Crystal of the Dark von Kikono-chan ================================================================================ Kapitel 11: Abschied? --------------------- Kapitel 11: Abschied? "Mein... mein..." ich kann nur noch stottern. Wie kann das möglich sein? Ich meine, bis vor wenigen Wochen habe ich geglaubt, meine richtige Familie sei verstorben, und jetzt habe ich nicht nur Eltern, sondern auch noch einen Bruder? Haru zieht mich zurück in eine Umarmung, wuschelt mir wieder durch die Haare und grinst dabei wie ein Honigkuchenpferd. "Dein Zwillingsbruder, um es ganz genau zu nehmen." Ich kollabiere gleich. Darf ich? Nur ganz kurz. Damit ich das hier verarbeiten kann... Ian lacht. Haru auch. Nur ich stehe da, wie ein bedröppelter Klotz. Nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen oder anderweitig logisch zu denken. "Haru, du solltest ihr vielleicht ein wenig Luft zum Atmen lassen. Ich glaub, sie wird sonst gleich ohnmächtig." kommt es belustigt von meinem Mentor. Ich werde losgelassen, merke, wie ich leicht taumele, dann lege ich meinen Kopf in meine Hände. Ganz ruhig, Mädchen! Alles halb so wild. Du hast nur ganz kurz deinen eigenen Bruder angeschmachtet. Deinen Zwillingsbruder. Oh Gott, ich will sterben! Ian kann sich kaum noch beherrschen, ich höre deutlich sein Glucksen. Er liest meine Gedanken, wie einen Comic. Schön, dass wenigstens einer von uns das Ganze hochgradig amüsant findet. Ich würde am Liebsten vor Scham im Boden versinken! Mein Bruder stupst mich von der Seite an, geht etwas in die Knie, um mit mir auf Augenhöhe sein zu können. "Hey, Schwesterchen, alles okay bei dir?" Dann streichelt er mir über den Kopf. Ok, jetzt reicht es! "Griffel weg aus meinen Haaren! Ich bin doch kein Hündchen, dem man ständig durch's Fell wuscheln kann! Und Ian, wenn du nicht sofort aufhörst zu lachen, schwör ich, bring ich dich eigenhändig ins Grab!" Ja, ich habe soeben die Geduld mit den Beiden verloren. Als ob einer von ihnen nicht schon anstrengend genug wäre. Aber beide zusammen sind ein furchtbares Duo, zumindest so lange man die Leidtragende ist. "Ach komm, Aki. Stell dich nicht so an. Ist doch nichts passiert." lacht der Blauhaarige und kassiert dafür von mir vernichtende Blicke, die ihn herzlich wenig kümmern. Nur Haru blickt gerade weniger belustigt, dafür sehr interessiert zwischen uns hin und her. "Yrrian? Hat meine Schwester dich gerade 'Ian' genannt?" Sofort wird mir mein Fehler bewusst und ich schlage mir die Hand vor den Mund. Ian ist doch Teil seines wahren Namens. Hier in der Unteren Welt sollte ich ihn doch nur Yrrian nennen. Er hatte mir das extra noch eingeschärft, bevor wir durch das Portal gegangen sind. Das Lachen meines Mentors erstickt schlagartig und er schaut schnell woanders hin. "Du musst dich verhört haben, Haru." "Definitiv nicht." Haru stößt Ian seinen Ellbogen in die Seite. "Du alter Schwerenöter. Dabei weißt du doch ganz genau, dass man einem Wolf nicht den Kopf verdreht." "Das hast du in den falschen Hals bekommen, Haru." würgt er meinen Bruder ab und legt die altbekannte Kälte in seine Stimme. Eine Weile ist es still und die beiden fixieren sich einfach nur. Haru grinst dabei breit, während Ians Blick vor Kälte regelrecht zu lodern scheint. Ich lege den Kopf schief und schaue etwas genauer hin. Ihre Auren sind an einer Stelle miteinander verbunden. Sie reden also über mentale Kommunikation miteinander. Ob ich mich da mit einklinken kann? Vorsichtig strecke ich meine Aura zu ihnen aus, doch so sehr ich mich auch bemühe, mich an die bereits verbundenen Verwirbelungen zu heften, es klappt einfach nicht. Entweder tanzen sie einfach davon oder andere Verwirbelungen stellen sich meiner Aura in den Weg. Ok, den Wink habe ich verstanden. Es ist also eindeutig ein Privatgespräch. "Seid ihr dann auch irgendwann fertig damit, euch gegenseitig zu beschimpfen? Oder wollen wir hier übernachten?" murre ich genervt und sofort schießt ein eiskalter Blick zu mir herüber. "Ich bringe dich schon noch rechtzeitig an deinen Bestimmungsort, Prinzessin. Ich muss nur eben noch etwas mit dem Holzkopf hier klären!" knurrt Ians Stimme in meinem Kopf. Er muss richtig sauer sein. "Kein Grund, mich derart anzuknurren. Und im Übrigen bin ich keine Prinzessin!" fauche ich zurück. Was kann ich bitte dafür, wenn mein Bruder ihn aufzieht und verärgert? Ein kleines Lächeln umspielt seine Züge, während er mir einen schnellen Seitenblick zuwirft. "Genau genommen bist du das schon. Als Tochter des Alphapaares bist du die direkte Nachfolgerin. Du wirst irgendwann in ihre Pfotenstapfen treten und das macht dich zu etwas wie einer Prinzessin." "Ich will aber keine Prinzessin sein! Und ich will schon gar nicht, dass du mich so nennst! Bei dir klingt es so, als würdest du mich verschaukeln." "Vielleicht tue ich das ja auch." "Du bist so ein Arsch!" wütend funkel ich zu ihm herüber, doch er lächelt mir nur keck entgegen. Am liebsten würde ich ihn auf den Mond schießen! Nach einer Weile winkt Haru ab und setzt wieder sein breites Grinsen auf. "Schon gut, Yrrian. Belassen wir es dabei. Ich muss jetzt ohnehin los." Er winkt mir fröhlich zu. "Und wir sehen uns dann später, Schwesterchen." "Aki! Mein Name ist Aki! Und warum bin ich überhaupt die Kleine?" "Weil du sage und schreibe zwei Minuten jünger bist, ätsch." Haru streckt mir frech die Zunge raus und nimmt die Beine in die Hand. Er folgt dem Gebirgspfad, den zuvor die Schatten herunter gekommen waren. Genervt verschränke ich meine Arme vor der Brust. "Der Kerl regt mich jetzt schon auf. Bist du sicher, dass wir verwandt sind? Diese absolute Fröhlichkeit nervt!" Ian grinst mich beschwichtigend an. "Ich bin mir ganz sicher. Du wirst dich schon noch an ihn gewöhnen. Eigentlich ist er gar kein schlechter Kerl. Ich mag ihn." "Sind alle im Rudel so überdreht wie er?" "Nein." "Du hast schon wieder keine gesteigerte Lust mit mir zu reden, oder?" seufze ich leise, nachdem er im Anschluss an seine einsilbige Antwort sich wieder in Schweigen gehüllt hat. "Haru zieht mich nur noch immer auf. Er weiß einfach nie, wann Schluss ist. Das hat nichts mit dir zu tun." antwortet er monoton. Nein. Natürlich nicht. Es hat ja nie etwas mit mir zu tun. Dennoch bin ich immer diejenige, die seine Launen abbekommt. Völlig gleich, ob ich sie heraufbeschworen habe oder nicht. "Nimm nicht immer alles so persönlich, Aki. Damit könntest du leicht anecken bei einigen Personen." "Wie zum Beispiel bei dir?" brumme ich nur. Ich hasse es, wenn er mich belehren will. Ich bin doch kein kleines Mädchen mehr! Ich weiß, wie ich mich benehmen muss. Ian tippt sich an die Stirn und reibt ein wenig darüber. Anscheinend ist er wirklich nicht bei bester Laune. Also beschließe ich, einfach die Klappe zu halten, auch wenn ich weiß, dass das nur bedingt etwas bringt, da er ja meine Gedanken hören kann. Jetzt muss ich mich also auch noch zusammen reißen und aufpassen, was ich denke. So habe ich mir diesen Tag wirklich nicht vorgestellt. Und er sicher auch nicht. Ein kurzer Seitenblick verrät mir, dass mein Mentor einfach nur stur geradeaus guckt. Er versucht mich zu ignorieren. Ich sollte ihm dafür dankbar sein, oder? Immerhin feinden wir uns so nicht weiter an. Da meine Begleitung das Reden eingestellt hat, und ich auch sonst nichts Besseres zu tun habe, sehe ich mich weiter um. Wie ich schon vermutet habe, führt Ian mich schnurstracks zu der Stadt, die ich bereits erspäht hatte. Sie ist viel größer, als ich gedacht habe. Von unserer erhöhten Position aus kann man einen Teil des Aufbaus sehr gut erkennen. Mittig steht ein riesiges Gebäude mit einem hohen Turm, dessen Spitze in allen möglichen Farben des hiesigen Himmels zu leuchten scheint. Fast könnte man denken, dass die Turmspitze mit Spiegeln ausgekleidet ist und damit die Umgebung spiegelt. Der Turm selbst scheint ein eigenständiges Gebäude zu sein und in einer Art Garten zu stehen, der umgeben ist von einem pompösen, rundlichen Gebäude, welches in jede Himmelsrichtung in einem gigantischen Torbogen ausläuft. Ich gehe jede Wette ein, dass dort Luzifer lebt. Von den Torbögen aus erstreckt sich je eine breite Straße, die die Stadt damit in vier gleich große Teile teilt. Diese Straßen führen direkt zu einem Ring, der die Viertel und den Turm einschließt. Mir fällt auf, dass es nur einige wenige Gebäude im Inneren dieses Kreises gibt. Dafür sind diese aber umso größer, wirken herrschaftlich und ihre Dächer erstrahlen, je nach Viertel, in einem anderen Glanz: Rot, blau, grün und golden. Sicher stehen die Farben für die einzelnen Elemente. Wenn sie sich an den Farben der Aura eines Dämons orientieren, würde rot für Feuer stehen, blau für Wasser, gold für Erde und grün demnach für Wind. Dabei fällt mir etwas ein, das mir neulich schon aufgefallen ist. Ich werfe einen flüchtigen Blick zu Ian. Doch als ich einen Blick auf seine Aura werfen will, verschwindet diese plötzlich. Irritiert sehe ich ihn an. Wie geht das? Und warum macht er das? Ok, die letzte Frage streichen wir. Er wird wissen, was ich herausfinden wollte. Dabei wollte ich nur noch einmal prüfen, ob meine Augen mich damals nicht getäuscht hatten. Als wir die mentale Kommunikation geübt haben, war ich mir sicher, neben seinen blauen Verwirbelungen, auch einige grüne gesehen zu haben. Wenn meine Theorie zu den Farben der Dächer also stimmt, würde das doch bedeuten, dass grüne Verwirbelungen für einen Winddämonen stehen. Aber kann das möglich sein? Und wenn ja, dann müssten doch viel mehr Spannungen zwischen uns herrschen, da Wind und Erde nicht miteinander auskommen. "Lass deine Nase aus Dingen, von denen du keine Ahnung hast." reißt der scharfe Ton seiner Stimme mich aus meinen Überlegungen. Ich habe also schon wieder so einen wunden Punkt erwischt. Auch wenn ich nicht so genau weiß, warum ihn das so verärgert. Aber ich beschließe, mir keine weiteren Gedanken mehr darüber zu machen. Stattdessen blicke ich wieder auf die Stadt, die unter uns liegt. Unser Pfad schlängelt sich derzeit am Rande des Gebirges entlang, sodass ich einen hervorragenden Ausblick habe. Hinter dem Ring scheint die eigentliche Stadt erst richtig loszugehen. Die Straßen verzweigen sich weit, wie die Äste eines Baumes und die Viertel vermischen sich untereinander. Obwohl dass die Häuser hier viel kleiner wirken, scheinen sie nicht minder herrschaftlich zu sein. Und sie haben noch etwas gemein: Alle haben schwarz glänzende Dächer. Die Häuser verlieren sich irgendwann in der Landschaft, anscheinend gibt es keine Stadtgrenze. Sie wächst mit ihrer Bevölkerung. Ich sehe mich weiter um. Der große Wald, den ich bereits bei unserer Ankunft erspäht habe, säumt eine Seite der Stadt und immer wieder ist zwischen den Baumkronen etwas Glitzerndes zu erkennen: Ein Fluss. Seine Arme erstrecken sich nicht nur durch den Wald, sondern führen überall an der Stadt vorbei und durch sie hindurch. Ich bleibe stehen und betrachte das Panorama verträumt. Dieser Anblick ist mir so vertraut, als würde ich ihn schon mein Leben lang kennen und doch zugleich unendlich fremd. Eine sanfte Brise weht mir durch mein zerzaustes Haar und lässt mich leise seufzen. Ich entknote mein Haarknäuel und genieße, wie der warme Wind mit meinen Haaren spielt. Ganz tief in mir kann ich es deutlich fühlen: Das hier ist meine Heimat. Genau hier gehöre ich hin. Am Rande meines Blickfeldes nehme ich eine Bewegung wahr. Ian ist zu mir gekommen. "Bist du böse mit mir?" frage ich leise, doch er schüttelt den Kopf. "Bist du böse auf Haru?" Wieder ein Kopfschütteln. Nun sehe ich ihn doch an. Er hat wieder seine ausdruckslose Maske aufgesetzt. "Was ist es dann?" starte ich einen letzten Versuch. "Dein Bruder hat mich nur an etwas erinnert, dass ich in den Wochen bei dir beinahe vergessen hätte. Es ist besser, wenn wir nicht allzu vertraut miteinander umgehen. Das ist alles." Traurig senke ich den Blick. Er isoliert sich also wieder. Dabei dachte ich wirklich, wir wären Freunde geworden. "Ich habe es dir schon einmal gesagt, Aki. Wir können keine Freunde werden." Ja, das hat er. Aber das war, bevor er mich gerettet hat. Die letzten Tage waren doch so angenehm gewesen. Hätte ich doch nur nicht so darauf gepocht, endlich zu meiner Familie zu können, dann hätte er seine Meinung vielleicht geändert. "Das glaube ich nicht. Irgendwann wirst du es verstehen. Lass uns weiter gehen." Damit wendet er sich um und setzt den Weg fort. Schweigend folge ich ihm. Nach weiteren, mir endlos vorkommenden Minuten Fußweg, in denen keiner von uns mehr ein Wort verloren hat, kommen wir an den ersten Häusern der Stadt vorbei. Neugierig sehe ich mich wieder um. Die Gebäude sind ausnahmslos zweistöckig und die Dächer recht flach gehalten. Die Außenwände sind alle verziert mit malerischen Landschaften mit Wiesen, Flüssen, Bergen und Wäldern. Kein Motiv gleicht dem anderen, aber jedes ist wunderschön. Anscheinend gibt es richtige Künstler unter den Dämonen. Ich halte kaum noch Schritt mit Ian, da ich mir am Liebsten jedes Haus genau betrachten würde, mahne mich aber selbst dazu, nicht stehen zu bleiben. Eigentlich habe ich ja auch mehr als genug Zeit, mir jedes Kunstwerk einzeln zu betrachten. Immerhin werde ich ja nun nicht mehr älter. Eine innere Vorfreude breitet sich in mir aus. Es gefällt mir mit jeder Minute besser in der Unteren Welt. Je weiter wir kommen, umso voller werden die Straßen. Ich komme kaum noch heraus aus dem Staunen. Hier laufen die unterschiedlichsten Fabelwesen umher! Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich alle benennen könnte. Zudem sind viele Dämonen in ihrer humanoiden Gestalt unterwegs, weswegen ich sie lediglich aufgrund ihrer Auren zu den einzelnen Elementen zuordnen kann. Plötzlich bleibt Ian stehen, verkrampft sich zusehends und blickt verärgert nach rechts. Ich folge dem Blick und sehe zwei Damen direkt auf uns zusteuern. Ihren Auren nach zu urteilen, sind es Feuerdämonen. Sie sind hochgewachsen, kurvig und knapp bekleidet. Da, wo ihre Füße sein sollten, sind Hufe und auf dem Kopf haben sie Hörner. Ich muss nicht lange raten, um zu wissen, dass da zwei Sukkuben zu uns kommen. "Die Zwei haben mir gerade noch gefehlt..." knurrt er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Verständlich, dass er nicht erpicht auf ihre Gesellschaft ist. Immerhin können Wasser und Feuer sich nicht ausstehen. "Glaub mir, diese Antipathie beruht nicht auf Elementarbasis. Sukkuben verstehen es meisterhaft sich dem Element anzupassen, das sie zu umgarnen versuchen. Sie sind Meisterinnen der Täuschung und verflixt trickreiche Biester. Ich kann die Damen deswegen nicht ausstehen, weil sie nicht begreifen, dass ich es bereits lange hinter mir gelassen habe, mich mit ihnen einzulassen." Ok, das sind Bilder, die ich nicht unbedingt haben wollte. Mir ist vollkommen klar gewesen, dass Ian durchaus erfahrener ist, aber die Vorstellung, wie er... mit einer Sukkubus... nein, zwei! Das wird mich noch einige Albträume lang verfolgen... "Yrrian!" begrüßt die Erste ihn überschwänglich und klammert sich direkt an seinen linken Arm. Ihr langes, ebenholzfarbenes Haar schwingt einmal um ihren Körper und nun kann ich auch einen Blick auf ihren Schweif erhaschen. Diese Sukkubus erfüllt wirklich jedes Klischee: Vollbusig, animalisch, verrucht. "Wer hätte gedacht, dass wir diesem gut aussehenden Mann heute über den Weg laufen würden. Du warst recht selten hier in den letzten Jahren. Es heißt, du hättest eine neue Eroberung verführt. Stimmt das?" Das zweite Weibsbild hängt an seinem anderen Arm und malt ihm mit dem Zeigefinger Kreise auf die Brust. Genervt und mit eiskaltem Blick löst er sich aus den Umklammerungen. "Ich habe keine Zeit für euch. Weder heute noch sonst irgendwann. Wenn die Damen mich dann also entschuldigen würden. Ich habe noch etwas Wichtiges zu erledigen." Nun erspähen die Dämoninnen auch mich und sofort beginnen ihre roten Augen zu lodern. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich. Doch noch bevor auch nur eine von ihnen einen Schritt auf mich zu machen kann, packt Ian sie am Handgelenk. "Wagt es und ich vergesse mich!" droht er ihnen und seine Augen leuchten grün auf. Die Schwarzhaarige entzieht ihm ihr Handgelenk und weicht einige Schritte vor ihm zurück. Zischend sieht sie erst ihn und dann mich an. Wobei sie ein drittes Auge entblößt, welches bis eben verborgen war und mich nun fixiert. Sofort läuft es mir kalt den Rücken herunter. Mit den Damen ist nicht gut Kirschen essen. So langsam begreife ich, warum Ian mich damals nicht hat alleine gehen lassen. Ich gebe es nur ungern zu, aber er hatte Recht: Allein hätte ich nicht den Hauch einer Chance gegen diese beiden Verführerinnen gehabt. Mein Mentor lässt einen kleinen Eissturm aufkommen, was die Damen in die Defensive treibt. Das dritte Auge verschwindet wieder und sie weichen weiter zurück. "Und jetzt verschwindet endlich. Ihr habt uns lange genug aufgehalten." Ein schneller Blick über meine Schulter zeigt mir, dass es anscheinend niemanden gekümmert hat, was sich hier eben abgespielt hat. Somit bin ich mehr als erleichtert, als die Beiden uns endlich den Rücken zukehren. "Also wirklich, Yrrian. Wo hast du nur dein Benehmen gelassen? Kaum bist du ein paar Jahre nicht im Land, schon vergisst du deine Manieren." ertönt es etwas abseits von uns. Ich drehe mich zu der weiblichen Stimme um, die so liebevoll und sanft klingt. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, meine Hände werden schweißnass und mein Innerstes ist mit einem Mal extrem aufgewühlt. Wie in Zeitlupe passiert alles. Meine Augen erblicken eine wunderschöne Frau, die am Rande eines der Dächer sitzt und uns anlächelt. Ihr langes, schneeweißes Haar fällt fließend an ihrem Körper herab, ist im Rücken locker zusammengebunden, während zwei Strähnen nach vorne fallen. Ihre himmelblauen Augen nehmen mich sofort gefangen und lösen in mir einen Sturm aus Emotionen aus. Als sie mich erblickt, werden ihre Augen groß und beginnen zu glänzen. Elegant hüpft sie vom Dach und landet direkt vor mir. Zitternd streckt sie ihre schlanken Arme nach mir aus und eine erste Träne löst sich aus ihren Augen. "Mein kleines Mädchen. Endlich!" flüstert sie, überbrückt die letzten Zentimeter zwischen uns und schließt mich in eine Umarmung, die auch mir die Tränen in die Augen treibt. Kann das sein? Ist diese Frau etwa...? "Ja, du bist es. Ich würde dich überall wieder erkennen, egal wie lange ich dich nicht sehen durfte. Endlich habe ich dich wieder. Meine Eiyu." Die letzten Worte hat sie so leise gesprochen, dass nur ich sie hören konnte. Mein Körper reagiert ganz von allein auf den Namen und auch ich schließe meine Arme um die Frau. Jetzt sind wirklich alle Zweifel ausgeräumt. Diese Frau, die mich gerade so herzlich in ihren Armen hält, ist meine Mutter. Und Eiyu ist mein wahrer Name. Mein Herz überschlägt sich fast vor Freude. Mir war überhaupt nicht bewusst, was für starke Gefühle diese Begegnung hervorrufen würde. Und so lasse ich es einfach geschehen, kralle mich in ihren Kimono und atme tief ihren Duft ein. Meine Mutter duftet nach Wald und einer blühenden Sommerwiese. Wie wundervoll. Viel zu kurz hält die Umarmung meiner Meinung nach an, doch sie schiebt mich ein Stück von sich und betrachtet mich dann voller Stolz. "Du hast die Augen deines Vaters, weißt du das?" Ich schüttle nur leicht den Kopf. Woher hätte ich das auch wissen sollen. Dann blickt sie zu Yrrian, lächelt dankbar und streichelt ihm über die Wange. Ich bin mehr als überrascht, dass er diese Berührung einfach so zulässt. "Danke, Yrrian. Kein Wort kann meine tiefe Dankbarkeit ausdrücken. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel es mir bedeutet, meine Tochter nach 21 Jahren endlich wieder in meinen Armen halten zu dürfen." "Sie hat nicht nur die Augen ihres Vaters, sondern auch deinen Sturkopf, Erina. Aki ist eindeutig deine Tochter." Meine Mutter lacht herzhaft. "Einer von beiden musste den Sturkopf ja bekommen. Wobei auch Haru es meisterhaft versteht, mit dem Kopf durch die Wand zu rennen." "Ja, ich weiß. Übrigens haben wir ihn auf dem Weg hierher getroffen. Was macht er oben in den Bergen?" "Er hat von Luzifer den Auftrag bekommen, mit den Walküren in Kontakt zu treten. Anscheinend stehen uns wieder finstere Zeiten bevor." Erina wirkt bedrückt, doch als sie mein vor Sorge gezeichnetes Gesicht sieht, lächelt sie sofort wieder und streichelt mir über den Kopf. "Keine Angst, meine Tochter. Ich werde auf dich aufpassen. Immer." Sie beugt sich zu mir, nimmt mein Gesicht in ihre Hände und küsst mich auf die Stirn. Ich widerstehe dem Drang, mich direkt wieder in ihre Umarmung zu stürzen, aber das wohlig warme Gefühl lasse ich zu. Es ist so angenehm. So fühlt es sich also an, eine Mutter zu haben. Einfach nur wunderschön. Erina nimmt mich bei der Hand und läuft zielstrebig mit uns durch die verwinkelten Straßen der Stadt. "Erzähl schon, Yrrian. Ich sehe dir an der Nasenspitze an, dass dir etwas auf der Seele liegt. Du wolltest es nur nicht direkt auf der Straße laut aussprechen. Habe ich Recht?" "Es ist immer wieder erschreckend, wie gut du mich zu lesen weißt, Erina. Ja, es gibt da etwas, über das ich mit dir sprechen wollte. Kurz nachdem wir Haru begegnet sind, haben uns Schatten angegriffen." Sie hält kurz inne und schaut den Magier eindringlich an. "Wie viele?" "Etwas mehr als ein Dutzend. Sie kamen vom Gebirgspass, den dein Sohn gerade nimmt. Ich hoffe sehr, dass er nicht noch so einer Horde in die Arme rennt." "Das hoffe ich auch. Komm bitte noch mit herein, Yrrian. Arkor wird wissen wollen, was sich dort oben abgespielt hat." Er nickt knapp und wir beschleunigen unser Tempo, schreiten durch einen riesigen Torbogen, der sich mitten in einer Mauer befindet, und mir wird klar, dass wir gerade den Ring ins Innere der Stadt passiert haben, den ich vom Gebirgspass aus gesehen habe. Wir steuern auf ein Haus links von der Hauptstraße zu. Na ja, Villa trifft es wohl eher. Auch wenn dieses Gebäude ebenfalls nur zwei Stockwerke besitzt, so ist der Grundriss doch riesig. Wie viele Zimmer es hier wohl gibt? Direkt über der Eingangstür prangt eine kunstvolle Schnitzerei mit einem anmutigen Wolf. Immerhin kann ich mich so niemals in der Tür irren. Wir treten ein und augenblicklich kommen uns schnelle Schritte entgegen. "Erina!" Ein Mann mit schwarz-grau meliertem Haar, das zu einem Zopf gebunden ist, stürmt auf meine Mutter zu, hebt sie hoch, dreht sich mit ihr und schließt sie sofort in eine innige Umarmung, nachdem er sie wieder auf ihre Füße abgesetzt hat. "Ein Glück, dir ist nichts geschehen." "Was sollte mir schon passieren?" entgegnet sie lächelnd. Er löst sich ein wenig von ihr, um seine Stirn gegen ihre zu lehnen. "Es soll einen Überfall durch die Schatten gegeben haben. Ich hatte einfach Angst um dich." Er sieht ihr tief in die Augen, streicht liebevoll über ihre Wange und küsst sie dann. Schnell wende ich meinen Blick ab. "Was ist denn los? Du bist ja ganz rot." stichelt Ian. "Ach halt den Mund!" "Sag bloß, dir ist das unangenehm, dass deine Eltern so zärtlich zueinander sind, trotz Publikum." macht er einfach weiter. Ich hebe meinen Blick, meine Augen verengen sich zu Schlitzen, während ich ihn wütend anfunkle. "Ian!" "Du hast Recht, sie hat wirklich meine Augen - und deinen Todesblick." erklingt die Stimme des Mannes in meiner unmittelbaren Nähe. Sofort fahre ich zusammen und drehe mich zu ihm um. Entschuldigend verbeuge ich mich - einen tollen ersten Eindruck habe ich da hinterlassen! "Und das ist nur deine Schuld!" rüge ich den Blauhaarigen. "Ist doch nichts Verkehrtes daran, wenn deine Eltern gleich wissen, wie streitsüchtig du bist." "Das machst du doch mit Absicht!" "Eigentlich hast du dir diese Situation selbst zuzuschreiben. Da habe ich ausnahmsweise kaum etwas dazu beigetragen." Amüsiert hallt seine Stimme in meinem Kopf nach. "Und die mentale Kommunikation beherrscht sie anscheinend auch schon sehr gut. Du hast ganze Arbeit geleistet, Yrrian. Und das in so kurzer Zeit." lobt der Schwarzhaarige meinen Mentor. Ian verbeugt sich knapp. "Das ist zu viel der Ehre. Deine Tochter ist eine gelehrige Schülerin mit einer schnellen Auffassungsgabe. Sie ist sehr wissbegierig und besitzt obendrein noch die Gabe des Sehens." "Tatsächlich? Das ist ja eine Überraschung. Diese Fähigkeit ist selten." "Arkor, warum nimmst du deine Tochter nicht endlich in die Arme?!" fordert Erina, doch er hüstelt nur gekünstelt und schaut in eine andere Richtung. "Also wirklich, Erina! Unsere Tochter ist eine erwachsene Frau. Ich kann ihr doch nicht einfach so um den Hals fallen - wie sieht denn das aus?" Verdutzt blicke ich zwischen meinen Eltern und Ian hin und her. Ist er etwa schüchtern? "Ja, das ist er. Am Liebsten würde er dich ganz fest drücken und seiner Freude, dich endlich wieder zu haben, Ausdruck verleihen. Aber vielleicht holt er das noch nach, wenn ich verschwunden bin." Habe ich schon erwähnt, dass es mir tierisch auf die Nerven geht, wenn Ian in meinen Gedanken herum wühlt? "Themawechsel: Ich sollte von dem Überfall berichten." kommt es dann mit gewohnt unterkühlter Stimme von meinem Mentor. Natürlich hat er sofort Erinas und Arkors Aufmerksamkeit und sie geleiten uns in eine gemütliche Stube, wo wir uns setzen - ich auf einen Stuhl, Ian auf einen Stuhl daneben, meine Eltern auf das Sofa. Kurz und bündig berichtet der Magier von dem Vorfall am Gebirgspass. "Haru hat viel gelernt in den letzten Monaten, ich war positiv überrascht. Außerdem haben er und Aki wie eine Einheit agiert. Ihr habt wirklich schlagfertigen Nachwuchs. Allerdings beunruhigt es mich, dass die Schatten so nah an der Stadt waren. Außerdem schienen sie nicht so kopflos wie sonst anzugreifen. Ich mache mir Sorgen. Es begann schon einmal so." Mein Vater nickt. "Uns ist das auch schon aufgefallen. Die Gruppen, in denen sie angreifen, werden größer, ihre Angriffe strukturierter und sie wagen sich immer näher heran. Sollten sich die Vorfälle von damals wiederholen, befürchte ich allerdings, dass wir dieses Mal nicht so glimpflich davon kommen werden. Wir müssen herausfinden, wer dahinter steckt. Irgendjemand muss im Hintergrund die Fäden ziehen." "Ich werde helfen, so gut ich kann. Du kannst auf mich zählen, Arkor." "Danke, Yrrian. Deine Hilfe bedeutet uns viel. Und wieder stehen wir in deiner Schuld." Ian winkt ab. "Ohne das Rudel würde hier alles den Bach runter gehen. Wir brauchen euch mehr als ihr uns, glaub mir." Mein Eltern und Ian stehen auf und verlassen das Zimmer. Etwas irritiert über den Gesprächsverlauf und das abrupte Ende, stolpere ich ihnen hinterher. "Ich melde mich bei dir, wenn ich etwas herausgefunden habe." Der Blauhaarige reicht Arkor die Hand zum Abschied. "Also dann. Ich verabschiede mich jetzt. Erina. Arkor." Ian verbeugt sich höflich vor meinen Eltern und dreht sich dann um. Er hebt die Hand zu einem letzten Gruß. "Leb wohl, kleine Aki." Moment, wie war das gerade? Lebe wohl? Kein 'Auf Wiedersehen'? "Yrrian, warte! Wann kommst du wieder?" Ich strecke meine Hand nach ihm aus, werde von meinem Vater allerdings zurück gehalten. Er bleibt stehen und neigt seinen Kopf leicht in meine Richtung. "Gar nicht. Deine Ausbildung liegt nicht länger in meiner Hand. Meine Aufgabe habe ich erfüllt. Wir werden uns so bald nicht wiedersehen." damit dreht er sich nun endgültig um, verlässt das Haus, verwandelt sich und fliegt davon. Mein Kopf rattert wie verrückt. Das kann er doch nicht ernst gemeint haben! Meine Hand ist noch immer in die Richtung gestreckt, in die Ian verschwunden ist. "Yrrian..." flüstere ich kaum hörbar. "... du kannst doch nicht..." einfach so wieder aus meinem Leben verschwinden... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)