Fallen Angels (Legacy of Kain) von Mirri ================================================================================ Kapitel 1: ----------- "Es wird immer schlimmer! Wenn wir ihnen keinen Einhalt gebieten, werden sie uns alle umbringen!" Die Stimme des Mannes war leise, doch ebenso drängend. Während er sprach, huschten seine Augen wild hin und her, als suche er seine Umgebung nach etwas bestimmtem ab. "Sollte man aber nicht auch ihren Standpunkt berücksichtigen?", fragte das Gegenüber des Mannes. Viel war von diesem Gegenüber nicht zu erkennen. Es war eine nicht allzu große Gestalt, die in einen schwarzen Mantel gehüllt war und sich anhand der Stimme als männlich erwiesen hatte. Die Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen. "Ich meine, dass die Vampire doch auch ein Recht darauf haben, zu leben!" Plötzlich waren die Züge des Mannes wie versteinert. Ungläubig starrte er den Fremden an, der ihn vor wenigen Minuten in ein Gespräch verwickelt hatte. "Vampire? Ein Recht auf Leben? Du weißt wohl nicht, wovon du sprichst! Diese Kreaturen haben unzählige Menschenleben auf dem Gewissen. Denen sind wir völlig egal. Warum sollten wir dann also Rücksicht auf sie nehmen?" Inzwischen machte sich der Mann keine Mühe mehr, ruhig zu klingen. Beschwichtigend hob der Andere die Hände, doch der Mann ließ sich nicht beruhigen. Aufgebracht griff er nach dem Fremden und hielt ihn an seinem Mantel fest, zog ihn dichter an sich heran. "Mein Sohn wurde von einer dieser Bestien getötet! Kannst du dir vorstellen, was das für ein Gefühl ist? Kannst du das?" Der Fremde schwieg einen Moment lang. "Lass mich los!" Seine Stimme klang nun nicht mehr so freundlich, wie zuvor, sondern eiskalt und bedrohlich. Für eine Sekunde erstarrte der Mann völlig. Dann riss er einen Dolch hervor, den er unter seinem eigenen Mantel verborgen hatte. "Du bist einer von ihnen!", rief er und riss dem Fremden die Kapuze aus dem Gesicht. Zum Vorschein kam das schmale, von schwarzem Haar umrahmte Gesicht eines jungen Mannes. Seine Augen funkelten rot, als er seine langen Fangzähne fletschte. Vor Angst zitternd wich der Mann zurück. "Es stimmt also." Der Vampir blickte mit einem fast mitleidigem Blick zu dem Mann hinüber. Dann seufzte er. "Es macht mich immer wieder traurig. Leute wie du sind es, die der Grund dafür sind, dass es nie Frieden zwischen Vampiren und Menschen geben kann!" Dies waren die letzten Worte, die der Mann hörte, bevor sich der Vampir mit unfassbarer Schnelligkeit auf ihn stürzte und seine Zähne in seinen Hals schlug. Natürlich blieb dies alles nicht unbemerkt, doch die umstehenden Menschen waren sich der Tatsache bewusst, dass sie keine Chance hätten, wenn sie sich gegen den Vampir stellen würden. Selbst wenn es ihnen möglich gewesen wäre, ihn zu töten, hätten sie es nicht getan. Zu groß war die Angst vor den Konsequenzen. Kain, Herr über alle Vampire, übte für jeden Gefallenen aus seinen Reihen schreckliche Rache. So waren die Menschen gezwungen, das Schicksal des Mannes tatenlos mit anzusehen. Der blutleere Körper zuckte noch ein paar mal, bevor auch der letzte Lebensfunke aus ihm gewichen war. Der Vampir schlug die Kapuze wieder über den Kopf und wandte sich an einen der Umstehenden. "Sorgt dafür, dass er angemessen bestattet wird." Der Angesprochen nickte eifrig und machte sich sofort daran, die Leiche von der Straße zu entfernen. Die Umstehenden wichen eilig zurück, als der junge Vampir sich wieder auf den Weg machte. Sein Blick war dabei ununterbrochen auf den Boden gerichtet. Er brauchte nicht auf den Weg zu achten. Er war ihn in den letzten Jahrzehnten unzählige Male gegangen. Jedes Mal war er hierher gekommen, um zu töten. Es hatte lange gedauert, bis er überhaupt in der Lage gewesen war, eigenständig auf die Jagd zu gehen, doch noch immer erfüllte ihn der Gedanke, ein Leben ausgelöscht zu haben mit Unbehagen. Daher versuchte er möglichst schnell nach einem Mahl, die Stadt zu verlassen und sich auf andere Gedanken zu bringen. Als er auf seinem Weg an einer Schenke vorbei kam, hörte er aus deren Inneren vertraute Stimmen. Sie waren laut genug gewesen, um ihn aus seinen Gedanken zu reißen und dazu zu bringen, stehen zu bleiben. Er versuchte, durch die schmutzigen Fenster etwas zu erkennen, doch das Glas verwehrte ihm jeglichen Einblick. Mit wenigen Schritten war er bei der Tür und betrat den dahinter liegenden Raum. Nicht viele Leute hielten sich zu dieser Zeit in der Schenke auf. Einige wenige saßen direkt an der Theke und waren voll auf damit beschäftigt, in ihre Gläser zu starren. In einer Ecke der schenke saß derjenige, dessen Stimme den Vampir herein gelockt hatte. Es war ein hochgewachsener, kräftiger Mann. Sein langes, schwarzes Haar hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Der Vampir starrte den Mann aus weit aufgerissenen Augen an, als er ihn erkannte. "Meister Turel!", flüsterte er ehrfürchtig. Trotz seiner leisen Stimme schien der Betroffene ihn gehört zu haben. Er wandte sich von dem Mann, der neben ihm saß und mit dem er sich gerade noch unterhalten hatte ab und blickte den Vampir an. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Unter Turels Blick wurde der Vampir schlagartig nervös. Der Schwarzhaarige war ebenso ein Vampir wie er selbst. Genauer gesagt war er sein Meister. Jeder Vampir Nosgoths gehörte einer Gruppe an. Im Falle des jungen Vampirs war es die der Turelim. Es war durchaus nicht das erste Mal, dass er seinem Meister persönlich begegnete, doch die Aura, die ihn umgab löste in ihm immer wieder ein Gefühl von Respekt und Bewunderung aus. Diese Mischung sorgte dafür, dass er bei jeden noch so kurzem Treffen schrecklich nervös wurde. "Du bist Rahul, richtig?" Es dauerte einige Sekunden, bis der Angesprochene realisiert hatte, das er gemeint war. Noch nie hatte sein Meister sich direkt mit ihm unterhalten. "Ja, Herr!", antwortete er schließlich schnell. Turel betrachtete ihn für einen Moment, dann begann er ohne ersichtlichen Grund zu lachen. Ohne zu zögern stimmten die anderen Männer, die bei ihm saßen grölend ein. Diese Reaktion wirkte sich alles andere als positiv auf Rahuls Nervosität aus. Er hatte plötzlich das Gefühl, etwas ganz dummes gesagt zu haben. Er war kurz davor, einfach hinaus zu rennen, doch etwas hielt ihn davon ab. Als er es wieder wagte, seinem Meister ins Gesicht zu sehen, merkte er dass selbiger verstummt war und auch den anderen bedeutet hatte, still zu sein. "Du gefällst mir!", sagte er mit einem Lächeln. "Setz dich zu uns!" Er deutete auf den Platz neben sich, der auch sofort frei wurde. Rahuls Beine begannen zu zittern. Sollte er das Angebot wirklich annehmen? Andererseits wollte er Turel nicht zurückweisen. Mit leicht schwankendem Schritt brachte er die wenigen Meter, die ihn von dem Stuhl trennten hinter sich und setzte sich. Kaum hatte er sich nieder gelassen, verfielen die anderen Männer wieder in rege Gespräche und taten als wäre nichts gewesen. Verwirrt sah Rahul sich um. "Sie sind nur Menschen." Hörte er Turel neben sich sagen. "Sie wissen nicht, dass wir Vampire sind und werden es auch nicht herausfinden." Er griff nach seinem Glas und leerte es. "Wieso seid Ihr euch da so sicher?", fragte Rahul. "Ganz einfach.", begann Turel und sah ihn an. Er tippte sich mit der mittleren seiner drei Krallen an die Schläfe. "Gedankenkontrolle." Nun verstand Rahul. Er hatte gehört, das einige Vampire über diese Gabe verfügten, doch er hatte nicht sicher gewusst, ob Turel zu ihnen gehörte. "Aber lass uns über andere Dinge reden. Was machst du hier?", erkundigte sich Turel. "Ich habe gejagt.", antwortete Rahul wahrheitsgemäß. Der Andere lächelte ihn an. "Man sieht es." Ohne ein weiteres Wort zog Turel ein Tuch aus seiner Manteltasche hervor und wischte damit vorsichtig zwei kleine Blutstropfen weg, die noch an Rahuls Lippen klebten. Die Berührung jagte ein sonderbares Kribbeln durch seinen Körper. Was war nur los mit ihm? Er hatte doch sonst nicht solcherlei Hemmungen gegenüber Vorgesetzten. Selbst als er Kain persönlich gegenüber gestanden hatte, war er um ein vielfaches ruhiger gewesen. Verzweifelt zwang er sich, tief durch zu atmen und ruhig zu werden. Als er in Turels Augen blickte, schien es ihm, als wüsste sein Meister genau, was in ihn vorging. Er wich seinem Blick aus. "Warum bist du so nervös?", wollte der Ältere wissen. "Ich...ich...", begann Rahul, doch weiter kam er nicht. Er wusste nicht, wie er antworten sollte. Was würde sein Meister denken, wenn er ihm einfach sagen würde, dass es seine Nähe war, die ihn so nervös machte? "Ich fühle mich einfach etwas unwohl. Mir geht es schon seit einigen Tagen nicht so gut." Er bereute es, zu einer Lüge gegriffen zu haben in dem Moment, als er sie ausgesprochen hatte. Plötzlich glaubte Rahul, in Turels Blick Besorgnis zu erkennen. "Dann solltest du nicht länger hier bleiben. Tut mir leid, dass ich dich aufgehalten habe." Auch in seiner Stimme schwang ein besorgter Unterton mit. Langsam fragte sich Rahul, ob sein Meister ernsthaft durch den Alkohol beeinträchtigt wurde, oder ob das alles sein ernst war. "Das ist schon in Ordnung! So schlimm ist es auch nicht. Wirklich.", versuchte er, sein Gegenüber zu beruhigen. Allerdings wurden seine Worte ignoriert. Turel war aufgestanden und hinter Rahul getreten. "Was habt Ihr vor, Meister?", fragte er völlig perplex. "Ich werde dich zurück begleiten.", antwortete er. "Ich will nicht riskieren, dass dir etwas passiert." Den Tonfall, in dem sein Meister zu ihm sprach jagte dem jungen Vampir eine Gänsehaut über den Rücken. "Das müsst Ihr wirklich nicht tun! Ihr habt doch sicher besseres zu tun, als mich zu begleiten!" Turel sah sich einen Moment lang schweigend um. Dann sah er Rahul an. "Wenn du glaubst, dass es wichtiger ist, in diesem Rattenloch zu sitzen geht es dir schlechter als du zugeben willst. Also kommt!" Langsam wurde Rahul klar, dass es keinen Sinn haben würde, weiter auf den Älteren einzureden. Er würde ihn ganz bis in die Sicherheit ihres eigenen Territoriums begleiten und vorher nicht von seiner Seite weichen. Was hatte er sich da nur eingebrockt? Wie würde Turel reagieren, wenn er herausfand, dass es Rahul nicht so schlecht ging wie er vorgegeben hatte? Angst breitete sich in ihm aus. Er bezweifelte, dass Turels Rachsucht der Kains glich, der keine Skrupel hatte, Lügnern die Zunge herausreißen zu lassen, doch sicherlich würde er es nicht lustig finden, wenn er die Wahrheit erführe. Um die Wahrheit zu sagen war es inzwischen allerdings zu spät. Turel hatte sich inzwischen seinen dunkelgrünen Umhang umgelegt und wartete nun neben der Tür auf Rahul. Dieser stand schnell auf und folgte ihm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)