The wrong one? von Marron (Wer kann das schon sagen?) ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Am Montagmorgen saß er im Unterricht und konnte sich überhaupt nicht konzentrieren. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie sein Stift einfach nur Kreise oder Gekrakel aufs Papier brachte, anstatt das Tafelbild abzuzeichnen. Er ärgerte sich darüber. Es war wieder genauso, wie damals, als er erkannt hatte, wie er wirklich für Johnny fühlte. Damals war er seinem besten Freund tagelang aus dem Weg gegangen. Er hatte sogar das gemeinsame Training einmal geschwänzt! Etwas, was er noch nie zuvor getan hatte! Oliver hatte ihn damals gefragt, ob etwas Gravierendes passiert sei. Nach langem Zögern hatte er sich dem Franzosen anvertraut - nicht, dass dieser ihm eine Wahl gelassen hätte. Oliver konnte sehr fordernd werden, wenn er sich Sorgen machte. Jetzt gerade sehnte er sich danach, mit jemandem sprechen zu können. Einfach seine Gedanken loszuwerden. Aber durfte er mit Oliver sprechen? Sollte er lieber schweigen? Wussten die anderen beiden eh schon Bescheid? Sein Kopf rauchte mal wieder. Er schnaubte leise und sah zu seinen Freunden. Enrico war damit beschäftigt, die Liebesbriefchen der Mädchen zu beantworten, welche sie ihm zuwarfen. Typisch, immer, wenn er dachte, niemand sehe hin, war er abgelenkt. Manchmal fragte er sich, ob Enrico nicht einfach alles dafür tat, ein Image aufrecht zu erhalten. So oberflächlich, wie er tat, war der Italiener nämlich gar nicht. Oliver hatte eine Schnute gezogen und balancierte den Stift auf der Oberlippe herum. Der Anblick war so urkomisch, dass Robert beinahe losprustete. Ein winziges Geräusch rutschte ihm trotzdem heraus. Sofort sah der Franzose zu ihm und erkannte mit Schrecken, dass er beobachtet worden war. Der Stift fiel auf den Tisch und Oliver lief rot an. "Das hast du jaetzt nicht gesehen!", zischte er kaum hörbar. Robert grinste. "Was denn gesehen?", fragte er zurück und wandte sich wieder nach vorne. Manchmal war Oliver echt witzig - besonders, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Ein Zettel flog auf seinen Tisch und er blinzelte überrascht. Es war bekannt, dass er sich an solchen Kindereien nicht beteiligte und folglich wurde sein Tisch gemieden. Jetzt doch so bedacht zu werden, brachte ihn tatsächlich dazu, den Zettel auseinander zu falten und die furchtbare Schrift zu entziffern. Du wirkst down. Sollen wir reden? Es war nicht unterschrieben, aber dies war eindeutig Johnny. Robert drehte sich um und nickte kurz. Seufzend zerknüllte er den Zettel, überlegte kurz, zog ihn dann wieder hervor und faltete ihn geglättet sorgfältig zusammen. Wieso er das tat, war selbst ihm schleierhaft. Nach der Stunde suchten er und Johnny einen fadenscheinigen Grund, um sich in eine menschenleere Ecke zu verdrücken. Johnny schob vor, zu seinem Spind zu müssen und ein Buch holen zu wolen. Wie selbstverständlich taperte der Deutsche hinterher. Davor angekommen gab Johnny den Code ein und verstaute sein Italienischbuch. Stattdessen zog er das Mathebuch heraus. Er behielt den Blick auf das Metall gerichtet. "Geht dir das zu schnell?", fragte er trocken, "Oder willst du nicht mehr?" Robert sah ihn an. Er bemerkte die fest zusammen gepressten Lippen und den leicht unsicheren Unterton. Johnny musste furchtbare Angst haben, dass Robert ihn als Freak verlassen würde. "Ich habe gesagt, ich mache nicht Schluss, oder?", erinnerte er ihn sanft. "Aber du kannst nicht erwarten, dass ich alles an einem Wochenende schlucke und zur Tagesroutine übergehe." Die Tür des Spinds knallte zu. "Schon klar." Der Deutsche zog die Augenbrauen hoch. "Gibt es ein Problem?", fragte er verdattert. So agressiv kannte er den Schotten kaum. "Nein!", fauchte Johnny und drehte ihm den Rücken zu, "Ich bin einfach mies drauf, okay?" "Warum?", fragte Robert und hielt ihn am Handgelenk fest, "Weil ich nicht wie immer bin? Hast du einfach Angst?" Der Rothaarige riss sich los. "Es sind die Tabletten, okay?", nuschelte er leise, "Ich nehm Tabletten, damit ich in den Stimmbruch komme und alles. Und die sind...einfach mit heftigen Nebenwirkungen manchmal." Robert lies ihn los. "Oh, uhm, ach so." Johnny stürmte davon und er blieb zurück, allein im Flur. Allein mit seinen Gedanken. Er fluchte beinahe lautlos. "Probleme, Jürgens?", fragte eine helle Stimme. Er wirbelte herum und entdeckte Sarah. Daselbe Mädchen, das ihn damals schon einmal auf Johnny angesprochen hatte. Eigentlich war sie ganz in Ordnung - sie betrachtete ihn und seine Freunde nicht, als wären sie Superstars. Es war erfrischend, wie normal sie mit ihenen umgehen konnte. Er grinste schief. "Eigentlich nicht." "Aber eigentlich heißt nicht Nein", konterte sie und lachte leise. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen lehnte sie sich nach vorn und kam einen Schritt auf ihn zu. Von unten blinzelte sie zu ihm herauf. Er schüttelte den Kopf. "Nein, heißt es nicht." Er drehte sich um. "Hast du auch endlich gemerkt, dass McGregor Brüste hat?", erklang es spitz. Er fror in der Bewegung ein. Sie kicherte leicht. "Das war vielleicht etwas direkt formuliert. Aber ich weiß Bescheid, er und ich waren in der fünften und sechsten Klasse zusammen. Da hat er angefangen, zu den Jungs zu gehen und nicht mehr zu den Mädchen. Die Lehrer wussten es auch alle." Jetzt drehte er sich doch um. Wie konnte sie so offen darüber reden? "Was weißt du darüber?", fragte er nach. Eigentlich wollte er nicht hinter dem Rücken seines Freundes reden, aber es tat gut, zu wissen, dass er mit jemandem reden konnte. "Ich weiß genug. Bock, in der großen Pause zu reden?" Er dachte nicht lange darüber nach, warum die Sarah, die sich sonst immer gleichgültig gegenüber Johnny verhalten hatte, auf einmal helfen wollte. Er nickte nur. "Wenn du draußen auf mich warten würdest?" Sie nickte und lief vor ihm her zurück in den Klassenraum. Dort angekommen blinzelte sie Johnny zu, der verwirrt schien, dass Robert direkt nach ihr hereinkam. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)