Zwei Leben von Yamasha (Oder aber auch: Ein Campingunfall mit Folgen) ================================================================================ Kapitel 2: Der Kanuausflug -------------------------- Die Hälfte unseres Urlaubs war schon vorbei. Andy hatte seinen Liebeskummer glücklicherweise bereits nach zwei Tagen überwunden, mein Vater taute allmählich auf, was man an seiner zunehmenden Fröhlichkeit merkte, auch wenn er immer noch nicht viele Worte machte, meine Mum entspannte mit jedem Tag mehr und auch ich konnte mich mittlerweile vernünftig mit unseren Nachbarn unterhalten, nachdem ich anfangs vor lauter Schüchternheit nur einsilbige Antworten gegeben hatte. Insgesamt waren es drei: ein junges Hippie-Pärchen, welches mit einem anderen Nachbarn, einem zirka 40-jährigen Unternehmer, regelmäßig über ihre unterschiedlichen Weltansichten diskutierte und ein Paar mittleren Alters in seinen Flitterwochen. Das Wetter war bis jetzt wirklich perfekt gewesen, zumindest tagsüber, weder zu heiß, noch zu kalt. Nachts hatte es ab und zu mal geregnet, sodass wir morgens nach unserem ersten Toilettengang schlammige Schuhe hatten. Das war im Laufe des Tages aber immer wieder verschwunden. Meistens gingen wir wandern, hatten alles Fußläufige erkundet. Heute wollten wir zu unserem mehrtägigen Ausflug starten. Unsere Kanus waren zwar für mehr als zwei Personen ausgelegt, doch um Streitigkeiten zu vermeiden und um genug Platz für Gepäck zu haben, fuhren immer nur zwei Leute zusammen. Die Aufteilung war allerdings nicht die gleiche wie bei den Zelten. Wir hatten nämlich schon bei einer unserer ersten Touren überhaupt (also vor ganz ganz vielen Jahren) festgestellt, dass die besten Kombis Andy mit meiner Mum und ich mit meinem Vater waren. Ich brauchte Ruhe während ich fuhr, wobei Andy und meine Mum beim Kanufahren unbedingt reden mussten. Wir standen also ganz früh auf, frühstückten und verstauten die Sachen im Kanu. Jedes Boot bekam zwei Schlafsäcke, zwei Planen und Essen mit. Für den Fall, dass wir uns verloren, was noch nie vorgekommen war, konnte also jeder überleben. Gegen halb neun ging es los. In unserem Kanu steuerte mein Vater, im anderen saß Andy hinten. Wir fuhren einen Fluss entlang, welcher irgendwo unter der Erde entsprang und an der Stelle, an der er an die Oberfläche trat, breit und tief genug zum Befahren war. Die Bäume standen bis ans Ufer, doch nur selten ragte ein Ast übers Wasser. Außerdem bildeten sie eine so dichte Krone, dass viel Unterholz verhindert wurde und auch auf den Flusslauf selbst fiel wenig Sonnenlicht. Man konnte bis auf den Grund sehen und durch Spiegelungen des Ufers wirkte es sehr geheimnisvoll. Mein Vater und ich blieben hinter den beiden anderen und konnten so nur wenig von deren Unterhaltung aufschnappen, was uns beide aber nicht sonderlich störte. Aus den wenigen Gesprächsfetzen, die wir trotzdem mitbekamen, gingen ganz unterschiedliche Themen hervor: manchmal Andys Beziehung zu Anabell, mal sein Studium und dann wiederum Mums Arbeit und ihre schreckliche Chefin. Um die Mittagszeit war es schwer, einen Rastplatz zu finden, das Ufer war steil und es gab keine Inseln. Am Ende legten wir uns aneinander, ließen uns in der geringen Strömung treiben und aßen die belegten Brote, die Mum uns gemacht hatte. Zum Abend hin wurde das Ufer glücklicherweise flacher und wir fanden einen Platz zum Übernachten. Er war ein bisschen größer als unser Platz auf dem Campingplatz und wurde anscheinend öfter von Kanufahrern benutzt, da es eine mit schweren Steinen umrandete Feuerstelle gab, jedoch ohne Sitzgelegenheiten. Die Planen waren schnell aufgespannt und wir setzten uns auf den Baumstamm, den mein Vater und Andy gefunden und hierher geschleppt hatten. Ausnahmsweise sagten weder Andy noch meine Mum etwas, sodass es eine sehr stille Mahlzeit wurde, nur begleitet durch die Geräusche des Waldes. Feuer konnten wir leider keins machen, da es in letzter Zeit sehr trocken gewesen war und die Waldbrandgefahr damit zu hoch. Als die Sterne schon am Himmel standen, legten wir uns schlafen. Als wir in unseren Schlafsäcken lagen, stupste Andy mich leicht an: „Sag mal, Nat, wie hältst du es eigentlich aus, tagsüber so wenig zu sagen? Ich könnte das nicht.“ „Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht genau. Ich habe halt nicht das Bedürfnis, so viel zu sprechen. Ich denke, dass Sprechen vom Wahrnehmen abhält, weißt du?“, antwortete ich, ein bisschen überrascht über seine Frage. „Aber was machst du dann? Mit irgendwas musst du dich doch beschäftigen“, meinte Andy ein bisschen ratlos. „Ich beobachte. Wie sich das Ufer verändert, zum Beispiel. Manchmal sehe ich auch Hirsche, die euer Geplapper noch nicht vertrieben hat“, erwiderte ich. Mein großer Bruder brummelte nur. Er war noch nie ein großer Beobachter gewesen, er redete mehr. Darin unterschieden wir uns wie Tag und Nacht. Jetzt drehte er sich aber nur um, wünschte mir eine gute Nacht und damit war alles gut. Was ich ihm allerdings nicht anvertraut hatte, war, dass ich auch viel tagträumte. Meistens sah man mir das auch gar nicht an, aber ich träumte mich oft in meine eigenen Welten. Häufig stellte ich mir einfach vor, wie ich mein Leben ändern könnte, wenn ich nur nicht so schrecklich schüchtern wäre. Ab und zu träumte ich aber auch von einem Leben im Wald, eins mitten in der Natur, völlig unabhängig von anderen und frei von Erwartungen. Nicht, dass ich unter großem Druck vonseiten meiner Eltern stand, aber ich wollte sie auch nicht enttäuschen. All diese Tagträume behielt ich aber grundsätzlich für mich. Noch nicht mal meiner besten Freundin Kim erzählte ich davon. Sie waren mein kleines Geheimnis. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)