Summer of '99 von sallysoul_fiction (Die Herren des Todes) ================================================================================ Kapitel 10: Das Zimmer ohne Bett -------------------------------- Als Albus am Abend vor der Tür des Nachbarhauses stand, mit einer Ausgabe der Märchen von Beedle dem Barden unter dem Arm, überlegte er, ob der Vordereingang wirklich eine gute Idee war. Gellert hatte dieses Problem durch seinen direkten Fenstereinstieg gelöst, aber Albus war einfach kein Kletterer und hatte auch keine große Lust, sich mit irgendeinem Rankenzauber hinaufzuhelfen. Viel mehr reizte ihn der Gedanke, das Haus durch die Eingangstür zu betreten, wie ein ganz normaler Besuch und doch auf dem Weg zu einem geheimen Treffen. Sein Herz klopfte schneller, als er die Tür berührte – und feststellte, dass sie nur angelehnt war. Dieser Hund kann mich schon viel zu gut einschätzen für die kurze Zeit, die wir uns kennen! Albus trat ein und schlich den Flur entlang zur Wohnstube. Er kannte sich hier aus, denn in den vergangenen Sommerferien war er oft bei Bathilda zum Tee gewesen und hatte mit ihr über die Theorien seiner veröffentlichten Artikel geredet. Er erschrak ein wenig, als er sie sah: Tief schlafend lag sie zurückgesunken auf ihrem niedrigen Diwan, als warte sie auch jetzt auf eine Plauderei mit ihm. Er trat etwas näher und sah auf dem Beistelltisch vor Bathilda ein Teeservice mit einer unberührten und einer leeren Tasse. In Letzterer erkannte er einen zusammengerollten Zettel. Erschrocken von dieser Dreistigkeit sprang er vor und schnappte sich das Pergament. Darauf stand in den bekannten, ungelenken Buchstaben: Wenn Bathilda Bagshot diese Nachricht liest, soll sie bitt‘schön Albus Dumbledore ausrichten, dass er ein elendiger Zaubertrank-Pfuscher ist. Al, wenn du das bist: Was stehst’ da noch, du Damischer? Du sollst hinauf in meine Kammer, nicht etwa in den Tod! Albus verdrehte die Augen und steckte den Zettel ein. Diese Nachricht zu hinterlassen, war eine gewagte Dummheit von Gellert gewesen und – er wusste es sehr wohl zu deuten – eine Herausforderung seiner Zaubertrankkunst! Na warte …! Albus fühlte sich wie magnetisch von der engen hölzernen Treppe angezogen, die in einer Linkskurve hinauf zum oberen Stockwerk führte. Die Stufen nahm er fast überhastig und fühlte eine Vorfreude in sich aufsteigen, die kaum zu bändigen war. Oben am Absatz wandte er sich nach links und sah neben einem niedrigen Feldbett eine verschlossene Tür, durch deren Schlüsselloch fahles, blaues Licht strömte. Er zückte seinen Zauberstab, folgte dem Schein und wollte gerade zum Türknauf greifen, als er das Zischen eines Zaubers hörte. Die Tür schwang auf und gab den Blick auf einen niedrigen Sessel frei. Darin saß Gellert Grindelwald, gekleidet in ein dunkelblaues Hemd und lederne schwarze Hosen, das rechte Bein lässig übergeschlagen, und lächelte ihm herausfordernd entgegen. In der einen Hand, die auf seinem Schoß ruhte, hielt er eine Kristallkugel, die andere zeigte mit erhobenem Zauberstab auf Albus. „So durchschaubar“, sagte Gellert mit Blick auf die Angriffshaltung seines Gegenübers. „Ist das vielleicht eine Art, sein’ Gastgeber zu begrüßen?“ „Tja, wenn er seinem Gast hinterherspioniert …“, entgegnete Albus, der die Umrisse des Wohnzimmers in der Kugel erkannt hatte. „Ich musst’ einfach dein deppertes Gesicht sehen, wenn du meine Nachricht entdeckst“, sagte Gellert grinsend. Er stieß die Kugel an und sie schwebte in den Raum, wobei sie den Moment, als Albus fast panisch nach dem Zettel in Bathildas Tasse gegriffen hatte, wieder und wieder zeigte. „Ein ziemlich ungenaues Spielzeug für einen so detailversessenen Menschen wie dich“, sagte Albus und merkte, dass seine Wangen glühten. „Mitnichten“, sagte Gellert. Er stand elegant auf und näherte sich Albus. „Ungenau wird’s nur, wemma auf das schaut, was vor ein’m liegt. Die unmittelbare Vergangenheit und Gegenwart san völlig klar. Und wenn mal ein Gedanke stört …“ Er setzte seinen Zauberstab an die Schläfe und zog einen silbrig-blauen Faden heraus, der sich nervös kräuselte. Einen Moment hielt er ihn in der Luft, wie ein Dompteur und ließ ihn dann in der Kugel versinken. Aberforth und seine neuen Ziegen erschienen für einen Moment im Inneren und wurden sogleich von dichtem Nebel verschluckt. „Ziegen also?“, kommentierte Gellert trocken. „Frag nicht“, seufzte Albus. Mit Blick auf die Kugel fügte er hinzu: „Dafür könnte ich sie tatsächlich auch gebrauchen.“ „Nun, sei mein Gast“, meinte Gellert und ließ die Kugel näher zu Albus schweben. „Musst nur wissen, dass so eine Kugel die Erinnerungen nicht wirklich speichert. Sie wer’n vom Nebel verschluckt, und wemma Glück hat, tauchen’s irgendwann wieder auf.“ „Wenn man Pech hat“, korrigierte Albus und setzte den Zauberstab an. Er wollte die Erinnerung an die Ziegen entfernen wie eine unangenehme Zecke, aber ein Teil seiner Auseinandersetzung mit Aberforth wanderte mit in den Gedankenstrahl. Als ihre beiden von Wut verzerrten Gesichter im Nebel der Kugel verschwanden atmete er erleichtert auf. „Besser?“, fragte Gellert. Er nickte und sah zu, wie die Kugel zu einem Sockel hinüberschwebte, der auf einem Beistelltisch neben dem Sessel stand. Dann erlaubte sich Albus einen genaueren Blick auf das Zimmer: Gellerts Möbel waren, das ließ sich unschwer erkennen, von Bathilda Bagshot übernommen. Zum Beispiel die kleine Kommode mit Schminkspiegel, die rechts neben dem Beistelltisch an der Wand stand. Doch Gellert nutzte dieses offensichtlich feminine Möbelstück als Aufbewahrungsort für allerlei Tinkturen und rätselhafte Schatullen. Rechts davon befand sich ein Fenster, das den Blick auf Albus’ Elternhaus freigab. Das schwindende Abendlicht wurde im Zimmer durch zahlreiche schwarze Kerzen, die mit bläulicher Flamme brannten, verfremdet. Einige davon schwebten um einen geschwungenen Sekretär rechts vom Fester, auf dem sich Landkarten und Briefe türmten. Weiter rechts an der Seite, von der aus er das Zimmer betreten hatte, meinte Albus aus dem Augenwinkel einen hohen schwarzen Schrank zu erkennen. An den übrigen Wänden befanden sich Regale voll schwerer Magie- und Geschichtsbücher. Darüber hingen zahlreiche Fotos von Familienmitgliedern, die sich bewegten, doch jemand hatte ihnen allen Augenbinden verpasst oder Sternkarten mit rätselhaften Notizen darüber aufgehängt. Albus fühlte sich wie im Zimmer eines vielgereisten Alchemisten. Etwas ganz Entscheidendes fehlte aber. Er hat kein Bett, dachte Albus und überlegte, wie er das möglichst unverfänglich ansprechen sollte. „Ich hab’ etwas über die Heiligtümer mitgebracht“, sagte er, um etwas Zeit zu gewinnen und legte die Märchen von Beedle dem Barden auf der Schminkkommode neben dem Fenster ab. „Alte Runen?“, fragte die schwingende Stimme nahe an seinem Ohr. Gellert war ihm zur Ablage gefolgt. „Ja“, sagte Albus und strich über den Einband des alten Buchs. „Darin bin ich alles andre als fließend …“ Seine Lippen hauchten einen sanften Kuss hinter Albus’ Ohr und erzeugten kräuselnde Kaskaden auf der Haut. Albus seufzte leicht und bemühte sich, seine Stimme sarkastisch klingen zu lassen: „Heute keine Duell-Runde?“ Gellert vergrub seine Nase in Albus’ Haaransatz und brummte: „Naa, heute nicht. Weißt, vielleicht solltest eh erst einmal dein’ Eröffnungszauber inan Griff kriegen …“ „Ist – ist dir das etwa aufgefallen?“, fragte Albus und drehte sich um. Gellert war sichtlich enttäuscht, in seinem Nacken-Verführungsspiel gestört worden zu sein, doch nach einem leisen Schnauben erwiderte er. „Du hatt’st dich so gebrüstet mit dein’ Duellfähigkeiten. Da war’s schon seltsam … dass du kein’ Schimmer hattest, wie du beginnen solltest.“ Albus nickte. „Ich habe … hatte einen großartigen Eröffnungszauber. Aber es ist wichtig, dass man dafür etwas Wunderbares empfinden kann, und ich war in letzter Zeit innerlich einfach taub …“ Gellert schien zu begreifen. „Und nun?“ „Aberforth hat heute gesagt, ich kann für niemanden etwas empfinden. Aber … ich denke er hat Unrecht“, sagte Albus bestimmt. Gellert trat zurück und sah ihn erwartungsvoll an. „Soll ich mich verteidigen?“ „Das … wird nicht möglich sein“, sagte Albus und sammelte Energie für den Zauber, wobei er nach einem positiven, wunderbaren Gedanken suchte, der alles in den Schatten stellte. Dann sah er gerade aus zu Gellert und merkte, dass es überraschend einfach war. „Expecto Patronum!“, sagte er mit fester Stimme und schwang den Zauberstab in einem großen Bogen über dem Kopf. Helles Licht schoss aus der Spitze zur Zimmerdecke empor, kräuselte sich und nahm die Gestalt eines prachtvollen Phönix’ an. Ein überraschtes Lachen drang aus Albus’ Kehle, als ihm der Wind von den mächtigen Schwingen des Patronus’ durchs Haar fuhr. Der prächtige Vögel umkreiste das Zimmer, streifte ihn und Gellert – und dann erklang der magische, wunderschöne Gesang des Phönix’. Albus spürte, wie sein Herz bei diesen vertrauten Klängen einen Hüpfer machte. Er konnte es wieder! Voller Begeisterung sah er zu Gellert, eigentlich in der Erwartung, dass dieser nun wie seine ehemaligen Duellgegner in Ehrfurcht erstarren würde. Doch das war nicht der Fall, vielmehr schien Gellerts Blick elektrisiert, als durchströmte ihn das gleiche Hochgefühl – oder war es unverhohlene Lust? „Das ist ja der Wahnsinn“, hauchte Gellert und zog Albus zu sich heran. „Sag bloß, dieser Phönixgesang macht dich scharf!“ „Macht mich …? Ich könnt’ dich auf der Stelle …“ Gellert beendete seinen Satz nicht, sondern packte Albus an der Weste und drückte ihn rücklinks an die Kommode mit dem Spiegel. Dann stützte er beide Hände auf die Holzplatte, sodass Albus zwischen seinen Armen und der Kommode fixiert war. Ihre Gesichter waren nur noch einen Finger breit voneinander entfernt, und sie beide atmeten heftig, berauscht vom Gesang des Phönix’. „Eigentlich“, sagte Albus mit belegter Stimme, „sollen Phönixe den Gegner einschüchtern.“ „Vielleicht bin ich ja kein Gegner“, raunte Gellert. „Oder aber der schlimmste Gegner, den dir vorstell’n kannst.“ Albus umschlang Gellerts Nacken und zog ihn zu sich. Sie küssten sich heftig, rissen an ihrer Kleidung, und wilde Lust ergriff sie beide. Jetzt war der Moment gekommen, ihr Versprechen aus dem Schatten der Friedhofskirche einzulösen! Albus streifte Gellerts Hemd beiseite und machte sich gerade am Bund der ledernen Hose zu schaffen, als dessen Arme ihn packten und wieder bäuchlings gegen die Kommode drehten. Er spürte Gellerts Finger an seiner Wirbelsäule hinabwandern und stöhnte auf. Dann glitt ihm der Zauberstab aus der Hand, und der Patronus erlosch. Wenig später lagen sie beide am Boden auf ein paar großen Kissen, die Gellert beschworen hatte, und rangen nach Atem. Albus betrachte sein Hemd, das aufgeknöpft an seinem rechten Arm hing wie ein seltsames Relikt. Er zupfte daran und lachte kopfschüttelnd. „Was hast denn?“, fragte Gellert und fuhr sich durch das zerzauste Haar. „Ich hatte was anderes erwartet“, sagte Albus immer noch leicht keuchend. „Naa, das glaub’ ich dir nicht!“ „Nun, ich dachte, dass ich meine Kleidung loswerden würde … und ein Bett kam in meiner Vorstellung auch vor.“ „Wie ma’ sich doch täuschen kann“, sagte Gellert. Er hatte seinen Zauberstab unter den Kissen hervorgeholt und rief: „Accio Zeitspion!“ Aus einer Schublade der Kommode flog ein schimmernder Gegenstand herbei, und als Gellert die seltsame Apparatur an sein rechtes Auge hielt, erkannte Albus, dass es ein uralter Sextant war. Einer, wie ihn die Seefahrer an der Küste benutzten. „Zeitspion?“, fragte er verwundert. „Korrekt“, sagte Gellert und bewegte den Messbogen unterhalb des Fernglases langsam rückwärts. „Leider kein Zeitumkehrer, mit diesem hier man kann lediglich zurückschauen. Schon traurig, denn was nütztes ei’m, wemma die Vergangenheit sehen, aber nicht ändern kann? In Ausnahmefällen allerdings … hatt’s sein’ Reiz.“ „Moment mal!“, rief Albus empört, als im klar wurde, dass Gellert die Kommode anvisiert hatte. „Siehst du dir das etwa noch mal an?“ Gellert grinste. „Sieht nach Spaß aus …“ „Hör sofort auf damit!“, rief Albus und entriss ihm den Zeitspion. „Allein, dass wir diesen Spiegel direkt vor uns hatten …“ „Ah ge, das fandst’ doch genauso gut wie ich!“ Albus musste schmunzeln. Gellert haschte nach dem Sextanten, aber Albus hielt ihn außer Reichweite, sodass Gellert ihn zu sich heranziehen musste, um sein magisches Spielzeug zurückzubekommen. Sie lachten beide und küssten sich erneut, doch dieses Mal sanfter, ja zärtlich. Albus fühlte ein seltsames Flattern in der Brust, als sie in ihrer Umarmung in die Kissen zurücksanken. Es war ein wenig wie Aufregung, Euphorie – und doch ganz anders. Verwirrt betrachtete er Gellerts Gesicht, diesen Blick, der ihn ins Ungewisse zu ziehen schien, und hatte dabei das Gefühl, zu taumeln und in der Dunkelheit zu tasten mit dem Wunsch nach Geborgenheit – Er erschrak vor sich selbst und schubste Gellert weg. „Ha, ganz schön gefühlsduselig heute! Nächstes Mal nehmen wir lieber wieder den Sensus-Zauber, was?“ Gellert sah ihn verwirrt an. Albus setzte nach: „Glaubst du, ich erkenn‘ deine Taktik nicht? Du wolltest mir eigentlich was von deiner Familie erzählen, Gellert!“ Ein verletzter Ausdruck huschte über Gellerts Gesicht, doch dann besann er sich und meinte kühl: „Also gut, keine Ablenkung mehr für den Herrn Dumbledore. Mach’ er sich bereit für eine Reihe düsterer Geheimnisse!“ Gellert stand auf und lief zum Schrank neben dem Bett. Als er ihn öffnete, erhaschte Albus einen Blick auf den Inhalt, und ganz wie er vermutet hatte, schien Gellert fast ausschließlich schwarze und dunkelblaue Kleidungsstücke zu besitzen. Der Morgenrock, den er sich nun überstreifte, war allerdings in einem rostroten Farbton gehalten, und ein „D“ prangte links auf der Brust. Als er Albus’ Blick bemerkte, gab er schulterzuckend zu: „Nicht alles an Durmstrang war schlecht, weißt.“ Albus nickte und dachte an seinen Hogwarts-Morgenrock. Aus praktischen Gründen zog er sich nun das Hemd wieder über die Schultern und fischte seine Hose aus dem Kleidungs-Wirrwarr auf dem Boden. Gellert zielte mit dem Zauberstab auf den hinteren Bereich des Schranks und murmelte „Revelio!“ Als er sich wieder auf die Kissen zu Albus setzte, hielt er einen äußerst seltsamen Gegenstand in den Händen: einen Totenschädel, mit abgetrenntem Kiefer, aus dessen Hinterkopf ein langer Schlauch mit einer Art Mundstück wuchs wie bei einer Wasserpfeife. Das Innere des Schädels schien schwach zu leuchten, und auf der Stirn prangte die Zahl 1898. Gellert schloss konzentriert die Augen und setzte das Mundstück an. Als er daran saugte, leuchteten die Augen des Schädels orange-rot auf, und ein brodelndes Geräusch war zu hören. Gellert legte den Kopf in den Nacken und ließ den Rauch langsam mit einem rasselnden Seufzer aus seinem Mund quellen. Albus beobachtete fasziniert, wie sich der Rauch gleich einem Fenster öffnete und den Blick auf eine Reihe von Personen freigab: Männer und Frauen in prächtigen Gewändern, beweglich und doch eingerahmt in geschwungene Bilderrahmen. Ein paar davon bewegten sich und winkten mit strenger, aristokratischer Miene, andere Bilder waren völlig starr, doch sie alle verband ein goldenes, weitverzweigtes Wurzelsystem. Albus erkannte, dass es ein Stammbaum war, allerdings komplexer und weitläufiger als alle, die er jemals zuvor gesehen hatte. Gellert begann zu erzählen: „Magie ist da, wo ich herkomm’, kein wohlgehütetes Geheimnis, sondern eine von den Muggeln gehasste und gefürchtete Kunst. Seit Jahrhundert’n halten s’ die Zaubererschaft im Zwinger, mit einer einfachen Methode: Sie nehmen sich diejenigen, die uns am teuersten san.“ Einige der Frauenbilder traten größer hervor. „Sie verheiraten junge Hexen an Prinzen der Habsburger oder auch an Könige im Ausland.“ – Gellert deutete auf eine Frau mit französischem Barett auf ihrer gepuderten Perücke. – „Ihre Väter und Brüder wer’n erzwungenermaßen zu Beratern und Alchemisten der Krone. Mit dem einzigen Zweck, Waffen für den Krieg zu entwickeln. Die Preußen tun übrigens dasselbe, und die Franzosen … die hatten die gleiche Praktik, bis die Guillotine ihre Muggel-Monarchen dahing’rafft hat – zusammen mit ihren magisch-begabten Ehefrau’n.“ Das Bild der französischen Dame ergraute und zog sich in den Hintergrund zurück. Gellert bewegte sich mit seinen Erzählungen nun Stück für Stück den Stammbaum hinunter und Albus schwirrte schon bald der Kopf, vor allem, weil sich die Vornamen ständig wiederholten. Eine erst jüngst verstorbene Kaiserin namens Elisabeth schien jedoch besonders wichtig zu sein. Albus betrachtete das ergraute Portrait der hübschen, langhaarigen Hexe, deren melancholische Augen ihn an Ariana erinnerten. „Sie hatte nur ein’ Sohn, ebenfalls ein Magier – nicht selbstverständlich bei der ganzen Vermischung von magischem und nicht-magischem Blut. Ja und da standen sie nun, die Habsburger, mit ei’m Zauberer als Thronfolger! Jahrzehntelang hab’n s’ versucht, es ihm auszutreiben – als klein’ Bub’ hätten s’ ihn fast ertränkt! Na, und als er dagegen rebellier’n wollt’ …“ – Gellert fuhr sich mit der Hand über die Kehle und das Bild des jungen Prinzen ergraute – „hat’s ein’ tragischen Todesfall ‘geben. Und so geriet sein Cousin in den Fokus, mein Vater.“ Gellert nahm noch einen Zug aus der Schädel-Wasserpfeife und blies neuen Rauch in die Luft. Ein weiterer Ast des Stammbaums wuchs herunter und das Portrait eines Mannes mit mächtigem Schnauzbart und prächtig dekorierter Uniformjacke erschien. „Mein Vater war – zu sei’m großen Glück – ein Squib ohne jegliche Magie im Leib und daher für die Kriegs-Alchemie uninteressant. Deshalb hat er sehr viele Freiheiten g’habt und die auch gern ausgelebt. Was man so macht mit 16, 17 Jahr’n … In dem Alter hat er meine Mutter kenneng’lernt.“ Das Bild einer blonden Frau mit blasser Haut erschien plötzlich aus dem Nichts. Im Gegensatz zu den anderen Porträts war ihres weder eingerahmt noch durch eine Kette mit den anderen verbunden, doch der Name Gerda Grindelwald war deutlich unter ihrem Bild zu lesen. Gellerts Bildnis erschien nun unter ihrem und eine kupferne Verbindung schlang sich zum schnauzbärtigen Vater. „Vielleicht hätt’s eine Zukunft für uns drei ‘geben, wenn der eigentliche Kronprinz nicht gestorben wär’. Denn dadurch ist der älteste Sohn meines Vaters auf den ersten Platz in der Thronfolge gerückt.“ „Momentmal!“, rief Albus, „Du?“ Gellert lächelte gequält. „Ein unehelicher Sohn und noch dazu ein Zauberer? Die Muggel hätten denselben Fehler nicht ein zweites Mal begangen. Mein Vater musste eine Nicht-Magierin heiraten … und brachte den Habsburgern den ersehnten Muggel-Thronfolger.“ Er sprang wütend auf und deutete auf das Portrait des dunkelhaarigen Thronerben namens Franz Ferdinand, einen Jungen von etwa zwölf Jahren. „Mit ihm wird die Tyrannei fortgesetzt wer’n! Alles, was meine Vorfahren erduldet haben, soll einfach so weitergeh’n. Oh, aber ich bin nicht umsonst in diese Familie hineingeboren wor’n! Ich bin bereit, jeden von ihnen zu töt’n. Und … das wissen s’ genau. Accio Charivari!“ Ein Klirren war zu hören, und ein metallischer Gegenstand flog in Gellerts Richtung. Er fing ihn auf hielt ihn Albus vor die Nase. Es war die silberne Kette mit allerlei kleinen Symbolen, Münzen und Tierknochen, die Albus bei ihrem ersten Duell an Gellerts Weste aufgefallen war. „So was kennst’ vermutlich nicht. Diese Dinger san normalerweise Teil der alpenländischen Tracht. Ein erniedrigender Verweis auf mein’ … nicht adeligen Stand. Die Alchemisten des Kaisers ham mich als Kleinkind zu ei’m Blutpakt gezwungen – ei’m Fluch, der mich bis heut’ daran hindert, den Habsburgern auch nur ein Haar zu krümmen – ich kann mich ihnen nicht nähern – nicht einmal mei’m eig’nen Vater, Albus! Dafür bin ich frei … zu lernen und zu unternehmen, was ich will. Ein Hund ohne Kette am Hals, aber ei’m Korb ums Maul!“ Auf ein seitliches Nicken seines Kopfes hin fing der Stammbaum Feuer. Namen, Gesichter und Verbindungen schmolzen dahin, bis schließlich Rauchschwaden alles verschluckten und die Vision erlosch. Gellert stand vor Albus, die Arme eng an den Körper gepresst mit zu Fäusten geballten Händen und blickte zitternd vor Wut zu Boden. Nach einigen heftigen Atemzügen sah er auf, und Tränen standen ihm in Augen. „Die Heiligtümer des Todes san der Schlüssel, Al. Damit könn’ wir die Zaubererschaft vereinen. Und wenn sich erst einmal alle Magier zusammenschließ’n, bleibt kein Muggel-Tyrann auf dem Thron sitzen. Dann herrschen wir! Und wir wer’n besser sein als sie! Sie kennen nur ihren Hass und ihre Gier. Wir müssen sie unter Kontrolle bekomm’n – zu ihrem eigenen Wohl.“ Albus stand auf und ergriff Gellerts Hände. „Dann werden wir sie finden – die Heiligtümer!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)