Schwarzer Komet von Yosephia (Drachengesang und Sternentanz - Teil 1) ================================================================================ Kapitel 26: Die Gabelung, an der sie voneinander Abschied nahmen ---------------------------------------------------------------- Es war eine weitere sternenklare Nacht, wie sie in der Stillen Wüste typisch waren. Wolken waren bei Tage wie bei Nacht außerhalb der Regenzeit selten hier, hatte Meredy vor einigen Tagen erklärt, als sie auf der Pyxis die unklare Grenze zwischen dem Kargland und der Stillen Wüste passiert hatten. Gray kannte solche Nächte. Er hatte sie in Crocus so einige Male erlebt und ein paar Mal hatte er Lucy sogar während ihrer Studien in solchen Nächten auf dem Astronomieturm Gesellschaft geleistet. Vor allem aber hatte er solche Sternenhimmel auch in der Heimat erlebt. Sie waren dort nicht so häufig wie hier, aber häufig genug, dass sie eine der wichtigsten Orientierungshilfen für die Eismenschen waren. Lange bevor er mit seiner Lehrmeisterin nach Crocus aufgebrochen war, hatte Gray die wichtigsten Sternbilder und ihre Wanderungen im Verlauf eines Zyklus’ eingetrichtert bekommen. Er hatte gelernt, wie er in der Nacht die Himmelsrichtungen bestimmte, welche Sterne am verlässlichsten waren und welche trügerisch. Die große Begeisterung seiner langjährigen Freundin für Astronomie hatte Gray jedoch nie geteilt. Sterne waren ein nützliches Hilfsmittel, mehr nicht. Zumindest war das früher so gewesen. Jetzt erinnerten solche Nächte ihn immer an die Heimat. Ganz unbewusst verglich er sie immer mit dem, was seine Eltern und Ur ihm beigebracht hatten, erinnerte sich an die Legenden, die seine Mutter ihm und Lyon immer vor dem Einschlafen erzählt hatte, während sie sich unter warme, weiche Felle gekuschelt hatten, dachte an die Seelenlichter, die sein Vater ihm und Lyon nach ihrem Initiationsritual gezeigt hatte. Es waren schmerzhafte Gedanken. Der Anblick der Sterne war schmerzhaft. Vieles war schmerzhaft dieser Tage. Mit vor der Brust verschränkten Armen saß Gray auf einer steinernen Bank in dem Innenhof – hierzulande hieß das Sahn, hatte Levy leise erklärt, als sie hergeführt worden waren –, der im Zentrum des Quartierkomplexes lag, in welchem die Gäste untergebracht worden waren. Im Erdgeschoss war der Sahn an drei Seiten von einer Arkade umgeben, unter welcher Türen in schlichte Lagerräume führten. Die vierte Seite wurde von einer breiten Treppe aus Sandstein eingenommen, die hinauf in das nächste Geschoss führte, das um den Sahn herum ebenfalls mit einer überdachten Arkade versehen war. Hinter dicken Holztüren befanden sich dort oben die Zimmer für die Gäste. Der Boden des Sahns war mit einem schwarz-weißem Mosaik versehen, das eine Oase darstellte. An den Säulen der Arkade standen abwechselnd mannshohe Vasen mit verschnörkelten Malereien und schlichtere Krüge mit Palmen und kleineren Bäumen. Zwischen den Säulen hingen Öllampen. Im Zentrum des Sahn befand sich eine kunstvolle Basiliskenstatue. Der Drachenartige hatte sich auf dem letzten Drittel seines mächtigen Körpers aufgerichtet, der gegabelte Schwanz in die Luft gestreckt und gekringelt, die Schuppen eindrucksvoll gesträubt, wie Gray es eigentlich nur von Pelztieren kannte. Das Maul des Wesens war aufgerissen und offenbarte unregelmäßige, dolchartige Zähne und eine gespaltene Zunge. Am eindrucksvollsten waren jedoch die Augen des Wesens. Obwohl sie wie der Rest der Statue nur aus Sandstein bestanden, waren sie von fesselnder Lebendigkeit. Die behutsam herausgearbeiteten Pupillen waren kaum mehr als Schlitze und zielgenau auf eine unsichtbare Beute oder einen Revierrivalen vor dem Drachenartigen gerichtet. Die schwülstigen Schuppenplatten, die wie Augenbrauen wirkten, waren nach oben gezogen, die fünf angedeuteten Schuppenkämme am Scheitel ebenfalls gesträubt. Es war ein imposanter Anblick, lebendig, kraftvoll, beinahe beängstigend. Obwohl gerade einmal zwei Mannslängen hoch, ließ die Figur erahnen, was für eine Urgewalt die lebendigen Basilisken darstellen mussten. Die einzigen Drachenartigen, die Gray bisher gesehen hatte, waren die Lindwürmer der Kaiserlichen Armee gewesen. Wie jeder Rekrut war er den Drachenartigen damals vorgeführt worden, aber so beeindruckt er auch von ihnen gewesen war, er hatte es nicht bedauert, dass keines der sieben reiterlosen Wesen ihn ausgewählt hatte. Er hatte damals schon gedacht, dass er mit beiden Beinen lieber auf dem Boden blieb. Als er vor einem Mond auf dem Rücken von Weißlogia von Malba nach Heartfilia geflogen war, hatte ihn nur seine Sorge um Lucy davon abgehalten, allzu viel darüber nachzudenken, wie viele Mannslängen ihn vom sicheren Boden trennten. Nichts desto trotz, Gray war immer von den Lindwürmern beeindruckt gewesen. Sie waren so völlig anders als jedes andere Wesen, das Gray zuvor gesehen hatte – und er hatte jenseits des Spaltengletschers immerhin auch Elche, Eisbären und Walrösser gejagt, ja, einmal hatte er sogar eine Jagdgruppe zum Schollenmeer begleitet und bei der Jagd nach Narwalen geholfen und dabei in weiter Ferne gesehen, wie ein Grauwal aus dem Wasser aufgestiegen war. Obwohl nicht überragend groß, hatten die Lindwürmer eine Majestät besessen, an die kein anderes Wesen heran reichen konnte und an die Gray sich nie so ganz hatte gewöhnen können. Egal wie viele Zyklen er bei der Kaiserlichen Armee in Crocus gewesen war, es war immer etwas Besonderes gewesen, wenn er die Lindwurm-Schwadron bei ihren Übungsflügen beobachtet hatte. Crocus... Noch ein Gedanke, der Gray bitter aufstieß. Es schien ihm ein ganzes Menschenleben her zu sein, seit er mit Lyon und Meredy von der Kaiserstadt aus in den Norden aufgebrochen war. Als wäre er damals ein anderer Mensch gewesen. Manchmal fragte er sich, wie alles verlaufen wäre, wenn er sich nach seiner Initiation geweigert hätte, wieder nach Crocus zurück zu kehren. Er war damals dem Recht nach ein Mann gewesen, er hätte sich der Anweisung seines Vaters widersetzen können. Auch als Anführer hatte Silver keine unbeschränkte Macht über die Eismenschen inne gehabt, er hätte seine Söhne nicht zwingen können. Dann wäre Gray dabei gewesen, als die Heimat angegriffen worden war. Vielleicht hätte er etwas ausrichten können. Vielleicht hätte er den entscheidenden Unterschied gemacht, hätte seine Stammesgenossen vor der Gefangennahme bewahrt, hätte seine Mutter gerett- Hastig schüttelte Gray den Kopf, um die Erinnerung an den Eissarg seiner Mutter zu verdrängen. Seit zwei Monden verweigerte er sich diesem Bild, schob die Trauer so weit wie möglich von sich, konzentrierte sich einzig und allein auf seinen Vater, für dessen Überleben es zumindest noch Hoffnung gab. Das war noch ein Grund, warum es Gray letztendlich so leicht gefallen war, in Meredys Plan einzustimmen, den Anderen nichts vom Vorfall in der Heimat zu berichten. Wenn er jemandem davon erzählen würde, so fürchtete er, würde das seine bislang so mühsam aufrecht erhaltene Beherrschung zum Einsturz bringen. Und er konnte es sich nicht erlauben, einzuknicken. Auf seinen Schultern ruhte die Verantwortung für das Überleben seines Stammes und seiner Kultur und für die lebenslange Erfüllung der Mission der Eismenschen… Leise Schritte lenkten Grays Aufmerksamkeit zur Treppe. Es war Lucy, die herunter kam. Sie trug neue, saubere Pluderhosen und eine lockere, bestickte Tunika. Auf ihre Lederrüstung hatte sie verzichtet, aber der Waffengürtel mit dem Rapier hing an ihrer Hüfte. In ihrer linken Hand hielt sie einen in Tuch eingeschlagenen Gegenstand, welcher der Form nach ein Dolch zu sein schien. In der linken Hand hielt sie eine kleine Ledermappe mit Knopfverschluss, wie man sie Exceed für die Überbringung von Nachrichten mitzugeben pflegte, um das Papier vor der Luftfeuchtigkeit zu schützen. Als Lucy ihn bemerkte, geriet sie ins Stocken. Sie sah müde aus, erschöpft von den Ereignissen des Tages, sicher, aber auch bedrückt, wenn nicht sogar verbittert. Früher hatte Gray sie nie so finster gesehen. Nicht einmal, wenn sie sich über die Schikanen von Professor Michello ausgelassen hatte. „Wie geht es Loke?“, durchbrach Gray das Schweigen zwischen ihnen. „Er ist immer noch bewusstlos“, antwortete Lucy langsam und setzte sich wieder in Bewegung. Statt in den Gang einzutauchen, der sie aus dem Gästekomplex heraus und ins Gewirr des Sandpalast hinein führen würde, wo ihr einer der Bediensteten schon sagen können würde, wo sich die Wüstenlöwin aufhielt, für die zweifellos die Nachricht in der Ledermappe gedacht war, überquerte Lucy den Sahn und ließ sich neben Gray nieder. „Wendy kann nicht wirklich viel für ihn tun. Eine Vergiftung durch Dämonenmagie lässt sich nicht so leicht beheben wie andere Vergiftungen. Solange Meister Capricorn keine Hilfe schicken kann, bleibt uns kaum etwas anderes übrig, als abzuwarten, bis Lokes Körper sich von alleine erholt hat.“ Gray stieß ein leises Brummen zum Zeichen aus, dass er verstanden hatte. Sein Bruder war derjenige, der an der Universität alle möglichen Vorlesungen über Dämonologie, Dracologie, Astronomie und allerhand anderen Themen besucht hatte. Gray hatte sich eher auf seine Übungen bei Ur und bei der Kaiserlichen Armee konzentriert, hatte mit Erza Kämpfe bestritten und war mit Kameraden ausgeritten, um sich mit Geländeeinsätzen vertraut zu machen. Über die komplexen Prozesse bei einer magischen Heilung wusste er nichts und er hatte sich auch nie mit der kulturellen und magischen Wechselwirkung zwischen Geistern und Dämonen beschäftigt. Aber Lucy hatte es einfach genug erklärt. Ein deutliches Zeichen dafür, wie müde sie war. Früher hatte sie sich vor lauter Wissenseifer in ihren Worten geradezu überschlagen, hatte so schnell geredet und so sehr gefachsimpelt, dass Gray das Gefühl gehabt hatte, sie würde eine andere Sprache sprechen. Besonders irritierend war es gewesen, wenn Levy ihrer Freundin mit derselben Begeisterung geantwortet hatte. Irgendwie hatten die beiden Magistrae einander immer verstanden, während ihre Freunde ratlos daneben gestanden hatten. Selbst die sonst so aufmerksame Meredy hatte sich davon aus dem Tritt bringen lassen. Gray fragte sich, wie viel von ihnen allen im Vergleich zur damaligen Zeit eigentlich noch übrig geblieben war. Seit ihrem Abschied in Crocus vor drei Monden hatten sie alle sich so sehr verändert. Obwohl Lucy ihm so nahe war, fühlte es sich für Gray so an, als lägen zwischen ihnen ganze Länder. Er wusste, dass er eine große Teilschuld dafür trug, indem er seiner Freundin nichts von dem verriet, was in der Heimat geschehen war, aber er hatte entschieden, dass es wirklich besser so war. Lucy und die Anderen in die Sache mit hinein zu ziehen, war nicht fair. Sie hatten schon genug durchgemacht. Insbesondere Lucy, aber nun auch Sting und Rogue, die um den Erhalt ihrer Heimat fürchten mussten. Und Levy hatte auch noch andere Sorgen und bei Gajeel und Juvia lag auch etwas im Argen… „Ich glaube, Natsu geht es schon wieder ziemlich gut“, sprach Lucy weiter. An ihren Lippen zupfte ein amüsiertes Lächeln und ihre Gesichtszüge wurden weicher, erinnerten Gray mehr an die Lucy, die er vor sechs Zyklen auf einer Feier im Thronsaal der Kaiserin kennen gelernt hatte. „Als ich an seiner Tür vorbei gekommen bin, habe ich ihn schnarchen gehört.“ Unwillkürlich musste Gray schnauben. „Das Feuerhirn kriegt man wohl nicht so leicht klein. Das macht es wohl aus, ein Drachenreiter zu sein.“ Seiner harschen Worte zum Trotz war Gray immer noch beeindruckt davon, wie Natsu so lange Zeit das Dämonenfeuer hatte zurückhalten können. Der Feuermagier hatte ihnen allen das Leben gerettet und war danach sogar noch lange genug bei Bewusstsein geblieben, um sich nach Lucy zu erkundigen. Ob Lucy überhaupt bemerkte, was dieser Idiot für sie empfand? Es war ziemlich offensichtlich und normalerweise war Lucy sehr scharfsinnig, aber in diesem Fall war ihre Sicht vielleicht durch ihre eigenen Gefühle verschleiert. Aller Umstände zum Trotz hatte Gray doch immer wieder bemerkt, wie Lucy den Drachenreiter ansah, seit er mit ihr diesen spektakulären Ritt auf Igneel gemacht hatte. So hatte sie keinen einzigen der Fürstensöhne jemals angesehen, die ihr auf den Festen der Kaiserin den Hof gemacht hatten. Sie hatte mit diesen Männern getanzt, hatte mit ihnen kokettiert und ihnen mitunter sogar absichtlich die Köpfe verdreht, aber für Gray war immer offensichtlich gewesen, dass es nichts Ernstes war. Mit Natsu war es vollkommen anders. „Na ja, Juvia ist keine Drachenreiterin und ihre Leistung war mindestens genauso beeindruckend“, wandte Lucy ein und warf Gray einen Seitenblick zu, den er nicht wirklich deuten konnte. „Ja… sehr beeindruckend“, murmelte er und wandte unwillkürlich den Blick gen Himmel. Er musste sich eingestehen, dass er der Wassermagierin seit der ersten Begegnung in Malba nie viel Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Ständig war er mit seinen Gedanken woanders gewesen und immer wieder war irgendetwas passiert. Als Juvia dieses Dämonenfeuer gelöscht hatte, war das sogar mehr als nur beeindruckend gewesen. Gray war sich nicht einmal sicher, ob seine Lehrmeisterin Ur, die mächtigste Eismagierin, die er kannte, zu so etwas in der Lage gewesen wäre. Eine solche Stärke und Kontrollfähigkeit hätte er der Blauhaarigen zugegebenermaßen nie zugetraut. „Vielleicht solltest du ihr das mal sagen.“ Der beiläufige Tonfall seiner Freundin machte Gray sofort misstrauisch und tatsächlich: Als er sich wieder zu ihr herum drehte, grinste sie verschlagen. Er runzelte verwirrt die Stirn. „Willst du etwas andeuten?“ „Muss ich das denn?“, erwiderte Lucy frech und wackelte nun sogar mit den Augenbrauen. „Komm’ schon, Gray, das müsstest du doch auch mitgekriegt haben.“ „Was denn?“ Lucy lachte leise und schüttelte ungläubig den Kopf. „Vergiss es wieder. Das verrate ich dir nicht, darauf musst du schon alleine kommen.“ „Wenn du meinst“, brummte Gray missmutig und verdrehte die Augen, während seine Freundin weiterhin vor sich hin kicherte. Er wusste mit diesen nebulösen Andeutungen nicht wirklich etwas anzufangen, aber in Bezug auf Juvia verhielten sich sowieso einige Leute seltsam. Aus irgendeinem Grund hatte Lyon heute früh nach der Flutung des Palasts extra dafür gesorgt, dass es Gray war, der sich um Juvia kümmerte, und Gajeel hatte offensichtlich ein Problem damit gehabt, dass Gray die bewusstlose Juvia in den Armen hielt. Letzteres könnte aber auch einfach mit dem grundsätzlichen Misstrauen zusammenhängen, mit dem der Eisenmagier alles und jeden zu bedenken schien. Wieder schwiegen sie eine Weile und dieses Mal war es ein angenehmes Schweigen. Was auch immer Lucy hatte andeuten wollen, das Gespräch schien ihr geholfen zu haben, sich ein wenig zu entspannen. Auf Gray hatte es auf jeden Fall diesen Effekt gehabt. Beinahe fühlte es sich wieder so vertraut wie früher zwischen ihnen an. Wenn sie gemeinsam in Kneipen gefeiert hatten, wenn sie einander auf den Feiern bei Hofe geärgert hatten, wenn sie einander von ihrer jeweiligen Heimat erzählt hatten, wenn sie Romeos und Wendys zaghafte Annäherungsversuche oder auch Lyons unverhohlenes Werben um Meredy beobachtet hatten… Schon wieder an früher zu denken, erfüllte Gray erneut mit Wehmut und er senkte den Blick auf das Mosaik. Zu seinen Füßen war eine Palme dargestellt worden, die Steinchen so fein, dass sogar die Rinde der Pflanze angedeutet worden war. Er vermisste die gute, alte Zeit, als er noch nichts von der Zerstörung seiner Heimat gewusst und Lucy noch nicht die Verantwortung einer Fürstin getragen hatte. Als er gesehen hatte, was mit der Heimatstadt seiner Freundin geschehen war, hatte Gray unablässig an sein eigenes Zuhause denken müssen. Bei der Bestattungszeremonie hatte er die ganze Zeit die vielen Eissärge vor Augen gehabt, die er und Lyon hatten schaffen müssen… Eine vorsichtige Berührung an seiner Hand ließ ihn aufblicken. Auch Lucys Miene war wieder ernst und bitter und in ihren braunen Augen erkannte er eine unerbittliche Strenge. „Du, Lyon und Meredy habt wahrscheinlich sehr gute Gründe für euer Schweigen und jetzt ist nicht die rechte Zeit dafür, aber wenn die Dinge hier in der Stillen Wüste wieder ruhig sind, wirst du mir erzählen, was in der Heimat passiert ist, in Ordnung?“ Unwillig zog Gray die Augenbrauen zusammen. „Wie willst du mich denn zwingen?“ „Das muss ich gar nicht“, erwiderte Lucy und reckte stur das Kinn nach vorn. „Du kannst es nicht ewig für dich behalten, das weißt du genauso gut wie ich.“ „Ist ja nicht so, als wäre ich der Einzige, der etwas für sich behält“, entgegnete Gray schroff. „Immerhin laufe ich nicht vor einer Konfrontation mit Loke davon.“ Noch während er die Worte aussprach, wusste Gray, dass er zu weit gegangen war. Die Miene seiner Freundin flackerte und dann wurde sie hart wie Granit und ihr Blick eiskalt. Sie öffnete die Lippen, dann presste sie sie fest zusammen, als würde sie darum ringen, eine scharfe Erwiderung herunter zu schlucken. Schließlich schloss sie mit einem schweren Seufzen die Augen und schüttelte den Kopf. „Ob nun weglaufen oder schweigen, das macht wohl kaum einen Unterschied“, flüsterte sie bitter, den Blick schließlich auf das Mosaik gesenkt. Als sie den eingewickelten Dolch und die Ledermappe wieder aufnahm und sich erhob, griff Gray reflexartig nach ihrer Hand und hielt sie zurück, bevor sie einfach verschwinden konnte. Lucy blieb stehen und wartete, aber ihre Schultern waren noch immer steif und ihr Blick eisern von Gray abgewandt, dessen Gedanken sich geradezu überschlugen. Er konnte Lucy nicht erzählen, was in der Heimat passiert war. Sie hatte genug Ärger in Heartfilia, sie war für tausende von Leben verantwortlich, wie könnte er sie da noch in so etwas hinein ziehen? Das hatte absolut nichts damit zu tun, das er glaubte, sie würde irgendjemandem von seiner Suche nach seinen Stammesgenossen erzählen. Wenn er irgendjemandem so sehr vertraute wie Lyon und Meredy, dann war es Lucy! „Wenn… wenn ich so weit bin, werde ich es dir erzählen“, stieß er schließlich mühsam hervor. „Ich weiß noch nicht, wann… Tut mir Leid…“ Für einige Herzschläge glaubte er, Lucy würde protestieren oder wütend davon rauschen, weil ihr dieses Versprechen zu vage war, aber als die Blonde wieder seufzte, lockerte sich auch die Anspannung ihrer Schultern und sie drehte sich noch einmal zu Gray herum. Auf ihren Lippen lag ein bitteres Lächeln, das Gray Bauchschmerzen bereitete. „Und wenn ich so weit bin, werde ich mit Loke reden.“ Wieder senkte sich Schweigen über sie, während sie einander ansahen. Lucy stehend, Gray sitzend, gerade einmal eine halbe Schrittlänge voneinander entfernt und doch mit ganzen Tagesmärschen zwischen ihnen. Das Fremde war wieder da, die Last der Ereignisse und Verantwortungen, die Wunden der erlittenen Verluste. Langsam ließ Gray Lucys Hand los und richtete sich auf. Als Lucy auf ihn zu trat, breitete er die Arme aus und sie umarmten einander. Ihre Glieder fühlten sich steif an, die Nähe merkwürdig kühl und fremd, aber Gray spürte, wie sich Lucys Finger in seinem Rücken in den Stoff der Tunika krallten, und ganz unwillkürlich drückte er sie etwas fester an sich. Er wollte daran glauben, dass Lucy ihre Zweifel oder was auch immer sie plagte, überwinden und eine gute Fürstin werden konnte, ohne sich selbst völlig verbiegen zu müssen. Sie war immer so klug und stark gewesen und er wusste genau, wie sehr sie ihr Volk liebte. Irgendwie würde sie über das, was ihr jetzt im Weg stand, hinweg kommen. Und irgendwann würde er ihr wieder als der aufrichtige und vertrauensvolle Freund entgegen treten, der er im Grunde auch jetzt sein wollte, und ihr alles erzählen. „Pass’ während deiner Reise mit Sting und Rogue auf dich auf“, sagte er mit rauer Stimme und ließ die Fürstin schließlich los. Die trat einige Schritte zurück und als sie den Blick hob, lag ein schwaches, aber aufrichtiges Lächeln auf ihren Lippen. „Du auch.“ Zwischen ihnen hingen noch so viele unausgesprochene Worte, so viele Sorgen und Bedenken, aber Gray wusste, dass sie für heute alles gesagt hatten, was sie sagen konnten, ohne darunter einzuknicken. Alles andere würde folgen. Irgendwann. Wenn sie Beide so weit waren. Lucy nickte, als hätte sie Grays Gedanken gelesen, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ den Sahn, Dolch und Ledermappe fest an ihre Brust gedrückt, die freie Hand um den Griff ihres Rapiers gelegt. Gray lauschte noch ihren Schritten, bis sie völlig verklungen waren, dann wandte er sich langsam der Treppe zu, um hinauf zu seinem Quartier zu gehen, das neben dem von Lyon und Meredy lag. Er hatte nicht das Gefühl, dass er viel Schlaf finden würde, aber er musste es zumindest versuchen. „Und du bist dir sicher, dass Juvia nicht mit euch mit kommen soll?“ Die Blauhaarige konnte ihrem Gegenüber ansehen, dass er sich nur mit Mühe das Augenrollen verkniff. „Vollkommen sicher. Du bist noch erschöpft, du bleibst hier und passt auf, dass die kleine Magistra auch mal eine Pause macht.“ „Die kleine Magistra steht neben euch und sie hat einen Namen“, knurrte Levy neben Juvia unwillig. „Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen.“ „Sicher“, schnaufte Gajeel, woraufhin Levy empört die Hände in die Hüften stemmte. Sie standen zu dritt zwischen den Obsidianstelen, welche die Mauern von Sabertooth in einiger Entfernung umgaben und diese vor einem Basiliskenangriff schützten. In Anbetracht der früheren Ereignisse war es eigentlich nicht sicher, hier zu stehen, aber wenn die beiden Gruppen mit den Sandschlitten aufbrechen wollten, brauchten sie dafür genug freien Raum um sich herum, damit der Wind nicht gebrochen wurde und sich in den Segeln fangen ließ. Auf den Mauern standen Soldaten bereit, die wachsam in die Ferne blickten. Bei Tageslicht erkannte Juvia, dass die Mauern von demselben gelbbraunen Stein waren wie die meisten der solideren Gebäude in der Stadt. Sie bestanden aus riesigen, beinahe nahtlos gefugten Quadern und wurden nur unterbrochen von dicken, schmucklosen Pilastern aus grauschwarzem Obsidian, der im Sonnenlicht funkelte. Die gewaltigen Flügeltüren des Tores – beinahe fünf Mannslängen hoch und drei breit, die Türen so schwer, dass sie mit einem Hebelmechanismus hatten geöffnet werden müssen, wie Juvia beim Verlassen der Stadt gesehen hatte – waren bis auf einem winzigen Spalt geschlossen, aus welchem nun einige Reiter hervor kamen. Allerdings schenkte Juvia dem Herannahen dieser Reiter keine großartige Beachtung. Fasziniert blickte sie stattdessen zwischen Gajeel und Levy hin und her, die sich eine Diskussion darüber miteinander lieferten, ob Levy auf sich aufpassen konnte oder nicht. Im Umgang mit der Magistra wirkte Gajeel viel entspannter und auf seine eigenwillige Art und Weise sogar nett. So nett war er sonst zu niemandem und das kurbelte Juvias Fantasie an. Sie wünschte sich, Pantherlily wäre hier, um ihre Vermutung zu bestätigen! Schnell schob sie den Gedanken an den Exceed wieder von sich. Sie wollte sich keine Sorgen um den Freund machen, der ihr und Gajeel so oft aus der Patsche geholfen hatte. Er war gewiss in Sicherheit. Vielleicht hatte er die Kanaloa sogar schon gefunden und General Byro von der Sache mit den Leviathanen berichtet. Juvia blickte zu Romeo und Wendy, welche ganz in der Nähe die kleinen Sandschlitten beluden, welche ihnen vom Zeugmeister von Sabertooth zur Verfügung gestellt worden waren. Romeo blickte immer wieder grinsend zu Gajeel und Levy. Irgendwann schlug Wendy ihm deshalb mahnend auf den Unterarm und sagte etwas leise zu ihm, aber er schenkte ihr nur ein Grinsen, das Wendy erröten ließ. Juvia seufzte hingerissen. Die Beiden wären so ein niedliches Paar, wenn sie es doch nur endlich einsehen würden! Als Meredy und die Fullbuster-Brüder – sie waren anscheinend die Reiter gewesen, die Juvia eben gesehen hatte – zu den Beiden traten, verspürte Juvia das mittlerweile altbekannte Herzklopfen. Von dem Moment an, als sie Gray das erste Mal gesehen hatte, hatte sie all die aufregenden Gefühle verspürt, von denen in den Liebesromanen immer die Rede gewesen war, die sie damals in Crocus gelesen hatte. Es bestand kein Zweifel, dass sie sich in den eigenbrötlerischen Eismenschen verliebt hatte – und dieses Gefühl war einfach überwältigend. Juvia war ganz kribbelig zumute, sie sehnte sich nach der Nähe des Dunkelhaarigen, aber gleichzeitig machte er sie schrecklich nervös. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie sich verhalten sollte – die Protagonisten in den Liebesromanen hatten da ganz unterschiedliche Strategien verfolgt und die Erfolge ein- und derselben Strategie waren in unterschiedlichen Büchern auch ganz unterschiedlich ausgefallen. „Juvia, ist alles in Ordnung?“ Die Wassermagierin wirbelte herum und sah sich Sting und Rogue gegenüber, welche die Zügel ihrer Pferde anscheinend Rufus übergeben hatten, der im Hintergrund mit den Tieren stand. Jeder von ihnen trug ein Bündel unterm Arm und sie trugen zusätzlich zu den Pluderhosen, Tuniken und Lederrüstungen lederne Handschuhe, wie man sie für die Handhabung eines Sandschlittens brauchte. „Juvia geht es gut“, beeilte sie sich und versuchte, die Hitze unter Kontrolle zu kriegen, die in ihrem Gesicht aufstieg. Sting blickte kurz zu Gray hinüber und kicherte dann amüsiert, woraufhin sein Partner die Augen verdrehte. „Ein paar Tage hast du ja noch Zeit, Juvia“, raunte der Wüstennomade und wackelte mit den Augenbrauen. „Ein paar Tage wofür denn?“, mischte Natsu sich ein und trat zu ihnen. Sein Pferd stand lammfromm hinter ihm und ließ entspannt die Unterlippe hängen. Ihm war nichts mehr von der Erschöpfung nach dem Dämonenfeuer anzusehen. Als er gestern Mittag wieder aufgewacht war, hatte er so viel Essen in sich hinein geschaufelt, dass sogar den Gefräßigsten unter den Anwesenden die Spucke weg geblieben war. Danach hatte man ihm von den Reiseplänen erzählt. Zuerst hatte er unwillig ausgesehen bei der Vorstellung, dass er nicht mit Lucy mit durfte, aber er hatte erstaunlicherweise keinen Protest erhoben. „Um mit dir zu üben“, erklärte Juvia hastig, um Sting daran zu hindern, etwas auszuplaudern. „Juvia hätte vorgestern beinahe zu lange gebraucht.“ „Du machst Witze, oder?“, schnaubte Natsu. „Du hast Wasser aus einem zig Mannslängen entfernten Kanal durch den gesamten Sandpalast gelenkt. Kein anderer Wassermagier könnte das!“ Jetzt wurden Juvias Wangen vor Verlegenheit heiß – was dadurch, dass Sting bekräftigend nickte, nicht unbedingt besser wurde. „Jedenfalls…“ Natsus Nasenflügel blähten sich, während er sehr intensiv schnupperte und sich noch gründlicher umsah, ehe er sich an Sting und Rogue wandte. „Ihr passt auf Lucy auf, ja?“ „Das mussten wir Gray, Lyon und Levy auch schon versprechen“, seufzte Sting entnervt. „Lucy ist wehrhaft und clever, weißt du?“ „Das meine ich auch nicht“, erwiderte Natsu mit ungewöhnlichem Ernst. Stings Augen wurden groß und auch Juvia starrte den Feuermagier verblüfft an. Nicht dass Natsu immer nur bedenkenlos herum rannte, aber diese Ernsthaftigkeit war doch ungewöhnlich. „Wir werden sie nicht zum Reden zwingen“, erklärte Rogue ruhig. „Müsst ihr auch nicht, aber…“ „Wir passen schon auf. Wir sind ihr einiges schuldig.“ „Außerdem ist sie eine Freundin“, fügte Sting eifrig nickend hinzu. Erstaunt blickte Juvia zwischen den drei Drachenreitern hin und her. Auch wenn in der Zeit seit Lucys Befreiung in Malba bereits offensichtlich geworden war, wie viel Natsu für die Fürstin empfand, war es doch überraschend, wie sehr er sich nicht nur um Lucys körperliches, sondern auch um ihr seelisches Wohlergehen bemühte. Hoffentlich erkannte Lucy schnell, was für eine gute Partie Natsu für sie war! Als die Anderen zu ihnen traten, riss Juvia sich aus ihren schwärmerischen Vorstellungen von Natsu und Lucy als Ehepaar. Natsu und Romeo schlugen kräftig ein und Wendy erhielt eine brüderliche Umarmung, die innig erwidert wurde. „Passt auf Gajeel auf, damit er sich nicht noch mehr Ärger einhandelt“, wies Natsu die beiden Jüngeren an. „Was soll das denn heißen, Feuerhirn?!“, fauchte der Eisenmagier sofort los. „Was denn? Willst du etwa behaupten, dass du den Ärger nicht anziehst wie Sting die Motten?“ „Hey! Rogue ist keine Motte!“ „Sting!“ „Der hat ja auch eher dich angezogen als du ihn.“ Alle drehten sich zu den Neuankömmlingen um: Minerva und Lucy, beide noch zu Pferde. Lucy war ähnlich gekleidet wie Sting und Rogue und hatte sich den Tagelmust bereits richtig gebunden. Mit zuckenden Mundwinkeln schwang sie sich aus dem Sattel. Die Wüstenlöwin jedoch blieb auf ihrem Reittier und betrachtete dann ihre Klauen mit hochgezogenen Augenbrauen, während Natsu und Gajeel sich auf einmal einvernehmlich ins Fäustchen lachten. „Bevor jetzt alle sentimental werden: Ab mit euch. Je früher ihr diese Bruthöhle finden und zerstören könnt, desto besser.“ „Wir werden dich auch vermissen, Nerva“, ätzte Sting, was seine Fürstin lediglich mit einem dünnen Lächeln quittierte, ehe sie sich an Lucy wandte. „Passt gut auf meine Klauen auf und ruft sie ruhig gelegentlich zur Ordnung. Die brauchen das.“ Lucys Miene blieb sehr ernst, als sie nickte, aber ihre Augen funkelten vergnügt. „Ich werde mein Bestes geben.“ „Und ihr seid artig“, mahnte Minerva noch mal ihre Klauen, deutete in Lucys Richtung eine Verbeugung an und wendete ihr Pferd, um zurück zur Stadt zu traben. Ein ziemlich knapper Abschied, der Juvia sehr verwirrte. Sie hätte geglaubt, die Dunkelhaarige würde sich mehr Zeit nehmen, da ihre langjährigen Kameraden doch so eine wichtige und möglicherweise auch gefährliche Reise antraten. Sogar der sonst so distanzierte Dobengal war im Hof des Sandpalast noch mal auf die Klauen zugetreten, um ihnen viel Glück zu wünschen, und Orga, der eigentlich alle Hände voll mit den Vorbereitungen für den Kriegszug zu tun gehabt hatte, hatte Beide in eine knochenbrechende Umarmung gezogen, die sie offensichtlich sehr verlegen gemacht hatte. Minerva hingegen hatte ihren Klauen kaum richtig in die Augen geblickt – und die schien das seltsamerweise noch nicht einmal zu stören. „Seid ihr Klauen oder Hündchen?“, schnaubte Gajeel. Juvia schlug ihm auf den Unterarm, auch wenn sie wusste, dass er das gar nicht wirklich merkte. „Du solltest nicht so gehässig sein!“ Doch der Eisenmagier winkte ab und Romeo und Natsu kicherten amüsiert, während Sting und Rogue ziemlich missmutig drein sahen. Gray, Lyon und Meredy verabschiedeten sich als erstes von Lucy, jeder mit einer kurzen Umarmung. „Geh’ keine Risiken ein“, mahnte Gray besorgt. Juvia verspürte einen Stachel von Eifersucht. Sie wünschte sich, Gray würde sich um sie auch so sorgen! Oder wenn er sie überhaupt mal beachten würde…! Zur gleichen Zeit verabschiedeten Sting und Rogue sich von den Anderen. Zunächst wandten sie sich an die Gruppe, die sich auf die Suche nach Yukino machen wollte. „Danke, Gajeel“, sagte Sting mit leicht rauer Stimme. „Wenn du Yukino wirklich findest-“ „Wenn überhaupt, dann findet Wendy sie“, erwiderte Gajeel brummend und verdrehte wieder einmal die Augen. „Werdet ja nicht rührselig!“ „Dennoch Danke“, warf Rogue ein und zog zusammen mit einer gefalteten Karte auch eine kleine, knöcherne Flöte aus seiner Gürteltasche, um sie Romeo zu übergeben. „Diese Flöte gehört Yukino. Um ihren Geruch zu finden, ist der Tagelmust, den Wendy gestern Abend gekriegt hat, wahrscheinlich besser geeignet, aber Yukino kennt euch nicht. Zeigt ihr die Flöte und sagt ihr, dass ihr sie von uns habt. Dann wird sie wissen, dass sie euch vertrauen kann.“ Der Jüngere nahm Karte und Flöte an sich und verstaute Beides sicher in seiner eigenen Gürteltasche, ehe er Rogue die Hand zum Einschlagen anbot. „Wir werden sie finden, versprochen. Wendy wird sich erst noch an die Gerüche hier gewöhnen müssen, aber bisher hat sie noch jeden gefunden“, erklärte er voller Stolz und Vertrauen. Neben ihm errötete Wendy wieder einmal, was noch schlimmer wurde, als Sting sie zum Abschied in eine linkische Umarmung zog. Solche Gesten waren noch völlig neu zwischen ihnen allen. Kaum einer von ihnen hatte vorher besonders viel mit den Anderen zu tun gehabt. Sie wuchsen gerade einmal langsam als Gruppe zusammen und nun waren sie auch schon wieder dabei, sich aufzuteilen – und das alles im Angesicht eines Krieges, in dem es höchst wahrscheinlich um das Überleben der Menschheit in der Stillen Wüste ging. Ein Gedanke, bei dem Juvia für eine Weile so schwummrig wurde, dass sie nur am Rande mitbekam, wie die Klauen sich auch von den Anderen verabschiedeten. Sie blinzelte, als Sting ihre Schulter aufmunternd drückte und Rogue ihr beruhigend zunickte, ehe sie sich Rufus zuwandten. Von dem Windmagier verabschiedeten sie sich mit einem kameradschaftlichen Handschlag und einigen geflüsterten Worten. Nachdem Lucy sich auch von Romeo und Wendy mit einer Umarmung verabschiedet hatte, trat Levy vor. Die Freundinnen umarmten einander besonders lang. „Bist du sicher, dass du jetzt aufbrechen willst?“, versuchte Levy es noch einmal. „Loke wird dir das sehr übel nehmen.“ „Loke soll sich darauf konzentrieren, wieder gesund zu werden. Pass’ auf, dass er keine Dummheiten macht.“ „Ich glaube kaum, dass er sich ans Bett fesseln lassen wird“, erwiderte Levy skeptisch. Für einen Moment flackerte Lucys Blick seltsam und huschte zu Sting und Rogue hinüber, dann zu Gajeel, Romeo und Wendy. Doch dann zuckte sie mit den Schultern. „Im Zweifelsfall müsst ihr Meister Rufus darum bitten, Loke im Schach zu halten. Loke ist im Moment nicht mein Schild und Schwert, sondern einfach nur mein Freund. Sagt ihm das ruhig.“ „Das ist ganz schön hart, meinst du nicht?“ „Wir leben in harten Zeiten.“ Levy seufzte resigniert und umarmte ihre Freundin noch einmal. „Pass’ auf dich auf, Lucy.“ „Ich bin mit den Klauen der Wüstenlöwin unterwegs, was soll mir schon passieren?“ „Nur kein Druck, hm?“, wandte Romeo sich feixend an die Klauen, die wieder heran getreten waren, worauf Sting nur schnaufte. Schließlich wandte Lucy sich an Juvia und umarmte diese fest und herzlich. Überrascht schlang die Blauhaarige ihrerseits die Arme um die Andere. „Pass’ gut auf dich und Levy auf“, bat Lucy mit gedämpfter Stimme. Echte Sorge schwang in ihrer Stimme mit und Juvia fühlte sich ob ihrer Eifersucht von vorhin schuldig. Gray und Lucy kannten einander seit langer Zeit. Da war es normal, dass sie einander so nahe standen. Und Lucy hatte diese Zuwendung verdient nach allem, was sie durchgemacht hatte. „Juvia wird dich vermissen“, erklärte sie aufrichtig. Lucy lächelte sanft, als sie antwortete: „Ich dich auch.“ Noch einmal wurden Juvias Hände gedrückt, dann wandte Lucy sich an Gajeel, um ihm zu zunicken. Zuletzt verabschiedete sie sich von Natsu. Beide standen einander für einige Herzschläge einfach nur abwartend gegenüber, ehe sie gleichzeitig ihre rechten Fäuste vorstreckten und gegeneinander stießen. „Viel Spaß mit Zirkonis“, wünschte Natsu grinsend. „Viel Spaß mit Gray“, erwiderte Lucy schmunzelnd. „Hey!“, brummte Gray und versetzte seinem glucksenden Bruder einen Rippenstoß. Bei sich dachte Juvia, dass der Eismensch sogar dann anbetungswürdig aussah, wenn er schmollte. Mit Sting und Rogue ging Lucy zu den beiden Sandschlitten. Rogue band das Gepäck seiner Begleiter auf seinem Schlitten fest, während Sting Lucy erklärte, worauf sie achten musste, wenn sie bei ihm mitfuhr. Auch Romeo und Wendy begaben sich zu ihren Schlitten und Gajeel drückte Juvia brummelnd an sich, klopfte Levy auf die Schulter und folgte dann den beiden Jüngeren. Juvia trat mit Natsu, Levy, Meredy und den Fullbuster-Brüdern zurück neben Rufus und beobachtete, wie die beiden kleinen Gruppen die Segel ihrer Schlitten herunter ließen, sich mit den Füßen kräftig abstießen und die Segel nach dem Wind ausrichteten, um zunächst Fahrt aufnehmen zu können. Rufus übergab die Zügel der ihm anvertrauten Pferde an Natsu und Gray und begann, sachte mit den Händen zu rudern, als würde er etwas in Richtung der Sandschlitten schieben wollen. Ganz langsam kam ein leichter Wind auf, der Juvias Haare über ihre Schultern flattern ließ und sich schließlich in den Segeln verfing. Die Stoffbahnen blähten sich und die Gefährte setzten sich in Bewegung. Während der ersten paar hundert Mannslängen fuhren beide Gruppen in die gleiche Richtung, weil sie den Wind brauchten, um genug Schwung aufzunehmen, aber schließlich schwenkten zwei Sandschlitten nach Westen, während die anderen nach Südwesten abbogen. Juvia blieb mit den Anderen stehen, solange die Sandschlitten noch zu sehen waren, und selbst, als sie am Horizont verschwunden waren, harrte Juvia weiter aus. Für sie war es das erste Mal, dass sie über einen so langen Zeitraum und über eine so große Distanz von Gajeel getrennt war. Ihr war deswegen mulmig zumute. Sie hatte Angst, dass sie alleine nicht in der Lage war, ihren neuen Freunden zu helfen. Unsicher linste sie zu den Anderen. Levys Miene war unverhohlen besorgt, während Grays und Lyons Mienen von gemischten Gefühlen zeugten. Meredys Gesicht blieb jedoch vollkommen ruhig. Juvia fragte sich, wie viel die Pinkhaarige durchgemacht hatte, um sich eine derartig harte Schale zu zulegen. Natsu jedoch schien allen Ernsts zum Trotz guter Dinge zu sein und schlug dem neben ihm stehenden Gray auf die Schulter. „Die werden das schon hinkriegen.“ Ohne sich an Grays Knurren zu stören, drehte er sich um, schwang sich mühelos in den Sattel seines noch immer gutmütig wartenden Pferdes und machte sich mit drei der sechs überzähligen Pferde auf dem Weg zurück in die Stadt – wahrscheinlich um bei den Vorbereitungen für den Feldzug zu helfen. „Das sagt sich so leicht“, brummte Gray, folgte dem Drachenreiter jedoch mit den anderen drei freien Pferden. Lyon und Meredy zogen sich schweigend zurück, sodass Juvia schließlich mit Levy alleine vor den Toren von Sabertooth stand. Überrascht blickte Juvia nach unten, als eine kleine, zierliche Hand ihre ergriff und Trost suchend drückte. „Sie sind Drachenreiter. Das muss etwas wert sein“, sagte Levy mit belegter Stimme. Vorsichtig erwiderte die Blauhaarige den Händedruck und schöpfte ihrerseits Trost aus der Berührung, während ihr Blick sich wieder auf die Weite der Wüste richtete, in der ihre Freunde verschwunden waren. „Juvia hofft das von ganzem Herzen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)