Froschhüpfer von Yosephia (Wie man zu einer Familie kommt) ================================================================================ Hüpfe einmal – und du findest Kinder ------------------------------------ Es ist gleich falsch, Allen oder Keinem zu trauen. Lucius Annaeus Seneca Der Tag, an dem sich für Rogue alles ändern sollte, war ein verschneiter, trister Januartag. Die Wege waren trotz des Streusandes glatt und der Wind pfiff grausam durch alle noch so dicken Kleiderschichten. Der Himmel war vom frühen Morgen an grau. Wer es vermeiden konnte, setzte keinen Fuß vor die Tür. Rogue jedoch konnte es leider nicht vermeiden. Er gehörte zum arbeitenden Teil der Bevölkerung. Wäre er noch Student, das musste er sich leider eingestehen – auch wenn er das ganz gewiss niemals gegenüber Sting zugeben würde –, hätte er an so einem Tag blau gemacht. Aber jetzt war er Bibliotheksreferendar und musste für sein Geld etwas tun. Davon, sich auf dem Weg zur Arbeit blaue Flecken zu holen, weil die Stadtverwaltung zu wenig Schneeräumer engagiert hatte, stand zwar nichts in seinem Vertrag, aber wie würde Sting es formulieren? Er war jung und brauchte das Geld. In der Bibliothek waren bei diesem Wetter alle schlecht gelaunt. Ein Drittel war dauerdepressiv, ein Drittel war dauerkrank und das letzte Drittel war von den anderen beiden Dritteln dauergenervt – und alle drei Gruppen ließen nur allzu gerne ihren Frust am Personal aus. Da kam es Rogue gerade recht, dass er morgen seinen freien Samstag hatte. Er würde das Wochenende einfach nur entspannen. Ein warmes Bad, eine leckere Mahlzeit und ein gutes Buch – und ihm würde schon noch etwas einfallen, wie er Sting die Idee mit dem Schlittschuhlaufen morgen wieder austrieb. Als er vorsichtig den glatten Weg entlang zur Bäckerei stakste, um noch Brötchen fürs Wochenende zu kaufen, bemerkte er ein winziges Mädchen am Schaufenster. Es hielt sich am Fensterbrett fest und musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um darüber hinweg linsen zu können. Das allein war nicht weiter ungewöhnlich, die Kleidungswahl hingegen ließ Rogue schon stutzen. Das Mädchen trug eine viel zu große, abgetragene Strickmütze, die ihm immer wieder über die Augen rutschte, eine Jacke, deren Ärmel mehrere Mal umgekrempelt worden waren, und einen Schal, der so oft um den Hals gewickelt worden war, dass er über die schmalen Schultern zu rutschen drohte. Verwirrt sah Rogue sich um. Das Kind konnte doch höchstens drei Jahre alt sein. Wo war die Mutter oder der Vater? Als er im Laden eine Frau mit einem weiteren Kind in dem Alter bemerkte, glaubte er, die Mutter gefunden zu haben. Vielleicht eine zweifelhafte pädagogische Maßnahme, aber er hatte wohl kein Recht, sich da einzumischen. In der Bäckerei zwinkerte seine Schulfreundin Yukino ihm hinter der Theke grüßend zu, ehe sie sich wieder ihrem Kunden zuwenden musste, einem äußerst ungeduldigen Rentner, der anscheinend eine Torte für eine Party am Wochenende in Auftrag geben wollte und dabei allerlei Extrawünsche hatte. Seufzend wickelte Rogue seinen Schal ab und hängte ihn sich um den Hals, während er sich ans Ende der Schlange stellte. Mit halbem Ohr hörte er zu, wie Yukino dem Mann geduldig die Preisstaffelung für Auftragstorten erklärte, während ihre Kolleginnen den normalen Bäckerei-Betrieb am Laufen hielten und die anderen Kunden bedienten. Rogue hätte nicht übel Lust, dem Alten einfach den Tortenflyer in die Hand zu drücken, der direkt vor seiner Nase auf der Theke auslag, aber er wusste, dass Yukino das alleine hin bekam. Er hatte sie schon immer für ihre Engelsgeduld bewundert. Da hatte sie den Anderen in ihrem gemeinsamen Freundeskreis eine ganze Menge voraus. Die Frau mit dem Jungen steckte die beiden Brote, die sie gekauft hatte, in ihren Einkaufsbeutel und verließ die Bäckerei wieder. Das Mädchen am Schaufenster beachtete die Beiden überhaupt nicht und die Frau zog einfach von dannen. Anscheinend gehörten sie doch nicht zusammen. Jetzt bemerkte Rogue, dass das Mädchen große, schwarze Augen hatte. Unter der Mütze lugten grüne Haarsträhnen hervor. Das bisschen, was sonst noch vom Gesicht des Mädchens zu erkennen war, war rot vor Kälte und in den Augen lag nagender Hunger. „Hey, wie war es heute in der Bibliothek?“, begrüßte Yukino ihn, als er endlich an der Reihe war. Ihrem niedlichen herzförmigen Gesicht mit den großen, braunen Augen war nicht der geringste Ärger über den unfreundlichen Rentner anzumerken. „Meinst du die Frage ernst?“, brummte er und Yukino hob mit einem unschuldigen Grinsen die Schultern, ehe sie ihm die Tüte mit den Brötchen reichte, die er jeden Freitag hier kaufte. Er nickte zum Schaufenster hinüber. „Ihr habt heute eine Zuschauerin?“ Irritiert folgte Yukino seinem Wink, ehe sie sich zu ihrer Kollegin umdrehte. „Libra, wie lange steht das Mädchen schon da?“ „Schon seit ich aus dem Lager gekommen bin“, erwiderte die Schwarzhaarige und blickte auf ihr Kassendisplay. „Also mindestens zwei Stunden.“ Mit einem besorgten Stirnrunzeln blickte Yukino wieder zu der Kleinen. Erst jetzt fiel Rogue auf, dass das Kind wie gebannt auf die Torten starrte. „Gib mir drei von deinen Triple Chocolate Muffins“, bat er Yukino und legte das Geld auf die Theke. Die Weißhaarige nickte erleichtert und packte zwei der Muffins ein, den dritten gab sie Rogue so in die Hand. So ‚bewaffnet’ verabschiedete Rogue sich von seiner Schulfreundin und verließ die Bäckerei wieder. Noch immer starrte das Mädchen durch das Schaufenster, obwohl es am ganzen Leib zitterte. Rogue ging neben dem Mädchen in die Hocke und bot ihm das Naschwerk an. Verschreckt machte es einen Hüpfer von ihm weg, wobei der Schal sich zweimal abwickelte. Jetzt konnte Rogue eine niedliche Stupsnase erkennen, die puterrot war, apfelrote Pausbäckchen und zitternde Lippen. Als das Kind den Schal zu bändigen versuchte, bemerkte Rogue, dass es keine Handschuhe trug. „Du hast Hunger, nicht wahr?“ Zaghaft nickte das Mädchen und schielte sehnsüchtig auf den Muffin, während es noch immer mit seinem Schal kämpfte. Rogue konnte nun eindeutig ein lautes Magengrummeln hören, aber er versuchte, keine Miene zu verziehen, obwohl sich bei ihm vor Sorge alles zusammen zog. „Du kannst den ruhig essen. Ich habe auch noch mehr.“ Das Mädchen schüttelte heftig den Kopf, wobei die Mütze schon wieder über die Augen rutschte. „Lector hat verboten“, erklärte es mit Piepsstimme. „Wer ist Lector?“ „Ich!“ Im nächsten Moment verspürte Rogue einen schmerzhaften Schlag auf dem Hinterkopf und kippte nach vorn. Gerade noch rechtzeitig konnte er sich am Fensterbrett festhalten und sich so vor einer Bekanntschaft mit dem Boden bewahren. Er drehte sich herum und erkannte einen naseweisen Rotzbengel von höchstens fünf Jahren mit kastanienbraunen, unordentlichen Haaren und sommersprossigem Gesicht, das vor Kälte gerötet war. Der Hals war blank, die Jacke viel zu dünn und zu kurz und er trug nur Turnschuhe, die wahrscheinlich schon völlig durchweicht waren. „Lass’ Frosch in Ruhe!“, verlangte der Junge und hob seinen Stock wieder, um erneut auf Rogue einzuschlagen. Gerade noch rechtzeitig hielt der Schwarzhaarige den Stock auf und entriss ihn dann dem Jungen. „Hör’ auf damit. Ich wollte ihr nichts tun, ich habe ihr nur einen Muffin angeboten und du kannst auch einen haben.“ „Das ist nur ein Trick!“, fauchte der Junge und umrundete Rogue, um sich schützend vor das Mädchen zu stellen, das sich sofort vertrauensvoll an seine Jacke klammerte. „Du willst sie nur in eine Falle locken.“ Beinahe wären Rogue die Gesichtszüge entgleist. Woher kamen diese Kinder, dass der Junge ihm derartige Dinge unterstellte?! „Rogue, ist alles in Ordnung?“ Der Schwarzhaarige blickte über seine Schulter zu Yukino, die sich schnell eine Jacke über die Schultern geworfen hatte. Wahrscheinlich hatte sie gesehen, wie Lector ihn attackiert hatte. Das würde wohl auch tatsächlich eine Beule geben und Rogue brummte der Schädel deswegen, aber er konnte dem Jungen nicht böse sein. „Ist nicht weiter dramatisch.“ „Da hast du ja noch mal Glück gehabt, du Lümmel!“, schimpfte Yukino mit Lector, der jedoch nur trotzig das Kinn vorschob und einen Arm um das Mädchen legte, das er um mehr als einen Kopf überragte. „Weißt du denn nicht, dass man andere Leute nicht schlägt?!“ „Ich habe nur Frosch verteidigt“, erwiderte der Junge widerborstig. „Frosch denken auch“, nuschelte das Mädchen und schmiegte sich in die Umarmung des Jungen. Als Lector für einen Moment den Blick auf seinen Schützling senkte, wurde seine mürrische Miene ganz weich und fürsorglich. Rogue wurde klar, dass Lector für Frosch absolut alles tun würde. Das war gleichzeitig niedlich – er durfte niemals irgendjemandem erzählen, dass er tatsächlich dieses Wort gedacht hatte – und traurig. Über seine Schulter blickte er wieder zu Yukino, der er ganz ähnliche Gedankengänge ansehen konnte. Unmerklich nickte er ihr zu, damit sie wieder hinein ging. Wenn sie den Kindern zu zweit gegenüber standen, würden die wahrscheinlich irgendwann Reißaus nehmen. Das wollte Rogue unbedingt vermeiden. Er könnte nicht erklären, warum er so empfand, aber er wusste einfach, dass er diesen Kindern helfen musste. Zu seiner Erleichterung verstand Yukino seinen Wink und zog sich wieder zurück, aber aus dem Augenwinkel konnte er sehen, dass sie durch das Schaufenster weiterhin alles beobachtete. Er achtete nicht weiter auf sie und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Kindern zu. „Habt ihr kein Zuhause?“ „Nein“, knurrte Lector und schielte zu seinem Stock, den Rogue noch immer in der Hand hielt. „Brauchen wir nicht.“ „Ihr friert und habt Hunger.“ „Gar nicht wahr!“, begehrte der Junge auf. Als im nächsten Moment ein lautes Magengrummeln erklang, errötete er vor Wut. Seufzend verlagerte Rogue ein wenig sein Gewicht. So lange in der Hockstellung zu bleiben, war unbequem, aber er wollte nicht aufstehen und somit über den Kindern aufragen, damit hätte er sich sofort ihr Vertrauen verspielt, da war er sich sicher. „Hört mal, da drin haben sie leckeren Kakao. Ich lade euch ein. Ihr könnt jederzeit gehen, ich nehme euch nirgendwohin mit, wenn ihr das nicht wollt.“ Um sein Angebot zu unterstützen, stellte er den Muffin auf das Fensterbrett. „Versprochen?“ Froschs Blick huschte zwischen Rogue und dem Muffin hin und her. „Versprochen.“ Ganz langsam robbte Rogue rückwärts und richtete sich erst auf, als er neben der Eingangstür der Bäckerei war. Den Stock lehnte er daneben, dann ging er zurück ins Innere und suchte sich dort eine ruhige Ecke, nachdem er einen Schwarztee und zwei Tassen Kakao, sowie zwei Stücken der Schokoladentorte des Tages bestellt hatte. Er setzte sich mit Bedacht so hin, dass zwischen ihm und den Kindern der Tisch sein würde, und dann wartete er. Es dauerte einige Minuten, aber schließlich tapste als erstes Frosch in die Bäckerei, die den halb aufgegessenen Muffin in der einen Hand hielt und mit der anderen Lector hinter sich her zog, der zutiefst misstrauisch zu Yukino und ihren Kollegen blickte. Er wollte ganz offensichtlich tapfer und stark wirken, aber Rogue erkannte einen Schokoladenrest an Lectors Mundwinkel. „Dankeschön!“, krähte Frosch, nachdem sie auf einen der Stühle gekrabbelt war, und stellte den Muffin auf den Tisch, um nach der Tasse mit dem Kakao zu greifen. Schnell griff Rogue über den Tisch hinweg und hielt die winzige Hand fest. „Warte noch, das ist heiß.“ Wieder ein wenig verschreckt, nickte Frosch zaghaft und griff nach dem Löffel, um ungeschickt ein Stück von der Torte abzutrennen und sich dieses in den Mund zu schieben. Sie war es offensichtlich nicht gewohnt, mit Besteck zu essen, aber Rogue ließ sie machen. Frosch blieb mit Feuereifer dabei und ihre Augen leuchteten unverhohlen vor Freude. Lector versuchte, weiterhin taff zu bleiben, und ließ sein eigenes Stück eine ganze Weile unangetastet, aber irgendwann griff er doch nach dem Löffel und begann gierig zu essen. Nach seinem Tortenstück griff Lector wieder nach dem Muffin und vertilgte auch diesen, während Frosch noch mit ihrem Tortenstück beschäftigt war. Als die Kinder beide fertig waren, waren sie ganz schön mit Schokolade verschmiert, aber Frosch strahlte über das ganze Gesicht und auch Lector hatte sich eindeutig etwas entspannt. „Lecker!“, verkündete Frosch und leckte sich die Finger, ehe sie nach der Kakaotasse griff. Lector versteckte seine Freude hinter seiner eigenen Tasse, die er leerte, ohne einmal abzusetzen. „Ich bin Rogue“, stellte der Schwarzhaarige sich vor, als die Kinder ihre Tassen abgesetzt hatten – Frosch hatte sich mit Kakao bekleckert, weshalb Lector ihr unbeholfen mit einer Serviette das Gesicht und den fadenscheinigen Pullover, der unter der Jacke zum Vorschein gekommen war, abwischte. „Wie heißt ihr?“ Eigentlich hatte er ihre Namen ja bereits aufgeschnappt, aber er hielt es für besser, das Kennenlernen noch mal offiziell zu machen. „Frosch ist Frosch“, erklärte das Mädchen eifrig und deutete auf sich selbst, ehe es auf seinen Begleiter deutete. „Lector ist Lector.“ „Frosch und Lector“, wiederholte Rogue und an seinen Lippen zupfte ein Lächeln. Es war ungewöhnlich, ein Kind nach einer Amphibie zu benennen, aber mittlerweile vermutete er, dass die Kinder aus einem Heim ausgebrochen waren. Da war man wahrscheinlich nicht so kreativ und liebevoll mit Namen. Frosch war wahrscheinlich noch viel zu jung, um zu begreifen, was für einen kuriosen Namen sie hatte, aber sie schien dennoch Freude daran zu haben. Jedes Mal wenn sie ihren eigenen Namen nannte, leuchteten ihre großen, dunklen Augen auf. Aus dem Augenwinkel sah Rogue, wie Yukino und Libra bereits begannen, alles für den Feierabend vorzubereiten. Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm, dass er eigentlich schon seit einer Stunde Zuhause sein könnte. Eigentlich hatte er ja kochen wollen, aber er würde stattdessen wohl Reste vom Vortag warm machen. Sting würde sich sicher nicht beklagen, der war über alles glücklich, was er nicht selbst (ver-)kochen musste. „Wenn ihr kein Zuhause habt, wollt ihr vielleicht mit zu mir kommen?“, wagte er den Vorstoß. Als er bemerkte, wie Lector sich wieder versteifte, beeilte er sich, weiter zu reden. „Ihr könnt natürlich jederzeit wieder gehen. Ich zwinge euch zu nichts. Bei mir ist es warm und ich habe genug zu essen für euch da. Wenn ihr wieder geht, könnt ihr auch etwas mitnehmen.“ Eigentlich wollte er die Kinder überhaupt nicht wieder gehen lassen, aber wenn er das jetzt sagen würde, würde Lector sich unter Garantie Frosch schnappen und mit ihr die Flucht ergreifen. Er konnte nur hoffen, dass er die Kinder auf anderem Wege zum Bleiben überreden konnte. „Warum hilfst du uns?“, fragte Lector misstrauisch. Rogue entschied, bei der Wahrheit zu bleiben, und zuckte mit den Schultern. „Weil ich will.“ Mit großen, sanften Augen blickte Frosch zwischen Rogue und Lector hin und her, ehe sie schließlich die Hand des Jungen ergriff und drückte. „Frosch mag Rogue“, erklärte sie treuherzig – in Rogues Brust blühte bei diesen Worten ein wunderbar warmes Gefühl heran. Noch immer schien Lector mit sich zu hadern, aber ein besorgter Blick aus dem Fenster, ließ ihn schließlich doch nicken. Als Rogue ebenfalls aus dem Fenster sah, musste er ein Seufzen unterdrücken. Schon wieder schneite es! Aber umso wichtiger war es, die Kinder nicht auf die Straße zurück zu lassen. Lector gab zwar offensichtlich mehr als sein Bestes, um Frosch warm zu halten, aber jeder noch so dicke Schal würde irgendwann an seine Grenzen stoßen. Ganz zu schweigen davon, dass Lector sich in dem Aufzug innerhalb weniger Tage eine Erkältung oder schlimmeres einfangen würde. „Du gehst vor“, ordnete Lector an. Rogue erhob keinen Protest, sondern wickelte sich nur seinen eigenen Schal wieder um – obwohl er ihn am liebsten Lector gegeben hätte, aber er glaubte nicht, dass der Junge ihn schon annehmen würde – und stand auf. Als er an der Theke vorbei kam, schob Yukino ihm eine zweite Tüte mit Brötchen und Muffins zu. „Die gehen auf mich“, erklärte sie ernst. In ihren braunen Augen lag eine inständige Bitte, die Rogue sofort verstand. Er würde die Weißhaarige auf dem Laufenden halten – und er hoffte sehr, dass es morgen auch tatsächlich noch etwas zu berichten geben würde… Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen. Immanuel Kant Ein normaler Freitagabend sah für gewöhnlich so aus, dass Sting von Rogue mit einer leckeren Mahlzeit willkommen geheißen wurde. Rogue war ein phänomenaler Koch – eine von vielen Eigenschaften, die Sting an ihm liebte – und es machte ihm nichts aus, am Herd zu stehen. Sting hingegen schlemmte zwar für sein Leben gern, aber selbst besaß er überhaupt kein Talent fürs Kochen. Zum Ausgleich versuchte er, andere Haushaltsaufgaben zu übernehmen. Immerhin waren sie gleichberechtigt in der Beziehung. Tatsächlich hatte Minerva sich mal spöttisch darüber beschwert, dass sie Beide eine Bilderbuchbeziehung führen würden. Darüber hatte Sting sich eigentlich nie Gedanken gemacht. Es lief, wie es lief, und es war gut so. Er war glücklich mit Rogue und mit seinem Job. Heute Abend allerdings roch Sting kein leckeres Essen, als er die Wohnungstür aufschloss, sondern hörte das Rauschen der Mikrowelle und das helle Kichern eines Kindes. Auf der Schuhablage erkannte er neben Rogues Schuhen ein Paar winziger Kinderstiefel und ein Paar durchweichter Kinderturnschuhe, die mit Zeitung ausgestopft waren. An der Kommode hingen neben Rogues Parka zwei Kinderjacken und ein Monster von einem Schal. Zutiefst verwirrt folgte Sting den Geräuschen in die Küche, wo sein Freund den Tisch deckte, während ein kleiner Junge von vielleicht fünf Jahren und ein Mädchen von zwei bis drei Jahren am Tisch saßen und mit Zauberwürfeln spielten. Rogue war ein Würfelfan. Er konnte Stunden damit verbringen, diese Dinger zu enträtseln. Neben dem normalen Drei-mal-Dreier hatte er auch allerlei Abwandlungen. Für Sting war das zu hoch. Den Zwei-mal-Zweier konnte er ganz gut lösen, die Pyramide auch und wenn er einen guten Tag hatte, schaffte er auch mal den Dreier, aber der Vierer machte ihn wahnsinnig und am Fünfer hatte er sich gar nicht erst versucht, geschweige denn an noch komplizierteren Würfeln. Die Kinder schienen ganz begeistert davon zu sein. Besonders der Junge war offensichtlich ehrgeizig und wollte das Rätsel unbedingt lösen, während das Mädchen es einfach nur lustig fand, die einzelnen Ebenen immer wieder zu verdrehen. Rogue warf den Beiden dabei ein Lächeln zu, das Sting sehr verwirrte. Da keiner der Drei ihn bemerkt hatte, räusperte er sich vernehmlich. Sofort ließ der Junge seinen Würfel fallen und sprang vom Stuhl, die Fäuste abwehrend erhoben, während sein Blick hastig nach einem Fluchtweg zu suchen schien. Das Mädchen verstummte und sah ihn aus großen Augen ängstlich an. „Schon gut, das ist mein Freund, von dem ich euch erzählt habe. Er tut euch nichts“, erklärte Rogue mit sanfter Stimme, die Sting aller Verwirrung zum Trotz einen angenehmen Schauder über den Rücken jagte. „Sting, das sind Frosch und Lector. Ich habe die Beiden von der Straße aufgesammelt. Es ist doch in Ordnung, wenn sie hier übernachten?“ „Ähm…“ Was sollte man dazu schon sagen? Nein, schick’ sie wieder nach draußen, wo es arschkalt ist und schon seit Stunden schneit? Himmel, war das unfair! „Ja, klar… sicher...“ Der Junge namens Lector schien der Sache noch nicht so recht zu trauen, während seine kleine Freundin nun wieder lächelte. Als sie ihn anstrahlte, spürte Sting, wie etwas in ihm butterweich wurde. Frosch war wirklich ein Goldstück. Die Sorte Kind, die jeder einfach lieben musste. Stings Cousine Lucy wäre hellauf von ihr begeistert. Das Piepen der Mikrowelle beendete das betretene Schweigen zwischen ihnen. Rogue holte die Auflaufform mit den Essensresten von gestern mit zwei Handschuhen heraus und stellte sie auf das bereit gelegte Brettchen. Bei der Anschaffung der Mikrowelle hatte Rogue insistiert, dass es eine sein sollte, die groß genug für Auflaufformen war. Sting, dem nur wichtig gewesen war, dass er sich damit im Notfall etwas Einfaches zubereiten konnte, hatte keine Proteste erhoben. Beim Anblick des Essens trat in Lectors Augen die Gier und der Junge wollte schon nach der Auflaufform greifen, aber Rogue hielt ihn auf. „Erst wascht ihr euch die Hände und die Gesichter. Ich habe euch gezeigt, wo das Badezimmer ist.“ „Haben wir doch vorhin schon gemacht“, grummelte Lector, nahm Frosch jedoch bei der Hand, nachdem sie vom Stuhl gerutscht war, und ging mit ihr um Sting herum aus der Küche. Als er das Rauschen des Wasserhahns im Badezimmer hörte, suchte Sting mit erhobenen Augenbrauen den Blick seines Freundes. „Ich darf keinen Hund ins Haus bringen, aber du darfst zwei Kinder anschleppen?“ „Wenn du einen ausgesetzten Welpen in einer Kiste findest, darfst du ihn behalten“, erwiderte Rogue mit einem verlegenen Schulterzucken. „Hätte ich sie da draußen weiter frieren und hungern lassen sollen?“ „Natürlich nicht“, seufzte Sting und ging zur Spüle, um sich dort die Hände zu waschen, während sein Freund die Zauberwürfel einsammelte und erst einmal nur auf die Küchenplatte legte. Dann gesellte Rogue sich zu ihm und wusch sich ebenfalls die Hände. Ganz automatisch verhakten sich ihre Finger miteinander. „Aber das ist eine komplizierte Sache. Irgendwoher müssen sie doch kommen.“ „Aus einem Heim, glaube ich“, murmelte Rogue. Sie standen so dicht beieinander, dass ihre Schultern sich berührten. „Und nach allem, was ich bisher mitbekommen habe, ist es ihnen dort alles andere als gut ergangen. Du hast ja bereits mitbekommen, wie wachsam Lector ist.“ „So ein Scheiß, dass man sich heutzutage nicht mehr auf solche Einrichtungen verlassen kann“, brummte Sting frustriert. „Aber du weißt, dass wir sie nicht einfach hier lassen können. Irgendjemand wird nach ihnen suchen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob das hier nicht vielleicht sogar strafbar ist.“ „Ich werde morgen Metallicana anrufen, ob er uns einen Tipp geben kann“, erklärte Rogue gedämpft. Sein Onkel war Polizist, aber Sting war sich sicher, dass er sie nicht gleich anschwärzen würden, wenn sie ihm erzählten, dass sie zwei Straßenkinder aufgenommen hatte, die aus einem Heim entflohen waren. Immerhin etwas, was sie tun konnten. Ein Seitenblick verriet Sting jedoch, dass sein Freund dennoch sehr besorgt war. Mit einer Hand drehte er Rogues Gesicht am Kinn herum und beugte sich vor. „Uns fällt schon noch etwas ein“, erklärte er lächelnd. Rogues Mundwinkel hoben sich zu einem sanften Lächeln. „Uns?“ „Natürlich uns. Damit lasse ich dich doch nicht alleine“, erklärte Sting und blies beleidigt die Wangen auf. Schmunzelnd überwand Rogue den letzten Abstand und küsste ihn. Ein ungewohnt unschuldiger Kuss, nur ein sachtes Streifen der Lippen, das in Sting die Sehnsucht nach mehr weckte, aber er unternahm nichts, um es dazu kommen zu lassen. Die Aussicht, dass gleich zwei sehr junge und noch sehr unschuldige Kinder in die Küche kommen konnten, hemmte ihn und Rogue musste es ganz ähnlich gehen. Tatsächlich kamen genau in diesem Moment Lector und Frosch zurück. Wieder führte Lector die Jüngere bei der Hand und half ihr auch auf den Stuhl. Unwillkürlich musste Sting bei diesem Anblick lächeln. Der Junge kümmerte sich geradezu hingebungsvoll um seine kleine Freundin. Es war schön mit anzusehen, aber gleichzeitig machte es Sting auch traurig, kündete es doch davon, dass die Kinder sonst niemanden gehabt hatte, dem sie vertrauen konnten. Für Sting, der wohlbehütet aufgewachsen war, war das schwer vorstellbar. Rogue belud zuerst die Teller der Kinder. „Esst langsam“, mahnte er schon wieder mit dieser sanften Stimme, die Sting schaudern ließ. Bisher hatte er seinen Freund nicht im Umgang mit kleinen Kindern erlebt. Mit Gad, dem einjährigen Sohn seines Cousins Gajeel hatte Rogue bisher nicht so viel zu tun gehabt. Ganz offensichtlich bekamen die Kinder dort, wo Lector und Frosch hergekommen waren, wenig über Tischmanieren beigebracht. Lector schaufelte das Essen eher in sich hinein, während Frosch sich mit dem Umgang mit dem großen Löffel offenbar schwer tat. Unter Lectors wachsamen Augen zerkleinerte Rogue daher die Portion auf Froschs Teller, um es ihr einfacher zu machen. „Lecker!“, verkündete Frosch glücklich, als sie fertig war und schenkte ihren Gastgebern ein strahlendes Lächeln, bei dem Stings Herz flatterte. Lector brummelte zustimmend und schielte gierig zum Rest in der Auflaufform. Kurzerhand ergriff Sting den Teller des Jungen und belud ihn mit der kleinen Portion. Als Sting ihm den Teller gab, leuchteten Lectors Augen voll kindlicher Freude. „Danke!“, rief er glücklich aus und machte sich über den Nachschlag her. Lächelnd stützte Sting sein Kinn mit der Hand ab und beobachtete den Dreikäsehoch. So taff er auch war und so sehr er auch darum bemüht war, immer auf Frosch aufzupassen, letztendlich war er doch noch ein kleiner Junge. Es war schön mit anzusehen, wie aus dem kleinen Kampfhund ein ganz normaler Junge wurde, der sich über so etwas Simples wie einen Nachschlag beim Essen so sehr freuen konnte. Frosch schlenkerte derweil fröhlich mit den Beinen und sah sich in der Küche um. Ihr Gesicht war beschmiert, sogar an ihrer Nasenspitze war ein Klecks Soße und ihr Pullover hatte auch etwas abbekommen. Der Pullover war an einem Ärmel schon ganz schön ausgefranst und die ehemals grüne Farbe war zu einem Graugrün verblasst. Der Pullover musste vorher Lector gehört haben, denn er war ein gutes Stück zu lang für Frosches kurze Arme und wirkte an ihr beinahe wie ein Kleid. Das war wohl auch der Grund, warum Lector nur ein dünnes Longshirt trug. Als Lector fertig war, stand Rogue auf, ging ins Badezimmer und ließ dort die Badewanne voll laufen. Eine gute Idee. Hier in der Wohnung war es zwar schön warm, aber Lector hatte sicher immer noch kalte Füße und dreckig waren sie Beide. Während er hörte, wie sein Freund ins gemeinsame Schlafzimmer ging und dort offenbar etwas suchte, räumte Sting den Tisch ab. Sofort griff Frosch nach ihrem eigenen Teller und brachte ihn zur Spüle, weshalb Lector sich genötigt sah, es ihr gleich zu tun. Lächelnd tätschelte Sting den Kopf des Mädchens, das ihn so arglos anstrahlte. Lector war zurückhaltender. Er schielte mehrmals zur Küchentür, durch welche Rogue verschwunden war. „Wie verraten euch nicht“, sagte Sting zu dem Jungen und zerzauste seine Haare. „Ihr könnt uns vertrauen.“ Lector strich sich mürrisch die Haare glatt und ging zurück zum Tisch, um die Gläser zu holen. Frosch hüpfte glücklich in der Küche herum und machte lauter Schränke auf, um zu sehen, was sich darin verbarg. Mit einem wachsamen Auge auf Frosch machte Sting den Abwasch. Zu seiner Überraschung griff Lector nach dem Geschirrtuch, um abzutrocknen. Faul war der Junge nicht, auch wenn er langsam war, weil er ebenfalls ein Auge auf Frosch hatte. Als Rogue in die Küche zurück kam, war der Abwasch bereits erledigt und Sting stellte gerade die saubere Auflaufform in den Schrank. „Die Badewanne ist fertig“, erklärte der Schwarzhaarige und hielt zwei Shirts hoch. „Eure Sachen können wir gleich in die Waschmaschine stecken, für die Nacht habe ich euch Shirts von uns raus gesucht. Die werden zwar zu groß sein, aber besser als nichts.“ „Eine Badewanne!“, jubelte Frosch und sauste an Rogue vorbei. Der beeilte sich, ihr zu folgen. Vorsichtshalber – und weil er sich zugegebenermaßen nicht daran satt sehen konnte, wie Rogue sich um die Kinder kümmerte – kam Sting auch mit. Während Lector sich selbstständig auszog, half Rogue Frosch aus dem großen Pullover heraus und legte diesen auf die Waschmaschine. Lector, der seine Sachen zuerst auf den Boden hatte fallen lassen, beeilte sich, sie aufzuheben und auch auf der Waschmaschine abzuladen. Als Frosch vollständig entkleidet war, entwirrte Rogue noch die lieblosen Zöpfe, die man ihr gebunden hatte. Das Mädchen kicherte die ganze Zeit und zwischendurch umarmte es Rogue spontan, was diesen gleich wieder aus dem Tritt brachte. Lächelnd ließ Sting den Blick wieder zu Lector wandern. Sein Lächeln erstarrte, als er auf den Oberarmen des Jungen blaue Handabdrücke erkannte. Jemand musste das Kind brutal gepackt haben. In Sting kochte eine wahnsinnige Wut hoch. Der Junge war großartig, er kümmerte sich hingebungsvoll um Frosch und lag nicht auf der faulen Haut. Wie konnte man ihm so etwas antun?! „Lector…“, begann Rogue leise, der die Spuren auch bemerkt hatte. „Ist nichts“, erwiderte Lector trotzig und hielt einen Finger ins Badewasser. Er schien es für angenehm zu befinden, denn er kletterte furchtlos in die Wanne. Sting und Rogue tauschten einen besorgten Blick, entschieden jedoch einvernehmlich, nichts dazu zu sagen. Ob Lector schon so etwas gewöhnt war und es daher tatsächlich nicht als große Sache ansah – ein monströser Gedanke! – oder ob er einfach nicht darüber reden wollte, um weiterhin stark bleiben zu können, sie wollten ihm seinen Willen lassen. Ansonsten würden sie sein Vertrauen gleich wieder verspielen. Rogue hob Frosch schließlich in die Badewanne und kniete sich daneben, um ihr dabei zu helfen, sich zu waschen. Das Mädchen war hellauf begeistert vom Schaum und vom warmen Wasser und planschte vergnügt herum. Mit einer Engelsgeduld, die doch sonst eher das Markenzeichen ihrer gemeinsamen Freundin Yukino war, stützte Rogue ihren Rücken, damit sie nicht ausrutschte und mit dem Kopf unter Wasser geriet, und spülte ihre Haare vorsichtig mit dem Duschkopf, ehe er nach dem Shampoo griff. Da er nicht die ganze Zeit nutzlos herum stehen wollte, ging Sting ins Wohnzimmer und klappte schon mal die Schlafcouch aus. Er suchte alles an Kissen und Decken zusammen, was er noch finden konnte. Sie hatten nur selten Übernachtungsgäste da, weshalb sie nicht so gut ausgerüstet waren. Als er den Schlafzimmerschrank durchsuchte, fiel ihm ein kleines, altes Froschkuscheltier auf, das auf dem Schrank gesessen hatte. Er musste lächeln. Bei ihrem ersten Date waren er und Rogue gemeinsam zum Jahrmarkt gegangen. Sie waren sechzehn Jahre alt gewesen und Sting hatte trotz der Einwände seines Begleiters sein Taschengeld für Bowle verprasst und war ein wenig angesäuselt gewesen, als er sich in den Kopf gesetzt hatte, beim Dosenwerfen mitzumachen. Rogue hatte sich erbarmt und ihm etwas Geld geliehen und nach zwei Versuchen, bei denen er den Budenbesitzer selbst abgeworfen hatte, hatte er die Dosenpyramide zum Einsturz gebracht. Der Gewinn war dieser Frosch gewesen und er hatte ihm Rogue in die Arme gedrückt und ihn dann vor allen Augen geküsst. Ihr erster Kuss. Nicht unbedingt sehr romantisch, aber heute musste Sting bei der Erinnerung schmunzeln. Kurzerhand ging er mit dem Frosch zum Fenster und klopfte ihn dort aus, um ihn vom Staub zu befreien, ehe er ihn auf das Schlafsofa setzte. Frosch würde sich unter Garantie darüber freuen. Als er ins Badezimmer zurückkehrte, trug sein Freund keinen Pullover mehr. Das Wäschestück lag pitschnass im Waschbecken und Rogues Haare klebten im Gesicht. Seine Jeans war ebenfalls nass und gefühlt die Hälfte des Wanneninhalts war jetzt auf dem Badezimmerboden. Sting prustete. Bei Rogues vorwurfsvollem Blick musste er lachen. „Was habt ihr denn gemacht?“ „Wasserschlacht!“, lachte Frosch, deren Haare noch voller Schaum waren. „Frosch hat gewonnen“, schmollte Lector, der aussah wie ein begossener Pudel und vorsichtig wieder aus der Wanne stieg, während Rogue nach dem Duschkopf griff und Froschs Haare behutsam ausspülte. Glucksend griff Sting nach einem großen Handtuch und rubbelte Lectors Haare trocken, ehe er den Jungen einwickelte und sich vor ihn hockte, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein. „Du hast sie gewinnen lassen, stimmt’s?“, flüsterte Sting verschwörerisch. „Pscht!“, machte Lector empört. Lächelnd trocknete Sting den Jungen weiter ab und half ihm in das Shirt, das Rogue raus gesucht hatte. Es reichte Lector bis zu den Knien, aber zumindest hatte er endlich mal wieder etwas Sauberes an. Als nächstes nahm Sting von Rogue eine saubere Frosch entgegen und trocknete sie ebenfalls ab. Sie kicherte immer noch vor sich hin, versuchte dabei aber, ihr Gähnen zu verstecken. Nicht sehr erfolgreich, aber es war niedlich mit anzusehen. Als beide Kinder trocken und angezogen waren, hatte Rogue sich auch schon aus seiner nassen Jeans geschält und sich mit einem kleinen Handtuch vom Waschbecken abgetrocknet. Nur in Boxershorts und das Handtuch noch um den Hals gehängt begleitete Rogue seinen Freund und die Kinder ins Wohnzimmer. „Froschi!“, quietschte das Mädchen, als es den Plüschfrosch entdeckte, und kuschelte sich sofort an ihn, ehe sie auf das Schlafsofa sprang. Lector kroch unter die Decken und gähnte herzhaft. Sting und Rogue gingen sicher, dass die Kinder richtig zugedeckt waren und dass die Heizung warm genug aufgedreht war, dann gingen sie gemeinsam zur Tür. „Wir sind nur eine Tür weiter. Wenn irgendetwas ist, könnt ihr jederzeit zu uns kommen“, versprach Sting lächelnd. „Schlaft gut“, wünschte Rogue wieder mit dieser sanften Stimme, die Sting so anregend fand. „Ihr auch“, nuschelte Lector verlegen, während Frosch nur etwas Unverständliches vor sich hin brabbelte. Schmunzelnd schloss Sting die Tür hinter sich und sein Freund ging ins Badezimmer zurück, um das Chaos zu beseitigen. Sting machte sich nützlich und schob die abgerissenen Kleider der Kinder in die Waschmaschine. Der Pullover war aus einem unangenehm kratzigen Material, fiel ihm auf, und die Socken waren löchrig und unförmig. Wer wusste, wie viele Kinder diese Sachen bereits abgetragen hatten, ehe sie Lector und Frosch gegeben worden waren. „Wir sollten morgen als erstes mit den Kindern einkaufen gehen, damit sie richtige Sachen haben“, überlegte Sting laut. Rogue, der gerade den Wischlappen auswrang, blickte ihn überrascht an. „Das alles macht dir wirklich nichts aus?“ „Du machst Witze, oder?“ Sting lachte leise. „Die Kinder sind großartig! Ich will ihnen unbedingt helfen.“ Nachdenklich legte Rogue den Kopf schief. „Und ich dachte schon, es ginge nur mir so. Sie haben etwas an sich…“ Lächelnd schloss Sting die Klappe der Waschmaschine, stellte das Kurzwäscheprogramm ein und drücke auf den Startknopf. Er wusste genau, was Rogue meinte, auch wenn es schwer in Worte zu fassen war. Sich um Lector und Frosch zu kümmern, fühlte sich vollkommen natürlich an. Als hätte es immer so sein müssen. Als wären sie eine Familie… Ein Seufzen ließ den Blonden wieder zu seinem Freund blicken, der sich den Hinterkopf rieb. „Wobei Lector einen bleibenden Eindruck hinterlassen kann. Er hat mir zuerst mit einem Stock auf den Kopf geschlagen, um Frosch zu beschützen.“ Sting ging zu Rogue und ließ seine Fingerspitzen durch dessen Haare gleiten, die noch immer feucht waren. Behutsam tastete er den Hinterkopf ab, bis er die Beule spürte. Noch viel vorsichtiger strich er die Haare darüber zurück, aber er konnte keine Verletzungen ausmachen. „Du hättest gleich ein Kühlakku drauf legen sollen“, tadelte er. „Dabei bist du normalerweise derjenige, der mich wegen solcher Sachen ermahnt.“ Rogue blickte über seine Schulter zu ihm auf und schnitt ihm eine Grimasse. „Ich wollte mich zuerst um die Kinder kümmern. Ist ja nur ne Beule und die Kopfschmerzen sind auch erträglich.“ Diese väterliche Seite an Rogue war ungemein aufregend und anziehend für Sting. Bisher hatten sie nie über das Thema Familiengründung gesprochen – immerhin würde Rogue sein Referendariat erst in einem halben Jahr abschließen und Sting war auch erst seit einem Jahr fest bei der Konzerthalle als Violinist angestellt –, aber hier und jetzt hatte der Gedanke, sich gemeinsam mit Rogue um ein Kind zu kümmern, etwas sehr reizvolles. Versonnen lächelnd beugte Sting sich vor und küsste seinen Freund. Ungehemmter dieses Mal, da die Kinder wohl kaum hier herein platzen würden. Der Schwarzhaarige ging sofort darauf ein, legte den Kopf schräg und drehte seinen Körper. Als ihre Zungen einander begegneten, stöhnte Sting selig und drückte sich enger an Rogues Körper, eine Hand in den schwarzen Haaren vergraben, die andere an der gefliesten Wand hinter Rogue abgestützt. Begierig fuhren Rogues Hände über Stings Pullover und seine Zunge drängte sich zwischen Stings Lippen. Rogues Stöhnen ließ dessen gesamten Körper vibrieren. Sting wurde ganz anders zumute. Er drückte seinen Freund an die Wand und seine Hand fuhr nach unten… Das Klingeln von Rogues Handy riss die beiden jungen Männer zurück in die Gegenwart. Verlegen lösten sie sich voneinander und Rogue holte das Smartphone aus seiner Jeans, die er achtlos auf dem Klodeckel abgelegt hatte. „Yukino, sie will wohl wissen, was mit den Kindern ist. Sie war dabei, als ich die Beiden getroffen habe“, erklärte Rogue kurz, ehe er dran ging. Während Rogue aus dem Badezimmer heraus ging, um im Schlafzimmer weiter zu telefonieren, machte Sting hier weiter. Er hängte Rogues nasse Sachen auf und wischte den Rest des Wassers vom Boden auf. Die mittlerweile wieder leere Badewanne spülte er noch aus, dann verkündete die Waschmaschine mit einem Piepen das Ende ihrer Arbeit. Die Sachen der Kinder hängte Sting ebenfalls auf, damit sie über Nacht trocknen konnten, dann löschte er das Licht im Badezimmer und ging ins Schlafzimmer, wo sein Freund sich gerade zu seinem Bedauern ein Shirt überzog. „Schönen Gruß von Yukino. Sie hat gefragt, ob wir dann morgen überhaupt mit zum Schlittschuhlaufen kommen. Ich habe ihr gesagt, dass wir das morgen früh entscheiden.“ „Den Kindern würde es sicher Spaß machen. Wenn wir ihnen vorher richtige Sachen kaufen, sollte das schon in Ordnung gehen“, meinte Sting, der ungern auf den Spaß verzichten würde. Immerhin hatten er und Yukino sich extra mit Bixlow abgesprochen, um sicher zu gehen, dass morgen Laxus und Minerva zur selben Zeit auf der Eisbahn waren. Er wollte ungern verpassen, wie die Beiden aufeinander stießen… Rogue brummte leise, was Sting ein Kichern entlockte. Sein Freund hatte garantiert schon darüber nachgedacht, wie er um das Schlittschuhlaufen herum kam. Auch Sting zog sich für die Nacht um und sie krochen Beide ins Bett. Mit der Hand stützte Sting seinen Kopf ab und sah seinen Freund an, der die Arme hinter seinem Kopf verschränkt hatte und zur Decke hoch blickte. „Vielleicht solltest du Metallicana erst am Montag anrufen“, schlug er leise vor. „Um es hinaus zu zögern?“, seufzte Rogue und drehte den Kopf, sodass sie einander in die Augen blicken konnten. In Rogues roten Augen erkannte Sting dieselben widerstreitenden Gefühle, die auch ihn plagten. Der Abend mit den Kindern war großartig gewesen. Es hatte sich wunderbar angefühlt, sich um die Kinder zu kümmern, und insgeheim wünschte Sting sich, er könnte das zukünftig jeden Abend tun. Aber wenn sie Metallicana anriefen und der heraus fand, aus welchem Heim die Kinder ausgerissen waren, würden sie dorthin zurück müssen. Das würde Lector ihnen nie verzeihen. Doch sie konnten die Kinder nicht einfach hier behalten. Ansonsten bekamen sie Ärger mit dem Vermieter und wer wusste, mit was alles für Ämtern… „Dieses eine Wochenende sollten wir ihnen einfach den Frieden lassen“, murmelte Sting, schaltete das Nachtlicht aus und drückte sein Gesicht ins Kissen. Alles, was Rogue dazu sagte, war ein unzufriedenes „Hm“, aber Sting verstand es nur zu gut. Ein Wochenende war nicht genug… Irgendwann mitten in der Nacht wurde Sting geweckt, als ein winziger Körper über ihn hinweg krabbelte und es sich in der Lücke zwischen ihm und Rogue gemütlich machte, den Plüschfrosch fest an sich gedrückt. Müde lächelnd strich Sting durch Froschs Haare und begegnete dabei Rogues Hand. Das Mädchen nuschelte selig vor sich hin und kuschelte sich an Rogues Bauch. Einem Instinkt folgend drehte Sting sich herum. Tatsächlich stand neben dem Bett Lector. Dank des Laternenlichts, das durchs Fenster herein fiel, konnte er die Zweifel in den Zügen des Jungen erkennen. Ohne darüber nachzudenken, setzte Sting sich auf, schlang die Arme um Lectors Mitte und zog ihn zu sich aufs Bett und in die Lücke neben Frosch. Seine Decke breitete er sorgsam über den Jungen, wie Rogue es auch schon bei Frosch gemacht hatte, und strich beruhigend über die rotbraunen Haare. „Schlaf’ gut, Lector“, gähnte Sting. Der Junge murmelte etwas Unverständliches, was wahrscheinlich mürrisch klingen sollte, aber Sting konnte spüren, dass sich der kleine Körper neben ihm entspannt hatte. Kurz darauf hörte er Lectors und Froschs ruhige Atemzüge und er konnte sich am nächsten Morgen nicht erinnern, jemals zuvor so gut geschlafen zu haben wie in dieser Nacht mit den zwei Kindern zwischen ihm und Rogue im Bett… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)