True Heart von yamimaru ================================================================================ Kapitel 2: ----------- „Das ist unglaublich.“ Langsam ging sie auf die kreisförmige Einbuchtung im Felsboden zu, in der bestimmt zwei Dutzend graue Gebilde lagen. Was sie anfangs noch für Steine gehalten hatte, entpuppte sich im blauen Schein der Bewahrer, die sich an die Höhlendecke zurückgezogen hatten, tatsächlich als Eier. „Das fasse ich einfach nicht.“ Fasziniert ging sie immer näher auf das steinerne Nest zu, kniete sich schließlich davor und streckte eine vor Aufregung zitternde Hand nach einem der Ovale aus. „Der Schmied hatte tatsächlich recht, es gibt sie wirklich.“ Die Schale war unerwartet rau unter ihren Fingerspitzen und fühlte sich mehr wie der sie umgebende Fels an, was sie skeptisch die Stirn runzeln ließ. Gut, es war nun nicht so, dass sie wusste, wie Dracheneier auszusehen oder gar, wie sie sich anzufühlen hatten, aber irgendwie hatte sie sich diese doch etwas … lebendiger vorgestellt. „Hoffentlich bist du noch frisch genug“, murmelte sie leise und hob das Ei an. Es war so lang wie ihr Unterarm und so breit, dass sie es nur mit beiden Händen umfassen konnte. Fest presste sie es gegen ihren Oberkörper, um es ja nicht fallen zu lassen, weil es doch schwerer war, als sie gedacht hatte. Erneut betrachtete sie es, ließ ihre Fingerspitzen über die zerklüftete Oberfläche streichen. Es war schwer wie ein Stein, sah aus wie einer, fühlte sich auch genauso an und doch sagte ihr irgendetwas in ihrem Inneren, dass sie tatsächlich gefunden hatte, wonach sie so verzweifelt gesucht hatte. Beinahe fühlte es sich so an, als würde das Ei vibrieren und ein hohes Summen lag in ihren Ohren, das jedoch vermutlich nur von der Erschöpfung herrührte, die nun mit aller Macht erneut über sie hereinbrechen wollte. „Leg sofort das Ei zurück!“ Dianas Herz setzte für einen Moment aus, bevor es in wildem, fast schmerzhaftem Tempo weiterschlug. Vermutlich hätte sie geschrien und die Flucht ergriffen, hätte ihr die Angst nicht die Kehle zugeschnürt und die Panik ihre Glieder gelähmt. „Ich sagte, leg es zurück!“ Hektisch huschten ihre Augen umher, versuchten im vorherrschenden Dämmerlicht mehr als nur die Schatten zu erkennen, die mit jeder verstreichenden Sekunde bedrohlicher wirkten. Unbewusst hielt sie das Ei noch immer fest gegen ihre Brust gedrückt, statt es einfach fallen zu lassen und somit der Aufforderung dieser unheimlich zischenden Stimme nachzukommen. „Ich … es tut mir leid, ich wollte nicht …“, stammelte sie und schrie nun doch auf, als sich plötzlich ein gigantischer Schemen aus den Schatten schälte. „Was wolltest du nicht? In mein Reich eindringen? Meine Nachkommen vernichten? Was … Mensch?“ Diana glaubte, den Umriss ihres totenbleichen Gesichts in den feuerroten Augen erkennen zu können, als der Kopf des dunklen Wesens ihr so nah kam, dass sie seinen heißen Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte. „Ich …“ „Leg es zurück, sofort!“ Wimmernd kniff sie die Augen zusammen und presste das Ei nur noch stärker an sich. „Ich kann nicht. Bitte, es tut mir leid, aber ich brauche es doch.“ Diana schrie auf, als sie plötzlich ein harter Schlag gegen ihre Seite zu Boden warf und rollte sich zitternd zusammen. Die Hitze, die von dem unheimlichen Geschöpf ausging, war genau über ihr und sie konnte den Fels knirschen hören, als sich lange Klauen in ihn gruben. Oh Gott, sie würde sterben, der Drache, denn nichts anderes konnte diese Kreatur sein, würde sie fressen und ihre Mutter würde ihrem Leiden erliegen, weil sie versagt hatte. „Bitte, ich flehe dich an, ich brauche dieses Ei. Meine Mutter … sie ist schwer krank und … sie ist doch die einzige Familie, die ich noch habe.“ Die Drachin musterte die zierliche Menschenfrau, die es gewagt hatte in ihr Reich einzudringen, aus schmalen Augen. Wie jämmerlich sie doch aussah, mit ihrem zerschlissenen Gewand und den vielen kleineren Verletzungen, die den metallischen Geruch von Blut mit sich brachten. Sie schnaubte und fixierte die blassgrünen Augen, die seltsam unfokussiert schienen, auch wenn sie die Angst in ihnen nur zu deutlich erkennen konnte. „Du erwartest also, dass ich einen der Meinen opfere, nur um einen der Deinen zu retten?“ Diana erstarrte. Nicht, weil die Drachin ihr noch näher gekommen war und das schwarze Echsengesicht nun ihr komplettes Blickfeld einnahm, sondern weil die Worte sie schockierten. „Daran … habe ich nicht gedacht.“ Ihre Stimme war kaum zu hören und ihre Augen füllten sich mit Tränen, als ihr bewusst wurde, was sie ohne zu überlegen beinahe getan hätte. Sie hätte einer Mutter ihr Kind geraubt, nur um ihre eigene Mutter zu retten. „Es tut mir leid.“ Die Verzweiflung legte sich wie Blei in ihren Magen und so zuckte sie nicht einmal zusammen, als das Geschöpf eine klauenbewehrte Pranke hob. „Ich sollte dich töten“, zischte sie, aber statt ihr den Garaus zu machen, berührten die Klauen sie nur ganz leicht an der Brust, als sie das Ei wieder an sich nahm und behutsam zurück ins Nest legte. Warme Luft kitzelte über ihren Körper, als die große Echse schnaubte und sie dann mit schief gelegtem Kopf ansah. „Naives Kind. Wie kommst du überhaupt auf den Gedanken, meine Nachkommen könnten deiner Mutter helfen?“ Dianas Augen, die bis eben noch blicklos ins Nichts gestarrt hatten, während die Tränen langsam an ihren Wangen herabrannen und in ihrem Haar verschwanden, richteten sich nun wieder auf die Drachin und weiteten sich verwundert, als sich das stattliche Wesen auf die Hinterläufe hockte und sie beinahe interessiert musterte. „Ich …“, stammelte sie und traute sich sogar, sich langsam wieder aufzurichten, bis sie schließlich vor ihrem Gegenüber saß und sich die schmerzende Seite hielt. „Ich dachte, du wolltest …“ „Ich sagte, ich sollte dich töten, nicht dass ich will. Ich bin des Tötens so überdrüssig.“ Die Drachin seufzte und ihre nächsten Worte waren so leise gesprochen, dass Diana glaubte, sie seien gar nicht für ihre Ohren bestimmt. „Ich sollte wohl endlich aufgeben, die Zeit ist ohnehin bald abgelaufen.“ Für einen langen Moment schwiegen sie beide, dann hielten sie die roten Augen erneut gefangen. „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Mensch.“ „Der alte Brennan – er ist Schmied in unserem Dorf – hat mir davon erzählt, dass Dracheneier jedes Leiden heilen können.“ Wieder wurden ihre Augen feucht, als sie an ihre Mutter denken musste, die von Tag zu Tag schwächer wurde. „Aberglaube und Ammenmärchen, was hatte ich auch erwartet? Ihr Menschen werdet euch nie ändern.“ „Ich will ihr doch nur helfen, würdest du denn nicht dasselbe tun?“ Der Blick der Drachin flackerte für einen Moment zum Nest hinüber, richtete sich nachdenklich auf ihr Gelege, bevor ein lautes Schnauben von den Höhlenwänden widerhallte. Langsam erhob sie sich und obwohl Diana reflexartig zusammenzuckte und sich kleiner machte, hatte sie gleichzeitig das Gefühl das dunkle Wesen würde sich absichtlich mit Bedacht bewegen, um weniger bedrohlich zu wirken. „Folge mir“, grollte die durchdringende Stimme einen Augenblick später und Diana hob ruckartig den Kopf, während sich ihr Mund in schierem Unglauben öffnete. Sie hatte nicht mit einer Antwort auf ihre Frage gerechnet, allerdings auch nicht mit dem verständnisvollen Unterton, den sie plötzlich aus diesen wenigen Worten herauszuhören glaubte. „Nun komm schon, du denkst ja wohl nicht, dass ich dich hier lasse.“ So schnell sie konnte rappelte sie sich auf und eilte der großen Echse hinterher, die sich ungeduldig in Bewegung gesetzt hatte. Für einen Sekundenbruchteil spielte sie mit dem Gedanken in die entgegengesetzte Richtung zu fliehen, vielleicht wäre das Überraschungsmoment auf ihrer Seite und sie würde sich in den zahllosen Gängen hier verstecken können. Aber was dann? Vermutlich konnte sie nicht damit rechnen, dass die Bewahrer erneut als ihre Lichtquelle fungieren würden und ohne Licht wäre sie hier endgültig verloren. Dann zog sie doch die Gesellschaft der Drachin vor, die wenigstens einen schnellen Tod mit sich bringen würde. Mit diesen morbiden Gedanken ließ sie das Nest und die Helligkeit hinter sich, um ihrer unfreiwilligen Gastgeberin tiefer in die Höhle zu folgen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)