Der gläserne Eisbär von Salome_chan (Weihnachtsgeschichte 2019) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ein eisiger Wind wehte von Norden über die Stadt hinweg, die Seen in den Parks waren zugefroren, die Menschen hasteten umher, von ihrer warmen Stube zum nächstbesten warmen Ladengeschäft und rasch nach Haus. Manche nahmen sich die Zeit, über die zugefrorenen Gewässer zu schlittern – mehr oder weniger elegant oder beabsichtigt als andere. Auf dem alten Marktplatz war ein bunter Weihnachtsmarkt aufgebaut, die umstehenden Gebäude hatten sich herausgeputzt und funkelten miteinander um die Wette. Es war bereits später Nachmittag, bald würde die Sonne hinter den Hausdächern versinken, nur, um der festlichen Beleuchtung ihre Chance zu gewähren, gegen die winterliche Dunkelheit anzuleuchten. Am Rande des Gedrängels versuchte eine junge Frau, sich etwas um die Menschenmassen zu winden, die kalten Hände tief in den Manteltaschen vergraben und das Gesicht halb in einem warmen Schal verborgen. Schlendern braucht kein klares Ziel und so ließ sie sich vom Strom treiben. Es gab Passanten verschiedenster Art, fröhlich und munter, manche gehetzt, andere suchend, wieder andere trugen einen Schimmer von Traurigkeit irgendwo in ihren Gesichtszügen verborgen. Das Gewimmel wurde dichter und dichter, es wurde schwieriger, den Bechern heißen Glühweins auszuweichen. Umsichtig entschloss sie sich, zur Uferpromenade am Rande der Stadt zu entfliehen, um dem Durcheinander an Menschen aus dem Weg zu gehen. Das bleigraue Meer lag matt im Hafenbecken, kaum gekräuselt von schwachen Wellen, die der Nordwind mit sich brachte. Vielleicht würde auch dieser Teil der See bald mit Eis überzogen sein. Hier flanierten nur wenige Städter, die Köpfe eingezogen, um sie den kalten Böen zu verbergen. Einige wenige Stände fanden sich hier und dort verstreut, nur bei dem Ständchen für dampfend heiße Getränke stand eine kleine Gruppe umher, der Kleidung und den wettergegerbten Gesichtern nach vielleicht Seeleute. Sie huschte an ihnen vorbei, dem Wind entgegen, weiter von dem Trubel des Weihnachtsmarktes hinfort. Auf Höhe des Schlossgartens fand sie einen wunderlichen Stand, der Unmengen an Glasgetier und allerlei anderes, aus feinem Glas geblasen und sorgfältig bemaltem anbot. Ein leises Klirren der Dinge, aufgehangen an verhedderten Fäden über langen Stäben, umgab dort alles fast wie ein feiner Vorhang. In den matten Strahlen der langsam versinkenden Sonne glänzte ein gläserner Eisbär wie ein Schneekristall. Sie konnte nicht widerstehen und erstand ihn für einige Münzen. Der frierende Händler, der langsam und klammheimlich begonnen hatte, seine Habseligkeiten zusammenzupacken, freute sich sichtlich über das letzte Geschäft des Tages. Er wickelte den Bären sorgfältig in knisterndes, rotes Seidenpapier ein. Mit diesem kleinen Schatz sicher in ihrer Manteltasche verstaut, stiefelte sie, nicht ohne einen letzten Blick auf die ruhigen Fluten des Ozeans zu werfen, zurück zwischen die hohen Häuser der Stadt. Zwischen den riesengleich aufragenden Fassaden schwebte das elektrische Licht an den Kabeln, die die Straßenschluchten mit Lampen überzogen, hoch über den Köpfen der immer seltener anzutreffenden Passanten. Die Schaufensterbeleuchtungen wurden nach und nach abgedämmt, die tausendundein begehrbaren Dinge, alle mit sorgsam ausgestelltem Preisschild, verbargen sich in ihrem Halbschatten. Einzig die grell erleuchteten Straßenbahnwagen versprühten im raschen Vorbeirauschen all ihr überschüssiges Licht. Sie huschte in den letzten Wagen der Linie Richtung neue der Endhaltestelle weit draußen in der Vorstadt. Es herrschte kein großes Gedränge und je weiter sie den Stadtkern hinter sich ließen, desto weniger Leute saßen auf den Polsterbänken. Rasch eilte sie durch das klamme Treppenhaus; das Glas der Eingangstüre war mit feinen Eisblumen überzogen. Im Lesezimmer stand fast vorwurfsvoll der ausgekühlte Kachelofen. In der Schlafstube drehte sie den Regler des gusseisernen Heizkörpers auf, der leise zu knacken begann und breitete ihren Mantel darüber aus. Das Knistern in der linken Tasche erinnerte sie an das kleine, kostbare Päckchen. Sie nahm es heraus und legte es im Lesezimmer auf die leere Fensterbank. Die kalte und ungewöhnlich klare Nacht bot ihr, aus dem kaum beleuchteten Raum hinaus, einen Blick auf das mit Sternen gespickte Firmament. Sie langte nach dem großen brauen Teddybären, der stumm auf dem Lesesessel saß und sah sich mit ihm die Gestirne an. Dort der kleine Bär, daneben der große, Cassiopeia und ein Teil des Löwen waren über den Dächern sichtbar. In einem fernen Winkel des Universums rauschte eine Sternschnuppe durch das Nichts und mit einem Lächeln und einem unausgesprochenen Wunsch auf den Lippen zog sie die schweren Vorhänge zu und begab sich, mit dem Teddybären, zu Bett. Am nächsten Morgen schlurfte sie verschlafen und eingewickelt in die wollene Überdecke in die Küche, um Teewasser aufzusetzen. Das eiskalte, klare Leitungswasser füllte den Kessel mit einem Rauschen und sie drehte die Gasflamme auf, um das Wasser rasch zum Kochen zu bringen. Durch ihren müden Geist wogte die Erinnerung an das kleine Päckchen von gestern, dass noch immer wartete. Die Decke nun etwas eleganter – und praktischer – um sich drapiert, huschte sie zurück ins Lesezimmer. Sie zog die Vorhänge beiseite. Die Welt vor dem Fenster war wie verzaubert. Über Nacht war die Stadt verhüllt worden von glimmerndem, in der Morgensonne glitzerndem Schnee aus abertausenden, das noch schwache Licht auffangenden Eiskristallen. Eine angenehme Wärme breitete sich in ihr aus. Draußen saß eine Möwe, aufgeplustert und leidlich unbegeistert über die Witterung, auf einem Dach neben einem rauchenden Kaminschlot auf der anderen Seite der Straße. Der Kessel begann leise zu pfeifen und sie eilte zurück zur Küche, um eine Kanne heißen Tees zuzubereiten. Sie brachte die glänzend polierte bauchige silberne Teekanne samt Zuckerdose und einem Teeglas an den Tisch bei ihrem Lesesessel. Der Teddybär schien den Blick auf die verschneiten Häuser ebenfalls zu genießen. Sie goss sich ein Glas ein, löffelte etwas Zucker dazu und trat, es vorsichtig an dem silbernen Henkel balancierend, wieder ans Fenster. Sorgsam entpackte sie den gläsernen Eisbären aus dem knisternden Seidenpapier und breitete es auf der Fensterbank aus. Das tiefe Rot mit dem kleinen, silbrig weißen Bären und seiner sternförmigen Aufhängung setzte sich von dem Weiß des Fensterrahmens und all des Schnees ab. Vermutlich gerade, weil der Eisbär als hängendes Ornament gedacht war, wollte er nicht stillsitzen und lehnte sich beständig ein wenig nach hinten. Die beiden Vordertatzen über der Brust aneinandergelegt, blickte er zu ihr auf, als wollte er um etwas bitten. Sie stupste ihn sanft auf die kalte, gläserne Nase und spürte eine leise Vorfreude in sich aufsteigen. Draußen begann es wieder dicht zu schneien. Lächelnd blickte sie in dem tiefen Schneegestöber einzelnen Flocken nach und flüsterte leise Frohe Weihnacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)