Crystal of the Dark von Kikono-chan ================================================================================ Kapitel 12: Familienbande ------------------------- Kapitel 12: Familienbande Die Tür fällt zu und trotz, dass meine Eltern mit mir in diesem Raum stehen, fühle ich mich plötzlich allein gelassen. Die geschlossene Tür ist wie die symbolische Mauer, die Ian zwischen uns gezogen hat. Unüberwindbar. Er auf der einen Seite, ich auf der anderen. Verständnislos schüttle ich den Kopf. Ist das wirklich alles gewesen? Er setzt mich bei meinen Eltern ab und das war es dann? "Aki?" Eine Hand legt sich behutsam auf meine Schulter und als ich den Kopf drehe, schaue ich in die himmelblauen Seelenspiegel meiner Mutter. Sie strahlen soviel Wärme und Fürsorge aus, dass sich meine Mimik direkt ein Stück aufhellt. "Es ist irgendwie komisch. Ich kann gar nicht glauben, dass er weg ist." "Na komm, meine Kleine. Ich zeig dir erst einmal dein Zimmer. Du willst dich bestimmt etwas ausruhen." Sie schiebt mich an meinem Vater vorbei, biegt hinter der Eingangshalle nach rechts ab und steigt mit mir eine Treppe hinauf ins Obergeschoss. Wir laufen den Gang bis ans Ende und an der vorletzten Tür macht sie kurz Halt. "Das hier ist Harus Zimmer. Dein Vater und ich haben unser privates Zimmer direkt hier drunter." Dann geht sie weiter zur letzten Tür und öffnet diese. "Und das hier ist dein persönliches Reich. Es ist nur mit dem Nötigsten eingerichtet, da wir nicht wussten, was du so magst. Wir können es auch jederzeit umgestalten, ganz wie du es möchtest." Sie schenkt mir ein warmes Lächeln und lässt mich eintreten. Langsam sehe ich mich um. An der Wand links von der Tür steht ein Bücherregal mit einigen wenigen Büchern, über deren Rücken ich behutsam streiche. Keiner der Titel sagt mir etwas. Vermutlich ist es keine irdische Lektüre. Ich muss kurz schmunzeln. Wie das klingt... Direkt daneben steht ein Schreibtisch. Die kleine Lampe darauf wirkt irgendwie fehl am Platz, da von draußen durch die große Fensterfront mehr als genug Licht herein kommt, trotz, dass es eigentlich mitten in der Nacht ist. Mit Sicherheit ist das auch der Grund für die schweren, dunkelgrünen Vorhänge an den Fenstern. An der Wand gegenüber vom Schreibtisch steht ein gemütliches Bett, dass gerade eindeutig ganz laut nach mir ruft! Wie gerne würde ich mich jetzt einfach einkuscheln, die Decke über den Kopf ziehen und alles ausblenden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Erina mich auch allein lassen würde, würde ich sie darum bitten. Aber es kommt mir so unhöflich vor. Also sehe ich mich weiter um. Neben dem Bett steht ein kleiner Nachtschrank, ebenfalls mit einer Lampe bestückt. An der letzten Zimmerwand steht mittig ein gigantischer Schrank, den ich sogleich aufreiße. Gähnende Leere. Etwas zerknirscht verziehe ich das Gesicht. Ich werde noch einmal in die Wohnung zurück müssen, um meine Sachen hierher zu holen. Gedanklich bestücke ich meinen überdimensionalen Kleiderschrank mit allem, was ich habe: Sommersachen, Wintersachen, Jacken und sogar Schuhe. Und trotzdem wäre hier noch genug Platz um sogar Rhea ihre gesamten Klamotten unterzubringen - und ihr Kleiderschrank platzt aus allen Nähten! Schnell schließe ich das Ungetüm wieder, schließe die Augen und verbanne den Gedanken an meine beste Freundin ganz weit weg. Genau wie die Gedanken an Ian. Eine fiese Stimme in meinem Kopf gratuliert mir herzlich dazu, dass Rhea jetzt nicht mehr alleine in meinem Unterbewusstsein versauern muss. Ich wende mich zu der Tür, die meiner Zimmertür direkt gegenüber und zwischen dem Nachtschrank und dem Kleiderschrank liegt. "Wo führt die Tür hin?" frage ich mit dem Finger auf sie zeigend. Erina lacht kurz auf und schiebt mich durch den Raum. "Was fehlt denn noch zu einem eigenen Zimmer?" Ich überlege kurz. Der begehbare Kleiderschrank wird es wohl kaum sein. Und dann kommt die Erleuchtung: "Ich habe ein eigenes Bad?!" "Natürlich! Jedes Zimmer hat ein angrenzendes Bad. Sonst würde es ewig dauern, bis alle gemeinsam am Tisch sitzen. Oder wolltest du dir ein Badezimmer mit 11 weiteren Dämonen teilen?" "Elf? Wer wohnt denn noch alles hier?" "Na das ganze Rudel. Die meiste Zeit halten sie sich aber irgendwo anders auf, sind unterwegs oder patrouillieren. Vor ein paar Jahrzehnten haben wir ausgemacht, dass wir uns wenigstens einmal am Tag alle zu einer Mahlzeit hier zusammenfinden. Immerhin sind wir eine Gemeinschaft." Ein bisschen mulmig wird mir gerade schon. Neben meiner Familie gibt es also noch acht weitere Wölfe. Wer weiß, wie die so drauf sind, und ob sie mich überhaupt mögen werden. Geschweige denn, mich akzeptieren. Gedankenverloren lege ich meine Hand auf die Türklinke zum Bad und werfe einen kurzen Blick hinein. Es ist nicht groß, hat eine Dusche, ein Waschbecken und eine Toilette, sowie einen kleinen Schrank und trotzdem versprüht es einen unglaublichen Charme. Ob es daran liegt, dass die Wände so hübsch bemalt sind? Ich komme mir vor, wie am Ufer eines Flusses. Ein Blick auf den Boden lässt mich kurz schmunzeln. Genau darauf hat es abgezielt: Der Boden ist mit blauen Fliesen ausgelegt, die dank ihres wellenförmigen Musters tatsächlich wie ein Flussbett wirken. Ich wende mich wieder meinem Zimmer zu und mein Lächeln wird breiter, als mir auch hier endlich die künstlerische Gestaltung auffällt. Eine Waldlichtung. Und der Fußboden ist mit grasgrünem Teppich ausgelegt, der derart flauschig und weich ist, dass es sich fast wie Moos anfühlt. Ich bücke mich, um mit den Fingern über die Oberfläche zu streichen. "Gefällt es dir?" In Erinas Stimme schwingt so etwas wie Sorge mit. Ungläubig sehe ich sie an. Ob es mir gefällt? Hat sie denn meine Gedanken nicht... Ach nein. Nur Ausbilder haben ja die Fähigkeit, die Gedanken anderer Dämonen zu hören. Schon ein bisschen komisch, musste ich in Ians Gegenwart doch immer darauf achten, was ich denke. Ich gehe ein paar Schritte auf meine Mutter zu und umarme sie herzlich. "Es ist wundervoll, danke!" Erleichtert atmet sie aus und erwidert meine Umarmung. Eine ganze Weile stehen wir einfach nur Arm in Arm schweigend in meinem neuen Zimmer. Es bedarf keiner weiteren Worte. Dann klopft es zaghaft an meiner Zimmertür und mein Vater streckt seinen Kopf zu uns ins Zimmer. "Und? Gefällt es ihr?" Erina entlässt mich aus der Umarmung und nickt ihm freudig zu. "Es war übrigens dein Vater, der sich hier künstlerisch ausgetobt hat. Du solltest ihm bei Gelegenheit auch danken, meine Kleine." Ich werfe ihr einen kurzen überraschten Blick zu. Arkor hat das hier alles gestaltet? Mit einem breiten Grinsen im Gesicht umarme ich auch ihn - na gut, ich bin ihm regelrecht um den Hals gesprungen... Was ihn aber nicht daran hindert, die herzliche Geste zu erwidern. Erneut durchflutet mich diese wundervolle Wärme. Familie. Ich habe wirklich eine richtige, echte Familie. "Du solltest dich jetzt etwas ausruhen, Aki. Nachher kommen die Anderen zurück und glaube mir, das wird eine Herausforderung für sich." Erina lächelt mir zu und verlässt dann zusammen mit Arkor mein Zimmer. Ich schließe die Tür und werfe mich auf mein himmlisch weiches Bett. Beinahe sofort übermannt mich die Müdigkeit. So anstrengend hatte ich diesen Tag bisher eigentlich gar nicht empfunden. Aber mein Körper wird schon wissen, warum er mich direkt ins Land der Träume schickt. Ein Poltern holt mich aus meinem Schlaf und müde blinzle ich in die viel zu helle Nacht. Ich hätte die Vorhänge zuziehen sollen, bevor ich mich hingelegt hatte. Langsam richte ich mich auf und versuche, das Geräusch zu orten, welches mich aus meinem Schlaf gerissen hat. Das laute Poltern schien allerdings ein einmaliges Ereignis gewesen zu sein und verwirrt sehe ich mich im Raum um. Was könnte dieses Geräusch verursacht haben? Oder habe ich es mir nur eingebildet? Ich gehe auf die Fensterfront zu und öffne eines der Fenster. Eine frische Brise weht herein und lässt mich entspannen. Jedoch nur kurz, denn im nächsten Moment ertönt ein weiteres Poltern und plötzlich schwingt Haru sich durch das offene Fenster und bleibt breit grinsend auf der Fensterbank sitzen. Ich dagegen habe mich fast zu Tode erschrocken und bin rücklings zurück auf mein Bett gefallen. "Hallo Schwesterchen. Na, alles klar bei dir?" Wieder meinen Atem findend, gifte ich ihn direkt an. "Bist du wahnsinnig mich so zu erschrecken?! Spinnst du eigentlich total?" Haru lacht nur amüsiert. "Nimm es mir nicht übel. Ich wollte das schon immer mal machen." "Was genau? Mir einen Herzinfarkt verpassen?" brumme ich missmutig und verschränke, immer noch auf dem Bett sitzend, meine Arme vor der Brust. "Nein, ich würde dir niemals absichtlich etwas antun. Ich meinte eigentlich, dass ich schon immer vom Dach aus in ein Fenster springen wollte. Das geht bei meinem Zimmer leider nicht. Und eigentlich haben es mir Mam und Dad auch verboten..." er legt einen Finger auf die Lippen und zwinkert mir zu. "Also sag ihnen nichts, ja?" Ich muss anfangen zu lachen. "Du bist ja verrückt, Haru." "Heißt das, du verpfeifst mich nicht?" Er legt den Kopf schief und mustert mich neugierig. "Da brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Ich halte dicht. Aber ich bezweifle, dass deine Aktion unbemerkt geblieben ist, wenn selbst ich das Poltern gehört habe." Grinsend hüpft mein Bruder von der Fensterbank und wirft sich zu mir auf das Bett. "Du hast halt einfach gute Ohren. Was man von unserem alten Herrn nicht gerade behaupten kann. Er ist mit seinen 1032 Jahren ja auch nicht mehr der Jüngste." In dem Moment fliegt meine Zimmertür auf und ein dezent beleidigter Arkor rauscht herein. "Das habe ich genau gehört! Wenn ich dich erwische, Haru - na warte!" Haru springt auf, ist mit einem Satz wieder beim Fenster, schwingt die Beine heraus und winkt mir noch zu, bevor er verschwindet. "Bis später, Schwesterchen." "HARU! Dir zieh ich das Fell über die Ohren!" schimpft mein Vater aus dem Fenster seinem lachenden Sohn hinterher. Die ganze Situation ist schon belustigend. Ich stehe auf und lege meinem Vater beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. "Irgendwann wird auch er erwachsen." Arkor zieht eine Augenbraue hoch und lacht auf. "Haru? Niemals! Wenigstens scheinst du etwas vernünftiger zu sein." Ein warmes Lächeln umspielt seine Lippen, bevor er mir über den Kopf streichelt. "Echt jetzt? Warum streicheln mir alle über den Kopf? Ich bin doch kein Hündchen!" Überrascht sieht er mich an, bevor er wieder lacht. "Du bist aber die Jüngste und weckst somit den Beschützerinstinkt im Mann." "Menno... Yrrian und Haru machen das auch andauernd. Ich will das nicht!" murre ich unzufrieden, ziehe einen Flunsch und verschränke erneut die Arme vor der Brust. "Ich nehme meine Aussage zurück: Du bist genauso kindisch wie dein Bruder, Aki." lachend verlässt Arkor dann wieder mein Zimmer und lässt mich mit ungläubigem Gesichtsausdruck zurück. Ich bin nicht kindisch! Nachdem mein Gemüt sich wieder abgekühlt hat, beschließe ich, nach unten zu gehen. Im Erdgeschoss angekommen, sehe ich mich vorsichtig um. Wohin jetzt? Ich gehe zurück zum Eingangsbereich und steuere von hier aus zu der Stube, in der wir vorhin noch gemeinsam gesessen hatten. Doch sie ist leer. Verwirrt lehne ich mich wieder in den Flur und sehe mich um. Keiner da? Komisch. Da ich von rechts gekommen bin und sich dort nur der Eingangsbereich und um die Ecke die Treppe ins Obergeschoss befindet, wende ich mich nach links und folge dem Gang weiter. Ich komme an einigen Zimmern vorbei, die entweder abgeschlossen oder ebenso leer sind, wie die Stube. Am Ende des Ganges angekommen blicke ich unschlüssig auf die Tür. Wenn ich es richtig behalten habe, muss das das Zimmer meiner Eltern sein. Zaghaft klopfe ich an und keine Sekunde später, öffnet Erina mir die Tür. "Aki, mein Schatz, was machst du hier? Ist alles in Ordnung?" Besorgt sieht sie mich an und sofort hebe ich beschwichtigend die Hände. "Alles in Ordnung. Aber..." Erneut sehe ich mich um. Was genau will ich eigentlich? "Soll ich dir zeigen, wo die Küche und das Esszimmer sind?" rät sie ins Blaue und schnell nicke ich. Erina nimmt mich bei der Hand und zieht mich durch den langen Gang zurück Richtung Eingangsbereich und dann weiter zu der Treppe. Doch steigt sie diese nicht nach oben, sondern geht den kurzen Gang weiter bis ans Ende und öffnet dann linker Hand eine Tür. Sofort blendet mich helles Licht und eine kühle Brise weht mir um die Nase. Etwas irritiert drehe ich mich um. Wir haben das Haus verlassen und befinden uns jetzt in einem wunderschönen Garten. Der Kiespfad, den wir entlang laufen, ist gesäumt von herrlich duftenden orangefarbenen Blumen. Links von uns befindet sich das Haus und rechts schlängelt sich ein schmaler Bach durch den Garten. Ob das ein kleiner Nebenarm des Flusses ist, den ich vom Gebirgspass aus gesehen habe? Erina geht geradewegs auf ein Nebengebäude zu. Es ist einstöckig und so groß wie die Wohnung, in der Rhea und ich die letzten Jahre gewohnt haben. Das flache Dach ist goldbraun, genau wie die Aura eines Erddämons. Auch hier sind die Außenwände verziert, allerdings anders, als die Gebäude, die ich bisher gesehen habe. An den Wänden tummeln sich unzählige Wölfe im hohen Gras, zum Teil schlafend, andere miteinander spielend und über alle wacht ein aufmerksames Wolfspaar, welches optisch Ians Beschreibung meiner Eltern in ihrer dämonischen Gestalt sehr ähnlich sieht. Magisch zieht es mich zu dem Bild und ich lege meine Finger auf die raue Struktur. "Seid ihr das?" frage ich leise und Erina tritt neben mich. "Ja. Dein Vater hat es gemalt, bevor..." sie bricht ab und schaut traurig zu Boden. Habe ich etwas falsch gemacht? "Entschuldige." "Schon gut. Du musst dich nicht entschuldigen, Aki." Sie holt tief Luft, wischt sich ein Tränchen aus den Augenwinkeln und lächelt mich wieder an. "Ich bin mir sicher, Yrrian hat dir erzählt, was vor 500 Jahren geschehen ist." "Oh. Deswegen. Er hat mir erzählt, dass es eine große Schlacht gab. Ein Kampf gegen die Schatten. Zu jener Zeit soll Arkor alle Rudel unter sich vereint haben zu einem großen Verband. Allerdings hat das nicht viel genützt, denn es gab einen Verrat auf Seiten der Engel, sodass die Wölfe in eine tödliche Falle liefen. Nur sechs von ihnen sollen damals überlebt haben. Mehr hat er nicht erzählt. Er wird sehr schweigsam, wenn es um das Thema geht." "Ja, das sieht ihm ähnlich. Komm mit rein, dann werde ich dir alles erzählen." Erina öffnet mir die Tür und wir gehen hinein. Ich staune nicht schlecht, als ich die lange Tafel sehe, die bereits gedeckt ist. Es fehlt nur noch das Essen. Meine Mutter dirigiert mich an den Tisch und lässt mich den ersten Stuhl neben der Stirnseite nehmen. Sie selbst setzt sich neben mich an die Stirnseite, blickt kurz verträumt auf den freien Stuhl neben sich und lächelt mich dann wieder an. "Yrrian schweigt so beharrlich über jene Zeit, weil er selbst einen schrecklichen Verlust erlitten hat. Dazu kommt, dass viele Dämonen ihn dafür verantwortlich machen, dabei hat er alles in seiner Macht stehende getan, um seinen besten Freund zu retten. Und nicht nur ihn. Wäre Yrrian nicht gewesen, wäre die Familie der Wolfsdämonen heute wahrscheinlich ausgestorben. Wir verdanken ihm unser Leben. Und deines ebenso." Ich bin verwirrt. "Warum denn meines auch? Abgesehen von dem Vorfall im Lagerhaus... Und dem Angriff am Gebirgspass..." Erina kichert. "Ich habe also wirklich eine gute Wahl mit deinem Mentor getroffen. Freut mich, das zu hören. Aber nein, die Vorfälle meinte ich nicht. Es gibt ein völlig veraltetes Gesetz, das besagt, dass Zwillinge nicht miteinander aufwachsen dürfen. Der jüngere Zwilling muss in die Irdische Welt gebracht werden und ist dort sich selbst überlassen." "Aber damit verurteilt man ihn doch zum Tode! Ein Neugeborenes kann unmöglich alleine überleben! Egal, ob es ein Dämon oder ein Engel ist, es ist wehrlos und hilflos und..." Meine Mutter legt mir ihre Hand auf meine Schulter. "Ich weiß. Mir war bereits während der Schwangerschaft bewusst, dass ich Zwillinge erwarten würde. Also bin ich heimlich zu Yrrian. Dein Vater wusste nichts davon. Ich bat ihn darum, eine Familie für dich zu finden, im Verborgenen auf dich zu achten, bis zu deinem 21. Geburtstag. Dann sollte er dich ausbilden und anschließend wieder zu mir zurück bringen." Ich muss an meine erste Begegnung mit Ian zurückdenken. Damals kam mir alles noch so unwirklich vor, wie ein Traum. "Er kam regelmäßig zu mir. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr es mein Herz erfreute, zu hören, dass du wohlauf warst. Yrrian, der sehr kontaktscheu geworden war, begann wieder aufzutauen, denn er ließ sich von meiner Freude mitreißen. Beinahe jede Woche kam er zu mir und berichtete von meiner kleinen Prinzessin. Er formte Eisskulpturen mit deinem Ebenbild, damit ich immer wusste, wie du aussiehst. Er erzählte von deinen ersten Laufversuchen, deine ersten Tage im Kindergarten und deinen Besuchen bei der Tanzschule. Und er hatte ein unglaubliches Talent, deine Mimik und Gestik nachzuahmen, wenn du wegen irgendetwas bockig wurdest. Er hat sich dann immer über dich lustig gemacht." Erina lachte leise und strich über meine Hand. "Er hat mich heute auch Prinzessin genannt." Betrübt schaue ich weg. "Er mag dich, Aki. Auch wenn er es dir nicht so zeigen kann, wie du es dir vielleicht wünschst. Aber glaub mir, du bedeutest ihm viel." "Warum ist er dann gegangen? Er hätte mich doch weiterhin ausbilden können. Ich verstehe das nicht." Seit wenigen Stunden sind wir erst getrennt voneinander und schon vermisse ich diesen sturen Eisklotz. Na toll! "Du wirst einen neuen Mentor bekommen, Aki. Aber davon abgesehen, denke ich, hat er das auch für dich getan. Du musst wissen, dass seine lebhaften Schilderungen von dir mit der Zeit umschlugen. Er wurde vorsichtiger mit seinen Formulierungen, versuchte, eine gewisse Distanz wieder zu schaffen. Um so erwachsener du wurdest, um so mehr zog er sich zurück." "Klingt eher, als würde er mich hassen." "Im Gegenteil. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er durchaus eine Schwäche für dich hat. Aber man verdreht einem Wolf nicht den Kopf, wenn man nicht vorhat, bei ihm zu bleiben." Verdutzt hebe ich meinen Kopf wieder. "So etwas ähnliches hat Haru auch schon gesagt." "Du weißt, dass wir Wölfe monogam leben, oder?" "Ja. Yrrian erwähnte das." "Siehst du. Wir haben nur ein Herz zu verschenken. Yrrian will nicht, dass du das deine an ihn gibst." "Es wäre ohnehin verschwendet. Er hat immer wieder durchblicken lassen, dass er niemanden an sich heranlässt. Selbst Freundschaften schlägt er aus." "Eine Freundschaft mit dir hat er ausgeschlagen. Mit Haru ist er nämlich befreundet. Wobei es sehr schwer ist, mit deinem Bruder nicht befreundet zu sein." "Also ist der Eisklotz nur so unnahbar mir gegenüber, weil er nicht will, dass ich mich zu ihm hingezogen fühle?" "Eure Verbindung hätte ungeahnte Konsequenzen." "Wobei Eis spuckende Wölfe sicher niedlich sind." kommt es belustigt aus einer anderen Ecke des Raumes. Ich drehe mich auf dem Stuhl um und sehe in Harus breit grinsendes Gesicht, der lässig einen Apfel hochwirft und wieder auffängt. "Haru, leg den Apfel weg! Es gibt bald Essen." Tadelt Erina ihn und augenblicklich lässt er das Obst in einer seiner Hosentaschen verschwinden, grinst unschuldig und lässt sich auf dem Stuhl mir gegenüber nieder. "Mam, wusstest du, dass Yrrian ihr erlaubt hat, ihn 'Ian' zu nennen?" mischt er sich frech in das Gespräch ein. Das hat mir gerade noch gefehlt. Meine Mutter mustert mich interessiert, während mir die Röte ins Gesicht schießt. "Du bist so ein Arsch!" "Gern geschehen, Schwesterchen." "Was sollte das?" "Mam sollte wissen wie weit das mit euch beiden schon ist." "Da ist überhaupt nichts zwischen uns! Hast du nicht zugehört? Er will nicht einmal mit mir befreundet sein. Außerdem ist er auf und davon. Wer weiß, ob ich ihn überhaupt jemals wieder sehe." "Die Welt ist klein. Und sein Beschützerinstinkt dir gegenüber verdammt groß. Glaub mir, du wirst ihn schneller wiedersehen, als dir lieb ist. Spätestens aber, wenn du in Gefahr schwebst." Genervt funkel ich meinen Bruder an, der nur frech die Zunge herausstreckt und grinst. Erina knallt ihre flache Hand auf den Tisch und lässt uns beide zusammenzucken. "Eiyu! Rayu! Hört ihr beide endlich auf, euch wie zwei Teenager zu benehmen?!" herrscht sie uns an und keiner von uns wagt es mehr, auch nur ein Wort zu verlieren. Die Wirkung, die unsere wahren Namen in dieser Situation auf uns haben, ist beängstigend. Kerzengerade sitzen wir da, die Köpfe gesenkt, die Hände auf dem Schoß. Nicht einen Muskel wagen wir zu rühren. Es ist so, als wäre mein Körper und mein Verstand an diese Position gefesselt. Ich traue mich kaum zu blinzeln, geschweige denn zu meiner Mutter zu sehen. Geschmeidig, wie eine Raubkatze umrundet sie den Tisch, bevor sie sich erneut auf ihren Platz setzt. "So. Unser lieber Yrrian hat dir also einen Teil seines wahren Namens verraten." Der Tonfall ihrer Stimme wirkt geschäftig und ich spüre deutlich ihren Blick auf mir ruhen. Und noch etwas spüre ich: Mein Körper gehorcht mir zum Teil wieder. Ich sehe auf, meiner Mutter direkt in ihre himmelblauen Augen, die gerade verdammt einschüchternd wirken. Die Kontrolle, die ich glaube zu haben, ist also von ihr beabsichtigt. Ich stehe noch immer unter ihrer Magie. "Du kennst seinen wahren Namen?" frage ich vorsichtig nach. Allem Anschein nach darf ich mich also auch wieder mit ihr unterhalten. Ein flüchtiger Blick zu meinem Bruder verrät mir, dass es ihm allerdings nicht gestattet ist. Erina stützt ihren Kopf auf ihrer Hand ab und lächelt flüchtig. "Natürlich. Und wenn die Zeit gekommen ist, wirst auch du ihn kennen. Genau wie eine Vielzahl anderer Namen. Ich hoffe, du bist weise genug, mit dieser Macht umzugehen. Du spürst gerade am eigenen Leib, was diese Magie bewirken kann. Und das ist nicht einmal im Ansatz alles. Als zukünftige Alphawölfin musst du lernen, wann es richtig ist, deine Macht zu gebrauchen." Sie schaut kurz zu Haru und ihre Züge verfinstern sich. "Habe ich dich wirklich so schlecht erzogen, mein Sohn?" Haru schüttelt schnell den Kopf, sieht aber nicht auf. "Warum bereitest du mir dann immer solchen Kummer? Denke nicht, ich hätte nicht mitbekommen, wie du durch Akis Fenster in ihr Zimmer eingestiegen bist. Wir haben es dir nicht ohne Grund verboten." Betretenes Schweigen herrscht am Tisch. Keine fünf Stunden bin ich hier und schon bekomme ich meine erste Rüge. Erina seufzt gedehnt. "Ihr seid eindeutig Zwillinge! Aki, wage es gar nicht erst, zu protestieren. Du hast Haru nämlich versprochen, ihn nicht zu verpfeifen. Es ist also keiner von euch besser als der Andere. Ihr beiden seid sogar schlimmer als die Kinder meiner Schwester..." "Roni ist nicht einmal halb so unschuldig, wie sie immer tut." mault Haru beleidigt und kassiert sofort wieder einen stechenden Blick Erinas. "Meine Nichte weiß sich mir gegenüber aber zu benehmen, im Gegensatz zu dir!" Schwungvoll wird im nächsten Moment die Tür geöffnet und eine junge Frau, mit schulterlangen braunen Haaren mit pinken Strähnen und himbeerfarbenen Augen tritt ein. "Hier bist du Tantchen, ich habe dich schon gesucht." begrüßt sie Erina fröhlich. "Wenn man vom Teufel spricht..." brummt Haru und schaut demonstrativ in eine andere Richtung. Also ist das dort Roni? Als sie mich bemerkt, strahlt sie sofort über das ganze Gesicht. Sie kommt auf mich zu, schüttelt mir überschwänglich die Hand und fängt an zu plappern. "Endlich bist du da! Tante Erina und Onkel Arkor reden seit Wochen von nichts anderem mehr. Sie haben uns alle total angesteckt mit ihrer Vorfreude. Wie gefällt es dir hier bei uns? Hast du schon viel gesehen? Wann bist du angekommen? Wenn du willst, können wir nachher einen Stadtbummel machen. Oder bist du für die Patrouille eingeteilt? Übrigens sind wir beide verwandt, wusstest du das schon? Unsere Mütter sind Schwestern, was uns zu Cousinen macht, ist das nicht klasse?" Ich komme gar nicht zu Wort, sie redet einfach viel zu schnell, ich komme kaum hinterher. Doch ihr Redefluss wird je unterbrochen und plötzlich wirft sie Haru einen giftigen Blick zu. Anscheinend hat er ihr über mentale Kommunikation gerade mitgeteilt, was er von ihrem Redefluss hält. Ich verkneife mir ein Lachen. "Auch wenn das wieder Ärger geben wird... Danke." "Dafür nicht, Schwesterchen. Roni und ich geraten seit ein paar Jahren öfter aneinander. Sie tut nur so freundlich, lass dich nicht täuschen, sie ist ein Biest. Und wenn sie hundert Mal meine Cousine ist - ich mag sie einfach nicht!" "Dabei ist ihr Temperament dem deinen sehr ähnlich." "Sie ist besserwisserisch, nervig und hat schreckliche Stimmungsschwankungen! Sie ist mir kein bisschen ähnlich!" "Na, wenn du das sagst, mein lieber Bruder." "Setz dich doch Roni. Ich wollte Aki gerade etwas über die große Schlacht berichten." "Wirklich? Sonst wird das Thema doch auch tot geschwiegen. Warum jetzt nicht mehr?" Ich werfe einen flüchtigen Blick zu Haru und ziehe eine Augenbraue hoch. Er winkt kurz ab - er versteht mich auch ohne Worte. Die Dame neben mir trägt ihr Herz auf der Zunge und wenn sie immer so impulsiv ist, kann ich meinen Bruder durchaus verstehen, dass er so seine Probleme mit ihr hat. "Aki soll wissen, was damals vorgefallen ist. Immerhin ist es Teil unserer Geschichte und sollte nicht in Vergessenheit geraten." Meine Mutter wirft mir einen Blick zu, der mir verdeutlicht, dass sie sehr wohl gesehen hat, wie ich Haru angesehen habe und dass sie ab jetzt meine volle Aufmerksamkeit haben will. Roni setzt sich auf den Platz in meiner Reihe am anderen Ende der Stirnseite. Ich glaube, so langsam begreife ich die Sitzordnung hier. An einer Stirnseite das Alphapaar mit ihren Kindern, ihnen gegenüber Erinas Schwester mit Mann und Tochter. Vielleicht haben sie auch noch mehr Kinder. Ich werde es noch früh genug erfahren. Die übrigen Plätze sind für die restlichen Mitglieder des Rudels. Erina seufzt kurz, faltet ihre Hände vor sich auf dem Tisch und beginnt zu erzählen. "Vor etwa 600 Jahren begannen die Angriffe der Schatten sich zu häufen. Griffen sie bis dahin nur alle paar Wochen einmal an, wurde es plötzlich zur täglichen Routine sie abzuwehren. Doch nicht nur die Häufigkeit nahm zu, auch ihre Zahl wuchs stetig. Wir machten uns Sorgen, gab es zum damaligen Zeitpunkt ja nur viele kleinere Familienverbände, die weit verteilt über die Untere Welt lebten. So waren sie leicht angreifbar und würden einem großen Angriff nicht standhalten können. So geschah es, dass dein Vater auf das Alphapaar zuging, die über das bis dahin größte Rudel wachten. Er redete lange mit ihnen über die drohende Gefahr und die Möglichkeit, die Rudel zu vereinen. Doch der damalige Alphawolf zögerte, schickte Arkor wieder weg und versagte ihm die Hilfe. Jeder solle sich um seine eigenen Grenze kümmern, so wie man es immer schon getan hatte. Damals waren die Grenzgebiete nämlich aufgeteilt und jedes Rudel hatte seines zu beschützen. 70 weitere Jahre strichen ins Land, in denen die Kämpfe heftiger und verlustreicher wurden. Da entschloss dein Vater sich, erneut loszuziehen. Dieses Mal vermied er es allerdings, direkt zum großen Rudel zu gehen. Er überzeugte viele kleine Familienbände, sich unserem Rudel anzuschließen, bis unseres dem größten an Stärke ebenbürtig war. Erfolgreich hatten wir 20 weitere Jahre alle Grenzen verteidigt, trotz, dass wir nun ein großes Rudel waren. Dann ging Arkor wieder zum großen Rudel aber auch dieses Mal wollte der Alphawolf nichts von einer Vereinigung hören, trotz des Bittens seiner Frau und den mehr als eindeutigen Beweisen, dass sie gemeinsam viel mehr erreichen konnten. Und so kam, was kommen musste. Das große Rudel wurde von einem Angriff der Schatten stark geschwächt und als sie erneut angegriffen wurde, wurde der Alphawolf und sein ältester Sohn getötet. Hätten wir damals nicht eingegriffen, hätten vielleicht sogar noch mehr Wölfe ihr Leben lassen müssen. Arkor sah dies als seine Chance an, die Rudel endlich zu einen. Jedoch stellte sich ihm der Letztgeborene des verstorbenen Alphas in den Weg. Er beschuldigte deinen Vater absichtlich erst so spät eingegriffen zu haben, das stimmte natürlich nicht. Wir waren so schnell wie möglich zu ihnen geeilt, wurden aber selbst angegriffen und verloren eine Tochter." Sie hielt kurz inne, blinzelte eine aufkommende Träne weg und atmete tief durch. "Miri, die Alphawölfin, versuchte verzweifelt ihren Sohn zurück zu halten. Sie wollte nicht noch ein Kind verlieren. Doch die beiden Sturköpfe hörten auf nichts und niemanden mehr und ein brutaler Kampf entbrannte, den keiner von ihnen aufgeben wollte. In ihnen beiden floss immerhin Alphablut - eine Niederlage bedeutete, sich zu unterwerfen. Arkor fügte dem jungen Wolf eine hässliche Wunde quer über das rechten Auge zu, doch noch bevor der Kampf weiter ausufern konnte, wurden wir erneut angegriffen. Dein Vater und Tora, die eben noch aufeinander losgegangen waren, kämpften nun Seite an Seite, um die zu beschützen, die sie liebten. Im allgemeinen Durcheinander wurden die Beiden vom Rudel getrennt und waren auf sich allein gestellt. Ich weiß nicht, was geschehen ist, aber als wir die Streithähne fanden, waren sie unversehrt und ihr Streit beigelegt." Ein leises Rascheln lenkt meine Aufmerksamkeit auf den hinteren Teil des Raumes, der in die Küche übergeht. Hinter einer der Säulen kann ich deutlich jemanden erkennen und ich scheine nicht die Einzige zu sein, die denjenigen bemerkt hat. Auch Haru, Erina und Roni drehen sich in diese Richtung. Als die Person bemerkt, dass sie entdeckt wurde, tritt sie aus dem Schatten hervor und mir stockt der Atem. Der junge Mann mit dem dunkelblonden Haar trägt eine lange Narbe quer über sein rechtes Auge und ich weiß sofort, dass er der Sohn des Alphawolfes ist, der mit meinem Vater gekämpft hat: Tora. "Ich weiß, dass Arkor nie darüber gesprochen hat, allerdings verstehe ich nicht, warum. Die Antwort, wieso wir uns vertragen haben, ist denkbar simpel: Er hat mir das Leben gerettet." Er kommt entspannt in unsere Richtung geschlendert, doch der Blick, den er mir zuwirft, ist alles andere als ruhig. Sein Auge, welches bis eben noch einen hellblauen Schimmer hatte, bekommt die Farbe der aufgewühlten See, in ihm brennt ein Feuer, dass sich selbst auf sein blindes Auge zu übertragen scheint und ich muss all meine Kraft aufbringen, um seinem Blick standzuhalten, während meine Eingeweide sich unangenehm zusammenziehen. Mit einem Mal tauchen vor meinem geistigen Auge Bilder auf, die mir einen kalten Schauer nach dem anderen über den Rücken jagen. Ich sehe meinen Vater in seiner dämonischen Gestalt, wie er unzählige Schatten zerstört, der Boden zu seinen Füßen sich dabei in ein mattes Schwarz färbend, während mein Körper selbst sich taub und schwer anfühlt. Mein Blick verschwimmt, wird unscharf und die Bilder verschwinden wieder aus meinem Kopf. Ich begreife sofort, dass das, was ich eben gesehen habe, Toras Erinnerungen sind. "Arkor hätte mich an jenem Tag einfach meinem Schicksal überlassen können. Aber er hat mich beschützt, als wäre ich Teil seiner Familie. Dein Vater hat sich mit seinem selbstlosen Handeln meinen tiefen Respekt und meine Dankbarkeit verdient, ebenso deine Mutter. Schaffst du das auch, Prinzessin? Denn nur dann wird dir das Rudel folgen, wenn deine Zeit gekommen ist." Ich sehe ihn einfach nur an - was soll ich ihm darauf auch antworten? Ich kenne ihn ja gar nicht, woher soll ich dann wissen, wie ich mir seinen Respekt verdienen kann? Er ist viel erfahrener im Kampf gegen die Schatten, es wird also kaum so bald passieren, dass auch ich in den Genuss komme, sein Leben zu retten. Eher umgekehrt. "Ich gebe zu, mit einem Schweigen habe ich nicht gerechnet. Eher mit einer impulsiven Antwort, vorschnellen Versprechen oder dergleichen. Ich bin gespannt, wie du dich entwickeln wirst, Prinzessin." Seine Stimme klingt belustigt, als wäre das nur ein Spiel für ihn. "Mein Name ist Aki! Hör auf, mich Prinzessin zu nennen, so langsam nervt das nämlich..." rutscht es mir dann doch heraus, was Tora ein Schmunzeln entlockt. Doch er geht überhaupt nicht darauf ein. "Noch eins, Prinzesschen: ICH werde nicht dein größtes Problem sein innerhalb des Rudels." Damit wendet er sich von mir ab und setzt sich auf den freien Stuhl neben meinen Bruder. "Wo sind die anderen? Sind sie noch nicht zurück?" wendet meine Mutter sich nun an den Blonden. "Narii und Vina wollten sich noch einmal frisch machen. Wo die anderen sind, weiß ich nicht. Ich habe sie bisher noch nicht gesehen." "Vina ist Mams Schwester und Narii ihr Mann. Sie sind die Eltern von Roni und Riyo." erklärt mir Haru und ich bin ihm mehr als dankbar, dass er es nicht laut ausspricht und mich somit bloß stellt. Ian hat mir nie etwas über die restlichen Mitglieder des Rudels erzählt. Hoffentlich kann ich mir die Namen alle merken. "Und wer fehlt noch? Wenn ich mich nicht verzählt habe, sind hier noch 3 weitere Stühle zu besetzen." Haru lacht leise. "Bekommst du langsam Angst?" "Blödsinn! Es wäre nur schön zu wissen, wie viel Verwandtschaft ich noch besitze. Bis gestern wusste ich nur, dass ich Eltern besitze, dann hatte ich plötzlich noch einen Bruder und jetzt noch Tante, Onkel, Cousin und Cousine. Und... was ist Tora eigentlich? Er ist ja nicht mit uns verwandt." "Der freie Stuhl neben Roni ist für Yun, daneben sitzt Toras Mutter. Zwischen ihm und Riyo sitzt Sai. Damit wäre der Tisch voll besetzt. Tora ist ein Mitglied des Rudels. Und da ein Rudel gleichzusetzen ist mit einer großen Familie, ist er auf gewisse Weise so etwas wie unser großer Bruder. Zumal er neben seiner Mutter und unseren Eltern der Älteste ist. Selbst Onkel Narii und Tante Vina sind jünger." "Toras Mutter? Miri?" "Ja. Sie ist eine der wenigen Wölfe, die die Angriffe damals überlebt hat. Bei ihrer kämpferischen Erfahrung ist es aber auch kein Wunder. Immerhin ist die alte Dame mittlerweile über 1847 Jahre alt." "Was?!" "Beachtliches Alter oder? Tora ist jetzt 763 Jahre alt, das heißt, Miri hat mit knapp 1100 Jahren noch Nachwuchs bekommen. Na ja, unsere Eltern sind ja auch nicht besser. Immerhin sind die Zwei auch schon etwas über 1000 Jahre alt." "So langsam komme ich mir wirklich wie ein Küken vor. Yrrian ist ja auch schon über 823 Jahre alt." "Ehrlich? Mir hat er nie sein Alter verraten. Wer hätte gedacht, dass er schon so alt ist?" "Yrrian hat nie viel über sich erzählt." "Das denkst du nur. Er hat dir viel mehr offenbart, als sonst irgendjemanden. In unserem kleinen Gespräch am Gebirgspass ist ihm so das ein oder andere Detail heraus gerutscht. Und wenn du immer noch denkst, er könne dich nicht leiden, bedenke, dass er all die Zeit bei dir geblieben ist und selbst zum Schlafen deine Nähe gesucht hat. Sonst verbringt er nur die allernötigsten Stunden mit seinen Schülern, hält keinen Smalltalk, bleibt immer auf Distanz, meidet direkten Körperkontakt und manche behaupten sogar, sie haben ihn nie auch nur lächeln sehen. Soll ich weiter machen?" "Ist ja gut! Ich glaube dir ja..." "Worüber unterhaltet ihr Zwei euch eigentlich die ganze Zeit so angeregt?" Ronis völlig überzuckerte Stimme reißt Haru und mich aus unserem Gespräch. "Über Dinge, von denen du keine Ahnung hast." zischt mein Bruder böse. Erina räuspert sich und wirft ihrem Sohn einen warnenden Blick zu. "Was ist überhaupt bei dem Treffen mit der Walkyre herausgekommen, Haru?" wechselt sie abrupt das Thema. Er lehnt sich im Stuhl zurück und zuckt mit den Schultern. "Nichts. Sie kam nicht. Sonst wäre ich wohl kaum schon wieder zurück oder?" Er klingt irgendwie verletzt. Ob er es sehr persönlich nimmt, dass der Engel ihn versetzt hat? "Typisch. Es bleibt also doch wieder alles an uns hängen." knurrt Tora. Er scheint keine hohe Meinung von den Walkyren zu haben. "Ich werde mich darum kümmern. Wir müssen nachher ohnehin zu Luzifer, da können wir das gleich klären." erwidert mein Vater, der gerade aus der Küche kommt und massiert sich den Nasenrücken. War er schon die ganze Zeit über hier? Auch ihm scheint dieses Thema an die Nieren zu gehen. Warum haben alle so eine schlechte Meinung von unseren Verbündeten? Oder... war das damals nur ein Zweckbündnis und jetzt backt jeder wieder seine eigenen Brötchen? Meine Mutter winkt ab und steht auf. "Verschieben wir das auf später. Lasst uns den Tisch zu ende decken. Ich bin mir sicher, die Anderen spazieren hier auch jeden Moment herein." Wie war das? Wir müssen nachher noch zum Herrscher der Unteren Welt? Doch hoffentlich ohne mich! Ich habe erst einen kleinen Teil des Rudels kennen gelernt und bin nervlich schon total am Ende. Und wenn ich Tora Glauben schenken darf, sitzt mein größtes Problem noch nicht mit uns im Raum. Sollte ich diesen Tag überleben, brauche ich dringend Urlaub! Am besten in der Irdischen Welt, irgendwo in einem Vorlesungssaal, fernab von meinen neuen Problemen und Herausforderungen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)