Krieg im Supermarkt von Selma (Der letzte Tag vor einem Feiertag) ================================================================================ Kapitel 1: Der Krieg -------------------- Heiligabend. Ausgerechnet ein Samstag. Leise dudelt "Last Christmas" durch die Lautsprecher des Ladens in den Innenraum, versucht wenigstens den Hauch von Weihnachten zwischen dem ganzen Kommerz zu verbreiten. Goldene Kugelweihnachtsbäume ragen neben rotmützigen Getränkeweihnachtsmännern in die Höhe. Kinderschneemänner buhlen mit einem aufgedruckten Lächeln um Aufmerksamkeit. Der künstlich erzeugte Geruch nach Lebkuchen liegt in der Luft. Nervös blicken die Angestellten in Richtung Eingangstür, wo sich die wilden Horden bereits zusammengerottet haben. Einige Ungeduldige trommeln schon gegen die verschlossene Tür, begehren Einlass. Zum Glück stehen die Wagen noch nicht draußen. Nicht auszudenken, was sie damit anstellen würden. Der unsichere Blick gleitet zur Tür noch eine Minute bis zur Öffnung. Noch 6 Stunden bis Feierabend. Der Countdown läuft, wird kurz unterbrochen durch den hellen Klang einer Münze, die der angespannten Kassiererin beim öffnen der Wechselgeldrolle auf den Boden fällt. Nicht weit vom Türschloss entfernt steht der Filialleiter. Gezwungen lächelnd blickt er auf die Menschen, die sich langsam immer mehr das Gesicht an der Tür platt drücken. Nur nicht anmerken lassen, dass ihm der Schweiß gerade den Rücken herunter läuft. Und es liegt nicht an der Heizung. 8 Uhr. Die magische Stunde und noch während sich der Schlüssel im Schloss dreht, ächzen die Türflügel bereits unter der Last der nach vorne drängenden Massen. Der Filialleiter kann sich gerade noch durch einen beherzten Sprung hinter den hohen Tresen retten. 9 Uhr: Der ersten Verlust ist bereits zu beklagen. Herr Paulsen, der eben noch das Obst drapiert, wird von der Welle unvorbereitet erwischt und mitgezogen. Im Strudel der Beine, Gehhilfen und Kinderwagen wird er mitgerissen, bis er sich in Höhe der Fertiggerichte an ein Regal klammern kann und jetzt fieberhaft auf Rettung hofft. 9:30 Uhr: Größerer Einsatz von gemahlenem Pfeffer an der Kasse um die Flut auszubremsen und das unkontrollierte Erstürmen des Kassenbereiches zu verhindern. 10 Uhr: In der Nudelabteilung kommt es zum Hauen und Stechen. Während Lasagneplatten als verirrte Wurfsterne über die Köpfe der Streitenden hinwegsirren, setzten sich die Gegner mit Spaghettispießen zur Wehr. Auch beliebt als Wurfgeschoss die Farfalle, da sie kleiner und dadurch treffsicherer sind. Die Lage wird unübersichtlich, als Mehlbomben eingesetzt werden. 11 Uhr: Verschreckte Mitarbeiter haben sich hinter einigen Kartons mit H-Milch verbarrikadiert und versuchen jetzt nicht überrannt zu werden. Zur Selbstverteidigung nutzen sie den Joghurt mit der Ecke... aber natürlich nur die mit ablaufendem MHD. Kurzzeitig wird auch der Einsatz von Harzer Käse erwogen, da dies jedoch als biologische Kriegsführung zählt, belässt man ihn lieber in der Verpackung. 12 Uhr: Im Eingangsbereich hat die üble Salatschleuder begonnen ihr Revier in der Obst und Gemüseabteilung abzustecken. Neben Kopfsalat ist ihr beliebtestes Wurfgeschoss der gemeine Eisbergsalat. Ihre Gegner, die Mandarinentrudis, nutzen das reichhaltige Angebot von verschiedensten Südfrüchten um ihr Arsenal beständig zu erweitern. Dazwischen bringen sie weitere mögliche Angreifer durch den Einsatz von Kokosnusskugeln ins Straucheln. Rotes Tomatenblut fließt reichlich. 13 Uhr : Tatort Fleischtheke. Die grüne Food-Fraktion aus Vegetariern und Veganern hat vor der Fleischtheke einen Sitzstreik begonnen und sich an die Taschenablage gekettet. Einige haben ganz spontan ihre Handys hervorgeholt und die Lampen aktiviert. Dabei skandieren sie „Rettet die Tiere! Esst mehr Gemüse.“ Ihnen gegenüber stehen Männer und Frauen mit gehetzten Blicken, gefrorenen Gänsekeulen und Salamischlagstöcken in den Händen. Immerhin steht der Weihnachtsbraten und damit auch der Haussegen auf dem Spiel. Das ein oder andere Ei aus der Nähe der Molkereiprodukte ist zu sehen. 13:45 Uhr: Der Filialleiter schart seine treusten und mental stärksten Mitarbeiter um sich. Nur noch 15 Minuten bis Feierabend. Bewaffnet mit Colaflaschen und Mentosstangen begeben sie sich an vorher taktisch ausgeklügelte Positionen im Laden. 14 Uhr. Die Schlacht ist geschlagen. Noch während die ersten Reinigungskräfte auftauchen - zur Feier des Tages hat die Zentrale eine Reinigungsfirma geschickt, vielleicht auch weil sie wissen wie es enden würde - werden die Verluste gezählt. Die letzten Opfer des Festtagsbratenkampfes aus der Tiefkühltruhe geborgen und nach draußen komplementiert. Der Schützengraben bei den Getränkeflaschen wird von den gläsernen Fußangeln befreit... und dann ist endlich Feierabend. Bis zum nächsten Tag vor einem Feiertag... also Silvester. Die Raketenabwehr im Lager steht auf jeden Fall schon. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)