesem Anblick vor sich hin. Wie vom Captain angeordnet waren beide Brüder bislang voneinander getrennt untergebracht worden. George wusste zudem auch noch nichts genaues darüber was seinem Bruder Thomas zur Last gelegt wurde. Ihm war lediglich mitgeteilt worden, dass man diesen ebenfalls verhaftet hatte, und dass der verhaftende Beamte Detective Burkhardt gewesen war. Nach dem breiten Grinsen zu urteilen dachte der Klaustreich jetzt vermutlich, dass sein Bruder dem Grimm das Beinahe-Veilchen verpasst hatte. Nick ließ ihn in dem Glauben. „Außerdem dürfen Sie mich ohnehin nicht länger festhalten“, behauptete der Mann weiter. „Sie müssen mich also gefälligst gehen lassen.“ „Sagt wer?“, wollte Griffin wissen und zog eine Braue hoch. „Na mein Anwalt“, kam die trotzige Antwort vom Klaustreich. Hank lächelte milde. „Da hat Sie Ihr Anwalt allerdings falsch informiert“, stellte er klar. „Wir dürfen Sie maximal 48 Stunden ohne Anklage hier festhalten, das ist richtig, aber zum einen ist diese Zeit noch nicht überschritten und zum anderen hat die Staatsanwaltschaft meinem Wissen nach bereits einen Haftbefehl gegen Sie eingereicht.“ Er legte den Kopf schräg und zog eine Braue hoch. ‚Komm schon, schnapp nach dem Köder‘, sagte sein Blick. Doch auf diesen offensichtlichen Schachzug wollte der Mann nicht antworten. Er wusste schließlich genau, womit er sich die Anklage eingefangen hatte. An dieser Stelle war leugnen nicht drin. Das hob er sich lieber für die Verhandlung auf. Nick tippte seinem Partner auf den Oberarm und deutete mit einer Kopfbewegung zur Tür. „Das bringt doch nichts mehr, gehen wir.“ „Hast Recht“, seufzte Hank und Nick musste sich zwingen nicht mit den Augen zu rollen. Der ältere Detective übertrieb es nach seinem Geschmack ein wenig… „Ja“, feixte der Klaustreich. „Geht besser, bevor ich euch Idioten noch wegen Polizeiwillkür anzeige.“ Offenbar glaubte er Oberwasser zu haben und verfiel wieder in alte Muster. Wäre sein Anwalt dabei gewesen, der wäre an dieser Stelle vermutlich unter den Tisch gerutscht. Die zuständigen Polizisten als Idioten zu beschimpfen, war für seinen Fall nicht gerade förderlich… In seinem Inneren fing es bei dieser Frechheit erneut an zu brodeln und der Grimm musste sich zurückhalten, um nicht aus der Haut zu fahren. In seinem Kiefer arbeitete es und er musste höllisch aufpassen, dass er nicht wieder grau wurde. ‚Geduld, Geduld…‘, dachte er. Hank lenkte ihn ab, in dem er die Akte zuschlug und zweimal auf die Tischplatte knallen ließ. Der Klaustreich zuckte wider Willen zurück bei dem Geräusch, was Hank mit einem schiefen Grinsen quittierte. „Wir müssen uns eh noch mit den Kollegen von der Streife wegen der anderen Sache abstimmen, also lass uns gehen. Hier vergeuden wir nur unsere wertvolle Zeit“ Er warf seinem Gegenüber einen bedeutungsschwangeren Blick zu und schob den Stuhl zurück, um aufzustehen. „Der Papierkram wird uns den halben Tag beschäftigen.“ „Ich verstehe auch gar nicht, warum wir das eigentlich machen müssen“, beschwerte sich Nick mit einem genervten Unterton in der Stimme. „Ich meine, was interessiert uns dieses dumme Auto? Nur weil das vorher unser Tatort war…“ „Nick, ein 74er Mustang ist kein ‚dummes Auto‘“, wies ihn Hank zurecht. „Ist ne echte Schande“, seufzte er und warf dem Klaustreich einen mitleidigen Blick über die Schulter zu. Der Mann hatte bereits leichte Zuckungen im Auge. Ein 74er Mustang? Das musste ihm schon zu denken geben. „Mr. Graupner“, der ältere Detective klopfte zweimal mit den Knöcheln zum Abschied auf den Tisch und wollte schon dem Grimm folgen, der bereits die Hand an der Türklinke hatte, als es nervös aus dem Mann herausplatzte. „Was ist ne Schande?“ Da er mit dem Rücken zu ihrem Verdächtigen stand, konnte Mr. Graupner das Grinsen in Hanks Gesicht nicht sehen. Er hatte angebissen und den metaphorischen Köder geschluckt. Nun mussten sie nur noch die Angel einholen. Detective Griffin drehte sich wieder zu dem Mann um. „Ein Ford Mustang 74er Baujahr ist von den Kollegen auf Streife heute früh aufgefunden worden. Irgendwelche Kids haben den wohl für eine Spritztour ‚ausgeborgt‘.“ „Dummerweise kam ihnen ein Laternenmast dazwischen“, warf Nick ein und konnte kaum seine Schadenfreude aus der Stimme heraushalten. Weshalb ihn George dann auch irritiert ansah. „Was?“ Hank schüttelte traurig den Kopf. „Dumme Geschichte. Ins Haus des Besitzers wurde eingebrochen und dabei muss der Einbrecher das Garagentor offen gelassen haben. Aber ich kann die Kids verstehen. Bei so einem schönen Auto, wer kann da schon wiederstehen?“ „Schö… schönes Auto? Ein 74er…?“ Die Stimme den Klaustreich schnellte um mehrere Oktaven nach oben, bevor er sich räusperte. „Ein… ein Mustang sagen Sie? Welche…“, er räusperte sich erneut. Vielleicht hatte er Angst, dass ihm seine Stimme wegbrechen würde? „Welche Farbe hat er denn?“ „Hatte“, korrigierte Nick. Er verschränkte die Arme vor der Brust und grinste nun unverhohlen vor sich hin. „Kanariengelb.“ „Mit schwarzer Motorhaube“, ergänzte sein Partner. Er seufzte theatralisch. „Vierzig Jahre lang liebevoll gepflegt und ein schnöder Einbruch setzt dem Autoleben ein Ende. Wirklich bedauerlich.“ „Was…“, bei der Beschreibung des Wagens war Mr. Graupner blass geworden. Jetzt lief er langsam rot an. „Was haben Sie mit meinem Auto gemacht, verdammter Grimm!“ Er wurde mit jedem Wort lauter und sprang am Ende von seinem Stuhl. Hätte Hank nicht dazwischen gestanden und ihm die Hand mit einem „Bleiben Sie ruhig“ auf die Brust gelegt, der Klaustreich wäre glatt dem jüngeren Detective an die Kehle gesprungen. „Ich?“, fragte Nick mit einem überraschten Tonfall und breitem Grinsen. „Ich habe damit überhaupt nichts zu tun. Bedanken Sie sich lieber bei dem Einbrecher, der das Garagentor offen gelassen hat.“ Er drehte sich wieder zur Tür, drückte die Klinke und öffnete sie einen Spalt, damit er den wartenden Officer rufen konnte, der den Mann zurück in seine Zelle bringen sollte. „Das können Sie nicht machen“, schnauzte der Klaustreich lautstark vor sich her, während ihm wieder Handschellen angelegt wurden. „Nicht mit mir, nicht mein Auto!“ Nick trat auf den Flur hinaus und ließ den Verdächtigen mit seiner Eskorte passieren. Da kam um die Ecke Wu in Sicht, der seinerseits mit einem weiteren Officer als Begleitung einen anderen Verdächtigen zu genau jenem Verhörraum begleitete, aus dem sie gerade kamen. „Duuuu!!“, schrie nun George Graupner auf, als er den Neuankömmling erkannte. Wutentbrannt stieß er seinen Bewacher beiseite und stürmte auf die andere Gruppe zu. Wu hielt ihn nicht auf, als er sich auf seinen Bruder stürzte, den der Sergeant dabei hatte. Beide Klaustreiche schlugen hart auf dem Boden auf. Ellie‘s Ehemann ging dabei auf seinen Bruder los, der offenbar nicht verstand, was gerade passierte. Er versuchte seinen Angreifer wegzudrücken und beide wälzten sich über den Boden. Die Officer wollten eingreifen, aber Wu hielt sie zunächst zurück. „George... was... was soll das?“, wollte Thomas Graupner wissen. „Duuuu!!!“, schrie George wieder und packte seinen Bruder am Kragen. Er zog und zerrte an ihm herum, riss ihn immer wieder hoch und knallte ihn anschließend zurück auf den Boden. Hank wollte am liebsten sofort dazwischen gehen, doch Nick legte ihm eine Hand auf die Brust. „Noch nicht“, flüsterte er. „Was hast du getan, Thomas?“ schrie der Angreifer. „Du solltest dich doch bloß um diese dämlichen Kuh kümmern und mehr nicht!“ „Aber… aber das hab ich doch…“, fauchte der Bruder, der offenbar nicht verstand, was George eigentlich von ihm wollte. „Und warum ist dann mein Auto Schrott? Ich hab dir extra den Schlüssel gegeben und du Idiot gehst durch die Garage rein?“ „Aber ich…“ „Und dann lässt du Idiot auch noch das Tor offen stehen und jemand kann meinen Wagen klauen. Oder warst du das auch?“ „Ich hab die Garage nicht angefasst, George. Ich schwöre, ich hab damit nichts zu tun. Ich bin nur durch die Hintertür, wie du es wolltest und hab mich um Ellie gekümmert. Das war alles…“ „Und nicht mal das hast du richtig hingekriegt, Thomas! Du bist so ein Versager…“ „Aber, aber, nicht so streng sein, Mr. Graupner. Das gerade eben haben Sie beide dafür ganz hervorragend hingekriegt, danke vielmals.“ Der Sergeant grinste und winkte den Officers zu die beiden endlich zu trennen. „Ich… was?“, verwirrt blickte sich George um, während man ihn rechts und links unter den Armen packte und ihn auf die Füße zog. Hank trat näher. „Ich habe nie gesagt, dass es Ihr Wagen war, Mr. Graupner, aber danke für das Geständnis vor Zeugen, dass Sie Ihren Bruder damit beauftragt haben eine Straftat zu begehen.“ „Oh“, meinte Wu und schüttelte den Kopf. „Das kommt vor Gericht gar nicht gut an…“ „Sie… Sie haben mich reingelegt. Das geht nicht, damit kommen Sie nicht durch. Sie können mir das nicht nachweisen“, schrie der Klaustreich verzweifelt und versuchte die Arme abzuschütteln, die ihn festhielten. „Sie haben keine Beweise, da steht Aussage gegen Aussage…“ Süffisant lächelnd deutete Nick auf die Videoüberwachung an beiden Enden des Flures. Wer zuletzt lacht... „Nur wenn Sie gegen sich selber aussagen wollen.“   * * * Trotz dessen offensichtlichen Widerwillens, hatte es Hank später am Tag geschafft seinen Partner und Freund dazu zu überreden, nach der Arbeit mit ihm ein Bier trinken zu gehen. Der Ältere machte sich Sorgen um den Grimm, der von Tag zu Tag düsterer dreinschaute. Und nach dem Ausbruch vom Vortag… „Ich werde dich nicht fragen, ob alles okay ist, Nick. Ich weiß, dass es nicht so ist. Aber fühlst du dich heute wenigstens wieder etwas besser, nachdem wir die beiden Klaustreiche festnageln konnten? Du warst gestern so geladen, ich dachte schon du rennst los und killst das nächstbeste Wesen…“ Der Grimm lachte freudlos in sein Glas und trank es mit einem Zug halb leer. Er hatte die Ellenbogen auf die Theke gestützt und ließ das restliche Bier leicht mit einer Hand kreisen. Sein Blick war auf die bernsteinfarbene Flüssigkeit gerichtet und er kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe herum. Nick unterließ es diesmal, seinen Partner auf die Vorurteile gegen Grimms hinzuweisen, die schon wieder in dessen Worten mitschwangen. Das brachte einfach nichts, auch wenn ihn diese erneute Gedankenlosigkeit insgeheim ärgerte. Schließlich wandte er seinem Partner den Kopf zu. „Ich weiß es nicht, Hank“, gestand er endlich. „Ich…“, Nick machte eine vage Geste und nahm noch einen tiefen Zug seines Bieres, bevor er das Glas hinstellte und die Arme vor der Brust verschränkte. Er lehnte sich auf seinem Hocker etwas zurück und betrachtete dann anschließend im großen Barspiegel ihnen gegenüber sein Spiegelbild. Bis vor kurzem hätte ihn sein eigener Anblick erschreckt. Seine Bartstoppel waren noch länger als sonst, seine Augen dunkel und ihr Ausdruck finster. Nur nebenbei registrierte er, dass er irgendwann in den letzten Tagen seit Juliettes Auszug angefangen hatte ausschließlich schwarz zu tragen. Wie seine Mutter. ‚Langsam sehe ich aus wie ein echter Grimm‘, dachte er bitter. Genau das, weshalb Juliette ihn zurückwies, hatte sie anscheinend mit ihrem Weggang selber heraufbeschworen und in Gang gesetzt. „Nick?“, fragte Hank vorsichtig nach, da sein Partner still geblieben war. Der winkte ab. „Ich komm schon klar“, wiegelte er ab. „Mach dir mal keine Sorgen.“ „Ich mach mir aber welche“, betonte Hank und legte dem Jüngeren eine Hand auf die Schulter. „Hör mal, ich werde nicht so tun, als sei alles wie immer, da ich genau sehen kann, dass es alles andere als das ist. Ich kenne dich lange genug und es ist offensichtlich, dass dir was durch den Kopf geht. Wenn du also reden willst…“ Er klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter, zog dann den Arm wieder zurück und wechselte das Thema. Mit dem Finger deutete auf Nicks Verletzung im Gesicht und schüttelte mit leichtem Missfallen den Kopf. „Wo hast du dir das eigentlich eingefangen? Bist du gestern noch los und hast Wesen verprügelt, um deine Aggressionen abzubauen?“ Nick runzelte die Stirn. „Habe ich was?“ „Ob du dich mit jemanden geprügelt hast“, wiederholte Hank die Frage und hob sein Glas auf Trinkhöhe. „Komm schon, ich glaube niemals, dass dieser Typ von gestern Abend, dieser Bruder, dich da erwischt hat.“ Er nahm einen Schluck und stellte das Glas wieder vor sich auf dem Tresen ab, bevor er sich seinem Partner komplett zuwandte und einen Arm auf der Holzoberfläche abstützte. Nick Mundwinkel zuckten, während er sich wieder vorbeugte und sein fast leeres Glas zwischen beide Hände nahm. „Weißt du, Hank, momentan ist mein Leben…“, er rang um einen Vergleich und hob schließlich sein Glas ein Stück an, „wie dieses Bier hier.“ „Warm und schal?“, neckte Hank den Grimm mit einem Augenzwinkern. Das brachte Nick tatsächlich dazu einmal aufzulachen. Dann schüttelte er den Kopf, nahm das Glas in die Linke und drehte sich ebenfalls mit dem ganzen Oberkörper seinem Partner zu. „Nein“, antwortete er schließlich und sein Ausdruck wurde ernst. „Es ist fast leer.“ Hank zog eine Braue nach oben. „Dann füll doch nach“, schlug er vor und winkte dem Barkeeper, dass er ihnen zwei neue Bier bringen sollte. Der Mann nickte und griff nach dem Zapfhahn. "Kommt sofort." Nick leerte sein Glas in einem Zug, stellte es auf die Theke und schob es ein Stück von ihm weg. „So einfach ist das nicht“, meinte er schließlich und fuhr sich einmal mit der Hand über das Gesicht. „Wenn du es sagst“, merkte sein Partner an. Es war klar, dass er ihm nicht glaubte. Einen Moment später griff Hank dankbar nach den beiden frisch gezapften Bieren, die ihm so eben entgegengehalten wurden, um eines davon dem Grimm in die Hand zu drücken. „Das ist Medizin, trinken“, befahl er und hielt ihm sein Glas zum Anstoßen hin. Obwohl er sich nicht danach fühlte tat Nick ihm den Gefallen und schlug sein Bier leicht gegen das seines Partners, nippte aber nur kurz daran, bevor er es abstellte. Im gewissen Sinne hatte Hank ja Recht, aber der Grimm glaubte nicht, dass man ihre Situation unbedingt vergleichen konnte. Hätten er und Juliette sich einfach nur getrennt wie ein normales Paar, das wäre zwar auch schwer gewesen für ihn, aber vermutlich könnte er eher damit umgehen. Diese Ungewissheit darüber, wie sie nun eigentlich zueinander standen, war viel schlimmer. „Hier habt ihr euch verkrochen“, ertönte es plötzlich laut hinter den beiden Detectives und automatisch zuckten sie zusammen, ehe sie sich in die Richtung des Sprechers umdrehten. „Wu?“, fragte Hank ungläubig. „Was willst du denn hier?“ Der Asiate war ebenso wie sie in zivil unterwegs. Ein seltener Anblick. Er klopfte den beiden Polizisten im Vorbeigehen auf die Schultern. Dann setzte er sich auf den freien Barhocker an Nicks linker Seite. „Ein Bier trinken?“, antwortete er grinsend und gab dem Barkeeper ein Signal, ihm ebenfalls ein Bier zu zapfen. Dann drehte er sich leicht nach rechts, legte den Kopf schief und betrachtete seine beiden Kollegen. „So….“, begann er gedehnt, „kommt ihr öfters her? War gar nicht so leicht euch zu finden. Danke.“ Letzteres galt dem Barkeeper, der ihm eben das bestellte Bier gereicht hatte. Wu pustete einmal gegen die Schaumkrone, prostete in die Richtung der anderen und nahm einen tiefen Zug. „Ach, es geht doch nichts über ein frisch gezapftes Bierchen, meint ihr nicht?“ Die Detectives sahen einander an. Hank zog eine Braue hoch und bei seinem Partner zuckte der Mundwinkel. „Darauf trinke ich“, antwortete der Afroamerikaner und hob sein Glas. „Prost.“ „Prost“, echote Nick und ahmte die Geste nach. Dann drehte er sich nach links. „Und was treibt dich nun wirklich her, Wu?“ Der verzog das Gesicht. „Muss denn alles einen tieferen Sinn haben?“ Der Grimm hob eine Braue. „Ach, schon gut“, wiegelte der Sergeant ab. Er stützte sich mit dem linken Ellenbogen auf die Theke und berichtete, was er neues gehört hatte. „Ein kleines… Scharfblicke-Vögelchen, hat mir gezwitschert, dass die Frau von dem brutalen Ehemann heute die Scheidung eingereicht hat.“ Nick war beeindruckt. Dass das so schnell gehen würde, hatte er nicht erwartet. „Und weiter?“ bohrte Hank nach. Das konnte ja kaum alles gewesen sein. „Das interessante dabei ist“, setzte Wu fort, „sie tat es, nachdem sie im Krankenhaus den Nachbarn besucht hatte.“ Er spitzte die Lippen und sah die anderen Männer aus großen Augen bedeutungsvoll an. Hank wirkte enttäuscht. „War das alles?“ Nick schnaubte amüsiert und blickte auf sein Glas hinunter. „Du weißt doch, dass es hier um ein Tugendschaf geht, oder?“ fragte er in Hanks Richtung. „Hast du erzählt, ja“, bestätigte sein Partner, der nicht ganz verstand worauf der Grimm hinaus wollte. „Ich war selber inzwischen im Krankenhaus, der Nachbar ist auch eines.“ „Oh… ohhh“, Hank verstand schließlich und grinste breit. „Ihr meint da bahnt sich was an?“ Nick zuckte mit den Schultern, noch immer keinen der beiden neben ihn sitzenden Männern ansehend. „Gleich und gleich“, meinte er nur. Wu grinste mit einem leicht dreckigen Unterton. „Ein Grimm hätte auch kaum zu ihr gepasst“, bestätigte er. „Was?“ Nick verschluckte sich fast. „Naja“, meinte Wu gedehnt und drehte sein Glas vor sich auf der Theke mit einer Hand. „Ich habe mitbekommen, wie die Frau dich ganz schön angeglüht hat gestern Abend.“ Nick drehte ihm das Gesicht zu. In seinen Augen blitzten Fragezeichen auf. „Angeglüht? Wie meinst du das?“ „Oben im Schlafzimmer? Hey, ich war auch da und ich hab Augen im Kopf, Nick“, erinnerte ihn Wu. „Schönen Dank auch, dass du mich bemerkt hast…“ „Und ich war nicht dabei“, seufzte Hank enttäuscht und schnalzte mit der Zunge. „Das hätte zu gern gesehen…“ „Hat wohl nen Heldenkomplex die Frau“, stellte der Sergeant sachlich fest. „Eindeutig“, bestätigte Detective Griffin und beide Männer stießen breit grinsend vor Nicks Nase mit ihren Gläsern an. „Ich bin auch noch da, Jungs“, erinnerte Nick säuerlich. „Eines möchte ich aber noch wissen“, setzte der Asiate fort, nachdem er einen tiefen Zug von seinem Bier genommen hatte. Er stellte sein Glas ab und deutete wie vorher schon Hank auf Nicks Wange. „Warum hat dir der Captain eigentlich ein Veilchen verpasst?“ „Der Captain?“ vor Überraschung zog Hank beide Brauen hoch. „Das musst du mir jetzt aber mal genauer erläutern. Ich dachte du wolltest nur… reden?“ Unangenehm berührt schüttelte der Grimm leicht den Kopf. Hatte Wu das unbedingt ansprechen müssen? Er seufzte. „Haben wir ja auch“, bestätigte er schließlich. Der Sergeant schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Ein bisschen viel körperlicher Einsatz für ein Gespräch, wenn ihr mich fragt.“ „Es fragt dich aber keiner“, antwortete Nick gereizt, worauf sich Wu und Hank erstaunte Blicke zuwarfen. „Wie meinen?“ Der Grimm lehnte sich auf seinem Hocker zurück und stöhnte genervt. „Es war nichts weiter, ok?“ „Das klingt aber nicht nach ‚nichts‘“, stellte Hank grinsend fest. „Je lauter das Dementi, desto unglaubwürdiger wird es, Nick.“ „Er hat gesagt er wäre ein… wie nanntest du das noch gleich, Nick? Genau, ‚ein Missverständnis‘…“ Der Grimm lehnte sich vor und berührte die Theke mit der Stirn. „Nächstes Mal sage ich gar nichts mehr“, murmelte er leise. „Wann hat er das gesagt?“ hakte Hank nun neugierig nach. „Gestern Abend, nachdem der Bruder im Haus seiner Schwägerin festgenommen wurde.“ „Ach…“, Hank sah seinen Partner noch immer mit hochgezogenen Brauen an. „Fand euer ‚Gespräch‘“, er zeichnete kleine Anführungszeichen in die Luft, „etwa im Boxring statt? Musstest du überschüssige Energie loswerden?“ Hank klopfte ihm auf die Schultern und feixte über Nicks Rücken hinweg den Sergeant an. Wu kicherte amüsiert beim Anblick von Nicks genervtem Gesichtsausdruck. Einen Augenblick lang taxierte er noch den Grimm, dann wandte er sich wieder direkt an Hank. „Ob die beiden wohl was laufen haben? Privates Treffen, tauchen gemeinsam am Tatort auf, fährt sogar im Auto vom Captain mit…“ Hank lehnte sich auf seinem Hocker ein Stück zurück und betrachtete seinen Partner von oben bis unten. „Nick, wer hätte sowas von dir gedacht?“, neckte er den Jüngeren. „Ich dachte ich sei dein Partner. Bin ich jetzt etwa abgemeldet? Machst du lieber einen auf ‚Papa’s Liebling‘? Willste etwa ne Beförderung?“ Er zögerte einen Moment und fuhr wieder mit ernsterer Stimme fort. „Oder steckt da mehr dahinter? Ist das wieder so’n Grimm-Ding?“ Dann beugte er sich etwas vor und murmelte ihm leise mit dunkler Stimme ins Ohr. „Oder hat das was mit… Du weißt schon was zu tun?“ „Mit was zu tun?“, fragte Nick misstrauisch und wandte Hank den Kopf zu, bevor er sich wieder aufrichtete. Er hatte seinem Partner noch nichts von Juliettes Verwandlung erzählt, also konnte er das kaum meinen. „Na dein Ausbruch gestern. Läuft zu Hause noch alles glatt, seit ‚du-weißt-schon-was‘? Du wirkst in letzter Zeit so… angespannt. Letztes Mal warst du so drauf, als Juliette sich nicht mehr an dich erinnern konnte. Spüre ich da eine gewisse... Frustration? Dreimal geschieden, du erinnerst dich? Ich kenne mich aus…“ Wu hatte den Kopf auf den linken Arm gestützt, der auf dem Tresen ruhte und beobachtete das leise Gespräch aufmerksam von der Seite. „‚Du-weißt-schon-was‘?“ fragte er neugierig. In Nicks Gesicht schien in dem Augenblick eine Jalousie herunterzugehen und sein Ausdruck wurde hart. Er stützte sich mit beiden Händen auf der Theke ab und stand auf. „Ich muss los, hab noch was zu erledigen.“ Er griff in seine Jackentasche und holte ein paar Dollar aus seiner Geldbörse, die er neben sein halbvolles Glas auf den Tresen warf. „Viel Spaß noch euch zwei.“ Schnellen Schrittes verließ er die Bar. Auf dem ganzen Weg zum Auto, so lange er noch in Sichtweite des Lokales war, konnte er die verwunderten Blicke der beiden Männer auf sich spüren.   * * * Der Sitz gab leise seufzend unter ihm nach und das kühle Polster umfing ihn, als Nick wenig später in seinen Wagen stieg. Eine volle Minute saß er einfach nur stumm da, starrte in die Dunkelheit vor sich und ließ die Gedanken wandern. Diese ganze Situation zu Hause zerrte an seinen Nerven, machte ihn reizbar. Hank hatte schon Recht, wenn er sich Sorgen machte. Sein ‚innerer Grimm‘ brauchte eine Möglichkeit, sich auszutoben und lechzte nach Blut, das war Nick inzwischen klar geworden. Und der Zombie unterstützte das noch. Wäre der Captain gestern nicht mit im Haus gewesen, wer weiß, was er dem Klaustreich angetan hätte. Die vernünftige Stimme, der Polizist in ihm, befand sich inmitten eines Malstroms aus Wut und Frustration, aus dem er sich alleine kaum befreien konnte. Langsam verstand Nick, was Monroe wohl jeden Tag für einen Kampf mit sich selber ausfechten musste. Zerrissen zwischen zwei Welten, zwei Herzen und zwei Seelen. Wütend auf sich selbst schlug er mit den Händen auf sein Lenkrad und umklammerte es dann wie einen Rettungsring. Lange würde er das nicht mehr durchhalten. Er brauchte jemanden, mit dem er reden konnte. Und bei dem er vielleicht auch etwas Dampf ablassen konnte. Jemand, der ihn verstand und ihm ebenbürtig war… Ein Bild blitze vor seinem geistigen Auge auf. Bislang hatte der Grimm sich dem nicht stellen wollen, aber jetzt... Vor zwei Tagen erst hatte er dem Zauberbiest noch gesagt, da gäbe es nichts zu bereden, als er von ihrem… Aufeinandertreffen neulich angefangen hatte. Aber vielleicht hatte er sich geirrt. Vor allem was ihn selber und seine Bedürfnisse anging. In seinem Herzen lag eine Sehnsucht, die er nicht verstand. Er konnte es nicht erklären, aber etwas tief in ihm zog ihn in diese spezielle Richtung, zu diesem Haus, von dem aus man die ganze Innenstadt überblicken konnte. Tief drinnen flüsterte eine Stimme, dass er nur dort finden konnte, was er brauchte. Die ‚neue‘ Juliette hätte ihm wahrscheinlich auch das geben können, was sein… ‚dunkles Herz‘ (er fand keine bessere Bezeichnung für dieses Verlangen) begehrte. Mit ihrer neuen Stärke war sie eigentlich die perfekte Partnerin für den Zombie-Grimm. Stark, schön und unabhängig… Aber sie hatte sich von ihm abgewandt. Bevor einer von ihnen ihre gemeinsamen tieferen Bedürfnisse hätte entdecken können, hatte sie ihm den Rücken gekehrt. Weil Grimms und Wesen angeblich nicht zusammen sein konnten. Was für ein Blödsinn! Auch Tante Marie hatten ein Wesen als Partner, bis sie Nick zu sich nahm. Und es hatte sich bei Farley nicht so angehört, als ob beide nicht miteinander klargekommen wären. Es war also nicht unmöglich. Schwierig ganz sicher, zumal ein Hexenbiest optisch eine ganz andere Kategorie darstellte als ein Steinadler, aber es war nicht vollkommen unmöglich. Sie könnten beide gemeinsam lernen darüber hinwegzusehen. Und es war schließlich nicht nur so, dass im Zweifelsfall der Grimm das Biest sehen würde, das Biest würde umgekehrt auch seine schwarzen Augen zu sehen bekommen. Und Grau stand ihm sicher auch nicht gerade gut zu Gesicht, aber trotzdem war Juliette bei ihm geblieben. Weil er immer noch ‚ihr Nick‘ geblieben war. Und sie war immer noch ‚seine Juliette‘. Warum verstand sie das nicht? Durch alle Unwägbarkeiten, Entführungen, Angriffe, Zombies, Wesenrein, Amnesien und sogar weihnachtliche Kobolde hatten sie sich gegenseitig geholfen und unterstützt. Und nach all dem fehlte Juliette noch immer das Vertrauen in ihn und eine gemeinsame Zukunft. Eine wütende Träne bildete sich in Nicks Augenwinkel und er zwinkerte sie weg. Dafür war es noch zu früh. Noch hatte er Zeit. Er würde sie beide nicht aufgeben. Er würde um seine große Liebe kämpfen. Aber vorher hatte er noch was anderes zu erledigen, sonst würde er bis dahin nicht durchhalten. Hatte der Mann ihm schließlich nicht selber angeboten, dass er mit ihm ‚reden‘ könne? Nick legte den Sicherheitsgurt an und startete entschlossen die Zündung. Epilog: -------- Kurze Zeit später in einem anderen Teil der Stadt hatte Renard es sich gerade in seinem neuen Wohnzimmer mit zwei fingerbreiten Scotchs gemütlich gemacht, da klopfte es an der Tür. Seufzend und ein wenig genervt ob der späten Störung erhob er sich und stellte das Glas unangetastet beiseite. Der Royal empfand so etwas wie ein Déjà vu, als ihm durch die Kamera der Videoüberwachung das Antlitz seines bevorzugten Grimms entgegenstrahlte. Ein kleines Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Nick war tatsächlich zu ihm gekommen, schneller, als er es für möglich gehalten hatte. Jetzt war nur die Frage, würde er bleiben? „Nanu, Detective“, begrüßte er seinen Untergebenen, nachdem er die Tür einen Spalt weit geöffnet hatte. „Was führt Sie denn zu so später Stunde noch hier her?“ Der jüngere Mann wirkte an diesem Abend nicht ganz so wütend und düster, wie bei seinem letzten Besuch. Zugegeben, sein inneres Biest zeigte sich ein wenig enttäuscht darüber, aber Renard unterdrückte dieses Gefühl so gut es ging, kaum dass es begonnen hatte. „Haben Sie wieder Probleme mit einem Klaustreich?“ Die stahlblauen Augen fixierten ihn mit einer Intensität, die dem Biest einen wohligen Schauer den Rücken hinunter laufen ließ. Der Grimm schüttelte andeutungsweise den Kopf und stopfte die Hände in die Jackentaschen. „Nicht mit einem Klaustreich, nein.“ ‚Mehr mit einem Halb-Zauberbiest und einem Neu-Hexenbiest‘, dachte er innerlich seufzend. Dann reckte Nick herausfordernd das Kinn. „Sie sind mir noch ne Revanche schuldig, Captain“, stellte er sachlich fest. Erstaunt öffnete der Royal die Tür vollständig, aber der Grimm blieb stehen, wo er war. „Eine Revanche? Bin ich das, ja?“ Nur mit großer Mühe konnte er das aufkeimende Grinsen unterdrücken. „Auf jeden Fall“, bekräftigte der Grimm und sein Mundwinkel zuckte ebenfalls verräterisch. Er zog die Linke aus der Jackentasche und deutete auf sein gut sichtbares Veilchen. „Haben Sie eine Ahnung, was ich mir deswegen seit gestern schon alles von den Kollegen anhören musste? Von diesem Klaustreich ganz zu schweigen“, beschwerte er sich und musste selber zugeben, dass er ein bisschen wie ein quengelndes Kind klang. Doch in diesem Moment war ihm das egal. Renard lachte leise. „Sie wissen, das war keine böse Absicht.“ Nick erlaubte sich ein eindeutig ungläubiges Schnauben und wippte einmal auf den Zehenspitzen. Die Hand verschwand wieder in der Jacke. „Aber es war auch unnötig, so hart zuzuschlagen“, wies er den Einwand zurück. „Touché“, Sean überlegte kurz und betrachtete sein Gegenüber aufmerksam. Er hatte das deutliche Gefühl, dass da mehr als eine Revanche wegen der Wunde dahinter steckte, dass der Detective heute Abend auf seiner Schwelle aufgetaucht war. Sollte er etwa... Der Royal räusperte sich. „Ich sag Ihnen was, Nick. Wie wäre es mit einem Schluck von dem Scotch, von dem ich Ihnen die ganze Zeit vorschwärme, als Friedensangebot?“, schlug er vor und trat mit einer einladenden Geste einen Schritt beiseite, um seinem… ‚Besuch‘ den Eingang frei zu machen. Der Grimm legte den Kopf schief und dachte einen Augenblick über das Angebot nach. Schließlich zuckte er mit den Schultern und trat an seinem Vorgesetzten vorbei in den Flur, um direkt vor Renard stehen zu bleiben. „Es... wäre zumindest ein Anfang“, stimmte er zu und seine strahlend weißen Zähne blitzten hervor, als sich ein Mundwinkel nach oben verzog. Während sich beide sekundenlang schweigend taxieren, glitzerte einen Augenblick lang etwas von dem jungenhaften Schalk in Nicks Augen, den Sean in den letzten Monaten so vermisst hatte. Renard reagierte nicht sofort, wirkte einen Augenblick lang zu tief in seine Gedanken versunken, als das er antworten würde. Sein Blick schien durch den Grimm hindurch zu gehen… Nick fragte sich kurz, was wohl gerade im Kopf von dem Mann vor sich ging und wartete stumm. Einige Atemzüge später holte sein Vorgesetzter sich mit einem kleinen Ruck scheinbar selbst zurück in die Gegenwart und deutete dem Detective ins Wohnzimmer zu gehen. Den Griff der geöffneten Eingangstür weiterhin unbeweglich in der Hand, wehte die kühle Nachtluft herein und spielte ein wenig mit der Seidenkrawatte, die der Captain noch immer um den Hals trug. Nick blieb wo er war und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Tür. „Wollen Sie die nicht besser zu machen?“ „Detective“, antwortete der Royal und der Unterton in seiner Stimme klang fast wie das zufriedene Schnurren einer Katze. „Ich habe doch Sie hier im Haus, einen Grimm. Also was kann da wohl schon groß passieren…?“ „So einiges“, antwortete der Jüngere und seine Augen wurden eine Spur dunkler. „Dann ist es ja gut, dass ich nicht alleine bin, mein lieber Grimm.“ Renards ruhige Stimme vibrierte förmlich vor unterdrücktem Verlangen. Das Biest konnte sich nicht mehr zurück halten und verwandelte damit die blauen Augen seines Gegenübers in die tiefen schwarzen Seen, die dessen eigenes inneres Monster repräsentierten. Nick hob unbeeindruckt eine Braue und verschränkte die Arme vor der Brust. Nur ein ganz klein wenig verblasste seine Hautfarbe und ein grauer Hauch wehte darüber. „Ich auch nicht, Captain, ich auch nicht.“ Mit etwas zu viel Schwung ließ das Biest die Tür ins Schloss fallen. Holz auf Holz verursachte ein dumpfes Geräusch, bevor im nächsten Moment der Schnapper deutlich hörbar im Schloss einrastete. Aftermath - ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)