Die Motus von Futuhiro (Magister Magicae 5) ================================================================================ Kapitel 12: Urnue ----------------- „Hier, ich soll dir was zu trinken bringen.“, erklärte Urnue, als er am nächsten Morgen ins Gästezimmer hereinplatzte. An sich war das eine Lüge. Er hatte keine entsprechende Aufforderung von irgendwem erhalten, aber egal. Er hatte ein Flasche Limonade und ein sauberes Glas bei sich, die er Victor beide auf den Schreibtisch stellte. Er hatte auch ganz bewusst darauf verzichtet, anzuklopfen. Er wollte wissen, was dieser Victor hier in Rupperts Haus trieb. Aktuell saß er am Laptop und hatte irgendeine russische Internetseite geöffnet, aus der Urnue sich auf die Schnelle nichts nehmen konnte. Um ihn herum war Zettelkram verteilt. Alles in allem wirkte er nicht, als säße er erst seit 10 Minuten hier. Ob der Russe in der Nacht überhaupt mal geschlafen hatte, nachdem er vom Sofa wieder hochgescheucht worden war? Nun, zumindest unter der Dusche musste er mal gewesen sein. Seine verfilzten, schwarzen Haare wirkten wieder sauber und ordentlich ausgebürstet. „Danke.“, erwiderte der Gast, lächelte ihn kurz an, und widmete sich dann ganz offen wieder dem Computer. Rupperts Computer, wohlbemerkt. Wenigstens sah es nicht aus, als ob er hier irgendwas verfängliches anstellte, was keiner mitkriegen sollte. Urnue lehnte sich neben ihm mit dem Hintern gegen die Tischplatte. Mit herrisch verschränkten Armen. Irgendwie störte es ihn, daß dieser Victor tatsächlich in der Kleidung herumlief, die er ihm gestern hatte geben müssen. „Du wirst jetzt also ne Weile hier bleiben, ja?“ Victor schaute wieder nett lächelnd zu ihm hoch. „Solange Ruppert es duldet, ja.“ „Ich will ehrlich sein, ich bin nicht glücklich darüber, dich hier zu haben.“ „Ist mir klar.“ „Ich bin ganz genau im Bilde, wer du bist. Dich zu verstecken, ist gefährlich. DU bist gefährlich! Ich habe ein Auge auf dich, glaub mir das! Auch wenn Ruppert mir befohlen hat, mich von dir fern zu halten.“ „Hat er das?“, lächelte Victor amüsiert. „Unsere Haushälterin hat keine Ahnung, wer du bist. Sie hält dich für einen Freund. Und Ruppert will, daß das auch so bleibt. Er hat mir verboten, mit ihr über dich zu reden. Und wenn du klug bist, wirst auch du sie in dem Glauben lassen.“ Victor senkte den Blick auf seinen Laptop-Bildschirm zurück. „Du überschätzt mich, Urnue. Ich bin nicht der gewissenlose Killer, als den du mich wahrscheinlich wahrnimmst. Und ich will Ruppert ganz sicher nicht schaden. Mir scheint, du hast Ahnung von der Motus und ihrem Treiben. Du bist ein Gegner der Motus, das ist gut. Und sicher hast du auch mitgekriegt, daß diese Organisation gerade systematisch von der Polizei zur Strecke gebracht wird. Land für Land. Staat für Staat. Die Motus ist verraten worden.“ „Ja. Darum bist du ja jetzt hier und verkriechst dich!“ Victor kicherte leise. „da, tak ono jest.“, stimmte er auf Russisch zu. „Darum bin ich jetzt hier und verkrieche mich.“ Urnue konnte Russisch. Alle, die mit der russischen Motus zu schaffen hatten, konnten das. Gezwungenermaßen. Er hatte das 'So ist es.' durchaus verstanden, wusste nur nicht recht, warum Victor so unvermittelt russische Sätze in die Unterhaltung mit einstreute. Wollte er damit etwas bestimmtes vermitteln? „ICH war der, der die Motus verraten hat, Urnue. Darum bin ich jetzt hier. Ich hasse die Machenschaften dieser Verbrecher. Ja, es hat mich einige Opfer gekostet, um so weit zu kommen, daß ich sie wirksam auffliegen lassen konnte. Das war mein Ziel, seit ich mich der Motus angeschlossen habe. Ruppert wusste das. Und ja, ich habe einige Genii auf dem Gewissen. Aber bitte reduziere mich nicht auf diese Genii, die ich auf dem Gewissen habe. Meine Absichten sind andere.“ Urnue starrte ihn fassungslos an. Das Bild, das er von dem unliebsamen Gast gehabt hatte, geriet schlagartig arg ins Wanken. Das hatte Ruppert ihm nicht erzählt. Ruppert kam lautstark die Treppe hochgepoltert. „Urnue, verdammt, wo steckst du nichtsnutziger Bastard?“ Der Genius mit den schwarzen Wuschelhaaren schaute zur Tür, dann nochmal ungläubig auf Victor, dann wurde die Tür auch schon aufgerissen. „Hier!? Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dich fern halten?“, schnaubte Ruppert wütend. „Hast du das?“, klinkte sich Victor sofort ins Gespräch ein und drehte sich vom Schreibtisch zur Tür um, um ihn anzusehen. „Tut mir leid, das wusste ich nicht. Ich wollte deinen Urnue nicht aufhalten.“ Ruppert holte sauer Luft, um etwas zu erwidern, wusste dann aber nicht, was. Also blieb ihm nichts, als es bei einem missbilligenden Schnaufen zu belassen. „Ich komme schon.“, meinte Urnue leise und schlüpfte mit eingezogenem Kopf an ihm vorbei aus dem Zimmer. Ruppert wartete, bis sein Genius Intimus außer Hörweite war. Dann funkelte er Victor fast drohend an. „Was hast du ihm erzählt?“ „Die Wahrheit. Das ich derjenige war, der die Motus verraten hat. Er sollte wissen, mit wem er unter einem Dach leben muss. Und wenn er mich nicht als den Bösen ansieht, stellt er weniger Dummheiten an.“ „Was meinst du damit?“ „Ich fühle mich sicherer, wenn ich keine Angst haben muss, daß er wegen mir die Polizei ruft, das ist alles.“, fand Victor leichthin und wandte sich demonstrativ wieder seiner Internetseite zu. „Mh, ich muss irgendwie verhindern, daß meine Aktivitäten hierher zurückverfolgt werden können, wenn ich von hier aus die Fäden ziehen will ...“, überlegte er dabei laut. „Was!? Lass das!“, jaulte Ruppert entrüstet und bückte sich panisch nach dem Stecker neben der Tür, um das Internetkabel förmlich aus der Wand zu reißen. „Schön und gut, wenn du dich hier verstecken willst! Aber mein Haus wird nicht die neue Zentrale für deine Konspirationen! Verhalte dich gefälligst still, solange du hier bist!“ „Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?“, wollte der Russe in einem Tonfall wissen, als würde er Ruppert beileibe keine besseren Vorschläge unterstellen. „Von der Bildfläche verschwinden und warten, bis sich da draußen wieder alles beruhigt hat! Bis Gras über die Sache gewachsen ist!“ „Ich werde nicht tatenlos rumsitzen und zusehen, wie diese Magier weiter Genii abschlachten. Jetzt, wo die Polizei die Führungsebene der Motus lahmgelegt hat, werden die sich in alle Himmelsrichtungen zerstreuen. Die, die genauso untergetaucht sind wie ich, müssen ausgeschalten werden. Ich muss im Auge behalten, wo die alle hin sind, sonst finde ich sie später nie wieder.“ Ruppert verengte verblüfft die Augen. „Du willst denen den Krieg erklären?“ „Das habe ich bereits. Das weißt du. Ich BIN im Krieg. Ich muss sie finden, bevor sie mich finden, sonst bin ich ein toter Mann. Es gibt kein Zurück mehr.“, erklärte er, während er nebenbei etwas in den Laptop tippte, wofür er offensichtlich keine stehende online-Verbindung brauchte. Ruppert nickte langsam. „Aber nicht von meinem Haus aus! Victor, du bist mir ein willkommener Gast. Komm hier wieder zu Kräften, sammel dich und plane dein weiteres Vorgehen. Bleib, solange du willst und kannst. Aber sobald es dich wieder dazu treibt, aktiv zu werden, muss ich dich bitten, mich nicht mit hinein zu ziehen. Nenn mich einen Feigling, wenn du willst, aber DAS mache ich nicht mit.“ Victor schmunzelte ihn fröhlich an. „Du bist vielleicht kein heroischer Ritter, der für seine Sache in den offenen Kampf ziehen und töten würde. Aber wenn du irgendwas auch nicht bist, dann ein Feigling. Ich werde dich nicht in Gefahr bringen, keine Sorge.“ „Gut.“, brummte Ruppert erleichtert. „Ach ja, wenn du was zum Frühstück haben willst, wirst du dich übrigens in die Küche bequemen müssen. Lieferservice aufs Zimmer bekommst du hier nicht.“ Der Russe überlegte kurz. „Ruppert, tust du mir einen Gefallen?“ „Was denn?“ Noch mehr Gefallen? War es noch nicht genug, daß er Victor hier versteckte? Er bückte sich, um den Internetstecker wieder anzustöpseln. „Als mein Freund ... Nenn mich von jetzt an 'Dragomir', okay?“ „Sperrst du deinen Genius Intimus immer aus, wenn du frühstückst?“, wollte Victor etwas unglücklich wissen und nippte dann an seinem Kaffee. Englischer Kaffee war übrigens echt lausig, aber er wollte sich nicht über die Gastfreundlichkeit beschweren. Er saß mit Ruppert in der Küche, Urnue und die Haushälterin mussten draußen im Wohnzimmer auf dem Couch-Tisch essen. „Nein. Ich will nur nicht, daß du ihm zu nahe kommst.“ „Ruppert, das wird sich nicht vermeiden lassen, wenn ich noch ne Weile hier wohne.“ „Mach einfach einen Bogen um ihn. Er soll nicht mit dir reden.“, brummte der grauhaarige Bankenbesitzer ernst. „Ich mach mir Sorgen, welchen Einfluss du auf ihn haben könntest. Ich hab ihn nicht grundlos auch von der Motus ferngehalten, so gut es ging. Als mein Genius Intimus weiß er zwar notgedrungen, was Phase ist, aber er soll sich nicht mit in diese Machenschaften hineinverstricken. Ich will, daß er keinen Kontakt in solche kriminellen Kreise hat, wie wir beide.“ Victor senkte den Blick mit einer hinnehmenden 'von-mir-aus'-Mimik in den Kaffeepott zurück und sagte nichts mehr dazu. Das dieser Plan unmöglich sehr lange aufgehen konnte, musste Ruppert ja wohl selber klar sein. Dennoch nahm er sich vor, mit Urnue nur über möglichst unverfängliche Themen zu reden, wenn sich eine Unterhaltung mit ihm nicht vermeiden ließ. Und, daß sie sich auf Dauer nicht vermeiden ließ, lag ja in der Natur der Dinge. „Erzähl mal.“, wechselte Ruppert neugierig das Thema. „Wie genau hast du die Motus auffliegen lassen? Es war von einem Brief an die Polizei die Rede!?“ Victor dachte zurück und sammelte sich in Gedanken ein paar passende Vokabeln zusammen. Da er hier in England war, fand er es nur angemessen, mit Ruppert und dessen Haushaltsmitgliedern auch Englisch zu sprechen. Aber daran musste er sich erst wieder gewöhnen. War lange her, daß er so richtig ernsthaft auf Englisch hatte kommunizieren müssen ... Es war 5 Uhr morgens, also noch so gotteslästerlich früh, daß es noch nichtmal ganz hell war. Er erhoffte sich davon ein so großes Zeitfenster, daß er es nochmal nach Hause schaffte, um sich umzuziehen, bevor er ins Büro musste. „Sind Sie mein Kontakt?“, fragte jemand. Victor sah aus seinem Klatschblatt hoch, als er sich angesprochen fühlte. Er hatte zwar so getan, als sei er total vertieft in das Ding und völlig unaufmerksam, tatsächlich hatte er seine Umgebung aber genauestens im Auge gehabt. Er musterte den unscheinbaren, bärtigen Mann vor sich nur kurz. Ja, das war der Polizei-Inspektor, den er hatte treffen wollen. Einer von denen, die noch wirklich hinter Verbrechern her waren, statt sich mit Korruption eine goldene Nase zu verdienen. Victor stellte seinen coffee to go mit einem Lächeln zur Seite. „Ich bin sehr erstaunt. Sie sind wirklich alleine gekommen.“ „Versuchen Sie erst gar keine krummen Dinger. Es befinden sich getarnte Agenten in der Umgebung, die mich absichern.“ Victor warf einen Blick in die Runde, als müsse er das nochmal überprüfen. Das hatte er natürlich abgechecked. Er hatte den Polizisten von dessen Haus bis hier her verfolgt und wusste sehr genau, ob und mit wem der gesprochen hatte. Victor war nicht in der Position, sich mit der Polizei auf einen großen Aufriss einzulassen. Wäre der Polizei-Inspektor in Begleitung gekommen oder hätte auch nur ein verstecktes Diktiergerät getragen, hätte Victor dieses Treffen hier sofort abgebrochen. Sobald der Bulle mitbekam, wen er hier vor sich hatte, würde er nämlich alles daran setzen, ihn dingfest zu machen. Victor musste echt Acht geben und im Ernstfall schnell die Biege machen. „Nein. Es sind keine da. Sie sind alleine.“, entschied er. „Sie halten sich für ein gewitztes Kerlchen, was?“, lenkte der Polizist ein. Er war in der Tat wahnsinnig, alleine hier aufzukreuzen. Oder überhaupt hier aufzukreuzen und mit so zwielichtigen Gestalten zu verkehren. Keine Ahnung, was ihn dazu bewogen hatte. Aber nun war es einmal so. Er setzte sich. Auf eine Treppe in einem leeren Hinterhof, ohne Zeugen, neben einen anonymen Kontaktmann. „Sagen wir, ich hab´s nötig, vorsichtig zu sein.“, schmunzelte Victor. „Verraten Sie mir Ihren Namen, mein Bester?“ „Sagt Ihnen die 'Motus' etwas?“ Der Polizist verlor kurz seine gesunde Gesichtsfarbe. Himmel, mit DENEN hatte er sich hier eingelassen? Die Motus war ein Verbrecherkartell, das 'gefährliche' Genii einfach ohne viel Federlesen ausradierte. Sie waren Mörder und Dealer. Ein paar wenige ihrer Opfer waren als Sklaven im Dienste irgendwelcher zwielichtigen Schlüsselfiguren der Unterwelt wieder aufgetaucht. Man konnte nur mutmaßen, wie groß diese Organisation tatsächlich war und wie weit ihr Aktionsradius sich zog. Es hatte in mehreren Ländern der Welt Morde und andere Verbrechen gegeben, die man der Motus zuschrieb. Das Einflussgebiet der Motus reichte von Russland bis weit nach Westeuropa hinein. Und in Polizeikreisen sagte man, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis sie auch auf Asien oder gar Amerika übergriffen. Vielleicht hatten sie das sogar schon und die Polizei wusste es nur noch nicht. Er räusperte sich. „Welchem Polizisten sagt die Motus nichts!?“ Victor zog einen großen Briefumschlag aus seinem Klatschblatt und hielt ihn dem Polizisten einladend hin. „Da drin finden Sie alles, was das Herz begehrt. Fotos. Namen. Adressen. Pläne. Beweise.“ Dem Inspektor entwich seine eben erst zurückgewonnene Farbe erneut. Er wurde schon wieder bleich, nahm den Umschlag aber mit zittrigen Fingern entgegen. Auch wenn er das Gefühl hatte, daß das entschieden eine Nummer zu groß für ihn war. „W-Wer sind Sie, um Gottes Willen?“ „Sie nennen mich Akomowarov.“ Der Polizei-Inspektor gaffte ihn mit offenem Mund an. Der Name klingelte in seinen Ohren wie eine Alarmglocke. „Victor Dragomir Raspochenko Akomowarov? Der stellvertretende Chef von diesem Haufen?“ „Ja.“ „Was wollen Sie von mir?“ Victor deutete vielsagend auf den Briefumschlag. „Machen Sie diesem Kartell ein Ende. Und zwar möglichst schnell. Es wird in der Motus nicht lange unbemerkt bleiben, daß irgendjemand geredet hat. Es war mir wichtig, Ihnen diesen Umschlag persönlich zu geben. Hätte ich ihn bloß in den Briefkasten geworfen, wäre er wohlmöglich verloren gegangen. Man weiß ja nie.“ Mit diesen Worten nahm Victor seinen coffee to go wieder an sich, stand auf und spazierte seiner Wege. Der Polizist schaute sich paranoid um, bereute es hundertfach, tatsächlich ganz alleine hergekommen zu sein, verbarg den sorgenschweren Umschlag dann in seiner Jacke und hetzte ebenfalls davon. Auf die Idee, den vielfach gesuchten Akomowarov festnehmen zu wollen, kam er nicht. Er hatte viel zu sehr mit seiner Angst zu kämpfen, es noch lebend bis aufs nächste Polizeirevier zu schaffen, um den Umschlag wenigstens abliefern zu können, bevor er von wütenden Handlangern der Motus kalt gemacht wurde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)