Zwei Leben von Yamasha (Oder aber auch: Ein Campingunfall mit Folgen) ================================================================================ Kapitel 1: Der letzte Familienurlaub ------------------------------------ Zirka 1 Jahr davor: „Nat, Mädchen, kommst du? Wir wollen los!“ „Ja Mum, sofort! Ich hab meine neuen Kopfhörer noch nicht gefunden!“ Hektisch sah ich mich in meinem Zimmer um. Es herrschte, wie ich es gerne ausdrückte, ein „geordnetes Chaos“. Für meine Mutter war es allerdings pures Chaos. Normalerweise wusste ich immer, wo meine Sachen ungefähr lagen und konnte sie dann schnell finden, doch bei meinen neuen Kopfhörern war das diesmal nicht der Fall. „Wenn du nicht in 30 Sekunden unten bist, fahren wir ohne dich!“ Das war mein Vater. Und der machte seine Drohungen wahr. „Ach, scheiß drauf!“, dachte ich mir und sprintete runter. Ich kam noch rechtzeitig und setzte mich hinter meine Mutter auf die Rückbank unseres dunkelgrünen Kombis. Meine Mum blinzelte mir zu. Sie hieß Sarah und war eine der fröhlichsten Personen, die ich kannte. Ihre schulterlangen, schwarzen Haare wiesen trotz ihrer 43 Jahre und den kleinen Kindern, mit denen sie sich tagtäglich im Kindergarten beschäftigte, noch keine Spur von grau auf. Neben ihr, auf dem Fahrersitz, stieg gerade mein Vater ein, Xavier. Er war das Gegenteil von meiner Mutter: groß, kräftig-muskulös gebaut, seine dunkelblonden Haare waren an den Schläfen schon leicht ergraut und meistens war er sehr ernst, was nicht gerade zu einer fröhlichen Persönlichkeit beitrug. Manchmal fragte ich mich, wieso die beiden zusammenkamen und wieso sie immer noch zusammen sind. Aber wie heißt es so schön? Gegensätze ziehen sich an. Neben mir saß mein großer Bruder Andy. Und groß meine ich in zweierlei Hinsicht: zum einen war er 19 und damit zwei Jahre älter als ich und zum anderen war er 1,90 Meter groß und damit sogar noch zwei Zentimeter größer als mein Vater. Seine Haarfarbe hatte er von unserem Vater, seinen Charakter aber glücklicherweise von unserer Mutter geerbt. Außerdem hatte er den Drang mich ständig zu beschützen, was aber glücklicherweise nicht überhand nahm. Ansonsten zeigte er mir allerdings selten, wie gern er mich hatte, was ich ihm aber nicht weiter übel nahm. Es war sein letzter Familienurlaub mit uns, bevor er im Herbst auf die Uni ging. Ich wusste jetzt schon, dass er mir schrecklich fehlen würde. Im Moment jedoch blinzelte er mir zu und grinste:“Meinst du diese Kopfhörer, die du nicht finden konntest?“ Dabei zeigte er auf meinen offenen Rucksack, der zwischen uns stand. Und tatsächlich, da waren meine neuen Kopfhörer, lagen ganz unschuldig oben auf meinem Buch. Ich hatte wohl in meiner Verpeiltheit vergessen, dass ich sie schon eingepackt hatte. Ich schlug mir mit der flachen Hand an die Stirn. „Ja, genau, die hab ich gesucht“ „Na, dann ist die Fahrt ja jetzt gerettet“, lächelte er, bevor er seinen Blick wieder auf seinen Smartphone richtete. Dabei wurde sein Grinsen noch breiter und ein bisschen wehmütig. Anscheinend schrieb er mit seiner Freundin. „Grüß Anabell von mir“, sagte ich, bevor ich mir meine Kopfhörer in die Ohren steckte. Ein Nicken signalisierte mir, dass er mich gehört hatte. Etliche (also ungefähr 7) Stunden später waren wir am Dock unserer Fähre angelangt. Es war nur eine kleine Fähre mit Platz für vielleicht drei Autos und sie würde uns auf eine der unzähligen kleinen Inseln vor der Küste bringen. Dort gab es einen kleinen Campingplatz, der nur Insidern bekannt war. Dieser besaß zwar ein Sanitärgebäude, aber das Wasser in den Duschen blieb meistens kalt und die Toiletten waren nur Trockenklos. Damit war es auch nicht jedermanns Sache, doch ich liebte diesen Campingplatz, seit wir vor drei Jahren das erste Mal hier Urlaub gemacht hatten. Meine Freundinnen verstanden mich nicht und schüttelten meistens nur den Kopf, wenn ich von diesem Platz schwärmte. Sie waren der Natur nicht unbedingt abgeneigt, doch ein paar Annehmlichkeiten der Zivilisation brauchten sie schon. Die (fast) pure Wildnis überforderte sie. Die Überfahrt dauerte eine ganze Stunde. Ich stand die ganze Zeit an Deck, schaute auf unser Ziel und ließ die Vorfreude immer größer werden. Ich liebte die Natur, vor allem die unberührte, wilde. Das hatten alle aus unserer Familie gemeinsam, weshalb die Wahl für unseren letzten gemeinsamen Familienurlaub auch auf diesen Campingplatz gefallen war. Kurz vor Ende der Fahrt ging ich zu unserem Kombi, auf dessen Dach unsere beiden Kanus festgebunden waren. Als ich einstieg, saß Andy schon auf seinem Platz. Er sah nicht so begeistert aus. „Hey Brüderchen, was ist denn los?“, fragte ich, auch wenn ich mir die Antwort bereits denken konnte. „Was soll denn los sein? Zwei Wochen kein Internet, wahrscheinlich noch nicht mal normaler Handyempfang. Ergo: ganze zwei Wochen kein Kontakt zu Anabell! Das ist der pure Horror!“ Bingo! Meine Vermutung hatte sich bestätigt. „Dafür ziehst du nach dem Urlaub doch mit ihr zusammen, oder nicht?“, versuchte ich meinen großen Bruder aufzuheitern. „Ja, schon. Aber trotzdem! Es ist schlimm, für zwei Wochen mit deiner Freundin keinen Kontakt haben zu können. Aber du verstehst das nicht. Du hattest ja noch nie einen Freund“, maulte er niedergeschlagen. Wo er recht hat, hat er recht. Aber wenn ich ihn mir so ansah, wollte ich das auch gar nicht. Ich ließ mir nicht so gerne meinen Urlaub versauen. „Nimm's nicht so schwer, Andy. Später bist du um jede Minute froh, die du Ruhe vor deinem Partner hast. Nicht wahr, Xavier?“, mischte sich meine Mutter jetzt auch in das Gespräch ein. Von meinem Vater kam nur ein Brummen, welches sowohl Zustimmung als auch Ablehnung bedeuten konnte. In solche Gespräche mischte er sich generell nicht ein. Mein Bruder seufzte nur resigniert. Man sah ihm an, dass er unserer Mutter nicht zustimmte. Aber anstatt sich auf eine Diskussion einzulassen, die er sowieso nicht gewinnen konnte, schaute er aus dem Fenster. Ich tat es ihm gleich und ließ es zusätzlich noch runter. Vor, beziehungsweise überall um uns herum, erstreckte sich ein Wald, ein Urwald. Große, mächtige Bäume, meistens Nadelbäume, standen dicht am Weg, der einzigen Spur menschlicher Zivilisation. Wobei er auch nur aus zwei parallelen Fahrrinnen bestand. Befestigt war er in keinster Weise, er glich eher einem Feldweg. Nach nochmal gut einer Stunde Fahrt erreichten wir den Campingplatz. So wie's aussah hatten wir noch drei Nachbarn, deren Autos neben dem Sanitärgebäude standen. Von ihnen selbst war nichts zu sehen, sie waren wahrscheinlich irgendwo unterwegs, wandern oder Kanu fahren zum Beispiel. Von den letzten zwei Malen die wir hier gewesen waren, hatten wir uns einen Lieblingsplatz auserkoren und stellten erfreut fest, dass er noch frei war. Er lag abgeschieden am Waldrand, war durch brusthoch wachsende Büsche vom Trampelpfad abgeschirmt und gerade groß genug für uns. Das Auto mussten wir allerdings, wie alle anderen auch, neben dem Sanitärgebäude abstellen. Also stellte mein Vater das Auto ab, wir stiegen aus, nahmen die Zelte aus dem Kofferraum und machten uns direkt daran, sie aufzustellen. Wir hatten zwei 3-Personen-Zelte. Das eine teilten sich meine Eltern, das andere Andy und ich. Da wir sehr viel zelteten, ging der Aufbau sehr schnell. Während meine Mutter danach auf unserem kleinen Gascampingkocher Wasser für Tee und Kaffee heiß machte, stellte mein Vater den kleinen Pavillon auf, den wir immer mit hatten, wenn wir länger als zwei Nächte an einem Ort bleiben. Er bot gerade mal Platz für unseren kleinen Tisch und die vier Stühle. Mehr brauchten wir nicht. Andy und ich holten derweil die Kanus vom Dach unseres Kombis und legten sie neben die Zelte auf den Boden. Nachdem das geschafft war, setzten wir uns in den, im Moment noch nach allen Seiten offenen, Pavillon, tranken Tee und Kaffee und freuten uns, endlich im Urlaub und mitten in der Natur zu sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)