Daemon 3 von yazumi-chan (Akte Chase) ================================================================================ Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- Kälte schüttelte mich aus meinen dunklen Träumen. Eingetrocknete Krusten verklebten meine Augen, als ich zitternd und mit den Zähnen klappernd im Park erwachte. Der Raureif hüllte die Grashalme in weiße Frostkronen und knirschte unter meinen steifgefrorenen Fingern. Die Bisswunde in meinem Hals brannte wie Feuer. Vorsichtig tastete ich über die verkrusteten Ränder. Das umliegende Fleisch war leicht angeschwollen und heiß. Zischend zog ich meine Hand zurück. Meine Augen juckten, so als krabbelten Ameisen über ihre Oberfläche. Der Morgen graute bereits. Ich musste mindestens fünfzehn Stunden lang bewusstlos gewesen sein. Selbst wenn ein Daemon über mir gestanden hätte, wäre es mir nicht gelungen, die Arme zu heben. Daemonen. Ida. Gott, Ida. Stöhnend setzte ich mich auf und ballte meine tauben Hände zu Fäusten. Sie war irgendwo da draußen. Ich musste sie finden. „Es hat keinen Zweck, sie zu suchen.“ „William“, zischte ich und fuhr zu dem Dae herum. „Du verdammter Mistkerl! Ist das der Grund, warum nur ich die Nachricht überbringen durfte? Wolltet ihr Ida in eure Armee aufnehmen?“ „Ich weiß nicht, weshalb dein Dae zu einem Daemon werden musste. Nur, dass es geschehen sollte.“ Er faltete die Hände. „Du hast die Nachricht schließlich selbst überbracht.“ Läufer schlägt die Dame. Ida. Ich warf mich auf William, versuchte, seinen Hals zu packen, aber seine pechschwarzen Hände schossen vor und hielten meine Handgelenke fest, stoppten mich wenige Zentimeter vor meinem Ziel. Ich spannte alle Muskeln an, drängte vor, während etwas furchtbar Dunkles in meinem Inneren hochbrodelte. Ich wollte ihn umbringen, seinen verräterischen Hals umdrehen, ihn langsam und qualvoll ermorden. Aber er war bereits tot. Meine Hände griffen ins Leere, ballten sich zu Fäusten. Und Ida war immer noch ein Daemon. Die Dunkelheit in mir explodierte und ich schrie. Ich schrie und schrie und hörte erst auf, als meine Kehle brannte und mir schwarz vor Augen wurde. Aber Ida hörte mich nicht. Der Daemon, der Ida gewesen war, kam nicht. Kraftlos sank ich in mir zusammen. William ließ meine Arme los, die er bis dahin fest umklammert gehalten hatte, aber ich hatte keien Energie mehr für einen weiteren Angriff. In mir war nur noch gähnende, allumfassende Leere. „Die Daemonen werden dich zurück zur Grenze führen“, sagte William und reichte mir eine schwarze Hand, um mir aufzuhelfen. „Wenn du vom Weg abkommst, werden sie angreifen. Und wenn du stirbst, Raccoon, ist Ida wahrlich verloren.“ Ich spuckte auf seine Hand. „Sie ist ohnehin verloren“, fauchte ich. Der Gedanke brannte sich durch mein Herz, aber ich wusste auch, dass er stimmte. Kein Dae kam von seiner Verwandlung zu einen Daemon zurück, nicht wenn sie gegen seinen Willen geschah. Aber das hieß nicht, dass ich sie aufgegeben hatte. Wenn auch nur ein Funken Hoffnung bestand, dass ich Ida noch einmal sehen konnte, dass ich diejenige sein durfte, die sie aus ihrem Zustand befreite, musste ich die Chance ergreifen. Entschlossen sah ich zu William auf. „Wenn ich zurück im Distrikt bin, was dann? Wann lasst ihr mich zu Ida?“ „Das hängt ganz von dir ab“, sagte der Dae. Die Worte der Botschaft hallten erneut durch meinen Kopf. Der erste Teil hatte sich auf Ida bezogen, aber was war mit dem Teil danach? Tod der Dame. Dame setzt den gegnerischen König matt. „Ida war meine Dame.“, sagte ich. „Du bist der Läufer. Sie wurde geschlagen. Also wer ist die andere Dame?“ William lächelte stolz. „Meine Tochter Ramona natürlich.“ Wut füllte meine Wangen mit heißem Pech. „Ramona. Ist sie auch ein Dae?“ „Oh nein.“ Er sah mich überrascht an. „Sie ist ein Daemon. Ein sehr mächtiger. Und ihr Blutdurst ist noch ganz der alte.“ Ich rappelte mich endlich auf, obwohl ich mich gegen die Fontäne lehnen musste, um nicht umzukippen. „Blutdurst?“ „Sie war eine Massenmörderin.“ „Und du wollest einen Dae aus ihr machen?“, fragte ich fassungslos. „Aus einer Mörderin?“ „Es gelang nicht so, wie ich es mir vorstellte, das stimmt“, sagte William nachdenklich. „Ich schleuste einen Daemon ins Gefängnis, der sie biss. Danach half ich ihr, den Distrikt zu verlassen und im Ödland Unterschlupf zu suchen. Kurz darauf griffen wir mit den anderen Daemonen Distrikt 15 an. Es war unsere Heimat. Ich wollte ihr ermöglichen, nach Hause zurückzukehren.“ „Für all das …“ Ich deutete mit einer Handbewegung die Verwüstung um uns herum an, die verlassenen Häuser, die vermoderten Leichen, die ausgebrannen Autowracks, „… bist du verantwortlich?“ Meine Hand sank herab. „Du bist wahnsinnig. Das ist der einzige Grund, weshalb du noch als Dae existieren kannst. Du hast vergessen, was Moral und Menschlichkeit bedeuten.“ Wenn ich gedacht hatte, dass meine Worte etwas in ihm bewegen würden, hoffte ich vergebens. Er legte nur den Kopf schief. „Ich habe Ramona beschützt“, entgegnete er. „Alles andere ist unwichtig.“ „Vergiss es.“ Matt erhob ich mich, zog meinen Rucksack an und stützte mich zittrig auf meinen Gehstock. Das Kribbeln in meinen Augen hörte nicht auf. Frustriert rieb ich darüber. Farbflecke und blaue Linien durchzogen mein Sichtfeld. Es war zum Verrücktwerden. Da fiel mir etwas ein. „Wenn ich der weiße König bin“, sagte ich gedehnt, „wer ist dann der schwarze?“ William lächelte. „Ich habe deine Erinnerungen durchsucht. Dein bester Einfall ist so gut wie meiner.“ Schnaubend wandte ich mich ab und ging. Wenn ich daran achte, dass ich ihn zu Anfang für meinen eigenen Vater gehalten hatte, wurde mir schlecht. Wie konnte man nur so tief sinken? Die Daemonen flankierten mich auf meinem Rückweg durch die Gasse und über die Straßenkreuzung. Es waren weniger Monster unterwegs als gestern, aber das gelbe Netz aus Fußspuren ließ meine Augen brennen und kribbeln, während sie die Informationen aufnahmen. Die ganze Zeit über hielt ich Ausschau nach Ida, und musste mich schließlich einer Erkenntnis beugen, die ich bis dahin verdrängt hatte. Ida könnte direkt vor mir stehen, und ich würde sie nicht erkennen. Mein Blick auf sie war nur flüchtig gewesen, aus einem schlechten Winkel. Ich wusste weder, wie groß sie inzwischen war, noch welche Form sie angenommen hatte, wie sie sich bewegte. Wenn ich die Gelegenheit gehabt hätte, sie genau anzusehen, vielleicht dann … aber nein. William hatte Recht. Es war aussichtslos, alleine nach ihr zu suchen. Ich würde mich im Ödland verlaufen, von Daemonen gefressen werden oder geradewegs an ihr vorbeilaufen. Meine einzige Möglichkeit war, den König ausfindig zu machen, ihn zur Rede zu stellen—und im Austausch gegen Ida zu tun, was immer er von mir verlangte. Nachdem diese Entscheidung gefällt war, schweiften meine Gedanken ab. Ich wachte erst wieder aus meinem Stupor auf, als eine eindeutig menschliche Stimme meinen Namen rief. „COON! COON! HIER!“ Ich hob den glasigen Blick und entdeckte Sam. Sie stand in eine Wolldecke gewickelt auf der Grenzmauer und wedelte mit beiden Armen. Am Tor ließ ich mich von den Huntern dort einer Reihe Tests unterziehen, die überprüfen sollten, dass ich nicht von einem Daemon besessen war. Erst eine gute Stunde später entschieden die zwei Frauen, dass ich sauber war und ließen mich passieren. Draußen wartete bereits Sam, Arme in stürmischer Umarmung ausgebreitet. Henny wartete in ihrem Auto einige Meter entfernt am Straßenrand, Arme über dem Lenkrad verschränkt und lächelnd. Ich lächelte nicht. Ich hob nicht mal meine Arme, als Sam mir um den Hals fiel. Sie hatte sich kaum gelöst, da verfinsterte sich ihr Blick. „Warte“, sagte sie und spähte an mir vorbei. „Wo ist Ida?“ „Weg.“ Der Schmerz übermannte mich fast, doch ich zwang die Tränen zurück, unterdrückte alle Gefühle. Ich hatte meinen Plan gefasst. Alles andere musste warten. Tränen halfen mir nicht weiter. Ich brauchte Taten. „Sie ist mutiert.“ Unverständnis legte sich über Sams Gesicht wie eine weiße Maske. „Aber, das ist unmöglich! Du bist doch hier? Was kann sie so sehr schockiert haben, dass sie …“ „Es war eine Falle“, sagte ich und ging an ihr vorbei zum Auto. Auf dem Rücksitz entdeckte ich Blue, der es vermied, mich anzusehen und die Arme verschränkt hatte. Ich sah ihn an, aber ich fühlte nichts mehr. Ich war leer. „Ich bin überrascht worden. Ein Dae hat mich gebissen, besessen und meinen Tod vorgetäuscht.“ „Ida denkt, du wärst tot?“, fragte Henny. „Welcher Dae?“, fragte Sam. „Wer ist Ida?“, fragte Blue. „Schnauze“, fauchte Sam sofort. Sie nahm meine Hände. „Coon, wir kriegen das wieder hin. Rock besorgt uns die Unterstützung aller Hunter-Organisationen. Wir stellen das gesamte Ödland auf den Kopf, wenn es sein muss.“ „Es hat keinen Zweck, Sam“, fauchte ich. „Selbst wenn ihr mir suchen helft, sie ist jetzt ein Daemon. Ich würde sie nicht mal mehr erkennen.“ „Shit!“ Sam schlug mit der Faust gegen die gelbe Karosserie von Hennys Wagen. „Shit, shit, shit!“ Vorsichtig löste ich mich von ihr. „Ich habe einen Plan“, sagte ich, „aber ich muss dafür mit jemandem reden. Setzt ihr mich am Rathaus ab?“ Blues Augen funkelten sofort auf. „Brauchst du die Verkleidung?“, fragte er. Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Ich gehe als die hin, die ich bin.“ Meine Dame mochte geschlagen sein. Aber ich war immer noch ein König.     Die blonde Frau am Empfang gähnte ausgiebig, während sie meinen Besucherausweis ausstellte, bevor sie stutzte, die Augen zusammenkniff und mich genauer unter die Lupe nahm. „Ms. … Ronald?“ „Ja“, stimmte ich zu. „Melden Sie mich bitte als Raccoon Thynlee beim Chief an. Er hat um meine Dienste gebeten.“ Die Augen der Frau weiteten sich. „Ms. Thynlee, natürlich! Ich habe tatsächlich … wo ist sie denn jetzt? Ach, hier. Ich habe Anweisung, Sie sofort durchzulassen, wenn Sie herkommen. Es muss wohl dringend sein. Geht es um einen Daemon?“ Die letzten Worte waren verschwörerisch geflüstert. „Mehr oder weniger“, stimmte ich zu, schnappte ihr den Besucherausweis aus den manikürten Fingern weg und stieg die Treppen hinauf in den fünften Stock. Das echoende Klopfen meiner Knöchel auf der Tür des Sekretärs war noch nicht verhallt, als die Tür bereits aufschwang und Robert Hill mich katzbuckelnd einließ. „Ms. Thynlee“, begrüßte er mich eifrig. „Der Chief erwartet Sie bereits.“ Ich schob mich unwirsch an ihm vorbei, durchquerte den quadratischen Raum und stieß die Tür zum Büro von Keynes auf. „Was willst du von mir, Daemon?“, knurrte ich, kaum dass ich über die Schwelle getreten war. „Wo ist Ida? Ich schwöre, wenn ich nicht sofort ein paar Antworten kriegen, dann —“ Ich unterbrach mich. Der Raum war leer, der Schreibtisch verlassen. Im Kamin glühten noch ein paar Holzscheite nach. Hinter mir schloss sich die Tür. Ich fuhr herum, nur um den Sekretär zu entdecken, der mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor der verschlossenen Tür stand und mich mit einem herablassenden Lächeln bedachte. Robert Hill, der meine Verkleidung sofort durchschaut hatte. Robert Hill, der mich angerufen hatte, nachdem ich alleine war. Robert Hill, der dem Chief von allen Mitarbeitern am nähesten stand. „Du“, zischte ich und machte einen bedrohlichen Schritt auf ihn zu. „Du bist es.“ „Ich“, stimmte er zu. „Das Augenlicht meines lieben Chiefs ist nicht mehr das, was es einmal war. Ich lese ihm alle Dokumente vor, die er nicht mehr entziffern kann, und das sind so gut wie alle. Er verlässt sich vollkommen auf mich, und warum auch nicht? Robert Hill arbeitet schließlich schon seit vielen Jahren für ihn.“ Der Daemon zuckte die Achseln. „Ich habe ihn übernommen, als er noch ganz am Anfang seiner Karriere stand. Es war nicht leicht, ihn vollkommen einzustudieren, aber inzwischen spiele ich ihn besser als er sich selbst jemals hätte darstellen können. Und während der Zeit, die ich in seinem menschlichen Gehirn verbracht habe, ist mein eigener Charakter zu mir zurückgekommen. Als Daemon hatte ich meine Individualität verloren, aber sie ist zu mir zurückgekehrt.“ „Unmöglich“, entgegnete ich sofort. Alle meine Nackenhaare hatten sich bei Roberts Worten aufgestellt. „Daemonen können nicht wieder ihr Bewusstsein erlangen.“ „Und warum nicht?“, fragte der Sekretär mit einem amüsierten Lächeln. „Weil es selten passiert? Weil es jahrelange Übernahme einer einzigen Person erfordert, und dies die Selbstkontrolle der meisten Daemonen übersteigt?“ Mir drehte sich der Magen um. Robert, nein, der Daemon, hatte Recht. Hatte ich nicht erst vor kurzem die Gründer dafür angeprangert, sich zu sehr auf ihr mageres Wissen über Daemonen zu verlassen? Ihnen aufgezeigt, dass wir längst nicht alles wussten, was es über diese Kreaturen zu wissen gab? Aber ich hatte jetzt keine Zeit, mit diesem Ding zu philosophieren. Ich hob die Arme, überkreuzte meine flachen Handflächen. „Gib mir einen guten Grund, weshalb ich dich nicht sofort exzidieren sollte“, sagte ich. „Einen?“ Er breitete die Arme aus. „Ich habe viele. Dieser Körper hat vergessen, ohne mein Zutun seine lebenswichtigen Funktionen aufrecht zu erhalten. In dem Moment, da du mich von diesem Wirt trennst, stirbt er.“ „Du tust so, als lebe er jetzt“, entgegnete ich. „Wenn es wahr ist, dass du ihn schon so lange kontrollierst, ist sein Leben nichts mehr wert.“ „Wenn dich das nicht überzeugt, dann vielleicht das Wohl der kleinen Rosie? Solltest du mich töten, was dir durchaus möglich ist, wird meine Kontrolle über den Daemon, der sie bewohnt, verblassen und wer weiß, wie es dem kleinen Mädchen dann ergeht?“ „Du Schwein“, flüsterte ich. „Verdammtes Arschloch.“ „Zu guter Letzt der wohl wichtigste Grund.“ Er fixierte mich aus wässrigen, hellblauen Augen. „Wenn du mich tötest, wirst du deinen Dae nie mehr wiedersehen. Und nicht nur das. Du wirst nie erfahren, wer du wirklich bist, Raccoon Thynlee. Oder sollte ich sagen, Nora Chase.“ Obwohl mich Idas Schicksal schon die ganze Zeit davon abgehalten hatte, ihn anzugreifen, waren es seine letzten Worte, die mich die Hände sinken ließen. „Nora Chase?“, fragte ich. Chase war der Nachname meiner Eltern gewesen. „Ist das … wäre das mein Name gewesen? Nein, das kann nicht sein. Woher solltest du das wissen?“ Das zerrte ein lautes Lachen aus ihm heraus. „Hast du immer noch nicht verstanden, Nora? Ich dachte, Rosies Daemon hätte mein Geheimnis bereits preisgegeben. Ich bin dein Vater.“ „Bist du nicht“, flüsterte ich. Der Gedanke, dass dieses Monster der Daemon meines Vaters sein könnte, füllte mich mit Ekel. „Mein Vater ist tot. Er wäre niemals wie du geworden.“ „Oh, sicher, dein biologischer Vater ist tot. Entschuldige, dachtest du, das wäre ich? Nein, nein. Ich hieß Elias, in meiner Zeit. Elias Grey. Brian war ein fürchterlicher Ehemann, wenn du mich fragst. Amanda hätte einen besseren finden können. Sie wollte immer Kinder, weißt du? Aber nicht Brian. Er hatte Großes mit seinem Leben vor, wollte sich nicht von einem nervigen Balg den Spaß verderben lassen. Sie waren ja beide noch so jung. Amanda fügte sich. Ich konnte sie nicht so leiden sehen. Sie war das perfekte Testobjekt.“ „Testobjekt?“ Meine Stimme versagte. Was ging hier vor? Wovon redete Elias? Mein Vater hatte kein Kind gewollt? War ich ein … ein Unfall gewesen? Ungewollt, von Anfang an? Elias faltete die Hände. „Setzen wir uns“, schlug er vor. „Das wird eine längere Geschichte und dein Bein zittert.“ Ich schlug gegen meinen Oberschenkel, bis der Tremor nachließ. Meine Augen brannten. Wütend rieb ich darüber. Elias schien von blauen Linien umgeben zu sein, die ihn umschlangen und in alle Richtungen reichten, bevor sie verblassten. „Siehst du etwas Interessantes?“, fragte er. „Nichts, was dich etwas angeht“, knurrte ich und machte einige Schritte zurück, bis ich mich gegen den Schreibtisch lehnen konnte, um mein Bein zu entlasten. „Und wir bleiben stehen. Sprich weiter.“ „Eigentlich habe ich keine Obligation, dich einzuweihen“, sagte Elias, „aber ich gestehe, ich möchte mein Genie mit jemandem teilen, und warum nicht mit meiner Schöpfung. Warum nicht mit dir, Nora, Raccoon, wie auch immer du dich dieser Tage nennst. Denn für mich warst du stets nur Tochter.“ „Komm zur Sache.“ „Ich war derjenige, der deinen Vater besaß und ihn dazu brachte, gegen seinen Willen ein Kind mit seiner Frau zu zeugen. Ich war derjenige, der einige Monate noch der Empfängnis einen Daemon auf ihn ansetzte, um ihn zu entfernen.“ Elias kam langsam auf mich zu, bis er nur noch eine Armlänge von mir entfernt stand. „Ich bin derjenige, dem du deine Existenz verdankst, ich bin derjenige, der Amanda als Wirtin nutzte, um dich im embryonalen Zustand zu besitzen, wann immer sich die Gelegenheit bot. Und ich bin derjenige, dem du diese vielsehenden Augen verdankst. Hast du dich nie gefragt, weshalb du die einzige bist, die Daemonenspuren sehen kann? Kein anderes Baby in diesem Distrikt wurde vor seiner Geburt, während seiner Frühentwicklung von einem Daemon besessen. Hunter mit der Sicht mögen kurz besessen worden sein, vielleicht nur indirekt, indem die Mutter während ihrer Schwangerschaft für kurze Zeit als Wirt diente. Aber niemand sonst ist so geformt worden wie du. Es war mein Geschenk an dich, Daemonentochter.“ „Du lügst“, sagte ich. Meine Stimme zitterte. Ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Was Robert mir erzählte … es war alles zu viel. „Ich lüge nicht“, entgegnete der Daemon mit Vehemenz. „Du bist mein größtes Werk. Und dennoch bist du nicht das, was ich erhofft hatte. Aber vielleicht ändert sich das nun. Sag mir, was kannst du sehen?“ Er breitete erneut die Arme aus. „Siehst du die Treuebände zu all den Daemonen, die ich erschaffen habe, deren Instinkt sie zwingt, mir zu gehorchen, es mir erlaubt, auf geringe Entfernung Gedanken mit ihnen auszutauschen? Siehst du den schwarzen Schein um deinen Körper, der dir verrät, welchen Zustand deine Seele in diesem Moment hat? Siehst du vielleicht sogar das zerrissene Band, das dich und deinen Dae vor kurzem noch zusammengeschweißt hat? Nein? Schade. Aber das kommt noch, Tochter. Williams Biss ist stark. Schon bald wirst du die Welt durch die Augen eines Daemons sehen und dann ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis du der erste menschliche Daemon in der Geschichte meiner Spezies wirst. Mein Experiment wird sich auszahlen, all die Jahre der Arbeit, um dich in Kontakt mit deinen Brüdern und Schwestern zu bringen, deine Seele zu schwärzen, für diesen Moment.“ Elias kam schweratmend zum Ende seines Vortrags. Mein Kopf war überflutet von den Offenbarungen, den Andeutungen, die er gemacht hatte. Ein Daemon hatte mich erschaffen. Meine besondere Sicht war kein genetischer Zufall, sondern geplant, ein Experiment, genau wie der Biss von William. Meine brennenden Augen stammten nicht von simpler Übermüdung, sondern von den neuen Fähigkeiten, die mein Körper langsam entdeckte. Und die schwarze Seele … „Was meinst du damit, dass du mich in Kontakt mit meinen Brüdern und Schwestern gebracht hast?“, fragte ich tonlos. „Ich bin aus eigenen Stücken Hunter geworden, damit hattest du nichts zu tun.“ „Ach nein?“ Elias lehnte sich vor, bis er mir direkt in die Augen sehen konnte. Das Licht musste Streiche mit mir spielen, denn in der Reflektion seiner Iris sah es so aus, als wären sie gelb. „Wer hat die Rotte auf das Haus deiner Ziehfamilie angesetzt? Wer hat den Daemonen den Befehl gegeben, seiner Tochter kein Haar zu krümmen? Ich war das. Ich allein.“ Mit der Zunge schnalzend wandte er sich ab. „Dass du danach Unterschlupf in einem Haus voller Hunter nahmst, konnte ich natürlich nicht vorhersehen. Und schließlich wurdest du stark genug, um dich selbst zu verteidigen. Das erschwerte es mir, mein Experiment fortzusetzen. Dass du vor fast einem Jahr den Distrikt verlassen hast, konnte ich endlich nutzen, um hier meinen finalen Plan ins Rollen zu bringen, ohne dass die Gefahr bestand, deine Sicht könnte gegen mich verwendet werden. Aber du kehrtest zu früh zurück.“ Er drehte sich zurück zu mir. Ich konnte ihn kaum ansehen. „Ich musste meinen Plan ein wenig ändern. Aber nun sind alle Spielfiguren dort, wo ich sie haben möchte. Du bist die weiße Königin, meine Tochter, und du wirst dich ergeben, bevor ich meinen letzten Zug gemacht habe.“ „Warum sollte ich?“, fragte ich. „Weil du ohne deinen Anker nicht leben kennst. Weil du alles tun wirst, um deine geliebte Ida zurückzugewinnen, und wenn du deinen gesamten Distrikt dafür opfern musst.“ „Mein ganzes Leben lang hast du mich also beobachtet und hergerichtet. Du hast meine Eltern getötet, meine Zieheltern, und nun hast du mir auch noch Ida genommen.“ „Ich musste dich schwärzen, Tochter.“ Ich holte tief Luft. „Noch eine Frage. Warst du es, der Ida damals getötet hat? War es einer deiner Daemonen?“ Elias zögerte. „Nein“, gestand er schließlich, als sei es eine große Schande. „Ihren Einfluss habe ich nicht vorhergesehen.“ „Und Lorene?“ „Nicht alle Daemonen der Welt stehen unter meinem Kommando, liebste Tochter. Werde nicht gleich paranoid.“ „Paranoid.“ Ich konnte nicht anders. Ich lachte. Ich lachte und lachte und konnte nicht aufhören. Es tat zu weh. Alles tat zu weh. „Fein“, flüsterte ich, als ich außer Atem war und meine Bauchmuskeln krampften. Wie Elias prophezeit hatte, konnte ich inzwischen einen schwachen, dunkeln Schimmer über meinen Händen wahrnehmen. „Du hast gewonnen. Sag mir, wie ich Ida zurückbekomme, und ich tue alles, was du von mir willst. Du willst, dass ich ein Daemon werde? Nichts leichter als das. Hetz mir eins deiner Kinder auf den Hals, es ist mir gleich. Nur lass mich zuerst zu ihr. Das ist alles, was ich will.“ „Ich will dich nicht verwandeln“, sagte Elias tadelnd. „Ich will so viel mehr als das. Williams Tochter ist in diesem Moment auf dem Weg hierher. Mit der Masse einer Daemonenkönigin werde ich endlich zu alter Stärke zurückkehren. Und du wirst mir helfen, sie und die anderen Daemonen, die ihr folgen, in den Distrikt zu bringen.“     Ich stolperte die letzten Treppenstufen des Rathauses hinunter. Wolle füllte mein Gehirn, betäubte die düsteren Gedanken, die unermüdlich Kreise zogen. Ein Schwarm Raubvögel, dem ich nicht entkommen konnte. Die Empfangsdame sagte etwas, aber ihre Worte drangen nicht zu mir hindurch. Ich schleppte mich über die Fliesen, stützte mich auf meinem Gehstock ab, versuchte, nicht zu sehr zu schwanken. Elias hatte mir ein Ultimatum gestellt. Ich hatte zwei Tage, bis Ramona, William und eine Armee aus Daemonen, die ihr folgte, die Grenzmauer erreichten. Zwei Tage, um mir einen Plan zurechtzulegen, wie ich ihnen den Distrikt auf dem Silbertablett servieren und Ida ein letztes Mal sehen konnte. Das grelle Sonnenlicht auf dem Parkplatz war ungewohnt und schmerzte in meinen empfindlichen Augen. Es war, wie Elias gesagt hatte. Die Passanten auf der anderen Straßenseite leuchteten in diversen Grautönen, die mir genau sagten, wer von ihnen vermutlich zu einem Daemon werden und wer als Dae zerfallen würde. Die blauen Linien, die von dem Sekretär ausgegangen waren, füllten die Luft, breiteten sich in alle Richtungen aus wie ein gewaltiges Spinnennetz, das den gesamten Distrikt überspannte. Neongelbe Fußspuren, die ich zuvor nur schwach wahrgenommen hatte, wenn sie älter waren, stachen nun deutlich gegen den Asphalt hervor und gaben noch ein anderes Signal ab, eine Art Geruch, der sich bei einigen der Spuren unterschied. Konnte ich wirklich erkennen, wie viele verschiedene Daemonen diesen Weg genommen hatten? Ich fuhr mit einem schwarz umrandeten Finger über den Rand einer der Spuren. Meine Fingerspitze kribbelte unangenehm bei der Berührung. Vorsichtig sah ich an mir herunter. Das transparente, dunkelgraue Überbleibsel meiner Bindung zu Ida hing einen guten halben Meter aus meinem Brustbein heraus und ähnelte nichts so sehr wie einer verfaulten Nabelschnur. Als ich mich wieder erhob, entdeckte ich am anderen Ende des Parkplatzes Blue. Er stand an seinen blauen Jeep gelehnt und beobachtete mich aus der Ferne. Sam musste ihn an seinem Shop abgesetzt haben und er war zurückgekehrt, während ich mit Elias gesprochen hatte. Erschöpft und emotionslos ging ich in seine Richtung. „Soll ich dich zu Rock fahren?“, fragte er leise. „Samantha und Henrietta warten dort auf dich.“ „Wie du willst“, sagte ich und stieg auf der Beifahrerseite ein. Er ließ sich auf dem anderen Sitz nieder, machte aber keine Anstalten, loszufahren, schloss nur die Tür hinter sich. „Sam hat mir erklärt, wer Ida ist“, sagte er. „Wie viel sie dir bedeutet hat.“ „Wie viel sie mir bedeutet“, korrigierte ich. Warum musste er über Ida reden? Warum konnte er nicht still sein und einfach fahren? Sah er nicht, dass es mich meine gesamte Kraft kostete, nicht gleich hier und jetzt zu zerbrechen? „Es tut mir leid.“ Er sah zu mir. Ich zwang mich, seinen Blick zu erwidern. Seine Augen waren so blau, genau wie früher. „Möchtest du darüber reden?“ Heiser lachte ich. „Nicht mit dir, Blue. Von allen Menschen mit dir am wenigsten.“ „Vergiss Blue.“ Sein ganzer Körper drehte sich zu mir. „Als du ihn nicht gerettet hast, dachte er, dass er dir am Arsch vorbeigeht, aber er war nicht schlau genug, einfach zu fragen. Er wusste nicht, wie sehr du darunter gelitten hast, dass er vermeintlich tot war. Er war ein selbstsüchtiges Arschloch. Sunny ist immer noch hier, okay? Und es tut ihm unendlich leid, dass er solange weg war.“ Seine Augen verengten sich und er zwang ein breites Lächeln auf seine Lippen. „Hey, Coon. Bitte lass mich dir helfen. Du siehst aus, als wärst du kurz davor, etwas sehr, sehr dummes zu tun und ich will nicht, dass du so endest wie ich damals. Du bist in einem dunklen Ort, aber du kannst dort wieder rauskommen. Und wenn du es alleine nicht schaffst, dann finde ich dich und zerre dich dort weg, genau wie du es für mich getan hast. Ich verspreche es.“ Ich zerbrach. Ich konnte es nicht anders bezeichnen. Einen Moment zuvor war ich noch aus Stahl gewesen, gefühlslos und kalt und nur gefüllt mit dem Gedanken daran, wie ich mich am besten umbringen würde, sollte Ida nicht mehr zu retten sein. Und im nächsten lag ich laut schluchzend in Sunnys Armen und schrie mir die Verzweiflung und Hilflosigkeit von der Seele.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)