Froschhüpfer von Yosephia (Wie man zu einer Familie kommt) ================================================================================ Hüpfe zweimal – und es werden deine ------------------------------------ Nichts ist hilfreicher als eine Herausforderung, um das Beste in einem Menschen hervorzubringen. Sean Connery Ein leises Wimmern riss Rogue aus dem Tiefschlaf. Benommen blinzelnd sah er sich um. Zuerst erkannte er Sting, der einen Arm um Lector geschlungen hatte und ebenfalls verschlafen blinzelte. Der Junge war bereits hellwach und steif wie ein Brett, die Augen starr auf Frosch gerichtet. Rogue senkte den Blick auf das winzige Mädchen, das er in der letzten Nacht fest in die Arme geschlossen hatte, als es sich an ihn geschmiegt hatte. Jetzt jedoch hockte Frosch am Fußende des Bettes und weinte. „Was ist los?“ Besorgt richtete Rogue sich auf, knipste seine Nachttischlampe an – ein Blick auf den Funkwecker verriet ihm, dass es gerade einmal sieben Uhr früh war – und schlug die Decke zurück. Da erkannte er auch schon das Problem: Dort, wo Frosch in der Nacht gelegen hatte, war das Laken nass. „Oh…“ Auch Sting hatte sich nun aufgesetzt und blickte betreten zwischen Frosch und dem nassen Laken hin und her. Lector krabbelte über das Bett zu seiner kleinen Freundin und zog sie in seine Arme. Der Blick, den er zwischen Rogue und Sting hin und her wandern ließ, flackerte vor Angst. Angst wovor? Überfordert sah Rogue wieder auf das Laken hinunter. Was tat man in so einer Situation? Natürlich hatte Frosch das nicht mit Absicht getan und Rogue fand das auch nicht weiter dramatisch. Dann musste er die Bettwäsche halt in die Waschmaschine stopfen, na und? Aber wie sollte er jetzt mit Frosch umgehen? Sie trösten? Sie ablenken? Rogues Kopf ruckte hoch, als ihm etwas anderes einfiel. War Frosch im Heim dafür bestraft worden? Hatte Lector deshalb solche Angst und weinte Frosch deshalb auch so herzzerreißend? Der Gedanke trieb Rogue beinahe die Galle hoch. Tief holte er Luft und strich sich durch die wirren Haare, ehe er langsam auf Lector und Frosch zu kroch. Ganz behutsam strich er über die grünen Haare des Mädchens. Sting schlug sein eigenes Laken zurück und stand auf, um in seine Jogginghose zu schlüpfen. „Komm’, Lector, wir Beide bereiten das Frühstück vor.“ Zögerlich blickte der Junge auf Frosch hinunter, die immer noch schluchzte und zitterte. Dann suchte er Rogues Blick. Der Schwarzhaarige nickte ermunternd. Auch Lector brauchte jetzt Zuwendung, das hatte Sting schneller als Rogue begriffen. Die Sorge um Frosch musste den Jungen im Heim an seine eigenen emotionalen Grenzen getrieben haben. Wahrscheinlich war er deshalb auch mit seiner viel zu kleinen Freundin ins Ungewisse geflohen. „Ich kümmere mich um Frosch“, versprach Rogue ernsthaft. Nur langsam nickte Lector und löste vorsichtig seine Umarmung. Sofort rutschte Rogue nach und zog Frosch auf seinen Schoß, während Lector vom Bett kletterte und zu Sting ging, der ihm geduldig die Hand anbot. Während er sich von Sting aus dem Schlafzimmer führen ließ, blickte der Junge die ganze Zeit über seine Schulter zu Frosch zurück, seine Miene noch immer voller Sorgen und Ängste. Als er mit ihr alleine war, konzentrierte Rogue sich voll und ganz auf Frosch. Behutsam wiegte er sie in seinen Armen und drückte sie dabei sanft an sich. Ihr Körper war winzig, kam ihm beinahe zerbrechlich vor. Er wünschte sich sehnlichst, sie vor allen Ängsten und Sorgen zu beschützen. Sie sollte nicht weinen, sondern lachen und das Leben genießen! Es dauerte einige Minuten, bis Frosch sich endlich etwas beruhigt hatte. Sobald er sicher sein konnte, dass sie nicht mehr weinte, setzte Rogue sie auf die Bettkante, kniete sich davor und ergriff behutsam ihre kleinen Hände. „Du musst keine Angst vor Sting und mir haben, Frosch“, sagte er sanft. „Wir machen jetzt gemeinsam sauber und dann gehen wir zu Sting und Lector, um mit ihnen zu frühstücken, in Ordnung?“ Zaghaft nickte das Mädchen. Aufmunternd strich Rogue durch ihre Haare, ehe er sich aufrichtete und begann, das Bett abzuziehen. Den Plüschfrosch reichte er Frosch, doch sie setzte ihn auf Stings Nachttisch und machte dann Anstalten, ihm zu helfen. Also gab er ihr das abgezogene Bettzeug, damit sie es halten konnte. Die Matratze behandelte er mit Reinigungsmittel und Geruchsspray aus einem kleinen Schrank im Flur und öffnete das Fenster, um zu lüften, dann nahm er der geduldig wartenden Frosch einen Teil ihrer Last ab. Mit dem Bettzeug beladen gingen sie ins Bad und stopften die Wäsche gemeinsam mit dem Shirt, das Frosch getragen hatte und das ebenfalls nass war, in die Waschmaschine. Aufgrund der Uhrzeit schaltete Rogue das Gerät noch nicht ein. Stattdessen stellte er Frosch in die Badewanne und duschte sie von Kinn abwärts an mit lauwarmem Wasser ab, damit sie wieder sauber wurde. Als er sie abtrocknete, stupste er sanft ihre Nase an und schenkte ihr ein Lächeln. Ihm wurde warm zumute, als sie es erwiderte. Geduldig zog er ihr die trockenen Sachen an, die sie gestern getragen hatte. Der Pullover war wirklich scheußlich. Dieser kratzige Stoff war eine Zumutung, aber Frosch beklagte sich nicht darüber. Dennoch nahm Rogue sich fest vor, nach dem Frühstück mit Lector und Frosch einkaufen zu gehen, wie Sting es gestern vorgeschlagen hatte. Lector brauchte unbedingt eine richtige Jacke und vernünftige Stiefel! Nachdem Frosch richtig angezogen war, kämmte Rogue ihre Haare durch und band sie zu einem simplen Pferdeschwanz, die einzige Frisur, die er selbst je ausprobiert hatte. Gewaschen und ordentlich gekämmt hatten Froschs Haare einen gesunden Glanz und fühlten sich seidig weich an. „Wie Rogue“, staunte Frosch, als Rogue sie vor den Spiegel hielt, damit sie ihre Frisur betrachten konnte. Sie verdrehte den Kopf und strahlte ihn glücklich an. Verlegen erwiderte Rogue ihr Lächeln. Es war nicht beabsichtigt gewesen, einen Partnerlook herzustellen, aber wenn es sie glücklich machte, war er froh darum. „Und jetzt gehen wir frühstücken“, erklärte er und nahm Frosch bei der Hand, um sie zur Küche zu führen, aus der bereits der Geruch frisch gebrühten Kaffees drang. Im Flur löste sie sich jedoch von ihm und eilte zurück ins Schlafzimmer, also ging er schon mal alleine weiter. Kurz bevor er die Tür öffnen konnte, hörte er Lectors angespannte Stimme: „Seid ihr uns wirklich nicht böse?“ „Wieso sollten wir?“, erwiderte Sting ehrlich verwirrt. „Frosch hat es nicht mit Absicht getan.“ „Im Heim haben sie immer mit ihr geschimpft und sie gehauen“, presste Lector hervor. „Wir werden euch niemals hauen, das verspreche ich dir.“ Noch immer klang Stings Stimme ruhig, aber Rogue hörte den wütenden Unterton heraus, der zweifelsohne den Angestellten des Kinderheims galt. „Können wir nicht einfach bei euch bleiben?“ Darauf folgte unangenehmes Schweigen, das sich quälend lange hinzog, bis Lector enttäuscht weiter sprach. „Wollt ihr uns nicht behalten?“ „Doch!“, beeilte Sting sich und irgendetwas wurde abgelegt, ehe er weiter sprach. „Lector, wir haben euch sehr, sehr gern und wir wollen euch helfen, aber wir bekommen alle Ärger, wenn wir euch einfach so hier behalten. Ihr müsst doch irgendwann mal zur Schule und wenn ihr krank seid, müssen wir den Ärzten auch nachweisen, dass ihr zu uns gehört und all so was… Wir wissen nicht, ob wir euch hier behalten dürfen.“ „Warum sollte euch das jemand verbieten?“ „Ach Lector…“ Rogue hatte bildhaft vor Augen, wie sein Freund sich ratlos die Haare zerzauste. „Das ist alles so furchtbar kompliziert… Ich verstehe den ganzen Kram selbst nicht so richtig, um ehrlich zu sein. Wir rufen übermorgen Rogues Onkel an und fragen ihn um Rat. Bis dahin bleibt ihr auf alle Fälle bei uns und wir werden verhindern, dass man euch jemals wieder weh tut.“ Dieses Mal war es Lector, der schwieg. Rogue hörte Stings schweres Seufzen und zögerte, jetzt einfach in die Küche zu treten. Lector zu beruhigen, war ganz offensichtlich schwieriger als bei Frosch. Er hatte schon mehr im Heim erlebt und das hatte ihn schwer geprägt. Vertrauen fiel ihm wohl schwer und Rogue konnte es ihm nicht verübeln, auch wenn es weh tat. Während Rogue noch unschlüssig vor der Tür stand und in der Küche Schweigen herrschte, kam Frosch durch den Flur gerannt, das Plüschtier wieder fest an sich gedrückt, und stieß die Küchentür einfach auf. Sofort kehrte das Leben in die Küche zurück. Frosch plapperte in ihrer Kleinkindersprache in einem fort über ihre Haare, umarmte spontan Lector und Sting und kletterte schließlich auf denselben Stuhl, auf welchem sie auch schon gestern gesessen hatte. Beim Anblick des reichlich gedeckten Frühstückstisches klatschte sie begeistert in die kleinen Hände, wobei ihr der Frosch aus den Armen rutschte. Lector sammelte ihn auf und setzte sich damit neben Frosch. Ihre gute Laune entlockte ihm ein Lächeln und er nickte Rogue zu. Er wirkte gar nicht wie ein Fünfjähriger bei dieser Geste, sondern viel älter, aber Rogue versuchte, sich seine Besorgnis nicht anmerken zu lassen und setzte sich mit an den Tisch, wo Sting bereits Brötchen für die Kinder aufschnitt. Während Lector seine Hälften selbst belegte, wurde für Frosch die erste Brötchenhälfte in kleine Happen geschnitten und mit verschiedenen Käsesorten belegt, die das Mädchen selbst bestimmte. Je länger Frosch zwischen den einzelnen Happen redete, desto lockerer wurde die Situation. Das Mädchen erfüllte den Raum mit Leben und hauchte allen in ihrer Umgebung Freude ein. Rogue tauschte einen Blick mit seinem Freund, dessen Lippen von einem so sanften Lächeln umspielt wurden, wie Rogue es nie zuvor bei ihm gesehen hatte. Und Rogue verstand, dass Sting genau wie er selbst auch von einer tiefen Zufriedenheit erfüllt wurde – einfach nur weil diese Kinder bei ihnen waren. Glück ist nicht in einem ewig lachenden Himmel zu suchen, sondern in ganz feinen Kleinigkeiten, aus denen wir unser Leben zurechtzimmern. Carmen Sylva Wenn Sting auch nur geahnt hätte, was für Gesichter seine Freunde machen würden, hätte er eine Kamera mitgebracht. Für eine Sekunde erwog er sogar, ob der Moment noch lange genug anhalten würde, damit er sich mit der integrierten Kamera seines Smartphones auseinander setzen konnte, um das Bild, das sich ihm bot, festzuhalten. Fassungslosigkeit war wohl die treffendste Beschreibung für das, was sich in den Mienen von Minerva, Orga und Rufus wieder spiegelte. Wie eine Erscheinung starrten sie die beiden Kinder zwischen Sting und Rogue einfach nur an – Frosch an Rogues Bein geklammert, während Lector sich an Stings Hand fest hielt. Es war zugegebenermaßen auch fies gewesen, die Drei nicht vorzuwarnen, aber das konnten sie dann genauso Yukino vorwerfen, die seltsam lächelnd neben den Anderen stand und so tat, als würde sie ihren Schal fester wickeln, um so von ihrem Lächeln abzulenken. „Wann es das denn passiert?“, platzte es schließlich aus Orga heraus, seine Stimme wie immer so laut und dröhnend, dass einige Passanten sich verwirrt nach ihm umdrehten. „Die Frage ist eher wie“, korrigierte Minerva den Hünen, dessen grünblaue Mähne nur von einem Band gezähmt wurde. Ihre langen, schwarzen Haare waren unter einer schwarzen Strickmütze mit Ohrenklappen verborgen. Nur der dicke Zopf hing ihr über die linke Schulter. Für Sting war es eine Genugtuung, seine langjährige Freundin mal so sprachlos zu erleben. Leider war sein Freund jedoch viel zu gut für die Welt, um die gemeinsamen Freunde weiter zappeln zu lassen. „Das sind Lector und Frosch. Ich habe sie gestern von der Straße aufgesammelt.“ „Frosch ist Frosch!“, krähte das Mädchen, als es seinen Namen hörte, und schenkte den Erwachsenen ein strahlendes Lächeln. Seit dem Frühstück hatte Frosch glänzende Laune, die sich sogar noch mehr gesteigert hatte, als sie nach dem Essen aufgebrochen waren, um einzukaufen. Drei Stunden lang waren die Vier unterwegs gewesen. Jetzt waren Lector und Frosch komplett neu eingekleidet. Frosch trug eine grüne Winterjacke mit Reflektorstreifen an den Ärmeln und am Rücken und eine rosa Thermohose – sie war so begeistert von der Farbe gewesen, dass Sting und Rogue ihr den Wunsch unmöglich hatten ausschlagen können. Ihre kleinen Füße steckten in gut gefütterten Winterstiefeln in ihrer Größe, ein rosa Strickschal in Kindergröße schützte ihren Hals und ihre Haare verschwanden unter einer gestrickten Zipfelmütze in allen Regenbogenfarben, deren Zipfel bis zum Hintern des Mädchens reichte. Lector trug ähnliche Winterstiefel, eine braune Winterjacke und schwarze Thermohosen, dazu eine schwarze Skimütze und einen Strickschal in verschiedenen Blautönen. Die Farbe Blau schien es ihm wirklich angetan zu haben, auch wenn er es nicht so exzessiv auslebte wie Frosch. In Stings und Rogues Kleiderschrank gab es jetzt für jedes der Kinder ein eigenes Fach mit Kleidung. Sowohl Lector als auch Frosch waren mit mehreren Pullovern, Shirts, Unterwäsche, Socken und Hosen ausgestattet. Außerdem lagen auf dem Wohnzimmertisch eine riesige Palette Wachsmalstifte und ein dicker Block Papier für Frosch sowie zwei Zauberwürfel ganz allein für Lector. Zu Froschi – dem Plüschtier, das Sting und Rogue all die Jahre als Erinnerungsstück gehütet hatten – hatten sich noch zwei kleinere Froschkuscheltiere gesellt. Als ob nicht auch so schon klar wäre, wie vernarrt Frosch in die gleichnamigen Amphibien war, hatte sie jetzt sogar einen Froschpyjama, ebenfalls rosa mit braunen Flecken am Rücken und am Hinterkopf. Und Lector hatte sich zwar geziert, danach zu fragen, aber als Sting ihm ein Wolfplüschtier in die Arme gedrückt hatte, hatte er sich riesig gefreut. Es hatte ihre Geldbeutel zwar ganz schön geschröpft und sie hatten ganz schön viel schleppen müssen, aber dennoch hatte es Sting großen Spaß gemacht, mit den Kindern einkaufen zu gehen, und er war sich vollkommen sicher, dass es seinem Freund genauso ergangen war. Frosch hatte sich pausenlos gefreut und auch Lector hatte sich irgendwann von ihrer Euphorie anstecken lassen. Er war einfach nur ein Kind gewesen, begeistert von Spielzeugläden und Schokoladenbananen und Kakao. „Von der Straße aufgesammelt, weil man das halt so macht, hm?“, murmelte Rufus, der sich immer noch nicht ganz gefasst hatte. Sting zuckte mit den Schultern und grinste unbekümmert. Seine Freunde mochten zwar noch neben der Spur sein, aber er merkte ihnen an, dass keiner von ihnen auch nur das geringste Problem mit den Kindern hatte. Yukino setzte sich als Erste in Bewegung und ging vor den Kindern in die Hocke. „Erinnert ihr euch noch an mich? Ich bin Yukino.“ „Die Tante mit dem Kakao“, sagte Lector, was Sting noch breiter grinsen ließ. Anscheinend dachte der Junge zuallererst mit dem Magen, was ihm sehr sympathisch war. „Tante Yu!“, entschied Frosch begeistert. Die Weißhaarige legte lächelnd den Kopf schief. „Wenn ihr wollt, könnt ihr mich gerne so nennen.“ „Dann bist du Tante Yu“, erklärte Lector flegelhaft und hielt Yukino die Hand zum Gruß hin. Sting gluckste amüsiert, aber Yukino erwiderte die Geste ganz feierlich, ehe sie zu den Anderen deutete. „Wir sind alle Freunde von Sting und Rogue. Das ist-“ „Ich bin Minerva“, kam Minerva ihrer Freundin zuvor, um zu verhindern, dass diese sie mit ihrem verhassten Spitznamen Nerva vorstellte. „Tante Mi“, verkündete Lector wie ein kleiner Herrscher. Wenn vorher noch der geringste Zweifel daran bestanden hatte, dass der Junge großartig war, war dieser hiermit endgültig aus der Welt geschafft! Um nicht laut zu lachen bei Minervas steinerner Miene, täuschte Sting ein Husten vor. Yukino kicherte unverhohlen, Orga gluckste, sogar Rufus und Rogue grinsten. „Aber nur für euch Zwei, damit das klar ist“, sagte Minerva mit in die Hüften gestemmten Armen. „Ist okay“, erwiderte Lector gönnerhaft. Mittlerweile hatte Sting vom unterdrückten Lachen Bauchschmerzen. Während sich auch Orga und Rufus den Kindern vorstellten – Orga war besonders enthusiastisch bei der Sache, aber das hatten die Freunde schon immer gewusst, dass er ein Kindermensch war, das blieb wohl nicht aus, wenn man mit fünf jüngeren Geschwistern aufwuchs –, sah Sting sich auf dem Platz vor der Eishalle nach den zwei fehlenden Personen der Gruppe um, die sich zum Schlittschuhlaufen verabredet hatte. Am Eingang der Halle erkannte er einen hünenhaften Blondschopf in Begleitung eines breitschultrigen, aber schlanken Blauhaarigen, der ihm kumpanenhaft einen Arm um die Schultern gelegt hatte. Sting tauschte einen triumphierenden Blick mit Yukino. Sehr gut, auf Bixlow war eindeutig Verlass! Aus dem Augenwinkel sah Sting Rogues Augenrollen, was ihn jedoch nur noch mehr grinsen ließ. Rogue war der Meinung, dass sie sich nicht in Minervas Liebesleben einmischen sollten, und stellte sich auch konsequent taub, wenn Sting und Yukino Pläne schmiedeten. Dabei waren Sting und Rogue damals auch mehr oder minder verkuppelt worden und man konnte wirklich nicht sagen, dass ihnen das geschadet hatte. Sicherlich, abgeneigt waren sie von Anfang an nicht gewesen und sie hatten einander auch nie so angezickt wie Minerva und Laxus, aber dafür hatten sie Beide ganz schöne Hemmungen gehabt. Immerhin war das damals mit ihrer Beider Coming Out einhergegangen. Für sechzehnjährige Bengel war das eine große Sache. Sting ging jede Wette ein, dass Minerva und Laxus hinter ihren Streitereien auch nur ihre Hemmungen verbargen! Da! Endlich sah Sting die fehlenden Mitglieder ihrer kleinen Gruppe. Ein junger Mann mit kupferfarbenen Haaren und einem Herzensbrechergesicht und eine junge Frau mit hüftlangen, blonden Haaren, die zu einem komplizierten Zopf geflochten waren, und großen, braunen Augen, die gehetzt und übermüdet wirkten. Sie sah nicht so aus, als wäre sie ganz freiwillig hier. In Stings Brust bildete sich der mittlerweile leider altbekannte Knoten aus Sorge. Er löste sich von Lector und tätschelte beruhigend seinen Kopf, ehe er Loke mit einem Handschlag begrüßte und dann seine Cousine Lucy umarmte. Wie so oft in letzter Zeit versteifte sie sich in seinen Armen. Seit zwei Jahren konnte sie sich nicht mehr richtig entspannen und das sah man ihr leider allzu oft an. „Schön, dass du dich von deiner Arbeit loseisen konntest.“ „Mir blieb ja keine andere Wahl, Loke hat Telefonterror gemacht“, brummte Lucy und warf ihrem Ex-Freund einen finsteren Blick zu, der Yukino mit einem Kuss begrüßte. Der Weißhaarigen war diese Zuneigungsbekundung vor Lucys Augen offensichtlich unangenehm und sie warf der Blonden einen schuldbewussten Blick zu. Sting unterdrückte ein Seufzen. Die Situation der Drei war wirklich vertrackt. „Leute wie dich muss man halt zu ihrem Glück zwingen“, lenkte Sting vom Thema ab und legte seiner Cousine einen Arm um die Schultern, um sie zu Lector und Frosch herum zu drehen. „Darf ich vorstellen, Lucy, das sind Lector und Frosch. Rogue hat die Beiden gestern von der Straße aufgesammelt. Lector, Frosch, das ist meine Cousine Lucy.“ „Tante Lu“, entschied Lector kategorisch und Frosch wiederholte den Namen mit einem begeisterten Händeklatschen. Vor Überraschung vergaß Lucy völlig, ihre Schilde oben zu behalten. Ihre Schultern entspannten sich endlich einmal und ihre Lippen umspielte ein aufrichtiges Lächeln, als sie sich hinhockte, um Lector und Frosch die Hand zu reichen. „Freut mich, eure Bekanntschaft zu machen. Haltet ihr Sting und Rogue auch gut auf Trab?“ „Machen wir“, versprach Lector grinsend. Sting war so erleichtert, dass seine Cousine sich endlich einmal entspannte, dass er sich nicht einmal über ihren Versuch ärgern konnte, ihn und Rogue zu piesacken. Da sie jetzt vollständig waren, setzten sie sich in Bewegung. Frosch hüpfte von einem zum nächsten und entschied sich irgendwann dafür, sich an Minervas Hand zu klammern, was dieser ein ungewohnt weiches Lächeln entlockte. Lector hielt sich an Yukino und fragte sie über Kuchen aus. Kaum zu fassen, hatte der Junge doch erst vor einer Stunde zwei der Muffins verdrückt, die Rogue gestern mitgebracht hatte! Eine Berührung an seiner Hand ließ Sting zur Seite blicken. Rogue lief neben ihm. In seinen roten Augen erkannte Sting wieder dieses fürsorgliche Leuchten. Schon wieder wurde Sting ganz kribbelig zumute und er ließ sich nach einem vergewissernden Blick in Richtung der Kinder dazu hinreißen, einen Schritt schräg nach vorn zu machen und sich umzudrehen, um Rogue zu stoppen. Der Schwarzhaarige schien nur darauf gewartet zu haben, denn er zog Sting an den Enden des Schals zu sich und legte den Kopf für einen Kuss schräg. Sting seufzte selig und umfasste das Gesicht seines Freundes, während er den gefühlvollen Kuss erwiderte. Seine Cousine entspannte sich, seine Freunde waren alle da, den Kindern ging es gut und er hatte Rogue. Er war in diesem Moment rundum glücklich… „Tante Mi, was machen Sting und Rogue da?“ „Etwas ganz, ganz schlimmes, du musst sie in Zukunft immer daran hindern.“ „Minerva, sei nicht so garstig“, protestierte Yukino. Seufzend lehnte Sting seine Stirn gegen Rogues. „Vielleicht hätten wir ihnen die Kinder doch nicht vorstellen sollen.“ „Ich hatte sowieso keine Lust aufs Schlittschuhlaufen“, erwiderte Rogue gnadenlos, gab Sting jedoch noch einen versöhnlichen Kuss, ehe er sich von ihm löste und weiter ging. Frosch hüpfte jetzt wieder an Rogues Seite und fragte ihn ein Loch in den Bauch, ob das, was er mit Sting gemacht hatte, wirklich etwas Schlimmes sei und wieso eigentlich und warum sie es dennoch taten und so weiter und so fort. Rogue wand sich unter dem unschuldigen, aber sehr peinlichen Fragensturm und Sting spürte in seinem Gesicht die Hitze aufsteigen. Die Anderen hingegen amüsierten sich köstlich, während Rogue so kindgerecht wie möglich versuchte, die Situation zu entschärfen. Das Ganze fand erst ein Ende, als sie an die Kasse heran traten. Während die Anderen alle Einzelkarten kauften, löste Sting eine Familienkarte für sich, Rogue und die Kinder. Rogue warf ihm deswegen einen missbilligenden Blick zu und Minerva hüstelte auffällig, aber Sting ignorierte Beides und nannte der Frau an der Kasse prompt die Schuhgrößen der Kinder – immerhin hatte er ihnen gerade Schuhe gekauft, da hatte er sie zum Glück noch im Gedächtnis. Mit vier Paar Schlittschuhen beladen folgte Sting seinen Freunden zu den Bänken. Frosch war super aufgeregt und zappelte die ganze Zeit, was es Rogue schwer machte, ihr die Schlittschuhe richtig anzuziehen. Lector hingegen wollte es zuerst alleine hinkriegen und war frustriert, als er an der komplizierten Schnürung und an den Schnallen scheiterte. Seufzend ging Sting, der seine Schlittschuhe bereits anhatte und keine Probleme damit hatte, sich so im Gleichgewicht zu halten, vor dem Jungen in die Hocke. „Darf ich jetzt?“ „Na gut“, brummte Lector, sah Sting jedoch sehr genau auf die Finger, wie er die Schnürsenkel überkreuz einharkte und die Schleife band, ehe er die Schnallen einrasten ließ, bevor er sie festmachte. „So bequem?“ „Glaube schon.“ „Bist du schon mal auf dem Eis gewesen?“ „Nicht mit so was.“ „Ich zeige dir, wie es geht“, bot Sting an und blickte vergewissernd zu Rogue und Frosch. Letztere hatte ihre Schlittschuhe endlich an, während Rogue gerade an seinen eigenen die letzte Schnalle schloss, ehe er aufblickte und seinem Freund zunickte. Gut, Frosch war bei dem Schwarzhaarigen in besten Händen. Der mochte zwar nicht scharf darauf gewesen sein, hierher zu kommen, aber er konnte gut Schlittschuh laufen. Sting nahm den wackeligen Lector bei der Hand und führte ihn zur Bande. Unterwegs klopfte er Minerva auf die Schulter, die eisern auf der Bank saß und keine Anstalten machte, ihre Schlittschuhe anzuziehen, während um sie herum alle ahnungsvoll grinsten. „Nur keine Müdigkeit vortäuschen, Tante Mi.“ „Du darfst sie nicht so nennen, Sting“, tadelte Lector vorwurfsvoll. „Bist ein guter Junge, Lector.“ „Ich weiß!“ Sting verbiss sich das Lachen. Er hätte nicht gedacht, dass die Kinder ausgerechnet zu Minerva so einen guten Draht haben würden, aber sie waren offensichtlich Beide sehr angetan von ihrer Tante Mi. Und umgekehrt schien Minerva die Kinder sehr zu mögen. Immerhin erlaubte sie ihnen einfach so, ihr einen Spitznamen zu verpassen. Sting und die Anderen wurden jedes Mal wütend angeblitzt, wenn sie es wagten, sie Nerva zu nennen. An der Bande half Sting seinem Schützling, die Schoner von den Kufen zu ziehen und dann über die hohe Schwelle der Bande aufs Eis zu steigen. Während er sicher ging, dass Lector warm eingepackt war und auch seine Handschuhe trug, hörte er Froschs unschuldige helle Stimme: „Tante Mi mitkommen?“ Bei Minervas unverständlichem Nuscheln musste Sting grinsen, weshalb Lector skeptisch zu ihm aufblickte. „Was ist so lustig?“ „Nichts, nichts, lass’ uns loslegen“, winkte Sting noch immer grinsend ab und ergriff beide Hände des Jungen, um ihm bei den ersten Schritten zu helfen, während er selbst rückwärts lief und nur ab und an über seine Schulter blickte, um sicher zu gehen, dass er in niemanden hinein lief. Am Anfang war Lector noch ganz schön verkrampft, aber er klammerte sich vertrauensvoll an Stings Hände. Gewissenhaft gab der Blonde ihm Tipps, wie es vor so vielen Jahren sein Vater mit ihm gemacht hatte. Da war er sogar in etwa so alt wie Lector jetzt gewesen, fiel ihm auf, und es hatte ihn gewurmt, dass Lucy, die ein Jahr jünger als er war, bereits nach kurzer Lernphase eigenständig an ihm vorbei gefahren war. Nach drei Runden ließ Sting vorsichtig eine von Lectors Händen los. Nach einer weiteren ließ er komplett los. Unbändiger Stolz erfüllte ihn, als Lector zwar noch sehr wackelig, aber selbstständig weiter fuhr. Achtsam fuhr er neben dem Jungen her und gab ihm weiterhin Ratschläge, erlaubte sich nun jedoch, auch mal Ausschau nach Rogue und Frosch zu halten. Noch immer hielt sich das Mädchen an Rogues Händen fest, aber es hatte offensichtlich Spaß an der Sache. Unweit von Rogue und Frosch klammerte Minerva sich krampfhaft an die Bande, ihre Knie verräterisch weiß, was Sting wieder grinsen ließ – und er musste gleich noch viel breiter grinsen, als er sah, wie Laxus mehr über das Eis torkelte, als dass er fuhr, und sich dabei so sehr auf seine Füße konzentrierte, dass er gar nicht bemerkte, wie Bixlow ihn auf Kollisionskurs mit Minerva schickte. „Der Plan geht auf.“ Neben Sting und Lector drosselte Yukino ihr Tempo. Ihre Wangen waren gerötet von der Kälte und ihre braunen Augen leuchteten triumphierend. Sie und Sting schlugen über Lectors Kopf hinweg ihre Fäuste aneinander. „Findet ihr nicht, dass die Beiden allmählich weit genug sind, um das alleine hin zu kriegen?“, mischte Lucy sich ein, die ebenfalls ihr Tempo gedrosselt hatte. Sting fiel auf, dass Yukino sofort schuldbewusst den Kopf einzog – dabei war Yukino wie so oft wegen einer ganz anderen Sache schuldbewusst. „Lass’ uns doch den Spaß, Lucy, Nerva bietet sonst so wenig Angriffsfläche und es macht so großen Spaß, sie mit Laxus zu verkuppeln“, verteidigte Sting sein Vorgehen. „Ihr wisst aber schon, dass sie euch das irgendwann heimzahlen wird?“ „Wir sind schon verkuppelt, wie soll sie uns das schon heimzahlen?“ „Sie wird schon Mittel und Wege finden, gerade du solltest das doch wissen“, seufzte Lucy und hakte sich dann bei Yukino unter, um sie zu einem schnelleren Lauf aufzufordern. Zuerst wirkte Yukino noch zögerlich, aber Lucy ging so ungezwungen kameradschaftlich mit ihr um, dass sie wieder auftaute. „Du, Sting?“ Der Blonde blickte wieder auf seinen Schützling hinunter, der mittlerweile sicher genug lief, um nicht mehr die ganze Zeit auf seine Füße starren zu müssen. „Was ist verkuppeln?“ „Öhm… Das erkläre ich dir, wenn du älter bist!“ Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist. Victor Hugo Die klaren, sanften Töne der Violine trugen durch die gesamte Wohnung. Eine ruhige Weise, langsam, beruhigend, fesselnd. Rogue hatte sich mehrmals dabei ertappt, wie er beim Aufräumen in der Küche inne gehalten hatte, um einfach nur zu lauschen. Nach dem Schlittschuhlaufen waren sie mit den Kindern wieder nach Hause gegangen – Sting mit schmerzenden Rippen, weil Minerva ihm, als die Kinder gerade nicht hingesehen hatten, ihren Ellenbogen hinein gestoßen hatte. War ja klar gewesen, dass sie sich irgendwie dafür rächen würde, dass Sting sich mal wieder in ihr – wie sie viel zu energisch betonte – nicht vorhandenes Liebesleben eingemischt hatte. Rogues Mitleid hatte sich in Grenzen gehalten, immerhin hatte sein Freund von vorneherein gewusst, auf was er sich bei der Sache einließ. Während Rogue das Essen vorbereitet hatte – tatkräftig unterstützt von den Kindern, die sich vor allem sehr eifrig als Vorkoster befleißigt hatten –, hatte Sting sich um die Bettwäsche von heute früh gekümmert. Nach dem Essen hatte Sting sich der Kinder angenommen und war nun offensichtlich dabei, sie zum Schlafen zu betten. Obwohl sie die Kinder erst seit einem Tag bei sich hatten, arbeiteten sie bereits wie ein eingespieltes Team für sie und mit ihnen. Rogue war erstaunt darüber, aber gleichzeitig fühlte es sich für ihn beinahe wie selbstverständlich an. Er genoss es vom ganzen Herzen. Als das Geschirr endlich trocken war, hängte er das Geschirrtuch an den dafür vorgesehenen Halter und schlich auf leisen Sohlen zur Wohnzimmertür. Sting stand neben der Schlafcouch und ließ mit geschlossenen Augen den Bogen über die Saiten seines Instruments gleiten, während er sich in der Umarmung der Melodie sanft wiegte. Seine Züge waren dabei so weich, so zärtlich, dass Rogue das Herz auf einmal bis zum Hals schlug. Der Schwarzhaarige musste wirklich an sich halten, ruhig im Türrahmen stehen zu bleiben, obwohl er nicht glaubte, dass es Sting gestört hätte, wenn er direkt neben ihm gestanden hätte. Wenn Sting Violine spielte, schien er sich in einer anderen Welt zu befinden. Er hatte dann jedes Mal so etwas Überirdisches an sich, beinahe wie ein Nimbus aus Heiligkeit. Minerva hatte einmal scherzhaft angemerkt, dass Sting auf Rogue wie der Rattenfänger von Hameln gewirkt hätte. In gewisser Weise hatte sie damit Recht. Sonst war Rogue gar nicht so sehr der Musikmensch, aber Stings Musik hatte etwas Besonderes… Als die letzten Töne ausklangen, öffnete Sting die Augen und blickte dabei sofort in Rogues Augen. Irgendwie schien er es immer sofort zu wissen, wenn Rogue ihn beim Spielen beobachtete. Um Stings Lippen spielte noch immer dieses zärtliche Lächeln, das so unwiderstehlich auf Rogue wirkte. Der Schwarzhaarige folgte der wortlosen Aufforderung und stieß sich vom Türrahmen ab, um ganz leise zum Sofa zu gehen und die schlafenden Kinder zu betrachten. Frosch in ihrem rosa Pyjama hatte sich an ihre Plüschfrösche gekuschelt und lächelte selig. Lector hatte das Gesicht in seinen Wolf gedrückt. Im Schlaf wirkte der Junge so jung und weich. Das war der wahre Lector. Ein gerade einmal fünfjähriger Junge, der sich nach Frieden sehnte. Wenn er wach war, versuchte er immer, für Frosch stark und unerschütterlich zu sein. Heute war das schon nicht mehr so ausgeprägt wie gestern gewesen, aber Rogue schätzte, dass es noch lange dauern würde, bis Lector sich selbst einfach nur ein Kind sein ließ. Zu lange hatte er sich das verboten, um sich um Frosch kümmern zu können. Rogue beugte sich runter, um Froschs Decke höher zu ziehen, und strich dem Mädchen danach eine grüne Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie nuschelte etwas, das nach Tante Frosch klang, und Rogue musste lächeln. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, bemerkte er den Blick seines Freundes. So intensiv, dass es ihm durch Mark und Bein ging. Wie in Trance hob er eine Hand und strich auch Sting eine Strähne aus dem Gesicht, dann ließ er seine Hand an der Wange verharren. Bereitwillig schmiegte Sting sich in die Hand und streifte mit seinen Lippen das Gelenk. Dem Schwarzhaarigen wurde abwechselnd heiß und kalt. Lectors Gemurmel von Steak riss die beiden jungen Männer zurück in die Gegenwart. Über Stings Gesicht huschte ein Grinsen. „Der Junge denkt pausenlos ans Essen.“ „Da kenne ich noch einen Kandidaten, der so tickt“, schnaubte Rogue und trat den Rückzug aus dem Wohnzimmer an, damit die Kinder in Ruhe schlafen konnten. „Gar nicht wahr“, schmollte Sting hinter ihm flüsternd, was dem Schwarzhaarigen ein Lächeln entlockte. „Stimmt, manchmal denkst du auch an deine Musik“, spöttelte er weiter und zog die Tür hinter Sting bis auf einen schmalen Spalt zu. „Du lässt mich wie einen Einfaltspinsel klingen“, brummte Sting und trollte sich mit seiner Violine ins Schlafzimmer. Als Rogue ihm nach dem Löschen der Lichter in der restlichen Wohnung folgte, war er gerade dabei, die Schnallen seines Violinenkoffers zu schließen. Zu seiner Verwunderung bemerkte Rogue auf seiner Bettseite zwei Handtücher auf dem Laken. „Wenn Frosch diese Nacht wieder her kommt“, erklärte Sting auf seinen Blick hin. „Ich habe vorhin mit Pa telefoniert und ihn gefragt, ob er sich damit auskennt.“ Rogue zog die Augenbrauen hoch. „Tut er?“ „Na ja, ich war in dem Alter wohl auch noch nicht nachts trocken“, nuschelte Sting verlegen. „Das ist in dem Alter gar nicht weiter ungewöhnlich, meint er. Wir brauchen Windeln für Frosch, die sie zumindest nachts tragen kann. Bevor ich sie und Lector ins Bett gesteckt habe, habe ich sie jetzt einfach noch mal aufs Klo geschickt. Drüben liegen auch Handtücher. Am Montag können wir Windeln besorgen.“ Montag… Rogue seufzte schwer und zog sich den Pullover über den Kopf. Als er wieder etwas sehen konnte, stand sein Freund immer noch an derselben Stelle und sah ihn eindringlich an. Unbehaglich wich Rogue dem Blick aus, denn er wusste genau, was er bedeutete. Während er sich weiter umzog, konnte er die ganze Zeit Stings Blick auf sich spüren. „Ist doch gut“, murmelte Rogue ergeben. „Ich will sie auch nicht wieder weg schicken.“ „Also fragst du Metallicana, wie wir sie behalten können?“ „Er wird es wohl kaum wissen, aber er kann mir hoffentlich sagen, an wen wir uns wenden müssen.“ Über Stings Gesicht breitete sich ein glückseliges Grinsen aus, bei dem Rogues Herz schon wieder heftig gegen seine Brust schlug, und dann wurde er auch noch stürmisch in die Arme des Blonden gezogen. „Die Beiden gehören zu uns“, wisperte Sting aufgeregt. „Natürlich tun sie das“, erwiderte Rogue und griff in die blonde Mähne seines Freundes, um diesen noch näher zu sich zu ziehen. Ehe sie jedoch die letzte Distanz überwinden konnten, knarrte die Schlafzimmertür leise. Im Rahmen stand wider Erwarten nicht Frosch, sondern Lector. Er hielt seinen Wolf zitternd an sich gepresst und biss sich um Fassung ringend auf die Unterlippe. „Lector, ist alles in Ordnung?“, fragte Sting und löste sich langsam von Rogue. Der Junge schüttelte nur den Kopf und seine Arme schlangen sich noch fester um das Plüschtier. „Hast du schlecht geträumt?“, sprach Rogue seine Vermutung vorsichtig aus. Lector blinzelte heftig und wischte sich hastig über die Augen. Als der kurze Ärmel seines Pyjamas dabei verrutschte, waren die Blutergüsse an seinem rechten Oberarm wieder zu sehen und wie schon am Vorabend regte sich in Rogues Brust ein blutrünstiges Monster, das am liebsten losgestürmt wäre, um den Verantwortlichen mit seiner Untat zu konfrontieren. Mit wenigen Schritten war Sting bei dem Jungen und hob ihn hoch, um ihn an sich zu drücken. Lector wehrte sich nicht mehr dagegen, wie er es am Vorabend sicher noch getan hätte, sondern ließ stattdessen seinen Wolf fallen, um sich fest an Sting klammern zu können. Dieser setzte sich mit dem Jungen aufs Bett und strich ihm durch die Haare, während er ihm beruhigende Worte ins Ohr flüsterte, aber Lector drückte sein Gesicht stur in Stings Pullover und seine schmalen Schultern zitterten verräterisch. „Rogue…“ Sofort ging der Schwarzhaarige in die Hocke und breitete für Frosch die Arme aus. Das Mädchen war wohl von Lector geweckt worden und ihm gefolgt. Erleichtert tapste es zu Rogue und schmiegte sich vertrauensvoll in seine Umarmung. Die Plüschfrösche wurden zwischen ihnen eingequetscht, dennoch spürte Rogue das Zittern des schmächtigen Körpers. Einem Impuls folgend, drückte Rogue dem Kind einen Kuss auf die Stirn. „Alles wird gut“, versprach er wispernd. „Wir lassen euch nicht im Stich.“ Aber in seiner Brust begann dabei eine unterschwellige Angst zu gären. Konnten sie denn tatsächlich dieses Versprechen geben? Waren sie in der Lage, die Kinder zu sich zu holen? Würde man ihnen erlauben, Lector und Frosch ein richtiges Zuhause zu bieten? Die Vorstellung, die Beiden zurück ins Heim schicken zu müssen, war wie ein Dolch in Rogues Brust, der quälend langsam herum gedreht wurde. Ganz unwillkürlich drückte er Frosch noch fester an sich. In dieser Nacht brauchte nicht nur Frosch die gegenseitige Nähe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)