Two days of Winter von _Delacroix_ ================================================================================ A Day of Winter --------------- Seine Füße flogen über die verschneite Wiese. Sein Atem ging schwer. Ein paar Haare hatten sich aus seinem Zopf gelöst und fielen ihm ins Gesicht. Trotzdem dachte er nicht daran stehen zu bleiben. Die dunkelblaue Daunenjacke war feucht geworden und zog ihn unnachgiebig mit sich nach unten.   Plötzlich ein Schrei. „Hab ich dich!“, dröhnte es hinter ihm, doch er drehte sich nicht um.   Es war bereits zu spät. Sie war nicht schnell genug gewesen und nun war ihr nicht mehr zu helfen. Er wechselte die Richtung, schlitterte knapp an einer Eiche vorbei und fischte noch im Laufen nach dem kalten, weißen Schnee unter sich. Oboros Opfer verschaffte ihm wertvolle Sekunden. Sekunden, die er nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte. Takumi presste den Schnee zusammen, drehte sich auf dem Absatz um und warf. Kurz glaubte er, er würde nicht treffen und hätte seine Chance so doch noch vertan, aber schließlich klatschte der Schneeball mit einem dumpfen Knall gegen Hinatas Oberarm. Einen Moment lang starrte der ihn an, dann griff er in einer übertriebenen Geste nach der feuchten Stelle auf seiner Jacke.   „Warum?“, jammerte er, nur um im nächsten Moment unter einem ganzen Berg Schnee begraben zu werden. Die Übeltäterin grinste Takumi an, dann stürzte sie sich auf ihn.   Weitere Schneebälle flogen auf ihn zu. Oboro lachte.   Etwas traf auf seine Jacke, doch Takumi interessierte das nicht. Viel zu beschäftigt war er damit Oboros anderen Schneebällen zu entkommen und weiter zu laufen. Weiter hinein in den Park, wo die Schneefläche noch unberührt war und jede Menge Munition für einen Gegenschlag bot.   Hinter ihm schnaufte Oboro. Irgendwo dahinter erklang ein unglückliches „Wartet!“ Vermutlich war es Hinata, der sich erst vom Schnee befreien musste, aber natürlich war Warten keine Option. Warten hieß Schnee und Schnee wollte er im Moment nur zwischen seinen Fingern spüren.   Takumi beschleunigte noch einmal und verschwand keuchend hinter einem kahlen Busch. Die Gelegenheit um einen weiteren Schneeball aufzunehmen. Eilig bückte er sich nach der weißen Masse und presste sie in einen Ball. Es war nur eine Frage von Sekunden bis Oboro hinter dem Gestrüpp hervorkommen würde und dann – Dann hatte er sie. Takumi blieb in der Hocke, machte sich zu einem möglichst kleinen Ziel und wartete. Er wartete auf ein Rascheln, auf Oboros knallige, orangefarbene Jeanshose, die durch die Zweige blitzte, auf eine Bewegung oder einen Laut...   Doch nichts geschah.   Kein Hinata brach durch das Gestrüpp, keine Oboro tauchte hinter den Zweigen auf. Selbst ihr Lachen schien auf einmal verstummt zu sein. Im Entengang wagte sich Takumi näher an die Ecke heran. Wenn das eine Falle war, war es eine miese. Trotzdem musste er nachsehen. Selbst wenn er dabei Gefahr lief, vielleicht einen Schneeball abzubekommen, er musste wissen, wo seine Freunde sich verkrochen hatten. Nur so konnte er einen potentiellen Gegenschlag vorhersehen und vermeiden.   Einmal noch atmete er ganz tief durch, dann blickte er um die Ecke, sah eine Bewegung und warf. Der Schnee machte ein ekelhaft klatschendes Geräusch, in der Ferne gackerte Oboro und Takumi wurde heiß und kalt zugleich. Das da vor ihm war definitiv keiner seiner Freunde.   Mit großen Augen starrte er auf den Schnee, den er zielsicher im Gesicht eines Fremden platziert hatte.   Er bröckelte.   Die Welt schien stillzustehen, während der andere Junge sich den Schnee aus dem Gesicht wischte. Seine Wangen waren rot. Ob vor Scham oder vor Wut, Takumi wusste es nicht. Dennoch beeilte er sich, sich wieder aufzurichten.   „Das ähm -“ „Spar es dir“, fiel ihm sein Opfer prompt ins Wort. Es klang wütend, wirklich ziemlich wütend. „Wenn ihr schon meint, den Park für eure kindischen Spiele missbrauchen zu müssen, könntet ihr wenigstens darauf achten, wohin ihr werft.“ Grüne (1) Augen starrten finster zu ihm hinab, doch Takumi schüchterte das nicht ein. Hatte ihm sein Versehen eben noch leid getan, sah die Welt jetzt schon wieder ganz anders aus. „Du könntest auch einfach darauf achten, wohin du läufst“, knurrte er zurück. Ganz egal ob es seine Schuld gewesen war oder nicht, kein dahergelaufener Privatschüler nannte ihn und seine Freunde „kindisch“. Und ein Privatschüler musste er sein, das verriet schon die teure Jacke mit der gestickten Aufschrift auf der Brust.   Anya Academy. - Das klang schon total bescheuert.   Der Privatschüler ließ die Schlittschuhe sinken, die er über der Schulter getragen hatte. Ein weiteres Mal starrte er ihn finster an, dann begann er sich Schnee von der Kleidung zu klopfen, der schon längst nicht mehr dort war. „Wegen dir komme ich jetzt zu spät“, meckerte er dabei und hätte es Takumi nicht so sehr geärgert, er hätte es vielleicht sogar ganz amüsant gefunden. „Vielleicht solltest du mir dankbar sein“, zischte er zurück und veranlasste den anderen Jungen so dazu, von dem nicht vorhandenen Schnee abzulassen. „Bitte?“, fragte er auf eine Art, die so arrogant klang, dass sie nur von einem echten Privatschüler stammen konnte. Takumi grollte finster. „Immerhin verhindert mein Schneeball gerade, dass du dich auf den Teilen da zum Affen machst“, erklärte er ihm das Offensichtliche. Er deutete auf die Schlittschuhe, doch wenn er damit einen Nerv traf, zeigte der Andere es nicht. Schlanke Arme wurden vor der Brust verschränkt, ein weiteres Mal trafen ihn tödliche Blicke, die Takumi kälter nicht hätten lassen können. „Ich habe keine Zeit für deinen Unsinn“, lenkte sein Gegenüber schließlich ein, schnappte sich seine Schlittschuhe vom Boden und stapfte eilig weiter. Takumi blies die Backen auf. Er wusste, er sollte die Chance nutzen, um zu den Bäumen zurückzulaufen, hinter denen seine Freunde verschwunden waren. Vielleicht würden sie ihm sogar glauben, dass er das Ekelpaket in die Flucht geschlagen hatte, wenn er es nur laut genug erzählte, aber …   … er würde es besser wissen und das würde fortan an ihm nagen.   Einen Moment lang starrte Takumi dem fremden Jungen nach, dann setzte er sich in Bewegung. Nicht so schnell, als wollte er ihn einholen, aber schnell genug, dass er jeden Richtungswechsel bemerken würde, der dem Anderen bis zum Harlem Meer noch einfallen mochte. Er ahnte wohin er wollte und er würde auf keinen Fall zulassen, dass er sich dort amüsierte. Nicht nachdem er ihm gerade erfolgreich den Tag verdorben hatte.   ❄❄❄❄   Es dauerte nicht lange, bis der Lasker Rink in Sichtweite kam, aber eigentlich hörte er ihn mehr, bevor er ihn sah. Jauchzende Kinder und kitschige Musik verrieten, dass er an einem schönen Wintertag wie heute nicht ungenutzt blieb. Takumi wollte lieber nicht versuchen, sich die Menschenmassen vorzustellen, die sich um den deutlich beliebteren Wollman Rink drängen würden. Vermutlich glich Eislaufen dort inzwischen einem Slalomlauf zwischen New Yorkern und Touristen, bei dem alle Beteiligten nur verlieren konnten. Stumm richtete er den Kragen seiner Jacke und folgte seinem Opfer in Richtung Haupteingang. Er hätte nach ihm rufen können, zwar nicht mit Namen, aber ein „He Blondi“ hätte sicherlich ausgereicht, um dafür zu sorgen, dass der Andere ihn bemerkte. Allerdings wollte er das nicht. Er wollte der Nervensäge bestimmt nicht die Zeit vertreiben, während er auf seine Freunde wartete. Er wollte … Ja, was eigentlich?   Unschlüssig blieb er stehen, den Blick weiter auf den Jungen in der lilafarbenen Jacke gerichtet. Wenn er ehrlich war, war die ganze Aktion schon ziemlich dumm. Er kannte ihn nicht, er mochte ihn nicht und doch hatte er seine Freunde stehenlassen, um ihm nachzulaufen und das nur, weil er seinen spontanen Abgang nicht hatte akzeptieren können. Unzufrieden presste Takumi die Hände in die Taschen seiner Daunenjacke. Jetzt, wo die Bewegung nachgelassen hatte und der Schnee endgültig geschmolzen war, war ihm auch noch kalt. Und da war er scheinbar nicht der Einzige. Ein Stück den Weg hinauf stand der Grund für seine nächste Erkältung und trat unglücklich von einem Bein auf das Andere. Takumi beobachtete das seltsame Tänzchen.   Ob es seine Schuld war, dass er fror?   Nein! Nein, ganz sicher nicht. Der Idiot hätte ja nicht gerade hinter dem Busch vorkommen müssen, hinter dem er Oboro vermutet hatte. Wenn, dann war es ganz eindeutig seine Schuld, alleine schon deshalb, weil man, wenn man keine Schneeballschlacht gewinnen musste, natürlich auf den Wegen blieb!   Takumi ballte die Hände in den Taschen zu Fäusten, um sie ein wenig aufzuwärmen. Die Freunde seiner neuen Bekanntschaft ließen sich ganz schön Zeit. Mit der Meinung schien er nicht allein zu sein, denn auch die nervige Blondine hatte sich inzwischen darauf verlegt, ein ums andere Mal auf sein Handy zu starren. Takumi sah es nur aus der Ferne, doch es schien eines dieser neuen Teile zu sein, für die zur Zeit überall geworben wurde. Es waren eben Weihnachtszeit, die Zeit im Jahr, wo nicht nur Schnee vom Himmel fiel, sondern auch jede Menge neuer Werbespots.   Genervt beobachtete er, wie der andere Junge auf das Display schielte, seufzte und sich wieder daran machte das Handy in seiner Tasche zu verstauen. Dort blieb es vielleicht zwei Minuten, dann fing er wieder von vorne an. Takumi war nicht begeistert. Nicht nur, dass ihm in der nassen Jacke immer kälter wurde, jetzt war ihm auch noch langweilig. Wären die Freunde des Anderen da gewesen, er hätte sie beobachten und eine Schwachstelle suchen können, so aber war das einzig interessante, der stetige Strom an Menschen, die vor dem Zaun stehen blieben um einen Blick auf einen besonders guten Eiskunstläufer zu erhaschen.   Hier sah er einen Kinderwagen, der in Richtung Harlem Meer weitergeschoben wurde, da zerrte ein kleiner Junge an seiner Mutter herum, damit sie ihm ein paar grüne Schlittschuhe kaufte und dort stand immer noch die Nervensäge und sah aus wie bestellt und nicht abgeholt.   Takumi seufzte, als er sich von seinem Platz löste. Das konnte man ja wirklich nicht mit ansehen. Diese Nervensäge machte nicht nur seinen Tag kaputt, sondern auch den von jedem, der an ihm vorüberging. Was fiel ihm eigentlich ein? Er konnte sich doch nicht einfach vor eine Eislaufbahn stellen und so aussehen wie ein getretener Hund. Das schadete der Stimmung!   Seine Füße waren wieder einmal schneller als sein Kopf, denn noch bevor er richtig darüber nachgedacht hatte, wie dämlich das alles war, stand er bereits neben ihm.   „Sie kommen spät“, bemerkte er, einfach weil es das einzig brauchbare war, was ihm vor lauter Schreck noch einfiel. Dem Anderen schien es ähnlich zu gehen, denn nachdem er ihn eine gefühlte Sekunde lang angestarrt hatte wie einen sprechenden Schneemann, nickte er.   „Ich verstehe das gar nicht, normalerweise ist Odin immer pünktlich“, erklärte er und schaffte es dabei nicht nur so zu klingen als müsste Takumi eigentlich wissen wer Odin war, sondern auch als wäre das Gespräch zwischen ihnen das Natürlichste auf der Welt.   Takumi räusperte sich. „Hat er dir nichts geschrieben?“, wollte er wissen.   Der andere Junge zog zum x-ten Mal sein Handy hervor, tippte auf dem Display herum und schüttelte dann den Kopf. „Nur das wir uns an der Eislaufbahn im Central Park treffen und das er jetzt in das Tal des Todes hinabsteigt um mit der glorreichen 7 bei Niña wieder aufzuerstehen und dann gemeinsam mit Niles die dunkle Macht auf den Wegen des Central Parks zu verbreiten. Er meint damit, er nimmt den 7 Avenue Express (2) bis Columbus Circle und trifft sich da an der Statue mit Niles um dann mit ihm in den Park zu kommen. Aber das wollte er schon vor fast einer Stunde.“   Takumi fand die Nachricht ziemlich irre, doch er fragte lieber nicht nach.   Die U-Bahn war in der Regel schnell und zuverlässig, dass Odin sich deshalb verspätete, glaubte er nicht. Zwar hätte es erklärt, warum keine weiteren Nachrichten angekommen waren, aber nein – die U-Bahn verspätete sich nicht. Punkt. Aus. Ende. Zumindest nicht so drastisch und schon gar nicht von allen unbemerkt. „Vielleicht ist er in die falsche Linie eingestiegen“, schlug er schließlich vor.   „Das hätte er inzwischen längst gemerkt und dann hätte ich eine SMS bekommen“, beharrte der Andere.   Takumi gab es ungern zu, aber da hatte er vermutlich recht. Das man mal ein oder zwei Stationen zu weit fuhr, konnte passieren, aber das hätte inzwischen sicher jeder gemerkt und sich gemeldet, selbst ein Kerl, der die U-Bahn „Tal des Todes“ nannte. „Hmm“, machte er, auch weil ihm langsam die Ideen ausgingen, die netter waren als: „Der Typ hat dich versetzt.“   Dabei stimmte das vielleicht sogar, aber es war schon ein ganz schön starkes Stück Jemanden ausgerechnet beim Eislaufen im Central Park zu versetzen. Immerhin wusste doch jeder, wie schwer es war Karten für - „Oh“.   Der andere Junge sah ihn skeptisch an. „Oh?“, wiederholte er.   Takumi nickte. „Oh“, machte er ein weiteres mal, obwohl er das Geräusch inzwischen eigentlich schon albern fand. „Er wollte sich mit dir an der Eislaufbahn treffen“, wiederholte er, was er inzwischen wusste, „Der Central Park hat aber zwei davon.“   Die Blondine guckte ihn an als habe er den Verstand verloren, doch hinter dem ungläubigen Blick arbeitete es. Takumi konnte förmlich sehen wie er darüber nachdachte, ob sein Kumpel wirklich so irre war, an einem der beliebtesten Tage des Jahres auf den Wollman Rink zu wollen und das Ergebnis hieß offensichtlich „Ja.“   „Ich glaube, ich muss jetzt dringend zum Wollman Rink“, erklärte er, mit den Fingern längst dabei eine Nachricht in das Handy zu hämmern. Takumi nickte. Das glaubte er auch.   Für einen Moment sah er dem Anderen beim tippen zu. Jetzt war der Zeitpunkt, wo er sich eigentlich verabschieden sollte. Immerhin interessierten ihn weder Lasker - noch Wollman Rink, stattdessen war ihm kalt und das Rätsel hatte er scheinbar auch gelöst. Doch als er den Mund öffnete um ein knappes „Tschüss“ zu murmeln, platzte stattdessen etwas ganz anderes aus ihm heraus: „Ich denke, ich kenne eine Abkürzung“, hörte er sich erklären und hätte er nicht so gespannt auf eine Reaktion seines Gegenübers gewartet, er hätte sich sicherlich dafür geschämt.   Der Blonde ließ das Handy sinken. „Führt sie durch den See?“, fragte er in eben jenem arroganten Ton, der Takumi vorhin noch so geärgert hatte. Dieses Mal jedoch entlockte das Sticheln ihm nur ein schwaches Grinsen: „Nein, aber über das Eis und an einem Stand mit heißen Maronen vorbei.“   Grüne Augen begannen bei der Erwähnung freudig zu glitzern. „Maronen?“, echote der Junge, von der Idee hörbar angetan, „Oh, die musst du mir zeigen.“   Takumi nickte begeistert. Heiße Maronen waren genau das, was er brauchte um seine schmerzenden Finger wieder aufzuwärmen und vielleicht würde sich ja auch ihre Bekanntschaft über der warmen Leckerei noch ein wenig vertiefen lassen.   Nicht das er das wirklich hoffte, oder doch?   Another day of winter --------------------- [LEFT]Einen Moment lang war ihm als habe er Leos Stimme gehört, doch das konnte gar nicht sein. Leo war mit Odin und Niles zum Eislaufen verabredet. Er rannte nicht quer durch den Central Park.[/LEFT] [LEFT]Eigentlich rannte Leo nie.[/LEFT] [LEFT]Xander legte den Kopf zur Seite und musterte die Brückenkonstruktion. Mit ihrer Bogenform und den Häubchen aus Schnee wirkte sie fast als wäre sie einem Traum entsprungen. Kein Wunder, dass halb New York sie für einen der romantischsten Orte der Stadt hielt. Das Eis des Sees unter ihr war unberührt. Kein Fußabdruck störte das Bild, kein Fleckchen Schnee war gelb verfärbt.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Dieser Ort war perfekt.[/LEFT] [LEFT]Ein kleines Winterwunderland mitten in New York.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Ein Ort der Ruhe und des Friedens und - „Klick“[/LEFT] [LEFT]Xander zuckte heftig zusammen, doch das störende Geräusch blieb.[/LEFT] [LEFT]„Klick, klick, klick“, machte es und setzte sich dermaßen in seinem Bewusstsein fest, dass er einfach nicht mehr anders konnte als darauf zu achten, wann es die Stille ein weiteres Mal durchbrechen würde. Es kam von links, glaubte er zumindest, also machte er einen großzügigen Schritt nach vorne, auf die Brücke zu.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Verzeihung!“[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Am liebsten hätte Xander die aufdringliche Stimme einfach ignoriert, doch sie war mindestens so penetrant wie das Klicken und so blieb ihm nicht wirklich etwas anderes übrig, als sich genervt umzudrehen.[/LEFT] [LEFT]„Ja?“, entgegnete er, schon ahnend, dass die Sache nicht gut für ihn enden würde. Wenn Fremde mit „Verzeihung“ an einen herantraten, waren es in der Regel entweder Trickbetrüger oder schlimmer noch ...[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Touristen.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Bei dem Exemplar vor ihm, schien es sich um letzteres zu handeln. Die Kamera, die an einem orangefarbenen Band um seinen Hals hing, wirkte nicht sonderlich polizeiphotogeeignet und auch der rote Mantel mit dem weißen Schal wäre einem Trickbetrüger sicher nicht so gut bekommen.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Bedauerlich.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Wie die meisten New Yorker hätte er einen Kriminellen einem Touristen vorgezogen, schon allein deshalb, weil letztere immer im Weg standen und dumme Fragen stellten, die ferner von der Realität kaum sein konnten.[/LEFT] [LEFT]„Wenn Sie das MET suchen, müssen Sie diesen Weg hinunter“, murrte er in der Hoffnung es möglichst schnell hinter sich bringen zu können, doch sein Gegenüber schüttelte nur den Kopf.[/LEFT] [LEFT]„Danke, aber das weiß ich“, entgegnete er und verpasste damit dem Bild des nervigen Touristen einen groben Kratzer.[/LEFT] [LEFT]Erstens, er wusste wo er war und zweitens, er hatte keinen Akzent. Touristen hatten immer einen Akzent. Es war nicht immer der gleiche, aber ein sanfter Hauch, ein falsches Wort, irgendetwas war da immer, das „Ich bin kein New Yorker“ schrie.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Vielleicht war er ja doch ein Trickbetrüger?[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Xander musterte ihn ein zweites Mal. Der Mantel sah eindeutig zu warm aus, um dem New Yorker Stilempfinden zu entsprechen, und die Farbe – Nein, darüber wollte er nicht urteilen. Wenn sein Gegenüber herumlaufen wollte als wäre er aus dem Aquarium eines billigen Fischrestaurants entlaufen, bitte sehr.[/LEFT] [LEFT]War ja schließlich nicht sein Problem, dass er in dem Ding so aussah als wäre er ein Hummer.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Könnten Sie vielleicht...“[/LEFT] [LEFT]Eine Hand wedelte hilflos in der Luft herum, fast als wollte sie unterstreichen, was der Andere nicht aussprach. Xander jedoch fiel daran eigentlich nur eines auf: Er trug keine Handschuhe.[/LEFT] [LEFT]Der Mann, der den wohl wärmsten Mantel in ganz New York City trug, hatte keine dazu passenden Handschuhe?[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Merkwürdig.[/LEFT] [LEFT]Vielleicht hatte er sie verloren oder – Sein Blick flog zu der Kamera und der des Fremden folgte ihm.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Ach so![/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Er trug keine Handschuhe, damit er das Ding bedienen konnte und mit diesem Ding wollte er – Stumm machte Xander einen Schritt zurück. Da hätte er eigentlich auch gleich drauf kommen können.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Erneut erklang das nervige Klicken. Einmal, zweimal, dreimal... Vermutlich würde er am Ende einen ganzen Haufen Brückenbilder haben. Was er damit wollte? Xander hatte keine Ahnung. Vielleicht hatte ihm die Komposition gefallen, aber wenn dem so war...[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Denken Sie nicht, Sie sollten sich die Brücke wenigstens einmal ansehen, ohne dabei durch ein Objektiv zu gucken?“, rutschte es ihm heraus.[/LEFT] [LEFT]Der Andere ließ die Kamera sinken.[/LEFT] [LEFT]„Vielleicht haben Sie recht damit“, stimmte er überraschend zu.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Es waren nur fünf Schritte nötig, dann stand er neben ihm und ließ seinen Blick über die weiße Szenerie schweifen. „Sie ist wirklich schön“, murmelte er, in der Stimme ein Klang, der Xander dazu veranlasste, tatsächlich zu glauben, was er gerade sagte. Modetechnisch hatte er vielleicht keinen Geschmack, Landschaften jedoch schienen ihm mehr zu liegen.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Obwohl er eigentlich auf seine Geldbörse aufpassen wollte, erlaubte Xander es sich, die Szenerie ein weiteres Mal in sich aufzunehmen. Er mochte den hübschen, weißen Schnee, die kühle Luft, die Stille...[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Ich bin Ryoma.“[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Da ging sie hin, die schöne Stille.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Tapfer versuchte er die Bemerkung zu ignorieren, doch als sich schließlich eine Hand in sein Blickfeld schob, konnte er nicht mehr anders als seinen Handschuh auszuziehen und sie zu ergreifen.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Xander, freut mich“, behauptete er, obwohl er in Wahrheit nicht all zu erfreut war.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Ryomas Hand war unangenehm kalt, aber wenigstens der Händedruck war fest und trocken. Für einen Moment blickten sie sich stumm an, dann löste sich sein Gegenüber und Xander beeilte sich, den Handschuh wieder über seine Finger zu streifen.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Gehst du hier spazieren?“, fragte Ryoma, nebenbei schon wieder mit seinem Fotoapparat beschäftigt.[/LEFT] [LEFT]Xander nickte. „Ich habe meinen Bruder zum Eislaufen gefahren“, erzählte er, obwohl es den Anderen nicht wirklich etwas anging. Irgendetwas musste er an sich haben, dass er solche Nebensächlichkeiten aus ihm herausgekitzelt bekam und das fast ganz ohne Mühe. Dabei war ihm seine Privatsphäre sonst eigentlich immer sehr wichtig.[/LEFT] [LEFT]Ryoma begann zu grinsen. „Das Eislaufen habe ich heute auch schon photographiert“, berichtete er. „Die bunten Lichter, die ganzen Menschen, die Photos werden sicher interessant. Aber ich dachte für die letzten Bilder suche ich mir lieber etwas ruhigere Motive.“[/LEFT] [LEFT]„Wie die Bow Bridge?“[/LEFT] [LEFT]„Hmm.“[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Xander hatte nicht viel Ahnung von Photographie, doch so betrachtet, schien ihm die Wahl eine Gute zu sein. Die Brücke war nicht nur sehr bekannt, sondern auch sehr photogen. Selbst er hatte schon einmal Weihnachtskarten mit ihrem Motiv verschickt, entsprechend konnte er sich vorstellen, dass sie auf den Bildern gut wirken würde, besonders mit der hübschen Haube aus Neuschnee und dem vereisten See rundherum.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Als nächstes wollte ich die Wasserfälle in den North Woods besuchen“, erzählte Ryoma freudig weiter, „Ich hoffe, dass die Zuflüsse da noch nicht eingefroren sind und so ein paar interessante Bilder entstehen. Kennst du die Ecke? Da ist es schön. Und Belvedere Castle muss ich mir unbedingt auch noch ansehen und vielleicht schaffe ich es auch noch bis zum Harlem Meer.“[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Ist das nicht ganz schön weit?“, fragte Xander.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Er wollte die Begeisterung des Anderen nicht bremsen, doch die Wasserfälle waren fast am anderen Ende des Parks. Und wenn man dann auch noch überall sonst stehen bleiben und Photos machen wollte – Ja, das Programm war zeitintensiv.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Neben ihm erlaubte sich Ryoma ein leises Lachen.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Wahrscheinlich hast du recht“, gestand er, wirkte dabei aber bei weitem weniger bekümmert als Xander es erwartet hätte. Im Gegenteil, es schien ihm fast als wäre er amüsiert. Amüsiert, weil er seine Pläne nicht umgesetzt bekam.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Komischer Zeitgenosse.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Vielleicht hatte er zu laut gedacht, vielleicht hatte er ihn aber auch zu verdattert angestarrt, denn Ryoma begann schon wieder zu grinsen.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Keine Sorge“, verkündete er stolz, „Ich habe einen Plan“.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Xander verschränkte die Arme vor der Brust. Normalerweise war diese Aussage keine Gute. Elise sagte so etwas, bevor sie versuchte Limonade an Passanten zu verkaufen um ihr Taschengeld zu verbessern, Camilla sagte so etwas, wenn sie drauf und dran war, Jemanden unangespitzt in den Boden zu rammen und Leo -[/LEFT] [LEFT]Wenn Leo so etwas sagte, war er lieber nicht mit ihm in einem Raum.[/LEFT] [LEFT]Sein kleiner Bruder war clever. Manchmal vielleicht sogar ein bisschen zu sehr und bei Aussagen wie diesen offenbarte sich nicht selten das ganze Ausmaß seiner Begabung.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Stellte sich nur die Frage, ob Ryoma auch etwas zu offenbaren hatte, oder ob er nur versuchte, sich auf dieses verquere Art und Weise interessant zu machen.[/LEFT] [LEFT]Neugierig sah Xander ihn an.[/LEFT] [LEFT]Noch vor ein paar Minuten war er ihm ganz egal gewesen, doch jetzt hatte er sein Interesse geweckt. Er wollte wissen, wie der Andere so schnell quer durch den Park kommen wollte, wollte wissen, welches das nächste Motiv für seine Kamera werden würde und vor allem wollte er wissen, ob dieses Grinsen je wieder aus seinem Gesicht verschwinden würde.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Willst du ihn hören?“, fragte Ryoma verschwörerisch und Xander erwischte sich dabei, stumm zu nicken. Ja, er wollte diesen Plan hören, selbst wenn er vielleicht dämlich war.[/LEFT] [LEFT]Ryomas Grinsen wurde wenn möglich noch breiter. „Es gibt da aber eine kleine Bedingung“, erklärte er.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Bedingung?“, wiederholte Xander.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Da war dieser Typ, den er kaum kannte und er stellte ihm Bedingungen?![/LEFT] [LEFT]Er wusste, er sollte gehen, sollte Ryoma Ryoma sein lassen, doch die Neugier hielt ihn zurück.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Was für Bedingungen?“, verlangte er zu erfahren.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Neben ihm hob Ryoma schuldbewusst die Hände. „Es ist nichts schlimmes“, versicherte er, das Grinsen bereits wieder aus dem Gesicht verbannt.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Es ist nur -“[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Xander sah ihn skeptisch an. „Ja?“, fragte er.[/LEFT] [LEFT]Sein Gegenüber holte tief Luft und für einen Moment fiel es Xander schwer, ihn weiter anzustarren. Es war aber auch nicht ganz einfach, wenn der Hummer zeitgleich nach Luft schnappte, wie ein Fisch auf dem Trockenen.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Ich würde es dir gerne zeigen“, platzte er schließlich heraus.[/LEFT] [LEFT]Xander öffnete den Mund, doch als er merkte, dass ihm die Worte fehlten, schloss er ihn stumm wieder.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Ryoma wollte es ihm zeigen?[/LEFT] [LEFT]Warum sollte er das wollen?[/LEFT] [LEFT]Was hatte er davon?[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]War dieser Mann eigentlich immer so sonderbar, oder machte er sich am Ende einen Spaß daraus ihn mehr und mehr zu verwirren?[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Was hatte er vor?[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Neben ihm fuhr sich Ryoma durch die langen, braunen Haare. „V-Vielleicht hab ich das dumm ausgedrückt“, murmelte er, inzwischen spürbar verunsichert.[/LEFT] [LEFT]War das das Ergebnis seines Schweigens?[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Xander schluckte. „Erklär es mir“, krächzte er.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Ich dachte nur, es könnte dir vielleicht gefallen und eigentlich denke ich es immer noch. Darum wollte ich es dir zeigen. Also, wenn du noch ein bisschen Zeit für mich übrig hast...“[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Xander musterte sein Gegenüber. Er musste vollkommen verrückt sein, auf die Idee zu kommen, einen Wildfremden zu einem Ausflug durch den Central Park einzuladen. Immerhin, er konnte alles sein: Ein Trickbetrüger, ein Räuber, ein Meuchelmörder...[/LEFT] [LEFT]Und Ryoma lud ihn dazu auch noch ein.[/LEFT] [LEFT]Und schlimmer noch, er hatte auch noch das Bedürfnis -[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Ja“, entfuhr es ihm und er war darüber beinahe genauso überrascht wie sein Gegenüber. Erneut begann Ryoma zu grinsen und Xander ertappte sich bei der Überlegung, dass wenn Ryoma ein Trickbetrüger, Räuber oder Meuchelmörder war, er wenigstens einer mit Spaß an der Arbeit zu sein schien. Etwas was er von sich nicht ohne weiteres hätte behaupten können.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Ryomas Grinsen, er sah es wirklich gern, aber irgendwie war er auch immer noch gespannt darauf zu erfahren, was der Andere nun genau vor hatte.[/LEFT] [LEFT]„Verrätst du es mir jetzt?“, fragte er, vielleicht eine Spur zu neugierig, doch statt den Plan endlich zu erklären, griff Ryoma nach seinem Arm und zog ihn einfach mit.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] ❄❄❄❄ [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Sie liefen nur ein Stückchen, in Richtung Bethesda Fountain, die so überhaupt nicht in Richtung Belvedere Castle oder North Woods lag. Doch als der Springbrunnen mit der Engelsfigur endlich in Sichtweite kam, wirkte er so erhaben wie eh und je, sogar mit der dicken Schneeschicht auf den Flügeln.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Klick![/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Natürlich“, dachte Xander und beinahe hätte er es auch noch ausgesprochen. Er hätte sich denken können, dass Ryoma die Kamera nicht Kamera sein lassen konnte. Schon gar nicht, wenn sein Motiv ein fragiler, von Schnee umrahmter, Engel war, der mit stoischem Gesicht auf die Pferdekutschen zu seinen Füßen hinabstarrte.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Xander hielt mitten in der Überlegung inne.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Pferdekutschen?[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Wollte sein Gegenüber etwa mit ihm in so eine – „Klick“ machte es, dieses mal ungewöhnlich nah an seinem Ohr.[/LEFT] [LEFT]Xander zuckte zusammen und Ryoma ließ schuldbewusst die Kamera sinken. „Entschuldige“, murmelte er und hatte zumindest den Anstand betroffen auszusehen, „Du hast so herrlich überrascht geguckt, da konnte ich einfach nicht mehr widerstehen.“[/LEFT] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)