Schöne heile Welt von Yalda ([Directors Cut]) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Schöne heile Welt ~ Lache das Leben an! Vielleicht lacht es wieder~ Jean Paul Ein Lichtstrahl bohrte sich hartnäckig durch das kleine Fenster , gab dem engen dunklen Raum wenigstens ein kleines bisschen Helligkeit und kämpfte Tapfer gegen die trübe Dunkelheit. Was hatte ich denn erwartet? Eine Festbeleuchtung vielleicht? Mit einer einzigen, schwungvollen Bewegung stand ich von meinem quietschenden kleinen , sogenannten Bett auf, hockte mich an die Stelle, an der der Lichtstrahl den Boden berührte und hielt meine Hand vorsichtig in das Licht, grade so, als könnte ich es packen und festhalten. Doch ich griff ins Leere, der Lichtkegel wanderte meinen Oberarm entlang und blieb auf den unzähligen blauen Flecken ruhen. Ich seufzte. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, meine Verletzungen für die nächsten zwei drei Stunden mal zu vergessen, doch jetzt meldete sich auch noch das unangenehme Ziehen und Stechen in der Schulter wieder - hoffentlich war der Schnitt nicht so tief, wie er mir vorkam. Nein, der Stich, der im Augenblick mehr wehtat, als alle blauen Flecken, Schrammen, Kratzer und Schnitte , saß tiefer, es fühlte sich an, als zog er sich von meinem Herz bis hin zu meinen Hals , doch war es nicht mein Körper, der diesen Schnitt verpasst bekommen hatte, sondern meine Seele. Draußen, in der Welt außerhalb des Fensters, kündigte sich ein Gewitter an , bei dem drückenden, schwülen Wetter kein Wunder. Diese Hitze war wirklich grauenhaft, meine Klamotten klebten an meinem Körper fest, waren schon fast durchgeweicht. In meinen Gedanken sah ich mich in einem Becken voller Eiswürfel schwimmen und hätte in diesem Moment fast alles gegeben, diesen Traum wahr werden zu lassen. Eine Dusche. Ich brauchte eine Dusche - doch ich befand mich nicht grade an einem Ort, an dem ich tun konnte, was ich wollte und vor allem nicht, wann ich wollte. Duschen durfte ich nur Samstags, es war grade mal Donnerstag. Ich ließ meinen Blick einmal durch die kleine Zelle wandern : Ein klappriges altes Bett, mit einer Matratze, die auch schon bessere Zeiten hinter sich hatte, ein unbequemer Holzstuhl, ein kleiner Tisch, eine alte, schmucklose, kleine Kommode. In einer Nische war ein stark verschmutztes Klo angebracht , daneben ein Waschbecken mit verrostetem Wasserhahn. Ein winziges Stückchen Seife, mit dem ich mich waschen konnte...ein kleines, fast sauberes Handtuch.. eine Zahnbürste....ein bisschen Zahnpasta...das war schon alles. In zwei Wochen hatte ich erst das recht auf ein bisschen Privatbesitz. Ich seufzte und murmelte leise "Yamato , du hast auch schon mal bessere Zeiten erlebt" , nur um dann den Gedanken zu verdrängen, dass ich schon anfing Selbstgespräche zu führen. Einziger Trost: Hier war niemand sonst außer mir, mit dem ich mich hätte vernünftig unterhalten können. Allerdings war "da Draußen" auch niemand , der mir jetzt wohl noch zugehört hätte. Jugendstrafanstalt. Das Wort lag schwer in meinen Gedanken, schwer wie Blei. Ein gemeines Wort, dachte ich, es lässt mir keine Ruhe mehr. Da war er wieder, diese Stich, der mich nicht loslassen wollte. Auf dem langen Gang hatte irgendjemand ein Radio angeschaltet. Eine helle, künstlich wirkend heitere Frauenstimme verkündete den Wetterbericht und riet den "lieben Hörerinnen und Hörern " nicht ohne Schirm auf die Straße zu gehen. Die kann sich ihren Schirm sonst wo hinstecken, schoss es mir durch den Kopf, ich kann so oder so nicht nach draußen. Ich hörte hallende Schritte auf dem Gang und dann das klimpernde Geräusch von Schlüsseln im Schloss meiner Zellentür. Ok. Tief durchatmen und den Saftgesichtern ja nicht zeigen, dass dir zum heulen zumute ist! redete ich mir selbst ein, setzte eine "Ihr könnt mich alle mal sonst wo "- Miene auf und wartete ab. Der Wächter der nun in die Zelle trat, sah aus wie eine Regentonne in einer Uniform. "Mitkommen." schnauzte er. Kommentarlos trottete ich hinter Mr. Regentonne her und hörte mir sein endloses Geschwafel über die verkommene heutige Jugend an. "So." unterbrach er seine Abendfüllende Moralpredigt. "Wir wollen ja nicht, dass du uns hier gleich an einer Blutvergiftung stirbst! Die Schwester sieht sich mal deine Schulter an. " Er stoppte vor einer Tür, öffnete sie und schob mich in das kleine, weißgestrichene und nach Chlor stinkende Behandlungszimmer. "Mach ja keinen Ärger, sonst kannst du was erleben!" zischte der Wächter dann und überließ mich den "talentierten" Händen von Schwester "Brontosaurus" - einer alten, mürrisch dreinblickenden Möchtegernkrankenschwester mit Sinn fürs unmenschlich Schmerzhafte. "Oberteil ausziehen." keifte sie mich an. Vorsichtig zog ich mein T-Shirt aus und während die Schwester auf meine Schulter starrte, entbrannte tief in mir der Wunsch, dass sie nicht auch noch auf die Idee kam, mich impfen zu wollen. "Der Schnitt ist nicht tief - schade, wäre dir rechtgeschehen!" Was bitte? Hat die noch alle? Ok, nicht aufregen Yamato, nicht aufregen. Was wusste sie schon? Gar nichts. Genauso wenig wie der Wächter, genauso wenig wie der Richter , genauso wenig wie die Polizei und genauso wenig wie der Rest der Welt. "Da reicht ein Verband." brummte sie , kramte nach Verbandszeug und wickelte lieblos einen Schutzverband um meine verletzte Schulter. Ich biss die Zähne aufeinander, denn es tat höllisch weh. Grade wollte ich mir einreden, dass ich der unglücklichste Junge auf der ganzen Welt sein müsste, als mir da plötzlich einfiel, dass es da jemanden gab, dem es bestimmt um einiges schlechter ging, als mir. Tai. Die Bilder dieser schlimmen Nacht kamen mit einem Mal wieder, meine Sicht verschwamm, beinahe wäre ich ganz in meinen Depressionen eingetaucht, als Schwester Brontosaurus den Kontakt zur Wirklichkeit wieder herstellte, indem sie den Verband zum Schluss noch einmal "ordentlich strammzog". "Autsch!" entfuhr es mir, eigentlich ungewollt, aber es kam zu überraschend, um es zu unterdrücken. "Stell dich nicht so an!" fauchte die Schwester. Na die hat gut reden. Möchte mal wissen, was die sagt, wenn man ihr ein Messer in die Schulter rammt! ~ Jeder geliebte Gegenstand ist der Mittelpunkt des Paradieses~ Novalis Drei Tage später wurde ich in einen anderen Zellentrakt verlegt und machte gleich Bekanntschaft mit den Fäusten meiner neuen Zellengenossen. Die Zwei zählten zur Spezies der Flachhirne die kaum über das Standartvokabular von "Was glotzt du so" und "Mir gefallen deine Augen nicht" hinauskamen. In einer stillen Stunde, in denen Flachhirn und Flachhirni, wie ich sie inzwischen getauft hatte, ausgeflogen waren und nun sich im Gemeinschaftsraum mit anderen Jungs die Zeit totschlugen, saß ich also auf meinem Bett und tastete vorsichtig meinen Bauch ab. Schmerz! Aber was war das schon? Das war nichts im Vergleich zu dem, was mit Tai passiert war.......Ich blinzelte ein paar Mal und kämpfte gegen die aufkommenden Tränen an. Verdammt noch mal! Ich wollte mich zusammenreißen. Was geschehen war, war nun mal geschehen und in meiner jetzigen Situation konnte ich nichts daran ändern. Doch was war, wenn diese Typen, die an allem Schuld waren, noch auf freiem Fuß waren? Ein unangenehmer, kalter Schauer lief mir über den Rücken. Verdammt, ich musste irgendjemandem bescheid sagen! Jemandem, dem ich vertrauen kann und vor allem jemand, der mir noch vertraut. Meine Chancen sanken. Wer wollte denn mir noch glauben? Meine Eltern? Keine Chance. Mama und Takeru waren seid einigen Wochen im Urlaub an der See und hatten wahrscheinlich davon noch nichts erfahren. Und Papa? Ich erinnerte mich an Papas traurigen , nein, enttäuschten Gesichtsausdruck und an das, was er gesagt hatte: "Wahrscheinlich ist es meine Schuld...ich hätte öfter zuhause sein sollen und ein bisschen an dir herumerziehen sollen...dann wäre so etwas wohl nie passiert. Aber jetzt ist es wohl zu spät . Schade. ich dachte, ich könnte stolz sein, dein Vater zu sein." Immer wieder hallten diese Worte durch meinen Kopf und hinterließen brennenden Schmerz. Es tat so weh! Doch es war auch so unwichtig, wie es mir ging. Vielleicht hatte ich es ja verdient, weil ich nicht besser auf ihn aufgepasst hatte! "He, du da!" Ein Wächter lehnte in der Tür. "Besuch." Er machte einen Schritt auf mich zu, packte mich an meiner Schulter - der verletzten Schulter wohlgemerkt - und zerrte mich dann hinter ihm her durch das Ganglabyrinth des Gefängnisses. Besuch, dachte ich verwirrt, aber wer wollte mich denn jetzt noch sehen? Ich war doch inzwischen bei allen meinen Freunden - oder besser Ex- Freunden - unten durch! Als ich ins Besucherzimmer geschoben wurde, erstarrte ich. "Mama...." stotterte ich , bemerkte dann Takeru, der ein wenig abseits stand und mir kurz zunickte. Währenddessen kam Mama auf mich zu, sah mir dann lange in die Augen und - ehe ich es überhaupt realisiert hatte, hatte sie mir eine Ohrfeige verpasst. "Wie konntest du nur!" fauchte Mama. Verwirrt rieb ich mir die Wange. Nicht weil die Ohrfeige wehgetan hatte, nein, es war nur das erste mal, das Mama mich geschlagen hatte. "Ich wusste doch , dass dein Vater unfähig ist, dich vernünftig zu erziehen. Ich schäme mich ja so! Weißt du eigentlich, was du mir da angetan hast? Ich werde meinen Freundinnen nie wieder unter die Augen treten können und Tk...er wird alle seine Freunde verlieren und..." "Mama, ist gut." sagte TK ruhig und warf mir einen leicht entnervten Blick zu. "Ach...das hat alles keinen sinn mehr. Solltest du hier jemals wieder rauskommen, dann sieh zu, wie du alleine zurechtkommst! gehen wir, Tk." Mama drehte sich um und stampfte aus dem Zimmer, während TK noch kurz auf mich zukam, mich einmal kurz umarmte und dann ebenfalls ging. Der Wärter trat aus seiner Ecke heraus. "Familienbesuche sind doch was schönes!" lachte er und präsentierte dabei sein Niktotingebissgrinsen. Kaum war ich wieder allein in der Zelle, wagte ich endlich das kleine Zettelchen zu lesen, dass mir Takeru zugesteckt hatte - raffiniertes Kerlchen! "War bei Tai im Krankenhaus. Er liegt immer noch im Koma. Die Ärzte meinen, er könnte theoretisch heute, morgen....in ein paar tagen oder Wochen...oder vielleicht gar nicht mehr aufwachen. Ich glaube die Geschichte nicht, die man über diesen Vorfall erzählt...was ist wirklich passiert? Ich muss es wissen. TK" Ich atmete tief durch. Tai lebte noch....und es bestand Hoffnung, dass er aufwachte. Erleichterung machte sich in mir breit. Außerdem war Takeru auf meiner Seite , was mir neue Zuversicht gab. Er wollte mir zuhören, meine Version der Geschichte erfahren und nicht glauben, was ihm irgendwelche erfundenen Augenzeugen auftischten. ~Die größten Menschen sind diejenigen, die anderen Hoffnung geben können~ Französisches Sprichwort Krankenhausgänge lösten bei mir immer schon ein ungutes Gefühl aus. Die weißen und kalten Wände wirkten wie gefühllose Wächter aus einer anderen Dimension. Die Luft fühlte sich mehr als künstlich an, kalt und doch stickig, es stank nach Chlor und Medikamenten. Ich kam mir vor, als würde ich durch eine fremde Welt wandern, als wäre ich auf einem anderen Planeten. Alles kam mir unwirklich vor , selbst die Krankenschwestern, die hin und wieder durch den Flur trippelten und versuchten, mir zuversichtliche Blicke zuzuwerfen. Für ihr künstliches Lächeln hätte ich ihnen am liebsten etwas an den Kopf geschmissen, aber was konnten sie schon dafür, dass es mir jetzt grade so beschissen ging? Sie taten nur ihren Job. Das was ich gestern erfahren hatte und heute mit eigenen Augen gesehen hatte wollte mir nicht aus dem Kopf gehen. Es konnte nicht sein, ich hätte es für einen Witz gehalten, wenn ich mich nicht von der Wahrheit überzeugt hätte. Yamato Ishida, seines Zeichens großer Bruder und Vorbild für mich, saß im Knast und Taichi Yagami, das überdreht fröhliche Plappermaul, lag halb tot hinter einer der Türen in diesem Gang. Ich hatte ihn vorhin kurz gesehen, und mir wäre fast das Herz stehen geblieben. Gut, dass Yama dass nicht sah, es hätte ihn innerlich zerrissen. Es war grade große Chefarztvisite und daher war ich auf den Gang geflüchtet. "Was willst du denn hier?" hörte ich eine Stimme hinter mir und ich drehte mich um. Hikari Yagami stand hinter mir, doch anscheinend schien sie all die Jahre, in denen wir die besten Freunde gewesen waren , und die Tatsache, dass ich wirklich alles für sie getan hätte, innerhalb der letzten zwei Tage aus ihrem Gedächtnis gestrichen zu haben. Ich erschrak, denn den Ausdruck, der in ihren Augen lag, hatte ich von jedem Menschen auf der Welt erwartet, nur nicht von ihr. Es war ein verachtender Blick, tiefergreifender als Wut oder Hass. Sie sah mich nicht mehr als Mensch an, sondern als ein abartiges kleines Insekt. "Warum bist du hier? Willst du etwa ansehen, was dein Missratener Bruder angerichtet hat? " An einem anderen ort, zu einer anderen zeit und in Gegenwart einer anderen Person wäre mir nun die Faust ausgerutscht. Ich atmete einmal tief durch, und verdrängte den Zorn aus meinen Gedanken. "Ich wollte sehen, wie es Tai geht." brachte ich hervor. "Und? Bist du jetzt zufrieden? na los, lauf zu deinem Bruder und sag ihm, dass er ganze Arbeit geleistet hat!" "Du glaubst also wirklich, dass er es war? Ich hatte dich für ein bisschen klüger gehalten!" Hikari klappte den Mund auf, schien einen Augenblick sprachlos zu sein. Ich konnte förmlich sehen, wie sie nach Worten suchte, die sie schließlich auch fand. "Was für ein Lügenmärchen hat er dir denn aufgetischt, dass du ihm glaubst?" Seufzend schüttelte ich den Kopf. "Gar keins, er hat ja nicht mal mit mir reden können." "Ach! Wie süß...der kleine Bruder glaubt immer noch ganz fest daran, dass sein großer lieber Bruder, der ja ohnehin schon soo cool ist, ganz unschuldig im Gefängnis sitzt!" sagte Kari verächtlich. Ja, ich konnte sagen, dass mir Kari langsam unsympathisch wurde. Doch ich hatte nicht vor, dass, was vor einigen Tagen noch echte Freundschaft war, so einfach aus der Hand zu geben. "Ich kenne die Fakten." sagte ich , wieder etwas gefasster. "Und?" machte Kari verächtlich, "Die kenne ich schließlich auch. Fünf Leute können beweisen, dass dein Bruder dafür verantwortlich ist. Fünf klare Zeugenaussagen. Und was hast du? Nur dein Bild vom Ach-so-tollen großen Bruder, aus den Kindheitstagen. Sie der Realität mal ins Auge!" "Gut. Aber nur, wenn du das auch tust." Hikari seufzte. Anscheinend wusste sie nicht, was sie sagen sollte. "Ich hab mich ein bisschen auf dem Polizeirevier umgehört." sagte ich schließlich. Ok, war ein hartes Stück arbeit gewesen , dass meiste hatte ich nur herausbekommen, weil ich an einer Tür gelauscht hatte. "Drei von deinen tollen, klaren Superzeugen haben selber einen so langen Vorstrafenregister, dass man einen LKW braucht, um ihn von einem Revier zum nächsten zu fahren." Die eben noch vor Verachtung triefenden Augen sahen nun überrascht aus. "Eine ältere Dame, fast blind und schon etwas schwerhörig meint, ich betone meint gesehen zu haben , dass sich ein Blonder Junge auf einen Brünetten gestürzt hat, sie kann nicht mal sagen, wie groß die jeweiligen Personen gewesen waren. Und dann kommt Zeuge fünf. Der gesetzestreue Bürger mitsamt Hund taucht 3 Minuten früher als die Polizei auf und hat eigentlich gar nichts gesehen." In Karis Kopf arbeitete es. "Nicht grade die Glaubwürdigsten Zeugen, oder?" warf ich noch ein. "Die.....die haben aber behauptet, Matt hätte ein....Geständnis abgelegt!" Ich zog die Stirn kraus. "Wer die? Die Polizei ? Kann nicht sein. Da hab ich schon nachgefragt." Grade wollte Kari antworten, als die Tür, neben der wir standen aufging und sich ein Rudel Chefärzte aus dem Zimmer schob und laut debattierend den Flur entlang ging, zum nächsten Zimmer. Wir beide schnappen Gesprächsfetzen auf wie "Armer Junge..." und " Nicht die Hoffnung verlieren, er kann jederzeit aufwachen." "Sollen wir rein?" fragte Kari leise. "Wenn du meine Anwesenheit da drinnen duldest...." gab ich , schon fast scherzend zurück. Ohne etwas zu sagen nahm sie meine Hand und zog mich hinter ihre her. Das Zimmer wirkte noch unwirklicher als der Flur. Die Vorhänge waren fast zugezogen, nur wenig blasses, milchiges Licht erhellte das Zimmer. Tai lag , an einige Monitore angeschlossen, die von Zeit zu Zeit piepten, krakelige Linien auf dem Bildschirm hinterließen oder vor sich hinsummtem , in dem Krankenhausbett. Sein Gesicht war blass, doch er lächelte friedlich. Er hätte genauso gut nur schlafen können. Auf dem Tischchen neben dem Bett stand ein Blumenstrauß in einer Vase - ein kleiner Tupfen Farbe in dem großen Weiß. "Also..." begann Kari wieder , "...das haben jedenfalls die drei Typen behauptet..." Ich rollte mit den Augen. "Klasse und grade denen glaubst du?" "Es....tut mir leid." flüsterte Kari und ließ sich auf einem der Stühle nieder. "Ich war ja so dumm....tut mir leid.....Ich hab mich mitreißen lassen. Alle haben gesagt, dass es Yamato war....da....da war es einfacher das zu glauben als nachzudenken. ...Ich....merke grade, wie absurd das ist, was ich noch vor ein paar Minuten für die Wahrheit gehalten habe...." Ich angelte den anderen Stuhl , setzte mich ihr gegenüber hin und strich ihr vorsichtig durch die Haare. "Ist schon gut. " murmelte ich "Vielleicht hätte ich an deiner Stelle genauso reagiert. " "Weißt du.....was mir Sorgen macht?" fragte Kari nach einer ganzen Zeit. "Was?" "Wenn es nicht Yamato war, dann war es jemand anderes. Und dieser Jemand läuft durch die Gegend als wäre nichts gewesen!" Oh verdammt, daran hatte ich noch gar nicht gedacht! "Was ist, wenn der Typ hier ins Krankenhaus kommt, weil Tai wenn er aufwacht ja .....Augenzeuge ist..." Kari und ich starrten uns entsetzt an. "Wir müssen was tun! Komm TK, gehen wir zur Polizei." Nein danke, von denen hatte ich genug....außerdem...."Kari, die werden uns nicht glauben. Sie werden denken, dass du unter schock stehst und mir glauben sie erst recht nicht." Kari sah immer verzweifelter aus, schließlich nahm ich sie in den Arm und streichelt ihr über den Rücken. So saßen wir eine ganze weile da. "Nun küsst euch schon." hörte ich aus dem anderen Teil des Zimmers. Erst wurde ich rot, dann schreckte ich zusammen, Kari ebenfalls. "TAI?" Mr. Stachelkopf saß kerzengrade im Bett und grinste. "Ok, jetzt mal raus damit.....Was ist eigentlich passiert?" Er deutete demonstrativ auf die Gerätschaften um ihn herum. "Tja eigentlich...haben wir gehofft, dass du uns das sagen könntest...." "Wartet mal" sagte ich "Ich hol mal eben einen Arzt oder so was in der Richtung." "Einen WAS BITTE? Stopp mal!" rief Tai, und ich blieb stehen. "Ich brauch keinen Arzt, mir geht's bestens! Bin nur n bisschen verpennt, dass ist alles." "Tai? Du hast 2 Wochen im Koma gelegen und ich geh jetzt einen Arzt holen!" dann ging ich wirklich aus dem Raum. Wie Koma? Ich kramte in meinem Kopf herum. Hikari saß auf der Bettkante und sah besorgt - und doch erwartungsvoll drein. "Soll das n Witz sein? Ich kann nicht im Koma gelegen haben, dass wüsste ich...." dann merkte ich selbst wie dämlich das war, was ich grade gesagt hatte. "Woran erinnerst du dich noch? " fragte Kari leise. "Na an alles, man. Ich weiß wer ich bin wo ich wohne, was ich am liebsten esse was..." "Tai? Ich meinte, was ist das letzte, woran du dich erinnern kannst?" Ok. Gute Frage. Nächste Frage?" Also.....Äh...Ach ja, Yama und ich waren im Kino." ich grinste triumphierend - hörte jedoch schlagartig auf, als ich Karis Gesichtsausdruck sah. "Also weißt du noch, was danach passiert ist?" Wie danach? Bin ich nicht nach Hause gegangen? Ja genau. "Yama und ich sind zusammen nach Hause gegangen. Yama wollte mir irgendwas wichtiges sagen, deshalb wollte er noch mit zu mir." Kari nickte stumm. "Hm, dann sind wir durch so n komisches Viertel gegangen...und dann....ja genau, dann haben wir so einen Schrei gehört...." "Und dann?" Und dann.....und.....da...n....n............ verdammt, ich konnte mich an kein und dann erinnern. Weg! Sense! Nix mehr da. Ich stöhnte auf und rieb meine Schläfen. "Ich komm noch drauf..." brummte ich. "Ah, der Patient ist wach!" Ein weiß bekittelter Arzt hatte schwungvoll die Tür geöffnet, Takeru im Schlepptau. "Na, wie sieht's aus? Übelkeit? Kopfschmerzen?" Ich schüttelte den Kopf. "Schwindelgefühl?" Wieder Kopfschütteln. "Sonstige Beschwerden wie Sehprobleme oder Gedächtnisverlust?" Ich nickte. "Weiß nicht mehr ganz, was am letzten Abend passiert ist." brummte ich. "Na, dass ist ganz normal. Keine Angst, dass kommt schon noch wieder...." "Aber wie sollen wir denn jetzt beweisen, dass Yamato unschuldig ist?" fragte Kari. Hä? Wie jetzt? "Was.....was ist denn mit....Matt?" mit einem Mal merkte ich, wie sich die Angst in mir breit machte. Und da war sie wieder, die Erinnerung! Mit einem mal wurde mir übel. Ich hörte die Schreie in meinem Kopf, spürte die Tritte und Schläge und sah...... "Scheiße verdammt, Wo ist Yama?" fuhr ich Takeru an. "Den haben sie ins Gefängnis gesteckt!" Wie wo was? Der Junge gehört ins Krankenhaus, und warum Gefängnis? Ich sprang mit einem Satz auf, entwirrte mich schnell aus den Kabeln und wollte loslaufen. Das konnten die mit meinem Yama nicht machen. "Halt Tai!" rief mir Kari hinterher, als ich schon den Flur erreicht hatte. "Warte mal, du kannst doch unmöglich so loslaufen! " Hä? Es dauerte einen Augenblick, dann verstand ich was sie meinte: Ich hatte nur eine Boxershorts an. ~Lernen wir uns freuen, so verlernen wir am besten , anderen wehe zu tun~ Friedrich Nietzsche Was auch immer es war...ich hoffte, dass es nicht mehr lebte. Ich stocherte etwas skeptisch in dem grünlichen Brei herum, den die Knastköchin liebevoll "Mittagessen" getauft hatte. Anscheinend eine Frau mit einem extravaganten Humor. Ein Teil der Pampe schien aus Erbsen zu bestehen, was die anderen Reagenzien betraf, wollte ich es lieber gar nicht erst wissen. Auf die Fleischbeilage hatte ich wohlwissend verzichtet, sie hatte ausgesehen wie Hundefutter - wahrscheinlich war es sogar Hundefutter , jedenfalls dann, wenn die Köchin ebenso feinfühlig und liebenswert war wie Schwester Brontosaurus. Trotzdem versuchte ich das Mittagessen schnell hinunterzuwürgen, da ich mich möglichst ohne Kontakt mit weiteren Häftlingen schnell aus dem Essraum verdrücken wollte. Ich saß ziemlich weit abseits der anderen, und wunderte mich daher als jemand sein Tablett genau neben mich stellte. Für mich stand fest, dass der Typ vorhatte mich grün und blau zu schlagen. "Schieb deinen Hintern mal n Stückchen zu Seite , ich hab Kohldampf." brummte er. Ich zog hastig mein Tablett weg und machte ihm Platz . "Ach ja, es ist Sonntag und ach welch wunder, es gibt unseren heißgeliebten Erbsen Kakerlaken Eintopf mit Hundekuchen." Ich konnte es kaum glauben - er aß das Zeug! "isch irgenwasch?" fragte er kauend. "Äh....nein, nichts." ich wandte mein Gesicht schnell wieder meiner verhassten Mahlzeit zu. Jemanden hier anzustarren konnte unter umständen ein gebrochenen Arm verursachen. Der Junge neben mir grinste. Er schien in meinem Alter zu sein, vielleicht ein wenig jünger, war aber dafür einen Kopf größer als ich. Seine haare waren rot- orange und er hatte sie mit einem Haarband zusammengebunden. Vermutlich waren sie schulterlang. Er passte nicht ganz zur Optik der Gorillatypen an den anderen Tischen. Seltsamer Kerl. dachte ich. "Hab ich Marsmännchen Antennen auf dem Kopf oder was?" fragte er. Ich zuckte zusammen, erwartete schon einen Hieb oder Tritt, doch nichts davon trat ein. "Irgendwelche Komplexe?" "Nein." sagte ich schließlich, "aber ist das erste mal, dass hier jemand mit mir auf der verbalen Ebene kommuniziert..." "Ach so. Kenn ich. Die sind alle n bisschen flach im Kopf. Die können nur draufhauen." "Und selber?" ich war mutiger geworden, "Haust du auch Gelegentlich drauf?" Der Typ grinste. "Bei denen dies drauf anlegen schon. Aber der Unterschied zwischen mir und denen da ist, dass meine Eltern mir das sprechen beigebracht haben." Er deutete auf den Nachbartisch, an dem die Jungen grade eine Essensschlacht angefangen hatten. "Ach und noch was, zeig denen nicht, dass du dein Gehirn benutzen kannst, dass mögen die nicht." "Danke für den Tipp..." "Wenn ich mir die Frage erlauben darf.....warum bist du hier?" Ich seufzte. Was hatte ich erwartet, dass sich die Typen über Fußball und Autos unterhielten? "Ich habe meinem Freund das Leben gerettet." brummte ich. "Ui, dafür bekommst du mindestens Lebenslänglich, wenn nicht sogar mehr!" Wie lachten kurz, verstummten aber, als uns vom inzwischen total verwüsteten Nebentisch finstere Blicke zugeworfen wurden, die mir zu verstehen gaben, dass ich die nächsten Stunden vermutlich nicht überleben würde. Eine Weilte aßen wir also schweigend weiter , bis sich die Lage ein wenig beruhigt hatte. "Ach, hätte ich fast vergessen...ich heiße übrigens Mike!" Ich nickte. "Yamato." sagte ich leise. "Versuchs mir zu merken." Es interessierte mich eigentlich nicht, aber ich fragte ihn trotzdem, warum er hier war. "Och das übliche. Hab hier und da was mitgehen lassen. Aber geschnappt haben die mich erst, als mein ach-so-heißgeliebter Daddy mich mitgeschleppt hat als er in nen Supermarkt rein ist." Ich glotzte eine Weile, bevor mich mein Verstand wieder einholte. Die Welt bestand eben nicht nur aus süßen kleinen Fußballern mit Stachelfrisur, es gab eben auch die andere Seite der Medaille. So war die Welt nun mal. "Oh man....ist das ne Möhre oder n Regenwurm?" Mike deutete auf etwas längliches auf seinem Teller. Da es eher nach letzterem aussah, rebellierte mein Magen auf einmal, und ich musste sehr grün im Gesicht gewesen sein. "Würmer sollen sehr Proteinreich sein." meinte Mike trocken, schob das längliche etwas an den Tellerrand und futterte weiter. "Ich kotz gleich." murmelte ich. "Reden wir lieber von was anderem. Hast ne Freundin?" "Nein." "Sei froh." Wie jetzt? Also die antwort hatte ich nicht erwartet. "Wenn du eine gehabt hättest, " erklärte Mike, "hätt sie dich jetzt sitzen lassen.....Hm...aber vielleicht bist du ja grade in jemanden verlieb?" Was sollte das? Wollte der mich anbaggern? Trotzdem war mir bei der Frage das Blut in den Kopf geschossen. Man wie peinlich! "man könnt dich Klasse als Verkehrsampel benutzen...Erst grün, dann rot......Und, wie sieht sie denn aus?" Ich biss mir auf die Lippe. SIE? Wenn es doch nur eine SIE sein würde! Aber nein, ich musste mich ja ausgerechnet in einen Jungen verlieben, und dann auch noch in meinen besten Freund! Verdammt, dass machte die Sachen nur noch viel komplizierter. Ich beschloss die Sache für mich zu behalten, da es meinen Ruf noch weiter durch den Dreck gezogen hätte. Im Knast UND schwul? Nein, ich musste mir die Sache aus dem Kopf schlagen. Es war nicht normal und außerdem....sollte Tai jemals wieder aufwachen und dann davon erfahren....er würde sicher wieder ins Koma fallen. "Willst du deine Lippe aufessen?" holte mich Mike zurück in die Realität. "Wie? Was? Hast du was gesagt?" "Oh man, dich hat's aber schlimm erwischt..." Ich nickte. Ja , das war das beste, wenn er dachte, dass ich total benebelt war, weil mir Armors Pfeil im Arsch steckte. In gewisser weise stimmte es ja auch. "Seid ihr da drüben fertig?" schnaubte einer der Aufseher, der uns mit abfälligem Blick beobachtete. Ich nickte, und räumte mein Tablett auf den dafür vorgesehenen Wagen. "Tja, man sieht sich....spätestens beim Abendessen. Hey , es soll heute übrigens Mottensuppe geben!" "Hey Rotschopf! Wie oft soll ich dir das noch sagen! Die heißen Schmetterlingsnudeln!" keifte die Köchin ihn an. "Sag ich doch. Motten." Dann drehte er sich lachend um und ging in seinen Zellentrakt. "Keine Besuchszeit." Der Beamte hinter der Glasscheibe machte eine abweisende Handbewegung. Verdammt! Ich fluchte in Gedanken. Wenn dieser blöde Arzt mich nicht noch überall untersucht hätte, wäre ich vielleicht noch rechtzeitig dagewesen! "Aber da stehts doch!" versuchte ich mich mit dem kleinen Heftchen zu retten, dass mir Takeru im Krankenhaus gegeben hatte. "Ja, aber grade machen sie ne kleine Razzia da drinnen." "Was bitte?" "Suchen nach Drogen und so nem Zeug. Da drinnen kommt man schnelle an Stoff als draußen, tja, so schlecht ist unsere Welt..." er seufzte theatralisch. "Dauert das denn den ganzen Tag?" ich flehte in Gedanken, dass es nicht so wäre. "Keine Ahnung. Würd mich nicht drauf verlassen. Wenn sie was finden, dann schon." "Kann ich denn solange warten?" "Von mir aus..." brummte der Mann, knurrte noch leiser ein "nur noch Bekloppte " vor sich hin. Ich ging den Flur auf und ab , während sich in meinen Gedanken Horrorszenarien abspielten. Schließlich lehnte ich mich gegen eine Wand und wartete ab. "Alle an die Wand! Klamotten runter! Schnauze halten!" Neben mir stand Mike. "Ich liebe diesen Kerl." knurrte er zerknirscht. "Und wie oft macht er so was?" flüsterte ich ihm zu und sah panisch, wie die "Untersuchung" bei den ersten Jungen begann. Mir wurde schlecht beim Anblick, wo und vor allem wie lange einige von ihnen begrapscht wurden. "So oft wie er nur kann. Er steht auf kleine , nackte Jungs, wenn du verstehst!" Ich schluckte und kämpfte nun wirklich gegen die Übelkeit an. Nicht das auch noch, nein. "Das schlimmste ist, dass man irgendwann genauso anfängt zu denken wie die!" "Wie meinst du...?" Mike seufzte, suchte scheinbar nach den richtigen Worten, die dass, was er zu sagen hatte, nicht zu erschreckend klingen ließen, wie sie wirklich waren. "Du...verknallst dich zum Beispiel in andere Jungs..." ich spürte, wie ich errötete, ebenso wie Mike. Unser Gespräch wurde dadurch unterbrochen, dass der Aufseher vor uns stand. Jetzt nur keine Panik dachte ich. Obwohl....eigentlich war es genau der richtige Moment dafür: ich saß unschuldig im Knast und ein geisteskranker Irrer wollte mich begrapschen! Mir blieb das fast Herz stehen, doch er drehte sich zuerst zu Mike. Abgesehen von Gummihandschuhen deutete nichts auf irgendeine Form von richtiger Untersuchung hin - und allen schien klar zu sein, dass die sogenannte Drogenkontrolle nur ein Deckname für das war, was hier wirklich passierte. Mike schloss die Augen und biss die Zähne zusammen, als der Aufseher ihn von oben bis unten abtastete - beschämt sah ich weg. ich wollte gar nicht erst wissen, was passieren würde. "Blut-Test bei dem!" hörte ich schließlich den Mann sagen. Schwester Bronto zog Mike hinter sich her, der kommentarlos und ohne irgendeine Gefühlsregung hinter ihr herschlich. "Soso, wen haben wir da?" hörte ich die Stimme, erschreckend nah an meinem Ohr. "Einen neuen, ja? Dann wollen wir mal....Schön artig sein, dann tut es auch überhaupt nicht weh!" Ich zuckte zusammen - schon die erste Berührung brannte auf der Haut wie Feuer und doch lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. Während seine Hände über meinen Rücken wanderten und kein Fleckchen Haut auszulassen schienen, kämpfte ich gegen die Übelkeit, Wut und Angst an, die in mir kochte. Die Augen hatte ich geschlossen, die Luft angehalten. Ich versuchte meine Gedanken von diesem Ort abzubringen, wünschte mich an einen anderen Ort, in eine andere Zeit. Doch es half nicht, ich konnte nichts anderes Denken. In meinem Kopf tobte ein Unwetter, und ich entfernte mich immer weiter davon, logisch denken zu können. Das einzige, wozu ich noch Fähig war, war an den Schmerz zu denken. Es tat so weh! Äußerlich und Innerlich! Ich fühlte mich dreckig, schmutzig! Widerlich! "Scheinst mir sauber zu sein..."hörte ich wieder die tiefe, ekelhafte Stimme. Dann war mit einem Mal alles vorbei. Ich fand mich zusammengelauert auf dem Boden wieder, wusste nicht, ob ich ohnmächtig geworden war, oder einfach nur instinktiv gehandelt hatte. Nicht losheulen! war der nächste Gedanke. "Mach dir nichts draus." hört ich nun Mike, der plötzlich wieder neben mir an der Wand lehnte. "Die haben alle geheult wie die Schlosshunde." Er ließ sich neben mir auf den Boden sinken. "Uff, ich glaub ich kipp gleich aus den Latschen. Zapfen mir immer soviel Blut ab, als wollten sie damit n Militärkrankenhaus versorgen! Dabei brauch ich meinen Saft selber!" Mike lehnte sich leicht an meine Schulter. "Man, dieser Laden ist echt das letzte. Ach, und tu dir keinen Zwang an. Wenn du heulen oder kotzen musst, tu's einfach." Ich nickte, bemerkte dann allerdings, dass Mike schon einen Arm um mich gelegt hatte. Vorsichtig schob ich ihn weg. Der Junge kam mir entschieden zu nahe! Hatte der denn keinen Respekt? Nachdem was grade passiert war? Ich wurde wütend, wollte schon etwas sagen. Doch Mike schien begriffen zu haben. "Ein andermal vielleicht." murmelte er, packte sich seine Klamotten und zog sich an. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich wieder aufstehen konnte, um es im gleich zu tun. ~Freude ist unentbehrlich für die körperliche und für die seelische Gesundheit~ Anonym Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war. Irgendwie hatte ich es zurück in meine Zelle geschafft. Flachhirn und Flachhirni schienen von der "Kontrolle" noch etwas erschöpft zu sein und lagen apathisch auf ihren Betten. Mich überkam jetzt ein ganz anderes Gefühl. Übelkeit. Ich ekelte mich vor dem, was mit mir geschehen war, ekelte mich vor mir selbst. Schnell drehte ich mich weg und hastete in die Nische mit der Toilette. Ich übergab mich mehrfach , bis ich nur noch Magensäure spuckte , doch der Drang, mich übergeben zu müssen blieb. Ich hustete und spuckte und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Heftig zitternd wartete ich, bis sich mein Magen endlich beruhigt hatte. Dann spülte ich ab , wankte zum Waschbecken , putzte mir die Zähne und hielt meinen Kopf anschließend unter das kalte Wasser. Langsam beruhigte ich mich wieder , hörte auf zu Zittern und spürte, wie meine Gedanken klarer wurden. Als ich wieder zurück in das Zimmer stolperte, lehnte Mr. Regentonne in der Tür. Ich warf einen ungeduldigen Blick auf die Uhr. Wie lange wartete ich jetzt schon? Eine Stunde? Zwei Stunden? Verdammt, warum dauerte das denn so verdammt lange! Je länger ich wartete , umso nervöser wurde ich. Warum war das bloß passiert? Wenn ich nicht so lange im Koma gelegen hätte, dann wäre Matt jetzt nicht da drinnen. Wie er wohl reagieren würde? Ich schluckte. Wie würde ich wohl reagieren, wenn ich im Knast sitzen würde, weil mein Ach-so-toller Freund , der einzige der meine Unschuld beweisen könnte, grade im Koma liegt und fröhlich vor sich hinpennt, während ich die Hölle auf Erden erlebe. Würde ich mich freuen, ihn wiederzusehen, wenn ich in dieser Situation wäre? Ich wahrscheinlich schon, aber ich sah in Yamato auch etwas anderes. als er in mir sah. Für ihn war ich der bester Freund, den man haben konnte - jedenfalls bis zu diesem Vorfall - doch er war für mich viel mehr. Wie oft hatte ich ihn schon fasziniert angestarrt, ohne dass er es bemerkt hatte? Wie oft hatte ich mir selbst eingeredet, dass ich mir das alles nur einbilde und nicht mehr für ihn empfinde als Freundschaft? Und wie oft musste ich mir danach eingestehen, dass es doch ganz anders war? Sollte ich es ihm heute vielleicht sagen? Nein. Ungünstiger Zeitpunkt. Ganz dumm. Doch was sollte ich meinem kleinen Kaktus denn sonst sagen? Oh man. Ich hatte doch Zeit genug, mir etwas zurechtzulegen! Ich lehnte mich wieder an die Wand und seufzte. Das kam mir alles so verdammt unwirklich vor, wie in einem Traum! Dieser Raum wirkte schien fast gespenstisch, wenn da nicht der Beamte hinter der Glasscheibe an seinem Schreibtisch saß und in irgendwelchen Akten blätterte. Es roch wie in einer Tropfsteinhöhle...ein bisschen vermodert, ein bisschen nach Kalk. Endlich, nach Ewigkeiten hörte ich schlurfende Schritte hinter der Sicherheitstür, die den Verwaltungsteil vom eigentlichen Gefängnis trennte. ~Glück ist die angenehmste Art des Zufalls~ Werner Mitsch Der Wärter musste mich fast schon tragen, so wackelig war ich auf den Beinen. Hätte er nicht wenigstens sagen könne, wohin die "Reise" ging? Mein Kopf fühlte sich furchtbar an, und dem Rest meines Körpers ging es da nicht anders. Wieder zum Besucherzimmer? Ich stöhnte auf. Vielleicht war es wieder Mama , die mir nicht glaubte, Papa, der mich inzwischen verachtete oder einer von meinen "Freunden" die mir ins Gesicht sagten, dass ich für sie widerlicher Abschaum bin. Vielleicht war es aber auch Takeru , der einzige Mensch auf diesem Planeten , der mir glaubte. Ich war hin und hergerissen zwischen Verzweiflung und Vorfreude. Dann stand ich plötzlich in dem kleinen Besucherbereich. Und rang nach Luft. Vor mir stand Taichi - doch als er mich länger ansah, nahm sein Gesicht einen Ausdruck an, den ich noch nie gesehen hatte. Was war los? Warum starrte er mich so an? War das die Strafe, dass ich nicht besser auf ihn hatte aufpassen können? Tausende von Fragen tanzten durch meinen Kopf. Warum sagte er denn nichts? Mein Herz krampfte sich zusammen. Yamato war blass, konnte kaum stehen und sein Blick war so....seltsam traurig, wirkte fast unterwürfig. Dann bemerkte ich die vielen kleinen kratze und blauen Flecken. Was hatte er bloß alles durchgemacht? Und warum verdammt noch mal sagte er nichts? Waren wir denn hier im Wachsfigurenkabinett? Warum tat er denn nichts? Moment. War es vielleicht an mir, den ersten Schritt zu machen? Dann plötzlich kam die Erkenntnis: Er wartete darauf, dass ich etwas machte. Natürlich, man, was war ich doch für ein Idiot! Ich atmete einmal tief durch und ging vorsichtig auf ihn zu, bis ich direkt vor ihm stand. Ok. Der entscheidende Moment, alles oder nichts! Ich nahm ihn vorsichtig in den Arm und streichelte über seinen Rücken , langsam und vorsichtig, als könnte sein Körper unter meinen Berührungen jederzeit zerbrechen. Im ersten Moment spürte ich eine seltsame Spannung , die durch Yamatos Körper ging, ein kurzes zittern. Hatte ich einen Fehler gemacht? Verdammt, würde er mich gleich wegstoßen und mich anschreien, mich für pervers halten oder schlimmer? Dann seufzte Yamato leise und ich fühlte, wie auch er seine Arme um meinen Körper schlang, sich an mir festklammerte, als wäre ich ein Rettungsring. Ich spürte seinen warmen Körper, fühlte seinen Atem , hörte seinen schnellen Herzschlag. Ein seltsames Gefühl machte sich in mir breit - ich war aufgeregt wie noch nie zuvor in meinem Leben! Dann spürte ich, wie Yamatos Hände weiter nach oben wanderten, sich in meinen Nacken legten und vorsichtig meinen Kopf ein Stück nach vorne zogen. Erwartungsvoll sah ich ihn an. Er beugte sich leicht vor und dann spürte ich seine weichen, warmen Lippen auf meiner Stirn. Ein Kuss! Ich schnappte nach Luft. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet! Aber warum hat mich der Blödmann nicht auf den Mund geküsst? schoss es mir durch den Kopf. Doch dann wurde es mir schlagartig bewusst : Wir waren nicht allein im Zimmer. Der seltsame, fast strafende Blick des Wärters lag auf uns. Wie eine schwere Bleidecke, die uns daran hinderte, zu tun was wir wollten. Ich sah Yamato in die Augen. Doch die tiefe Traurigkeit war noch immer dort. "Es wird alles gut!" sagte ich leise, fast flüsternd. "Alles wird wieder gut!" Matt nickte - doch an seiner Haltung erkannte ich, dass er zwar meine Worte gehört hatte, aber ihren Sinn nicht fassen konnte. Vielleicht war es auch dumm von mir, zu denken, dass jetzt auf der Stelle "alles gut" werden würde! Es würde bestimmt nicht leicht werden, doch ich war mir sicher, dass wir beide es schaffen würden. Moment. Langsam stiegen in mir Zweifel auf. Yamato hatte mich auf die Stirn geküsst. Aber hieß das auch, dass er das gleiche empfand wie ich? "Tai?" fragte Yamato leise. Ich erschrak - seine Stimme klang ganz anders, als ich sie in Erinnerung hatte. Sie war nicht scharf und spitz, jederzeit bereit einen bissigen Kommentar abzulassen, sondern leise, heiser, wackelig. "Ja?" Matt ließ seine Hände nach vorne gleiten, ließ sie meine Wangen berühren, mein Gesicht vorsichtig festhalten, als wäre es ein wertvoller Schatz. Er lächelte schwach. Aber er lächelte. "Du hasst so schöne Augen..." flüsterte er. "Wie Schokolade!" Auch ich lächelte. Der hatte gut reden! Seine Augen waren doch viel faszinierender, oder? Dieses weiche blau, tief wie ein Ozean und doch - klar, fast durchsichtig. Manchmal wie kaltes Eis, manchmal unendlich wie der Himmel. Ich sammelte all meinen Mut zusammen, den ich finden konnte. "Matt, habe ich dir schon mal gesagt, wie viel du mir eigentlich bedeutest?" Er schüttelte den Kopf. Ich holte tief Luft. " Matt, ich ." weiter kam ich nicht. Plötzlich wurden wir beide zurück in die Realität gerissen. "Die Besuchszeit ist zu ende!" erklärte der Wärter kurz und knapp. Ein Gefühl sagte mir, dass das nicht stimmen konnte. Doch es war zu spät. Yamato war schon längst aus dem Zimmer gezerrt worden. Verdammt! Ich war wütend und verzweifelt als ich mich auf den Weg zurück zum Krankenhaus machte. "So?" Ich wurde mit einer Heftigkeit gegen die Wand gedrückt, die mir für einen Augenblick den Atem raubte. "Ich bin dir wohl nicht gut genug was?" Die Regentonne hatte meine Handgelenke gepackt und schob nun meine Hände so über meinen Kopf, dass ich mich nicht wehren konnte, er jedoch "freies Schussfeld" hatte. "Scheinst mir ja ne richtige kleine Hure zu sein!" Er lachte hämisch. "Dann erwarte aber auch nicht, dass du hier anders behandelt wirst!" Ich versuchte mich aus dem Griff zu befreien. Zwecklos. Er blickte mich wütend an, holte aus und verpasste mir einen Schlag in die Magengrube . Für einen Augenblick sah ich Sternchen, war zu benommen, um mich gegen das zu wehren, was geschah. Da waren sie wieder, die Hände. Dieses mal ohne den Handschuh eingeschränkt, griffen sie gieriger zu. Ich wimmerte auf, und die Vorahnung, dass er sich dieses mal mit Berührungen nicht zufrieden geben würde, loderte in mir auf. Ich sollte recht behalten. Er drängte seine Zunge in meinen Mund , riss mir die Kleider vom Leib , nahm sich , was er wollte, ohne auf mich Rücksicht zu nehmen. Plötzlich spürte ich Schmerz, wie ich ihn noch nie zuvor gespürt hatte - ein Schmerz, der mich zu zerreißen drohte. Ich schrie, jammerte, wimmerte. Doch er schien sich nicht daran zu stören. Zum ersten mal in meinem Leben sehnte ich mich nach der Ohnmacht , und ich war dankbar, als mich die Dunkelheit umfing. ~Das Dumme an Gelegenheiten ist, dass sie jedes mal viel größer Aussehen, wenn sie vorüber sind ~ Anonym Ich stöhnte vor Schmerz auf. Die Berührungen waren noch da....doch sie waren anders als zuvor - vorsichtiger, zurückhaltender , ja nahezu schüchtern strich mir jemand über den Rücken. Langsam öffnete ich die Augen und sah nach unten. Es war nicht der Betonboden, auf dem ich zuvor ohnmächtig geworden war, sondern eine der quietschenden, harten Kojen, auf denen alle Inhaftierten schliefen. Vorsichtig drehte ich den Kopf - und starrte in eine Waldlichtung - jedenfalls kam es mir im ersten Moment so vor. Die Berührungen stoppten , die dunkelgrünen Flächen entpuppten sich als weit aufgerissene, überrascht schauende Augen, umrahmt von einigen wilden , roten Haarsträhnen. Der Junge von vorhin - Mike! War mein erster Gedanke. Mein Kopf verarbeitete die Informationen so schnell, dass ich mühe hatte, zu realisieren, was ich tat. Ich stieß die Gestalt von mir herunter und versuchte einen Sicherheitsabstand zwischen mir und ihm aufzubauen. "Huch!" war das einzige, was Mike herausbrachte. Ich zerrte schnell meine Kleidung zurecht und funkelte ihn dann an. Was war ich für ein Idiot gewesen, zu denken, dass es auf diesem verdammten Gottverdammten Fleckchen Erde so etwas wie Vertrauen gab, und wenn man nur darauf vertrauen konnte, nicht von jedem besprungen zu werden, sobald man die Augen schließt. "T....Tut mir leid!" stotterte Mike. "Was?" Ich wollte eigentlich aufspringen und den Kerl grün und blau schlagen, aber ein unangenehmes Ziehen und Stechen ließ mich wieder zurücksinken. Toll - damit fiel ein Direktangriff aus und die Verteidigung ließ zu wünschen übrig. "Was tut dir leid?" zischte ich . "Ich wollte nicht, dass du..." "Aufwachst, während du deinen sexuellen Frust an mir auslässt?" Mike sah auf einmal ziemlich unsicher aus. "Wenn du das so sagst, klingt's irgendwie so brutal und..." "BRUTAL? Hast du vielleicht ne Vorstellung davon, *wie* sich mein Hintern grade anfühlt? Na und wenn, es ist mir egal, ich sag nur soviel, wenn du mir das nächste mal zu nahe kommst, mach ich dir das Leben zur Hölle!" Mike senkte den Blick, als hätte er sich an etwas erinnert, was ihn nun davon abhielt, etwas zu sagen. Stattdessen drehte er sich weg und schlurfte zurück auf den kleinen Gang mit dem Aufenthaltsraum. Er war weg - jetzt schwappte die ganze Verzweiflung, die ganze Wut, der ganze Hass über das geschehene über mich hinweg und riss noch das letzte bisschen Hoffnung, den letzten schönen Gedanken mit sich. Ich drehte mich wieder auf den Bauch und weinte - leise, aber ich weinte. Dieses mal war es mir sogar egal ob mich irgendjemand sah oder nicht. Was war das bloß für eine Welt, in die ich da hineingestolpert bin? Das durfte doch nicht sein! So eine Welt durfte es doch gar nicht geben! Das Leben war doch bisher immer eine so schöne Angelegenheit gewesen, ich war doch glücklich gewesen! Was mir grade passierte konnte doch gar nicht sein! So etwas gab es nicht in meiner Welt! Ein plötzlicher Gedanke flog durch mein letztes bisschen Vertrauen in die Welt, wie ein Stein durch eine Glasscheibe und hinterließ ein Trümmerfeld: Die Welt war noch nie schön gewesen! Ich hatte es nur nicht sehen wollen! Natürlich, alles was mir nicht in den Kram gepasst hatte, hatte ich solange verdreht und beschönigt, bis es zur Randerscheinung verkommen ist. Als meine Eltern sich getrennt hatten, da war die Welt auch nicht schön gewesen, doch irgendwann hatte ich all die negativen Überbleibsel ihrer Scheidung, den bitteren Geschmack von Wut und Verzweiflung einfach hinuntergeschluckt und dann fein säuberlich Verdaut . Plötzlich war ich wieder in der Lage gewesen, mit anderen zu lachen, zu scherzen, Spaß zu haben . Irgendwann überkam mich wieder ein traumloser, tiefer, dumpfer Schlaf. Als ich wieder aufwachte, saß eine schlanke Gestalt neben mir auf dem Bett. "Ich habe dir doch gesagt, dass ich dir dein Leben zu..." "Jaja, schon verstanden. Aber du liegst zufällig grade auf *meinem* Bett, da kann ich leider nichts dran ändern. "Und wie komme ich bitteschön in *dein* Bett?" "Hab dich hergetragen - du bist viel zu leicht für deine Größe, weißt du das eigentlich?" Ich schaute zur Seite. Er klang schon fast wie Taichi , wenn er seine berühmten "Iss mehr" Vorträge abhielt. Tai. Ich zuckte zusammen. Den hatte ich fast vergessen! Ich Idiot! Ich hatte vergessen mich zu freuen, dass er lebt, dass er wach war, dass er......dass er mich nicht weggestoßen hatte! Oh Gott! Ich hatte ihn geküsst! Mein Kopf schien zerspringen zu wollen, jede Gehirnzelle schien einen anderen Gedanken fassen zu wollen. "Hallo, ich bin vielleicht auch noch da? " Mike fuchtelte mit seinen Händen vor meinem Gesicht herum. "Ich wollte nur mal klarstellen, dass ich es *nicht* mit dir getrieben habe, ok?" Ich warf ihm einen skeptischen, verachtenden Blick zu. "Du bist nur leider viel zu süß und da will doch jeder ein bisschen kuscheln!" Was bitte? Kuscheln? Hatte der jetzt nen Totalschaden? "Hab dich sogar nicht mal geküsst." Mike verschränkte die Arme vor der Brust und schmollte. Meine Rechte Faust verselbstständigte sich und fand sich in Mikes Gesicht wieder. "Mach das nie wieder!" knurrte ich ihn an. "Und jetzt hilf mir mal auf.....ich glaub ich muss kotzen." ~Das höchste Glück im Leben besteht in der Überzeugung , dass wir geliebt werden ~ Victor Hugo Wenn es mir nicht so furchtbar gegangen wäre, hätte ich Mikes Fürsorge wohl als abartig empfunden , aber in diesem Augenblick war ich recht dankbar, dass er mir das denken abnahm, mich zuerst zur nächsten Toilette und dann schließlich ins Bett befördert hatte. Ich beschloss, das Geschehene vorerst als "Ausrutscher" zu betrachten, und nicht weiter mit ihm darüber zu streiten. Beim Frühstück am nächsten Morgen kamen wir nach langem Schweigen wieder ins Gespräch. "Geht's besser?" fragte er vorsichtig. Ich nickte , aber meine Augen schüttelten den Kopf. "Ich wollte mich wegen gestern noch einmal entschuldigen. Manchmal habe ich mich überhaupt nicht unter Kontrolle. Sorry , ich kann nichts dagegen machen. Ich bin leider unberechenbar." Er seufzte Traurig und beinahe schon tat er mir leid, wie er da so saß. Er hatte wirklich einen tollen melancholischen Blick drauf - fast so gut wie meiner, doch ich konnte nicht sagen, ob seine Niedergeschlagenheit echt war, oder nur Fassade. Ich Misstraute ihm, und ich ließ ihn das spüren. "Wenn.....ich so was noch mal versuchen sollte, dann hau mir einfach eine rein, Ok?" "Das musst du mir nicht sagen." sagte ich und deutete auf das Veilchen, was ich ihm gestern verpasst hatte. "Naja, an so was gewöhnt man sich hier schnell...." "Kann ich mir vorstellen." "Grade deswegen will ich mich ja entschuldigen. Du bist der einzige hier, mit dem man Reden kann, die anderen schlagen sich den ganzen Tag nur gegenseitig KO." "Tja, mach dir keine falschen Hoffnungen. Ich glaube kaum, dass ich noch allzu lange hier bleibe." Mike sah verwirrt auf. Ich überlegte, ob ich ihm von Tai erzählen sollte - doch eine warnende Stimme aus meinem Hinterkopf erinnerte mich daran, dass ich an einem Ort war, in dem sich Eifersucht auf sehr schmerzlichem Wege äußerte. Also ließ ich Mike einfach mit seinen Überlegungen und Fragen allein. Sollte er doch denken was er wollte. Von Flucht bis hin zum Selbstmord. Ich jedenfalls freute mich still, heimlich und ganz für mich selbst, dass Tai wieder wohl auf war - und ich war mehr als nur sicher, dass er dafür sorgen würde, dass ich bald von diesem seltsamen Ort fort konnte. Die nächste Woche verlief relativ ereignislos. Taichi hatte sich kein zweites Mal blicken lassen, stattdessen hatte er wohlwissend Takeru geschickt. Manchmal war Tai erstaunlich intelligent. Takeru erzählte mir, dass inzwischen alles in Gang gesetzt worden war, und es nicht mehr lange dauern würde, bis ich freigesprochen werden würde. Die Tatsache, dass Taichi ausgesagt hatte, mich ent - und einige Übeltäter stark belastet hatte, sorgte auch dafür, dass meine Eltern ziemlich zerknirscht bei mir auftauchten und sich so lange entschuldigten, dass ich um ein Haar angefangen hätte, wie ein Schlosshund zu flennen. Doch was mit mir in der Zeit, die ich in der Strafanstalt verbracht hatte, passiert war, behielt ich für mich. Ich wollte nicht, dass es irgendjemand erfährt. Vielleicht, um mich selbst zu schützen, um das Geschehene zu verdrängen, um zu vergessen. Vielleicht , um die anderen zu schützen. Es sollte mein Geheimnis bleiben , tief verschlossen in meinen Erinnerungen. Es dauerte nicht mehr lange, bis die Verhandlungen wieder aufgenommen wurden. Der Gerichtssaal war voller, als bei den ersten Prozessen. Ich entdeckte, dass all die Freunde, die mich vorher im Stich gelassen hatten, wieder angekrochen kamen. Heuchler! Dachte ich. Bis auf wenige Ausnahmen , so beschloss ich, würde ich den Kontakt zu ihnen abbrechen. Tai räusperte sich , der Saal verstummte. "Würden sie bitte die Ereignisse des besagten Abends aus ihrer Sicht erzählen, Herr Yagami?" Tai nickte. "An dem Tag war ich mit Yamato im Kino. Wir sind ein bisschen früher aus dem Saal gegangen." "Darf ich fragen warum?" "Langweiliger Film. Jedenfalls fuhr die U-Bahn von der Haltestelle am Kino erst fast 2 Stunden später, also beschlossen wir zur nächsten Haltestelle zu laufen. Als wir an einer Seitenstraße vorbeigingen, hörten wir einen Schrei." "Was war das für ein Schrei?" "Eine Mädchenstimme. Wir sind in die Seitegasse hereingerannt um nachzusehen. Naja und dann waren da diese 3 Schlägertypen" Taichi deutete auf die 3 Kerle, die beim letzten Mal gegen mich ausgesagt hatten. "Und was haben die von ihnen identifizierten Personen dort gemacht?" "Sie haben eine junge Frau bedrängt. Als sie uns bemerkten, haben sie uns angegriffen." "Haben sie sich gewehrt?" "Natürlich! Aber die 3 waren bewaffnet, wir nicht." Verteidiger, Staatsanwalt und Richter warfen sich vielsagende Blicke zu , als Taichi davon berichtete, wie wir beide zusammengeschlagen worden waren, wie Tai beinahe ermordet worden war, wie ich versucht hatte, das schlimmste zu verhindern, und mir die Stichwunde an der Schulter zugezogen hatte. Ich betrachtete die Szene, wie einen Film, als wäre ich gar nicht im Raum. Die stickige Luft, der seltsame Geruch nach altem Holz, das Gemurmel der Anwesenden - alles das war nicht da, erreichte mich nicht. Ich sah nur Tai, und wie sich seine Lippen bewegten. Dass der Prozess beendet wurde, dass ich frei gesprochen wurde, all das geschah weit weg von mir und meinen Gedanken. Schließlich wurde ich aus dem Raum gezogen, wurde von vielen Menschen umarmt, doch ich verstand noch nicht, was gerade geschehen war. ~Immer wird uns das Vertrauen eines der größten und beglückendsten Geschenke menschlichen Zusammenlebens bleiben~ Dietrich Bonhoeffer Erst eine halbe Stunde später, als ich zusammen mit Taichi und meiner Familie in einem kleinen Cafe saß und einen Milchkaffee vor mich hinschlürfte, realisierte ich, dass ich frei war. Nie wieder an den furchtbaren Ort zurückmusste. Ja, ich war frei und konnte ab jetzt für immer glücklich sein. Tai lächelte mir zuversichtlich zu - ich wusste, dass wir heute Abend noch ein sehr langes und intensives Gespräch vor uns hatten und ich freute mich darauf. Meine Eltern lachten und scherzten ein wenig, ich lachte mit, freute mich, dass sie sich heute so gut verstanden und hoffte, dass es auch in Zukunft so bleiben würde. Takeru grinste unterdessen und ich wusste, dass er bereits alles geahnt hatte, was zwischen Tai und mir für eine Beziehung bestand. Ich hatte mit meinen Eltern abgesprochen, dass ich die Nacht bei Yamato übernachten würde. Als wir vom Cafe aus nach Hause gingen, war es schon sehr spät, aber nach mindestens 4 Tassen starkem Kaffee war ich wacher als normalerweise. Eine Weile saßen wir in Yamatos Zimmer auf seinem Bett. Er ließ sich auf die Matratze fallen und lächelte. "Dieses Bett fühlt sich so verdammt gut an....Ich würde am liebsten liegen bleiben und sofort einschlafen." Ich warf ihm einen enttäuschten Blick zu. Er konnte doch jetzt nicht schlafen! Yamato lachte leise. " Was, dachtest du , ich würde das wirklich machen?" Langsam nickte ich. "Ach, du bist ein kleiner Idiot....Aber....du bist *mein* kleiner Idiot." Er nahm meine Hand und zog mich ebenfalls auf die Matratze. "So, ich glaube, du wolltest mir neulich etwas wichtiges sagen...." er lächelte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)