Mit Sand und Blut von Yosephia ([Prequel zu Schwarzer Komet]) ================================================================================ Prolog: Die rechtmäßige Erbin ----------------------------- Das Mädchen, welches die Reiter aus der Wüste mitgebracht hatten, hatte langes, schwarzes Haar und ein schmales, grimmiges Gesicht mit trotzig dreinblickenden Augen und einem verkniffenen Mund. Seine Haltung war steif, sein Gang forsch. Überhaupt nicht mädchenhaft und doch auf eine gewisse Art majestätisch. Es war der Gang eines Menschen, der ein ganz klares Ziel vor Augen hatte. Weder die Brandwunden im Gesicht, noch die rissigen Lippen, noch die verdreckte und zerschlissene Kleidung konnten die Wirkung dieses Gangs schmälern. Sofort nach Betreten des Inneren Kreises hatte das Mädchen alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen – und es schien sich dieser Tatsache voll und ganz bewusst zu sein. Es straffte die Schultern noch etwas mehr und reckte entschlossen das Kinn vor, während seine Augen suchend über die anwesenden Männer, Frauen und Kinder huschten. Weder Erschöpfung, noch Schmerz ließ es sich dabei anmerken, obwohl sein äußerer Zustand eindeutig darauf schließen ließ. Innerhalb weniger Herzschläge schien es ein Ziel ausgemacht zu haben, denn es beschleunigte seine Schritte, um seine Begleiter abzuhängen und alleine voran zu schreiten. Mit jedem Akt schien es seine Unabhängigkeit unter Beweis stellen zu wollen, seinen Willen und seine Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Es ließ sich nicht von den viel älteren Männern mit wesentlich mehr Erfahrung führen, es wollte seinen Weg unbedingt selbst entscheiden. Sein Ziel war nicht etwa einer der Veteranen, die um ein Feuer herum saßen und offenkundig von allen mit großem Respekt bedacht wurden, sondern ein alter Mann, der unscheinbar an einem Kochfeuer saß und an seinem Datteltee schlürfte, während er die Geschehnisse im Inneren Kreis beobachtete. Mit aller Würde, die es in seinem noch so jungen Alter bereits aufbringen konnte, blieb das Mädchen direkt vor ihm stehen, legte die geballte Faust an seine Stirn, verbeugte sich dann und hielt dem Mann die geöffnete Hand entgegen. Die Handlung war dem Mädchen offenkundig viele Male beigebracht worden, aber ihm fehlte noch die Geschmeidigkeit eines Wüstennomaden. Dennoch brandete überraschtes Getuschel auf, welches jedoch sofort wieder verstummte, als der Alte sanft über die dargebotene Hand strich, womit er die respektvolle Grußformel offiziell annahm, und das schmale Glied dann ergriff, um es zu betrachten. „Wer bist du, Kind?“ Das Mädchen entzog etwas zu schnell seine Hand, als hätte es Angst vor der Berührung, und richtete sich wieder zu voller Größe auf. Für einen Moment erzitterte es und seine Worte überschlugen sich beinahe vor Ungeduld, seine Stimme war hoch, als es sprach: „Ich bin Minerva Orland. Ich bin die rechtmäßige Erbin von Sabertooth und ich brauche Eure Hilfe, Wüstenweiser.“ Erneut wurde überall getuschelt: „Sie kennt den Gruß der Ehre.“ „Orland!“ „Was will sie?“ „Das muss die Nichte von Athenaeos sein, seht sie euch an!“ „Sabertooth!“ „Wie hat sie den Meister erkannt?“ „Eine von uns!“ „Orland!“ Was auch immer das Mädchen über die vielen Kommentare denken mochte, es ließ sich nichts anmerken. Es hielt sich aufrecht, die Miene eine Maske der Entschlossenheit, der Blick unverwandt und drängend auf den Wüstenweisen gerichtet. Fasziniert beugte Sting Eucliffe sich auf seinem Platz auf einem der Felssockel hinter dem Wüstenweisen vor. In seinem ganzen, acht Dürren zählenden Leben hatte er noch nie einen solchen Menschen gesehen. Damit meinte er nicht, dass Minerva von außerhalb der Zuflucht kam, obwohl auch das für ihn neu und aufregend war, sondern etwas an ihrer Ausstrahlung. Etwas in ihrem Blick. Da war ein Funken, der Sting bis ins Mark ging, obwohl Minerva ihn nicht einmal direkt ansah. Er bekam eine Gänsehaut, als befände er sich in einer der tiefen Höhlen, wo sie die Lebensmittel kühl lagerten, und doch war es dieses Mal ein anderes Gefühl. Es ging tief unter die Haut, befiel Stings gesamten schlaksigen Körper und ließ ihn erzittern. Orland und Sabertooth waren ihm kein Begriff. Überhaupt hatte er kaum eine Vorstellung vom Leben außerhalb der Zuflucht, obwohl er seinem zehnten Namenstag und damit dem Beginn seiner Ausbildung zum vollwertigen Wüstennomaden bereits entgegen fieberte. Er verstand kaum etwas von dem, was die Erwachsenen da redeten. Er war sich nicht einmal sicher, was Minerva mit ‚rechtmäßiger Erbin’ meinte. Doch eines wusste er mit Gewissheit: Der Wüstenweise musste Minerva helfen! „Wobei brauchst du meine Hilfe, Minerva?“, fragte der Wüstenweise ruhig und es wurde wieder gespenstisch still im Inneren Kreis. „Ich muss Sabertooth beschützen. Mein Vater hat den Thron gestohlen“, erklärte Minerva mit einer Stimme, die sich vor Ungeduld beinahe überschlug, obwohl sie zu versuchen schien, sich zu beherrschen. Die geballten Fäuste an ihren Seiten zitterten. „Ich muss Onkels Erbe beschützen.“ „Eine große Aufgabe für ein Kind“, erwiderte der Alte bedächtig. Langsam erhob er sich, wobei er sich mehr für den Schein als aus tatsächlicher Notwendigkeit heraus auf seinen Stock aus Tamariskenholz stützte, seinem Amtszeichen, und legte Minerva eine Hand auf die Schulter. „Folge mir. Bevor du mir mehr erzählst, brauchst du eine Salbe für deine Wunden und eine vernünftige Mahlzeit.“ Es schien Minerva nicht zu gefallen, zu dem hochgewachsenen Wüstenweisen aufblicken zu müssen. Mit unwillig verzogenem Mund trat sie einen Schritt zurück, sodass die Hand von ihrer Schulter glitt, ehe sie eine steife Verbeugung andeutete – eine merkwürdige Geste, die Sting nur von Erzählungen der Händler kannte. Der Alte nahm diese unhöfliche Distanzierung hin und wies ihr den Weg. Eilig sprang Sting von seinem Platz, landete geschickt in der Hocke und richtete sich sofort in einer geschmeidigen Bewegung auf, um Minerva und dem Wüstenweisen zu folgen, während um ihn herum schon wieder Getuschel erklang. Einer der Reiter, die Minerva in die Zuflucht gebracht hatten, begann zu erzählen, wie er das fast verdurstete Mädchen in der Wüste gefunden und aufgepäppelt hatte. Andere fragten sich, ob es die Wahrheit über Sabertooth gesprochen hatte. Sting interessierte sich für all das nicht. Er wollte zu Minerva, wollte alles von ihr erfahren! Als er jedoch in den Felsspalt eintauchen wollte, der zur Höhle des Wüstenweisen führte, stellte sich ihm ein Mann mit wettergegerbtem Gesicht und Giftnarben am gesamten rechten Arm in den Weg, ein Reiterveteran. Sting wollte ihn einfach umgehen, doch der Reiter fing ihn wieder ab. Trotzig blickte der Junge auf, aber er musste einsehen, dass es hier kein Durchkommen gab. Allerdings wunderte er sich, wieso ihm der Zutritt verwehrt wurde, denn für gewöhnlich war die Höhle des Wüstenweisens allen zugänglich. „Der Meister hat gesagt, dass er alleine mit ihr reden will“, erklärte der Veteran grimmig. „Verschwinde, Sting.“ Statt auf den Mann zu hören, lehnte Sting sich zur Seite, um an ihm vorbei Minerva hinterher blicken zu können. Sie lief noch immer mit einem gewissen Abstand zum Wüstenweisen, aber ihr Gang hatte sich verändert. Verwirrt beobachtete Sting, wie das Mädchen strauchelte. Ob es daran lag, dass es sich nun mit dem Alten alleine wähnte, oder ob es seine Erschöpfung nicht länger in Schach halten konnte, es hatte sich jedenfalls nicht mehr so gut im Griff wie noch vor wenigen Augenblicken. Der Alte drehte sich zu dem Kind um, unternahm jedoch nichts, um ihm zu helfen. „Du bist deinem Onkel wirklich sehr ähnlich, Minerva. Auch Athenaeos wollte vor Anderen nie schwach wirken“, sagte er mit gedämpfter Stimme, aber Sting konnte ihn dennoch gut verstehen. „Orlands sind nicht schwach“, knurrte Minerva mit der Angriffslust eines in die Ecke gedrängten Tieres, aber sie musste sich an der Felswand abstützen. „In der Tat…“, murmelte der Alte. Er unternahm nichts, als das Mädchen langsam zu Boden ging. „Aber ihr seid auch nur Menschen…“ Sting beobachtete, wie der Wüstenweise seinen Stock an die Wand lehnte, das Mädchen mühelos hochhob und dann weiter in Richtung seiner Höhle trug. Zu gerne wäre der Junge dem Alten gefolgt, aber der Reiter schob sich schon wieder in sein Sichtfeld. „Geh’ zurück zu den Anderen. Das hat dich nicht zu interessieren, Junge“, erklärte der Mann angespannt. Da war Sting ganz anderer Meinung, aber er sah ein, dass er hier keine Chance hatte. Diese Sandschlange war zu groß für ihn. Er musste sie ziehen lassen. Vorerst, dachte er sich trotzig, während er sich abwandte und zurück zum Inneren Kreis ging, wo die Wüstennomaden immer noch wilde Spekulationen über Sabertooth austauschten. Sting kletterte auf einen neuen – höheren – Felsen, von dem aus er den Inneren Kreis gut überblicken konnte, aber seine Gedanken waren noch immer bei diesem Mädchen, das aus einer völlig anderen Welt auf einmal in die seine gestolpert war, die bisher nur aus Späßen und Abenteuern bestanden hatte. Noch immer kribbelte sein Körper und er verspürte das Verlangen, mehr über dieses fremdartige Mädchen und seine selbst auferlegte Aufgabe zu erfahren. Ja, vorerst musste er sich geschlagen geben, aber wie man ihm bereits von frühster Kindheit an eingebläut hatte, konnte selbst die größte Sandschlange beritten werden, wenn man nur den richtigen Moment für den Wurf der Kettensichel abwartete. Und Sting mochte Warten so sehr hassen wie kaum etwas anderes, aber etwas sagte ihm, dass diese Sandschlange es wert war! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)