Alles auf Grün von somali77 ================================================================================ Kapitel 1: "Wir kennen uns nicht? Wir sollten uns kennen!"" ----------------------------------------------------------- ~ „You were the first to recognise and refer to everything I am not just who I´m trying to be“ Marlon Roudette- Anti Hero ~ Am Kopf des gigantischen Kampfroboters spiegelte sich die Sonne. Unerschütterlich stand er da, vor dem Einkaufszentrum, gebaut wie für die Ewigkeit: weiß, blau und rot, die gewaltigen Beine fest in die Erde gestemmt, die Arme leicht geöffnet, in einer Geste so tröstend wie tapfer, die den Eindruck erweckte, als könnte er es mit jeder Bedrohung aufnehmen. Eine schüchterne Spätsommersonne streckte vom wölkchenbesprenkelten Himmel Strahlen nach dem Metallhelden aus, die erglühend den Panzer entlang rutschten. Das Universum mochte ins Schlingern geraten; ferne, finstere Mächte auf dem Vormarsch sein; aber unter den Fittichen des Stahlwesens war die Welt noch in Ordnung. Unter ihm wimmelten Menschen im Nachmittags- Kaufrausch, und aus unsichtbaren Lautsprechern schallte die Hymne der Anime- Show, aus der dieser elektronische Blechkamerad entstammt war. Die Hintergrundmusik verlieh der Szene eine feierliche Art von Albernheit, die auf die wunderbarste Weise nostalgisch war. Es war eine friedliche Welt, voller erstaunlicher Zufälle. Genau in diesem Moment, an genau diesem Ort, war Kuroo auf dem Nachhauseweg. Im Schlenderschritt kam er aus der Mall, seine Tasche über einer Schulter, in der Hand, die nicht in seiner Hosentasche steckte ein halb voller Becher mit Bubbletea. Mit ausdruckslosem Gesicht- manche hätten die Miene als „cool“ bezeichnet, aber eigentlich lief sein Hirn nur auf Standby- schlürfte er trübe Flüssigkeit mit dicken, glibberigen Kugeln durch einen breiten Strohhalm. Auf die Umgebung zu achten war nicht Teil des Plans. Erstens war der Weg zu vertraut: an den kleinen, kümmerlichen Sprenkeln von Grün der städtischen Großraumbepflanzung vorbei, zurück zu den Treppen in Richtung Brücke und Bahnstation. Stattdessen suchte er Ablenkung durch Handy- Musik. Bokuto hatte ihm diesen Song geschickt, besser gesagt, diese Musik- Datei, und ein wesentlicher Teil ihrer gut funktionierenden Bromance war auf Schlagfertigkeit gegründet. Auf der Fähigkeit, den metaphorischen Humor- Ball in der Luft zu halten. Und je eher er wusste, was für ein Song das war, desto eher konnte er antworten, desto mehr war er noch im Spiel. Genau so wie eben beim, hm ... Volleyball. Noch früher hatte das mit dem Hören nicht geklappt, immerhin war er mit Kenma unterwegs gewesen, und, naja... er kannte Bokuto. Es bestand die Chance, dass was auch immer er da wieder teilen wollte, für Kenmas zarte Ohren nicht angemessen war. Kenma – behauptete - zwar immer, dass nichts mehr ihn so schnell schocken konnte, seit er im Internet auf Fanfictions gestoßen war, aber davon wollte Kuroo nichts wissen. Er wich mit elegantem Seitenschritt Touristen aus, in seinem Rhythmus die lässige Routiniertheit aller echten Großstadt- Eingeborenen. Dort, in den Tiefen der Hosentasche, mussten irgendwo seine Earplugs sein... Mit Hosentaschen war es ein bisschen so, wie mit Schrödingers Katze, beziehungsweise der Kiste, in der die Katze drin saß: vielleicht hatte man Glück, vielleicht nicht. So lange man noch nicht hineingegriffen und nachgefühlt hatte, war alles möglich. Allein die Tatsache, dass man sich unscharf daran erinnerte, einmal Earplugs hineingestopft zu haben, hieß nicht unbedingt, dass man sie auch dort wiederfand. Vielleicht fand man sie nicht und musste neue kaufen, und die alten kamen dann später zuhause völlig verknotet am krümeligen Boden der Schultasche, zwischen den Englischbüchern zum Vorschein. Vielleicht durchsuchte man auch sämtliche Hosen- und Jackentaschen mehrfach und mit zunehmenden Selbstzweifeln, nur um sie später dann doch dort zu finden, wo man als erstes nachgefühlt und nichts gefunden hatte. Es war eins der vielen, ungelösten Mysterien des Lebens. Erfreulicherweise waren ihm heute die Glücksgötter hold: Kühler, gummiummantelter Draht schmeichelte sich um seine Finger, er pflückte einen Teil des Knäuls heraus, zerrte ihn weiter zum Vorschein-... und das Kabel rutschte ihm aus der Hand. Wie ein Lasso wickelte es sich um den schmutzig graugrünen Zweig eines der Büsche der Park- Bepflanzung. Kuroo fühlte sein Handy, das am anderen Ende hing, halb aus der Tasche gerissen, und stoppte, um die flüchtige Technik aus der Natur zu wickeln. Das gab ihm einen Moment, um aufzusehen. Als würde er aufwachen aus einer Trance, blinzelte er geradeaus vor sich. Dort, auf der anderen Seite des kärglich- grünen Strauchs stand jemand in seinem Alter- vielleicht ein bisschen jünger- und starrte angestrengt auf sein Handy. Jemand mit Muskelshirt, schwarzer Sporttasche, blondierten Haaren... … und unwiderstehlichem Undercut. Kuroo blinzelte noch einmal. Langsamer. Ein paar Herzschläge lang konnte er gar nichts anderes tun. Dann holte sein Gehirn einmal tief Luft, und machte ihm Folgendes klar: erstens, es war offensichtlich ein Tourist. Die große, schwarze Sporttasche an der Seite, das hilflose Herumgescrolle auf seinem Smartphone, während er erst in die eine, dann in die andere Richtung Ausschau hielt... entweder, er war hier als jemand, der den Hype komplett verpasst hatte, noch auf der Jagd nach Pokemon, oder er versuchte aus Google Maps schlau zu werden. Zweitens: Sporttasche hieß vielleicht nicht immer gleich „Sportler“, aber dem Körperbau nach zu urteilen war der Typ kein Bewegungsmuffel. Kuroo verstand alle anderen Sportler grundsätzlich als Brüder im Geiste, und fühlte sich verpflichtet, zu helfen. Sowas tat man doch eben, oder? Drittens: Kuroo hatte eine Schwäche. So wie andere Leute Katzenbabys aufsammelten, wenn sie welche kläglich maunzend und halb verhungert am Wegrand fanden- genau so sammelte Kuroo... ... verlorene Jungs. Nicht, indem er sie mitnahm. Sondern, indem er den unwiderstehlichen Drang spürte, diesen inneren Impuls, diesen Sog, der seine Aufmerksamkeit bündelte: Seine Augen wurden schmaler, seine Pupillen weiter und er konnte quasi gar nicht mehr anders, als seinen gesamten Fokus auf sie zu richten. Wer bist du?, tanzten dann Fragen durch seinen Kopf, Was brauchst du? Und: Wie bringt man das Beste an dir zum Vorschein? - nicht als direkte Worte, sondern mehr als ein prickelndes Gefühl von Anteilnahme, spontaner Sympathie... und unüberwindlicher Neugier. Er hatte eine Fixierung auf genau solche Mitmenschen, die eher dazu neigten, durchs Raster zu fallen: sei es, durch offen zur Schau gestellten Widerwillen sich sozial einzufügen, sei es durch überschießende Kraft, oder ganz allgemeine Motivationsprobleme. Kuroo hatte eine allseits berüchtigte Schwäche... für Ecken und Kanten. Und der Kerl hatte einen Undercut. Mit gepiercten Ohren. Auf beiden Seiten. „Hey!“ Der Andere blickte auf. „Mh?“ Strahlendes Lächeln signalisierte japanweit und international: Fürchte dich nicht, ich komme in Frieden. Kuroo´s Version geriet manchmal eher zu beunruhigend breitem Katergrinsen... Naja. Der Gedanke zählte: „Brauchst du Hilfe? Ich bin zufällig aus der Gegend, also... suchst du vielleicht irgendwas?“ „Oh! Voll nett! Also“, der Andere nickte seltsam zittrig, kam zwei Schritte näher und tippte auf seinem Gerät herum, „Ich, ähm, muss später zu diesem Hostel, kennst du das zufällig?“ Sie starrten zusammen auf einen kleinen Bildschirm. „Mmmh...“, Kuroo rieb sich das Kinn, „Ich selber war da noch nicht, aber die Gegend ist leicht zu finden. In der Nähe ist eine U- Bahn- Station, höchstens hundert Meter Fußweg, siehst du?“ „Ahhh... das ist gut! Und es ist, äh, auch nicht irgendwie eine komische Gegend oder so?“ Kuroo blinzelte. „Wie meinst du das, komische Gegend?“ „Naja, ist es sicher? Es ist nicht ein...“, der Andere bekam seltsam rote Ohren und einen gehetzten Gesichtsausdruck, „komisches Hostel, du weißt schon... wo alte, gruselige Typen sind, und, uhm...“, er machte ein, zwei vage Handbewegungen. Der Nekoma- Kapitän prustete, versuchte den Effekt in ein Husten abzumildern. Er machte eine Miene von der er hoffte, dass sie aussah, als würde es ihm leid tun, den Gedanken absurd lustig gefunden zu haben, dass irgendein einsamer, ahnungsloser Geschäftsmann den Typen für einen Stricher halten konnte. Vor allem, dass der Kerl das selbst zu befürchten schien. „Ähh-... nein, also...“, rasch winkte er ab, „Nicht, dass ich wüsste. Das ist keine Gegend, wo Businessmen unterkommen, und garantiert auch kein Rotlichtviertel oder so, da sind wahrscheinlich mehr... uhm, europäische, junge Touristen, so was in der Art?“ „Oh, gut!“, der Andere entspannte sich sofort. Kuroo war neugierig, ob es zu dieser merkwürdig speziellen Befürchtung auch eine Story gab... Vielleicht hatte der Andere einfach zu viele Yaoi- Comics gelesen. „Dein erstes Mal in Tokyo?“, Kuroo hob seinen Trinkbecher und wies damit in großzügiger Geste auf die Umgebung, als wäre es weniger die große, weite Welt sondern mehr sein persönlicher Hinterhof: „Keine Panik, hier ist es wirklich sicher.“ „Oh? Das ist gut... uhm... vielleicht kannst du mir, äh, dann noch bei was anderem helfen, und zwar... hmmm...“ Der Andere zeigte ihm noch eine Karte. Darauf war keine Adresse angegeben, nur Koordinaten. Und die Zielgegend ließ Kuroo stutzig werden... „Mmmh, das ist... komplizierter“, er rieb sich die Nase, „Am Besten... hm... in der Nähe sind große Turnhallen... das ist beim alten Sportpark.“ „Okay?“, der Andere nickte eifrig. „Dafür musst du... du kommst mit einer Bahn in die Nähe, aber das sind ungefähr... mh, vielleicht zehn, fünfzehn Minuten zu laufen?“ Der Andere sah wieder unsicher aus. „O-... kaaay...“ „Darf ich fragen, warum du ausgerechnet da hin willst? Das ist ziemlich weit ab vom Schuss?“ Der Andere wurde wie auf Knopfdruck rot. Die Farbe fing bei den Ohren an und breitete sich schwallartig zum Hals aus. „F-... Freunde treffen...?“, stotterte er hervor, als ob er noch nicht wirklich sicher war. Kuroo´s Gehirn rang nach Erklärungen. „Machst du Geo- caching oder so was in der Art?“, tippte er. „Ähh... jaaa“, die Augen des Anderen wurden groß, „Genau...! Ist die Gegend denn sicher? Also... man wird da nicht überfallen oder so? Es gibt keine, äh, Funklöcher für Handys?“ „Hey, das ist Tokyo“, Kuroo hob gut gelaunt die Schultern, „Das heißt, absolut möglich.“ Er lachte über die Art, wie dem Anderen kurz das Gesicht entgleiste. So nervös hätte er ihn von der Optik her gar nicht eingeschätzt. „Sorry, Quatsch, war nur Spaß! Selbst wenn das eher eine ungewöhnliche Gegend ist, wird dich schon keiner verschleppen... kann ich mir jedenfalls nicht wirklich vorstellen. Hey, woher kommst du? Hat man dir zuhause Horror- Geschichten über die große, böse Stadt erzählt?“ „Schon möglich, heh!“, der Andere rieb sich verlegen den Hinterkopf, „Ich bin aus Miyagi...“ „Echt?“, Kuroo klatschte sich mit der freien Hand auf den Schenkel, „Mann, so ein Zufall! Freunde von mir sind auch da her... und, hey! Dieser Ort, den du grade gezeigt hast, ist ziemlich nah bei den Quartieren-... demnächst sind doch die Spiele für die Endausscheidung im Volleyball, keine Ahnung ob du das mit verfolgst?“ „Ich spiele auch Volleyball“, platzte es aus dem Anderen heraus, und auf einmal leuchteten seine Augen. Als hätte man einen Schalter umgelegt, strahlte Begeisterung aus ihm. „Echt?! In Miyagi? Für welche Schule?“ „Yozenji!“ „Yozenji?“ Die Silben klangen, in egal welcher Betonung, völlig unbekannt. „Nie gehört.“ „Pah! Wart´s ab, nächstes Jahr werden wir überall bekannt sein!“ „Jah, klar!“, Kuroo´s Grinsen war breit und gönnerhaft, „Hey, weißt du was? Zufällig haben wir dieses Wochenende so ein privates Treffen- ein paar Leute von hier und welche aus Miyagi- also, wir wollten vor den Entscheidungswettkämpfen nochmal die Chance auf so was wie richtige Freundschaftsspiele. Weißt ja, ein paar von uns gehen dann von der Schule ab, und wir sind echt irgendwie total ... zusammengewachsen ... vielleicht hast du ja Bock, dabei zuzuschauen?“ „Uhm! Nein, also“, der Andere winkte gleich heftig ab, „Ich will mich da nirgendwo reindrängen-...!“ „Tust du doch gar nicht!“, Kuroo gab ihm einen ermunternden Knuff an die Schulter, „Hey, wenn du Bock hast, komm einfach vorbei, und wir üben ein paar Moves zusammen? Welche Position spielst du denn?“ „Wing... Spiker...“, schon lief er wieder fleckig rot an und konnte den Blickkontakt kaum noch halten. Kuroo wurde ernsthaft neugierig. Irgendwas war doch da im Busch... Warum die Verlegenheit? Der andere wirkte definitiv nicht so, als wäre das bei ihm Normalzustand. Und wieso wollte er in der Nähe des Sportparks Geo-cachen, wenn heute Abend- zufällig- ganz in der Nähe die Leute von Karasuno eintrudelten..? „Es gibt eine Menge, was ich dich gern fragen würde...“, begann Kuroo langsam, „Aber ich beschränke mich mal aufs Wesentliche... wenn du jetzt alles Mögliche an Touri- Zeug angucken könntest... und wenn du heute noch zum alten Sportpark willst, was machst du dann hier in Diver City?“ „Ich...“, der Andere stockte. Seine dunklen Augen wurden rund, er gab einen Schnaufer von sich, sah ihm direkt ins Gesicht und bekannte dann, mit der schlichten Aufrichtigkeit des kleinen Jungen, der er vor nicht allzu langer Zeit noch gewesen sein musste: „Ich... wollte den Gundam sehen.“ Kuroo widerstand dem Impuls, seine Arme um ihn zu schließen und ihm die Haare zu strubbeln, weil das so unverhofft niedlich war. „Glückwunsch“, nickte er stattdessen, „Mission ausgeführt! Wie du siehst“, er hob seine Arme dem Blechding entgegen: „Es ist ein Gundam!“ Der Andere lächelte erst. Und dann lachte er. Noch leise und schüchtern zwar, aber immerhin. Es war ein Lachen, das in den Augen anfing, und sich über den ganzen Körper ausbreitete. »Ist aber nicht der Wing Zero, oder?“ „Keine Ahnung... wahrscheinlich einer von den früheren Typen?“, Kuroo hob zweifelnd die Schultern, „Ich mochte ja Heavyarms.“ „Waaas, Shenlong war viel cooler!“ „Schon klar, dass du das sagst...“ „Hey! Die Flammenwerfer! Und sein einer Arm war ein Drachenkopf, den er als Teleskop ausfahren konnte! ... Hast du gewusst, dass er jetzt abgebaut werden soll?« »Ein verdammter Jammer, oder?« »Stattdessen wollen sie ´ne Figur von Gundam Unicorn aufstellen.« Der Andere schauderte. »Gundam- Unicorn, Alter!« »Der Lauf der Geschichte kann tragisch sein...“, sinnierte Kuroo, „Komm, soll ich ein Erinnerungs- Foto von euch beiden Hübschen machen?« »Cool, na klar!“, da war es wieder, das Leuchten in seinen Augen. Die Geburt eines Sterns, irgendwo, in einer weit, weit entfernten Galaxis: „Ich bin übrigens Terushima!« „Kuroo. Cool dich kennen zu lernen!“ „Gleichfalls! Spielst du hier in Tokyo für eine Mannschaft?“ „Nekoma.“ „Echt jetzt?!“, dem anderen blieb der Mund offen stehen, „Abgefahren! Ihr habt euch fürs Finale qualifiziert, oder?!“ „Heh! Tja, man tut, was man kann...“ „Boah, weißt du was? Das kommt jetzt vielleicht etwas plötzlich, aber... komm doch mit aufs Foto? Ich brauch was, das ich für die Jungs aus dem Team hochladen kann!« „Oh mann!“, Kuroo, auf einmal sehr enthusiastisch, wippte kurz zögernd auf seinen Fersen und gab sich dann einen Ruck, „Okay!“ Mit langen, federnden Schritten umkreiste er das Gewächs, das sie trennte. Sie drückten sich aneinander- noch ein bisschen verlegen, aber umso entschlossener, das mit besonders viel cooler Lässigkeit zu überspielen- und grinsten synchron in die Kamera. Hinter ihnen, vor einem grauen Feld aus Beton, thronte der bunte Blechkoloss: ein stiller Zeuge ihrer Zusammenkunft. Und vor ihnen Füßen rankte spärliches Grün. Eingepfercht in der Betonwüste, aber lebendig und hoffnungsvoll: Wie der Beginn von etwas Neuem. ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)