Magisches Erbe von minty-chan ================================================================================ Kapitel 3: ----------- An der Seite des Kronprinzen, des verwitweten Mannes meiner Cara schritt ich durch die Flure des Palastes. Jeder, der uns sah verharrte in seiner Bewegung und starrte uns unverhohlen an. Nichts anderes hatte ich erwartet. Seit Caras Zustand schlechter geworden war, war man mir Tag für Tag feindseliger begegnet. „Leecher“ zischte es aus irgendeiner Ecke. Ein Wort. Eine Lüge, aber es traf mich so hart, das ich fast stolperte. „Weichen Sie nicht von meiner Seite.“ Arvid spannte den Arm, an dem ich mich festhielt an. Er war meine einzige Chance und offensichtlich hatte er mein Friedensangebot angenommen. Wieder schlich sich Röte auf meine Wangen. Ich musste Arvid davon überzeugen, dass ich nicht der Leecher war, mehr noch, dass ich sogar die Einzige war, die Elliot davor beschützen konnte. Ich hatte nur immer noch nicht die leiseste Ahnung, wie ich das tun sollte, ohne ihm zu enthüllen, dass ich einer der gehassten Bastarde war. Ein Kind ohne besondere Abstammung, das trotzdem im Besitz der Gaben war, die eigentlich nur Königshäusern vorbehalten war. Wie sollte ich ihm erklären, dass es das war, was Cara in mir gesehen hatte? Die Tore zum großen Saal wurden von Männern der königlichen Garde bewacht. Es war nur den besten und ehrenhaftesten Kriegern im Land gestattet, dieser Garde beizutreten. Doch egal wie außergewöhnlich diese Männer sein mochten, keiner der beiden konnte sich einen giftigen Seitenblick auf mich ersparen, als sie uns die Tür öffneten. Es waren noch keine Gäste von Außerhalb zugelassen worden, wahrscheinlich waren sie noch auf dem Weg von der Kapelle zum Palast zurück. Nur der König stand mit einem weiteren Mann am Sarg meiner geliebten Cara. Ich drückte Arvids Arm kurz, um ihm zu versichern, dass ich es überstehen würde. So lange ich meine Gedanken auf Elliot fokussieren konnte, würde ich alles überstehen. Der König und seine Begleitung drehten sich zu uns um. Beide waren in einem ähnlichen Alter, aber der mir unbekannte Mann hatte ein sehr viel freundlicheres Gesicht. Seit meiner Ankunft hatten der Monarch und ich kein einziges Gespräch geführt – warum hätten wir das auch tun sollen? Er hatte auch Cara nicht willkommen geheißen. Für ihn war eine Ehe nichts Besonderes. Es waren keine zwei Jahre seit dem Tod seiner letzten Frau vergangen und er hatte schon seit einiger Zeit wieder Verhandlungen laufen. Vielleicht sollte eine exotische Schönheit aus einem Land, dessen Namen ich mir nicht gemerkt hatte, seine nächste Frau werden. Was sie ihm wohl für politische Vorteile verschaffte? Er nickte seinem Sohn zu, dann ging er wortlos. Kaum, das er außer Hörweite war, taute der steife Prinz an meiner Seite auf. Er entließ mich aus seinem höflichen Geleit und trat an den anderen Mann heran. „Ulfrik! Du hast meine Briefe bekommen.“ Fast freundschaftlich war diese Begrüßung. Ungewohnt für die Verhältnisse  bei Hofe. Ich hörte die Schritte hinter mir und wusste sofort, zu wem sie gehörten. Einar. Er überragte mich bei weitem und er nutze diesen Umstand sehr geschickt. Sein Schatten fiel auf mich und es gelang mir nur schlecht, sein Gesicht bei dem Gegenlicht zu sehen. „Was hast du hier verloren, Leecher?“ Es kostete mich alle Kraft, nicht zusammenzuzucken. „Prinz Arvid hat mich…“ Grob packte er mich am Arm und zog mich beiseite. Ich zählte langsam bis 10. Eine Technik, die mir Cara beigebracht hatte, um nicht unbeabsichtigt meine Kräfte zu entfesseln. „Nein, Leecher. Ich meine, was du hier noch willst?! Du hast erfolgreich einen Frieden zwischen unseren Ländern verhindert. Das war doch deine Absicht. Also warum bist du nicht unauffällig verschwunden?“ Ich versuchte erneut zu zählen, aber ich spürte schon das Sirren in der Luft. Einar lehnte sich zu mir runter. Eine Locke löste sich aus seinem strengen Zopf und strich meine Wange, die, die nicht vom Schleier bedeckt war. Endlich schlug ich die Augen auf, mit aller Kraft die Funken, die ich in meinen Fingern spürte, zurück drängend. Er suchte eine Spur von Angst in meinem Gesicht. Natürlich hatte er mein Verhalten falsch gedeutet. Ebenso leise wie er, begann ich meine Antwort zu zischen. „Ich habe der verstorbenen Königin geschworen ihrem Sohn zu sein, was ich ihr war.“ Ich wusste, dass er das Funkeln in meinen Augen bemerken würde, wenn er genau hin sehen würde – Schleier hin oder her. Doch es war mir egal. Ich hatte meinen Fokus so auf Einar gerichtet, dass ich nicht mitbekommen hatte, wie sich Arvid und der ältere Mann uns genährt hatten. Sanft strich Arvid über meinen Arm. Bei jedem anderen hätte dieser Schreck dazu geführt, dass ich losgelassen hätte und die Energie sich unkontrolliert einen Weg aus mir heraus gesucht hätte, aber Arvid – er nutze seine Gabe und die Anspannung verebbte sofort. Auch Einar korrigierte sofort seine Haltung. „Meister Ulfrik.“ begrüßte er den mir unbekannten Mann. Er war groß und eindrucksvoll, obwohl sein Gesicht warm und freundlich war. Er nickte Einar zu, dann wand er sich an mich. „Ihr müsst Lady Ariel sein.“ Er hielt mir seinen Arm hin und nickte mir zu. Auch Arvid nickte. Zögernd ließ ich mich von Ulfrik begleiten. Sein Ziel war der Sarg. Als er seine Hand auf meine legte, war es anders als bei Arvid. Ich spürte das Mitgefühl und sah, dass der Mann ebenfalls eine Träne im Augenwinkel hatte. Dabei hatte er Cara überhaupt nicht gekannt. „Ich bin der Bruder des Königs.“ erklärte Meister Ulfrik mit ruhiger Stimme. „Meine Gabe ist es, die Gefühle meiner Gesprächspartner mit zu empfinden.“ Es versetzte mir einen Stich, dass dieser Mann wissen konnte, was ich fühlte. Am liebsten wäre ich davon gerannt, aber wahrscheinlich wusste er auch das. Er nickte. „Prinz Arvid hat mich schon vor einigen Monaten gebeten zu kommen. Es betrübt mich, dass ich es erst so spät geschafft habe.“ Seine Augen waren irgendwo in die Ferne gerichtet. „Darf ich euch mit meiner Absicht jetzt schon überfallen, Lady Ariel? Geduld ist in solchen Zeiten wahrlich nicht angebracht.“ Verwirrt sah ich zu ihm hoch. „Ich trage keinen Titel, Lord Ulfrik.“ Er zog einen Mundwinkel hoch. „Auch ich verzichte auf jeden Adelstitel. Wenn es euch Unbehagen  bereitet, mich nur Ulfrik zu nennen, dann könnt ihr es Einar gleich tun. Meister Ulfrik nennen mich auch meine Lehrlinge im Kloster.“ Ich hatte Gerüchte gehört, dass es mal einen König in diesem Land gegeben hatte, der auf seine Krone verzichtet hatte, um dem Ruf eines unbekannten Gottes zu folgen. Konnte Ulfrik dieser König sein? „Ariel.“ Wir drehten uns zu einander, anstatt nur dümmlich in dieselbe Richtung zu starren. „Diese Ehe zwischen eurer Cara und Arvid – sie war alles, was diesen wackligen Waffenstillstand am Leben erhalten hat.“ Ich nickte. Es waren dieselben Worte, die Cara mir immer und immer wieder erzählt hatte. „Vielleicht wird Elliot eines Tages in der Lage sein, die Königreiche friedlich zu vereinen.“ Ich nickte erneut. Wieder etwas, das Cara mir bereits eingebläut hatte. Als die Schwangerschaft anfing sie zu verzehren – zumindest dachte ich damals noch, dass es nur die Schwangerschaft war- hatte sie mich verflucht, als ich sie angefleht hatte, das Kind nicht zu bekommen. Ohne dieses Kind, so hatte sie mich angeschrien, würde der Krieg schlimmer denn je aufflammen. Ich hatte dem nichts entgegenzusetzen. Der Krieg musste enden. Kaum jemand wusste das so gut wie ich. „Elliot ist jetzt aber auch der einzige Erbe des Throns der Sommerauen.“ Das Erstaunen stand mir ins Gesicht geschrieben. Ich kannte das Königshaus der Sommerauen. Und zu meinem Bedauern auch all die kleinen Zweigfamilien, die schon seit Generationen alles taten, um den Thron für sich zu beanspruchen. Panik kroch in mir hoch. Das Korsett nahm mir fast das letzte bisschen Atemluft. Ich musste sofort zu Elliot. Diese Aasgeier würden nicht einmal davor zurück schrecken, ein Neugeborenes zu töten. Ulfrik legte seine große Hand auf meine Schulter. „Ich habe schon meine Vertrauten zu ihm geschickt.“ Er wartete, bis ich mich beruhigt hatte, dann legte er mir auch noch die andere Hand auf die freie Schulter und beugte sich zu mir. „Ariel. Was ich euch anbiete, ist so von Arvid und dem König abgesegnet. Alles was ich brauche, ist eure Zustimmung.“ Seine Augen waren nicht stechend blau, wie ich es vom Wintervolk gewöhnt war. Sie hatten etwas Frisches, Grünes in dem Meerblau. „Was ist euer Angebot, Meister?“ Die Idee, die er, der König und Kronprinz Arvid ausgearbeitet hatten, konnte tatsächlich mein Interesse gewinnen, also lauschte ich Meister Ulfriks Ausführungen aufmerksam. „Um Elliot vor dem unausweichlichen Krieg zu bewahren und ihn vor den Augen seiner Feinde zu verstecken, gibt es keinen besseren Ort als meinen Tempel. Bevor die Götter mich zu sich riefen, standen die alten Hallen viele Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte leer. Sie sind nicht auf den Karten verzeichnet und nur wenige finden je ihren Weg hinauf in die kälteste und unwirtlichste Schlucht der Wintergipfel.“ Schweigend gingen wir ein paar Schritte, ohne Ziel, schlicht um die Gedanken zu ordnen. Am anderen Ende des Raumes sah ich Arvid und Einar streiten. Arvid war jünger als sein Halbbruder. Ich konnte mich nicht erinnern, wie viele Jahre die beiden ungleichen Brüder unterschieden, aber sie da so gegenüberstehend zu sehen, ließ mich fast an ihrer Verwandtschaft zweifeln. Ich drehte mich wieder zu meinem Begleiter. „Wofür braucht ihr noch mein Einverständnis?“ Ich hatte nicht den kleinsten Anspruch auf Elliot. Alles was ich tun konnte, war nicht von seiner Seite zu weichen, egal was diese Familie mit ihm vor hatte. Ulfrik lächelte fast liebevoll. „Ihr werdet ihm sein, was ich nun wirklich nicht ersetzen kann. Nämlich Schwester und Mutter in einem.“ Wieder stand das Erstaunen in Großbuchstaben auf meinem Gesicht. „Ihr wollt das ich ihn begleite?“ Ich hatte mit Streit und Strafen und jeder Form von Widerstand gerechnet. Wie konnte dieser Mann eine ihm Fremde in der Nähe des zukünftigen Königs wollen? Alleine schon mir zu erzählen, wohin sie Elliot bringen wollten, war purer Leichtsinn gewesen. „Ich war vor wenigen Tagen noch Gefangene, weil der Verdacht bestand, ich könnte ein Leecher sein!“ Ob ich es jemals lernen würde? Meine Stimme war zu laut geworden und augenblicklich verstummte der Streit der Brüder hinter mir. Ich war mir mehr als sicher, dass sie zu uns herüber starrten. Ich dankte jedem x-beliebigen Gott, der mir gerade zuhören würde, dass der König schon gegangen war. „Zu Unrecht, nicht wahr?“ Noch immer war sein Gesicht erfüllt von Freundlichkeit. So schnell wie mein Zorn aufgeflammt war, erlosch er wieder. Wenn Meister Ulfrik fühlte, was ich fühlte, wo war dann sein Zorn? Und wieso war er sich so sicher, dass ich nicht der Leecher war? Ich sah hinüber zu Cara. Dort hinter dem dunklen Holz lag ihr kalter Körper. Sie hatte alles für ihren Sohn geopfert. Natürlich würde ich mitgehen. Als ob ich eine Wahl hatte. Schweigend nickte ich, denn meine Stimme hätte die Tränen verraten, die in mir lauerten. Der Eklat hatte sich gerade noch rechtzeitig gelegt, um nicht von den eintreffenden Gästen bemerkt zu werden - Obwohl meine Anwesenheit schon Skandal genug war. Die großen Tore wurden aufgestoßen und die Gäste traten geordnet nach ihrem Rang und ihrem Einfluss in die Halle. Zu meiner großen Überraschung waren plötzlich nicht nur Meister Ulfrik und Arvid an meiner Seite. Sogar Einar stand bei uns. Sein Blick war hart und ließ keinen Zweifel an seiner Loyalität zu seiner Familie übrig. Das Gefühl in meiner Brust hätte etwas positives sein sollen. Ich hätte mich dazugehörig und geschützt fühlen müssen, aber alles was ich spürte war die eisige Hand der Einsamkeit um mein Herz. Keiner dieser Männer stand bei mir, um mich zu beschützen. Sie alle wollten nur, dass es so aussah, als wären sie mit Arvids Entscheidung, mir diesen Abschied zu gewähren, einverstanden. Ich war es gewohnt, ungewollt und alleine in einer Menge von Menschen zu sein, die mir Böses wollten. Also richtete ich meine Röcke mit einer schnellen Handbewegung, straffte den Rücken und setzte eine entschlossene Miene auf. Dank Cara wusste ich, wer ich war, wozu ich fähig war. Und diese Schuld würde ich damit begleichen, dass ich Elliot alles war, was er brauchte. Daran würde mich keiner hindern können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)