No Princess von Yinjian ================================================================================ Kapitel 25: Dark Hour --------------------- Irgendwas drückte Anna gegen den Magen. Nein, irgendjemand drückte sie gegen etwas. Gegen die Matratze vielleicht, denn das Mädchen spürte, wie dieses etwas unter ihrem Gewicht nachgab. Nicht nur ihrem Gewicht. Jemand saß auf ihrem Rücken. War sie nackt? Die Linien ihres Tattoos schmerzten. Sie brannten. Sie bluteten. Anna keuchte. Lange Nägel rissen die Haut auf ihrem Rücken auf. Warme Flüssigkeit lief über ihre Seiten und tränkte die schneeweiße Matratze mit Blut. Sie musste sich wehren. Irgendwie. Aber ihre Arme waren wie an ihren Seiten festgeklebt. Man hörte das Geräusch von reißender Haut. Es löste einen Würgreiz in Anna aus. Jetzt folgte das Fleisch. Tiefe, scharfe Nägel hatten sich bis zu ihren Muskeln vorgekämpft, wühlten in ihrem Rücken, zerrissen die Fasern. Etwas kratzte an ihren Rippen und ließ Anna erschaudern. Waren diese Hände schon bis zu den Knochen vorgedrungen? Der Schweiß perlte ihr von der Stirn. Wieso konnte sie nicht schreien, sich nicht bewegen? Wo war Shiro? Wo war Adam? Kai hatte Nachtdienst, oder? Wieso half ihr keiner? Anna spuckte. Sie spuckte Blut. Die Klauen steckten in ihren Gedärmen. Sie spürte, wie ein Lachen hinter ihr aufblitzte. Am liebsten hätte sie zugeschlagen. Doch sie konnte sich immer noch nicht bewegen. Die Person steckte nun bis zu den Ellenbogen in Annas Rücken. Sie schien etwas zu suchen, aber was? Langsam kratzte ein langer, scharfer Nagel an ihrer Brust ... an ihrem Herz. Anna drehte sich ruckartig um. Shiros Schnauze lag auf ihrem Nacken, er leckte sie behutsam über die Wange. Stimmen ertönten. Verwundert öffnete Anna die Augen und sah sich um. Alle waren versammelt. Shiro lag neben ihr, besorgt wimmernd. Akira saß auf der Bettkante, Liam auf einem Stuhl. Mirai und Kai stritten sich gerade wegen irgendetwas. Anna setzte sich auf. Nicht ganz sicher, wo sie war, rieb sie sich die verschlafenen Augen und blickte sich um. Es war das Zimmer, in dem sie gestern eingeschlafen war. Ihre Hände huschten über den Rücken, der immer noch mit einem T-Shirt bedeckt war. Er tat nicht weh, blutete oder brannte nicht. „Was macht ihr alle hier…?“ fragte die Königin verschlafen. Ihre Stimme war merkwürdig heiser. Alle drehten sich um. Shiro legte seine Schnauze auf Annas Schoß und schloss die Augen. Akira griff nach Annas Hand, fühlte sie. „Sie hat kein Fieber.“ stellte er überrascht fest. Anna zog die Hand weg, Akira war zu warm. „Warum sollte ich auch?“ fragte sie giftig. Ihr Blick fiel auf die Blume auf dem Nachttisch. Sie hatte sich nicht verändert. Gähnend streckte sich die Königin. „Wann gibt’s Frühstück? Ich hab Mordshunger.“ „Anna, du hast zwei Tage lang geschlafen.“ Kai hatte sich auf die andere Bettkante gesetzt und fühlte Annas Stirn. Sie hatte wirklich kein Fieber. „Willst du mich immer noch verarschen?“ fragte Anna genervt, doch Kai war über sie geklettert, um sie umzudrehen. „Zeig' mir deinen Rücken.“ sagte er hastig und zog am Shirt. Ren und Liam hatten sich neben ihn gestellt, sagten jedoch nichts. Das Gefühl kam zurück – Gewicht lastete auf ihrem Rücken. Gleich würden die Klauen in ihr Fleisch schlagen. „Lass mich los!“ schrie Anna entsetzt und schlug Kais Hand weg. Nackter Schweiß sammelte sich auf ihrer Brust. Irritiert entfernte sich Kai ein paar Zentimeter. „Anna, bitte zeig uns deinen Rücken.“ sagte nun Rens ruhige, tiefe Stimme. Shiro war aufgestanden und sah sie erwartungsvoll an. Anna blickte verwirrt zu Liam, welcher nickte und ihr zu verstehen gab, sie solle sich ausziehen. Dann sah sie zu Akira. Dieser lächelte nicht, er sah besorgt aus. So besorgt, wie an ihrem 16. Geburtstag. „Ich versteh' nicht, was ihr alle für 'nen Aufstand macht...“ Ihre Gesichter gaben Anna Grund zur Sorge. Sie kniete sich, mit dem Rücken zu den Männern, hin und zog sich das Shirt aus. Ihr Gesicht war der Wand hin gerichtet, dennoch spürte sie, wie alle Blicke auf ihren Rücken geheftet waren. Gewicht fiel vom Bett, als Akira wütend aufstand und gegen die Kommode trat. Ren seufzte. Kais lange, kühlen Finger fuhren über die Haut. „Das kann nicht sein...“ flüsterte er leise und als ob er sich vergewissern wollen würde, fuhren seine Finger erneut über die warme Haut. „Was?“ fragte Anna, nun komplett verwirrt und begann, böse zu werden. Konnte ihr bitte jemand mal sagen, was los war? „Dein Tattoo ist kleiner geworden.“ Jegliche Farbe wich aus Annas Gesicht. Mit einem Ruck drehte sie den Kopf ihrem Rücken zu, konnte jedoch nichts sehen. „Shiro.“ sagte sie sofort. „Es stimmt.“ knurrte der Wolf nachdenklich. Er schien sich Sorgen zu machen. Auch Schuld konnte man aus seiner Stimme hören. „Hast du dich verliebt?“ wollte Ren sofort wissen, der nun ebenfalls begann, Annas Rücken abzutasten. „Nein.“ antwortete das Mädchen wahrheitsgemäß, dennoch entgegnete Ren nun wütend: „Lüg' mich nicht an!“ „Ich lüge nicht!“ fauchte Anna nun, ließ ihr Shirt sinken und drehte sich zu den Männern um. Ihr stockte der Atem. Kai schien blasser als Weiß zu sein. Liam und Ren sahen ebenfalls merkwürdig geschockt aus. Akira blickte Anna an, als wolle er sie umbringen. Das Gold in seinen Augen war kalt wie eine Klinge aus Stahl, als würde er sie jeden Moment anspringen und würgen wollen. „Bist du dir sicher?“ zischte er leise und Anna zuckte zusammen. Er klang wie eine andere Person. Sie traute sich nicht, ihre Stimme zu erheben, also nickte sie einfach. Akira seufzte. „Aber ich kann nicht glauben, dass es kleiner geworden ist...“ murmelte Anna. „Seid ihr euch sicher?“ fragte sie vorsichtshalber nach. „Ich hab' es gesehen, als ich nachts auf dich aufgepasst habe und bei unserem Date. Und Shiro sagte, er hätte es vor zwei Tagen im Bad gesehen.“ antwortete Kai. Seine Hand ruhte nachdenklich auf seiner Stirn. „Du meinst gestern?“ Anna war noch verwirrter. „Wir haben dir bereits gesagt, dass du zwei Tage lang geschlafen hast.“ fauchte Mirai erschöpft und ließ sich ans Ende des Bettes fallen. „Das kann nicht sein.“ Anna griff nach ihrem Handy und sah auf die Uhr. Es war Montagmittag. Sie waren Samstagmittag hier angekommen… Das Mädchen starrte auf das Smartphone. Was war passiert? Hatte es mit dem Traum zu tun? „Welcher Traum?“ Liams Stimme hallte durch den Raum wie ein plötzlicher Starkregen. Verwundert sah Anna ihn an, erinnerte sich aber dann an die Tatsache, dass er als Waldgott Gedanken hören konnte. Sie schnalzte genervt mit der Zunge. Dann seufzte Liam und auch er legte sich die Hand ins Gesicht, als würde er erschöpft sein. „Was? Erzähl' es uns.“ bellte Akira nun. Wieso war er so wütend? Anna schwieg und musterte den Rotschopf. Er sah nicht normal aus. Konnte er eigentlich nicht normalerweise ahnen, was Anna auf dem Herzen lag? Liam begann zu erzählen. Seine Worte hielten Anna so real vor Augen, was sie erst vor kurzer Zeit gesehen hatte, dass sie erneut wie eine Wachsfigur erstarrte. Akira und Mirai sahen Anna ungläubig an, als Liam fertig war. „Klingt wie ein Fluch.“ schlussfolgerte Sherlock Ren nun. Mirai sprang auf die Füße. „Was für ein Fluch? Von wem?“ fauchte er. „Es ist die Schuld dieser scheiß Pflanze!“ Akiras Stimme war unnormal laut. Er deutete auf die Blume, die regungslos auf dem Nachttisch verharrte, doch bevor er einige Schritte auf sie zumachen konnte hatte sich Anna den Topf schon gekrallt und hielt ihn schützend in ihren Armen. „Ist es nicht!“ fauchte sie zurück. „Was hast du damit gemacht? Hast du sie geküsst?“ Akira, der eigentlich die Pflanze anvisiert hatte, ging nun schnellen Schrittes auf Anna zu. „Ein paar Mal.“ gab Anna zu, konnte ihre Wut jedoch nicht unterdrücken. „Das war doch der Sinn unseres Besuches, oder?“ fügte sie zischend hinzu. Mit einem Schlag verstummte sie. Akira hatte eine Hand neben Anna abgestützt, die andere gegen die Wand zu ihrem Rücken geschlagen. Er war Anna so nah, wie er es im Park gewesen war, als er den Kuss an täuschte. Doch diese Atmosphäre schmeckte überhaupt nicht nach Kuss: Die Pupillen von Akira zogen sich zu Schlitzen zusammen. Jegliche Wärme war aus seinen Augen gewichen. Er sah aus wie ein Biest, das sie auf der Stelle zerreißen wollte, als würde er sie wirklich töten wollen. Für eine Sekunde fühlte Anna, wie Terror ihre Zellen erschütterte. Warum war er nur so aufgebracht? Kai stieß Akira von Anna weg und hielt ihn fest. „Was glaubst du eigentlich, was du da tust?“ zischte er den Rotschopf an und bohrte seine Finger in Akiras Schulter. „Leg' dich nicht mit mir an, Blutsauger.“ gab Akira wutentbrannt zurück und legte seine Hand wiederum an Kais Hals. Beide begannen fest zuzudrücken. Kai, der normalerweise nach Luft schnappen müsste, blickte Akira kalt und emotionslos in die Augen, völlig unbeeindruckt. Nun war Anna diejenige, die auf ihre Füße sprang. Sie stand weit über allen anderen, da das Bett ihr einen Vorteil verschaffte. „Hört sofort auf mit der Scheiße.“ Ihre Stimme war klar und kalt wie eine Winternacht. Nicht die romantische Art von Nacht, in der Schnee leise fiel und man sich der Liebe hingab, nein, die Art von Nacht, in der das Eis dir das Blut in den Adern gefrieren ließ und der kalte Wind dir die Haut zerfetzte. Beide Männer ließen einander los. Kai rieb sich über seinen Hals. „Es ist nicht die Schuld der Blume.“ schnauzte Anna nun, sprang vom Bett und stellte das Pflänzchen wieder auf den Nachttisch. „Ich bin auch nicht verliebt.“ fügte sie gehässig hinzu. Liebe war zweifelsohne das letzte, woran sie gerade dachte. „Und wenn euch mein Tattoo nun zu klein ist, seid ihr herzlich willkommen, mich in Ruhe zu lassen.“ Der Raum war erfüllt von einer aggressiven Stille. Mirais Blick war auf Anna fixiert, musterte sie. Ren und Liam hatten ihre Blicke bereits abgewandt – Liam starrte gedankenversunken zur Pflanze, Ren begutachtete Akira, welcher immer noch eine mörderische Aura ausstrahlte. Kai setzte sich wieder auf Annas Bett, während diese begann, nach Klamotten zu suchen. „Ich geh' nicht.“ sagte Mirai nun gelassen und ließ sich neben Kai auf dem Bett fallen. Er war der einzige, der das sagte. „Wir suchen erst mal nach dem Grund dafür, bevor wir irgendwelchen eiligen Schlüsse ziehen.“ murmelte Ren nun und ging zur Tür. Akira war noch vor ihm aus dem Raum. Anna, die sich nun Shirt und Jeans gegriffen hatte, schaute zu Kai und Liam. Liam würde bleiben. Das sagte ihr sein Blick. Annas und Kais Augen trafen sich in der Mitte, schnell wandte er den Blick ab. Anscheinend hatte auch er vor, zu bleiben. „Akira ist ein Arschloch.“ schnauzte Mirai nun und stand vom Bett auf. „Wer hätte gedacht, dass er so schnell weg ist, huh?“ Er musterte Anna aus den Augenwinkeln, während diese nach einem Paar Socken suchte. Wollte er Emotionen sehen? Wut? Trauer? Sein Blick fiel auf die Unterwäsche, die Anna nun hervor holte, und schnell drehte er sich der Tür zu. „Wir sollten gehen, damit die Königin sich anziehen kann.“ sagte er laut und Liam und Kai setzten sich ebenfalls in Bewegung. Die Tür fiel ins Schloss. Shiro schnaufte kurz, sprang dann vom Bett und wurde mit einem „Poof“ zum Menschen. Er stand neben Anna, legte eine Hand auf ihre Schulter. Sie kniete immer noch über der Tasche, hatte aber aufgehört zu kramen und zu suchen. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen. „Shiro… Waren die ganzen 16 Jahre umsonst?“ flüsterte Anna nun heiser. Der Junge kniete sich hin. Er legte einen Arm um die Blondine, beugte sich hinunter, um ihr Gesicht zu sehen. Stille Tränen kullerten über ihre Wangen. 'Denkst du, ich nutze dich aus?' hatte Akira sie mal gefragt. Nach dieser Aktion konnte Anna wohl kaum etwas anderes denken, oder? Anna wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen. Shiros warme, raue Hand streichelte beruhigend über ihren Rücken. „Ich dachte für eine Zeit, dass es wegen dem Kuss war.“ seufzte er leise. Anna spürte sofort, dass er sich schuldig fühlte. Auch sie legte ihren Arm um den Jungen, der nun sehr viel größer erschien, als sie selbst. „Selbst wenn, wärst du es mir wert. Und wenn du der einzige wärst, den ich jemals lieben würde, würde es mir nichts ausmachen.“ weinte das Mädchen leise. Dafür gewann sie Shiros Umarmung. „Du brauchst einen richtigen Mann, Mama. Ich reiche leider nicht.“ seufzte er in ihr Ohr. Anna zerbrach unter diesen Worten. Wie würde sie jemanden finden, wenn ihre Kräfte schwinden? Würde sie ein normales Leben mit normalen Menschen führen würden? „Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll...“ Und in diesem Moment wurde Anna erneut, wie so unzählige Male, schmerzhaft bewusst, dass der einzige, der sie gerade wirklich trösten könnte, nicht mehr bei ihr war. „Wo ist er… Wo ist Adam...“ heulte das Mädchen erstickt und vergrub ihr Gesicht in ihren Knien. Shiro antwortete nicht. Seine Hand fuhr über den kleinen, blonden, bebenden Kopf und tat das für eine sehr lange Zeit. Als Anna endlich angezogen war und die beiden Richtung Festsaal zum Essen liefen, bemerkte sie, wie groß Shiro eigentlich geworden war. In den zwei Tagen, in denen sie ausgeknockt gewesen war, hatte der Junge es geschafft einen Kopf größer zu werden als seine Mutter. Er wirkte überhaupt nicht mehr wie ihr kleiner Junge – er hatte die Ausstrahlung eines Erwachsenen, wirkte nun sogar älter als sie. „Wieso bist du eigentlich so in die Höhe geschossen?“ wollte die Königin wissen, als es ihr auffiel. „Jedes Mal, wenn du mich küsst, krieg' ich einen Teil deiner Kraft. Ich dachte du wüsstest das.“ brummte der Wolf. „Deswegen habe ich ja auch gedacht, dass es meine Schuld ist, dass dein Tattoo jetzt so...“ „Schon okay.“ unterbrach ihn Anna hastig. „Ich glaube nicht, dass es daran liegt.“ Sie hatte Shiro oft genug geküsst, auch wenn nicht auf die Lippen, ohne dass ihr Tattoo geschrumpft war. Es war trotzdem stetig weiter gewachsen. Die Gänge füllten sich allmählich mit Leuten, angenehmer Luft und Gesprächen. Langsam hörte man auch die Musik und das Klatschen der Affen aus dem Festsaal. Die Türen waren weit geöffnet und Shiro führte Anna zu einem Platz abseits ihrer Heiratskandidaten. „Danke.“ sagte Anna und war wirklich dankbar dafür, die Gesichter der fünf im Moment nicht zu sehen. „Gibt es schon was Neues von Toki?“ fragte sie ihren Sohn und nahm sich einen der Baozi. Shiro schüttelte den Kopf. „Ich war die ganze Zeit bei dir, ich weiß es nicht.“ Anna blickte sich um, vielleicht war er ja schon aufgewacht. Sie sah die Affen, die Zwillinge, die ihr freudig zuwunken und erstaunlich gewachsen waren, sah Mirai wie er mit Akira ein Armdrücken veranstaltete, einen tuschelnden Ren und einen zuhörenden Liam, aber keinen Kai. Ein paar Wölfe liefen herum und schnupperten am Essen. „Habt ihr euch hier mittlerweile eingelebt?“ fragte Anna nun neugierig. Sie hatte ganz vergessen, dass die Wölfe zum Teil hier arbeiten mussten. Shiro nickte erneut und griff sich ein Stück Fleisch. „Gab anfänglich ein paar Zickenkriege, aber jetzt geht’s...“ murmelte er zwischen den Bissen. Er erinnerte sie in diesem Moment merkwürdig an Tristan. „Abgeregt?“ flüsterte eine Stimme in Annas Ohr und das Mädchen zuckte zusammen. Kai ließ sich neben ihr sinken und betrachtete die Speisen. Anna nickte nur und schaufelte sich weiterhin Essen in den Magen. „Du solltest nicht sauer auf die anderen sein.“ redete der Vampir weiter und begann endlich, nach einer der Speisen zu greifen. „Sie machen sich nur Sorgen.“ „Ich dachte, Akira bringt mich um.“ schnauzte Anna gehässig. Bei diesem Thema verflog ihr langsam der Appetit. „Dachte ich auch.“ gab Kai schmunzelnd hinzu. „Deswegen bin ich ja dazwischen gegangen.“ Annas Herz machte einen Hüpfer. In diesem Moment hatte Kai sie wirklich beschützt. Aber war sie überhaupt in einer lebensgefährlichen Situation gewesen? Ihr Blick schwenkte rüber zu Akira, der immer noch versuchte, Mirais Arm runter zu drücken. Er schien so lebendig und fröhlich zu sein, wie Anna es von ihm kannte. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Was, wenn sie nicht mehr gut genug war? Würde Akira wirklich einfach gehen? Kai musterte das Mädchen, seufzte und fuhr mit seinen Fingern durch ihren Pony. „Denk' nicht daran.“ säuselte er leise. „Woran?“ fragte Anna und versuchte, so gut wie möglich, nicht so zu klingen, als wüsste sie, was er meinte. „Egal woran du gerade gedacht hast. Jede Nacht plagst du dich mit deinen Sorgen herum, du musst nicht alles alleine schultern, weißt du.“ „Müsste ich nicht, wäre Adam noch hier.“ knirschte Anna leise und biss auf ihren Stäbchen herum. Auch dieses Thema schlug ihr heftig auf den Magen. „Egal, was dein Bruder für dich getan hat, ich kann's auch.“ seufzte Kai, ließ Annas Stirn in Ruhe und wandte sich wieder seinem Gericht zu. Shiro schnaubte kurz höhnisch und fing sich dafür einen bösen Blick von dem Vampir ein. Und dann begannen sie zu streiten. „Du glaubst also nicht, dass ich mich um Anna kümmern kann?“ fauchte der Vampir. „Ich glaube nicht, dass du ihr Bruder sein willst.“ lachte Shiro gehässig und das Lachen erinnerte Anna erschreckend an Silvers. „Will ich auch nicht. Ich sag' nur, dass ich längst das kann, was ein Shiki tut, wenn nicht sogar noch mehr.“ „Du weißt doch überhaupt nicht, was ein Shiki tut.“ bellte Shiro nun. Wieso regte er sich so auf? Anna blickte verwundert zu dem weißhaarigen Wolfsjungen. „Außerdem war Adam nicht nur ein Shiki, er ist ihr Bruder, ihre Familie.“ Shiro war aufgestanden. Auch Kai erhob sich. „Sie kann eine neue Familie kriegen.“ gab er kühn zu, bereit zu kämpfen. „Sie hat eine Familie, die sie braucht und liebt.“ schnauzte Shiro. Er war überhaupt nicht mehr gelassen, geschweige denn emotionslos. „Oh, und das bist du?“ wollte Kai nun wissen und schmiss seine Stäbchen auf den Tisch. „Verdammt richtig. Und ihre Mutter. Und Adam.“ erwiderte Shiro. Sein angriffslustiges Grinsen entblößte die scharfen, blitzweißen Reisszähne. Dennoch wurde Anna leicht rot als er das einfach so sagte. „Was'n hier los?“ fragte Akiras altbekannte, lockere Stimme. Anna verharrte in ihrer Position, wie ein Reh, das von Scheinwerfern erfasst wurde. Sie wollte nur in Ruhe essen, wieso ging das nicht? Sie spürte, wie sich für eine Sekunde Akiras Augen in ihren Nacken bohrten, dann aber zu Shiro und Kai schwenkte. „Wenn ihr euch prügeln wollt, tut es draußen.“ schnauzte der Rotschopf erschöpft. „Oh, das hat dich vorhin aber nicht abgehalten oder?“ fragte Kai nun kess und wandte sich Akira zu. „Ich weiß nicht, das Gefühl dich zu erwürgen hat mir erstaunlich gut gefallen. Willst du es noch mal versuchen?“ Akiras Lächeln wandelte sich wieder zu dem eines kaltblütigen Mörders. Shiro stampfte mit dem Fuß auf den Boden. „Habt ihr überhaupt keinen Anstand?“ wollte er nun wissen. „Sich so vor Anna zu verhalten… Vor allem du, Akira.“ Hass schwang in seiner Stimme mit. „Dass du dich nicht schämst...“ „Ich? Mich schämen?“ wollte Akira nun wissen, drückte Kai beiseite und ging ein paar Schritte auf Shiro zu. „Guck dich an. Erwachsen wie du bist, gehst du immer noch mit Anna baden und machst weiß Gott was mit ihr. Und du bist seit dem merkwürdig gewachsen, oder? Was hat sie getan? Hat sie dich geküsst? Und dann soll ICH mich schämen?“ Er wurde immer lauter. Immer wütender. „Ich...“ Shiro lief knallrot an. Anna wusste sofort, dass er immer noch die mentale Reife eines Kindes hatte, auch wenn er im Körper eines Erwachsenen steckte. Das Mädchen erhob sich und drehte sich um, um an den drei Streitenden vorbei zu sehen und die Affen-Zwillinge zu sich zu rufen. „Bringt mir das Essen bitte aufs Zimmer.“ Sie trug ein Lächeln auf den Lippen und die zwei kleinen, die es mittlerweile auch schafften, sich eine menschliche Form zuzulegen, grinsten bis über beide Ohren. Hastig begannen sie, leere Teller mit Speisen zu füllen. Dann wandte sich Anna den Streithähnen zu. „Ihr verhaltet euch wie kleine Kinder.“ Das Lächeln verblasste. Anna blickte Shiro an: „Du kannst aufhören, dich für mich aufzuregen. Ich habe keine Lust, dass du dich wegen sowas mit jemandem prügelst.“ Sie erinnerte sich an die Worte, die ihre Mutter mal in so einem ernsten Tonfall an sie gerichtet hatte. Dann wandte sie sich Akira zu: „Du hast kein Recht, zu erfahren, wen ich küsse oder nicht. Vor allem nicht nach dem, was du getan hast.“ Und zu guter Letzt, Kai: „Ich finde es schön, dass du dich so für mich einsetzt, aber wenn du meine Familie angreifst, sind wir keine Freunde mehr.“ Es war einfach, das alles zu sagen. Anna musste nicht einmal mehr wütend werden. Sie hatte nur essen wollen, ihre Zeit in Ruhe und Frieden mit ihren geliebten Freunden und Familienmitgliedern verbringen können. Doch das ging nicht. Der Königin war nicht klar, wieso. Was hatte sich geändert? Eigentlich hatten sich doch alle gut miteinander verstanden oder? Oder war es nur wegen dieser Blume? Wegen ihrem Tattoo? Kaum wurde etwas an der Kraft in ihr anders, schon wandten sich alle von ihr ab und dem Kampf zu? „Du verstehst nicht, Anna...“ fing Akira an. Jegliche Boshaftigkeit war seiner Stimme gewichen. Auch Kai begann, Anna aufhalten zu wollen. Shiro schien nicht einmal Worte zu finden. Ohne ein weiteres Wort begann das Mädchen, Richtung Ausgang zu laufen, gefolgt von zwei kleinen Affenmenschen. Shiro traute sich nicht, Anna hinterher zu gehen. Als hätte sie ihm das Herz gebrochen fiel er auf seinen Po und starrte, den Tränen nahe, auf seine Füße. Auch Akira und Kai setzten sich seufzend und deprimiert wieder hin. Alle wollten dem anderen die Schuld geben, aber niemand sagte es, weil sie genau wussten, dass auch sie Schuld an Annas Gehen hatten. Akira seufzte genervt, griff sich eine Flasche Bier und stand auf, um ebenfalls zu gehen. Der nächste war Kai. Und zurück blieb Shiro, immer noch mit Tränen kämpfend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)