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Eine Kirschblüte reist durch die Zeit

von

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Prolog


 

*
 

„Du willst direkt in die Bibliothek?“
 

Sakura nickte. „Ich fertige die Präsentation lieber jetzt schon an und kümmere mich das Wochenende um nichts.“
 

Ino schmollte. „Das heißt, ich muss alleine fahren.“ Sie seufzte und umarmte ihre Freundin zum Abschied vor der Bibliothek, bevor sie den Weg mutterseelenallein zum Bahnhof einschlug.
 

Sakura hingegen deponierte ihre Sachen in einem der Schränke im Untergeschoss der Bibliothek und suchte einen PC-Raum auf. Die Präsentation musste sie nächste Woche Freitag halten. Der Lehrer hatte die Themen selbst vergeben und Sakura musste über eine historische Persönlichkeit recherchieren.
 

Uchiha Madara schrieb sie auf ihrem Block ganz oben und unterstrich den Namen. Uchiha Madara und Senju Hashirama waren die Gründer der Stadt – damals ein Dorf –, in der Sakura seit ihrer Geburt vor fast siebzehn Jahren lebte. Die Gründung war etwa sechshundert Jahre her. Damals waren die Menschen in Shinobi und Zivilist geteilt und sowohl Madara als auch Hashirama waren von Kindesbeinen an Shinobi gewesen, feindliche Shinobi, wohlgemerkt.
 

Im fahlen Licht der Novembersonne, das durch das Fenster zu ihrer Linken fiel, tippte Sakura Madaras Namen in das Suchfeld ein und war verwundert, nur zwei Bücher und zwei Artikel zu finden. Aus ihrer natürlichen Neugierde heraus löschte sie Madaras Namen und ersetzte ihn durch den von Hashirama. Es überraschte sie nicht, deutlich mehr Literatur zu Hashirama zu finden, den man den Gott der Shinobi nannte. Sakura empfand ein wenig Mitleid für Madara. Aber immerhin wurde er im Unterricht nicht komplett vernachlässigt.
 

Sie fand die Bücher nur mit Mühe. Sie waren sehr dünn und Sakura hätte sie beinahe im Regal übersehen. Ein wenig enttäuscht über so wenig Material zu einem der Gründungsväter nahm Sakura wieder Platz im PC-Raum und vertiefte sich in die erste Lektüre.
 

Zwei Stunden später hatte sie ihre Präsentation stichpunktartig auf Papier und dehnte sich zufrieden und ausgiebig auf dem Stuhl. Sie stellte die Bücher zurück ins Regal und bewegte sich durch die stillen Gänge, auf denen sie niemanden traf.
 

Uchiha Madara war eine unfassbar tragische Figur. Er hatte seine Eltern verloren, seine Brüder, seinen Verstand. Das Dorf, dem er seinen Namen gegeben hatte, strafte ihn mit Misstrauen und Abstand, obwohl Senju und Uchiha, einst einander hostil gesinnte Clans, Frieden geschlossen hatten. Offenbar fand Madara seinen Platz im Dorf nicht. Sakura konnte nicht sagen, wieso, doch sie fühlte eine tiefe Verbundenheit zu diesem unbekannten Mann, dessen Lebensgeschichte sie berührte.
 

Sakura merkte nicht, wie sich die Gänge zu verformen begannen. Die Wände wurden niedriger, die Regale kleiner und anstelle von Büchern waren in den Regalen plötzlich behelfsmäßig zusammengebundene gelbliche Papierbögen und Schriftrollen vorzufinden.
 

Als sie die Veränderung bemerkte, befand sich Sakura plötzlich an einem Ort, den sie nicht kannte. Die Bücher glitten ihr vor Unglauben aus den Händen und sie starrte mit geweiteten Augen und geöffnetem Mund auf die Männer, die vor ihr saßen. Der eine sah doch glatt aus wie…
 

Kaum hatte sie sich versehen, fand sich Sakura auf dem harten Boden wieder. Sie keuchte auf, als sich jemand mit seinem gesamten Gewicht auf ihren Rücken setzte. Man zerrte ihren Kopf an den Haaren hoch. Sakura schrie auf, verstummte aber augenblicklich, als sie etwas Scharfes und Kaltes an ihrer Kehle spürte. Ein Schauer jagte über ihren besetzten Rücken.
 

„Wer bist du?!“
 

„H-Haruno! Mein Name i-ist Haruno Sakura!”, brachte Sakura wimmernd und den Tränen nahe hervor. War sie in der Bibliothek eingeschlafen und träumte? Wieso fühlte sich das Messer – Sakura vermutete, dass es ein Messer war – an ihrer Kehle so echt an?
 

„Der Name sagt mir nichts“, knurrte der Mann, der auf ihrem Rücken saß. „Zu wem gehörst du? Zu den Senju, diesen Bastarden? Zu den Uzumaki? Bist du ein Spion? Raus mit der Sprache!“
 

Sakura war viel zu durcheinander und viel zu ängstlich, um den genannten Namen eine Bedeutung zuzuweisen. „Ich gehörte zu niemandem!“, rief sie tränenerstickt. „Mein Name ist Haruno Sakura. Meine Eltern sind Haruno Kizashi und Mebuki.“ Unter Tränen ratterte Sakura ihr Alter, ihre Adresse und den Namen ihrer Schule herunter in der Hoffnung, dass der Mann endlich aufhörte, sie zu bedrohen.
 

Es herrschte kurz Stille, in der nur Sakuras Schluchzer zu vernehmen waren. Dann stand der Mann, der ihren Rücken okkupiert hatte, auf. Sakura sank erleichtert mit dem Gesicht zu Boden und blieb dort liegen, leise vor sich hin wimmernd.
 

„Ich verstehe es nicht“, sagte der Mann, offenbar an die anderen gewandt, die teilnahmslos zugesehen hatten. „Wie ist sie hierhergekommen? Meint ihr, sie hat uns ihren richtigen Namen gesagt?“
 

„Schau nach, ob sie irgendwelche Waffen mit sich führt, Izuna, und kette sie mit chakrahemmenden Fesseln an. Wir verlagern unsere Besprechung auf später.“
 

„Steh auf“, befahl Izuna und als Sakura nicht gehorchte, weil sie vor Angst und Schrecken gelähmt war, zog er sie gewaltsam hoch. Obwohl sie weinte, was das Zeug hielt, protestierte und immer wieder beteuerte, sie habe keine Waffen bei sich, tastete er ihren Körper ab und streifte auch Stellen, die ein Mann noch nie zuvor berührt hatte. Es war das Schlimmste, was Sakura je widerfahren war.
 

Izuna sorgte dafür, dass sie bewegungsunfähig in einer Ecke des Raumes landete, der eine Art Bibliothek sein sollte. „Du bist seltsam gekleidet“, stellte er mit grimmigem Ausdruck im Gesicht fest und ließ seinen Blick über ihren in Ketten gelegten Körper gleiten. „Und du sprichst auch anders als wir. Vielleicht gehörst du doch nicht zu den Senju.“ Er rieb sich nachdenklich das glatte Kinn. „Aber wer könntest du sein? Aus welchem Reich? Und wie bist du hierhergekommen?“
 

Sakura weinte stumm und hatte nur die Hälfte dessen, was Izuna von sich gegeben hatte, gehört.
 

„Vielleicht soll sie Verwirrung stiften. Susumo, Takao, Hikaku und Izuna, sucht die Umgebung ab.“
 

Die vier Männer nickten energisch und verschwanden innerhalb eines Lidschlags aus dem Raum. Jetzt war Sakura ganz alleine mit dem Mann, der die Befehle gegeben hatte. Mittlerweile weinte sie nicht mehr, zitterte aber am ganzen Leib und hob nervös die Wimpern, als der Mann sich vor ihr im Schneidersitz niederließ. Er stützte das Kinn auf seine Hand ab und inspizierte ihren Körper von Kopf bis Fuß. „Izuna hat Recht, du bist sonderbar gekleidet, Haruno Sakura.“
 

Sakura musste träumen. Sie musste einfach träumen, denn vor ihr saß ein Mann, der Uchiha Madara verdammt ähnlich sah.


 

*
 

„Ich habe eine ungewöhnlich aussehende Tasche gefunden.“ Izuna hielt den Rucksack von sich, als befürchtete er, er könnte jeden Moment explodieren. „Ansonsten ist die Luft rein, wie es scheint. Sehr merkwürdig.“
 

„Das ist meiner“, keuchte Sakura, als sie ihren Rucksack erkannte.
 

Madara hatte sie in der letzten halben Stunde verhört. Einen Teil der Fragen hatte sie längst beantwortet, den anderen Teil hatte sie nicht beantworten können. Madara hatte historischen Namen durch die Gegend geschmettert – Senju, Hagoromo, Uzumaki, Uchiha – und Sakura aufrichtig damit verwirrt. Nicht nur, dass er aussah wie Uchiha Madara, er nannte ihr Namen von Leuten, die aus der gleichen Ära stammten.
 

Madara nahm den Rucksack an sich. Obwohl Sakura dagegen war, öffnete er ihn und griff hinein. „Was ist das?“, wollte er wissen, als er Sakuras Handy herausholte. „Dergleichen habe ich vorher noch nie gesehen.“
 

Sakura runzelte die Stirn. Der Mann hatte noch nie in seinem Leben ein Handy gesehen?
 

Madara tippte auf der glatten, schwarzen Oberfläche herum und wunderte sich, als der Bildschirm aufleuchtete und eine winzige Allee aus Kirschblütenbäumen im Kasten auftauchte. „Was ist das?“
 

„Es ist ein Handy“, sagte Sakura langsam, ls hätte sie einen Begriffsstutzigen vor sich. „Damit kann man telefonieren. Wahlweise auch Fotos machen.“ War sie in einer Irrenanstalt gelandet? Nein, das konnte nicht sein. Wie konnte sie an einen anderen Ort landen? Das war schlichtweg unmöglich! Die Angst wich allmählich Gereiztheit. Mutig fragte Sakura: „Verzeihung, aus welchem Jahrhundert sind Sie denn, dass Sie nicht wissen, was ein Handy ist?“
 

„Jahrhundert?“ Madara drehte das Handy hin und her. „Wir schreiben das Jahr 1412.“
 

Sakura blinzelte verwirrt. Dann klappte ihr die Kinnlade herunter. „1412?“ Sie hätte hysterisch gelacht, wenn die Männer nicht so wunderlich gekleidet wären und ebenso wunderlich sprechen würden.
 

„1412“, bestätigte Madara und fuhr fort, in Sakuras Rucksack zu wühlen.
 

Madara, Izuna, Senju, Hagoromo, Uzumaki… Eine Erklärung war, dass sie in der Zeit zurückgereist war; die zweite, dass sie tief und fest schlief und von Uchiha Madara träumte. Aber nichts, was sie hier erlebte, fühlte sich an wie ein Traum. „Zeitreisen sind unmöglich, Haruno“, murmelte Sakura. „Du kannst nicht in der Zeit zurückgereist sein, das geht nicht, das geht rein logisch nicht.“
 

„Sie könnte in der Zeit zurückgereist sein“, sagte Madara nachdenklich und legte den Rucksack weg. Er hatte Sakuras Terminplaner aus dem Rucksack gezogen und blätterte darin herum. „Schau dir die Daten an, Izuna.“
 

Izuna warf einen kurzen Blick in den Terminplaner. „Ich glaube ja immer noch, dass es eine Verwirrungstaktik unserer Gegner ist.“
 

„Ich bin keine Verwirrungstaktik“, fauchte Sakura zurück.
 

Madara ging weder auf Sakuras noch auf Izunas Worte ein. „Die Garderobe dieses Mädchens ist merkwürdig. Ihre Art, sich auszudrücken, ebenso.“ Noch etwas war an Sakura merkwürdig: Jetzt, da er sich halbwegs entspannt hatte und bezweifelte, dass von Sakura irgendeine akute Gefahr ausging, nahm er die sonderbare, vertraute Aura zur Kenntnis, die die junge Frau umschloss. Dabei hatte er sie noch nie zuvor gesehen.
 

Izuna bemerkte die Neugierde, mit der Madara Sakura musterte, und verzog das Gesicht. Er wollte etwas sagen, da kam Madara ihm zuvor: „Gibt es in deiner Zeit Ninjas, Frau?“
 

„Ninjas? Nein. Bitte binden Sie mich endlich los. Die Fesseln liegen eng, ich habe Schmerzen“, flehte Sakura. Erschöpft sank sie zu Boden, schloss die Augen und bekam nicht mit, wie sich Madaras Iriden für einige Augenblicke blutrot färbten.
 

„Binde sie los“, sagte Madara zu Izuna. „Sie verfügt nicht über Chakra. Sie ist Zivilist.“
 

„Chakra?“, wunderte sich Sakura träge und sah zu Madara hoch. Er meinte doch nicht etwa die Energiezentren aus dem Hinduismus?
 

Izunas Stirn legte sich in tiefe Faltenschluchten. Lange sahen sich die Brüder schweigend an, kommunizierten nur mit Blicken ihrer pechschwarzen Augen, bis Izuna schließlich mit einem fassungslosen Glucksen nachgab. Seine Finger schwebten dennoch nahe an seinem Kunai und er war bereit, jederzeit anzugreifen, sollte Sakura eine verdächtige Bewegung machen.
 

„Wir sind Ninjas, Shinobi. Du willst mir also sagen, dass es in der Zukunft keine gibt?“ Wie konnte das sein? Würden die Menschen in 600 Jahren tatsächlich nichts mehr über Chakra wissen und keine Jutsus anwenden können? Welches Ereignis würde dazu führen? Je länger Madara über diese Frage nachdachte, desto interessanter wurde Haruno Sakura für ihn. Er glaubte ihr. Nicht vollends, aber er glaubte ihr.
 

Noch ehe Sakura, die sich ein wenig aufgerichtet hatte, antworten konnte, ertönte von draußen ein Knall. Zähneknirschend wandten sich Madara und Izuna um. Kaum hatte sich Sakura versehen, waren beide Männer aus dem Raum. Verwirrt sah Sakura auf die Stelle, auf der Madara eben noch gestanden hatte. Sie wollte aufstehen, als abermals ein Knall ertönte und sie vor Schreck aufquietschte. Madara und Izuna hatten beim Verlassen des Raumes die Shoji weit aufgerissen und Sakura sah, wie einige Männer in dunkler Kleidung am Raum vorbeiliefen.
 

„Das Dorf wird angegriffen!“, schrie einer von ihnen.
 

„Zeit aufzuwachen, Haruno.“ Sakura kniff sich so fest in den Arm, dass sie sich auf die Lippe beißen musste, um nicht aufzuschreien. Ihr Nagel hinterließ einen tiefen Abdruck in der Haut. Sie war immer noch hier, weigerte sich aber nach wie vor, diesen Ort und die Umstände als Wirklichkeit zu behandeln.
 

Sakura entschied definitiv, dass es sich um einen realistischen Traum handelte, in welchem sie bewusst Entscheidungen treffen konnte. Also schnappte sie sich ihren Rucksack und beschloss zu fliehen.
 

An ihre Ohren drang gedämpfter Kampfeslärm und ein Knistern wie von einem Lagerfeuer, während sie durch das Anwesen schlich. Sakura konzentrierte ihre Gedanken ganz auf ihre Flucht und bemühte sich, die Geräusche auszublenden. In geduckter Haltung überquerte sie einen weiten, menschenleeren Hof und gelangte schließlich an die hohe Schutzmauer, die das gesamte Dorf einfasste.
 

Ein Baum erwuchs neben ihr aus der Erde, der sich nur dazu anbot, als Leiter genutzt zu werden. Sakura grinste nervös, versicherte sich, dass keiner in der Nähe war, und reckte ihre Arme dem niedrigsten Ast entgegen. Von dort aus kletterte sie angestrengt auf den höher gelegenen Ast und bekam den nächsten zu fassen. So viel Kraft hätte sie ihren Armen nicht zugetraut.
 

Sakura setzte vorsichtig erst den einen, dann den anderen Fuß auf die Mauer und sprang. Weiches Gras federte ihre Landung auf der anderen Seite der Mauer ab. Zufrieden sah Sakura zurück und dann nach vorne. Eine baumlose Fläche von der Größe eines Fußballfelds lag vor ihr und in der Ferne drängten sich Tannen zu einem Wald zusammen. Sakura schluckte. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass der Kampfeslärm nicht mehr vernehmbar war.
 

„Wo ist die Rosahaarige hin? Findet sie!“, ertönte eine bekannte Stimme hinter ihr. Es war Uchiha Izuna, ganz sicher.
 

Sakura hatte keine Zeit zu verlieren. Wenn sie hier sitzen bliebe, würde man sie finden. Sie musste den Wald erreichen, dann wäre sie fürs Erste sicher von diesen… Ninja-Irren. Sakura ballte die Hände zu Fäusten, begab sich wie ein Sprinter in Startposition, holte tief Luft. Und lief los. Sie sah nicht zurück, sah weder nach links noch nach rechts. Die Tannen kamen immer näher, wurden größer, sie glaubte beinahe, die Nadeln zu sehen, den Harz zu riechen, und riss glücklich Augen und Mund auf, als sich ein Schatten über sie senkte.
 

Sakura warf einen flüchtigen Blick nach oben, drosselte ihr Tempo und registrierte die Silhouette eines Falken am Himmel. Nur ein Falke, schoss es ihr durch den Kopf. Lauf weiter, Haruno, lauf weiter!
 

Der Schatten verfolgte sie und wurde immer größer. Verunsichert sah Sakura nach oben und ehe sie sich versah, krallte sich der Falke in ihren Rucksack fest. Sakura brüllte auf, als hätte das Tier seine Krallen direkt in ihren Rücken versenkt. Es war kein gewöhnlicher Falke, es war ein gigantischer Falke, doppelt so groß wie sie, und sein langer, triumphierender Schrei klang noch einige Sekunden schmerzhaft in Sakuras Ohren nach.
 

Das Tier gewann schnell an Höhe und Sakura schaute entsetzt nach unten. Sie hatte keine Höhenangst, doch als sie das Dorf, aus dem sie geflohen war, unter ihren schwebenden Füßen erblickte, wäre sie beinahe bewusstlos geworden.
 

„Du dachtest wohl, du kannst die Gunst der Stunde nutzen und entkommen“, erklang eine düstere Männerstimme. Madara befand sich auf dem Rücken des Falken. Er saß im Schneidersitz und ein sardonisches Lächeln schmückte sein Gesicht.
 

Sakura kniff die Augen zusammen. „Es tut mir leid“, rief sie ihm von unten zu. „Es tut mir leid. Ich bin kein Feind, ich bin kein Senju und auch kein Uzumaki. Ich bin nur ein einfaches Schulmädchen. Wie oft denn noch? Mein Gott, ich bin doch einfach nur ein einfaches Schulmädchen.“ Sie begann zu wimmern und zu heulen. Dieser Traum war mit Abstand der schlimmste, den sie je gehabt hatte. Keiner der Albträume, an die sie sich erinnern konnte, kam an diesen hier heran.
 

„Hör auf zu flennen“, herrschte Madara sie an, doch Sakura konnte ihren Tränen nicht Einhalt gebieten. Sie war völlig fertig und mit ihrer Lage überfordert.
 

Madara erhob sich auf dem Falken, als hätte er festen Boden unter den Füßen, und sondierte die Umgebung. Sie befanden sich nordwestlich vom Dorf und unter ihnen entfaltete sich ein großer, blauer See, der von grünen Bäumen umgeben war. „Sho, bring uns nach unten.“
 

Sakura beruhigte sich, als sie spürte, dass der Falke ein gutes Stück an Höhe verloren hatte, und öffnete ein Auge.
 

„Wirf sie in den See. Das ist die Strafe dafür, dass sie geflohen ist.“
 

Sakuras Herz setzte einen Schlag aus. Der Falke gab sie frei und wurde kleiner. Vor Schock unfähig, einen Schrei auszustoßen, griff Sakura ins Leere, fiel weiter und klatschte schließlich gegen die Seeoberfläche.
 

Madara brach in schallendes, schadenfrohes Gelächter aus.
 

Elegant landete der Falke samt Passagier am Seeufer. Madara sprang herunter, lehnte sich lässig gegen seinen tierischen Gefährten und fuhr ihm sanft durch die Federn. Amüsiert beobachtete er, wie Sakura aus dem See auftauchte und einige Male hustete, ehe sie sich umsah.
 

Als sie Madara erblickte, wusste Sakura, dass es keinen Zweck hatte, vor ihm zu fliehen. Mit diesem mutierten, wenn auch schönen Federvieh würde er sie zu fassen bekommen. Wenn sie doch nur länger die Luft unter Wasser halten könnte... Sie hätte vorgegeben, ertrunken zu sein, und wäre zur anderen Uferseite hinübergeschwommen. Doch so blieb ihr keine andere Wahl.
 

„Ich dachte, eine Abkühlung würde dir guttun“, sagte Madara, als Sakura aus dem Wasser stieg.
 

Sakura antwortete nicht und wahrte Abstand zu Madara.
 

Der Falke taxierte sie neugierig mit seinen dunkelblauen Iriden. Es handelte sich um einen Wanderfalken, dem schnellsten Tier auf dem Planeten, das erkannte sie an der Färbung. Na, wenn das so war, dann brauchte sie es sich nicht ein zweites Mal zu überlegen, ob sie einen erneuten Fluchtversuch wagen sollte.
 

„Ich glaube dir, dass du weder zu den Senju noch zu den Uzumaki gehörst.“
 

„Wirklich? ... Jetzt auf einmal?“
 

„Es spricht zu viel dagegen, dass du ein Feind bist. Ich habe dich fliehen lassen, um zu sehen, wohin du fliehst und was du machst. Deine Reaktion war nicht die eines Ninja. Du hast zu den Senju, die das Dorf angegriffen haben, keinen Draht, auch wenn dein Auftauchen beinahe parallel zum Angriff auf das Dorf verlief.“
 

„Dann lassen Sie mich gehen. Das geht doch klar, oder?“, fragte Sakura nervös.
 

„Dich gehen lassen? Daran denke ich nicht. Das wäre fahrlässig. Ich habe außerdem noch Fragen an dich. Daneben: Wenn es stimmt, dass du durch die Zeit zurückgereist bist, wo willst du dann hin? Weißt du etwa, wie du zurück in deine Zeit kehren kannst?“
 

„Ich träume. Das ist alles ein Traum. Ich werde es schon irgendwie bewerkstelligen.“
 

Ein Traum?“, hakte Madara nach und hob eine Augenbraue. „Das ist kein Traum, Haruno. Du befindest dich im Jahr 1412. Ninjas, Shinobi und Kunoichi, existieren. Sie verfügen über Chakra, das sie nutzen, um mächtige Jutsus anzuwenden.“
 

Sakura tat, als hätte sie den ersten Part überhört. Natürlich wollten Traumgestalten ihr weismachen, dass sie nicht schlief. „J-Jutsus?“ Allmählich spürte sie, wie die Nässe ihrer Kleidung sich einen Weg in die Knochen fraß. „Mein Handy!“, erinnerte sie sich plötzlich. Hastig nahm sie ihren Rucksack von den Schultern. Blöcke und Bücher waren nass geworden. Ihr Handy war mit Tropfen bedeckt, funktionierte aber noch. Erleichtert atmete Sakura aus. Sie hatte auf dieses Gerät, das ein halbes Vermögen gekostet hatte, monatelang hin gespart. Ein Glück hatte sie sich eine wasserabweisende Hülle zugelegt. „Was sind Jutsus?“
 

„Jutsus sind Techniken, die ein Ninja im Kampf anwendet“, erklärte Madara und stieß sich von Sho ab. „Es gibt drei Haupttypen von Jutsus: Genjutsu, Ninjutsu und Taijutsu. Für Letzteres ist Chakraenergie keine Voraussetzung. Fingerzeichen spielen eine große Rolle, wenn man Ninjutsu anwendet.“
 

Sakura schwirrte der Kopf. Nicht, weil sie nicht verstand, was Madara sagte, sondern weil sich das alles wie aus einem Manga anhörte, der sich primär an heranwachsende Jungen richtete. Sakura zitterte nun am ganzen Körper, weil ihr kalt war.
 

„Erklär mir die Funktionsweise dieses Gegenstands. Was ist telefonieren? Was sind Fotos?“
 

Sakura seufzte und wischte über den Bildschirm. „Man kann mit einem Handy jemanden kontaktieren, der weit weg ist. Das nennt man telefonieren. Fotos sind Abbildungen der Realität.“ Sakura ging in die Kameragalerie und suchte ein Foto aus, das sie Madara zeigte. „Dieses Foto habe ich von meinem Zimmer aus gemacht.“
 

Fasziniert betrachtete Madara den blauen Himmel, der sich wolkenlos über große weiße Gebäude und goldfarbene Baumkronen wölbte. „Ist das der Ort, wo du wohnst?“
 

Sakura bejahte und fügte zähneklappernd hinzu: „Früher konnte man mit einem Handy nur telefonieren. Für Fotosmachen nutzte man ein anderes Gerät, eine Kamera. Heute verfügen alle neuen Handys über eine Kamerafunktion.“
 

Madara nickte. „Ich mache Feuer“, bot er an. „Lass uns hier reden. Im Dorf werden wir keine Ruhe haben. Izuna ist dir gegenüber nur noch misstrauischer geworden, weil du geflohen bist.“
 

Sakura sah auf ihr Handy und tippte gedankenverloren auf ihren Bildschirm. Anstelle von Datum und Uhrzeit wurden ihr, seit sie hier war, Sonderzeichen angezeigt. Warum hatte sie plötzlich Heimweh, wenn sie doch schlief? Warum packte sie jetzt die Sehnsucht, da sie sich die Aussicht aus ihrem Zimmerfenster besah?
 

Mit einem Mal war ihr, als wäre sie schon seit Wochen von Zuhause fort. Was nützte ihr ein Handy, wenn sie sich tatsächlich im besagten Jahr aufhielt und die Einzige war, die über ein solches Gerät verfügte?
 

„Ah!“, entwich es Sakura. Das Handy hatte noch reichlich Akku, Empfang hatte sie auch. Keinen guten, aber ihr wurde angezeigt, dass sie Empfang hatte. Sakura probierte, Ino anzurufen, in der Hoffnung, dass ihre Freundin herangehen würde.
 

Es konnte keine Verbindung hergestellt werden.
 

„Mist“, fluchte Sakura.
 

Sakura war so beschäftigt, dass sie nicht mitbekam, wie Madara ein paar Zweige und Blätter sammelte, Fingerzeichen machte und den arrangierten Haufen aus Zweigen und Blättern zum Brennen brachte. „Komm näher ans Feuer ran, sonst wirst du nicht trocken“, wies er sie an.
 

Sakura zuckte zusammen, steckte ihr Handy weg und ging vor dem kleinen Feuer in die Hocke. Sie streckte ihre Arme aus, schielte zu Madara hoch und murmelte: „Danke.“
 

Sho ließ sich auf der Erde nieder. Madara tat es ihm nach und lehnte sich gegen den Falken, um es bequem zu haben. „Wie gesagt, habe ich ein paar Fragen an dich.“ Madara machte eine Pause, um Sakura auf das Kommende vorzubereiten. „Kennen wir uns? Wir können uns nicht kennen, habe ich Recht?“
 

Sakura schüttelte den Kopf. „Ich kenne Sie nicht. Nicht persönlich... Natürlich nicht.“
 

Madara wollte widersprechen. Eine leise Stimme sagte ihm, dass sie einander sehr wohl kannten. Was das sollte, das wusste er nicht, schließlich war auch sie ihm nicht bekannt. Und wenn sie aus der Zukunft war, war es umso unwahrscheinlicher, dass sie einander bekannt sein könnten. „Dann die nächste Frage, noch einmal: In deiner Zeit gibt es keine Ninjas, kein Chakra, keine Jutsus. Alle Menschen sind Zivilisten.“
 

„Nun ja“, meinte Sakura und kam näher an das Feuer. „Alle nicht. Wir haben eine Armee. Aber keiner kann Ninjutsu – und was war das noch? Ach ja – Genjutsu anwenden, indem er etwas mit seinem Chakra anstellt. Die Begriffe Ninjutsu und Taijutsu existieren aber. Das Wort Genjutsu dagegen dürfte keiner kennen.“
 

Madara verarbeitete Sakuras Antwort erst, ehe er ihr die nächste Frage stellte. „Wo bist du gewesen, bevor du hier gelandet bist?“
 

Missgestimmt, weil sie wieder verhört wurde, antwortete Sakura: „Ich war in der Schulbibliothek. Ich habe keine Ahnung, was ich ausgelöst haben könnte, dass ich in einem anderen Jahrhundert lande.“ Hätte es nicht wenigstens das zwanzigste oder neunzehnte sein können?, fügte Sakura gedanklich hinzu. „Ich habe aber auch Fragen. Wer hat das Dorf vorhin angegriffen? Gab es Verletzte?“
 

„Ein paar Senju-Einfaltspinsel haben es auf eigene Faust gewagt, in unser Dorf einzudringen. Sie sind tot. Einige Häuser wurden beschädigt. Es ist aber nichts, was man nicht wieder hinkriegen kann.“ Unerklärlicher Weise fühlte sich Madara in Gegenwart von Sakura wohl und es fiel ihm, obwohl sie eine Fremde war, nicht schwer, mit ihr zu reden. „Soll ich dir zeigen, wie man ein Jutsu ausführt?“
 

Sakura überlegte. „Ja. Ja, ich denke, das würde mich interessieren. Dann habe ich eine Vorstellung davon, wozu ihr Ninjas fähig seid.“ Sakura wusste, dass Ninjas in der Vergangenheit speziell ausgebildete Männer gewesen waren, die als Spione oder Meuchelmörder agiert hatten.
 

Er will mich doch nicht etwa meucheln?, dachte Sakura panisch. Nein, wenn Madara das gewollt hätte, hätte er das längst getan.
 

Madara stand auf und forderte sie mit einer Geste auf, ihm zu folgen. Er trat ganz nahe an das Wasser und Sakura konnte nicht leugnen, dass sie gespannt war.
 

„Ich zeige dir eine Technik, die jeder Uchiha irgendwann lernt. Wenn man diese Technik noch nicht gemeistert hat, gilt man in unserem Clan nicht als erwachsen“, erklärte Madara. Er bereitete sich vor und formte die altbekannten Fingerzeichen: Schlange, Schaf, Affe, Wildschwein, Pferd, Tiger.
 

Sakura starrte ihn mit großen Augen an, als seine Brust im selben Moment anschwoll, in dem er seinen Oberkörper zurückwarf. Mit gespitzten Lippen atmete er einen riesigen, brennenden Ball aus, der Sakura an die Abbildungen der Sonne in Büchern über Astronomie erinnerte. Sakura spürte die Hitze, die von diesem Feuerball ausging, und schirmte ob seiner Grelle die Augen mit der Hand ab. Sie war zu gebannt, um zurückzuweichen.
 

Der Feuerball schoss über das Wasser und hinterließ eine Flammenspur in der Luft. Schweißperlen kullerten Sakuras Stirn herunter und ihr war, als wären ihre Kleider im Nu trocken geworden.
 

War das Feuer? War das echtes Feuer? Hatte Madara ihr eben Feuerspeien demonstriert wie ein Drache?
 

„Haruno, was machst du da?“
 

Wie entrückt griff Sakura nach den tanzenden Flammen in der Luft und die rotgelben Zungen verbrannten ihr die Fingerkuppen. Mit einem scharfen Zischen zog sie ihre Hand zurück.
 

Der Feuerball erlosch über dem Wasser wie eine Kerzenflamme, die ausgepustet wurde. Sakura sah ungläubig auf ihre roten, geschwollenen Fingerkuppen, die spürbar pochten.
 

Sie begriff endlich, dass sie nicht träumte.


 

*
 

Sie, Haruno Sakura, war in der Zeit zurückgereist. Sie hielt sich aktuell im Jahr 1412 auf und hatte Bekanntschaft mit Uchiha Madara gemacht. Uchiha Madara, über den sie eine Präsentation in Rohfassung angefertigt hatte. Uchiha Madara, der später gemeinsam mit dem Clan-Oberhaupt der Senju, Hashirama, das Dorf Konohagakure gründen würde, das in den nächsten Jahrhunderten zu einer blühenden Großstadt wachsen sollte.
 

Wie weggetreten starrte Sakura vor sich hin. Das Feuer war längst erloschen. Sie wusste nicht, wie lange sie hier schon saß und damit beschäftigt war, die Wahrheit zu verdauen. Ihre Finger pochten immer noch, wenn auch leicht, und ihr gesamter linker Arm wies Nagelabdrücke auf. Sie träumte wirklich nicht.
 

Sakura zuckte zusammen, als Madara mit seinem Fuß ausholte und die Überreste des Feuers verscharrte. Sakura sah ihn an. Faszination und Argwohn kämpften um die Vorherrschaft über ihr Gesicht.
 

Uchiha Madara. Clanführer. Krieger. Shinobi.
 

Dieser Mann lebte in ihrer Zeit nicht mehr. Ganz egal, was sie auch tat: Sie durfte den Lauf der Geschichte nicht verändern. Sie durfte Uchiha Madara nicht offenbaren, welches schwere Schicksal ihn erwartete. Sie durfte ihm nicht offenbaren, dass sein Bruder, zu diesem Zeitpunkt das einzige noch lebende Familienmitglied, durch die Hand von Senju Tobirama sterben würde.
 

Es würde schwer werden, den Mund zu halten. Dennoch war Sakura überzeugt davon, dass es besser wäre, wenn sie schwieg. Sie musste schweigen und eine Möglichkeit finden, wieder in ihre Zeit zurückzukehren.
 

Sakura betrachtete ihre malträtierten Fingerkuppen und sah vor ihrem inneren Auge Flammenzungen daran lecken. „Aber warum können die Menschen im einundzwanzigsten Jahrhundert nicht Feuer speien? Warum können sie keine Jutsus anwenden? Warum wissen sie, wir, nichts davon?“, überlegte sie laut. „Wer oder was könnte so mächtig sein, dass er oder es den Menschen diese Fähigkeiten nimmt? Und wieso?“ Sakura stöhnte. In keinem einzigen Geschichtsbuch, in das sie ihre Nase gesteckt hatte, hatte sie davon gelesen, dass Shinobi und das weibliche Pendant, Kunoichi, über solch übermenschlichen Kräfte verfügten. Nicht einmal Legenden gab es, die von solcherlei kündeten. Jemand musste veranlasst haben, dass nur ein Bruchteil der Informationen über Ninjas in die Geschichtsbücher einging.
 

„Erzähl mir mehr über die Zeit, in der du lebst“, verlangte Madara. Er hatte sie genug verarbeiten lassen. Nun wollte er seine Neugier stillen. „Ninjas gibt es nicht. Was aber wird es in 600 Jahren geben, das es heute nicht gibt? Von Handys und Kameras abgesehen.“
 

Sakura schaute auf den See, als schwebte dort das Abbild der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen und beheimatet war. „Es gibt Strom, fließendes heißes Wasser, Geräte, mit denen man Essen aufwärmen oder kühlhalten kann. Hervorzuheben wären noch die zahlreichen Fortbewegungsmittel. Wir haben beispielsweise Autos, Züge und Flugzeuge. Damit kommt man schnell von einem Ort zum anderen. In einen Zug und in ein Passagierflugzeug passen mehr Menschen rein als in ein Auto. Züge sind auf Gleise angewiesen, für Autos gibt es extra Straßen. Ein Flugzeug bewegt sich durch die Luft und kann Berge und Ozeane überqueren. Mit Autos oder Zügen geht das nicht.“
 

„Reisen die meisten mit den von dir genannten Fortbewegungsmitteln? Und wie funktioniert so ein Flugzeug?“  
 

„Ja, das tun sie. Zur Arbeit oder um Freunde und Familie zu besuchen.“ Sakura sammelte ihr Wissen über Flugzeuge zusammen. „Wenn der Antrieb des Flugzeugs größer ist als der Luftwiderstand, fliegt das Flugzeug. Der Auftrieb muss größer sein als das Gewicht der Maschine. Dieser Auftrieb entsteht, wenn sich das Flugzeug mit seinen Tragflächen in der Luft bewegt.“ Sakura sah dabei zu Sho, der sich interessiert im Wasser begutachtete. „Stellen Sie sich die Tragflächen wie Vogelflügel vor, nur stabiler. Nicht aus Federn.“
 

So interessant Sakuras Erklärung auch war: Der Mensch des einundzwanzigsten Jahrhunderts klang nach einem faulen und bequemen Geschöpf, das den Luxus und die Einfachheit liebte. „Shinobi reisen in der Regel zu Fuß. Sie sind schneller als Zivilisten. Auch das ist das Werk von Chakra, aber nicht nur.“
 

Mikrowelle, Kühlschrank, Auto, Zug, Flugzeug… Im Jahr 1412 gab es nichts davon. Dafür gab es Jutsus, mit denen man Herr über die Elemente sein konnte, mit denen man Illusionen erschaffen konnte, um den Gegner psychisch zu quälen. Feuer- und Wassertechniken wurde sowohl im Kampf als auch im Alltag benutzt, aber viel mehr im Kampf, da sie Chakra benötigten.
 

„Es ist einfach alles anders“, äußerte Sakura gedankenverloren, nachdem sie einen oberflächlichen Vergleich zwischen den Jahrhunderten angestellt hatte. „Vor allem im einundzwanzigsten Jahrhundert selbst schreitet der technische Fortschritt unaufhörlich weiter voran. Alles geht teilweise so schnell, dass man die Zwischenprozesse kaum richtig verarbeiten kann.“
 

„Hast du weitere Abbilder in diesem schwarzen Kasten? Vielleicht von Flugzeugen?“
 

„Von Flugzeugen? Nein. Aber ich kann Ihnen andere Bilder zeigen, wenn Sie möchten.“ Sie hatte nichts zu verbergen und jetzt, da feststand, dass sie durch die Zeit zurückgereist war, wollte sie, dass man ihr glaubte.
 

Madara trat zu ihr heran und ließ sich einige Bilder zeigen. Es waren teils absolut unspektakuläre Bilder – Bilder von Katzen, von Blumen oder Gebäuden –, aber für Madara waren sie allesamt etwas Besonderes. Sakura wischte das aktuelle Bild fort, das ein Sushi-Restaurant zeigte, und stockte. Sie schaute auf ihre Eltern, die sich nach Feierabend auf der Couch ausruhten. Das verdrängte Heimweh kam wieder hoch. Sie vermisste ihre Eltern. Sie vermisste auch Ino. Ob es ihnen gut ging? Ob man ihr Fehlen bereits bemerkt hatte? Existierte ihr Name überhaupt noch in der Zukunft?
 

„Sind das deine Eltern?“, fragte Madara und beförderte Sakura ins Hier und Jetzt.
 

„Ja“, antwortete sie. „Mehr Bilder habe ich nicht. Das Handy ist recht neu.“
 

Madara sah hinaus auf den See, in dem sich der Nachmittagshimmel spiegelte. „Es wird bald Abend. Wir sollten ins Dorf zurückkehren.“
 

„Ist es wirklich sicher für mich, ins Dorf zurückzukehren?“, fragte Sakura skeptisch.
 

„Wir fliegen unmittelbar zum Anwesen des Clanoberhaupts und werden eine Landung im Garten machen. So wird dich zumindest keiner sehen. Auch wenn ich nicht weiß, wann du wieder in deine Zeit zurückkehren kannst, muss ich angemessene Kleidung für dich finden. Zum einen will ich nicht, dass du aus der Reihe tanzt, zum anderen zeigst du schlicht zu viel Bein.“
 

Sakura sah an sich herunter. Ihr Rock ging bis zu den Knien, aber für das fünfzehnte Jahrhundert war es zu freizügig, da hatte Madara Recht.
 

„Ich persönlich werde des Weiteren dafür sorgen, dass keiner Hand an dich legt.“
 

„Oh... Danke.“ Madara schien ihr wohlgesonnen zu sein. Er glaubte ihr, hielt sie nicht für den Feind und wollte ihr dabei helfen, sich zurechtzufinden. Sie brauchte diese Hilfe nämlich, um die Fettnäpfchen zu vermeiden, die es in dieser sonderbaren Welt garantiert zur Genüge gab. Doch während Madara ihr wohlgesonnen zu sein schien, waren es Izuna und etliche weitere Clanmitglieder sicher nicht.
 

Madara ließ Sho beide Flügel ausbreiten, um sie zu begutachten, und dachte an die Funktionsweise des Flugzeugs, die sie ihm erklärt hatte. „Sho wäre startklar.“ Er bestieg den Falken als Erster und bot Sakura dann seine Hand, die sie zaghaft ergriff.
 

Als das Tier mit den Flügeln schlug und die Erde sich immer weiter von ihr entfernte, presste sich Sakura von hinten an Madara und krallte sich in seine Kleidung fest. Erst als sie durch die Luft glitten, traute Sakura sich, nach unten zu schauen. Der Anblick der Bäume, die unter ihnen vorbeirasten, löste in Sakura Schwindel aus. Sie schloss erneut die Augen und drückte sich unbewusst weiter gegen Madaras Rücken.
 

In seinen Augenwinkeln erblickte Madara Sakuras rosa Haar und spürte ihre kleinen Brüste in seinem Rücken. Es war ein seltsames Gefühl. Nicht unangenehm, nur seltsam. „Erzähl mir, was in den Geschichtsbüchern über mich geschrieben steht.“
 

Sakura hatte gehofft, dass er ihr diese Frage nicht stellen würde. „Nichts“, log sie ihn an. „Ich sagte ja bereits, dass in unseren Geschichtsbüchern nichts über Jutsus steht. Genauso wenig steht etwas über Uchiha Madara geschrieben.“
 

„Was ist mit Senju Hashirama?“
 

Verdammt. „Nichts“, log Sakura abermals und hatte dabei ein schlechtes Gewissen. Glücklicherweise stellte Madara keine weiteren Fragen zu sich selbst oder anderen historischen Persönlichkeiten, die aus seiner Zeit stammten. Niemand durfte an ihre Präsentation herankommen, sonst käme es womöglich zu großer Unruhe.
 

„Was wirst du tun, wenn wir gelandet sind?“
 

„Was meinen Sie?“
 

„Wie willst du einen Weg zurück in deine Zeit finden?“
 

„Ich weiß es nicht.“ Sakura dachte zurück, dachte daran, wie sie sich in dem Raum mit den behelfsmäßig zusammengebundenen gelblichen Papierbögen und Schriftrollen wiedergefunden hatte. „Vielleicht finde ich in der Bibliothek irgendwelche Hinweise.“
 

„Hm. Das ist keine schlechte Überlegung. Aber sollten wir bereits heute rausfinden, wie du in deine Zeit zurückkommen kannst, werde ich dich nicht eher gehen lassen, bis wir einige andere Sachen geklärt haben.“
 

Auch Sakura wollte Antworten, auch sie beschäftigte es, weshalb in den Büchern nicht die Wahrheit über Shinobi stand. Doch wenn sie die Wahl zwischen Heimkehr und dem Lüften von Geheimnissen treffen müsste, würde sie sofort die Heimkehr wählen. Sie gehörte nicht hierher und hatte das heute bereits genug zu spüren bekommen. „Mal sehen, ob wir überhaupt auf irgendwelche Hinweise stoßen.“
 

Der Himmel bereitete sich für den baldigen Sonnenuntergang vor und rollte auf blassblauen Grund lilafarbene Wolken aus, die die Sonne bei ihrem majestätischen Abgang in Zwei teilte.
 

Im Dorf wurden überall Laternen entzündet. Lediglich das Anwesen des Clanoberhaupts, in welchem überwiegend Besprechungen stattfanden und Beschlüsse gefasst, seltener Gäste aus verbündeten Clans untergebracht wurden, war in komplette Dunkelheit gehüllt. Madara hatte das Anwesen nie als seinen Wohnort favorisiert. Es war ausschließlich ein Ort der Arbeit und der Geschäfte.
 

Sho landete sanft vor einer Brücke, die sich über einen kleinen Teich spannte, und nachdem Madara und Sakura von ihm gestiegen waren, verschwand er in einer Rauchwolke.
 

„Er ist fort! Wie ist das geschehen?“  
 

„Ich habe ihn durch das Kuchiyose no Jutsu beschworen. Wenn man vorher einen Vertrag mit dem Tier seiner Wahl abschließt, kann man das Tier jederzeit beschwören, um seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Nach getaner Arbeit verschwindet er.“
 

Sakura blieb nicht die Zeit, um über das Kuchiyose no Jutsu zu staunen, da in diesem Augenblick Izuna auf den Engawa trat. In der Hand hielt er eine Laterne. „Du bist zurück, Bruder“, konstatierte er und stieg herunter.
 

Sakura versteckte sich hinter Madara, um Izunas grimmigem Blick auszuweichen.
 

„Was hast du vor?“, richtete Izuna das Wort an Madara. „Dein Versteck ist übrigens jämmerlich gewählt, Frau. Ich kann dich sehen.“
 

„Möglicherweise findet Haruno in der Bibliothek den Hinweis, wie sie in ihre Zeit zurückreisen kann.“ Mit diesen Worten nahm Madara Izuna die Laterne ab und setzte seine Füße in Bewegung. Sakura folgte ihm verlegen und Izuna bildete das Schlusslicht in der Kette, die sich durch das Anwesen bewegte.
 

„Hier ist die Bibliothek.“ Madara schob die Shoji zurück. Er trat ein und zündete zwei weitere Laternen an.
 

Während Madara und Sakura die Bibliothek gründlich absuchten, lehnte Izuna, die Arme vor der Brust verschränkt, gegen den hölzernen Rahmen der Shoji und beobachtete sie stumm. Vor allem galt seine Aufmerksamkeit Sakura, die sogar auf alle Viere gegangen war und unter jedes Möbelstück und Regal schaute.
 

„Nichts“, hauchte Sakura geschafft und sackte auf dem Boden zusammen.
 

Madara, heimlich erfreut darüber, dass Sakura sich nicht sofort aus dem Staub machen konnte, wandte sich an Izuna. „Haruno braucht angemessene, zivile Frauenkleidung. Würdest du ihr bitte welche besorgen?“
 

Izunas Mund wurde zu einem schmalen Strich. „Kann ich dich kurz draußen sprechen?“
 

Die Männer traten hinaus in den Flur und Madara ließ die Shoji einen Spaltweit offen. „Fass die Schriftrollen nicht an, Haruno.“
 

„Madara, ist das dein Ernst?“, beschwerte sich Izuna mit gesenkter Stimme. „Was hat sie mit dir angestellt?“
 

„Sie hat nichts mit mir angestellt. Ihr Auftauchen hat Fragen aufgeworfen. Große Fragen. Sie ist in der Zeit zurückgereist, Izuna, so unglaublich das auch klingt. Sie hat Beweise geliefert, die dafür sprechen. Bei Gelegenheit werde ich sie dir zeigen. Dann wirst auch du ihr glauben.“
 

Izuna ließ von seinem Bruder ab. „Ich bin aktuell wirklich nicht überzeugt“, stellte er finster klar.
 

„In ihrer Zeit existieren wir nicht. Keine Shinobi, keine Jutsus. Ich will wissen, weshalb das so sein wird. Sakura hat keine Antworten parat. Noch nicht. Ich glaube nämlich nicht, dass sie rein zufällig bei uns gelandet ist. Vielleicht werden wir sie in unserer Gegenwart gut gebrauchen können, wer weiß?“
 

Izuna schwieg lange. „Wenn du, als mein Bruder und das Oberhaupt der Uchiha, dieser Person vertraust, dann muss ich das hinnehmen. Ich bin dir gegenüber aber ehrlich: Sollte sie sich nicht fügen, sollte sie unseren Clan in Gefahr bringen, werde ich sie auf der Stelle töten, ohne Rücksicht auf deine Meinung zu nehmen.“
 

Madara lächelte gelassen. „Einverstanden. Ich kann dir aber versichern, Bruder, dass es dazu nicht kommen wird. Solange ich im Dorf bin, steht diese Frau unter meiner Aufsicht. Wenn wir fort sind, werde ich sie von fähigen Shinobi bewachen lassen. Ich hoffe, das stellt dich einigermaßen zufrieden.“
 

„Einigermaßen.“ Izuna seufzte ergeben. „Du wirst schon wissen, was du tust. Mir jedenfalls ist und bleibt sie ein Dorn im Auge. Ich werde Kleidung für sie besorgen.“
 

„Gut.“ Er musste seinem Bruder nicht sagen, dass er kein Wort an andere richten durfte. Susumo, Takao und Hikaku würden ebenfalls Stillschweigen bewahren, solange Madara nichts anderes veranlasste. Er musste sich auszudenken, was er den anderen erzählen würde, wenn sie Wind von Sakura bekämen. Madara wollte nicht, dass Sakuras Reise durch die Zeit die große Runde machte.
 

Izuna verschwand und Madara trat in die Bibliothek. „Nichts?“
 

Sakura, die nochmals alleine nach Hinweisen gesucht hatte, sah betrübt über ihre Schulter. „Nichts“, antwortete sie frustriert.
 

„Zwei Räume weiter befindet sich ein leeres Zimmer. Du wirst heute Nacht dort schlafen. Es müssten nur Futon und Kissen organisiert werden.“
 

Etwa zwanzig Minuten später war das spärlich möblierte Zimmer für Sakura hergerichtet und die Kleider für den morgigen Tag gebracht.
 

„Sieh nach, ob der Haruno-Clan irgendwo Erwähnung findet, selbst wenn es nur eine bloße Erwähnung ist. Wir sprechen morgen“, flüsterte Madara Izuna zu.
 

Izuna strafte Sakura mit einem missbilligenden Blick, ehe er sich in die Bibliothek aufmachte.
 

Madara blieb zurück und sobald Sakura sich unter die Decke verkrochen hatte, setzte er sich neben die Laterne auf die Tatamimatten.
 

„Haben Sie etwa vor, die Nacht mit mir in diesem Zimmer zu verbringen?“, fragte Sakura nach einer Weile.
 

„Ich werde dich für die Zeit deiner Anwesenheit nicht aus dem Auge lassen. Du verstehst doch, dass das nötig ist?“
 

Sakura antwortete nicht. Man glaubte ihr, aber man glaubte ihr nicht vollends. Wenigstens hatte sie kein Wurfmesser an der Kehle.
 

„Du stehst unter meiner Aufsicht, du stehst aber auch unter meinem Schutz. Dieser Schutz geht verloren, wenn du den Clan in Gefahr bringen solltest.“
 

„Okay. Ich habe es nicht vor. Mein Leben ist mir ganz lieb. Denke ich.“ Sakura drehte Madara den Rücken zu und zog die Decke bis zu ihrem Kinn hoch.
 

Es verging etwa eine Stunde und Madara sagte: „Du kannst beruhigt schlafen. Du hast vor mir nichts zu befürchten, solange du keine Dummheiten machst.“
 

„Ich kann nicht schlafen“, sagte Sakura leise und richtete sich auf. „Das Licht stört. Außerdem beschäftigen mich zu viele Dinge. Was, wenn ich hier feststecke? Was, wenn ich meine Familie und Freunde nie wieder zur Gesicht bekomme?“ Sakuras Augen begannen zu schmerzen. Nein, Sakura. Das darfst du nicht denken. Das darfst du einfach nicht denken.
 

Wenn es einen Weg gab, in die Vergangenheit zu reisen, dann konnte man auch in die Zukunft gelangen. Es gab in ihrer Zeit so unglaublich viele Bücher und Filme über Zeitreisen und in den meisten davon gelangten die Menschen wieder dahin, wo sie hingehörten.
 

Sakura lenkte ihre Gedanken gewaltsam, um zu verhindern, dass sich plötzlich wieder düstere Überlegungen bildeten, auf die Tatsache, dass sie mit einem der Gründerväter im selben Raum war. Es gab Menschen, die bekamen die Chance, Schauspieler und Sänger persönlich kennen zu lernen. Sakura könnte sich nun damit brüsten, dass sie Uchiha Madara begegnet war. Und damit das Risiko eingehen, in die Geschlossene eingewiesen zu werden, wenn sie das mit jemandem aus ihrer Zeit teilte.
 

„Wenn du in der Zeit zurückreisen konntest, dann kannst du auch wieder in die Zukunft gelangen.“ Madaras pechschwarze Augen hafteten an der Decke. Er wirkte konzentriert, beinahe, als würde er lesen. Er bemerkte, dass Sakura ihn ansah, und richtete seinen Blick auf sie.
 

Eine Empfindung durchfuhr sie wie ein leichter Stromschlag. Madara hatte sie am See gefragt, ob sie sich kennen würden. Sie hatte verneint, was eigentlich auch der Richtigkeit entsprach. Aber jetzt fühlte sie eine gewisse Vertrautheit zwischen ihnen, die sie sich nicht erklären konnte. Ein einziger Tag mit ihm konnte unmöglich dafür gesorgt haben, dass sie ihm so sehr vertraute. Warum fühlte sie so?
 

Sakura nahm ihren Mut zusammen und sagte: „Ich habe Ihnen schon viel von mir und meiner Zeit erzählt. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn Sie mir mehr über sich und Ihre Zeit erzählen?“
 

„Was willst du wissen?“
 

Sakura zuckte die Schulter hoch. „Was Sie erzählen mögen.“
 

„Aus meiner Familie sind nur noch ich und mein Bruder Izuna am Leben. Zu der Zeit, als ich noch ein Kind war, mussten auch Kinder in den Kampf ziehen. Seit ich Clan-Oberhaupt bin, habe ich ein Mindestalter festgelegt. Unter vierzehn wird sich niemand mehr aufs Schlachtfeld verirren.“
 

Vierzehnjährige waren für Sakura immer noch Kinder und es war grausam, Kinder kämpfen zu lassen. Krieg an sich war schon grausam genug. Für diese Zeit musste der Beschluss, Kinder unter vierzehn nicht in den Krieg ziehen zu lassen, aber revolutionär sein. Hashirama war Madaras Beispiel gefolgt – oder war es Madara, der Hashiramas Beispiel gefolgt war? – und hatte als Oberhaupt der Senju die gleiche Reformation in die Wege geleitet. „Gibt es bei den Clans einzelne Besonderheiten?“
 

„Nicht bei allen, aber die gibt es. Bei den Besonderheiten handelt es sich manchmal um Kekkei Genkai. Das Kekkei Genkai der Uchiha ist das Sharingan. Auch davon hast du bestimmt nie etwas gehört.“
 

„Nein.“
 

„Es ist eine Augentechnik, mit der man seine Gegner beispielsweise in realistische Illusionen einfangen kann.“ Er hatte nicht vor, sie in die Geheimnisse des Sharingan einzuweihen, und erzählte nur das, was auch allen anderen bekannt war.
 

Von Neugier erfüllt fragte Sakura: „Sharingan? Wie kann ich mir das vorstellen? Ihre Augen sehen, na ja, gewöhnlich aus.“
 

„Nachdem Izuna dich gefesselt hat, habe ich das Sharingan benutzt, um dich zu durchschauen. Durch deinen Körper fließt kein bisschen Chakra. Das ist einer der Gründe, weshalb ich dir glaube. Vielleicht kommt der Tag, an dem du das Sharingan in Aktion sehen wirst.“ Es machte ihm Sorgen, dass das Sharingan in Sakuras Zeit nicht existent war.
 

„Es muss etwas Großes, wirklich Großes passiert sein, dass es solche Dinge nicht mehr gibt“, spekulierte Sakura.
 

„Ja.“
 

„Haben alle Uchiha von Anfang an das Sharingan?“
 

„Nein. Es muss erweckt werden.“
 

„Wann haben Sie Ihr Sharingan erweckt?“, wollte Sakura wissen.
 

Madara antwortete ihr lediglich in Gedanken. Sein Sharingan erwachte, nachdem er sich dafür entschieden hatte, an der Seite seiner verbliebenen Familie und seines Clans gegen die Senju zu kämpfen. An diesem Tag hatte Madara Hashirama die Freundschaft gekündigt.
 

Fürs Erste hatte er, fand Madara, Sakura genug verraten. „Wir werden morgen früh nochmal in die Bibliothek gehen“, beschloss er und löschte das Licht.
 

Ein klares Signal, dass das Gespräch für Madara beendet war. Sakura legte sich hin und deckte sich zu. Madara verhielt sich so still, als wäre er ein toter Mann. Das ist also ein wahrer Shinobi, dachte Sakura.
 

Sie blieb lange wach, wälzte sich hin und her und ließ den Tag mehrmals Revue passieren. Madaras Präsenz geriet in Vergessenheit. Erst als das geschah, wenige Stunden vor Sonnenaufgang, fand Sakura endlich Schlaf.


 

*

Es schneite zarte rosa Blüten.

Sie wartete auf ihn an dem verabredeten Treffpunkt, an dem Ort, an dem sie sich das allererste Mal gesehen, an welchem sie jedes ihrer Treffen gelegt und sich stets verabschiedet hatten. Es war mittlerweile einige Monate her, dass sie sich gesehen hatten, doch es kam ihr vor, als hätten sie erst gestern hier gestanden, um Abschied voneinander zu nehmen.

Sie wusste nicht, aus welcher Richtung er kommen würde. In dem Moment, in dem sie sich fragte, ob er von Süden oder Norden, von Westen oder Osten kommen würde, spürte sie hinter ihrem Rücken eine vertraute Präsenz. Sie wandte sich nach dieser Präsenz um. Ihr prachtvoller Kimono raschelte und ihr langes rosa Haar, in das filigraner Blumenschmuck eingewebt war, folgte ihrer Bewegung.

Er stand vor ihr, stattlich wie eh und je. Sie war keine schüchterne Frau. Wenn er aber vor ihr stand, wenn er auftauchte wie ein Geist, dann befiel sie mädchenhafte Schüchternheit. Sie senkte kurz ihre Wimpern wie zum kontaktlosen Gruß. Es war, als hätten sie sich für keinen Tag getrennt. Noch immer herrschte zwischen ihnen eine ungebrochene Vertrautheit, die nur unter wahrhaftig Liebenden bestand.

Er hob seine Hand und streichelte sanft über ihre Wange, die unter dieser Liebkosung rosa wurde wie die Kirschblütenblätter, die um sie flatterten.

Sie sah ihn an, voller Liebe und Hingabe, berührte seine Hand mit ihren Fingern und lächelte selig.

Er betrachtete sie. Stumm, nachdenklich und ausgiebig. Dann zog er sie plötzlich an sich, was sie aufschrecken ließ. Ihr Kopf ruhte nun an seiner Brust, dort, wo er auch hingehörte.

Sie sah fragend zu ihm, erleuchtete ihn mit dem überwältigenden Grün ihrer Augen. Seine Miene schien hart wie Stein zu sein, aber sie entdeckte den zärtlichen, für Außenstehende kaum wahrnehmbaren Zug, der nur dann zum Vorschein trat, wenn sie alleine waren.

Die Kirschblütenblätter tanzten weiterhin um sie herum, als preisten sie ihre Liebe an.

Er öffnete seinen Mund.

Sie hing an seinen Lippen.

Er sprach, sprach resolut und entschieden und seine Worte brachten ihr Blut in Wallung.

„Ich bin gekommen, um dich mitzunehmen. Du wirst die Mutter meiner Kinder sein.“

*

„Der Haruno-Clan wird in keiner Chronik erwähnt, ich habe es mehrfach geprüft.“
 

Madara beobachtete Sakura durch den Spalt. Sie schlief noch. „Ich habe diese Nacht vorsichtshalber immer mal wieder ihre Chakraaktivität beobachtet. Das Byakugan käme jetzt sehr praktisch. Aber auch ohne die Hyuga-Augen kann ich sehen, dass ihre Chakrazentren komplett lahmgelegt sind. Sehr unwahrscheinlich, dass sie jemals wieder Chakra produzieren kann. Und wenn doch, was, wie gesagt, sehr unwahrscheinlich ist, wird es zu nichts zu gebrauchen sein.“
 

„Hn.“ Izuna drückte Madara die Karaffe mit Wasser in die Hand, die er holen sollte. „Was hast du heute mit ihr vor?“
 

„Wir suchen die Bibliothek noch einmal ab. Ich werde in die eine oder andere Schriftrolle schauen. Vielleicht finde ich etwas. Mobilisiere Shinobi, die sie während meiner Abwesenheit überwachen werden. Am Nachmittag führen wir unsere gestrige Besprechung zu Ende. Du kannst den anderen Bescheid sagen.“
 

Izuna war zufrieden, weil Madara wegen dieser Frau seine Pflichten nicht vernachlässigte. „Dann werde ich Hikaku und die anderen informieren. Aber Madara… Sei auf der Hut.“
 

„Das werde ich sein. Bis später.“ Wann hatte Izuna ihm das letzte Mal gesagt, dass er auf der Hut sein solle? Es musste Ewigkeiten her sein. Unrecht hatte sein Bruder aber nicht. Er musste vorsichtig sein, weil diese Frau etwas in ihm auslöste, und er musste herausfinden, was dieses Etwas war.
 

„Wach auf, Haruno. Der Tag ist angebrochen.“
 

Sakura schlief tief und fest, zuckte nicht einmal. Madara nahm ihr schlafendes Gesicht genau in Augenschein. Er hatte heute Nacht nicht viel geschlafen, konnte sich aber daran erinnern, was er kurz vor Sonnenaufgang, als er eingenickt war, geträumt hatte. Es war eine romantische Szenerie. Ein Mann und eine Frau, die sich umarmten. Die Frau war Sakura ähnlich, allein der Ton ihrer Haarfarbe war exakt der gleiche. An den Mann konnte er sich nicht erinnern. Madara strengte sich an und kramte in seinem Kopf.
 

Nein, er war dieser Frau vor dem gestrigen Tag nie begegnet. Dass sie ihm vertraut vorkam, hatte ganz sicher eine Bedeutung. Gestern hatte sie gesagt, dass er ihr nicht bekannt vorkomme. War das die Wahrheit? Vielleicht war sie so geschafft von den Strapazen des Tages gewesen, dass sie nicht darauf geachtet und eine unüberlegte Antwort gegeben hatte. Er sollte sie heute nochmal fragen. Nein, das war ein blödsinniges Vorhaben. Sie kam aus einer anderen Zeit. Sie konnte ihn nicht kennen.
 

Madara hielt die Karaffe über Sakuras Kopf. Ohne den Blick von ihrem Antlitz zu nehmen, neigte er das Gefäß leicht. Ein einzelner Tropfen löste sich vom geformten Ton und klatschte auf Sakuras Stirn, was sie eine Grimasse schneiden ließ. Er hatte eigentlich das gesamte Wasser auskippen wollen, überlegte es sich jedoch anders. Genau in dem Moment öffnete Sakura ihre grünen Augen und ihre Blicke trafen sich.
 

Sakuras Augen leuchteten wie feuchter Tau. Es war ein unglaublich schönes Grün, das ihn wie ein verheißungsvoller Sumpf lockte. Er konnte den Blickkontakt nicht brechen. Und Sakura konnte es ebenfalls nicht. Sie erinnerte sich genauso wie er an das Traumfragment. Wer waren diese zwei Menschen gewesen, die sie im Traum gesehen hatte? Der Mann hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Madara. An die Frau erinnerte sie sich nicht.
 

Sakura blinzelte reflexartig. Sie blickte Uchiha Madara ins Gesicht und es war die endgültige Bestätigung, dass sie in der Zeit zurückgereist war. Sakura stützte ihren Oberkörper mit ihrem Arm hoch. „Was wollen Sie damit?“, fragte sie, als sie die Karaffe entdeckte.
 

Madara bot Sakura das Gefäß an. „Wasch dir das Gesicht und zieh dich um.“
 

An der Wand stand ein Schemel, auf dem sich eine Schale befand. Sakura füllte die Schale mit Wasser, wusch sich erst die Hände, dann das Gesicht. Madara beobachtete sie dabei. Sie spürte seinen Blick und empfand ihn mindestens genauso störend wie angenehm. „Kann ich mich bitte wenigstens alleine umziehen?“
 

Nach kurzem Abwägen stand Madara auf und verließ wortlos den Raum. Er dachte allerdings nicht daran, Sakura unbeaufsichtigt zu lassen. Durch den schmalen Spalt, den er gelassen hatte, beobachtete er, wie der wunderliche Rock ihre Beine mit Leichtigkeit herunterrutschte und zu Boden fiel. Sakura stieg über den Stoff und machte sich daran, ihre Bluse zu öffnen.
 

Nicht, dass Madara nie einer Frau dabei zugesehen hätte, wie sie sich auszog. Nicht, dass Madara nie eine nackte Frau gesehen hätte. Dennoch band Sakuras weiße Haut seine Augen an sich. Die Unterwäsche, die Sakura trug, war von einem zarten Pastellblau. Madara begutachtete die verspielte Spitze. So etwas trugen Frauen also in der Zukunft unter ihren Kleidern. Ein Verlangen kam in ihm hoch, das Verlangen, die pastellblaue Spitze und die weiße Haut zu ertasten, und er drängte dieses Verlangen zurück, indem er an etwas anderes dachte.
 

Umständlich schlüpfte Sakura in das Kimono, das Madara ihr gestern organisiert hatte. Es war schlicht, saß aber tatsächlich wie angegossen. Der Stoff war von guter Qualität und schmiegte sich angenehm an ihren Körper. Sakura hörte, wie Madara in das Zimmer trat, und drehte sich nach ihm um.
 

Madara ließ sich nichts anmerken. „Du brauchst eine Identität, die an diese Ära angepasst ist.“ Er ließ sich nicht anmerken, dass sie ihm optisch zusagte. Der Kimono stand ihr gut. Noch besser stand ihr nackte Haut und die pastellblaue Unterwäsche. „Solange wir die nicht haben, wirst du diesen Ort hier nicht verlassen. Gibt es etwas, das du gut kannst, Haruno?“
 

„Ich bin gut in der Schule“, antwortete Sakura. „Vor allem in Mathematik.“
 

„Was ist eigentlich eine Schule in deiner Zeit? Du hast gesagt, du bist ein Schulmädchen. Nennt man so Frauen, die zur Schule gehen?“
 

So kurz, wie es nur ging, erklärte Sakura Madara, was eine Schule war.
 

„Damit lässt sich nicht viel in Bezug auf eine falsche Identität anfangen“, stellte Madara nüchtern fest. In seiner Zeit gab es keine Schulen und keine Schulpflicht.
 

Sakuras Magen machte sich selbstständig und grummelte hörbar. Sakura errötete und schaute verlegen weg. Sie hatte seit fast einem Tag nichts mehr im Magen gehabt. Durch den Stress und die Aufregung, denen sie gestern ausgesetzt gewesen war, hatte sie das ganz verdrängt. Jetzt aber verlangte ihr Magen nach Nahrung.
 

„Du wirst essen und dann suchen wir noch einmal bei Tageslicht die Bibliothek ab. Ich werde mir in der Zeit etwas überlegen.“
 

Madara beaufsichtigte sie beim Essen und grübelte indes, wie er Sakura am besten in den Alltag des Jahres 1412 integrieren sollte. Insgeheim bezweifelte er, dass sie heute in der Bibliothek auf einen Hinweis stoßen könnten, und das bedeutete, dass Sakura länger in dieser Zeit bleiben würde. „Du hast endlich aufgegessen“, sagte er zu Sakura, die überrumpelt ihre Schale wegstellte. Madara war sichtlich in Gedanken versunken gewesen und sie war davon ausgegangen, dass er ihr keine Beachtung schenkte.
 

„Ja“, antwortete sie und bewunderte Madaras scharfe Wahrnehmung.
 

„Wir haben tatsächlich einen Mangel an Iryonin. Du wirst aber nicht nützlich sein, da deine Chakrazentren komplett lahmgelegt sind. So kannst du keine schwerwiegenden Wunden heilen. Du wärst höchstens zum Verbandlegen gut.“
 

Etwas gekränkt, weil er ihr geradeheraus sagte, dass sie keinen Nutzen hatte, fragte Sakura: „Sind Iryonin Ärzte?“
 

„Das ist richtig. Um ein Iryonin zu werden, musst du zum einen über hohe Intelligenz, zum anderen über hervorragende Kontrolle über dein Chakra verfügen.“
 

Sakura blickte in die leere Schale vor sich. „Ich will tatsächlich Ärztin werden. Das ist mein Traum. Ich habe mir bereits einige Bücher über Medizin zugelegt, um mich für das medizinische Studium vorzubereiten. Aber das Wissen, das ich habe, ist nicht groß und es wird mir ohnehin nichts nutzen, wenn ich kein Chakra habe.“ Jetzt wurde ihr bewusst, dass Madara Recht hatte. Sie war in dieser Zeit vollkommen nutzlos. Betrübt über diese Feststellung ballte Sakura ihre Hände zu Fäusten. Sie hasste es, nutzlos zu sein, und wenn sie nicht in ihre Zeit zurückgelangte, würde sie bis zum Ende ihres Lebens über die Nutzlosigkeit ihrer Existenz klagen.
 

Hör auf, Sakura. Du hast es dir verboten, so zu denken! Du wirst in deine Zeit zurückkehren. Du wirst die Schule beenden und Medizin studieren. In deiner Zeit. In deiner Welt. Alles wird gut.
 

„Lass uns in die Bibliothek“, schlug Madara vor und führte Sakura in das Zimmer mit Papierbögen und Schriftrollen. Sie hatte ihren Rucksack mitgenommen. Es war viel zu gefährlich, ihn unbeaufsichtigt zu lassen. Damit riskierte sie, dass Madara etwas erfuhr.
 

„Ich bin der Einzige, der die Schriftrollen anfassen wird“, mahnte er drohend, als er zu einem der Regale trat, die die Schriftrollen beherbergten. „Ich werde schauen, ob ich etwas über Zeitreisen finde. Such du nach Spuren.“
 

Sakura hatte keine andere Wahl, als sich Madaras Willen zu beugen. Wie gestern auch untersuchte sie den Boden in der Hoffnung, dass sie vielleicht gegen etwas Unsichtbares kommen würde, das ein Portal hervorzaubern könnte. In derselben Hoffnung glitt sie mit ihren Händen über die Wände aus stabilem Papier und Holz und begutachtete genauestens die Decke, obwohl sie nicht gefallen war. Nein, sie war nicht gefallen. Es war vielmehr, als wäre sie einfach durch eine Tür getreten.
 

„Ich kam von hier, oder?“, fragte Sakura und deutete auf die Wand.
 

Madara, der in einer Schriftrolle las, schaute auf und bejahte. „Keiner von uns hat dein Nahen gespürt. Du warst einfach da, als wärst du durch eine Türbogen getreten.“
 

Sakura gluckste darüber, dass sie den gleichen Vergleich anstellten. „Haben Sie etwas gefunden?“
 

„Nein.“ Er rollte die Schrift zusammen, legte sie zurück ins Regal und nahm die nächste.
 

Bis zum späten Vormittag blieben sie zu zweit in der Bibliothek. Als Madara die letzte Schriftrolle wegpackte, kauerte Sakura demotiviert in der Mitte des Zimmers. Es war ein erbärmlicher Anblick, der Madara provozierte. Er konnte es nicht ausstehen, wenn Menschen sich so verhielten. Dann kam sie eben nicht sofort aus dieser Zeit hier weg. Sie war am Leben, es ging ihr verhältnismäßig gut und sie war von ihm davor bewahrt worden, von Izuna umgebracht zu werden. Offenbar wusste sie das nicht zu schätzen und blies lieber Trübsal.
 

Ein Schluchzen erreichte seine Ohren. Sakuras gesamter Körper erbebte. Madara knirschte mit den Zähnen. „Reiß dich gefälligst zusammen, Frau.“
 

Sakura hörte ihn. Hatte es ihn provoziert, dass sie vor sich hin vegetierte, provozierte es sie wiederum, dass er sie dazu aufforderte, sich zusammenzureißen. Sie warf den Kopf zu ihm und scherte sich nicht darum, dass ihr Gesicht tränenüberströmt war. „Wie können Sie es wagen mir zu sagen, dass ich mich zusammenreißen soll!“, schrie sie ihn an. „Sie gehören in diese Zeit! Sie sind ein abgebrühter Krieger, ich nicht! Ich bin ein einfaches Schulmädchen, das gewaltsam in eine vergangene Zeit geschleudert wurde! In eine Zeit, die auch noch ganz anders ist, als wir sie in der Zukunft kennen!“
 

Mit jedem Wort, das sie ihm entgegenschmetterte, wuchs Madaras Wut und Fassungslosigkeit. Diese Frau wagte es, ihn anzubrüllen. Sie wagte es, ihn anzubrüllen, und das auch noch vollkommen grundlos. Er zückte ein Kunai.
 

Das Folgende geschah so schnell, dass Sakura es nicht mitbekam. Ehe sie sich versah, kollidierte ihr Hinterkopf dumpf mit dem Boden der Bibliothek. Sie keuchte auf, mehr vor Schreck als vor Schmerz, und ihre Augen weiteten sich zu Tellern, als sie das Kunai an ihrer Kehle spürte. Es war beinahe die gleiche Situation wie gestern. Nur dass es Madara war, der sie mit einem Wurfmesser bedrohte, und nicht Izuna. Sie lag außerdem auf dem Rücken, unter ihrem Angreifer.
 

„Wäre es dir lieber gewesen, wenn ich dich hätte töten lassen? Du weißt doch noch, wer ich bin, oder?“, fragte Madara. Seine Stimme war schärfer als das Kunai und sein herb-süßer, männlicher Geruch drang in ihre Nasenhöhlen. „Das ist nicht die Art und Weise, wie ein einfaches Schulmädchen dem Clanoberhaupt der Uchiha begegnen sollte. Es sei denn, es hat Todessehnsucht.“
 

Seine Iriden waren komplett blutdurchtränkt. Nein, sie waren nicht blutdurchtränkt. Sie hatten die Farbe gewechselt. Das Schwarz war einem Rot gewichen. Sakura starrte in Madaras Augen, starrte auf die sechs Punkte, die wie verdammte Inseln aus blutroten Meeren ragten, verbunden durch halbrunde Brücken. Es war ein schauriger Anblick. War das das Sharingan, von dem Madara gesprochen hatte? Würde sie sich gleich in einer Illusion wiederfinden und seelische Qualen erleiden?
 

Sakura schluckte, unfähig, auch nur einen Laut von sich zu geben. Sie war wie paralysiert. Als sie aber spürte, wie das Kunai tiefer in ihre Haut gedrückt wurde, reagierte ihr Körper mit einer kurzen, panischen Regung.
 

„Ich kann dich von deiner Misere erlösen, wenn du es willst“, sprach Madara weiter. „Willst du aber weiterleben, so hast du dich gefälligst zu fügen. Mir zu fügen. Hast du das verstanden?“
 

Sakura starrte immer noch in seine Sharingan-Augen.
 

„Hast du das verstanden?“, wiederholte Madara mit Nachdruck.
 

„Ja“, hauchte Sakura zittrig. Als Madara von ihr stieg, überkam sie tiefe Erleichterung. Ihr Körper entspannte sich ein wenig und sie senkte die Lider, um das zu verarbeiten, was ihr eben widerfahren war. Sie hielt die Tränen zurück, weil sie nicht wollte, dass ihr nochmals das Gleiche widerfuhr. Sakura war erschöpft. Sie war so erschöpft, als hätte sie den ganzen Vormittag schwer geackert.
 

Ich kann dich von deiner Misere erlösen, wenn du es willst. Wäre es nicht besser zu sterben, als an einem Ort gefangen zu sein, an den man nicht hingehörte? Welche Auswirkungen hätte es auf die Zukunft, wenn sie sterben würde? Sakura fuhr sich über das Gesicht und über ihr Haar. Sie musste sich beruhigen. Sie atmete ein und wieder aus und ging tief in sich, um die Frage zu beantworten, ob sie Todessehnsucht habe.
 

Ich will nicht sterben, hallte es in ihrem Kopf. Ich will nicht sterben. Was wollte sie dann? In ihre Zeit zurück. Das hatte absolute Priorität. Was wollte sie noch?
 

Antworten. Sakura steckte für unbestimmte Zeit im Jahr 1412 fest. Noch immer weigerte sie sich zu glauben, dass das auf ewig der Fall sein würde. Es hatte einen Grund, warum sie hier war, und es hatte einen Grund, warum sie nicht postwendend zurück konnte. Es musste hier etwas geben, das sie finden sollte. Und dieses Etwas musste in einem Zusammenhang mit Uchiha Madara stehen. Warum sonst hatten beide das Gefühl, einander zu kennen? Und dieser Traum, dieser sonderbare Traum…
 

Sakura schaute zu Madara hinüber. Seine Augen waren gewohnt schwarz, das Kunai hatte er weggesteckt. Er lehnte mit gekreuzten Armen an einem der Regale und schien auf etwas zu warten.
 

„In diesem Raum wird bald eine Besprechung stattfinden. Du hast die Besprechung gestern mit deinem plötzlichen Auftauchen unterbrochen. Es ist nicht mehr viel Zeit übrig, Haruno.“
 

„Nicht mehr viel Zeit übrig?“, wiederholte Sakura verwirrt. „Was meinen Sie?“
 

„Du hast zwar verstanden, aber du hast mir nicht gesagt, ob du sterben oder leben willst. Du hast nicht mehr viel Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Wenn gleich jemand in diesen Raum kommt, werde ich an deiner Stelle eine Entscheidung treffen.“
 

Sakura peilte die geschlossene Schiebetür an. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, wurde lauter, wurde so laut, dass sie ihn in den Ohren hören konnte. Leben oder sterben? Leben? Oder sterben?
 

Ich will leben.
 

Sakura setzte sich aufrecht auf ihre Fersen und verbeugte sich demütig. „Ich will leben. Ich habe mich entschieden, dass ich leben will. Bitte verzeihen Sie mir, Madara-sama, dass ich Sie angeschrien habe. Das war nicht richtig und ich bereue es.“
 

„Madara-sama, ho?“ Madara grinste. „Das gefällt mir besser. Glaub aber nicht, dass du ungeschoren davonkommst.“ Er amüsierte sich köstlich darüber, dass sich Sakura anspannte und ihre Finger in den Stoff ihres Kimonos grub. Er gab vor nachzudenken, welche drakonische Strafe er über sie verhängen wollte, obwohl er sich bereits festgelegt hatte, und labte sich an ihrer Bangnis. „Die weiteren Mahlzeiten dieses Tages und das morgige Frühstück sind für dich gestrichen. Du bekommst erst morgen Nachmittag wieder etwas zu essen.“
 

Sakura biss sich auf die Unterlippe. Angenehm und einfach würde es bestimmt nicht werden. Sie würde es allerdings irgendwie durchhalten. Sakura rief sich Madaras unheimliche Augen und das Gefühl des Kunai auf ihrer Haut in Erinnerung. Ein Schauer jagte ihren Rücken hinab. Sie berührte vorsichtig die Stelle, an der Madara das Kunai angesetzt hatte, und begriff: Es hätte sie härter treffen können. Sie musste lebensmüde gewesen sein, als sie diesen Mann angeschrien hatte.
 

Die Shoji wurde mit einem Ruck beiseitegeschoben. Nacheinander kamen vier Männer hinein. Es waren die Männer, die gestern neben Madara der Besprechung beigewohnen hatten. Sakura erkannte Izuna sofort. Er reckte sein Kinn vor und ließ sie spüren, wie unerwünscht sie war. An die Namen der anderen Männer konnte sie sich nicht erinnern.
 

Jetzt erst fiel Sakura auf, dass draußen zwei Frauen standen.
 

„Shigeku und Mayuri werden auf dich aufpassen, solange ich in Besprechung bin. Geh.“
 

Sakura sah verunsichert zu den Frauen. Waren sie Kunoichi? Sie mussten es sein. Madara würde sie nicht von einfachen Frauen beaufsichtigen lassen, ganz sicher nicht. Wenn er es vorgehabt hätte, wäre ihm Izuna dazwischen gekommen. Er traute ihr immer noch nicht über den Weg und wenn Sakura ganz ehrlich zu sich selbst war, verstand sie ihn. Sie war eine junger Frau, die in die Zeit zurückgereist war, kurz bevor Senju das Dorf angriffen.
 

Als Sakura aus der Bibliothek ging, wurde sie sofort von beiden Frauen flankiert.
 

„Sie kriegt nichts zu essen“, ließ Madara Shigeku und Mayuri wissen und sperrte die Dreiergruppe aus.


 

*
 

Sakura schlug seufzend das Buch zu. Ihrer Einschätzung nach war eine Stunden vergangen. Diese Stunde hatte sie damit zugebracht, desinteressiert durch das Biologiebuch zu blättern, nur um etwas zu tun. Shigeku und Mayuri waren nämlich nicht sonderlich gesprächig. Mayuri saß neben ihr und polierte ihre Kunai, Shigeku stand wenige Schritte entfernt und taxierte sie mit ihren schwarzen Augen. Die Kunoichi sprachen nicht einmal untereinander viel.
 

„Können wir durch den Garten spazieren?“, bat Sakura. Wenn das so weiterging wie bisher, würde sie noch eingehen vor Langeweile. Wann die Besprechung enden würde, war nicht abzusehen, Madara hatte nichts gesagt.
 

Mayuri wechselte einen langen Blick mit Shigeku. Dann stand sie auf und nickte erst der anderen Kunoichi, dann Sakura zu. Also durfte sie sich wenigstens die Beine vertreten. Sakura schulterte ihren Rucksack. Von den beiden Kunoichi flankiert, machte sie sich auf, den Garten zu erkunden.
 

Es musste einst ein prachtvoller und gut umsorgter Garten gewesen sein. Die Wege hatten heute ihre Form nahezu komplett verloren. Das Gras, hoch und wuchernd, streifte immer wieder Sakuras Beine. Sah man genau hin, entdeckte man etliche dekorative Steine, die entlang des Weges platziert waren.
 

Sie hatten eine Route eingeschlagen, die zu einem winzigen Teehäuschen führte. So, wie es aussah, hatte da schon lange keiner mehr Tee getrunken, denn innen war es staubig. Auch um das Teehaus herum wucherten die Pflanzen, die damit begonnen hatten, die Wände des Gebäudes zu befallen.
 

Sakura wusste nicht, wie lange sie im Garten spazierten. Irgendwann hatte sie keine Lust mehr und die Dreiergruppe kehrte zurück zu dem Punkt, an dem sie gestartet hatten. Sakura setzte sich und legte das Gesicht in die Hände. Trotz der alles andere als freundlichen Situation von vorhin wünschte Sakura sich, Madara wäre hier. Er war im Gegensatz zu Shigeku und Mayuri wenigstens zu einer Unterhaltung fähig. Innerlich schüttelte sie den Kopf. Sie hatte gerade genug Zeit, sich Gedanken zu machen, wie sie sich in dieser Zeit nützlich machen konnte. Also sollte sie das auch tun.
 

Ein Schnarren aus der Ferne ließ Sakura irgendwann auffahren. Sie schaute den Engawa zu ihrer Linken entlang, sah Madara um die Ecke kommen und blühte ein wenig auf.
 

„Komm mit“, ordnete er an, über den freudigen Ausdruck in ihrem Gesicht verwundert. „Und nimm deinen Rucksack mit.“
 

Sakura folgte ihm eilig in die Bibliothek. Sie ahnte bereits, weshalb er sie zu sich holte – ganz sicher war sie ein Gegenstand des ausführlichen Gesprächs hinter verschlossenen Türen gewesen.
 

Kaum hatte Sakura einen Fuß in die Bibliothek gesetzt, erschauderte sie. Die vier anderen Männer saßen auf dem Boden. Alle Blicke waren auf sie gerichtet. Links von Izuna saß ein Mann mit Pferdeschwanz, links von ihm wiederum ein Mann mit großflächigen Narben im Gesicht. Neben dem Vernarbten saß im Schneidersitz ein sehr junger Mann, dessen Haar im Gegensatz zu den anderen Uchiha blond war. Es machte Sakura nervös, von ihnen angestiert zu werden. Ein jeder dieser Männer, so vermutete sie, hatte das Sharingan und konnte es nach Belieben aktivieren.
 

Sakura bekam leichte Panik, als Madara die Shoji geräuschvoll schloss. Er trat zwischen seinen Bruder und den Mann mit Zopf und sagte: „Wärst du nicht, wäre unsere eigentliche Besprechung längst beendet gewesen.“ Er bestätigte damit ihre Vorahnung, aber das kümmerte sie nicht. Was kam jetzt auf sie zu? Was hatte man mit ihr vor? Was, wenn die Uchiha es mehrheitlich als zu gefährlich einstuften, sie leben zu lassen? Was, wenn man entschieden hatte, dass sie sterben musste? Nein, das konnte nicht sein. Madara hatte ihr schließlich die Wahl zwischen Leben und Tod gelassen. Sie kannte ihn nicht gut, aber sie glaubte nicht, dass er sie dieser Wahl nachträglich berauben würde.  
 

„Das sind Hikaku, Susumo und Takao. Izuna kennst du bereits. Diese Männer haben neben mir an der Besprechung gestern teilgenommen, bevor du unerwartet dazugestoßen bist. Ich will ihnen dein Handy zeigen.“
 

„Mein Handy?“
 

„Ja. Es ist ein Beweis, dass du aus der Zukunft stammst. Gib es mir.“
 

Sakura holte ihr Handy hervor. Unsicher trat sie zu Madara und reichte es ihm. „Bitte seien Sie vorsichtig“, beschwor sie die Männer, als Madara das teure Gerät weiter an den Mann mit Pferdeschwanz gab.
 

„Mit diesem Ding kann man sich in der Zukunft mit anderen Menschen in Verbindung setzen, auch wenn sie weit weg sind“, erklärte Madara den anderen Uchiha, die das Handy einer gründlichen Inspektion unterzogen. „Man kann damit auch Fotos machen. Fotos sind Abbilder der Realität, die dann im Inneren dieses Kastens festgehalten werden.“ Madara nahm das Handy von Izuna entgegen. „Man kann auf Fotos beliebig oft zugreifen, nicht wahr? Lass sie die Fotos sehen, die du mir gestern auch gezeigt hast.“
 

Sakura nickte und entsperrte ihr Handy mit dem Zeigefinger. „Hier.“ Sie gab Madara das Handy wieder. „Zum Ansehen des nächsten Fotos einfach nach links wischen.“
 

Waren die Gesichter der Männer vorher starr gewesen, gingen sie nun in Unglaube und Faszination auf. Sogar auf Izuna machten die Fotos Eindruck. Früher oder später musste er ihr einfach glauben, dass sie kein Feind war, nichts Böses im Schilde führte und tatsächlich in der Zeit zurückgereist war.
 

„Wenn Sie wollen“, schlug Sakura langsam vor, „kann ich Ihnen jetzt zeigen, wie man Fotos macht.“
 

„Eine ausgezeichnete Idee!“, meinte Takao, der blonde Uchiha.
 

Sakura ging in den Kameramodus über und suchte nach einem günstigen Motiv. Sie blieb bei Madara hängen und positionierte sich so, damit ein schönes Foto entstand. „Schauen Sie genau auf dieses kleine Loch. Und versuchen Sie, die Augen offen zu halten.“ Sie machte ein Foto und betrachtete es zufrieden. Etwas tat sich in ihrem Inneren. Madara war ein schöner Mann. Seine Gesichtszüge waren ebenso sanft wie maskulin, beherrscht von der Rauheit eines Kriegers und Clanführers. Da war es wieder, das Gefühl der Verbundenheit. Das Gefühl, diesen Mann vorher irgendwo gesehen zu haben, ihm nahe gewesen zu sein.
 

„Wie sieht's aus, Haruno?“
 

Sakura verlor sich kurz in dem Abbild des Mannes, nahm sich zusammen und steifte das Gefühl mühevoll ab wie ein schweres Kleidungsstück. „Hier, bitte.“
 

„Das ist nicht schlecht getroffen“, bewertete Madara sein Abbild und gab das Handy an die anderen weiter.
 

„Ein wenig dunkel, aber das lässt sich in diesem Raum nicht vermeiden.“ Außer natürlich, wenn sie die Blitzfunktion genutzt hätte. Sakura wollte aber kein Foto mit Blitz machen, ohne die anderen vorzuwarnen. Nicht, dass sie noch dachten, sie würde sie angreifen wollen. Eine solche Reaktion war ihnen allen zuzutrauen.
 

„Interessant.“ Wenn sie sich den Namen richtig gemerkt hatte, dann war es Hikaku, der sprach. Er sah Sakura an. Auch ohne dass Hikaku sein Sharingan aktiviert hatte, war es, als würde er sie durchleuchten. An seinem Oberteil war ein Schmuckstück befestigt; die langen Elemente erinnerten Sakura an Teile eines Windspiels. Hikaku tippte gegen eine der Klangröhren, die hell erschallte. „Ich für meinen Teil glaube ihr. Die Beweise sind in meinen Augen überzeugend genug. Wie sehen es die anderen?“
 

Sakura war ihm außerordentlich dankbar und hoffte, dass die anderen ihr ebenfalls vertrauten.
 

Nur mit Mühe gab Takao das Handy aus der Hand. „Ich glaube ihr auch.“
 

Izuna und Susumo hüllten sich in Schweigen. Von Izuna wusste Sakura, dass er ein großer Skeptiker war. Susumo schien es auch zu sein. Es waren drei gegen zwei. Madara, Hikaku und Takao glaubten ihr und das war viel Wert. Dennoch ärgerte Sakura das Misstrauen. Sie hatte allerdings nichts weiter bei sich, das sie überzeugen könnte.  
 

„Wir haben in unserem Dorf also eine Frau aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert. Sie führt einen wundersamen Gegenstand mit sich, mit dem man die Realität in unbewegte Bilder festhalten kann. Insgesamt sieben Menschen sind bisher eingeweiht. Wir werden nicht darum herumkommen, andere einzuweihen, aber der Kreis soll so klein bleiben wie nur möglich. Es darf aber nicht in die Welt dringen, dass wir eine solche Person in unserem Dorf beherbergen. Ich kann mir vorstellen, dass sich Menschen darum reißen würden, an Sakuras Wissen über die Zukunft heranzukommen, auch wenn es in ihrer Zeit keine Ninjas gibt.“
 

„Übrigens kann man damit Videos aufnehmen“, merkte Sakura an und hielt ihr Handy hoch. „Das sind dann bewegte Abbilder der Realität, wenn man es so will. Telefonieren, Fotos machen und Videos aufnehmen geht aber nur, solange das Handy geladen ist. Ich habe noch achtzig Prozent Akku. Das ist vorerst genug für, na ja, Was-auch-immer. Aber man muss so ein Handy einmal am Tag aufladen. Das geht mit Strom. In dieser Zeit ist er noch nicht verfügbar. Und Steckdosen sowieso nicht.“  
 

Die marmornen Gesichter der Männer sagten ihr, dass sie nur Bahnhof verstanden.
 

Es war Izuna, der das Schweigen brach. „Wir haben uns als Letztes darüber unterhalten, welche falsche Identität Sakura annehmen könnte.“
 

„Richtig“, fing Madara auf. „Wir wissen aber immer noch nicht, wie wir dich ins Dorfleben integrieren können.“ Madara verfiel wieder in Schweigen und die anderen Uchiha stimmten ein. Plötzlich zuckte Madaras Kinn und seine Augen weiteten sich, weil ihm ein Einfall gekommen war. „Kannst du gut mit Kindern?“
 

„Mit Kindern?“ Sakura legte die Stirn in Falten. „Ich habe einige Male auf die Nachbarskinder aufgepasst. Das war in Ordnung. Wie kommen Sie auf Kinder?“
 

„Wir haben im Dorf ein Findelheim. Dort leben Kinder, die keine Eltern haben und sich selbst versorgen müssen. Ein jeder im Dorf hilft, wie er kann. Meist kümmern sich Frauen um die Kinder vor Ort. Es sind viele Kinder, aber zu wenige, die sich um sie intensiv kümmern. Vielleicht wäre das etwas für dich, wenn du schon Erfahrung mit Kindern hast.“
 

Er bot ihr an, in einem Waisenhaus zu arbeiten. Ihr war bewusst, dass sie irgendetwas tun musste, solange sie hier festsaß. Aber ob sie für diese Aufgabe geeignet war? Sicher hatte sie ein wenig Erfahrung mit Kindern durch das Babysitting, aber in einem Waisenhaus zu arbeiten, war eventuell zu viel für sie. „Ich muss etwas machen. Ich will nützlich sein.“ Sakura sah Madara entschlossen an. „Ich werde es versuchen.“
 

„Gut.“ Madara sah in die Runde. „Ich erkläre die Besprechung hiermit für beendet. Haruno bringe ich zum Findelheim. Wer nach ihrer Herkunft fragt, macht ihnen vor, dass sie eine Frau aus dem Hogoromo-Clan ist, die aushilft.“
 

„Werden sie das glauben?“, warf Izuna ein. „Was ist mit ihrer sonderbaren Art zu reden? Man wird es sofort merken und Fragen stellen.“
 

Madara zuckte die Schultern. „Sie werden es tun müssen. Was deine Art zu reden betrifft, Haruno, so wirst du ihnen erzählen, dass du eine Sprachstörung hast.“
 

„E-Eine Sprachstörung?“, stammelte Sakura empört.
 

„Das ist die beste Möglichkeit, um irgendwelche Fragen zu vermeiden. Oder siehst du das anders?“
 

Sakura schluckte ihren Ärger über diesen Vorschlag mühevoll herunter. Er hatte ja Recht. Der Einfall missfiel ihr, aber er hatte Recht. Schade, dass Madara nicht in ihre Zeit gelandet war, dann würde sie jetzt bestimmen, was er zu tun und zu lassen hatte. Nein. Nein, wo dachte sie hin, wahrscheinlich würde sich das Oberhaupt der Uchiha unter keinen Umständen der Zukunft beugen. Er würde in ihrer Zeit Chaos stiften, während sie versuchte, eben das zu vermeiden. „Einverstanden“, murmelte Sakura resigniert.
 

Hikaku, Susumo und Takao standen auf und verließen den Raum.
 

In den nächsten Minuten klärten Madara und Izuna Sakura über den Hagoromo-Clan auf, der ein enger Verbündeter der Uchiha war. Mit diesem Wissen ausgestattet, war Sakura in Madaras Augen bereit, das Anwesen des Clanoberhaupts zu verlassen und sich unter die Uchiha zu mischen.
 

Die zwei Männer begleiteten sie zum Tor und wandten sich nach ihr um, als sie davor standen.
 

„Bist du  bereit?“, fragte Madara sie, die Hand an dem massiven Holz, auf welchem sich das Wappen der Uchiha, ein Fächer, entbreitete. Izuna hatte die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete sie aus den Augenwinkeln.
 

Sakuras Ärger war nunmehr gänzlich verraucht und an seiner Stelle war die Aufregung und Furcht vor dem getreten, das hinter diesem Tor lauerte. Sie kam sich vor wie jemand, der kurz davor stand, in die große weite Welt zu ziehen, die allerlei Gefahren beherbergte. Verunsichert bohrte sie mit ihrem Blick Löcher in das Tor, bis es gänzlich verschwunden war und der Fächer, die untere Hälfte weiß, die obere rot, vor dem pechschwarzen Hintergrund schwebte.
 

„Willst du hier ewig stehen?“, bemängelte Izuna ihr Zögern.
 

Sakura antwortete ihm nicht. Sie sammelte all ihren Mund zusammen und sah Madara entschlossen an. „Ja, ich bin bereit.“
 

Madara stieß das Tor auf, das ein langes Knarzen von sich gab, und vor Sakura breiteten sich niedrige, sonnenbeschienene Häuser aus. Über die Straßen spazierten Männer und Frauen, von denen einige kurz stehen blieben, um ihr Clanoberhaupt zu begrüßen und sich still über die junge Frau zu wundern, die an seiner Seite stand. Ein scheinbar vollkommen normales Dorf – wenn man das Sharingan und die Jutsus außer Acht ließ.
 

„Komm.“ Madara ging vor und wie auch gestern bildete Izuna das Schlusslicht in ihrer kleinen Prozession.
 

Es drehten sich so einige Köpfe nach ihnen um und Madara flüsterte Sakura zu, sie solle sich so authentisch es nur gehe verhalten. Sakura wusste nicht, was Madara unter authentisch verstand, also lächelte sie lediglich die Menschen, die ihnen neugierig begegneten, flüchtig an.
 

„Du bist zu verkrampft“, stellte Madara verdrossen fest, als sie am nördlichen Ende des Dorfes angelangt waren.
 

Vor ihnen erhob sich ein Gebäude, das ebenso niedrig war wie die meisten in diesem Dorf. Es war allerdings ein sehr großflächiger Bau, dem mannigfaltiger Kinderlärm entkam. Sakura knetete nervös die Hände, was Madara nicht entkam. „Du wirst das schaffen, Haruno.“
 

Sakura sah Madara mit großen Augen an, denn sie hätte nicht damit gerechnet, dass er ihr derart Mut zusprechen würde. Im nächsten Augenblick betraten Madara und Sakura ohne Izuna das Haus.
 

Madara ging geradeaus, um die inoffizielle Leiterin des Findelheims ausfindig zu machen, und Sakura warf in jeden Raum, an dem sie vorbeigingen, einen kurzen Blick hinein. Es waren so viele kleine Kinder hier. Sie alle hatten keine Eltern mehr und es zerriss Sakura das Herz. Unbewusst verlangsamte sie ihren Schritt. Sakuras Eltern tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Sie vermisste sie. Sie vermisste sie schrecklich und hatte Heimweh. Obwohl sie nicht das durchgemacht hatte, was die Kinder hier erlebt hatten, fühlte es sich an, als hätte sie ihre Eltern durch Fremdeinwirkung verloren.
 

„Nicht trödeln“, rief Madara und bedeutete ihr mit einer Geste, ihm zu folgen.
 

Es ging hier lebendig zu. Ein oder zwei Kinder zu hüten war das eine, sich um einen ganzen Hort von Kindern zu kümmern das andere. Ihre Zweifel ließ sich Sakura nicht deutlich anmerken und ging so gelassen es ihr nur möglich war hinter Madara her.
 

Die Frau, die Madara suchte und schließlich auf dem Hof fand, hieß Uchiha Haruhi. Sie war eine großgewachsene und muskulöse Frau und wirkte mehr wie ein Krieger als eine, die den ganzen Tag mit Kindern zu tun hatte.
 

Madara kam auf Haruhi zu und sie wandte sich nach ihm, als hätte sie sein Nahen bereits von weitem gespürt. „Du hast dich lange nicht mehr hier blicken lassen“, warf sie ihm lässig vor.
 

Madaras Mundwinkel zuckten. „Du weißt doch, das Leben als Clanführer ist mit wichtigen und zeitfressenden Aufgaben verbunden.“
 

Madara und Haruhi unterhielten sich vertraut, wie zwei alte Kameraden. Immer wieder warf Haruhi Sakura einen kurzen, prüfenden Blick zu, fragte aber erst dann nach ihr, als sie und Madara ihren Plausch beendet hatten.
 

Madara trat ganz nahe an Haruhi heran. Er drehte seinen Kopf zu ihrem Ohr, senkte die Stimme und sprach: „Dieses Mädchen ist aus der fernen Zukunft. Es ist ein Fakt, dass sie sechshundert Jahre in der Zeit zurückgereist ist. Ich will, dass sie sich vorerst in das Dorfleben integriert. Wenn jemand nach ihrem Namen fragt, so ist sie eine Hogoromo und hilft hier neuerdings aus.“
 

Haruhi hörte aufmerksam zu. „Ich verstehe“, sagte sie dann.
 

„Ich werde dir alles irgendwann detailliert darlegen.“
 

Haruhi nickte. Sie zweifelte nicht an dem, was Madara ihr mitgeteilt hatte. Haruhi hatte noch nie an ihm gezweifelt. „Gut, ich werde schauen, wie ich sie einsetzen kann.“ Urplötzlich ließ sie ihre Haltung abfallen und peilte zwei Jungen an, die mit Kunai spielten. „Was habe ich euch zwei gesagt?!“, brüllte sie erbost. „Keine Kunai! Nicht in dem Alter!“
 

„Haruhi ist eine ehemalige Kunochi“, erklärte Madara. „Während einer Schlacht wurde sie lebensgefährlich verletzt. Sie hat sich zwar davon erholt, wie du siehst, aber sie hat sich seitdem vom Schlachtfeld komplett zurückgezogen und kümmert sich mit einigen anderen um die Kinder hier.“ Madara und Sakura beobachteten, wie Haruhi beiden Jungen die Wurfmesser aus den Händen riss und sie in übelster Manier schalt.  
 

„Lassen Sie mich gleich allein hier?“, wollte Sakura wissen.
 

„Ja. Ich bezweifle, dass du etwas anstellen wirst, und außerdem habe ich zu tun.“ Es war nur eine Frage der Zeit, wann die Uchiha wieder das Dorf verlassen würden, um zu kämpfen. „Dennoch die Warnung: Haruhi kann immer noch kämpfen und hat ein Gespür dafür, wenn man sie veräppeln will. Unterschätze sie nicht, nur weil sie sich nun um Kinder kümmert. Erledige alle Aufgaben mit Sorgfalt, dann wird das schon laufen.“
 

Sakura wollte nicht, dass Madara ging. Wahrscheinlich war es, weil sie Haruhi und all die Kinder nicht kannte. Zu Madara hatte sie, auch wenn sie erst seit gestern hier war, schon durch zahlreiche Gespräche eine Art Beziehung aufgebaut.
 

„Ich hole dich heute Abend ab.“
 

Sakura wollte gerade etwas erwidern, da machte Madara auf dem Absatz kehrt und ging. Sakura streckte wie im Reflex den Arm nach ihm aus und öffnete ihren Mund, um seinen Namen zu sagen. „Ma…“ Gewaltsam presste sie die Lippen aufeinander und ließ ihren Arm sinken. Nein, Haruno. Sie wandte sich um und sah Haruhi, die auf sie zukam. Du bist nun auf dich alleine gestellt.



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Kommentare zu dieser Fanfic (9)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Tilu
2021-10-22T10:53:16+00:00 22.10.2021 12:53
Interessante Story, schreibst du bald weiter?
Von:  AzuraOsiris
2020-02-18T01:21:36+00:00 18.02.2020 02:21
Mega Schöne Geschichte *-*
Wann geht es Weiter?*-*
Von:  Kairi234
2020-01-06T18:35:24+00:00 06.01.2020 19:35
😍
Von:  SakurA38
2019-12-22T10:28:03+00:00 22.12.2019 11:28
Hey, ich finde deine Geschichte mega gut, hoffentlich gehts bald weiter. :)
Bin gespannt wie es zwischen den zweien nun weiter geht und allgemein wie sich arme sakura da integriert.

Von:  Scorbion1984
2019-12-17T11:14:30+00:00 17.12.2019 12:14
Na dann hat sie ja jetzt eine Aufgabe !
Bin gespannt wie sie sich schlägt !
Von:  Scorbion1984
2019-12-14T14:11:34+00:00 14.12.2019 15:11
Das ist aber gemein ,nichts zu essen ,gibt er ihr wenigstens was zu trinken !
Frage mich ob sie ihm jemals die Wahrheit sagt ,über das was alles noch kommt und sie es schon weiss!
Was so mit den Clans passiert !
Antwort von: abgemeldet
16.12.2019 19:55
Hey,

vielen Dank für deine Kommentare! Ob sie ihm alles erzählt oder nicht, wird sich noch zeigen. ;)

Liebe Grüße

C.
Von:  Scorbion1984
2019-12-14T13:58:44+00:00 14.12.2019 14:58
Liest sich ganz interessant ,bin gespannt wie es weiter geht !
Von:  Annasche
2019-12-11T22:08:16+00:00 11.12.2019 23:08
So, dann fange ich mal mit dem ersten Kommentar an 😁
Nun, ich bin ja eigentlich kein Madara x Sakura Fan, allerdings hat mich deine Story irgendwie neugierig gemacht. Ich mag Zeitteisen sehr gerne... Und wenn auch noch gut recherchiert wurde ganz besonders!
Der Anfang gefällt mir recht gut... Ich denke es könnte zu ganz witzigen Situation zwischen den beiden kommen!

Woher Madara wohl das Gefühl hat, Sakura zu kennen?! Bleibt abzuwarten!
Bin mal gespannt was du hier basteln wirst! Ich freu mich drauf!
Antwort von: abgemeldet
12.12.2019 11:24
Hallo Annasche,

vielen lieben Dank erst einmal für deinen Kommentar!
Mich freut es, dass du in die FF reingelesen hast, obwohl du kein Freund des Pairings bist (es ist auch nicht gerade der Standard und Crack pur!), und noch mehr freut es mich, dass du geblieben bist. :>
Ich mag Zeitreisen auch gerne. Die ganze Geschichte spielt im Grunde in einem modifizierten Naruto-Universum. Ich hatte echt viel Spaß dabei, mich wieder mehr mit Ninjas und ihren Fähigkeiten auseinanderzusetzen. Eine Zeitlang habe ich nämlich nur AU geschrieben und war auch eine Weile raus aus dem Fandom.
Ich werde natürlich alles im Laufe der Story erklären und hoffe, dass dir der Verlauf zusagen wird!

Liebe Grüße

C.
Antwort von:  Rina2015
13.12.2019 09:39
So erging es mir auch😂😂😂😂 irgendwie hat mich die Story neugierig gemacht 😊 freue mich schon auf die nächsten Kapitel 😊


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