Daemon 3 von yazumi-chan (Akte Chase) ================================================================================ Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- Benommen starrte ich auf Sunnys entsetztes Gesicht herab, der unter mir lag und mit einer zittrigen Hand meine Wange berührte. „Coon?“ Ich hustete. Die scharfen Kanten der Steinsplitter bohrten sich tiefer in meinen Rücken. Keuchend sank ich auf die Ellenbogen, kaum noch in der Lage, mich hochzuhalten. Sunny rutschte unter mir weg, bis er vor mir kniete und senkte mich sanft auf den Boden ab. Wieder hustete ich. Kleine Blutspritzer malten rote Punkte in die Staubschicht. Meine Sicht verschwamm. „Coon, bleib bei mir.“ Ich spürte Sunnys Hände, die meinen Rücken entlangfuhren, um das Ausmaß meiner Verletzung zu untersuchen. Er sog scharf die Luft ein. Sieht wohl nicht gut aus, dachte ich abwesend. Idas Brüllen durchbrach die wattige Leere in meinem Kopf. Vorsichtig drehte ich mein Gesicht so, dass ich hinter mich sehen konnte. Sie hatte sich aufgerappelt und blickte aus runden, tiefgelben Augen auf mich herab. Ihr Schrei hallte durch die Abenddämmerung, verzweifelt und voller Wut, so viel Wut … Ich schloss die Augen, presste die Zähne zusammen. Der Schmerz in meinem Rücken, meinen Rippen und meinem Bein war nur am Rande meines Bewusstseins vorhanden; schlimmer war das Gefühl, dass all meine Anstrengungen umsonst gewesen waren, wenn ich jetzt starb. Dann würde niemand mehr Ida zurückholen. Sie würde allein unter den Daemonen leben, ohne Identität, ohne jemanden, der sie liebte. Das konnte ich nicht zulassen. „Du musst zu Mary“, sagte Sunny panisch. Ich schielte zu ihm hoch. Während ich über Ida nachgedacht hatte, die mit riesigen Sprüngen auf Elias zu preschte und ihn wie ein Ringer zu Boden warf, hatte er seine Untersuchung abgeschlossen. „Ich kann die Splitter nicht rausziehen, sonst verblutest du binnen Minuten.“ Er zog mich unter den Armen in eine halbwegs aufrechte Position. „SAMANTHA!“, schrie er laut und wartete, bis wenige Sekunden später ihr blonder, inzwischen sehr verstaubter Lockenkopf in Sicht kam. „Hilf mir“, flehte er. Sam warf nur einen Blick auf mich, bevor sie entschlossen nickte und mich an den Fußgelenken packte. Gemeinsam trugen die beiden mich zu Sunnys Jeep. „Was ist … mit Ida“, flüsterte ich tonlos. Jedes Wort schmerzte. Ich wollte schlafen. Nur schlafen. Aber ich zwang mich, die Augen offen zu halten. Sam sah sich rasch um. „Sie kämpft. Warte, sie … heilige Scheiße!“ Obwohl Sunny sofort versuchte, mich daran zu hindern, drehte ich mich zwischen den beiden so, dass ich halbwegs sehen konnte, was auf dem Schlachtfeld vor sich ging. Ida war größer als Elias. Viel größer. Irgendwie hatte sie es geschafft, ihre Masse aufzufächern, bis sie dunkelgrau geworden und fast auf die doppelte Größe angeschwollen war. Sie packte Elias an den Hinterbeinen und schleuderte ihn von einer auf die andere Seite, schlug ihn jedes Mal auf den zerbrochenen Asphalt, bis er benommen liegen blieb. Sie ließ ihn ein letztes Mal heftig auf dem Boden aufschlagen, bevor sie über ihm niederging und mit ihrem gewaltigen Mund seinen Arm vollständig abbiss. Ihr eigener wuchs nach und sie verdichtete sich wieder, bis sie ein tiefes Schwarz annahm. Elias trat nach ihr, doch sie packte seinen Fuß und biss diesen ebenfalls ab. Innerhalb von einer Minute hatte Ida ihn um jede seiner Gliedmaßen erleichtert und begann nun, sich durch seinen Oberkörper hindurch zu fressen. Die Schreie, die Elias von sich gab, waren schrill und hilflos. Er hatte versucht, Ida zu töten, um mich über die Schwelle zu treiben; stattdessen hatte er mich tödlich verwundet und Ida damit die nötige Motivation und Energie gegeben, ihn zu vernichten. Wir erreichten den Jeep, als Ida seinen hundeartigen Kopf abriss und sich aufrichtete. Ich konnte meinen Kopf nicht weit genug in den Nacken lehnen, um ihr Gesicht zu sehen. Plötzlich schrumpfte sie. Schwarze Schlieren umhüllten sie in einem Vortex aus Dunkelheit. Sam riss die Autotür hinten auf. Sunny half, mich vorsichtig bäuchlings auf dem Rücksitz abzulegen. „Ida“, flüsterte ich. Sam sprang vorne auf den Beifahrersitz, Sunny warf sich hinter das Steuer. Der Schlüssel drehte sich, der Motor sprang an. „Ida …“, hauchte ich erneut, nicht stark genug, es ein drittes Mal zu sagen und trotzdem hoffend, dass die beiden mich hören und warten würden. Sunny trat aufs Gas und fuhr los. Panik schnürte meine Kehle zu, mein Herz pumpte langsamer. Ida, was ist mit Ida, ich kann sie nicht einfach zurücklassen, Ida, Ida, IdaIdaIda … Im Fahren öffnete sich plötzlich die Tür für den Rücksitz. Ich schielte über meine Schulter, Sicht bereits verschwommen. Das weiße Band, das Ida und mich verband, führte direkt zu der schwarzen Gestalt, die sich an dem Türgriff festklammerte, gegen den Fahrtwind stemmte und ins Auto an meine Seite hievte. Ida war schwärzer als je zuvor. Sie hatte wieder ihre Mädchengestalt angenommen, aber ihre Augen leuchteten so gelb wie in ihrer Daemonenform und sie anzusehen war, als blicke ich in das Zentrum eines schwarzen Lochs, in ein Universum ohne Sterne. Sie krabbelte an meine Seite, fuhr mit ihren eiskalten, festen Fingern über meine Wunden und meine Wange. >Coon, bitte nicht sterben. Nicht nochmal. „Ich geb mir Mühe“, murmelte ich in ihre Hand. Ida schniefte und rieb sich über die Augen, obwohl ich wusste, dass sie nicht weinen konnte. „Wie ist dein … Zustand?“, fragte ich. >Ich bin nicht sicher. Es fühlt sich an, als wäre ich ein Dae, aber kurz vor der Verwandlung. Ich kann nicht weiß werden, Coon. Ich hab es versucht, aber es ging nicht. Sie klang am Boden zerstört. Ich wollte ihr sagen, dass alles gut werden würde, dass sie bald wieder fliegen würde, dass es nur an der vielen Masse lag, wie bei Isaac. Aber ich brachte es nicht übers Herz, sie anzulügen. Ich wusste, dass Dae von einer unkontrollierten Mutation nicht zurückkehrten. Sie konnten ihre Erinnerungen zurückerlangen, so wie Elias. Aber ich fürchtete, dass Ida für immer an der Schnittstelle gefangen bleiben würde. „Wie lang noch?“, fauchte Sam vorne. Sie tippte fieberhaft auf ihrem Handy. Meine Kraft schwand. Wann immer ich blinzelte, schlief ich für einige Sekunden ein. „Mary ist nicht mehr in der Basis, sie ist bei den Evakuierten“, erklärte Sunny durch zusammengebissene Zähne und nahm eine sehr scharfe Kurve. Ich gab mir Mühe, nicht vor Schmerzen zu keuchen. Es gelang mir nicht. „Tut mir leid“, rief er mir zu, „aber du hast nicht mehr viel Zeit. Und wir brauchen noch mindestens zehn Minuten.“ Zehn? Es klang wie eine Ewigkeit. Blut sickerte unablässig meinen Rücken und Bauch herab und färbte den Sitz rot. Ich wusste nicht, ob ich so lange durchhalten konnte. Ida strich über meinen Rücken, kühlte das heiße Fleisch. >Halte durch, Coon. Ich bin bei dir. Alles wird gut. Ich nickte resigniert. Im Gegensatz zu mir schien sie keine Probleme damit zu haben, in Angesicht der Situation zu lügen.  Plötzlich gab Sunny einen Fluch von sich und der Wagen kam abrupt zum Stillstand. Er sprang aus dem Auto und lief auf die Straße. Sam krallte die Hände in das Sitzpolster. „Was ist?“, fragte ich matt. >Ein Haus ist eingestürzt. Ida biss sich auf die Unterlippe. >Wir kommen nicht durch. Sunny stieg wieder ein. Er atmete tief durch, machte aber keine Anstalten, weiter zu fahren. „Die ganze Straße ist blockiert“, informierte er uns. „Die einzige andere freie Strecke führt in ein Wohngebiet, mindestens noch einmal zwanzig Minuten Umweg.“ „Dann fahr schon los!“, fauchte Sam. Mir fielen erneut die Augen zu. Ida rüttelte mich wach. >Coon, bitte … Aber ich spürte, wie etwas in mir aufgab. Niemals würde ich noch eine halbe Stunde durchhalten. Und wenn ich es doch schaffte? Mary war kein Arzt. Gab es dort, wo wir hinfuhren, Operationstische, Blutreserven? Ich bezweifelte es. Alles wurde schummrig. Die Erkenntnis traf mich nicht unerwartet, aber trotzdem mit aller Härte. Ich würde in diesem Auto sterben. Ida würde sich verwandeln. Sie würde zuerst Sunny und Sam töten, dann jeden, der sich ihr in den Weg stellte. Bevor alle Hunter zusammengekommen waren, um sie zu exzidieren, hatte sie vermutlich den gesamten Distrikt ausgerottet. „Sunny, halt an.“ Sunny fuhr weiter, schien mich nicht mal gehört zu haben. „Sunny“, wiederholte ich, doch Sam unterbrach mich. „Wir halten nicht an, Coon!“, schrie sie und drehte sich auf ihrem Sitz zu mir um. Ihre Augen waren rot und verheult. „Wage es nicht, jetzt aufzugeben. Ich habe dich nicht all diese Jahre ertragen, nur damit du jetzt einen auf Heldentod machen kannst!“ „Sam“, murmelte ich und rollte mich ein kleines Stück auf die Seite, um sie besser sehen zu können. „Es hat … keinen Zweck. Ich werde sterben. Und Ida wird … Ida wird …“ Ich konnte es nicht aussprechen. Ida fing meine herabhängende Hand ein und faltete ihre Finger in meine eigenen. >Ich kann dich endlich anfassen. Nimm mir das nicht weg. „Ida“, flehte ich und drückte ihre Hand so fest, dass es wehtat. „Du bist für mich das wichtigste auf der ganzen Welt. Ich liebe dich, ich liebe dich so sehr. Aber wenn ich sterbe, wirst du dich wieder verlieren und ich kann nicht … ich kann nicht ruhigen Gewissens gehen, wenn ich weiß, was nach meinem Tod passiert. Du musst dich an Sam binden. Sie wird sich gut um dich kümmern, genauso gut wie ich.“ >Nein. „Ida, bitte —“ >Ich kann nicht. „Du hast es schon mal gemacht“, entgegnete ich. „Ganz zu Anfang war dein Vater dein Anker, weißt du nicht mehr? Aber du hast den Fokus gewechselt.“ >Weil ich dich lieb hatte. Weil ich um jeden Preis bei dir bleiben wollte. Ich kann nicht einfach meine Gefühle ändern! „Sie könnte ins Ödland zurückkehren“, schlug Sunny tonlos vor. Er war langsamer geworden, ob es an den engeren Straßen oder der Gewissheit lag, dass ich nicht lebendig ankommen würde, konnte ich nicht sagen. Ida sah mir in die Augen. >Oder ihr exzidiert mich. „Nein“, sagte diesmal ich. „Kommt nicht in Frage.“ „Coon …“, flüsterte Sam und lehnte sich über ihren Sitz zu uns. Tränen rollten ungehemmt ihre Wangen hinab, aber ihre Stimme blieb stark. „Es ist vielleicht die einzige Möglichkeit, die wir haben. Sie wird nicht rechtzeitig ins Ödland zurückkehren. Selbst wenn, sie ist zu stark. Sie hat die Masse von zwei Königen. Ich habe noch nie einen Daemon dieser Größe gesehen.“ „Ihr rührt Ida nicht an!“ Meine Stimme brach, ich musste husten, stöhnte bei dem Schmerz auf, der durch meine Rippen und meinen Rücken schoss. Ich hatte keine Zeit für diese gottverdammten Diskussionen. Mir war schwindelig, und ich war so müde … Mein Blick landete erneut auf Idas tiefgelben Augen. Die Idee traf mich wie ein Blitzschlag. „Ida“, sagte ich leise. „Beiß mich.“ Sie starrte mich an. Schüttelte wie in Trance den Kopf. Ihre Finger krallten sich in meine Hände. >Aber dann wirst du sterben! „Ich sterbe so oder so“, sagte ich, plötzlich mit neuer Kraft. „Außerdem habe ich dir versprochen, bei dir zu bleiben. Ich habe dir versprochen, nicht zu sterben. Wir bleiben zusammen, für immer.“ >Du bist pechschwarz. Ida fuhr mit ihrer freien Hand über mein Haar. >Wenn ich dich beiße, wirst du sofort zu einem Daemon. Ich will das nicht. „Dann darf ich nicht schwarz sein, wenn es geschieht.“ Ich sah zu ihr hinauf. „Hilfst du mir?“ Ida sah mich ausdruckslos an. Dann füllte Härte ihre Augen. >Lass mich rein. Ich öffnete gehorsam den Mund. Ida senkte den Kopf zu mir herab und als würde ein unsichtbarer Sog an ihr ziehen, verschwand sie in mir. Ich spürte sofort, was sie vorhatte. Sie ließ meinen Körper in Ruhe, konzentrierte sich nur auf meine Erinnerungen und Gefühle, meine Vergangenheit. Zum ersten Mal in meinem Leben ließ ich sie in jede Ecke, jeden Winkel. Ida war gnadenlos. „… du fühlst dich schuldig …“ Ihre dunklen Finger förderten Erinnerungen zu Tage, Lorene, Ida selbst, wie sie tot in meinen Armen lag, Daniel, Andrew nach meiner Zurückweisung seiner Gefühle, Rocks Stimme am Telefon, nachdem ich seine Anweisungen missachtet und Zerstörung auf Distrikt 16 heraufbeschworen hatte, Sunnys Anschuldigungen im Büro des Jack-Verleihs. „… du bist nicht verantwortlich dafür, was andere menschen und daemonen tun …“, erklärte Ida mit eindringlicher Stimme, die an meinen Schädelwänden widerzuhallen schien. „… ein daemon hat mich und lorene gebissen, nicht du. schwäche ist kein verbrechen. daniel wurde von seinem vater getötet, nicht von dir. es ging zu schnell, du hättest nichts mehr für ihn tun können. rock gibt dir die schuld für den daemonenangriff, aber es war elias, der ihn in die wege geleitet und uns benutzt hat. wenn du schuld bist, dann auch ich. lass los, coon …“ Ich versuchte es. Gott, ich versuchte es. Ida und Sunny hatten mir bereits meine Fehler vergeben. Es war nicht fair, ihre Worte abzuschütteln und mich stattdessen in Selbstmitleid zu suhlen. Aber Chris hatte mir Lorenes Tod nie vergeben. Rock war in seiner Schuldzuweisung ebenfalls sehr deutlich gewesen, und ich wusste, dass er Recht hatte. Ich konnte nicht aufhören, mir deswegen Vorwürfe zu machen. Je länger sich meine Gedanken in diesen Bahnen drehten, desto unruhiger wurde ich. Was, wenn ich es nicht schaffte, rechtzeitig grau zu werden? Würde es meine Schuld sein, wenn Ida sich verwandelte, wenn ich zu einem Daemon wurde? „… coon …“ Es tut mir leid. In meinem echten Körper kniff ich die Augen zusammen. Ich weinte, aber ich wollte nicht, dass sie oder Sam es sahen. Es war schlimm genug, dass ich sterben würde. Alles fühlte sich unwirklich an. Wir haben keine Zeit mehr, dachte ich. Ich halte nicht mehr lange durch. Du musst es jetzt tun, Ida. „… aber du bist noch genauso schwarz wie vorher! …“ Ich kriege das hin, dachte ich fieberhaft. Vertrau mir, Ida. Ich habe es dir versprochen, oder? Plötzlich stand Ida vor mir in Gedanken, pechschwarz und mit ausgebreiteten Armen. Ich stellte mir vor, wie ich zu ihr ging und sie in eine Umarmung zog. Es fühlte sich fast echt an. Etwas sagte mir, dass mein Körper bewusstlos war. Sam würde glauben, ich sei schon tot. Vielleicht schrie sie mich in diesem Moment an, ich solle aufwachen. Sunny würde den Wagen angehalten haben. Schick die beiden weg, flüsterte ich in Idas Ohr. Und falls ich mich doch verwandeln sollte … ich habe dich so unendlich lieb, Ida. Sie schniefte und presste ihre Nase gegen meinen Bauch. „… ich dich auch, coon. mehr als alles andere …“ Dann verschwand sie aus meinem Geist. Es ist nicht meine Schuld. Ich zwang mich, diesen Gedanken zu wiederholen, bis er wie ein Strudel in meinem Kopf wurde. Ich stellte mir vor, wie er alle negativen Gefühle mit sich riss und aus mir verbannte. Aber wann immer ich mich bereit fühlte, die Schuld abzuschütteln, tauchte vor meinem geistigen Auge das Bild eines der toten Hunter auf der Grenzmauer oder in den Straßen auf. Ich wollte nur Ida beschützen, dachte ich fieberhaft. Ich wollte nur Elias ausschalten, bevor es zu spät ist. Ich wollte nur … ich wollte nur diejenigen beschützen, die ich liebe. Stille legte sich über meine Gedanken. Abwesend spürte ich Zähne, die sich in meinen Hals bohrten, hörte das Echo von Idas letzten Worten, fern, so fern … >Komm zu mir zurück. Dasselbe, was ich zu ihr gesagt hatte, kurz bevor sie die Kontrolle zu verlieren drohte. Ich hatte nichts Böses gewollt. Ich hatte nur beschützt, was ich liebte. Ida war zurück. Ich hatte Ida zurückgeholt. Ich hatte Schlimmeres verhindert. Ida war zurück. Ida war … zurück … Sie … war … Mein Herz schlug einmal, zweimal. Ein letztes, verzweifeltes Zusammenziehen, bevor das Gift es durchflutete und lähmte. Bevor es stillstand.               Bevor ich starb.         Ich fühlte nichts. War leer, losgelöst. Ich entstieg mir selbst. Öffnete die Augen. Ich saß auf der Straße, neben dem blauen Jeep. Ida kniete vor mir, schwarz wie die tiefste Nacht, ihre Augen leuchtende Monde. >Coon? Vorsichtig senkte ich den Kopf und sah auf meine Hände herab. Ich war dunkel. Fast schwarz. Aber die weiße Verbindung zwischen uns bestand noch. ~Ich wollte dich nur beschützen. Meine Stimme brach und ich streckte meine Arme nach ihr aus. ~Und das habe ich getan. Bei meinen Worten zerfloss die Dunkelheit und ließ mich mausgrau zurück. Sie fiel in meine Umarmung und hielt mich so fest umklammert, dass mein echter Körper vermutlich zerbrochen wäre. Ich hatte Fehler gemacht. Aber ich war nicht für das Schicksal der Welt verantwortlich. Nur für Ida. Und zumindest sie hatte ich nicht im Stich gelassen. „Oh Gott, Coon.“ Ich hob den Kopf und sah zu Sam hinüber, die mit einer Hand vor dem Mund an den Wagen gelehnt stand und nach Luft schnappte, so als hätte sie eine Panikattacke. Sunny sah in meine ungefähre Richtung. „Hat es geklappt?“, fragte er ängstlich. „Ist sie hier?“ Natürlich. Sunny besaß weder die Sicht, noch trug er Sichtlinsen. Sam nickte stumm und kramte ein Paar Linsen aus ihrem Mantel. Kaum, dass er sie eingesetzt hatte, erstarrte Sunny. Er sank auf den Boden herab. „Du bist hier“, flüsterte er. „Ich dachte … ich dachte, du wärst für immer fort.“ Zwinkernd sah ich zu Sam. ~Es gibt da noch eine Hochzeit, auf der ich als Trauzeugin erwartet werde. Sam schluchzte auf und fiel mir um den Hals, heulend und halb in mir versinkend. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Kopfschüttelnd sah ich an meinen beiden Anhängseln vorbei auf meinen Leichnam hinab. Ich sah mitgenommen aus, Gesicht blutleer, Hände voller Schrammen, die Jacke getränkt mit Blut. Die Wunden, aus denen Ida die Steinsplitter gezogen hatte, sahen aus der Nähe grausam aus. Ich schluckte. Tot. Ich war tot. Das durfte ich nicht vergessen. Mein Blick fiel auf Ida herab, die sich weigerte, mich loszulassen. Ich zog sie fester an mich. Lächelte. Es gab schlimmere Schicksale, als zu sterben.       Acht Monate später …   Sam trug ein cremeweißes Brautkleid, das ihre weiten Hüften umspielte und ihre Taille betonte. Ihr blonder Lockenschopf war kunstvoll hochgesteckt. Henny war in einen schneeweißen Hosenanzug gekleidet, ihre Augen dramatisch geschminkt. An ihren Fingern blitzten die filigran verwobenen Goldringe, die sie zusammen ausgesucht hatten. In der ersten Reihe, bei Sams und Hennys Eltern, saß Sunny in einem dunkelblauen Anzug. Er war an meiner statt als Sams Trauzeuge erschienen. Mein Tod hatte die beiden eng zusammengeschweißt, obwohl wir uns regelmäßig zum Kartenspielen und Quatschen trafen. Ich selbst saß in der zweitvordersten Reihe des Saales, in dem die Trauung stattfand, Ida dicht an meiner Seite. Licht fiel in breiten Streifen durch die hohen Glasfenster zu beiden Seiten und füllte den Raum mit Gold. Unsere Sitze waren mit Kärtchen reserviert worden. In Gedenken an Raccoon Thynlee und Ida Clark, treue Freunde bis zum Schluss. In Anbetracht der Tatsache, dass meine Beerdigung viele Monate zurücklag und nur eine Handvoll Menschen wusste, dass ich als Dae weiterexistierte, war es die einfachste Lösung. Auf der erhöhten Plattform zog Henny Sam zu sich, hob ihren Spitzenschleier zur Seite und küsste sie grinsend auf die Nase, bevor Sam sie kurzerhand am Hinterkopf packte, herabzog und ihre Lippen mit den eigenen verschloss. Der Saal brach ich tosenden Beifall und Pfiffe aus, allen voran Rock und Mary, die eine Reihe vor uns gleich neben Sams Eltern und Familie saßen. Mary trug Rosie in ein Tuch um die Brust gewickelt; das kleine braune Mädchen mit den pechschwarzen Locken lugte über ihre Schulter hinweg zu uns und lachte glucksend, wann immer Ida ihr schüchtern zuwinkte. Ihre Sicht war natürlich. Lächelnd sah ich die Kleine an. Es würde mich nicht wundern, wenn sie genau wie ich in der Lage war, Daemonenspuren zu sehen. Bei Rocks Anblick sank meine gute Stimmung ein wenig. Ich ließ die Hände sinken, versuchte, nur auf Sam und Henny zu schauen, die es nicht schafften, sich voneinander zu lösen. „Er kriegt sich schon wieder ein, totes Äuglein“, murmelte Paige zu meiner Linken und lehnte sich unauffällig in meine Richtung. „Gib ihm noch ein paar Monate Zeit, dann ist alles wieder beim Alten.“ Ich schnaubte. ~Acht Monate reichen ihm nicht? „Er ist ein Sturkopf, genau wie du.“ Paige ächzte, als sie sich noch weiter zu mir lehnte. „Mary wird ihn schon zurechtstutzen. Du bist immerhin Rosies Patin.“ ~Ich fühle mich nicht so. „Wer fühlt sich schon je irgendwie.“ Sie schielte zu mir. „Euer Plan steht?“ Nickend strich ich über Idas Kopf. Mein Arm, weiß wie Milch, färbte sich zum Handgelenk hin dunkler, wo meine rabenschwarze Hand einen Kontrast bildete. Es hatte mich ein halbes Jahr, Williams Trick zu erlernen, aber jetzt konnte ich zumindest wieder meine Hände benutzen, auch wenn ich die Fähigkeit noch nicht perfekt beherrschte. ~Wir reisen morgen früh ab. Paige nickte abwesend. „Takeo wird dich vermissen. Also, nicht dich persönlich. Er mag dich immer noch nicht sonderlich, aber er hat nur Positives über deine Fähigkeiten zu berichten, und der Junge ist nicht zimperlich mit Kritik. Ihr habt ihm ganz schön beim Aufräumen geholfen.“ ~Und Andrew? „Gebrochene Herzen heilen nicht über Nacht, wie du sicher weißt, schon gar nicht, nachdem du so ein kolossales Debakel hervorgerufen hast, aber sie heilen. Mach dir wegen dem Jungspund keine Sorgen.“ >Ich vermisse ihn. Ida sah zu mir hoch. >Können wir ihn nicht mitnehmen? Traurig schüttelte ich den Kopf. ~Er würde nicht mitkommen wollen. Außerdem ist es im Ödland zu gefährlich. Wir wollen Distrikt 15 wieder bewohnbar machen. Da können wir keine Ablenkung gebrauchen, schon gar nicht, wenn wir die nächsten Monate dort verbringen. Sie schmollte, nickte aber und sah zurück zu Sam und Henny, die nun Arm in Arm vom Plateau stiegen und durch die Sitzreihen liefen. Der Rest der Versammlung erhob sich ebenfalls, laut redend und hungrig auf die angekündigte Hochzeitstorte, die Mary den beiden geschenkt hatte. Ich hatte erwartet, dass Paige uns gehen lassen würde, sobald wir den Saal hinter uns gelassen hatten, aber sie heftete sich an unsere Fersen. „Ich habe da noch einige Fragen“, gestand sie, als wir etwas abseits der Festlichkeiten in einem Flur stehenblieben. Obwohl der Großteil der Anwesenden uns nicht sehen konnte, lief niemand in uns hinein, so als strahlten wir eine Aura aus, der sich niemand nähern wollte. Grinsend verschränkte ich die Arme. ~Schieß los. „Takeo hat mir zwar beschrieben, wie ihr beide jetzt kämpft, aber ich kann es mir nicht ganz vorstellen.“ >Coon bildet mich zur Hunterin aus! ~Sie frisst die meisten Daemonen, aber ich bringe ihr nach und nach die Schlüssel und Muster bei. Sie kann nicht mehr weiß werden, aber dafür ist sie praktisch unbesiegbar. Ich mache eigentlich nur die Kleinarbeit. >Gar nicht wahr! ~Wohl war. Sie kann Menschen besitzen, ich nicht. Aber dafür kann ich an guten Tagen fliegen, also sind wir quitt. Paige schüttelte fassungslos den Kopf. „Unfassbar.“ Sie zögerte. „Da ist noch etwas.“ Ich bedeutete ihr, weiterzusprechen. „Ihr zwei seid jetzt euer gegenseitiger Anker, habe ich Recht?“ Ida nickte. „Dann bedeutet das also, dass ihr nicht sterben könnt, solange ihr nicht von anderen Daemonen gefressen werdet. Wie kommt ihr mit diesem Wissen klar?“ Ida und ich tauschten einen Blick. >Darüber haben wir noch nicht nachgedacht. ~Wir werden die Daemonen ausrotten. Was danach kommt … wer weiß. Wenn es uns wirklich einmal zu langweilig wird, die Welt von Daemonen zu befreien, können wir es immer beenden. >Gemeinsam. Lächelnd zog ich Ida an mich, pechschwarz wie am Tag meines Todes. ~Gemeinsam.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)