Blue Wolve von RaoulVegas ================================================================================ Pain and Boon ------------- 1 Mit einem verärgerten Brummen lässt sich Wolverine auf den Stuhl sinken und verschränkt bockig die Arme vor der muskulösen Brust. Finster mustert er den kahlköpfigen Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches, der seinen Blick jedoch mit ruhiger, aber ernster Miene erwidert. Charles stößt ein tiefes Seufzen aus. „Ich frage mich allen Ernstes, wie oft wir dieses Gespräch noch führen müssen, Logan...“, setzt er an. „Dann lass es doch einfach, dann haben wir beide etwas davon.“, brummt der zu kurz geratene Kanadier verstimmt und kommt sich innerlich vor, wie ein Kind, das zum wiederholten Mal ins Büro des Rektors geschickt wurde, und irgendwie ist es ja auch so, denn schließlich ist das Xavier Institut ja auch eine Schule. Zwar eine, die ausschließlich von Mutanten besucht werden darf, aber das tut nichts zur Sache. Vielmehr ärgert es Wolverine, dass er selbst von Charles wie ein Kind behandelt wird, obwohl er das bei weitem nicht mehr ist – ja sogar immerhin mehr als doppelt so alt, wie Xavier selbst ist. Doch das kümmert den Mann im Rollstuhl hinter dem Schreibtisch nicht im Geringsten. Erst recht nicht, weil sich Logan in seinen Augen trotz seines stattlichen Alters von neunzig Jahre ziemlich kindisch bei diesem Thema benehmen kann. Tief seufzend beginnt sich der Professor die Schläfen zu massieren, als hätte er ganz plötzlich schlimme Kopfschmerzen gekommen. Für einen Moment schließt er sogar die Augen und atmet tief durch. Dann legt er die Fingerspitzen vor seinem Gesicht aneinander und mustert den Krieger vor sich noch einmal durchdringend. Langsam und mit Bedacht streckt er dabei seine mentalen Finger aus und versucht damit in den Geist des Älteren einzudringen. Vielleicht offenbart ihm dies ja, warum sich der Kanadier so sträubt? Doch die Schicht aus Adamantium, die Wolverines Körper fast gänzlich überzieht, erschwert ihm das Eindringen in dessen Geist ein wenig, stellt aber dennoch kein Hindernis dar. Zumindest, solange der X-Man es nicht merkt und ihn gedanklich abblockt. Dummerweise tut er das aber gerade und verwehrt Charles damit den Zutritt in seinen Verstand. „Und wie oft muss ich dir noch sagen, dass du in meinem verfluchten Schädel nichts zu suchen hast?“, faucht der kleinere Mann ihn daraufhin regelrecht an. Erneut seufzt der Professor schwer. „Tja, wir halten scheinbar beide nichts von den Worten des anderen, wie? – Aber nun einmal ernsthaft, Logan. Ich habe dir gestattet draußen auf dem Gelände zu rauchen. Ich war sogar so großmütig und habe es dir in deinem Zimmer gestattet, wobei ich damit gegen meine eigenen Sicherheitsbestimmungen verstoße, wie du sehr genau weißt. Warum also musst du dann in der Küche rauchen und damit alle anderen belästigen? Du bist hier der Einzige mit einem Selbstheilungsfaktor und schadest dir damit nicht. Meinen Schülern allerdings schadet deine Rücksichtslosigkeit und ich lasse es nicht zu, dass sie deinetwegen krank werden. Außerdem haben sie sich mehrfach deswegen über dich beschwert und du gibst ihnen nichts weiter als patzige Antworten, wenn überhaupt.“ Der sonst so ausgeglichene Leiter des Instituts ist sichtlich angefressen, sucht er doch schon lange händeringend nach einer Lösung für das Problem. Einer Strafe, wenn man so will, die Logan wirklich an die Nieren gehen könnte. Allerdings ist der Kanadier da mit allen Wassern gewaschen, lässt sich für gewöhnlich nichts sagen, schon gar nicht, wenn er keinen persönlichen Nutzen daraus ziehen kann. Er ist eigensinnig wie eine alte Straßenkatze und zwei Mal so gefährlich wie ein ausgehungerter Wolf, wenn ihm etwas nicht passt – und ihm passt sehr vieles nicht. Von daher ist es schwer, sich ihm gegenüber zu behaupten und mit heiler Haut davonzukommen. Er könnte Wolverine zwar einfach aus dem Institut verbannen, um sich Abhilfe von diesem Problem zu verschaffen – und Logan hätte damit wohl kaum Sorge, ist er doch sowieso viel lieber allein und frei – doch damit würde er seinen erfahrensten und besten Kämpfer einbüßen, was er sich unmöglich erlauben kann. Nicht nur das, der Schwarzhaarige ist auch ein ganz ausgezeichneter Lehrer, allein schon wegen seiner überaus langen Lebenserfahrung. Er hat zwar im Allgemeinen eine sehr kurze Lunte und fährt nahezu bei allem aus der Haut, aber Kinder sind seine große Schwäche. Er kann ihnen nichts abschlagen und kümmert sich erstaunlich sanft und hingebungsvoll um sie. Zwar ist das jüngste Mitglied des Instituts gerade 21 geworden, doch das tut bei Logan nichts zur Sache. Bei ihm ist praktisch jeder unter 25 ein Kind, erst recht, wenn das geistige Alter womöglich nicht mit dem körperlichen harmoniert. Wie nicht anders zu erwarten grummelt der Kanadier nur wieder in sich hinein, statt eine Antwort zu geben. „Ich will mich nur ungern mit dir anlegen, aber du musst das einfach verstehen und berücksichtigen. – Vielleicht fehlt dir ja einfach nur eine Aufgabe, die dich etwas mehr fordert, um die Konzentration dafür nicht zu verlieren?“, versucht es Charles noch einmal. Misstrauisch hebt Logan eine Augenbraue. „Was soll das heißen?“ „Ich habe da eine Mission, die ich nur dir anvertrauen mag und die dich ziemlich lange beschäftigen dürfte. Eigentlich soll es eine Strafe für dein Fehlverhalten sein, aber wenn du dich geschickt anstellst, könnte es auch ein Vergnügen für die sein.“, lächelt der kahlköpfige Mann leicht herausfordernd. Langsam gibt Wolverine seine verkrampfte Haltung auf und beugt sich leicht zu ihm nach vorn. „Und wenn ich ablehne?“, fragt der Jäger grimmig. „Ich denke nicht, dass du das tun wirst.“, hält Charles dagegen. „Ach ja?“ „Ja. Doch hör dir das Ganze erst einmal an, dann kannst du immer noch darüber schimpfen. So oder so wirst du es aber dennoch machen müssen, da es nun mal eine Strafe sein soll und du keine Wahl hast.“, kommt es nun strenger von dem Mann im Rollstuhl. Hörbar vernimmt er dabei das leicht unterdrückte Knurren des Schwarzhaarigen. Er ignoriert es jedoch gekonnt und fängt an zu erzählen. „Vor ein paar Tagen bin ich im nationalen Fernsehen über einen Werbespot gestolpert. Es stammt aus Las Vegas, um genauer zu sein Sun City.“ Mit Hilfe einer Fernbedienung schaltet der Professor einen Bildschirm hinter sich ein und mit einer zweiten setzt sich gehorsam der Videorecorder darunter in Bewegung. Der Ton ist abgeschaltet, doch er spielt auch keine Rolle, wie es Logan scheint. Als der Spot einsetzt, sieht man einen kleinen, dicken Mann in einem aufwendigen Kostüm. Schnell wird ersichtlich, dass es sich dabei um den Besitzer eines großen Zirkus handelt, der für seine neue und spektakuläre Show in Las Vegas wirbt. Die Kamera schwenkt herum und zeigt dabei allerhand Gestalten, die zur Show zu gehören scheinen. Da sind Clowns, Jongleure, Tierbändiger, Seiltänzer und vieles mehr. Dann wird das Bild deutlich dunkler und die Kamera wird direkt in einen Käfig gerichtet. In den dort vorherrschenden Schatten ist zuerst nichts auszumachen. Der Zirkusdirektor – Getmann – wird wieder neben dem Käfig sichtbar und scheint eindringlich, regelrecht verschwörerisch mit den Zuschauern zu reden, als warne er sie vor etwas Schrecklichem, das dort im Käfig zu hausen scheint. Dann plötzlich leuchten zwei gelbe Augen in den Schatten auf. Einen Moment später tritt ruckartig ein Wesen aus der Dunkelheit, umklammert scheinbar wütend fauchend die Gitterstäbe und bleckt die scharfen Zähne. Es wirkt, als wäre es aus einem Fantasyroman entsprungen. Wie eine Kreuzung aus Mensch und Teufel. Allerdings ist seine Haut blau und nicht rot. Seine Ohren sind spitzzulaufend etwas in die Länge gezogen, wie die eines Elfen. Seine Augen sind gelb, scheinen von innen heraus regelrecht zu leuchten, zeigen aber keine erkennbaren Pupillen. Seine Eckzähne sind lang und erinnern an ein Raubtier. Seine Hände haben nur zwei Finger und den Daumen; seine Füße nur zwei Zehen und seine langen Beine wirken seltsam geformt, wie die eines vierbeinigen Tiers. Zudem hat er einen langen Schwanz, der einen mit seiner dreieckigen Spitze wieder an den Teufel denken lässt. In Logans Augen kann er nicht älter als 20 sein, wenn überhaupt. Sein ganzes Aussehen wirkt böse und dämonisch und dennoch ist da etwas in seinen leeren Augen: Eine tiefe Traurigkeit und entsetzliche Angst. An dieser Stelle beendet Charles die Vorführung und wendet sich wieder zu Wolverine. „In dem Spot nennt dieser Getmann ihn Nightcrawler, Sohn des Teufels, und er sei direkt aus der Hölle gestiegen, um den Menschen das Fürchten zu lehren. Mit Cerebro konnte ich nicht feststellen, ob es sich dabei um einen Mutanten oder nur um einen ziemlich gut verkleideten Menschen handelt. Falls er ein Mutant ist, ist sein X-Gen womöglich noch nicht aktiv geworden. – Ich möchte nun, dass du nach Las Vegas fliegst, dir die Show ansiehst und herausfindest, ob Nightcrawler ein Mutant ist und wenn ja, dass du ihn dort rausholst und hierherbringst, sollte er dort wirklich so schlecht behandelt werden, wie es den Augenschein hat.“ Der Professor hat seinen Satz kaum beendet, da erhebt sich der Kanadier auch schon ruckartig und wendet sich der Tür zu. „Ich war noch nicht fertig!“, ruft Charles ihm nach. „Hab´ genug gehört.“, brummt Wolverine nichtssagend. „Und wo gehst du jetzt hin, wenn ich fragen darf?“ „Wohin schon? Ich werde den Bengel da rausholen, ehe man ihn noch mehr verletzt.“, deutlich spiegelt sich Wut in seiner Stimme wider. Auf Xaviers Gesicht schlägt sich dadurch sichtliche Erleichterung nieder. „Sehr gut. Das wollte ich hören! Viel Glück.“ „Brauch´ ich nicht.“, grummelt der Jäger und öffnet die Tür. „Ja, vielleicht nicht für die Mission, aber womöglich für das, was danach kommt.“ Verständnislos wendet sich der Kanadier noch einmal herum. „Wenn du ihn hierherbringst, bist du anschließend für ihn verantwortlich und das könnte das Ganze doch zu einer Strafe für dich machen. Du wirst nämlich sein persönlicher Lehrer werden und ihm alles beibringen, was er für sein Leben als Mutant wissen muss. Das wird ein paar Jahre dauern, wie du sehr gut weißt, und ich verlange von dir, dass du das anständig und gewissenhaft machst. Ich will hier keinen zweiten Wolverine haben!“, streng mustert er den kleinen Mann. Dieser gibt nur wieder ein verstimmtes Knurren von sich und verlässt dann ohne ein weiteres Wort den Raum. 2 Keine dreißig Minuten später sitzt Logan in der Wolf 2, seinem eigenen Klein-Jet, und steuert Richtung Nevada. Der Flug wird an die sieben Stunden dauern, von daher hat er genug Zeit, sich zu überlegen, wie er das Ganze am besten angehen könnte. Naja, so sehr macht er sich dann doch wieder keine Gedanken darüber. Allerdings ist ihm durchaus bewusst, dass Charles seine übliche Methode – einfach alles und jeden niedermetzeln und den Bengel da rausholen – nicht gutheißen wird. Von daher überlegt er schon ein bisschen, wie er es besser machen könnte. Dennoch weiß er sehr gut, dass sich all seine mühevoll zurecht gelegten Überlegungen sofort in Luft auflösen werden, sobald er den Jungen als Mutanten identifizieren kann und dann nur noch daran denkt, ihn dort so schnell wie möglich wegzuholen. Wer sich ihm dann in den Weg stellt, muss eben mit den Konsequenzen rechnen. Da versteht er einfach keinen Spaß. Brummend korrigiert er etwas die Flugbahn – das Wetter in New York lässt mal wieder zu wünschen übrig – und grübelt weiter nach. An sich sollte das Ganze möglichst unauffällig von Statten gehen. Wäre für alle Beteiligten auf jeden Fall das Beste. Doch so einfach wird es sicher nicht werden. Immerhin ist es ein Zirkus, den sicher viele Leute besuchen. Im schlimmsten Fall muss er also etliche Stunden warten, nachdem die letzte Vorstellung gelaufen ist, und kann sich dem Jungen erst dann nähern. Fragt sich nur, ob er sich selbst so lange gedulden kann? Womöglich wird ihm diese Frage aber auch abgenommen, wenn er mitansehen muss, wie schlecht ihn diese Typen behandeln. Dann kann er unmöglich an sich halten und einfach tatenlos zusehen, völlig egal, ob es dann Tote gibt oder nicht. Wolverine muss aber ohnehin schon sagen, dass er nicht übel Lust hätte diesen Direktor einen Kopf kürzer zu machen, allein schon wegen der tiefsitzenden Traurigkeit und Angst in den seelenlosen Augen des Knaben. Mit einem unterdrückten Knurren tief in der Kehle packt er den Steuerknüppel fester und versucht vehement das bemitleidenswerte Bild des blauen Mutanten aus seinem Kopf zu verdrängen. So recht will ihm das aber nicht gelingen und das schürt sein ohnehin schon unbeherrschtes Temperament nur noch mehr, was das Ganze zu einem sehr langen Flug macht... 3 Es ist bereits früher Abend, als die Wolf 2 in der Nähe von Sun City hinter einer Bergkette landet. Gut verborgen vor aller Augen ruht sie dort nun im Tarnmodus, während Logan zu Fuß in die Stadt hinunter geht. Allzu weit muss er auch gar nicht laufen, da der Zirkus seine Zelte unweit auf der anderen Seite der Bergkette aufgeschlagen hat. Noch bevor Wolverine auf den weißen Sand tritt, der sich an das zerklüftete Geröll der Berge anschließt, steigt ihm schon der penetrante Geruch von Popcorn, Zuckerwatte, gerösteten Nüssen und allerhand anderem Süßkram in die Nase. Unweigerlich schüttelt sich der Jäger etwas. Er begreift beim besten Willen nicht, wie sich die Leute nur ununterbrochen mit diesem Zeug vollstopfen können. Mit von Ekel verzerrtem Gesicht zieht er eine Zigarre aus seiner Lederjacke und schnuppert daran. Wie ein Bluthund nimmt er den würzig-herben Duft in sich auf, der einen nahezu erregten Schauer seinen Rücken hinabgleiten lässt. Das ist ein Geruch ganz nach seinem Geschmack! Keine Minute später brennt die teure Köstlichkeit auch schon und der X-Man saugt begierig den Rauch tief in seine Lungen hinein. Für eine Sekunde breitet sich ein überaus angenehmes Schwindelgefühl in seinem Kopf aus, in dem er sich nur allzu gern verlieren würde. Doch schon im nächsten Moment greift sein Selbstheilungsfaktor, tötet brutal das schöne Gefühl und regeneriert alles, was in diesem Augenblick in seinem Körper Schaden genommen hat, und sei es noch so gering. Diese Tatsache verflucht der Krieger in solchen Momenten doch schon ziemlich, kann er sich doch niemals high fühlen oder mal einen möglicherweise erlösenden Blackout von irgendwelchen Drogen empfinden. Er ist auf ewig dazu verdammt auf dieser verfluchten Erde zu wandeln, bis sein Körper doch irgendwann einmal den Dienst quittiert und er das Zeitliche segnen darf. Doch wie lange wird das noch dauern? Fünfzig Jahre? Hundert Jahre? Noch länger? So genau will er sich das auch gar nicht vorstellen. Immerhin hat er vor ein paar Monaten schon seinen neunzigsten Geburtstag gefeiert und sieht dennoch immer noch aus wie dreißig. Die meisten Personen, die ihm etwas bedeutet haben, sind längst tot. Freunde, Bekannte, Verbündete, Feinde, unzählige Geliebte und Bettgenossen, ja sogar seine Frau und seine Kinder – alle tot. Auf die ein oder andere Weise aus seinem Leben gerissen, doch er ist immer noch hier und wird es auch weiterhin bleiben. Da führt kein Weg dran vorbei. Außer man findet vielleicht doch eines Tages ein Heilmittel für das X-Gen... Doch bis dahin bleiben ihm nur seine verschwommenen Erinnerungen, an all die Leben, die er schon geführt hat. Mit tiefem Seufzen zieht er weiterhin den irgendwie tröstlichen Rauch der Zigarre ein. Sie kann ihn vielleicht nicht vergessen lassen, doch sie hilft ihm, sich an schönere Tage zu erinnern, die schon sehr lange Vergangenheit sind und mit denen er eigentlich hätten glücklich sterben können. Gleichermaßen besinnt er sich wieder auf seine eigentliche Aufgabe und blickt sich daher aufmerksam und doch völlig unauffällig auf dem Gelände des Zirkus um. Es herrscht reger Betrieb, während alle Beteiligten die Show vorzubereiten scheinen, die in einer Stunde beginnen und die letzte für heute sein wird. Jede Menge Besucher halten zu auch schon hier auf und bestaunen schon einmal die vielen Tiere in ihren erschreckend kleinen Käfigen. Die braunen Augen des Jägers sondieren gekonnt die Umgebung, dennoch kann er kein Anzeichen des jungen Mutanten ausfindig machen. Und bei all diesen überaufdringlichen Gerüchen um sich herum, kann er auch keine Spur aufnehmen. Halb so wild. Er wird sich eben diese lächerliche Show antun und abwarten, bis sich alles etwas beruhigt hat und dann zuschlagen. Warten, bis die Beute zum Jäger kommt. Warten... 4 Gut eine Stunde später sitzt Wolverine in der ersten Reihe vor der Manege und wartet ungeduldig auf den Beginn der Show. Die ausgelassenen und fröhlichen Stimmen der Leute um sich herum blendet er gekonnt aus. Seine Aufmerksamkeit gilt ganz allein dem, was sich in wenigen Minuten vor ihm abspielen wird. Gleichzeitig verflucht er sich wieder einmal selbst für seine überaus gute Nase. Der verwahrloste Geruch der Tiere, die hinter dem Vorhang auf ihren Auftritt warten, ist Übelkeit erregend, der des Essens erst recht. Dennoch kann er jeden der Gerüche genau zuordnen und das wird ihm helfen herauszufinden, ob der blaue Bengel ein Mensch oder ein Mutant ist. Seine Bewegungen ebenfalls. Mutanten bewegen sich im Allgemeinen anders als Menschen, auch wenn es vielen selbst nicht bewusst ist – besonders wenn sie rein äußerlich einem Menschen ähnlicher sehen, so wie Logan selbst. Doch der blaue Dämon könnte auffälliger kaum sein, sollte es sich dabei wirklich nicht um ein sehr ausgeklügeltes Kostüm handeln. Seine bloße Anatomie lässt es daher gar nicht zu, dass er sich wie ein Mensch bewegt, von daher sollte es nicht schwer sein, die Lösung zu finden. Schließlich wird das Licht im Zelt gedimmt und die Show fängt endlich an. Mit wenig Begeisterung verfolgt Wolverine die einzelnen Kunststücke der Artisten und Tiere, immer wieder unterbrochen von Getmann, der überschwängliche Ansagen für den folgenden Teil macht. Es stinkt dem Jäger jedoch gewaltig, dass dieser kleine Kerl die ganze Zeit eine Peitsche in der Hand hat, mit deren schneidendem Knall die nächste Nummer eingeleitet wird. Unweigerlich fragt sich der Schwarzhaarige, ob dieser Typ auch außerhalb der Shows so locker mit diesem unschönen Spielzeug umgeht. Es würde zumindest erklären, warum er in fast allen Augen – sowohl der Tiere, wie auch der Darsteller – eine gewisse Angst erkennen kann, wenn sie die Manege betreten. Zähneknirschend nimmt er das Ganze erst einmal hin, obwohl er liebend gern da raufgehen und die Seele aus dem kleinen Fettsack prügeln würde. Vielleicht ist später dafür ja noch Zeit? Nun platziert sich Getmann wieder in der Mitte der Manege und erhebt die Stimme. „Nun, meine Damen und Herren, ist der Moment gekommen, auf den Sie alle schon so sehnsüchtig gewartet haben! Nun werden Sie ihn sehen, den Sohn des Teufels! Aufgestiegen aus den Feuern der Hölle und hier, um Sie das Fürchten zu lehren! Also nehmen Sie sich vor ihm in Acht, sonst wird der Nightcrawler Sie erwischen!“, posaunt er lautstark und lässt die Peitsche erklingen. Kurz darauf legt sich auch die Manege für kurze Zeit in völlige Dunkelheit, während einige schnelle Vorbereitungen getroffen werden. Als ein einziger Spot hell aufleuchtet, hat sich die Manege in die Nachbildung eines kleinen Dorfes verwandelt. Holzrequisiten von Häusern sind zu sehen, zudem ein angedeuteter Marktplatz mit einem kunstvollen Brunnen in der Mitte. Auf einem großen Banner hinter den Häusern ist ein Sonnenuntergang zu erkennen. Geschäftig bewegen sich eine Hand voll Statisten durch das Dorf und versuchen das alltägliche Treiben dort nachzustellen. Dann senkt sich das Banner mit dem Sonnenuntergang weiter herab, um anzudeuten, dass die Nacht nun anbricht. Die darstellenden Dorfbewohner wirken plötzlich beunruhigt, nahezu ängstlich. Eilig huschen sie in die Häuser und verschanzen sich dort regelrecht. Kurz darauf beginnen sie unheilvoll zu singen. „Die Winde heulen und brausen nur so Und Regen gießt hernieder Die Türen sind nun verschlossen und verriegelt, Als das Ding in die Stadt gekrochen kommt.“ Mit ihrem Gesang setzt sich ein zweiter Spot in Bewegung und leuchtet in eine dunkle Ecke am anderen Ende der Manege. Im Schein des Strahlers werden zwei gelbe Augen sichtbar, die sich lüstern umzuschauen scheinen. „Es kommt direkt aus der Hölle Es ist ohne Gleichen Es beschleicht sein Opfer Schau nicht hinter dich!“ Langsam wird die Gestalt des Nightcrawler im Scheinwerfer sichtbar. Hörbar schnappt das Publikum erschrocken nach Luft. Und auch Logan beugt sich erwartungsvoll nach vorn und starrt den Jungen durchdringend mit seinen erfahrenen Augen an. Für ihn besteht schon jetzt kein Zweifel mehr, dass es sich dabei nur um einen echten Mutanten handeln kann. Seine ganze Haltung wäre für einen Menschen – und sei er auch noch so durchtrainiert und athletisch – völlig unmöglich einzunehmen. „Die Kreatur, die durch die Nacht kriecht Hüte dich vor dem Untier in blau! Die Kreatur, die durch die Nacht kriecht Du weißt, dass sie wiederkommen wird! Die Kreatur, die durch die Nacht kriecht.“ Der Spot setzt sich wieder in Bewegung und deutet dem Bengel damit scheinbar an, sich ebenfalls zu bewegen. Für einen winzigen Moment kann Wolverine die Unsicherheit und den Unwillen in seinem hageren Gesicht erkennen. Bevor der Scheinwerfer ihn jedoch ganz verlässt, setzt er sich doch in Bewegung. Wie ein Tier auf allen Vieren tapst er geduckt vorwärts und versucht dabei selbstsicher und gefährlich zu wirken, was bei seinem kindlich-scheuen Blick schlichtweg ein echter Witz ist, wirkt er auf den X-Man doch gerade mal so gefährlich wie eine neugeborene Katze bei ihren ersten Gehversuchen. Für Logan ist aber auch nicht zu übersehen, dass er sich gar nicht wohlfühlt. Vielleicht liegt es an Getmanns Peitsche? Vielleicht fürchtet er sich aber auch vor den abwertenden und richtiggehend bösartigen Rufen der vielen Leute im Publikum, die ihn als scheußliches Ungeheuer beschimpfen. „Die heilige Stätte wird aufgesucht Geflüsterte Gebete sind eine letzte Zuflucht Wenn sein Schrei ertönt, verkrampfen sich die Körper Vor Schreck erstarrt wissen sie, dass sie gefangen sind.“ Wachsam bewegt sich der Junge über den Marktplatz hinweg und klettert auf den Rand des Brunnens. Von dort aus blickt er sich scheinbar suchend um, wirkt nun aber auch etwas sicherer, was auch daran liegen könnte, dass die Leute nun gespannt die Luft anhalten. Seine spitzen Ohren zucken nach jedem Geräusch. Sein langer Schwanz schwingt wie bei einer zornigen Katze angriffslustig von einer Seite zur anderen. Seine seelenlosen Augen bohren sich in die angedeutete Nacht. Mit Wehmut stellt der Schwarzhaarige fest, wie schrecklich mager der Junge doch ist. Jede Rippe zeichnet sich deutlich im Scheinwerferlicht auf seiner blauen Haut ab und er trägt nicht mehr als einen dreckigen Lumpen um die Hüften, der gerade das Nötigste verbergen kann. Wie aufs Stichwort des Gesanges gibt Nightcrawler dann ein sehr animalisches Geräusch von sich, eine seltsame Mischung aus Knurren und Heulen, was ihn in Logans Augen aber auch nicht gefährlicher macht, nur sein Mitleid für den Jungen schürt. Das Publikum zieht allerdings abermals hörbar die Luft ein und tuschelt erschrocken miteinander. So armselig das Ganze auch sein mag, bei diesen dämlichen Menschen verfehlt es dennoch nicht die Wirkung. „Es kommt direkt aus der Hölle Es ist ohne Gleichen Es beschleicht sein Opfer Schau nicht hinter dich!“ Auf allen Vieren schleicht der junge Mutant nun vom Brunnen herab und begibt sich zu den Häusern, folgt ganz dem Text des Singsangs. Sein ärmliches Knurren veranlasst die Darsteller dazu, sich ängstlich zusammenzudrängen. Wie ein Tiger auf Beutezug bewegt sich der Junge geduckt von einem Haus zum anderen, knurrt und schnüffelt. „Die Kreatur, die durch die Nacht kriecht Hüte sich vor dem Untier in Schwarz! Die Kreatur, die durch die Nacht kriecht Du weißt, dass sie wiederkommen wird! Die Kreatur, die durch die Nacht kriecht.“ Dann hat Nightcrawler sich eines der Häuser herausgepickt und verharrt geduldig davor. Seine seelenlosen Augen scheinen regelrecht Löcher in die Hauswand zu bohren. Und wieder zuckt sein Schwanz angriffslustig wie bei einer gereizten Katze von einer Seite zur anderen. „Wenn die Nacht kommt, Nähert sich das Ende Sie werden ihre letzten Riten Im Winde widerhallen hören.“ Für einen Moment wirkt der Mutant nahezu erschrocken, als die Darsteller in hilflose Gebete verfallen. Dann beginnt er unmenschlich und lüstern zu lachen, lässt sich davon nicht abschrecken. Hilflos ergreifen die Darsteller die Flucht in einen angedeuteten Keller unter dem Haus und drängen sich dort wieder zusammen. „Zusammengedrängt im Keller, Mit Blicken, in denen die Angst geschrieben steht, Trauen sie sich weder sich zu bewegen noch zu atmen, Wenn die Kreatur schreit.“ Erneut gibt Nightcrawler diese unmenschliche Mischung aus Knurren und Heulen von sich. Betrachtet sich das Haus eingehender und sucht nach einem unkomplizierten Weg hinein. „Krallen beginnen an der Außenwand zu kratzen Sie krallen sich in die Fenster Es ruft: „Komm zu mir!“ Die Atmosphäre ist elektrisch geladen, Als es jetzt die Treppe herunterkommt.“ Wie im Singsang der Darsteller beschrieben, kratzt der Junge nun mit den Nägeln über die raue Hauswand. Richtige Krallen hat er jedoch nicht, wie Logan feststellt. Danach schiebt er eines der Fenster hoch und steigt hindurch. Sein Rufen ist allerdings auch nicht zu hören, wird nur von den Darstellern gesprochen, und Wolverine fragt sich unweigerlich, ob der Bengel überhaupt sprechen kann oder schlichtweg nur wie ein wildes Tier irgendwelche einstudierten Laute von sich geben kann. Langsam wendet sich der Mutant der angedeuteten Kellertreppe zu und steigt knurrend herab. „Nutzlos, sich in der Dunkelheit vor seinem Durchdringenden Blick verstecken zu wollen Der Tod tritt so plötzlich ein, Wie sie es sich gewünscht haben Die Seelen steigen zum Himmel empor, während es sich an Fleisch und Blut gütlich tut…“ Ängstlich drängen sich die Darsteller zusammen, während Nightcrawler auf sie zu schreitet, die scharfen Zähne bleckt. Als er zum tödlich-präzisen Sprung ansetzt, zerstreuen sich die Darsteller, sodass er lediglich eine wehrlose Frau erwischt, sie zu Boden reißt und ihr dann in den Hals beißt. Logan sieht jedoch genau, dass er sie nicht einmal mit seinen Zähnen streift, sondern in einen kleinen Beutel mit roter Farbe beißt, der das Blut seines Opfers darstellen soll. Dennoch verzieht die Frau so dermaßen angewidert das Gesicht, dass es einem Wunder gleichkommt, dass sie den Jungen nicht von sich wegstößt, doch auch dies bleibt dem Publikum verborgen, nicht aber Logans geschultem Blick. Die übrigen Darsteller verlassen fluchtartig das Haus und ihr Singsang endet, um den letzten Teil der Nummer einzuläuten. Mit blutverschmiertem Maul wendet sich der Dämon um und hetzt nun den Dorfbewohner hinterher. Sein zorniges Knurren erfüllt die Luft und lässt die Leute im Publikum immer unruhiger werden. Wieder auf dem Marktplatz angekommen, rennt der angebliche Sohn des Teufels hinter den wehrlosen Darstellern her und tötet einen von ihnen nach dem anderen. Nach getaner Arbeit klettert er wieder auf den Brunnen und lässt einen surrealen Schrei des Triumphs ertönen. „Oh, gibt es denn Niemanden, der diesem Monster Einhalt gebieten kann?“, ertönt von irgendwo hinter dem Vorhang eine erstickte Frauenstimme. „Doch, den gibt es!“, schallt nun Getmanns Stimme durch die Manege und lässt Nightcrawler sichtlich auf seinem Platz zusammenzucken. Der X-Man glaubt jedoch nicht, dass diese Reaktion nur gespielt ist, dafür ist die Panik in seinen leeren Augen zu echt. Mit einem widerlichen Knallen schlägt Getmanns Peitsche auf den Boden und der blaue Dämon zuckt abermals zusammen. Ängstlich sieht er sich nach dem kleinen Mann um, der ihm immer näherkommt. Dann setzt er zu einem erstaunlichen Sprung an und rettet sich auf ein Trapez, das mehrere Meter über ihm hängt. Von dort aus schwingt er sich überaus elegant über ein Hochseil und weitere Trapeze hinweg, während Getmann nur immer wieder seine Peitsche knallen lässt, als wolle er ihn damit antreiben. Logan gefällt das Ganze immer weniger und es kostet ihn seine gesamte, kaum vorhandene Beherrschung, um nicht doch die Manege zu stürmen und dieses Martyrium zu beenden. Erschrocken weiten sich dann allerdings seine Augen, als das Seil, nachdem der Junge als nächstes greifen will, plötzlich von einem im Schatten verborgenen Bühnenarbeiter weggezogen wird. Der Mutant gibt einen überraschten Laut von sich und stürzt dann haltlos in die Tiefe. Ungebremst schlägt er auf dem Boden vor Getmanns Füßen auf und stemmt sich überaus schwerfällig wieder auf alle Viere. Es gleicht einem Wunder, dass er sich dabei nicht den Hals gebrochen hat. Doch sein Sturz hatte etwas sehr Katzenhaftes an sich. Das Meiste konnte er so tatsächlich mit seinen Händen und Füßen abfangen, dennoch konnte er den harten Aufprall damit nicht ganz verhindern, was wahrscheinlich auf den Schreck zurückzuführen ist. Unweigerlich fragt sich der Jäger, ob das überhaut zu der Nummer gehört hat. Kalt blickt der Zirkusdirektor auf ihn hinab und holt mit der Peitsche aus. „Dein Ende ist nahe, Dämon!“, verkündet er und schon im nächsten Moment schlingt sich die lange Sehne der Peitsche um den Hals des Jungen und zieht fest zu. Röchelnd versucht sich der Blaue daraus zu befreien. Wolverine fehlen die Worte. Diese ganze Show war von vorne bis hinten grottenschlecht inszeniert, doch das jetzt ist vollkommen echt! Tränen steigen in den seelenlosen Augen des Mutanten auf, er zittert am ganzen Körper. „Bitte nicht...“, wimmert er kaum hörbar. „Erwarte keine Gnade, Bestie! Stirb!“, erwidert Getmann kalt. Unbemerkt zieht er etwas aus seiner Tasche heraus, doch der Jäger sieht es. Es ist eine Spritze. Während der kleine Mann für das Publikum die Peitsche noch etwas fester anzieht, um das Dahinscheiden des Dämons zu symbolisieren, rammt Getmann Nightcrawler die Spritze in den Hals, woraufhin der wehrlose Junge augenblicklich zusammensackt und reglos in der Manege liegenbliebt. „Der Dämon ist tot!“, verkündet Getmann dann freudestrahlend dem Publikum, das in schallenden Applaus ausbricht. Nun tauchen auch wieder einige Dorfbewohner auf und zerren den bewusstlosen Nightcrawler auf einen improvisierten Scheiterhaufen. Fassungslos hört Wolverine mit an, wie das Publikum lautstark fordert den Dämon zu verbrennen. Glücklicherweise entfachen die Dorfbewohner kein echtes Feuer um den Jungen, was es aber auch nicht viel besser macht. Allerdings endet die Show damit und die Leute verlassen begeistert und überaus zufrieden das Zelt, während der X-Man noch eine ganze Weile fassungslos auf seinem Stuhl hocken bleibt und mitansieht, wie sie den immer noch besinnungslosen Jungen schließlich aus der Manege zerren... 5 Es dauert eine Weile bis auch die letzten Besucher den Zeltplatz des Zirkus verlassen haben, doch dann liegt alles still dar und Logan kann endlich nach Nightcrawler suchen. Als er ihn schließlich ganz hinten auf dem Platz in einem winzigen Käfig hocken sieht, ist der Junge immerhin wieder zu sich gekommen. Ohne den geringsten Schutz vor der nächtlichen Kälte hat er sich dort zusammengekauert und die Hände vor dem Gesicht gefaltet. Es wirkt, als würde er beten. Leise kann Wolverine ihn murmeln hören. „Guter Gott – ich wünsch mir einen Freund, die Sonne soll wieder scheinen. Hörst du mein Rufen? Siehst du meine Not? Spürst du meine Angst? Bist du mir nahe? Bleib da, bitte geh nicht fort!“ Allerdings versteht er kein einziges Wort, da der Bengel in einer anderen Sprache spricht, die der Jäger nicht identifizieren kann. Doch soweit er sich entsinnen kann, soll der Zirkus ursprünglich aus Deutschland kommen, aus einem kleinen Ort in Bayern. Von daher spricht er wahrscheinlich deutsch. Der Kanadier lässt ihm einen Moment, um das Ganze zu Ende zu führen, dann will er sich zeigen. Allerdings vernimmt er vorher Stimmen und zieht sich wieder zurück, um zu beobachten. Zwei breitschultrige Männer nähern sich zielstrebig dem Käfig. „Na, du Missgeburt, Lust auf ein bisschen Gesellschaft?“, höhnt der eine, während der andere die Tür des Käfigs öffnet. „Nein, bitte...!“, wimmert der Junge augenblicklich hilflos und versucht vor ihnen zu fliehen. Doch der Käfig ist so schrecklich klein, dass ihm dazu nicht die Möglichkeit bleibt. Grob packt ihn der erste Kerl am Knöchel und zerrt ihn äußerst unsanft aus seiner ungewollten Behausung heraus. „Bitte nicht...“, kommt es nun in Tränen erstickt von dem jungen Mutanten, als sich die zwei drohend vor ihm aufbauen. Die Gesichter der beiden Männer sind lüstern und rücksichtslos und Logan kann sich nur zu gut vorstellen, was dem Jungen gleich blühen wird, sah er denselben Ausdruck doch im Gesicht der Peiniger seiner Frau und seiner Tochter, bevor sie geschändet vor seinen Augen sterben mussten. „Fasst ihn nicht an!“ Die Schärfe seiner Stimme gleicht einer Pistolenkugel. Sie durchschneidet die Luft so scharf, wie es Sekunden später seine säbelgleichen Krallen mit den wehrlosen Körpern dieser missratenen Menschen machen. Immer und immer wieder rammt er seine Adamantiumklauen in die dampfenden Überreste ihrer Körper hinein, kann gar nicht mehr aufhören und will es auch so bald nicht. Zu lange hat er all das tatenlos mitansehen müssen. Mit schreckgeweiteten Augen hockt der Junge unweit neben ihm und weiß nichts mit sich anzufangen. Zitternd starrt er nun unentwegt die Überreste seiner Peiniger an. Das Schlachten scheint Ewigkeiten zu dauern und dennoch sind es nur Sekunden. Schließlich steht der Fremde keuchend in einer riesigen Blutlache, ein befriedigtes Lächeln umspielt seine zornig zurückgezogenen Lippen und lässt ihn völlig irre aussehen. Langsam gleiten dann die gewaltigen, metallisch glänzenden Krallen in seine Fingerknöchel zurück und erzeugen dabei ein seltsames Geräusch, das dem jungen Mutanten einen Schauer über den Rücken jagt. Sichtlich zufrieden wendet der kleinere Mann ihm dann das Gesicht zu. Er sagt etwas, doch der Blaue hört es gar nicht. Nightcrawler ist dermaßen entsetzt über die wütende Zurschaustellung des Tötens, dass er wie erstarrt hockenbleibt und nur auf die blutüberströmten Leichen vor sich starrt. In der Ferne kann Logan allerdings schon Stimmen hören, die sich ihnen schnell nähern und sicher nichts Gutes bedeuten. So gern er auch würde, kann er nicht die gesamte Besetzung des Zirkus niedermetzeln, also müssen sie hier weg. „Komm, Junge, Zeit zu verschwinden!“ Zielstrebig läuft er los, doch der blaue Mutant folgt ihm nicht. Er ist ebenso wenig in der Lage fortzulaufen wie ein Reh, das ein Jäger mit seiner Blendlaterne eingefangen hat. Gedankenverloren starrt er einfach nur weiterhin auf die Leichen, als wären es geliebte Menschen gewesen und nicht die Peiniger, die ihm sein Leben lang Kummer bereitet haben. Knurrend registriert Logan, dass sich ihnen eine Meute Zirkusleute nähert, bewaffnet mit Mistgabeln und brennenden Fackeln, wie eine Horde dummer Bauern in einem schlechten Film. Ihre hasserfüllten Stimmen zerschneiden die Stille, doch Nightcrawler scheint sie gar nicht wahrzunehmen. Erst, als eine der Fackeln direkt vor ihm auf dem Boden landet, schreckt er heftig zusammen und sieht die drohende Gefahr. Grob packt Wolverine ihn daraufhin am Schwanz und zieht ihn ein Stück über den Boden. „Los doch, du Elf! Beweg dich endlich! Wir müssen hier weg!“ Mit großen Augen blickt der Junge ihn an, als würde er gar nicht verstehen, was der fremde Mann ihm sagen will. Dann scheint er zu begreifen und setzt sich in Bewegung. Auf allen Vieren rennt er los und wirkt dabei mit seinem langgestreckten, schlanken Körper wie ein Windhund auf der Rennbahn. Überrascht stellt der Kanadier fest, dass der Bengel auch echt schnell ist und so hat er Mühe ihn wieder einzuholen. Doch die rasende Meute kommt ebenfalls erstaunlich rasch näher. „Wir müssen dort in die Berge, Junge…“, versucht er dem blauen Mutanten klarzumachen, um ihm eine Richtung vorzugeben und ihn nicht blind umherrennen zu lassen. Dann packt er ihn abermals am Schwanz, um sicher zu gehen auch wirklich seine Aufmerksamkeit zu haben. Dadurch erschreckt sich der Jüngere jedoch ziemlich, fürchtet er doch wohl, dass ihm die Meute schon im Nacken sitzt. Das Nächste, woran sich Logan erinnern kann, ist ein drückendes Gefühl im Magen, als hätte ihm jemand mit voller Wucht hineingeschlagen; und der beißende Gestank von Schwefel, der seine überempfindlichen Sinne explosionsartig betäubt. Als er die Augen öffnet, hockt er auf den Knien und sieht, wie sich eine purpurfarbene Wolke vor ihm in Luft auflöst. Um ihn herum die Berge und ein verwirrter, blauer Mutant. 6 Als Logan versucht aufzustehen, sinkt er ungewohnt kraftlos wieder auf die Knie und hält sich den Magen, der sich haltlos zu überschlagen versucht. „Scheiße…“, knurrt er mit zusammengebissenen Zähnen, um die Übelkeit zu unterdrücken. Doch es bringt nicht allzu viel, da er sich eine Sekunde später doch krampfhaft würgend übergeben muss. Seine letzte Mahlzeit ist allerdings schon ziemlich lange her, weshalb es hauptsächlich brennende Säure ist, die ihm den Hals hinaufsteigt. Knurrend schüttelt er sich unter dem bitteren Geschmack und straft den Jungen dann mit einem erzürnten Blick. Dieser macht sich ganz klein und tapst ängstlich ein paar Schritte zurück, ehe er ungeschickt über seine langen Beine stolpert und sich unsanft auf den Hintern niedersetzt. „Es tut mir leid, ich…“, setzt er hilflos an und doch weiß er nicht, was er sagen soll. Versteht er doch selbst nicht einmal, was gerade passiert ist. „Schon gut…“, winkt Logan noch etwas atemlos ab und setzt sich ungelenk hin. Bisher war mein Leben wie ein Teufelskreis Und jedes Warten vergebens auf den Tag, der mich befreit Doch seit heute hörst du dich Geister munkeln die ganze Straße entlang „Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragt Nightcrawler nach einer Weile vorsichtig. Völlig verständnislos sieht Wolverine ihn an. „Hä? Sprich englisch, Junge, sonst verstehe ich nichts von deinem Gebrabbel. Was soll das überhaupt für eine Spreche sein? Klingt ja schrecklich.“, mokiert sich der Kanadier und wird nun seinerseits verwundert von dem Jungen betrachtet. Es dauert einen Moment, bis er sich gesammelt hat und dann von Neuem anfängt. „Verzeihung. – Das war deutsch. Wenn ich nervös bin, vergesse ich oft englisch zu sprechen. – Ich wollte wissen, ob es dir gutgeht.“, kommt es schließlich scheu von dem Jüngeren. Ich tappe jahrelang im Dunkeln, jetzt gehen die Scheinwerfer an Der schwere Schatten fällt Und es wird hell… „Jaja, alles bestens. Mach dir um mich mal keine Sorgen. So schnell haut mich nichts um. Wie stets mit dir? Ich hab´ die Show gesehen. Die Schweine haben dich ganz schön hart rangenommen.“, erwidert der Schwarzhaarige knurrend. Leicht schreckt der Junge zusammen, scheint es ihm doch sichtlich unwohl zu sein, dass der andere ihn gesehen hat. „Es – es geht schon wieder. – Ich will nur nicht darüber sprechen...“, traurig senkt der Blaue den Kopf und lässt die Schultern hängen. Logan bricht der Anblick regelrecht das Herz und er würde jetzt liebend gern zum Zirkus zurück und dafür noch ein paar Köpfe rollen lassen. Doch er weiß sehr gut, dass das nicht geht. Nightcrawler braucht jetzt seine ganze Aufmerksamkeit und Führsorge und das muss er sich immer wieder sagen. Alle Türen waren verschlossen Stand mit dem Rücken zur Wand Jetzt stehen sie speerangelweit offen Ich habe die Schlüssel in der Hand „Das wird schon wieder, Elf.“, meint er leicht lächelnd und blickt ihn verständnisvoll an. Der Jüngere runzelt irritiert die Stirn. „Wieso nennst du mich so?“, fragt er verwundert, kann er doch zwischen sich und so einem wundervollen Märchenwesen keinerlei Ähnlichkeit erkennen. „Weil ich finde, dass du wie ein Elf aussiehst, darum. – Zumindest deine Ohren erinnern mich daran. – Und ich habe das Gefühl, dass du auch ein ganz nettes Kerlchen bist. Außerdem will ich dich nicht Teufelsbrut oder so nennen, denn das bist du nun wirklich nicht, egal was sie dir erzählt haben. Du bist ein Mutant, ein genetischverunglückter Mensch, genau wie ich, und kein Ungeheuer aus der Hölle.“ Mit großen Augen sieht der Blauhäutige ihn an. „Ein Mutant? Ein Mensch? Das kann ich kaum glauben...“ „Es ist aber so, also finde dich damit ab, Junge.“ Ein leichtes Lächeln huscht über das Gesicht des Größeren hinweg, so als wäre er furchtbar erleichtert das zu hören, fühlte er sich doch sein Leben lang immer nur wie ein Monster. Ich wollte meine Zukunft nicht erleben Und noch gestern hatte ich Angst davor Doch heute bin ich verliebt ins Leben, Weil ich die Furcht davor verlor „Du – du bist auch ein Mutant?“, fragt er dann vorsichtig. „Ja, oder dachtest du etwa, Menschen kommen normalerweise mit solchen Dingern auf die Welt?“, erwidert der Kanadier keck grinsend und lässt die Krallen an seiner linken Hand herausschnellen. Snikt! ertönt es dabei und Nightcrawler zuckt leicht zusammen. „Ich denke nicht, nein“... „Wie heißt du eigentlich? Ich meine, hast du einen menschlichen Namen, anstatt diesem Nightcrawler?“, will der Jäger dann wissen, während er sich eine neue Zigarre anzündet. „Meine Mutter nannte mich Kurt. – Also eigentlich war sie nicht meine richtige Mutter, aber sie hat mich aufgezogen. Wer meine echten Eltern sind, weiß ich nicht...“ „Wo ist die Frau jetzt?“ Im selben Moment bereut Logan die Frage aber auch schon wieder, da sie dem Jungen sehr nahe zu gehen scheint. Tränen glänzen in seinen seelenlosen Augen und er kauert sich zusammen, als wäre ihm schrecklich kalt. Ich bin gefasst wie nie Auf das, was vor mir liegt… Ich bin bereit! „Sie – sie ist gestorben, als ich vier war. Dann irrte ich lange Zeit allein umher, bis mich die Leute vom Zirkus gefunden und eingesperrt haben...“ Mitfühlend legt der Ältere ihm eine Hand auf die schmale Schulter. „Das tut mir leid.“ Kurt bemüht sich um ein Lächeln, auch wenn es nicht ganz funktionieren will. „Wie heißt du denn?“, fragt er stattdessen. „Man nennt mich Wolverine. Wirst schon merken, wieso. Eigentlich heiße ich James, nach meinem angeblichen Vater, doch der Name ist scheiße, also wag es ja nicht mich so zu nennen!“, meint er verächtlich, mit scharfem Unterton und zuckt dann mit den Schultern. „Aber du kannst mich Logan nennen, wenn du willst.“ Egal was noch kommt Und was du verlangst von mir Ich stell mich dir ganz Ich habe keine Angst vor dir Eine Weile herrscht Schweigen zwischen ihnen und jeder scheint seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. „Danke, dass du mir geholfen hast. – Doch, warum?“ Der Kanadier versteht das deutsche Wort zwar nicht, doch aus dem Kontext und Kurts Stimmlage kann er es herleiten. Er glaubt aber nicht, dass es jetzt noch etwas mit Nervosität zu tun hat, dass er anscheinend in seine Muttersprache zurückfällt, wohl eher, dass er vielleicht nicht weiß, wie es auf Englisch heißt, oder es nicht gut aussprechen kann. Sein Englisch hat zum Teil einen starken Akzent. Wolverine kann sie gut vorstellen, dass es ziemlich unverständlich wird, wenn er schnell spricht oder sich aufregt. Allerdings wird es bestimmt besser werden, wenn er erst im Institut ist, keine Angst mehr haben muss und alle um ihn herum nur englisch sprechen. Ich habe ein neues Leben Und ja, es fühlt sich gut an Ich höre auf immer nur zu reden Fange an endlich anzufangen Lass die Vergangenheit lästern Sie ist gekränkt, denn ich blieb ihr nicht treu Nein! „Das hatte mehrere Gründe. Zum einen konnte ich es absolut nicht ertragen, wie dich diese miesen Typen behandelt haben, nur weil du anders aussiehst. Das finde ich einfach nur zum Kotzen! Menschen machen mich manchmal echt krank. Als Mutant hat man ohnehin schon nichts zu lachen, wird überall ausgeschlossen, verachtet, gejagt oder sogar getötet und das nur, weil wir nicht der allgemeinen Definition eines Homo Sapiens entsprechen.“, wütend spuckt er auf das Felsgestein neben sich und knurrt in sich hinein. Denn gestern war gestern Und heute ist alles neu Ich bin gefasst wie nie Auf das, was vor mir liegt Ich bin bereit! „Der andere Grund ist, dass mich jemand hergeschickt hat, um dich zu holen. – Ich komme von weit her, aus einem kleinen Ort in New York. Dort gibt es ein Institut oder besser gesagt eine Schule für Mutanten. Dort hilft man ihnen mit ihrem Anderssein umzugehen und ihre Fähigkeiten zu kontrollieren. Und ich denke mal, dass das, was du vorhin gemacht hast, war eine deiner Fähigkeiten. Sie stecken tief in dir und kommen zumeist unter großem Stress oder Angst zum ersten Mal Vorschein und dann musst du lernen, wie man sie sinnvoll einsetzen kann. In dieser Schule bringt man dir das bei. Dort leben nur Mutanten, die wir überall auf der Welt eingesammelt haben. Der Leiter dieser Schule hat dich in einem dieser selten dämlichen Werbespots für den Zirkus gesehen und mich hergeschickt, um herauszufinden, ob du wirklich ein Mutant bist, und dann soll ich dich zu dieser Schule bringen. – Naja, wenn du das willst, heißt das. Ich werde dich nicht dazu zwingen. Andererseits sieht es nicht so aus, als hättest du eine andere Wahl, oder?“ Egal was noch kommt Und was du verlangst von mir Ich stell mich dir ganz Ich habe keine Angst vor dir Nein! „Da hast du wohl recht. Ich habe keine andere Wahl. Doch das, was du erzählst hast, klingt ganz nach einem Ort, an dem es mir gefallen könnte. Ich meine, wenn dort wirklich nur Mutanten sind, bin ich zumindest kein Außenseiter mehr...“ „Das stimmt. Dort sind alle gleich, wenn man so will. Wir bemühen uns zumindest es so sein zu lassen. Ich warne ich nur vor, die meisten der anderen Mutanten sehen viel mehr nach Mensch aus – eher so wie ich – aber das sollte dich keineswegs abschrecken. Äußerlichkeiten spielen bei uns keine Rolle und es gab auch schon welche, die weit unheimlicher aussahen, als du dich fühlst. Von daher wird dich niemand bei uns komisch angucken. Unser Arzt dürfte dir aber sicher gefallen. Er hat auch ein blaues Fell!“, zwinkert Logan grinsend. Unweigerlich muss Kurt ebenfalls schmunzeln und damit scheint schon alles besiegelt zu sein. Egal was noch kommt Und was du von mir verlangst Ich stell mich dir ganz Ich habe keine Angst vor dir! Long flight and first Steps --------------------------- 1 Die beiden haben den Rest der Nacht in einer kleinen Höhle in den Bergen verbracht. Als sie nun gähnend das Gesicht Richtung Sonne strecken, wundert es Logan nicht im Geringsten, dass es schon Mittag ist. Kurt hat sehr viel durchgemacht und die Flucht aus seinem alten Leben hat ihn sichtlich mitgenommen, weshalb es in jedem Fall angebracht war, dass er sich einmal richtig und ohne Angst vor Strafen und dergleichen ausschlafen konnte. Wolverine selbst ist für gewöhnlich ein Frühaufsteher, kommt zumeist sogar mit ein oder zwei Stunden Schlaf aus, ohne einen Funken Konzentration einzubüßen. Nicht selten hat er sogar mehrere Tage hintereinander verbracht, ohne auch nur eine Minute die Augen zu schließen. Ist es jedoch friedlich und er fühlt sich sicher, kann er unbekümmert endlos schlafen, bis ihn irgendjemand oder irgendetwas weckt. Dieses Etwas war nun das wiederholte und erstaunlich laute Magenknurren des blauen Mutanten, das sie beiden aus dem Schlaf gerissen hat. „Sag bloß, du hast Hunger?“, witzelt der Kanadier ein wenig, als ein erneutes Knurren ertönt und schlagartig die Wangen des Jungen purpurn anlaufen lässt. „Ich habe immer Hunger...“, kommt es daraufhin traurig zurück. Mitfühlend mustert der Ältere den ausgemergelten Körper des Elfen, innerlich kocht er allerdings vor Wut, wenn er nur daran denkt, was diese Mistkerle ihm alles angetan haben müssen. Völlig automatisch stellt sich dabei sein tiefgreifender Beschützerinstinkt ein, den er Kindern gegenüber immer unweigerlich empfindet. Außerdem versteht er nun auch vollkommen, warum Charles ihm diese Mission anvertraut hat. „Keine Sorge. Ab jetzt ist das vorbei. Du wirst nie wieder Hunger haben müssen, Junge. Dafür werde ich schon sorgen!“, verspricht er ihm und wendet sich dem Jet zu, der sich nun imposant vor ihnen erhebt. Äußerst scheu, aber dennoch neugierig betrachtet der junge Mutant das Gefährt und kann sich dennoch keinen Reim darauf machen. Der Schwarzhaarige öffnet eine Schiebetür an der Seite und wühlt dann suchend unter dem Pilotensitz nach etwas. Nach einem Moment zieht er ein weißes T-Shirt hervor. Es ist schrecklich zerknittert und müsste bestimmt dringend einmal gewaschen werden, doch Logan kümmert es wenig, es wird dennoch seinen Zweck erfüllen. „Hier, zieh das an.“, meint er knapp und wirft dem Jungen das Hemd entgegen. Dann klettert er in die Flugmaschine und sucht scheinbar weiter hinten nach etwas anderem. Kurt betrachtet sich inzwischen etwas überfordert das Shirt. Dunkel kann er sich erinnern so etwas als kleines Kind auch getragen zu haben. Doch seit er in den Zirkus kam, gab es für ihn dergleichen nicht mehr. Als der Kanadier mit einer Kiste unter dem Arm wieder zu ihm kommt, hat Nightcrawler es zumindest geschafft das T-Shirt anzuziehen. Mit erhobener Augenbraue mustert der Jäger ihn dennoch und wird sich dabei über deutlich bewusst, dass er dem Jungen wohl weit mehr beibringen muss, als es sonst der Fall sein dürfte. „Passt doch halbwegs. Das Schild gehört allerdings nach hinten, also dreh das Ding einmal um.“, weist er den Blauen an und zupft dabei an dem zerschlissenen Wäscheschild, das auf Kurts Brust ruht. „Oh...“, gibt der Jüngere unschlüssig von sich und versucht dann etwas ungeschickt dem Ganzen nachzukommen. 2 Wie sich herausstellt befindet sich in der Kiste allerhand zu Essen. Während Logan Brot, Brathähnchen, Reis, etwas Obst und eine große Flasche Milch auf einem Tuch ausbreitet, wird er dabei von Kurt mit großen Augen betrachtet. Der Jäger kann innerlich nur grinsen, wirkt der Junge neben ihm doch gerade wie ein ausgehungerter Hund, der sabbernd darauf wartet zuschlagen zu dürfen. Das Sabbern kann sich der Blauhäutige zumindest noch verkneifen, aber wirklich nur gerade so, wie es dem Älteren scheint. Von daher will er ihn auch nicht unnötig warten lassen. „So, hau rein! Iss so viel du magst!“, fordert der Kanadier ihn auf. Falls das überhaupt noch möglich ist, werden die seelenlosen Augen des Jüngeren noch ein ganzes Stück größer. Dennoch wirkt er unsicher und wartet ab. Logan legt leicht irritiert die Stirn in Falten und will seine Aufforderung schon wiederholen, da geht ihm auf, dass der Bengel ganz sicher eine sehr strenge Form der Erziehung in diesem verdammten Zirkus genossen hat und daher erst essen wird, wenn der Schwarzhaarige selbst begonnen hat – ähnlich wie in einem Wolfsrudel, wo die ranghöchsten Tiere immer vor allen anderen fressen dürfen und die niedrigen eben warten müssen. Mit einem leichten Seufzen öffnet Wolverine die Flasche Milch, stellt sie zurück auf das Tuch und greift sich dann eine Hühnerkeule. Nightcrawler tut es ihm gleich, legt die Keule aber vor sich hin und verschränkt dann die Finger vor seinem Gesicht. Kurz darauf schließt er die Augen und beginnt in Deutsch etwas vor sich hinzumurmeln. „Dir sei, oh Gott, für Speis und Trank, für alles Gute Lob und Dank. Du gabst, du willst auch künftig geben. Dich preise unser ganzes Leben. Amen.“ Der X-Man versteht zwar überhaupt kein Wort von alledem, doch von der Haltung und Tonlage des Jungen leitet er ab, dass das Ganze wohl eine Art Tischgebet sein muss, weshalb er selbst etwas ungeduldig innehält und mit dem Essen wartet, bis der Bengel damit durch ist. Logan hat zwar schon vor endlos langer Zeit jeglichen Glauben an auch nur die entfernteste Form eines Gottes verloren, doch er kann spüren, dass es Kurt sehr viel zu bedeuten scheint – wenn nicht gar das Einzige ist, das ihn bis jetzt noch am Leben gehalten hat – und von daher wird er ihm das ganz sicher nicht madig machen. Nachdem das letzte Wort dann aber gesprochen ist, lächelt ihm der blaue Mutant etwas schüchtern zu, als würde das alles erklären, und dann stürzen sich die beiden endlich ungehalten auf das Essen. Wolverine hat zwar selbst einen sehr gesunden Appetit, insbesondere auf Fleisch, doch er hat selten jemanden so schnell und begeistert essen sehen, wie diesen Elfen. Es kommt einem Wunder gleich, dass er dabei überhaupt noch Zeit zum Luftlohen findet, ohne sich haltlos zu verschlucken. So ist es auch nicht verwunderlich, dass das gesamte Essen innerhalb kürzester Zeit vollkommen verschwunden ist. Zufrieden lehnt sich Nightcrawler nach dem letzten Bissen zurück an das Felsgestein, schließt einen Moment lang die Augen und gibt ein wohliges Seufzen von sich. Ihm ist anzusehen, dass er jetzt sicher gern noch ein paar Stunden schlafen würde, doch dafür haben sie keine Zeit. So oder so sind sie schon viel später aufgestanden, als Logan es geplant hatte, und wenn sie jetzt nicht bald losfliegen, kommen sie heute gar nicht mehr nach New York und das würde Charles nur unnötig in Sorge versetzen, weshalb er dann wieder versuchen wird in Logans Gedanken einzudringen, um sich Klarheit zu verschaffen und das will der Kanadier nun wirklich nicht. Dieses ganze Überwachen seiner Person geht ihm so oder so dermaßen gegen den Strich. Aber er ist wahrscheinlich auch selbst schuld daran, wenn er sich ständig den Worten des anderen Mannes widersetzt und sein eigenes Ding durchzuziehen versucht, völlig ungeachtet dessen, was das für das Institut und die anderen Mutanten bedeuten könnte. Trotz des Zeitdrucks, den er daher verspürt, gönnt er dem Jungen noch eine halbe Stunde Ruhe, schließlich will er ja auch nicht, dass ihm der Bengel aus Flugangst oder dergleichen das ganze Cockpit vollkotzt. 3 Schließlich erhebt sich Wolverine aber doch, sammelt die wenigen Reste zusammen und verstaut sie wieder in dem Fluggerät. „So, Junge. Zeit aufzubrechen, also rein in den Jet mit dir!“, fordert er ihn nachdrücklich auf und begibt sich dann auf die Pilotenseite. Wie er allerdings schon befürchtet hat, rührt sich der Bengel keinen Zentimeter, sondern starrt den Jet nur mit großen, hilflosen Augen nervös an und schluckt hart. Der Schwarzhaarige sucht schon nach Worten, um ihm irgendwie die Angst zu nehmen, da sinkt der Blauhäutige auf die Knie nieder und verschränkt wieder die Finger vor dem Gesicht. Kurz darauf setzt er scheinbar zu einem weiteren Gebet an, weshalb Logan nur leicht gereizt seufzt und darauf wartet, dass er fertig wird. Er hofft jedoch, dass der Bengel das jetzt nicht bei jeder Kleinigkeit von Neuem macht, denn sonst werden sie ja nie zu Hause ankommen. „Du Gott des Aufbruchs, es ist schwer, Vertrauen in einen Weg zu setzen, den ich nicht genau sehe, auch wenn ich glaube, deine Stimme zu hören. Jetzt liegt das Alte hinter mir. Schenk mir Vertrauen in dich.“, endet Nightcrawler schließlich und sieht wieder nervös zum Jet hinüber. „Nun komm schon, du Elf! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, und es ist ein verdammt langer Flug...“, brummt der Ältere ungeduldig. Innerlich ist ihm durchaus bewusst, dass das ganz sicher nicht unbedingt hilfreich ist, aber seine Geduld war noch nie die Beste und langsam ist schon ein Großteil davon verbraucht. Leicht zuckt der junge Mutant unter seinen streng anmutenden Worten zusammen, steigt dann aber doch vorsichtig ein und setzt sich auf den Sitz des Copiloten. „Du brauchst keine Angst zu haben. Es ist völlig harmlos. Du musst nur ruhig sitzenbleiben. Und wenn dir schlecht wird, dann kotz mir nicht das Cockpit voll, okay?“, prüfend betrachtet er ihn und legt ihm dabei etwas ruppig den Sicherheitsgurt an. Seine Worte wecken allerdings nicht unbedingt Zuversicht in dem Jüngeren, weshalb er nur stumm nickt. Einen Moment später dröhnt lautstark der Düsenmotor unter ihnen auf, sodass Kurt hilflos zusammenzuckt und einen unterdrückten Schrei von sich gibt. „Entspann dich...“, murmelt Wolverine, während er den Start vorbereitet. Das ist jedoch viel leichter gesagt, als getan, wie er kurz darauf feststellen muss. Mit dem Motorengeräusch scheint sich der Junge gerade noch so anfreunden zu können, doch nun erhebt sich der Jet blitzartig und völlig schwerelos in die Lüfte. Waagerecht steigt er ein Stück nach oben, bevor er wie eine Pistolenkugel vorwärts schießt und dabei immer noch weiter an Höhe gewinnt. Der Druck, der bei der plötzlichen Beschleunigung auf den Körper einwirkt, ist deutlich spürbar, auch wenn das Fluggerät bei weitem nicht mit Überschallgeschwindigkeit fliegen kann. Hat man das Ganze allerdings ein paar Mal mitgemacht, merkt man diesen beklemmenden Druck im Magen nicht mehr, doch für Kurt ist es nun einmal das erste Mal. Mit panisch aufgerissenen Augen klammert er sich wie ein Ertrinkender an den Armlehnen fest, holt abgehackt Luft und sieht schrecklich blass um die Nase aus. Er zittert am ganzen Körper. Besorgt wirft Wolverine ihm einen kurzen Seitenblick zu, wobei ihm wieder der Gedanke kommt, dass sich der Bengel ganz sicher jeden Moment übergeben wird, denn ganz genauso sieht er gerade aus. Im Nachhinein betrachtet wäre das aber wohl noch das kleinere Übel gewesen... Als der Jet nach wenigen Sekunden seine angesteuerte Flughöhe erreicht hat und mit halsbrecherischem Tempo durch die Wolken pflügt – die wie riesige Wattebäusche gegen die Windschutzscheibe zu klatschen scheinen, ehe sie von den scharfkantigen Flügeln der Maschine regelrecht in tausend Fetzen zerrissen werden – kann Nightcrawler nicht mehr länger an sich halten. Die Panik vor dem Ungewissen in ihm ist einfach zu groß. Eine Sekunde später breitet sich eine dichte, violette Wolke im Cockpit aus, die atemberaubend nach Schwefel stinkt und einhergeht mit einem leisen, seltsamen, kaum zu beschreibendem Geräusch – fast wie ein hohler Knall. BAMF! Einen Sekundenbruchteil später scheint sich das Ganze in einiger Entfernung zu wiederholen. Angewidert verzieht Logan das Gesicht, ringt nach Luft, während sich die stinkende Wolke immer noch weiter auszubreiten scheint. „Verdammt...“, kommt es hustend von ihm, dann merkt er, dass der Junge nicht mehr auf seinem Platz sitzt – einzig das weiße T-Shirt ist noch da. „Scheiße...!“, knurrt er halb erstickt. Geistesgegenwärtig betätigt er den Autopiloten und einen weiteren Kopf, der die Luft in der Maschine mit einem heftigen Sog absaugt und gegen frische ersetzt. Dann löst er seinen Gurt und steht auf. Suchend blickt er sich im hinteren Teil des Jets um. Da der Flieger nur für zwei Personen ausgelegt ist, ist der Raum verhältnismäßig übersichtlich. Dennoch braucht er einen Moment, ehe er seinen überreizten Sinnen wieder Glauben schenken und den Jungen entdecken kann. Schließlich sieht er ihn. Nightcrawler klebt wie ein riesiges, gelbäugiges Insekt im Schatten ganz hinten kopfüber an der Decke und atmet so angestrengt, als würde er jeden Moment ersticken. Mit leicht schiefgelegtem Kopf betrachtet Logan ihn einen Augenblick. Ihm geht dabei auf, dass die Fähigkeit des Mutanten wohl in einer Art Teleportation oder dergleichen bestehen muss. Eine andere Erklärung gibt es gar nicht, wie er in einem Sekundenbruchteil verschwinden und dort wiederauftauchen konnte. In diesem Zusammenhang kommt ihm aber eine viel schlimmere Erkenntnis. „Komm sofort da runter, Elf! Und mach das, um Himmel willen, nicht noch mal! Stell dir nur mal vor, du landest beim nächsten Mal außerhalb des Jets. Dann stürzt du mehr als fünftausend Meter ungebremst in die Tiefe!“, mahnt er ihn überaus streng. Dennoch kann er den leichten Schock und die Sorge darüber nicht ganz in seiner Stimmlage verbergen, was ihn mehr als wurmt. Doch vermutlich ist es gerade diese ungewollte Tonlage, die Kurt nun schuldbewusst aussehen lässt. „Entschuldigung...“, murmelt der Blauhäutige kaum hörbar und krabbelt dann wie eine übergroße Spinne kopfüber ganz langsam und vorsichtig an der hinteren Wand des Jets herunter. Mit einer gewissen Erleichterung seufzt Wolverine in sich hinein. Gleichermaßen faszinieren ihn die überaus animalischen Bewegungen seines Gegenübers zu tiefst „Schon gut, aber versuch dich ab jetzt irgendwie zusammenzureißen, okay? Ich weiß, dass ist schwer, wenn man seine Fähigkeiten noch nicht richtig kennt, geschweige denn beherrscht, und zudem auch noch Angst hat, doch du musst es irgendwie schaffen. Entspann dich. Das Schlimmste hast du jetzt eh erstmal hinter dir, und die Landung ist nicht so erdrückend. Doch bis dahin sind es gut sieben Stunde Flug und ich will dich nicht ständig von der Decke runterlocken müssen, weil du dich wegen irgendwas erschreckst. Außerdem ist dieser Gestank bei deinem Rumgespringe kaum auszuhalten und ich kann nicht jedes Mal die Luft im Cockpit absaugen. Das ist nicht gut für den Druckausgleich und im schlimmsten Fall werden wir beide deswegen ohnmächtig.“, erläutert der Ältere sichtlich um Ruhe bemüht. „Entschuldigung...“, flüstert Kurt noch einmal und zieht dann das T-Shirt wieder an, welches ihm der Jäger reicht. Anschließend setzt er sich gehorsam zurück auf seinen Sitz und lässt sich von dem Älteren erneut anschnallen. Mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern sitzt er dann da und schämt sich anscheinend für das alles. Mitleidig wirft der Schwarzhaarige ihm wieder einen Seitenblick zu. ‚Das wird ein verdammt hartes Stück Arbeit. Herzlichen Dank auch, Charles...‘, geht es ihm dabei durch den Kopf. Doch irgendwie kann er dem anderen Mann gar nicht so böse sein, wie er es gern würde. Immerhin sollte das alles ja auch eigentlich eine Strafe für sein Fehlverhalten sein und wenn es einfach wäre, wäre es ja schließlich keine Strafe. Sanft legt er dem Elfen nun eine Hand auf den Oberschenkel – spürt dort dessen wenige Millimeter kurzes, seidig weiches Fell, das seinen ganzen Körper überzieht wie samtiger Flor – und streichelt beruhigend darüber. Überrascht zuckt Kurt unter dieser erstaunlich zärtlichen Geste zusammen, ist er es doch überhaupt nicht gewohnt, so berührt zu werden. Etwas scheu wendet er Logan den Blick zu. Dieser schaut aber stur durch die Windschutzscheibe und lenkt gekonnt einhändig weiter die Maschine. „Mach dir nichts draus, Junge. Das erste Mal in so einem Ding geht an keinem spurlos vorbei. Aber man gewöhnt sich daran. Also guck nicht so geschlagen, sondern zeig mir doch mal ein Lächeln!“, versucht ihn der Krieger etwas aufzuheitern. Dabei wendet er ihm den Blick zu, wobei ein sanftes Lächeln seine sonst so harten Züge umspielt. Einen Moment scheint der Junge angestrengt darüber nachzudenken. Dann legt er die Hand vorsichtig auf die von Logan, die immer noch über seinen Oberschenkel streicht, drückt sie leicht, während er dem Älteren tief in die Augen sieht. Schließlich lächelt er tatsächlich. Es hat etwas so Unschuldiges und Reines an sich, dass Wolverines Herz für einen Schlag auszusetzen scheint, ehe es ihm heftig gegen die Rippen wummert. Etwas verhalten räuspert sich der Schwarzhaarige, zieht seine Hand zurück und konzentriert sich wieder auf den Jet. „Siehst du? Geht doch!“, meint er noch knapp und versucht diesen seltsamen Funken, der eben zwischen ihnen gezuckt zu haben scheint, irgendwie zu ignorieren. Es ist noch viel zu früh für dergleichen Gedanken – wenn überhaupt – und das sollte er nicht allzu bald vergessen... 4 Der Rest des Flugs verläuft zum Glück reibungsloser. Die meiste Zeit herrscht nachdenkliches Schweigen zwischen den beiden. Logan versucht auch weiterhin diesen seltsamen Funken zwischen ihnen zu ignorieren, den er gespürt zu haben glaubt, kommt aber nicht umhin, immer wieder verstohlene Blicke auf den Elfen zu werfen. Dieser sitzt anfänglich noch sehr verkrampft auf seinem Platz und starrt stur auf die stumm vor sich hin blinkenden Anzeigen auf dem Armaturenbrett. Schließlich wird er aber lockerer, merkt, dass ihm hier scheinbar doch keine Gefahr droht, und schaut dann vorsichtig aus dem Fenster. Außer endlosen Wolkenmassen und blauem Himmel gibt es allerdings nichts zu sehen. Als Kurt sich vorbeugt, um zu sehen, was unter ihnen passiert, will der Kanadier ihn schon davon abhalten, entscheidet sich dann aber doch dagegen. Immerhin muss der Junge allein seine Erfahrungen machen. Unter dem flachen Bauch des Jets zeigt sich Nightcrawler eine winzige Welt, fast so, als würde er auf eine Art dreidimensionale Landkarte schauen, von der sich die Berge als kleine Haufen erheben und die größten Gebäude, Brücken und Wahrzeichen kaum noch zu erkennen sind. Geräuschvoll saugt der blaue Mutant daraufhin die Luft ein. Als Wolverine zu ihm hinübersieht, kann er deutlich erkennen, wie ihm das kurze Fell praktisch am ganzen Körper zu Berge steht und er wirkt, als wäre er elektrisch aufgeladen. Der Ältere will schon etwas Beruhigendes sagen, da wendet Kurt schon von allein wieder den Blick ab und sammelt sich erstaunlich gefasst. Den Rest des Flugs begnügt er sich allerdings aber lieber wieder mit der Windschutzscheibe oder dem Armaturenbrett. Es gibt nur einen weiteren Moment, in dem Logan denkt, dass sich der Bengel wieder vor Schreck an die Decke hängen wird. Je näher sie New York kommen, desto dunkler werden nämlich auch die Wolken. Schließlich trifft schwerer Regen die kleine Maschine, hämmert nahezu ohrenbetäubend auf den dünnen Mantel ein, und böiger Wind schüttelt sie etwas unsanft durch, bis es Logan gelingt höher zu steigen, um dem etwas zu entgehen. Deutlich kann Wolverine die Angst in den seelenlosen Augen des Jungen sehen – er kann sie förmlich an ihm riechen. Als dann auch noch ein einziger, greller Blitz den Himmel direkt vor ihnen zerreißt, stößt Kurt einen erstickten Schrei aus und klammert sich dann so plötzlich an Arm des Schwarzhaarigen fest, dass dieser selbst leicht zusammenzuckt. Doch zumindest springt Nightcrawler nicht wieder durchs Cockpit. „Ganz ruhig, Junge. Wir sind gleich durch und dann auch schon fast da.“ Allerdings klammert sich der Blauhäutige so lange an ihm fest, bis der Himmel unter ihnen wieder aufhellt und der Beginn des Sonnenuntergangs sichtbar wird, den Kurt dann bis zur Landung voller Faszination betrachtet. 5 Der Kanadier kann nicht abstreiten, froh darüber zu sein, dass sich Nightcrawler so auf den Sonnenuntergang fixiert, denn sanfte Landungen gehören nicht zu seiner Stärke. Doch der Junge klammert sich fest genug an die Aussicht und Logans Arm, um das Ganze ziemlich ungerührt über sich ergehen zu lassen, obwohl die Maschine beim Aufsetzen einen ruckartigen Hopser macht und sie beide dadurch in die Sitze gedrückt werden. Schließlich ist es aber geschafft und der kleine Jet rollt die kurze Landebahn entlang. An ihrem Ende öffnet sich ein hangarartiges Tor an der Seite eines riesigen Herrenhauses. Fast lautlos gleitet die Wolf 2 in das dunkle Loch, woraufhin helle Lampen an der Decke aufflammen. Noch ehe die Maschine ihren eigentlichen Parkplatz erreicht hat, gleitet ein roter Scanner über sie hinweg und eine Computerstimme ertönt nachdrücklich über ihnen. „Wolf 2 zurückgekehrt. – Piep! – Keinerlei Schäden vorhanden. – Piep! – Zwei Individuen ausgemacht. – Piep! – Bitte bestätigen. Piep! Piep! Piep...“, fordert der Rechner. „Jaja, alles in Ordnung. Krieg dich wieder ein. Ich hab´ keine Zeit für diesen Unsinn.“, knurrt der Krieger leicht ungehalten in ein Mikro auf dem Armaturenbrett und wartet darauf, dass der Scanner ihn endlich passieren lässt. „Willkommen zurück, Wolverine. – Piep!“, kommentiert der Computer geduldig, schaltet den Scanner ab und lässt den Jet schließlich vorbei. „Was – war das...?“, fragt Kurt unsicher, während Logan die Wolf 2 auf ihren angestammten Platz neben einen viel größeren Jet und einigen anderen Fahrzeugen lenkt. „Nur ein Sicherheitssystem, um ungebetene Gäste zu finden, die sich vielleicht in oder am Jet versteckt haben könnten. Mach dir keine Gedanken. So lange du in meiner Nähe bleibst, kann dir nichts passieren. Das System muss dich nur erst kennenlernen. Aber alles zu seiner Zeit. Jetzt bringe ich dich erst mal zum Leiter des Instituts und dann hast du das Schlimmste für heute auch schon hinter dir.“ Kurz darauf verlassen die beiden den Hangar über eine kleine Tür auf der anderen Seite. Über einen langen Gang gelangen sie schließlich ins Innere des großen Hauses. Mit fasziniertem Blick betrachtet Kurt die neue Umgebung aufmerksam. Dabei tapst er unsicher auf allen Vieren neben Wolverine her, gleich einem schüchternen Welpen bei seinem ersten Spaziergang in seinem neuen Heim. Jedes Geräusch lässt ihn unweigerlich zusammenzucken. Der Kanadier ist ganz froh, dass ihnen nicht auch noch einer der anderen Mutanten über den Weg läuft, sonst würde er den Elfen womöglich wieder von der Decke sammeln müssen. Früher oder später wird er sie aber alle kennenlernen und seine Angst ablegen müssen, doch heute hat er noch etwas Schonfrist. Über eine große Treppe gelangen sie in den ersten Stock des Hauses. Hier befinden sich in einem langen Gang links und rechts etliche Türen. Jede Tür ist mit goldenen Buchstaben verziert, die den Namen ihres Bewohners bilden. Die erste Tür links ist allerdings unbeschriftet, ebenso die ersten beiden Türen auf der rechten Seite. Die zweite Tür links ist dafür mit Piotr beschriftet. Kurz bleibt Wolverine vor der zweiten Tür rechts stehen und deutet auf das unbeschriftete Holz. „Das hier wird dein Zimmer.“, meint er knapp und geht dann auch schon weiter. An der dritten Tür rechts steht nun Logan, links dafür Henry. Dann folgen rechts Ororo und links Katherine. Danach rechts John, links Robert. Anschließend rechts Sean und links Shiro. In der letzten Reihe stehen rechts Scott und links Jean. Anhand der doch sehr unterschiedlichen Namen schließt Kurt, dass er nicht der Einzige ist, der außerhalb Amerikas geboren wurde, was ihn irgendwie beruhigt. Direkt voraus befindet sich noch eine weitere Tür, die auch die letzte in dem Gang ist. Auf ihr ist jedoch lediglich das Wort Büro geschrieben. „Okay, da sind wir.“, meint der Krieger dann und öffnet die Tür. 6 „Ehe du wieder einen Suchtrupp losschickst, ich bin zurück und ich hab´ dir sogar jemanden mitgebracht.“, tönt Logans Stimme, kaum dass er durch die Tür ist. „Das freut mich. Ich habe mir wirklich langsam Sorgen gemacht.“, gesteht der Mann hinter dem Schreibtisch mit sichtlicher Erleichterung. „Es war ein bisschen schwierig, aber kein Grund zur Aufregung. Also versuch gar nicht erst in meinem Kopf rumzuwühlen!“ Xavier belässt das Ganze erst einmal leicht resignierend dabei und rollt stattdessen hinter dem Schreibtisch hervor. „Wo ist denn unser Gast?“, fragt er schließlich. Verwundert hebt Wolverine eine Augenbraue und blickt neben sich. Doch der blaue Mutant ist nicht mehr da. Dennoch kann er ihn riechen – insbesondere seine Angst. Nahezu zielstrebig schaut er daher zur Decke empor und Charles folgt fragend seinem Blick. Und tatsächlich, in der hintersten Ecke neben der Tür hockt ein kaum auszumachender Schatten im Zwielicht der spärlichen Schreibtischlampe, die zurzeit das einzige Licht im Raum bildet. Lediglich zwei verschreckte, gelbe Augen und der etwas hellere Klecks des T-Shirts in der Dunkelheit dort oben, sind alles, was man erkennen kann. Nightcrawlers übriger Körper scheint regelrecht mit der Finsternis zu verschmelzen. Würde er die Augen schließen und das Shirt ausziehen, könnte man ihn nicht einmal mehr erahnen. Genervt reibt sich Logan über die rechte Schläfe, so als hätte er plötzlich starke Kopfschmerzen bekommen, wobei sich Xavier vorstellen kann, was der Jäger mit schwierig gemeint haben könnte. „Was soll denn das jetzt wieder? Komm sofort da runter! Ich hab´ dir doch gesagt, dass es ungefährlich ist...“, grummelt er zu dem Schatten empor, der sich daraufhin noch kleiner zu machen versucht. „Lass ihn doch. Er hat Angst.“, erwidert der Professor völlig ruhig, als würde er stattdessen über das Wetter reden. Der Kanadier gibt nur ein missgünstiges Schnauben von sich und verschränkt die Arme vor der kräftigen Brust. Dann wechselt Xavier völlig beiläufig das Thema. „Wie fühlst du dich, Logan?“, fragt er. Der Angesprochene hebt wieder die Augenbraue. „Alles in Ordnung…“, gibt er schnippisch zurück. „Wirklich? Du siehst etwas mitgenommen aus.“, bemerkt der Jüngere. Xaviers Augen gleiten über Wolverines Gesicht. Logan spürt, wie die mentalen Finger dabei versuchen in seine Gedanken einzudringen. Doch das Adamantium hinter seiner Stirn erschwert es ihm etwas, auch wenn es ihn nicht völlig daran hindert. Aber der Kanadier ist vorbereitet, kann ihn daher abwehren und dafür ist er immer wieder dankbar. Zwar hat der Jäger im Moment nichts Sonderliches zu verbergen, doch oft genug ist es aber schon der Fall gewesen und das wurmt den Professor schon ab und an ziemlich. Doch Logan ist der Meinung, dass es für Charles´ Seelenheil manchmal wirklich besser ist, wenn er nicht weiß, was er gerade denkt oder so getrieben hat. Im schlimmsten Fall könnte Charles etwas von diesem vermeintlichen Funken zwischen ihm und Nightcrawler mitbekommen, und das wäre ganz sicher nicht gut. Logan hofft daher auch, dass er nicht allzu sehr in den Gedanken des Jungen wühlt und ihn dort womöglich entdeckt, sollte Kurt etwas Ähnliches gespürt haben. Zur Sicherheit bedenkt der Jäger den Mann im Rollstuhl jedoch mit einem überaus strengen Blick, woraufhin er spüren kann, dass sich die mentalen Finger wieder entfernen und Xavier ein schon beinahe schuldbewusstes Gesicht aufsetzt. „Warum setzt du dich nicht und überlässt mir das Ganze?“, meint der Kahlköpfige dann möglichst beiläufig und deutet auf das Sofa neben der Tür. Logan gibt ein resignierendes Seufzen von sich, kommt dem Wunsch des anderen dann aber nach einem Moment doch nach. Dennoch verschränkt er fast schon beleidigt erneut die Arme vor der Brust. Mit einem überaus sanftmütigen Gesichtsausdruck sieht Xavier wieder zur Decke empor. Der blaue Mutant hat sich inzwischen keinen Zentimeter bewegt, beobachtete nur alles äußerst aufmerksam mit seinen seelenlosen Augen. Trotz dieser Leere in ihnen, kann Charles deutlich seinen Schmerz und seine Angst erkennen, was ihn zutiefst bekümmert. Dieses arme Geschöpf muss Schreckliches durchgemacht haben, und um das zu erkennen, braucht er seine mentalen Finger nicht einmal ansatzweise. Trotzdem streckt er sie nun ganz vorsichtig aus, um sich ein Bild von alledem machen zu können, damit er eine Bindung zu ihm aufbauen und ihm hoffentlich etwas die Furcht nehmen kann. Als er in Nightcrawlers Verstand eindringt, zuckt der Junge sichtbar zusammen, versteht schlichtweg nicht, was gerade mit ihm passiert. Für einen kurzen Moment ertönt von ihm das verschreckte Fauchen einer völlig erschöpften Katze, die fürchtet, einen weiteren Kampf austragen zu müssen, und seine scharfen Zähne funkeln matt ihm Zwielicht auf. Fast schon schmerzlich presst er dann die Augen zusammen, doch er kann sich dem nicht entziehen. „Habe keine Angst, Kurt Wagner, ich werde dir nicht wehtun. Was du gerade spürst – dieses Kitzeln oder Jucken direkt in deinem Verstand –, das bin ich. Es gehört zu meiner Mutantenfähigkeit. Man nennt es Gedankenlesen. Ich kann damit sehen, welches Leid du fast dein ganzes Leben ertragen musstest. Doch das ist nun vorbei. Hier bist du sicher.“ So ganz kann der Blauhäutige das alles noch nicht glauben. Dennoch hat es ihn sehr überrascht, dass dieser Mann seinen Namen kennt – seinen menschlichen Namen. Aber vielleicht hat Wolverine ihm den auch irgendwie genannt, ohne dass er es mitbekommen hat? Unentschlossen bleibt Kurt wie eine übergroße Spinne kopfüber an der Zimmerdecke kleben und blickt scheu hinunter. „Wenn – wenn Sie wirklich meine Gedanken lesen können, dann sagen Sie mir, woran ich gerade denke!“, fordert er Charles schließlich sehr kleinlaut, aber dennoch nachdrücklich auf, um sich Klarheit zu verschaffen. Der Angesprochene schaut ihn einen Moment eindringlich an, während Nightcrawler erneut dieses seltsame Kitzeln in seinen Hirnwindungen spürt – ganz so, als würden sich dort tatsächlich Finger entlang bewegen, auf der Suche nach einer geistigen Schublade, in der sich die richtige Lösung befindet. Ein leichtes Schmunzeln gleitet über das Gesicht des Älteren hinweg. „Ich sehe schon, du machst es mir absichtlich schwer, mein Junge. Ich spreche zwar kein Deutsch, doch ich werde versuchen es so genau wie möglich wiederzugeben. – ‚Jesus Christus spricht: Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir.‘ Johannes Evangelium, Kapitel 10, Vers 28. Kommt das in etwa hin?“ Mit offenem Mund sieht der blaue Mutant zu ihm hinunter und kann es doch kaum glauben. „Es – es ist Vers 27 nicht 28, aber sonst war es nahezu perfekt ausgesprochen! Das – das ist einfach unglaublich...“ „Findest du? Das ist noch eine meiner leichtesten Übungen, dennoch danke. – Ich sehe, dass du einen sehr starken Glauben hast, Kurt. Und ich bin sicher, dass er dir stets weiterhelfen wird. Das Leben als Mutant ist gewiss kein Zuckerschlecken, nicht einmal hier, wo wir unter Unseresgleichen sind. Dessen solltest du dir bewusst sein. Aber hier sind wir zumindest weitgehend vor der Ablehnung der Menschen sicher, und das macht es viel einfacher für die Meisten von uns. – Außerdem möchte ich dir versichern, dass ich dir deinen Gott in keiner Weise ersetzen will. Dennoch haben wir hier eine gewisse Hierarchie, wobei ich als eine Art Führer für alle stehe, zudem Rektor dieser Schule bin und auch zwischen den Mutanten und den Menschen vermittle, wenn es sein muss. Ebenso wird Logan dir ab jetzt ein Lehrer sein und dich alle wichtigen Dinge lehren, die du für dein Leben bei uns und als Mutant wissen musst. Und daher möchte ich nun, dass du ein braver Schüler bist und zu mir herunterkommst. Ich werde dich nicht dazu zwingen, auch wenn ich es könnte, doch ich will, dass du es aus eigenem Antrieb tust. Vertrauen aufbaust. Ich weiß, nach allem, was du bisher durchgemacht hast, ist das eine schier unüberwindbare Situation. Doch bedenke, dass du auch Logan vertraut hast, und dass, nachdem er diese beiden Männer vor deinen Augen getötet hat.“ Ein nahezu strafender Blick trifft den Kanadier, woraufhin der Ältere nur verächtlich mit den Schultern zuckt, als wolle er sagen: Was hatte ich schon für eine andere Wahl? Immerhin waren es nur zwei und nicht alle, also spar dir deine Anschuldigungen! Innerlich seufzt der Professor nur und konzentriert sich dann wieder auf Kurt. Dieser hockt noch immer etwas unschlüssig dort oben und rührt sich nicht. Charles muss aber nicht noch einmal in seinen Verstand sehen, um zu erkennen, was den Jungen irritiert. „Du hast noch nie einen Rollstuhl gesehen, wie mir scheint. Mache dir darüber aber keine Gedanken, es ist nichts Gefährliches dabei. – Weißt du, vor vielen Jahren hatte ich einen schweren Unfall. Ich habe das Ganze geradeso überlebt, doch seitdem kann ich nicht mehr laufen. Dieser spezielle Stuhl ersetzt mir also praktisch meine Beine, sodass ich mich weitgehend ohne Hilfe frei bewegen kann. Es muss dich also nicht kümmern.“, versichert ihm der Professor, woraufhin sich Kurt etwas zu entspannen scheint. Ein paar Sekunden hadert er dennoch mit sich und wirft schließlich einen Blick zu Wolverine hinüber, der immer noch halb beleidigt auf der Couch lungert. Ihm ist anzusehen, dass er jetzt lieber ganz woanders wäre. Nightcrawler vermutet jedoch, dass der Professor Logan nicht eher gehen lassen wird, ehe er sich hinunter getraut hat und alles abgearbeitet ist, was sonst wohl zum Standard gehört, wenn man neu hier an das Institut kommt. Also muss Kurt all seinen Mut zusammennehmen und dass hier so schnell wie möglich hinter sich bringen, damit sie beide erst einmal Ruhe haben und Logan keinen Grund hat, um womöglich sauer auf ihn zu sein. Schließlich bewegt sich der blaue Mutant ganz langsam kopfüber an der Wand hinunter und hockt dann nach einer Weile auf allen Vieren auf dem Boden. Sanft lächelnd sieht Charles zu ihm hinüber. Dabei nimmt sein geschulter Blick das ganze, sonderbare Wesen Nightcrawlers in Augenschein. Dadurch sieht er deutlich die Unsicherheit in den blicklosen Seelen des Jungen, wobei sein ungewöhnliches Aussehen einem weißzumachen versucht, dass er unglaublich gefährlich sein könnte. Dem ist aber nicht so, wie Charles weiß, doch Menschen verlassen sich im Allgemeinen nur auf das, was sie sehen, und genau das ist der Grund für all das Leid, das der Blauhäutige schon erfahren musste. Eine Weile bleibt Kurt an Ort und Stelle hocken, ehe er sich vorsichtig und geduckt, wie ein geprügelter Hund auf den Professor zu bewegt. „So ist es gut. Das machst du ganz prima.“, ermutigt Xavier ihn sanft und hält ihm langsam seine geöffnete Hand entgegen, als wäre Kurt wirklich ein scheuer Hund, der daran schnüffeln soll, um Vertrauen zu fassen. Der Jüngste hält daraufhin inne und betrachtet die Hand unschlüssig. Schließlich hockt er sich dicht vor den Rollstuhl, rollt den langen Schweif um die schlanken Beine und blickt den Professor mit großen Augen an. „Das hast du sehr gut gemacht, Kurt!“, meint Charles ehrlich und legt dem Jungen dann ganz vorsichtig die Hand auf die Wange. Dabei spürt er das samtweiche, kurze Fell unter seinen Fingern, was ihm fast glauben macht, er würde tatsächlich einen Hund streicheln. Nun entspannt sich Nightcrawler erstaunlicherweise sichtlich, als würde diese simple Berührung all seine Angst einfach von seinem Körper streichen. Langsam schließt er sogar die Augen, legt hauchzart die Hände auf Charles´ Knie und schmiegt sich regelrecht der ungewohnt sanften Berührung entgegen. Eine Art wohliges Schnurren verlässt dabei kaum hörbar seine Kehle und die Spitze seines Schweifs zuckt unwillkürlich auf und ab. Ein schiefes Grinsen schleicht sich auf Logans Gesicht, kann er doch kaum glauben, was er dort sieht. Sichtlich fällt dadurch aber auch die Anspannung von ihm selbst ab. Langsam lässt Xavier wieder von ihm ab und lächelt zufrieden. „Ich denke, wir sind ein ganzes Stück vorwärtsgekommen. Für heute soll das aber erst einmal genug sein. Morgen wirst du die anderen Mutanten kennenlernen und wir werden versuchen herauszufinden, was alles zu deinen Fähigkeiten gehört. Bis dahin solltest du dich aber gut ausruhen, mein Junge. Logan wird so nett sein und dir dein Zimmer zeigen. Habe ich nicht recht, Logan?“ „Jaja, mach ich schon. Sind wir dann fertig?“, fragt der Kanadier etwas pikiert und streckt sich, wobei er fast schon warnend die Fingerknöchel knacken lässt. „Wir sind fertig.“, bestätigt Charles und sieht noch einmal zu Nightcrawler, der noch immer wie ein braver Schoßhund vor seinem Stuhl hockt. „Sei so gut und geh mit Logan, in Ordnung?“ „Jawohl, Sir.“, erwidert der Junge unterwürfig. „Nenn mich doch bitte einfach nur Professor und du musst mich auch nicht siezen. Trotz meiner Position über euch, sind wir hier alle gleich.“ „In Ordnung...“, meint der Blauhäutige und wendet sich Wolverine zu. „Schlaf gut, Kurt.“ Der Angesprochene blickt sich noch einmal um. „Schaf – auch gut, Professor.“, ein verhaltenes Lächeln ziert sein Gesicht und dann verlassen die beiden das Zimmer. 7 Wieder auf dem Gang gibt Logan ein erschöpftes Seufzen von sich, geht aber nicht weiter auf das eben Geschehene ein. Stattdessen führt er den blauen Mutanten zu dessen Zimmer. Als er die Tür öffnen will, fällt ihm auf, dass ihre Ankunft hier wohl nicht ganz ungesehen geblieben ist, da nun in goldenen Buchstaben Kurts Name auf dem Holz steht. Allerdings ist keiner der anderen hier, um ihn womöglich zu begrüßen. Doch Wolverine kommt der Gedanke, dass Charles telepathisch einem von ihnen gesagt haben muss, was zu tun ist und dass sie sich aufgrund der Angst des Jungen erst einmal zurückhalten sollen. Eine ziemlich kluge Idee, wie der Jäger findet, da sonst insbesondere die Jüngeren unter ihnen sehr neugierig und aufgeregt sind, wenn ein neues Gesicht in ihren Reihen auftaucht, und diesen Trubel kann Nightcrawler im Moment so gar nicht gebrauchen. Es wird sicher noch hektisch genug zugehen, wenn sie morgen alle beim Frühstück auf ihn treffen. Langsam tritt der Kanadier ins Zimmer hinein und schaltet die Deckenbeleuchtung ein, damit sich Kurt sein neues Reich betrachten kann, ohne irgendwie verschreckt zu werden. Vorsichtig linst der Junge dabei wie ein scheuer Welpe an ihm vorbei. „Hier wirst du ab sofort wohnen. Dein ganz eigenes Zimmer. Dir steht es frei, wie du es gestalten willst, also tobt dich aus, wenn du das Verlangen danach verspürst. Hauptsache du fühlst dich hier wohl.“, teilt der Ältere ihm mit und geht dann soweit ins Zimmer hinein, dass Kurt ihm folgen kann. Die gelben Augen des Jüngeren huschen dabei schnell durch den Raum und betrachten sich die noch etwas spärliche Einrichtung. Der Tür gegenüber gibt es ein großes Fenster, unter dessen Sims ein Bett steht, dessen Breite sich zwischen einem Einzel- und einem Doppelbett bewegt, sodass man theoretisch auch zu zweit darin bequem schlafen könnte. Daher gibt es auch auf beiden Seiten einen kleinen Nachttisch. Zwar ist eine solche Zweisamkeit – insbesondere eine dauerhafte – nicht sonderlich gern von Charles gesehen, da es möglicherweise zu Ablenkung und Vernachlässigung der täglichen Aufgaben führen könnte, dennoch ist sie auch nicht verboten, solange sich keiner der anderen davon gestört fühlt, oder gar Eifersucht ausbricht. Unweit vom Bett, das bereits einladend bezogen ist und an dessen Fußende ein paar gefaltete Kleidungsstücke liegen, gibt es zudem eine brusthohe Kommode. Auf der rechten Seite des Raums steht ein kleiner Schreibtisch mit einem Stuhl davor und einem Papierkorb daneben, einem Brett an der Wand darüber und einem Bücherregal auf der Fensterseite. Bis auf die wichtigsten Dinge, wie ein paar Stiften, Papier und einer kleinen Leselampe, ist jedoch alles leer und wartet darauf mit den Besitztümern des neuen Zimmerbewohners gefüllt zu werden ganz schwach liegt noch der Duft frischer Farbe im Raum, wurde das Zimmer scheinbar vor Kurzem sogar gestrichen. Direkt links neben der Tür steht ein großer Spiegel und an der linken Wand befinden sich weitere zwei Türen. Eine ist massiv und führt ins Badzimmer, die andere besteht aus einzelnen, waagerechten Lamellen und gehört zu einem in die Wand eingelassenen Kleiderschrank. Zielstrebig wendet sich Logan nun zum Bett und betrachtet die Kleidungsstücke. Da sind ein Schlafanzug, etwas Unterwäsche, ein Hemd und eine Hose, zudem Kurts erster X-Men-Anzug. Er muss noch etwas an Nightcrawlers speziellen Körperbau angepasst und nach Erforschung seiner Fähigkeiten modifiziert werden, aber fürs Erste wird er reichen. Später kann der Junge dann selbst bestimmen, wie das fertige Exemplar aussehen soll, damit er sich damit völlig frei bewegen und wohl fühlen kann, und er beim Kämpfen dadurch nicht behindert wird und er ihm im besten Fall sogar Schutz bietet. Nachdem Logan ihm etwas über diesen Anzug erzählt hat, führt er den Elfen zum Badezimmer hinüber. Neugierig betrachtet der Blauhäutige das weißgeflieste Zimmer. Es hat eine gute Größe, sodass es für eine Person in jedem Fall völlig ausreichend. Es gibt ein Waschbecken, mit einem kleinen Medizinschrank darüber. Daneben befindet sich die Toilette und unweit davon ein kleines Fenster. Der hintere Teil des Raums wird völlig von einer ebenerdigen Dusche eingenommen. In einem schmalen Regal dem Waschbecken gegenüber befinden sich frische Handtücher und Waschlappen, in einen Korb daneben kommt dann die Schutzwäsche, und damit wäre das Bad auch schon komplett. Geduldig erklärt Wolverine seinem Schützling wie all die Dinge in seinem neuen Reich funktionieren und wendet sich dann der Tür zu. „Soweit alles klar?“, hakt er noch einmal nach. Nightcrawler wirkt noch etwas verloren in dem für seine Verhältnisse doch ziemlich riesigen Zimmer, doch er nickt erleichtert über das alles. Prüfend betrachtet ihn der Kanadier einen Moment sehr eingehend, doch es scheint wirklich alles in Ordnung – zumindest so in Ordnung, wie es die Situation halt hergibt, doch das reicht für den Anfang. „Gut. Du solltest jetzt schlafen gehen und dich gut ausruhen. Morgen wird ein sehr anstrengender Tag für dich. Du wirst von neuen Eindrücken und Leuten regelrecht erschlagen werden, aber das geht vorbei. Du wirst dich daran gewöhnen. Und wenn es sein muss, nehme ich dich auch den ganzen Tag an die Hand, doch schlussendlich musst du es allein hinbekommen. Aber alles nach der Reihe. Jetzt ist erst mal schlafen angesagt und das wirst du sicher ohne mich schaffen. Sollte dir dennoch unwohl sein, bin ich im Zimmer nebenan. Bevor ich nachher selbst schlafen gehe, sehe ich auch noch mal nach dir. Und jetzt marsch ab ins Bett mit dir!“, gibt ihm der Ältere zu verstehen. „Okay. – Danke, Logan. Danke für alles!“, meint Kurt schließlich mit einem kleinen Lächeln. Es erhellt sein müdes Gesicht auf nahezu bezaubernde Weise, sodass der Jäger schlagartig all den Ärger vergisst, den er wegen ihm schon hatte. Unweigerlich muss er dabei an seine eigenen Kinder denken, die auf so grausame Weise vor Ewigkeiten aus seinem Leben gerissen wurden. Betrübt verdrängt er den Gedanken schnell wieder. Dafür wird ihm aber klar, wie schnell und heftig sein Herz beim Anblick des lächelnden Elfen zu schlagen begonnen hat. Eine seltsame Wärme breitet sich in seiner Brust aus, und da scheint er wieder zu sein, dieser Funke zwischen ihnen. Hart schluckt Logan und versucht das Gefühl zu verdrängen – es ist einfach noch viel zu früh dafür. Etwas angestrengt räuspert er sich daher. „Schon gut, du Elf. Kein Ding.“, meint er leicht verkrampft, auch wenn er das Wort nicht ganz verstanden hat, sich aber denken kann, was der Junge gemeint hat, und verlässt das Zimmer dann endgültig. Vor der Tür bleibt er jedoch noch einen Moment stehen und schließt die Augen. Sein Herzschlag hat sich inzwischen zwar wieder beruhigt, aber die seltsame Wärme in seiner Brust ist geblieben. Überdeutlich wird ihm klar, dass er so ein intensives Gefühl schon lange nicht mehr empfunden hat. Das ein oder andere gab es seit seiner eigenen Ankunft hier durchaus, doch nicht mit einem Mann. Dennoch ist es bei weitem nicht das erste Mal, dass er sich zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlt – es war schlichtweg schon immer ein Bestandteil seines Lebens. Doch wenn er so auf die vielen Jahrzehnte seines Daseins zurückblickt, hatte er dennoch nie eine langfristige Beziehung mit einem Mann. Genau genommen hatte er nur ein einziges Mal überhaupt eine langanhaltende Partnerschaft und das war mit seiner ersten Ehefrau, mit der er auch seine beiden Kinder hatte. Doch genau wie sie, musste auch seine Frau grausam sterben... Es hat sehr lange gedauert, dass zu überwinden und sein Herz einer anderen Person zu öffnen. Aber irgendwann war es soweit und er wollte erneut den Bund fürs Leben schließen. Allerdings starb auch sie, noch bevor die Hochzeit stattfinden konnte. Das hat ihm so zugesetzt, dass sein Herz regelrecht zu Eis wurde und er nur noch wild durch irgendwelche Betten hüpfen konnte, um überhaupt noch etwas außer Schmerz zu empfinden. Manchmal hielt es nur ein paar Stunden oder eine Nacht. Manchmal wenige Tage oder sogar einige Wochen. Letztendlich spürte er immer wieder den unüberwindbaren Drang in sich weiterzuziehen, um niemandem zu schaden. Der Tod folgt ihm schon seit Kindertagen überall hin und ist er es nicht selbst, der zumeist unabsichtlich jemanden tötet, der ihm etwas bedeutet, dann sind es andere, die hinter Wolverine her sind und dabei alles zerstören, was ihm lieb und teuer ist, nur um ihn zu brechen oder für ihre Zwecke zu missbrauchen. Dennoch kommt er nicht umhin zu glauben, – oder sich aus tiefster Seele zu wünschen – dass es mit Kurt anders sein könnte. Dieses Gefühl in seinem Inneren ist zu stark, um nur eine schnelle Nummer zu sein. Außerdem sind sie hier verhältnismäßig sicher, sodass er sich so einem Gedanken durchaus hingeben könnte. In jedem Fall wird er alles versuchen, damit Nightcrawler so lange wie irgend möglich an seiner Seite bleiben kann, völlig egal auf welche Weise. Er wird ihn beschützen, wie er es bei seinen eigenen Kindern nicht konnte. Was sich daraus entwickeln könnte, ist ihm im Grunde einerlei, dass soll der Elf ganz allein entscheiden. Von wahrer Liebe will Logan sowieso nichts wissen, die hat ihm eh immer nur das Herz gebrochen... 8 Es ist weit nach Mitternacht, als sich Wolverine auf den inzwischen völlig stillen Flur der Manson begibt, um noch einmal nach Kurt zu sehen. Allerdings kommt er nur bis zur Tür des Jungen, dann fällt ihm erneut dieses starke Gefühl von vorhin wieder ein, das er dachte nun endlich abgeschaltet zu haben. Doch alles Bier der Welt wird es wohl nicht ersäufen können, solange sein Heilfaktor ihm ständig einen Strich durch die Rechnung macht und er sich keinem vorrübergehenden Blackout hingeben und vergessen kann. Ein verstimmtes Seufzen verlässt seine Lippen und er ärgert sich ein ums andere Mal über diesen Mist, der sein Leben so nachhaltig bestimmt und ihn einfach nicht gehen lässt, obwohl er schon tausende Tode gestoben sein müsste. „Reiß dich zusammen, alter Junge! Du hast jetzt eine Aufgabe und du musst sie gutmachen, sonst wird der Elf schneller über den Jordan gehen, als du ein Sixpack leermachen kannst. Und das würdest du einfach nicht mehr verkraften – nicht schon wieder...“, harscht er sich selbst mit einem unterdrückten Knurren kann und tritt dann ganz leise ins Zimmer hinein. Der Raum liegt in wohlige Dunkelheit gehüllt da. Eine schmale Mondsichel stiert zum Fenster hinein und erhellt das Bett in einem winzigen Streifen Zwielicht, kommt aber kaum nennenswert darüber hinaus. Es reicht aber in jedem Fall aus, um dem Jäger zu zeigen, dass das Bett leer ist. Noch mehr, es zeigt ihm, dass Kurt gar nicht erst ins Bett gegangen ist! Es ist genauso unberührt, wie zum Zeitpunkt, als Logan vorhin das Zimmer verlassen hat. Der Schlafanzug fehlt jedoch. Leicht suchend blickt sich der Kanadier um. Die Tür zum Bad steht halb offen, das Licht ist aber aus und er kann von dort auch keinerlei Geräusche wahrnehmen. Dennoch spürt er deutlich, dass der Junge noch hier ist. Für einen Moment schließt Wolverine daher die Augen und konzentriert all seine Sinne darauf. Sein animalisches Gehör und seine übersensible Nase verraten ihm schließlich, wo sich der Elf verkrochen hat. Leise kann er den Bengel atmen hören und einen letzten Hauch Schwefel und Furcht an ihm riechen. Er schläft eindeutig, auch wenn es ein unruhiger Schlaf zu sein scheint. Nur allzu verständlich, wie der Jäger findet. Nach all den Erlebnissen der vergangenen zwei Tage – oder eher der Erlebnisse seines ganzen Lebens nach – ist es kein Wunder, wenn er da unruhig schläft, um das alles zu verarbeiten. Und da ist es auch nicht so verwunderlich, dass sich der Blauhäutige verkriecht, statt womöglich völlig schutzlos im Bett zu liegen. Vorsichtig nähert sich Logan nun dem Kleiderschrank und öffnet die Tür. Würde Kurt nicht den hellblauen Schlafanzug tragen, könnte der Kanadier ihn im Dunkeln gar nicht sehen, so sehr verschmilzt sein Körper mit der Umgebung. So sieht er aber immerhin den helleren Klecks, der seine schmächtige Statur umhüllt. Nightcrawler hat sich in der hintersten Ecke des Schranks wie eine Katze zusammengerollt, dabei sogar den langen Schweif um sich geschlungen. Mittleidig betrachtet der Ältere ihn einen Moment, dann tritt er langsam in den Schrank hinein und nimmt ihn geschickt auf die Arme, ohne ihn dabei zu wecken. Behutsam trägt er ihn zu Bett hinüber und legt ihn hinein. Nachdem er die Decke über ihm ausgebreitet hat, streicht er ihm ein paar verirrte Strähnen aus dem Gesicht. Unweigerlich stellt sich dabei der Funken wieder ein und Logan zieht fast schon erschrocken die Hand zurück, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen. Heftig beißt er sich auf die Unterlippe und verflucht sich – und auch ein ganz kleines bisschen Kurt – für diese lästige Empfindung. Nachdenklich betrachtet er den Jungen in dem schmalen Streifen Mondlicht und fragt sich dabei, wie lange er dem wirklich standhalten kann, ehe er etwas tun wird, das er wirklich bereuen könnte. Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, erhebt er sich wieder, verlässt das Zimmer und geht in sein eigenes Bett, doch Schlaf findet er in dieser Nacht keinen mehr... Heartbeats and suction cups --------------------------- 1 Als der Morgen schließlich mit heftiger Unerbittlichkeit anbricht und das penetrante Schrillen des Weckers jegliche Hoffnung, doch noch ein Augen zuzubekommen, haltlos ersterben lässt, gibt Logan ein mehr als verstimmtes Knurren von sich. Sekunden später jagen seine scharfen Adamantiumkrallen durch die schutzlosen Eingeweide des kleinen Zeitmessers auf seinem Nachttisch und beenden sein klägliches Dasein damit abrupt. Das letzte, nahezu verzweifelte Läuten verzerrt sich dabei zu einem fast schon menschlich anmutenden Todesschrei. Für gewöhnlich stört es den Jäger ja überhaupt nicht, eine schlaflose Nacht hinter sich zu bringen, doch sein Kopf konnte diesmal einfach nicht wie gewöhnlich abschalten und in diese tröstliche Leere eintauchen, die ihn trotz Schlafmangel entspannen lässt. Die scheinbar endlosen Stunden bis zum Weckruf dachte er praktisch ununterbrochen an Kurt, und das hat ihn dermaßen aufgewühlt, dass er sich nun so fühlt, als hätte er mehrere Tage lang durchgesoffen und sein Heilfaktor hätte sich in dieser Zeit auch noch einen wohlverdienten Urlaub genommen, um den Kanadier für all den rücksichtslosen Missbrauch seiner unsterblichen Gesundheit zu bestrafen. Das kann nicht gut sein, ganz und gar nicht, und daher sollte er sich dringend etwas einfallen lassen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, ehe er wirklich noch etwas Unüberlegtes anstellt, das nicht nur Charles gegen ihn aufbringen würde... Mit knirschend zusammengebissenen Zähnen erhebt er sich schließlich aus seinem völlig zerwühlten Bett und streckt sich, was gefühlt jeden einzelnen Knochen in seinem Leib unschön zum Knacken bringt. Gähnend reibt er sich über das zerknitterte Gesicht – wobei er sich tatsächlich einmal so alt fühlt, wie er es eigentlich ja auch schon ist – und betrachtet einen Moment seine Klamotten, die er gestern Nacht wie so oft einfach achtlos zu Boden hat fallen lassen. Anschließend zuckt er gleichgültig mit den Schultern und verlässt sein Zimmer nur mit Boxershorts bekleidet. Auf dem Flur kann er die morgendlichen Geräusche der anderen Mutanten gedämpft durch deren Zimmertüren hören. Langsam kommt Leben in das große Haus und ein neuer Tag für die X-Men beginnt. Mit einem weiteren Gähnen ignoriert er das Ganze gekonnt und schlurft zu Nightcrawlers Tür hinüber. Schlaksig pocht er an das Holz, bekommt jedoch keine Antwort. Vermutlich schläft der Bengel noch, weil er keinen dieser nervtötenden Wecker hat, der ihn aus seinem wohlverdienten Schlaf reißt – zumindest noch nicht. Doch das wird sich heute definitiv ändern. Ein leicht fieses Grinsen huscht über Wolverines Gesicht. Unweigerlich stellt er sich vor, wie der Elf gleich einer Katze vor Schreck an die Decke springt, wenn der verdammte Wecker das erste Mal zu schrillen beginnt. Das würde er zu gern miterleben! Schnell verzieht sich das Grinsen allerdings wieder, wenn er daran denkt, dass dem wirklich so sein könnte, und unweigerlich breitet sich wieder einmal ungewollt Mitleid in dem Jäger aus. Für Kurt sind solche Dinge einfach nicht normal und das bekümmert Logan auf eine fast schon unbekannte Art und Weise. Der Schwarzhaarige stößt ein schweres Seufzen aus und öffnet dann einfach unaufgefordert die Tür. Schnell stellt er jedoch fest, dass der Elf schon auf ist. Wie ein kleines Kind kniet er allerdings vor seinem Bett und scheint schon wieder zu beten. Leise kann Logan ihn in dieser fremden Sprache reden hören. Und obwohl Logan nach dieser Nacht absolut keinen Nerv mehr dafür hat, bleibt er dennoch mit verschränkten Armen unter der Türzarge stehen und lässt dem Bengel seinen Willen. „Oh Gott, du hast in dieser Nacht so väterlich über mich gewacht. Ich lob und preise dich dafür und dank für alles Gute dir. Bewahre mich auch diesen Tag vor Sünde, Tod und jeder Plag. Und was ich denke, rede und tu, das segne, bester Vater du. Bewahre auch, ich bitte dich, du heiliger Engel Gottes mich. Maria, bitt an Gottes Thron für mich bei Jesus deinem Sohn, der hochgelobt sei allezeit von nun an bis in Ewigkeit. Amen.“ Verträumt blickt der blaue Mutant nach den letzten Worten zur Decke empor, als würde er dort seinen Erlöser tatsächlich zu sehen hoffen. Ein sanftes Lächeln huscht über seine Züge, ehe er leicht erschrocken feststellt, dass er nicht mehr allein ist. „Oh, guten Morgen, mein Freund.“, gibt Nightcrawler etwas atemlos von sich. Wolverine kommentiert das Ganze nur mit fragend erhobener Augenbraue. Zuerst scheint Kurt seinen Gesichtsausdruck nicht deuten zu können, dann geht ihm auf, was wohl falsch war. Einen Augenblick grübelt er nach, sucht scheinbar nach den richtigen Worten, und entscheidet sich dann doch um. „Hallo, Logan.“, meint er schließlich etwas beschämt. Die Züge des anderen glätten sich wieder und er löst seine abwertende Haltung auf. „Hallo, du Elf. Gut geschlafen?“ „Ich denke schon.“ „Prima, denn jetzt beginnt dein erster Tag hier und der wird sicher kein Zuckerschlecken.“ Nun ist es an Kurt unverständlich zu gucken. „Was bedeutet dieses Zuckerlecken?“, fragt er ratlos. „Zuckerschlecken. Das bedeutet, dass etwas nicht einfach wird. Nicht angenehm. Auf dich wartet heute eine Menge anstrengender Arbeit, will ich damit sagen.“, versucht es ihm der Ältere irgendwie begreiflich zu machen. Der Angesprochene versteht zum Glück, was er sagen will und nickt mit einer faszinierenden Mischung aus Ernsthaftigkeit und kindlicher Neugierde, abgerundet von einem kleinen Hauch Furcht, die ihn wohl noch eine ganze Weile begleiten wird, wie der Krieger fürchtet. Doch wenn er seine Aufgabe als Kurts Lehrer auch nur halbwegs gut macht, wird dieses unschöne Gefühl immer weiter in den Hintergrund gedrängt werden und irgendwann – so hofft er zumindest – ganz verschwinden. Gleichermaßen hofft Wolverine, dass es ihm mit diesem seltsamen Funken genauso gehen wird. Oder aber, dass er einen Weg findet, ihm freien Lauf zu lassen, ohne den Bengel unnötig zu verschrecken oder sich weiteren Zorn von Charles aufzuhalsen. „Gut, fangen wir mit etwas Einfachem an. Geh erstmal duschen. Ich werde mich in der Zwischenzeit ebenfalls fertigmachen, und dann hole ich dich zum Frühstück ab.“ „In Ordnung.“ „Schön, dann komme ich in so etwa zwanzig Minuten wieder.“, meint Logan noch und verlässt dann das Zimmer, um selbst unter die Dusche zu steigen – eiskalt, was ihm hoffentlich helfen wird, diese lästige Müdigkeit zu vertreiben und einen klareren Kopf zu bekommen... 2 Wie von dem Kanadier erhofft, hilft die kalte Dusche doch ziemlich gut. Nun fühlt er sich erfrischt, wach und im Geiste um einiges geordneter. Allerdings ändert sich das schon wieder schlagartig, als er erneut die Tür zu Kurts Zimmer öffnet und den blauen Mutanten vor sich stehen sieht. Und was er dort sieht, verschlägt ihm für eine Sekunde glatt die Sprache, und er hat es wohl auch nur seiner hohen Lebenserfahrung zu verdanken, dass er nicht gleich völlig die Beherrschung verliert – auch wenn es zugegebenermaßen sehr schwer ist, den pochenden Gedanken in seinem überforderten Schädel nicht augenblicklich nachzugeben. Nightcrawler scheint sich seiner Situation jedoch gar nicht bewusst zu sein. So steht er völlig ungeniert mitten im Raum und das auch noch im Adamskostüm! In seinem seidig-weichen, kurzen Fell glitzern noch perlend hauchfeine Wassertröpfchen, ebenso in seinen dunklen Haaren. In Verbindung mit der Deckenbeleuchtung funkeln sie wie winzige Diamanten und verleihen dem Jungen auf nahezu mystische Weise das Aussehen eines magischen Wesens aus einer anderen Welt. Dadurch wird Logan einmal mehr bewusst, warum er ihm von Anfang an den Spitznamen Elf gegeben hat, weil er gerade auch ganz genauso wirkt. Zudem lächelt er so voller Unschuld und nahezu kindlicher Freude, dass Wolverine förmlich das Herz in der Brust zerspringen könnte. Der Ältere schluckt einmal überaus hart und fängt sich dann wieder halbwegs. Ein freches Grinsen stiehlt sich auf sein Gesicht. „Also ich hätte ja überhaupt nichts dagegen, wenn du mir jeden Morgen so entgegenkommen würdest. Könnte mich echt daran gewöhnen, Junge. Aber du solltest dir vielleicht doch immer ein Handtuch umbinden, wenn du aus der Dusche kommst. Kann ja schließlich sein, dass nicht ich es bin, der reinkommt. Stell dir nur mal vor, es ist eines der Mädels, und du präsentierst dich ihr so nackt.“, gluckst Wolverine hin- und hergerissen zwischen sichtbarer Schadenfreude, versucht tadelndem Ausdruck und zweifelhafter Erregung. Im ersten Moment betrachtet Kurt ihn völlig verständnislos. Dabei ist sich Logan nicht ganz sicher, ob es womöglich daran liegt, dass er nicht alle Worte verstanden hat, die ihm der Ältere zuteilwerden ließ, oder ob er es einfach nicht anders kennt und daher nicht ganz begreift, was sein Gegenüber von ihm will. Der Moment dauert erstaunlich lange und Wolverine ist schon darauf und dran es anders zu formulieren. Doch dann weiten sich die seelenlosen Augen des jungen Mutanten plötzlich, Erkenntnis huscht über sein jugendliches Gesicht hinweg, und seine pelzigen Wangen tauchen sich in ein dunkles Purpur. „Oh...“, macht er schließlich sichtlich von Peinlichkeit ergriffen und tastet etwas hilflos nach der Bettdecke, um seine Blöße doch noch zu verbergen. „Entschuldigung...“, murmelt Kurt dann noch und schlägt unsicher die Augen nieder. Er schämt sich innerlich doch schon ziemlich für seine ganzen Fehltritte. Aber das hier ist alles so fremd und will gar nicht in seinen überforderten Kopf hinein. Lässig winkt der Jäger ab. „Lass mal stecken. Bei mir brauchst du dich nicht zu entschuldigen oder dich hinter deiner Decke verstecken. Ich bin schließlich auch ein Mann und weiß, wie das aussieht. Zudem standen schon mehr nackte Burschen vor mir, als du dir wahrscheinlich vorstellen kannst.“, grinst Wolverine weiter. Allerdings verkneift er sich auch den letzten Teil seines Gedankens, da er den Bengel nicht gleich noch mehr verunsichern will. ‚Und du glaubst gar nicht, wie viele Burschen schon nackt unter mir lagen!‘ Nein, das wäre nun wirklich im Moment etwas zu viel des Guten – doch später einmal hoffentlich wieder einen Gedanken wert... Missmutig lässt Nightcrawler die Schultern hängen. „Nun mach mal nicht so ein Gesicht, Elf. Das wird schon! Du brauchst nur etwas Zeit, um dich an alles zu gewöhnen, also sei nicht so streng mit dir selbst. Ich bin schließlich hier, um dir alles Wichtige beizubringen und Fehler machen gehört nun mal dazu. Das kriegen wir schon hin. Und jetzt zieh dich erst mal an, damit wir dann frühstücken gehen können. Kriegst du das hin?“, meint Logan und deutet dabei auf den gelbblauen Kampfanzug am Fußende. „Ich – denke schon.“, erwidert der Blauhäutige seufzend und greift nach der Boxershorts. Der Rest funktioniert besser, als erwartet. Als Kurt jedoch beim langen Reißverschluss des Anzugs angelangt ist, verzweifelt er sichtlich, da sich das dumme Ding auf halbem Weg nach oben irgendwie immer wieder verklemmt. „Hey, ganz ruhig...“, weist Logan ihn an, woraufhin der Junge die nervösen Hände resignierend sinken lässt und der Ältere übernimmt. Aufmerksam beobachtet Nightcrawler, wie Wolverine scheinbar völlig mühelos den Reißverschluss wieder in die richtige Bahn lenkt und schließlich langsam bis zum Hals nach oben zieht. Dabei ziert ein väterlich-führsorglicher Ausdruck sein erfahrenes Gesicht. Für eine Sekunde fällt dem Jäger dabei seine ermordete Tochter wieder ein, und wie oft er genau das Gleiche bei ihr gemacht hat, bis sie den Bogen schließlich raushatte. Vehement vertreibt er das schmerzliche Gefühl, das sich dabei in seiner Brust festzusetzen versucht. An dessen Stelle schleicht sich dafür aber wieder dieser unüberwindbare Funken. Fast schon hypnotisiert starrt er daher auf die noch blanke Brust des Jungen vor sich, hält für einen Sekundenbruchteil in seinem Tun inne, ehe er den Reißverschluss doch noch an sein Ziel bringt. ‚Ich würde das verdammte Ding lieber wieder öffnen. Nackt hat er mir weit besser gefallen, als in diesem dämlichen Strampelanzug...‘, geht es ihm unweigerlich durch den Kopf. Als sich ihre Blicke schließlich treffen, räuspert sich Logan etwas verkrampft und tritt einen Schritt zurück. „Sieht doch gut aus.“, meint er locker heraus und hofft, dass es halbwegs ehrlich klingt. Unverhohlen betrachtet er den Elfen dann etwas ausgiebiger und stellt fest, dass es wirklich nur halb so schlimm aussieht, wie er befürchtet hat. Wolverine selbst hasst diese dümmlichen Kampfanzüge schon von Anfang an, auch wenn sie manchmal ganz praktisch sind, sind sie in seinen Augen nun einmal auch schrecklich albern. Kurt sieht damit ebenfalls dämlich aus, was aber hauptsächlich den Farben zugetan werden kann, die sich irgendwie mit seiner Erscheinung beißen. Doch es ist ja nur ein vorläufiger Anzug und für den richtigen wird sich Logan schon etwas einfallen lassen, indem Nightcrawlers Vorzüge besser zur Geltung kommen – immer vorausgesetzt der Bengel hat nicht schon eine eigene Idee dafür. Vielleicht etwas in rot oder schwarz? Mal sehen. Der einzige Vorteil, den der Anzug jetzt hat, ist, dass er schon mal die richtige Größe zu haben scheint und allen anderen mit den Farben Gelb und Blau deutlich sichtbar zeigt, dass er hier der Neue ist. Wie er es soll, sitzt er hauteng und ermöglicht einem so ein Höchstmaß an Bewegungsfreiheit. Unweigerlich wandert der Blick des Älteren hinab und klebt dann regelrecht dort fest. „Wirklich?“, fragt Kurt etwas unsicher und bewegt sich leicht unbehaglich in dem engen, aber dennoch überaus flexiblen Anzug. Dabei dreht er Wolverine auch den Rücken zu, sodass dieser einen perfekten Blick auf den Hintern des Jungen hat. Fast schon hörbar holt der Jäger Luft und versucht seinen Körper dabei nachdrücklich zu überzeugen, dass er nun ganz sicher kein Eigenleben entwickeln darf. Vehement versucht er sich von diesem überaus erregenden Anblick loszureißen. Es gelingt ihm allerdings erst, als ihm ein entscheidender Fehler an dem Anzug auffällt: Es ist nämlich kein Platz für den Schweif des Elfen. „Bleib mal kurz stehen.“, fordert Logan ihn daher auf, als dieser ihm wieder den Rücken zudreht. Kurt verharrt und schreckt dann leicht zusammen, als der Ältere mit spitzen Fingern den Stoff über seinem Steiß, unter dem der zusammengerollte Schweif steckt, etwas anhebt. „Nicht bewegen!“, knurrt der Schwarzhaarige schon fast, und dann vernimmt Nightcrawler dieses leise, aber überaus gefährlich wirkende Geräusch, das immer dann zu hören ist, wenn Wolverine seine Krallen ausfährt. Snikt! Wie erstarrt rührt sich der Jüngere daraufhin nicht mehr. Kurz darauf hört er ganz leise ein Reißen, als sich Logans Kralle vorsichtig in den Stoff frisst, um ein präzises Loch zu erschaffen, das gerade groß genug ist, dass der Schweif des Jungen hindurchpasst. Anschließend fingert er etwas in dem Loch herum, findet schließlich die dreieckige Spitze, woraufhin Nightcrawler leicht zusammenzuckt, und zieht sie vorsichtig durch das Loch. Wie eine aufgebrachte Schlange windet sich der Rest des Schweifs hinterher ins Freie und Kurt entspannt sich wieder sichtlich. „Jetzt ist es perfekt...“, raunt Wolverine ihm schwer ins Ohr, woraufhin ein Schauer den Rücken des Elfen hinabgleitet – allerdings ist es kein unangenehmes Gefühl. Er schluckt hart und ein seltsames Empfinden schleicht über sein Herz hinweg. Er weiß nicht, was es genau zu bedeuten hat, doch etwas tief in ihm würde Logans Stimme gern noch einmal so nah an sich spüren wollen. Es ist, als könnte der Jäger seine Gedanken lesen. Zumindest hat sich etwas am Geruch des Blauhäutigen verändert – nur ganz leicht, selbst für den erfahrenen Jäger kaum wahrnehmbar, aber dennoch deutlich. Etwas, das eine gewisse Bereitschaft signalisieren könnte, auch wenn sich der Bengel dessen ganz sicher nicht bewusst ist, und der Veteran deswegen nichts überstürzen sollte. Dennoch nimmt es ihn für einen Moment völlig ein, sodass er den kurzen Abstand zu Kurt überbrückt und sich ganz leicht von hinten gegen ihn schmiegt. Dabei wird ihm deutlich der Größenunterschied zwischen ihnen bewusst, was Logan ein wenig frustriert. Es ist wirklich lächerlich, als Mann so klein zu sein, wie der Kanadier. Erst recht, wenn diese Tatsache anderen immer wieder einen Anstoß für Sticheleien gibt. Besonders, weil sie wissen, dass sich der Jäger dann immer so herrlich darüber aufregt. Fast wie auf ein Stichwort – oder als hätte Kurt tatsächlich den gleichen Gedanken wie er – sinkt Nightcrawler etwas weiter in den Knien ein, sodass Logan schließlich bequem seinen Kopf auf der Schulter seines Vordermannes ablegen kann. Warmer Atem streift dabei wieder das Ohr des Jüngeren und der Duft, den Wolverine an ihm wahrgenommen hat, scheint kaum merklich stärker zu werden, was ihn regelrecht um den Verstand zu bringen droht. Nahezu fordernd legen sich daher seine Hände auf die schmalen Hüften des Jungen. Bevor sich seine wachsende Erregung allerdings verräterisch gegen die Kehrseite des Elfen zu drücken beginnt, durchbringt ein Geräusch erstaunlich nachdrücklich die Szene: Kurts Magenknurren. In diesem Moment wird sich Wolverine dem Ganzen dann doch wieder bewusst, weshalb er sich schließlich von ihm entfernt, sich angestrengt räuspert, innerlich einen Vollidioten schimpft und seinen ruhelosen Körper ein ums andere Mal verflucht. „Wir – wir sollten jetzt zum Frühstück gehen, ehe du mir noch verhungerst.“, scherzt Logan noch etwas verkrampft und wendet sich der Tür zu. „Okay...“, meint Kurt nur leise und folgt ihm schweigend. Für eine Sekunde liegt dabei ein Ausdruck in seinen leeren Augen, der Bedauern gleichkommen könnte... 3 Den Weg hinab zur geräumigen Küche legen die beiden schweigend zurück. Logan kämpft innerlich noch mit dem Gedanken an das, was eben hätte passieren können, hätte Kurts Hunger ihn nicht zurückgehalten. Der Jäger schien seinem Ziel – seinem tiefsitzenden Wunsch – in diesem Moment auf so erschreckend einfache Weise nähergekommen zu sein, dass es ihn selbst– jetzt, wo er sich dessen wirklich bewusstwird – regelrecht erschüttert. Es kam ihm so vor, als wollte sich Kurt ihm richtiggehend unterwerfen, was ihn sehr nachdenklich macht. Hat der Junge womöglich gewusst, was auf ihn zukommen könnte und war damit sogar einverstanden? Oder war es lediglich eine Schreckreaktion, die ihn dazu veranlasst hat, sich zu fügen, damit es möglichst schmerzlos für ihn endet? Nein, so kam es Logan nicht vor. Hätte Kurt Angst gehabt, hätte er es gerochen und augenblicklich damit aufgehört – so viel Selbstbeherrschung hat er dann doch noch. Also war Nightcrawler wirklich damit einverstanden? Wolverine würde diese Frage zu gern mit Ja beantworten, doch er traut seinem Gefühl in diesem Fall nicht so ganz. Dafür ist das alles einfach noch viel zu neu für den Elfen, sie sich auch noch zu fremd, um sich hundertprozentig festlegen zu können. Auch wenn der Kanadier absolut nichts gegen einen Quickie oder One-Night-Stand einzuwenden hätte. Doch das Gefühl, das er scheinbar immer in der Nähe des Jüngeren verspürt, verbietet ihm diesen schnellen und unpersönlichen Gedanken geradezu. Das Schicksal scheint etwas anderes mit ihnen beiden vorzuhaben, womöglich etwas Längerfristigeres, und das möchte Logan nur zu gern glauben. Auch wenn er nicht an so etwas Lästiges wie Liebe denken will. Das schmerzt nur und führt letztendlich doch zu nichts. Gegen eine rein körperliche Beziehung kann und will er allerdings nichts sagen, würde sie sogar sehr begrüßen. Fragt sich nur, was der Bengel dazu sagen würde? Schweigend stößt er ein Seufzen aus und versucht das alles ein ums andere Mal zu verdrängen. Ist ja nicht so, als hätte er so ein nagendes Verlangen zum ersten Mal, doch irgendwie lässt es sich bei dem Blauhäutigen schwerer unterdrücken als sonst, und das bereitet ihm Sorge. Immerhin will er den Bengel nicht verschrecken und ihm schon gar nicht wehtun – auf welche Weise auch immer. Er musste schon genug leiden, da braucht er das nun wirklich nicht auch noch. ‚Du bist sein verfluchter Lehrer, verdammt noch mal! Also benimm dich endlich mal dementsprechend!‘, harscht er sich innerlich selbst an und für den Moment scheint es auch zu funktionieren. Fragt sich nur, wie lange es anhält... 4 Schließlich erreichen sie die Küche, in der sich schon alle anderen Bewohner der Mansion versammelt haben. An drei Tischen sitzen sie in kleinen Gruppen beisammen und unterhalten sich leise, während der herbe Duft von heißem Kaffee wie eine wohlige Decke in der Luft hängt. Auf einer Theke neben dem Herd steht allerhand verschiedenes Essen bereit, sodass sich jeder nach seinem Geschmack bedienen kann. An einem vierten Tisch sitzt Charles ganz allein und wartet scheinbar schon auf die beiden. Alle anderen sind mit sich selbst beschäftigt und reagieren gar nicht sonderlich darauf, als Logan Kurt in die Küche führt. Allerdings weiß der Jäger nur zu gut, dass die versammelten Mutanten vor Neugierde regelrecht zu platzen drohen, sie Xavier aber ausdrücklich angewiesen hat, sich zurückzuhalten, um den scheuen Neuankömmling nicht zu verschrecken. Im Laufe des Tages, wenn Kurt zwischen verschiedenen Aufgaben etwas Luft zum Atmen hat, wird er sicher noch genug Gelegenheit haben, jeden Einzelnen von ihnen kennenzulernen. Doch bis es soweit ist, müssen sie sich wohl oder über zusammenreißen. Diese Tatsache wird Wolverine auch dadurch bewusst, dass Scott nicht wie üblich am Tisch mit dem Professor sitzt, sondern dazu verdonnert wurde, den Platz bei seinen Teamkollegen einzunehmen. Soll Logan nur recht sein, er kann diesen selbstgefälligen Möchtegern von einem Anführer sowieso nicht leiden und begreift auch beim besten Willen nicht, warum ausgerechnet er der Liebling von Charles ist, und auch noch Leader der X-Men sein darf. Nicht selten geraten Wolverine und Cyclops wegen Scotts Führungstechniken heftig in Streit. Logan ist nun einmal nicht der Typ, der sich einem anderen unterordnet, und schon gar nicht einem mit so einem Ego. Aber das ist eine andere Geschichte und der Veteran nur froh, den Tisch jetzt nicht mit ihm teilen zu müssen. Zielstrebig nähert er sich daher Xavier und brummt ein Guten Morgen in sich hinein. Herzlich lächelnd erwidert der Mann im Rollstuhl das Ganze, mustert ihn einen Moment über seine dampfende Tasse Kaffee hinweg, denkt sich dabei wahrscheinlich seinen Teil über Logans sichtlich schlaflose Nacht und blickt dann zu Tür hinüber. Unsicher verweilt Nightcrawler unter der Zarge und blickt sich mit großen, scheuen Augen in dem großen Raum um, in dem so viele fremde Gesichter vorherrschen. Er wirkt schrecklich verloren und hilflos, und der Schwarzhaarige ist schon drauf und dran rüberzugehen und ihn – wenn nötig – an die Hand zu nehmen. Charles bedenkt ihn aber mit der stummen Bitte, dem Jungen noch einen Moment Zeit zu gönnen, weiß er doch nur zu gut um die Ungeduld des eigensinnigen Kriegers. Abwartend verschränkt Logan die Arme vor der Brust und verharrt neben dem Tisch. Auffordernd mustern seine dunklen Augen den Elfen. Xavier hat schon recht, immerhin muss Nightcrawler das letztendlich alles allein hinbekommen, um seine Scheu zu verlieren. Abgesehen von Beast müssen Kurt alle Anwesenden wie ganz normale Menschen vorkommen, und dass verunsichert ihn sicherlich am meisten. Da kann man ihm noch so oft sagen, dass hier alle durchweg Mutanten sind. Fast schon instinktiv suchen seine seelenlosen Augen nun Logans Blick und etwas darin muss ihn dann doch überzeugen, sich in Bewegung zu setzen. Ob es sich dabei um schlichte Strenge oder etwas anders handelt, ist allerdings nicht ersichtlich. Es reicht aber aus, dass er dann auf alle Viere hinabsinkt und praktisch ungesehen wie eine Katze hastig und lautlos an den anderen vorbeihuscht. Dabei bemerkt er die etwas irritierten Blicke des Teams jedoch nicht. Sie äußern sich dazu aber auch nicht und gehen schnell wieder ihren eigenen Gedanken nach, um ihn nicht unnötig zu verunsichern. Am Tisch abgekommen, sieht Kurt etwas nervös über die Schulter zu den anderen hinüber. Als sich Logan schließlich räuspert, wendet sich Nightcrawler ihm aber zu. „Steh auf und setz dich auf den Stuhl. Du musst nicht den ganzen Tag wie ein getretener Hund am Boden entlangkriechen, völlig egal, ob man dich Nightcrawler schimpft oder nicht.“, meint der Ältere und deutet nachdrücklich auf besagten Stuhl. Charles beobachtet das Ganze schweigend, wobei er sich allerdings noch nicht ganz sicher ist, ob das für den blauen Mutanten alles so einfach ist, wie Wolverine es sich vorstellt. Bei seinem ungewöhnlichen Körperbau ist es für den Elfen vielleicht auch einfacher, sich auf allen Vieren fortzubewegen, und hat daher nicht zwingend etwas mit seiner möglichen Furcht und seiner erniedrigenden Vergangenheit hinter Gitterstäben zu tun. Doch das wird sich im Laufe der Zeit sicher zeigen. Langsam erhebt sich Kurt nun aber unter dem fast schon forschen Blick des Kriegers und setzt sich dann auf den Stuhl. Oder besser gesagt, er kauert sich darauf, wobei er die langen Beine anzieht und die Füße auf der Sitzfläche platziert. Sein Schweif schlingt sich elegant um seine Knöchel, und so wirkt er wie eine übergroße Katze, die an einem Tisch sitzt. Logan gibt ein Seufzen von sich. Leicht angefressen tauscht er einen Blick mit Xavier aus, doch der kahlköpfige Mann betrachtet das Schauspiel vor sich nur mit sichtlicher Gelassenheit, ehrlicher Neugierde und einem überaus sanften und verständnisvollen Lächeln. Ein kaum hörbares Brummen ertönt von dem Schwarzhaarigen und er sieht wieder zu dem Bengel vor sich. Ohne es wirklich zu wollen, kommen in Logan wieder so etwas wie väterliche Gefühle hoch, die in so starkem Kontrast zu dem stehen, was er glaubt, wirklich Nightcrawler gegenüber zu empfinden, dass es ihn schon fast selbst abstößt. Allerdings kann er nicht abstreiten, dass der Elf nun einmal etwas von einem großen Kind hat, so unbeholfen wie er sich noch gibt, und dass erinnert den Jäger unweigerlich an seine eigenen Kinder, die so grausam aus seinem Leben gerissen wurden. Somit glätten sich seine Züge von ihm selbst unbemerkt und sein Tonfall wird deutlich sanfter. Eine Tatsache, die der Professor bisher nur selten an ihm erlebt hat, sodass er immer wieder von der nahezu zwiegespaltenen Persönlichkeit in ihm überrascht ist. „Gut. Aber du musst die Füße auf den Boden stellen. So sitzt man nicht in Anwesenheit anderer auf einem Stuhl, Junge.“, meint Logan dann überraschend sanft und legt geduldig die kräftigen Hände auf die schmalen Schultern des Blauhäutigen. Mit großen Augen wendet Kurt ihm den Blick zu, scheint etwas in seinem Gesicht zu suchen, und sieht dann wieder vor sich auf die Tischplatte. Einen Moment später rollt sich sein Schweif wie von Geisterhand zurück, schlingt sich dann um eines der Stuhlbeine, als wolle er verhindern, dass sein Besitzer möglicherweise hinunterfallen könnte, und er setzt dann langsam die bloßen Füße auf den Boden. „Geht doch. Okay, bleib sitzen, ich hole das Frühstück.“, kommt es anschließend vom Ältesten, der sich kurz darauf dem Tresen zuwendet. Ungerührt verharrt Kurt wie befohlen, hebt aber den Blick, um den Professor anzusehen. „Guten Morgen.“, kommt es mit einem verhaltenen Lächeln von dem Jungen. Charles erwidert das Lächeln sanftmütig. „Dir auch einen guten Morgen, Kurt.“ Xavier hat zwar nicht ganz verstanden, was der Jüngere gesagt hat, doch er verkneift es sich, dahingehend in seinen Gedanken nachzuforschen. Aber der Klang der Worte lässt für ihn keinen anderen Schluss zu, als dass es sich um diesen Gruß gehandelt haben muss. Kurz darauf wandert der Blick des Elfen ein weiteres Mal zu den anderen Mutanten im Raum. Seine seelenlosen Augen scheinen sie genau zu studieren. Plötzlich wendet ihm eine junge Frau mit milchkaffeebrauner Haut und langen, weißen Haaren den Blick zu. Ihre strahlend blauen Augen drücken eine so tiefgreifende Güte aus, wie es Kurt noch nie in den Seelen eines anderen gesehen hat, und etwas, das wie liebevolle Neugierde wirkt. Ihr Lächeln ist nahezu zauberhaft, sodass ein merklicher Schauer seinen Rücken hinabgleitet. Ihr Gesicht ist wach und rege, lebhaft und schön. Es ist keine klassische Schönheit, dazu ist die Kinnlinie nicht klar genug, und der im Profil sichtbare Wangenknochen ist ein wenig zu sanft. Ihre Schönheit liegt in der königlichen Haltung ihres Kopfes, verbunden mit dem unabweisbaren Eindruck, dass sie ebenso gutherzig wie fähig ist. Wenn er ihre vollen Lippen sieht, bleibt ihm fast das Herz stehen, und unter dem katzenhaften Leuchten ihrer blauen Augen werden seine Knie weich. Sein Blutdruck scheint zu hoch zu sein, seine Wangen fühlen sich zu heiß an. Er weiß nicht genau, was diese ganzen Empfindungen bedeuten, doch er weiß, dass sie ihn augenblicklich zu ihrem Sklaven machen, und seltsamerweise hat er nichts dagegen. Sie kichert kaum sichtbar hinter vorgehaltener Hand und winkt ihm dann damenhaft zu. Kurts Wangen färben sich augenblicklich purpurn und er schluckt hart. Das Herz schlägt ihm bis zum Hals, hat er doch noch nie eine so schöne Frau vor Augen gehabt, die bei seinem Anblick nicht schreiend die Flucht ergriffen hat. Mit einem leichten Zittern hebt er ebenfalls grüßend die Hand und versucht sich fast schon vergebens an einem Lächeln. Er merkt gar nicht, wie Logan vor ihm einen vollen Teller und ein gefülltes Glas abstellt. Fast schon verwundert folgt der Krieger dann seinem Blick und erkennt schnell den Grund für seine Ablenkung. Ein vielsagendes Grinsen huscht über seine harten Züge hinweg, dann setzt er sich auf den Stuhl neben ihn und beugt sich dicht an sein Ohr heran. „Mach langsam, Romeo, sonst bleibt dir noch die Luft weg!“, neckt er ihn ein bisschen, woraufhin Kurt mehr als nur ertappt zusammenzuckt und ihn dann erschrocken ansieht. Logan grinst nur wieder. „Süß, die Kleine, nicht wahr?“, fragt er Nightcrawler dann gerade heraus. Dieser schluckt nur abermals hart. „Das ist Ororo. Eine Wahnsinnsfrau, sag ich dir. Allerdings solltest du bei ihr vorsichtig sein. Sie ist eine echte Prinzessin aus seinem fernen Land in Afrika, und so solltest du sie auch stets behandeln. Sie hat Temperament und Feuer, und wenn du es dir mit ihr verscherzt, wird dir auch dein Gott nicht mehr helfen können, denn sie ist fast selbst schon eine Göttin. In ihrer Heimat hat man sie zumindest regerecht so angebetet. Sie hat nämlich die Macht über das Wetter zu herrschen, und wenn du ihr gegen den Strich gehst, jagt sie dir einen Blitz in den Hintern. Glaub mir, ich weiß genau, wovon ich rede, Junge. Niemand, außer ihr, hat die Kerle hier so dermaßen unter Kontrolle, sag ich dir. Sie ist wie eine strenge Mutter, aber sie kann auch ganz anders, wenn man sie richtig anpackt.“, vielsagend zwinkert Wolverine ihm zu und grinst fast schon dreckig in sich hinein. Leicht verwundert legt Kurt den Kopf schief und sieht dann zu Charles hinüber, als suche er Bestätigung für Logans Worte bei ihm. Der Professor bedenkt ihn aber nur weiterhin mit seinem sanften Lächeln und forschender Neugierde in den Augen. Wolverine lässt er allerdings einen schon ziemlich mahnenden Blick zuteilwerden, den der Kanadier allerdings nicht mitbekommt. Der Schwarzhaarige spürt dafür aber, wie der Mann im Rollstuhl versucht, in seine Gedanken einzudringen, um ihn womöglich zu tadeln, doch der Jäger lässt ihn nicht gewähren, macht sich aber gedanklich selbst eine Notiz, sich in der Gegenwart der anderen mit seinen Worten vielleicht doch etwas zurückzuhalten – aber nur vielleicht. „In Ordnung...“, meint der Elf dann leicht verhalten und schielt erneut zu Storms Tisch hinüber. Allerdings ist sie mittlerweile wieder in das Gespräch mit ihrer Sitznachbarin vertieft und schenkt ihm im Moment keine Beachtung mehr. Fast schon enttäuscht besieht sich Kurt daher den Teller vor seiner Nase. Darauf befindet sich ein nahezu unverschämt gewaltiger Berg Rührei. Noch ein Löffel mehr und die Hälfte des Ganze würde wohl haltlos zu Boden fallen. Zudem gibt es ein Glas Orangensaft. Nightcrawler fällt auf, dass der Professor nur eine Tasse Kaffee trinkt, Wolverines Teller sieht hingegen genauso aus wie sein eigener. Der Jäger schiebt sich nun nachdenklich das Essen in den Mund, während er verbissen eine Zeitung studiert, die jetzt zwischen ihnen ausgebreitet ist. Neugierig wirft Nightcrawler ebenfalls einen Blick auf die buntbedruckten Seiten. Er betrachtet aber hauptsächlich die Bilder und die großen Überschriften. Er kommt schlichtweg auch gar nicht dazu, einen ganzen Artikel zu lesen, da blättert der Jäger schon weiter. Doch das stört den Jüngeren überhaupt nicht, ist es doch schon Jahre her, dass er überhaupt eine Zeitung vor sich hatte. Stattdessen greift er auf den überfüllten Teller und stopft sich nebenbei das Rührei in den Mund. Mit erhobener Augenbraue blickt Logan ihn daraufhin an. „Nimm die Gabel zum Essen, Junge.“, fordert er den Blauhäutigen auf und wedelt dabei mit der seinen, als fürchte er, dass Kurt nicht verstehen könnte, was er meint. Erst jetzt entdeckt Nightcrawler dasselbe Gerät neben seinem Teller. Etwas umständlich ergreift der Blauhäutige die Gabel schließlich. Es wirkt alles andere als elegant, und er braucht auch eine Weile, ehe er halbwegs sicher damit umgehen kann. Ist aber vermutlich auch kein Wunder, wo er doch nur zwei Finger und den Daumen zur Verfügung hat, zudem seit seiner frühen Kindheit dergleichen nicht mehr in Händen hatte. Nicht zum ersten Mal wird ihm selbst – und auch Logan und Charles – bewusst, dass er im Zirkus schlichtweg nur wie ein dummes Tier behandelt wurde und ihm somit die einfachsten Dinge fremd sind. Nahezu mitleidig betrachten seine beiden Tischgenossen seine fast schon hilflose Bemühung mit der Gabel umzugehen. Stur blickt Kurt nun auf seinen Teller, um halbwegs die Konzentration zu behalten, obwohl er schon gern weiterhin mit in die Zeitung schauen würde. Nach ein paar Momenten legt sich Logans Hand schwer auf die Schulter des blauen Mutanten, sodass dieser leicht zusammenschreckt und beinahe die Gabel fallenlässt. „Schau nicht so verbissen. Das machst du schon ganz prima! Und es wird besser, glaub mir. Man gewöhnt sich an so ziemlich alles.“, zuversichtlich lächelt ihm der Jäger zu, was Kurt auch ein kleines Schmunzeln entlockt. „Logan hat recht. Du hast hier alle Zeit der Welt, um dich an dein neues Leben in Freiheit zu gewöhnen, Kurt. Also versuch dich zu entspannen und erzwinge nichts, nur weil es beim ersten Mal nicht so richtig funktionieren will.“, meint nun auch Xavier. „In Ordnung. – Es ist nur alles so komisch. Doch ich schaffe das schon irgendwie, ganz sicher!“ Entschlossenheit funkelt in seinen seelenlosen Augen auf und erhellt praktisch sein ganzes Gesicht. Bis zum Ende des Essens herrscht dann größtenteils Schweigen zwischen ihnen. Nach und nach erheben sich die anderen Mutanten um sie herum und ziehen sich zu ihren täglichen Aufgaben zurück. Nightcrawler beachtet sie allerdings nicht mehr wirklich, da er weiterhin mit seiner Gabel beschäftigt ist oder doch das ein oder anderen Mal in die Zeitung linst, wenn Wolverine ihm einen interessanten Artikel oder ein Bild zeigt, oder sich schlichtweg über irgendetwas darin aufzuregen beginnt. Schließlich erheben sich die beiden dann auch, um das Geschirr zur Spüle zu bringen. Der Professor verabschiedet sich von ihnen und fährt zurück in sein Büro. Als Logan und Kurt dann gleichfalls gehen wollen, steht Storm auf einmal vor ihnen. Den beiden war gar nicht aufgefallen, dass sie überhaupt noch hier ist, doch es scheint, als hätte sie absichtlich darauf gewartet, dass die anderen alle verschwinden. „Hallo! Ich bin Ororo. Es freut mich sehr, dass du hier bist und ich hoffe, dass du dich bei uns bald sehr wohlfühlen wirst.“, lächelt sie sanft und reicht Nightcrawler zum Gruß die Hand. Kurt betrachtet die junge Frau vor sich allerdings nur mit großen Augen und offenem Mund. Es scheint, als wäre er bei ihrem Anblick zu Stein erstarrt. Leicht verwundert sieht sie ihn an. Dann knufft Logan den Elfen in die Seite und Kurt fängt sich wieder. Vorsichtig ergreift er ihre Hand, lächelt sie erstaunlich aufreizend an, verbeugt sich dann elegant leicht mit einer Hand hinter dem Rücken und haucht ihr einen warmen Kuss auf den Handrücken, bei dem sie sich sofort wie die Prinzessin vorkommt, die sie ja eigentlich auch ist. Röte legt sich auf ihre Wangen und sie will ihn schon bitten, damit aufzuhören, als auch schon seine Stimme ertönt. Seine Tonlage verrät kein bisschen von seiner tiefsitzenden Angst vor all den neuen Gegebenheiten um sich herum, sondern sie symbolisiert den ganzen Stolz eines Mannes des 18. Jahrhunderts aus gutem Hause, der genau weiß, wie man mit einer Dame umzugehen hat. „Gab es etwa einen Ausverkauf im Süßwarenladen? Denn ich glaube, ich habe gerade eine köstliche Praline ergattert. Küss die Hand, schönes Fräulein!“ Noch bevor seine Stimme richtig zu ihr vordringt, fragt sie sich unweigerlich, wie sich wohl seine Haare anfühlen müssen. Dieses tiefe Schwarzblau, fast wie ein mitternächtlicher Himmel. Wassertropfen müssen darin unzweifelhaft wie Sterne funkeln. Röte steigt ihr immer mehr in die Wangen, und als sie seine netten, fast schon gehauchten Worte hört, wird ihr beinahe schwindlig. Wolverine traut seinen Augen und Ohren ebenfalls kaum. Bis eben war der Bengel noch völlig unbeholfen, ängstlich und hat vor Schüchternheit ihr gegenüber kein Wort herausbekommen, und jetzt das? Es wirkt, als hätte jemand einen Schalter in ihm betätigt, der ihn augenblicklich in einen Adelsmann verwandelt hat. Er weiß vielleicht nicht, dass man sich nach dem Duschen ein Handtuch umhängen sollte, oder dass ein Schrank kein geeigneter Schlafplatz ist, aber Kurt scheint definitiv zu wissen, wie man mit einer Prinzessin umzugehen hat, oder einer Frau zumindest das Gefühl gibt, sie wäre eine. „Oh, du liebe Güte! Du bist ja ein richtiger Charmeur!“, kichert sie angetan und mit glühenden Wangen, was sie wie einen schüchternen Teenager aussehen lässt, der gerade zum ersten Mal unverhofft von seinem Scharm angesprochen wurde. Wolverine kann sich nicht erinnern, sie jemals so gesehen zu haben. Allerdings glaubt er auch nicht, dass sie hier jemals so angesprochen wurde – wenn überhaupt jemals irgendwo zuvor. „Aber gewiss doch. Wie könnte ich einem so schönen Fräulein auch anders gegenübertreten?“ „Du bist wirklich sehr lieb. – Aber versteh mich nicht falsch. Diese beiden Worte. Das war kein Englisch. Verrätst du mir, was sie bedeuten?“, fragt die Windgöttin etwas peinlich berührt, während Kurt noch immer sanft ihre Hand hält. Leicht verwundert betrachtet sie der Elf und scheint kurz darüber nachzudenken. „Verzeih mir das. Es war Deutsch, meine Muttersprache. Allerdings weiß ich nicht genau, wie ich es in Englisch sagen soll, da es meiner Ansicht nach dann nicht mehr so melodisch klingt. Doch es bedeutet schlicht, dass ich finde, dass du eine wirklich hübsche, junge Frau bist.“, erklärt sich der Blauhäutige etwas umständlich. „Das hast du aber schön gesagt. Doch ich finde, du hast recht. In Deutsch hört es sich irgendwie besser an!“, lächelt sie ehrlich. Dann beugt sie sich vor und haucht ihm einen zarten Kuss auf die pelzige Wange, was ihn augenblich wieder erstarren und purpurn anlaufen lässt. Es scheint, als wäre dieser mysteriöse Schalter in ihm ein weiteres Mal betätigt worden und der wohlgesittete Adelsmann wieder durch den unbeholfenen Straßenjungen ersetzt worden. „Willkommen, Kurt!“, meint sie zuckersüß lächelnd und entfernt sich dann ohne ein weiteres Wort aus der Küche. Unwillkürlich gleiten Nightcrawlers Finger über seine Wange hinweg, wo sie ihn vor einer Sekunde noch so wundervoll berührt hat. Dann legt sich wieder Wolverines Hand auf seine Schulter. Warm spürt er seinen Atem am Ohr kitzeln – und er bildet sich sogar ein das Grinsen das Älteren dort zu spüren. „Vergiss nicht schon wieder Luft zu holen, Junge!“, gluckst der Krieger sichtlich amüsiert. „Ich weiß, sie ist der reine Wahnsinn, aber du musst dich jetzt wieder konzentrieren. Hank erwartet uns und wenn er mit seinen Untersuchungen fertig ist, wird dir jegliche Fantasie vergangen sein...“ 5 Mit einem vorangehenden Klopfen betritt Wolverine die Krankenstation der Mansion, wo Beast bereits auf den Neuzugang wartet. Etwas scheu sieht Nightcrawler in den großen Raum hinein. Der Anblick ist schier unglaublich für ihn. Allein die Größe des Zimmers erschlägt den jungen Mutanten regelrecht. Die Krankenstation ist erheblich geräumiger als die Küche, und diese war ja schon nicht gerade klein in Kurts Augen. Allerhand nahezu undefinierbare Gerätschaften dominieren sein Sichtfeld und von vielen will er sich gar nicht so recht vorstellen, wofür sie genau sein sollen – er befürchtet aber, dass er es heute noch rausfinden wird. Die einzigen Dinge, die er mittlerweile zweifelsfrei identifizieren kann, sind gut ein Dutzend Tische in allen nur erdenklichen Größen und Ausführungen – mindestens die Hälfte davon hilflos überladen mit irgendwelchen mechanischen und elektronischen Gerätschaften – und nicht minder vielen Betten, die in zwei ordentlichen Reihen im hinteren Teil des Zimmers einander gegenüberstehen. Sie sind alle frisch bezogen und wirken einladend, auch wenn der Elf bezweifelt, dass man sich hier freiwillig zum Schlafen niederlegt. Zudem entdeckt er noch drei Türen, die vom Behandlungsraum abgehen. Eine ist mit Büro beschriftet, eine andere mit dem für ihn unverständlichen Buchstaben OP und die Letzte heißt Isolation und beunruhigt Nightcrawler auf seltsame Weise, obwohl er die Bedeutung des Wortes nicht ganz einordnen kann, doch irgendetwas daran klingt unschön... An einem der überladenen Tische im vorderen Bereich des Zimmers steht der breitschultrige, blaue Mutant, den Logan Hank nennt, und schreibt etwas auf, während der Krieger zu ihm geht. Zwar kommt Kurt dieser ganze Raum, trotz seiner beachtlichen Größe, schrecklich erdrückend vor, dennoch keimt in ihm nicht dieselbe Furcht auf, wie er sie beim Anblick der Küche gespürt hat. Vermutlich liegt es an der Tatsache, dass sich hier nur eine ihm unbekannte Person aufhält und keine ganze Horde. Schließlich scheint Beast seine Notizen beendet zu haben und wendet den Blick zur Tür. Eine geradezu lächerlich kleine Brille sitzt dabei auf seiner animalischen Nase. Würde sich das Licht der Deckenlampen nicht in dem fragilen Metallgestell brechen, würde man sie vermutlich gar nicht bemerken, so lange man nicht direkt vor ihm steht. Mit einer überraschend behutsamen Geste hebt Hank nun eine seiner gewaltigen, prankengleichen Hände und schiebt das Gestell mit Daumen und Zeigefinger etwas zurecht. Seine Finger sind allerdings so groß, dass Nightcrawler praktisch bildlich vor Augen sehen kann, wie sich das dünne Metall darunter bis zur Unkenntlichkeit verbiegt und die Gläser regelrecht unter der Krafteinwirkung explodieren. Doch das passiert nicht. Stattdessen legt sich ein sanftes Lächeln auf das Gesicht des blaufelligen Mutanten, das ihm ein überraschend freundliches Aussehen verleiht. Es wirkt, als könnte er, trotz seiner überaus beeindruckenden und auch ziemlich abschreckenden Erscheinung, keiner noch so kleinen Fliege etwas zu Leide tun. Kurt würde das nur zu gern glauben. Doch sein bisheriges Leben hat ihn gelehrt, dass jemand noch so harmlos und schwach wirken kann – insbesondere, wenn dieser jemand lächelt –, im Inneren aber dennoch ein wahrer Teufel sein kann und es nur geschickt versteckt. Traurigerweise trifft das sogar auf Kinder zu. Allerdings hatte Charles es ja schon so treffend bei ihrer ersten Unterhaltung ausgedrückt, indem er sagte, Kurt solle ihm doch bitte vertrauen, er hätte Logan schließlich auch vertraut, obwohl dieser vor seinen Augen ein regelrechtes Massaker angerichtet hatte. Da ist in jedem Fall etwas dran. Wenn der Elf so darüber nachdenkt, weiß er nicht einmal so recht, warum er Wolverine überhaupt so wortlos vertraut hat, erst recht nachdem, was er getan hat. Schließlich hätte der Krieger Kurt ebenfalls töten können, ohne sich auch nur anstrengen zu müssen. Doch da war etwas, das sich der junge Mutant nicht ganz erklären konnte. Etwas in den dunklen und überaus erfahren wirkenden Augen des Kanadiers – Augen, die fast so alt wie die Zeit selbst wirken und daher so gar nicht zum jungen Aussehen des Schwarzhaarigen zu passen scheinen. Diese Augen zeugen von endlosem Schmerz, tragischem Verlust, blanker Wut und sogar einem winzigen Fünkchen Furcht, und zwischendrin erscheinen sie immer wieder so sanftmütig wie die gütigen Augen eines stolzen Vaters. Wolverines gesamte Erscheinung und sein Auftreten stehen im scharfen Kontrast zueinander, sodass es richtiggehend unwirklich scheint, dass er überhaupt existiert, und dennoch tut er es auf so beeindruckende Weise, dass es Nightcrawlers Denken immerzu durcheinander zu wirbeln vermag. Nun wirkt der zu kurzgeratene Kanadier aber wieder einmal ungeduldig und mustert den Elfen schon beinahe streng, weil dieser immer noch unschlüssig an der Tür verharrt. Als er jedoch zu einem Tadel ansetzen will, hält Beast ihn davon ab, indem er ihm einfach nur einen Seitenblick zuwirft, ohne dabei sein sanftes Lächeln einzubüßen. Kurt kann sich gar nicht vorstellen, dass sich der temperamentvolle Wolverine davon auch nur ansatzweise beeindrucken lässt. Umso größer ist die Überraschung des jungen Mutanten daher, als Logan einfach nur resignierend die Arme vor der kräftigen Brust verschränkt und den Mund wieder schließt, ohne ein Wort von sich zu geben. Einen Moment später setzt Wolverine allerdings abermals dazu an etwas zu sagen und zwar, als er nun betrachtet, wie Kurt auf alle Viere sinkt, um in seiner so typisch geduckten Haltung den Raum zu betreten. Aus dem Kanadier kommt jedoch wieder kein Ton heraus, auch wenn er leicht genervt die Augen verdreht, hatte er dem Elfen doch schließlich gesagt, dass er hier nicht ständig wie ein geprügelter Hund am Boden entlangkriechen muss. Der blaufellige Arzt neben ihm verzieht allerdings keine Miene, als er die unterwürfig-scheue Haltung des jungen Mutanten sieht. Stattdessen hat er größtes Verständnis für sein Verhalten. Von Charles hat er schon direkt nach Logans Rückkehr etliche Informationen über Nightcrawler erhalten, zudem den Werbespot gesehen, der den Professor erst auf den Bengel aufmerksam gemacht hat. Von daher hat er schon ein ziemlich genaues Bild davon, was Kurt alles widerfahren sein muss und wie sein Ankommen hier abgelaufen ist. Außerdem hat er am eigenen Leib erfahren müssen, wie grausam die Welt sein kann, wenn man eben nicht dem typischen Bild eines Menschen entspricht, stattdessen aussieht wie die lebendig gewordene Version des verzauberten Prinzen aus dem Märchen Die Schöne und das Biest, was mit ein Grund für seinen Mutantennamen war. Doch seine überaus kräftige Erscheinung, gepaart mit seinem doch recht abschreckenden Äußeren hält ihm die Menschen im Allgemeinen eher vom Hals, als alles andere. Kurt sieht zwar tatsächlich aus wie eine blaue Version des Teufels, doch sein ängstliches und zierliches Auftreten machen ihn eher zu einem willkommenen Opfer der menschlichen Abneigung, statt wohltuenden Abstand für ihn zu erlangen, und das bekommt allesgrößtes Mitleid seitens Hank. So wartet er geduldig darauf, dass Nightcrawler zu ihm kommt, ohne der ungeduldigen Haltung des temperamentvollen Kanadiers auch nur Beachtung zu schenken. Scheu betrachtet Kurt die vielen Gerätschaften um sich herum. „Keine Sorge, Junge. Du musst dich von nichts hier im Raum beunruhigen lassen. Es sieht viel schlimmer aus, als es eigentlich ist. Nichts von alledem wird dir schaden oder sich auch nur ohne mein Zutun von der Stelle bewegen. Daher sei unbesorgt.“, lässt Beast ihm zuteilwerden und lächelt wieder sanft. Der Elf wendet ihm seine seelenlosen, schrecklich traurigen Augen zu, nickt kaum merklich und überwindet dann den restlichen Abstand zu ihm etwas sicherer, wenn auch trotzdem auf allen Vieren. Dabei wird er eindringlich von dem selbsternannten Arzt der X-Men gemustert. Gedanklich macht er sich schon etliche Notizen zu dem blauhäutigen Jungen. Sein Körperbau ist äußerst interessant und zu sehen, wie er sich bewegt, verrät Hank schon sehr viel über seine Anatomie. Als Kurt schließlich vor ihm zum Stehen kommt, reicht Hank ihm die Hand. Etwas unsicher sieht der Junge zu ihm auf, erwidert dann aber erstaunlich schnell die Geste und lässt sich von ihm aufhelfen. Dabei wirkt es regelrecht so, als würde Nightcrawlers zierliche Hand von der großen Pranke des Älteren verschluckt werden. Dies scheint den Elfen überraschenderweise aber gar nicht zu verschrecken. Stattdessen halten sich die beiden Blauen noch einen Moment länger fest, fast so, als wären sie eine unsichtbare Verbindung mit ihren Händen eingegangen und würden nun irgendwelche streng geheimen Daten darüber miteinander austauschen. „Hallo, Junge. Mein Name ist Henry McCoy, aber du darfst gern Hank zu mir sagen. – Oder einfach Beast, ganz wie du magst. Und wie heißt du, wenn ich fragen darf?“, kommt es sanft von dem breitschultrigen Mutanten, während er die Hand des Jüngeren wieder loslässt. „Ich heiße Nightcra – ich meine Kurt – Kurt Wagner.“, erwidert der Elf leicht durcheinander. „Sehr schön. Aber kein Grund nervös zu sein. Ich werde mich bemühen, das Ganze hier so schnell und angenehm wie möglich für dich zu machen. Ich fungiere hier als Arzt und da du neu bei uns bist, muss ich eine Akte von dir anlegen. Da drin steht alles Mögliche über dich. Besondere Merkmale, eine Auflistung deiner Mutantenkräfte, Gesundheitszustand und noch einiges mehr. Dafür brauche ich jedoch deine Hilfe. Teilweise werde ich dir einfach nur ein paar Fragen stellen, die du mir vielleicht beantworten kannst. Teilweise werde ich ein paar Tests an mit durchführen müssen. Davor brauchst du dich aber auch nicht zu fürchten. Es wird nicht wehtun. Wenn es doch zu heftig für dich wird, sag einfach Bescheid, dann machen wir eine Pause oder ich überlege mir etwas anderes. Hast du das soweit verstanden? Der Professor sagte mir, dass deine Muttersprache Deutsch ist und du manchmal Probleme hast, alles richtig zu begreifen, weil du die Worte womöglich nicht kennst. Doch ich versuche, es so einfach wie möglich auszudrücken und langsam zu sprechen. Tu dir aber keinen Zwang an und frage nach, wenn du dennoch etwas nicht verstehen solltest.“ „Ich denke, dass habe ich soweit alles verstanden. – Darf Logan denn hierbleiben?“, fragt Kurt etwas unsicher und wirft einen Blick zu dem anderen Mann hinüber, der sich bis jetzt erstaunlich ruhig aus allem herausgehalten hat. Dennoch vermittelt ihm der zu kurzgeratene Kanadier ein seltsames Gefühl von Sicherheit, wenn er in der Nähe ist, und das ist hier jetzt bestimmt hilfreich. Auch Beast wirft einen Blick auf Wolverine, der jedoch keine Miene verzieht – daher weder Zustimmung noch Ablehnung signalisiert. „Wenn du dich wohler fühlst, wenn er hier ist, kann er gern bleiben. Es steht euch beiden frei, das selbst zu entscheiden. Mir ist es einerlei, solange ich vernünftig meine Arbeit machen kann.“, entgegnet Hank und beendet damit das erste Kennenlernen. 6 Die Fragerunde gestaltet sich als kurz und ziemlich präzise, wie Kurt feststellt. Er weiß ja auch nicht, dass Hank schon fast alle notwendigen Informationen von Charles bekommen hat. Diese hatte der Professor allesamt in dem kurzen Moment aufgeschnappt, als er in Nightcrawlers Geist geblickt hat, und dann an Beast weitergegeben. Somit braucht der Arzt jetzt nur die Bestätigung durch die Antworten des Jungen dafür. Ein, zwei Dinge hat er allerdings noch nicht und trägt sie daher nach Kurts Ausführungen ein. So sehr die meisten Leute von Xaviers Fähigkeit, Gedanken zu lesen, auch abgeschreckt sein mögen, so gut findet der Arzt sie in diesen Momenten. So ist es für ihn und auch für seine Patienten zumeist einfacher und daher schneller vorbei. Nach dem Frage- und Antwortspiel wird Nightcrawler gewogen und praktisch jeder Zentimeter seines Körpers vermessen und eingehend begutachtet. Sämtliche Narben, alle möglichen anderen Merkmale, ja praktisch jeder Farbtonunterschied seines kurzen Fells wird akribisch notiert. Die Gründlichkeit, mit der der Arzt seiner Aufgabe nachgeht, fasziniert den Elf regelrecht. Andererseits erschreckt sie ihn an manchen Stellen schon ein wenig, wurde er doch noch nie so unter die Lupe genommen. Ein bisschen kommt er sich daher wie ein Pferd oder dergleichen vor, das von einem potenziellen Käufer genauestens begutachtet wird, der nur die allerbeste Ware kaufen möchte, und das ist ihm doch schon etwas unangenehm. Dennoch beklagt er sich nicht darüber, sondern lässt alles schweigend über sich ergehen. Henry gibt sich auch alle Mühe, es ihm trotz der ungewohnten Situation so angenehm wie möglich zu machen, indem er sich gefühlt alle drei Minuten erkundigt, ob Kurt das Ganze ertragen kann, oder langsam müde wird. Obwohl Beast dem Jungen ansehen kann, dass es ihm durchaus an einigen Stellen etwas zu viel ist, verneint der Blauhäutige allerdings stets. Der Arzt geht nicht weiter darauf ein, solange sein Unwohlsein nicht noch ersichtlicher wird. Er kann immerhin ziemlich gut verstehen, dass Nightcrawler das alles hinter sich bringen will, um das Krankenzimmer im besten Fall erst dann wiederzusehen, wenn es ihm wirklich schlecht geht. Anschließend soll Kurt auf ein Laufband, um seine Kondition, seine Bewegungsmuster und das Zusammenspiel von Herz und Lunge zu ermitteln. Hank fordert ihn dabei zuerst auf, nur auf seinen zwei Beinen zu rennen, was bei seinen anatomischen Besonderheiten doch etwas seltsam aussieht, ihm aber keine sonderlichen Schwierigkeiten bereitet. Außer vielleicht, dass ihm schnell die Puste ausgeht und er mit seinen langen Beinen mehrmals beinahe vom Band zu stürzen droht, dank seines Schweifs aber doch immer noch das Gleichgewicht wiederfindet. Dennoch wirkt er für seinen stromlinienförmigen Körperbau doch erstaunlich langsam und unelegant. Das ändert sich allerdings schlagartig, als Henry ihn nun anweist auf alle Viere zu gehen. Logan hat ihn so zwar schon mal sprinten sehen, dennoch ist er nicht minder überrascht als Beast, wie gewaltig der Unterschied zwischen diesen beiden Bewegungsarten doch ist. Geschwindigkeit und Ausdauer steigern sich von einem Augenblick zum nächsten um ein Vielfaches. Trotz dieser Steigerungen verlangsamt sich sein Herzschlag interessanterweise deutlich und auch seine Lunge arbeitet in einem angenehmeren Bereich, was die gesteigerte Ausdauer perfekt erklärt. Somit scheint Kurts Körper weit besser an diese animalische Fortbewegungsart angepasst zu sein, als an die humanoide, und daher ist es wohl auch kein Wunder, dass er sich daher immer automatisch auf alle Viere begibt. Nach dieser Einheit geht es für den Elfen in einen Kernspintomographen. Eine überaus erdrückende Erfahrung, die erst beim dritten Anlauf reibungslos durchgeführt werden kann, nachdem sich Nightcrawler allmählich daran gewöhnt hat, und Beast ihm schon angeboten hat, ihm ein leichtes Beruhigungsmittel zu spritzen, damit er es leichter ertragen kann. Auf diesen, eigentlich nur nett gemeinten Vorschlag, reagierte der Junge jedoch völlig panisch. Schließlich hat Logan dann doch einmal das Wort erhoben und Beast das erklärt, was der Elf in seinem aufgelösten Zustand nicht konnte. Wolverine erzählte dem Arzt, was am Ende der Zirkusvorstellung passiert ist, als dieser miese Getmann Kurt irgendetwas gespritzt hatte, was ihn völlig wehrlos machte. Schnell begreift Henry daher, was los ist und sie versuchen es noch einmal ohne Hilfsmittel und dann funktioniert es endlich. Somit hat er nun auch sämtlich Daten über das Innere seines Körpers und die Aktivitäten seines Gehirns. Der letzte Teil der aufwendigen Untersuchung beinhaltet nun die Ermittlung der Mutantenkräfte. Da das Ganze bei Kurt aber erst vor Kurzem überhaupt erst an die Oberfläche getreten ist, kann es durchaus sein, dass Hank hier zu einem späteren Zeitpunkt noch Ergänzungen vornehmen muss. Doch mit diesem Gedanken will er den Jungen jetzt nicht belasten. Stattdessen konzentriert er sich nun auf die Dinge, die er von Charles schon erfahren hat und was Logan ebenfalls dazu beitragen kann. Einige Dinge sind für Nightcrawler so selbstverständlich, dass er sie gar nicht als eine besondere Fähigkeit wahrnimmt. Einzig diese seltsame Sache mit dem Teleportieren – so nennt es Wolverine zumindest – kommt ihm nicht normal vor. Dafür aber die Tatsache, dass sein Körper geradezu mit der Dunkelheit zu verschmelzen scheint oder, dass er mühelos an nahezu jeder Oberfläche entlangkrabbeln kann wie ein Käfer. „Das ist wirklich überaus faszinierend...“, entkommt es Beast, während der Elf mit erstaunlicher Leichtigkeit an der Decke entlangläuft, als wäre es der Boden. „Komm doch bitte wieder runter. Ich würde mir das gern mal etwas genauer ansehen.“ Als Kurt wieder vor ihm steht, ergreift Henry seine Hand und betrachtet sie eingehender. Wie der Rest von Nightcrawlers Körper, ist auch sie mit dem kurzen, blauen Fell überzogen, doch dem Arzt kommt es nicht so vor, als wäre das der Grund für diese Fähigkeit. „Hm, ich denke, wir sollten uns das mal noch etwas genauer betrachten.“, meint er schließlich und wendet sich einem Gerät auf dem Tisch neben sich zu. „Das ist ein Mikroskop. Damit kann man sehr kleine Dinge sichtbar machen, indem man sich optisch vergrößert. Leg doch bitte deine Hand hierhin, damit ich sie mir ansehen kann.“, fordert er den Jungen auf, während er einige Einstellungen auf einem Monitor neben dem Mikroskop vornimmt. Schweigend kommt Kurt der Aufforderung nach und platziert seine ausgestreckte Hand mit nach oben gewandter Innenseite unter der Lichtquelle des Mikroskops. Kurz darauf kann er seine Finger seltsam groß auf dem Monitor daneben betrachten. „Sehr schön. Okay, hier haben wir also deine einzelnen Finger. Die feinen Haare deines Fells sind deutlich zu sehen. Oh, und hier ist der Rest eines kleinen Schnitts zu erkennen, den du dir vor ein paar Tagen zugezogen haben musst.“, erläutert Beast und gleitet dabei lehrerhaft mit einem Stift über den Monitor, um ihm alles Genannte zu zeigen. „Das ist wirklich faszinierend...“, murmelt der Junge und zieht die Hand unter dem Mikroskop hervor, um sich die fast verheilte Wunde an seinem Finger betrachten zu können. Allerdings kann er sie mit bloßem Auge gar nicht wiederfinden, sie verschwindet schlichtweg in seinem Fell, und ist von vornherein schon ziemlich klein. Henry gönnt ihm diese Erkenntnis und wartet daher geduldig, bis der Junge seine Hand wieder unter das Gerät legt. „Ich denke, es wird noch viel faszinierender, wenn ich die Vergrößerung erhöhe.“, erläutert er dann. Kurz darauf positioniert er den Tisch des Mikroskops mit Hilfe eines Rädchens so, dass sich die Spitze von Kurts Zeigefinger genau in der Mitte des Monitors befindet. Dann schenkt er ein anderes Objektiv ein, wodurch sich das Bild auf dem PC verändert. Nach ein paar Justierungen ist alles scharf zu erkennen. Kurts Fingerspitze nimmt nun den gesamten Raum des Monitors ein und geht sogar noch darüber hinaus. Sein kurzes Fell wirkt jetzt wie ein mystisch blauer Dschungel aus überaus rau aussehenden Baumstämmen, statt so seidig-weich, wie es sich sonst anfühlt. Mit offenem Mund betrachtet Nightcrawler diese Absonderlichkeit und bekommt sie dennoch kaum in den Kopf. „Die Haare deines Fells sehen völlig normal aus, sodass sie in jedem Fall nicht dafür verantwortlich sein können, dass du an der Wand klebst wie ein Insekt. Also vergrößern wir das Ganze doch noch etwas mehr und sehen uns die Haut darunter an.“, erläutert der Arzt und dreht wieder am Revolver. Als das Bild scharf ist, sind die baumartigen Haare völlig verschwunden. Dafür bietet sich den dreien ein fremdartiger Anblick aus Lamellen, die mit einer Art winziger Saugnäpfe bedeckt zu seien scheinen. „Na, wenn das nicht die Antwort ist, dann weiß ich auch nicht.“, kommt es sichtlich vergnügt von Hank. „Was ist das?“, fragt Kurt sichtlich überfordert und nimmt damit auch Wolverine die Frage aus dem Mund. Beast öffnet eine Schublade in der Nähe und zieht einen durchsichtigen Saugnapf mit einem kleinen Haken an der Rückseite heraus. „Das ist der Grund, warum du an der Decke gehen kannst und an so ziemlich jeder anderen Oberfläche klebst wie ein Kaugummi. Vereinfacht ausgedrückt, sind deine Finger und vermutlich auch deine Zehen mit unendlich vielen dieser Saugnäpfe bedeckt, die sich mit Hilfe von Unterdruck an praktisch jeder Oberfläche festsaugen können, wie der Name schon sagt. Eine ähnliche Technik benutzen zum Beispiel Geckos. Ganz genauso ist es bei vielen Insekten, die einfach so an einer glatten Scheibe entlanglaufen können. Du selbst merkst davon nichts, aber das ist etwas, das Menschen nicht können, weil ihre Haut ganz anders aufgebaut ist. – Wo du gerade da bist, leg doch mal deine Hand unter das Mikroskop, Logan, damit Kurt den Unterschied sehen kann.“ Kurz darauf tauschen die beiden den Platz und nach ein paar weiteren Einstellungen erscheint die Vergrößerung von Wolverines Fingerspitze auf dem Monitor. Der Unterschied ist deutlich sichtbar und bedarf daher eigentlich keiner weiteren Erläuterung, doch Hank kommt schon mal gern ins Erzählen, erst recht, wenn er jemanden findet, der sich wirklich für seine Worte begeistern kann. Kein Wunder, wo er in seinem früheren Leben doch tatsächlich Lehrer gewesen ist und seinen Schülern möglichst anschaulich und mit viel Begeisterung die Welt der Biologie, Chemie und des Sports versucht hat nahezubringen. Daher ist er erst recht darauf bedacht sein Wissen an die Jüngeren hier weiterzugeben, manchmal durchaus zum Leidweisen der anderen X-Men. Doch Kurt hat noch sehr viel zu lernen und da kann Henry gar nicht anders, wenn er den fragenden Ausdruck in den Augen des Jungen vor sich sieht. Beast legt sogar seine eigene Hand unters Mikroskop, um Nightcrawler zu verdeutlichen, dass auch sie anders aussieht, obwohl sie beide blaue Haut und ein Fell haben. Nachdem dieses Rätsel also gelöst zu sein scheint, steht nun die Sache mit der Teleportation an. Etwas umständlich versucht Logan daher zu erklären, wie er das Ganze versteht und was er bisher beobachtet hat. Aufmerksam hört sich Hank alles an und versucht sich einen Reim darauf zu machen. Diese Informationen hat er von Charles nicht wirklich bekommen, da Nightcrawler sich in seiner Gegenwart nicht teleportiert hat, und er sich auch nicht wirklich einen Reim auf die Erinnerungen des Jungen daran machen konnte, von daher fällt es dem Arzt ein bisschen schwer, sich die Technik vorzustellen, so wie Wolverine es beschreibt. Ohne es selbst miterlebt zu haben, kommt es dem breitschultrigen Mutanten doch ziemlich haarsträubend vor, was vielleicht auch nur daran liegen mag, dass der Kanadier nicht gerade ein guter Erzähler ist. Kurt ist dabei auch nicht wirklich eine Hilfe, da er sich die Sache selbst nicht erklären kann und auch noch keinerlei Kontrolle darüber hat. Dennoch muss es Hank gelingen, diese Fähigkeit mit eigenen Augen zu sehen, damit er seine Akte vervollständigen und mögliche Auswirkungen auf Kurts Körper oder seine Umwelt feststellen kann. „Okay. – Versuchen wir es einfach mal. Konzentrier dich, Junge! Mach deinen Geist frei und denk an – ich weiß auch nicht – den Ort, an dem du landen willst. – Versuch doch einfach von hier zum Bett dort hinten hinzukommen, ja?“, bittet ihn Beast. Überaus zweifelnd betrachtet Nightcrawler ihn und dann das Bett, zu dem er sich teleportieren soll. Tief holt er Luft und schließt die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Im Raum herrscht völliges Schweigen, weiter aber auch nichts. Minutenlang verharren die drei, doch nichts passiert. „Nun, es scheint wohl etwas schwieriger zu sein...“, meint Hank stirnrunzelnd. Allerdings ist es auch nicht sonderlich ungewöhnlich. Wenn ein Mutant gerade erst seine Fähigkeiten bemerkt hat – was meist aus heiterem Himmel und unter ziemlichem Stress passiert – ist er darauf nicht vorbereitet und es dauert daher meist eine ganze Weile, ehe es erneut passiert, und ziemlich lange, bis er irgendeine Kontrolle darüber hat. Deshalb muss ein Mutant immer und immer wieder hart üben und trainieren, um seine Fähigkeit irgendwann auf Kommando benutzen zu können, ohne daran denken oder unnötig viel Kraft dafür einsetzt zu müssen. In sich gekehrt grübelt Henry darüber nach, wie er Nightcrawler doch noch zum Teleportieren bringen kann, ohne ihm allzu großem Stress auszusetzen. Der Blauhäutige ist eh schon ziemlich mit den Nerven am Ende, da will der Arzt es nicht unbedingt übertreiben. Der zu kurzgeratene Kanadier ist da aber wohl anderer Ansicht. Ihm scheint ziemlich schnell einzufallen, wie er Kurt zum Springen bringen kann, war er doch bisher jedes Mal dabei gewesen und hat somit schnell ein Muster dahinter erkannt. So zögert er auch nicht lange, als sich die nachdenkliche Stille über den Behandlungsraum senkt. Blitzschnell hebt er die geballte Faust direkt vor die Nase des Elfen und lässt dann seine langen, sichelförmigen Krallen hervorschnellen. Wie von ihm gewünscht, erschreckt sich der Bengel mit einem heiseren Aufschrei. Beast war so in Gedanken, dass er sich in diesem Moment ebenfalls ziemlich erschreckt. Doch er hat sich soweit im Griff, dass er das Schauspiel dennoch gut verfolgen kann. Nightcrawlers Schreckenslaut ist noch gar nicht verklungen, da ertönt auf einmal ein seltsames Geräusch im Raum. Es ist ziemlich leise, in der Stille jedoch deutlich zu hören. Es klingt, als würde etwas nach innen gesaugt – implodieren. Bamf! Praktisch im selben Moment breitet sich an der Stelle, an der sich Kurt bis eben befand, eine dichte, purpurfarbene Wolke aus, die so beißend nach Schwefel riecht, dass Beast ein paar Atemzüge lang husten muss. Nur einen Sekundenbruchteil später ertönt das seltsame Geräusch an einer anderen Stelle des Raumes erneut, gefolgt von dieser stinkenden Wolke. Ein paar Augenblicke danach hat sich der Großteil davon wieder verzogen und Henry entdeckt den Elfen am anderen Ende des Zimmers an der Decke in einer Ecke kauernd. Seine seelenlosen Augen sind noch deutlich vom Schreck gezeichnet und er atmet hektisch. „Na geht doch!“, kommt es fast schon grinsend von Wolverine, während er noch angewidert den Schwefelgeruch weg zu wedeln versucht. „Das – war fies...“, jammert der Elf sichtlich unwohl. „Tja, Kleiner. Ich würde ja sagen, dass es mir leidtut, aber hätte ich es nicht gemacht, würden wir morgen noch darauf warten, dass etwas passiert. Also schluck es einfach runter und sieh es als Gefallen an.“, erwidert Logan erstaunlich kalt. „Ich bin beeindruckt!“, kommt es nun von Beast und die beiden wenden ihm das Gesicht zu. „Eine wirklich ganz erstaunliche Fähigkeit! Leider kann ich sie mir so gar nicht erklären. Doch es muss sich dabei um einen überaus komplexen Vorgang handeln. Teleportation trifft es da wohl tatsächlich am besten. Nur nicht so, wie man es aus Science-Fiction-Büchern her kennen mag. Schließlich schaffst du das ganz ohne ein Hilfsmittel. – Es kommt mir eher so vor, als wäre eine Art chemische Reaktion dabei beteiligt, möglicherweise auch so etwas wie eine Raum-Zeit-Krümmung. – Ich weiß auch nicht. Dieser beißende Schwefelgeruch irritiert mich dabei. Entfernt erinnert es mich an Rauchbomben oder dergleichen. So etwas, das Ninjas benutzen, um ungesehen zu flüchten, versteht ihr? Nur der Geruch und auch dieses Geräusch – so leise es auch sein mag – sind nicht sonderlich hilfreich für eine unauffällige Flucht, fürchte ich. Das Ganze ist mir noch ein ziemliches Rätsel. Doch ich bin sicher, irgendwann finden wir eine Antwort darauf...“ „Vielleicht hilft es ja, wenn ich ihn noch ein bisschen rumscheuche!“, grinst Wolverine angriffslustig und lässt erneut seine Krallen ausfahren. Irgendwie hat er gerade Gefallen an dem Gedanken gefunden. So als wäre eine primitive Art Spieltrieb in ihm entbrannt – oder schlichtweg sein animalischer Jagdinstinkt, der seine verängstigte Beute gern hetzt, bis sie nicht mehr weiterkommt und hilflos zu seinen Füßen liegt. Natürlich hat Logan nicht vor, dem Elfen wehzutun, aber etwas anderes würde er nicht ausschließen wollen. Selbstredend aber nur, wenn es ihm gelingen sollte, den Bengel irgendwo hinzutreiben, wo sie ungestört wären... „Nein!“, kommt es nahezu panisch von Nightcrawler, dem die Vorstellung, auf diese Weise rumgescheucht zu werden, so gar nicht behagt. Nicht sonderlich erfreut betrachtet Beast die Reaktion des jungen Mutanten und dann Logans nahezu gehässigen Gesichtsausdruck, der ihm nur zu gut bekannt ist. Der Jäger in dem kleinen Kanadier meldet sich deutlich zu Wort und dass könnte ziemlich unschön enden, auch wenn Hank bei weitem nicht an dieselben Dinge denkt, wie der Schwarzhaarige. Schon aber, dass er den Elfen womöglich im Eifer ungewollt verletzen könnte. Oder, dass sie hier drinnen alle ersticken könnten, sollte sich der Raum ein ums andere Mal mit diesem beißenden Gestank füllen. „Ich denke nicht, dass das nötig sein wird!“, meldet er sich daher entschieden zu Wort und bedenkt Wolverine mit einem überaus mahnenden Blick. Der Angesprochene zuckt nur lässig mit den Schultern und lässt die Krallen wieder verschwinden. „Selber schuld.“, meint er noch und lümmelt sich dann erneut auf seinen Stuhl. „Fürs Erste sollten wir vielleicht abwarten, bis du das Ganze etwas unter Kontrolle hast und nicht mehr auf Logans Hilfe angewiesen bist. Dann können wir uns alles noch einmal in Ruhe betrachten, und vielleicht fällt mir bis dahin auch ein, wie das Teleportieren möglicherweise funktionieren könnte. Daher sind wir an dieser Stelle erst einmal fertig und du kannst nun gehen, Kurt. Vielen Dank, dass du so lange und geduldig mitgemacht hast.“, bedankt sich Beast ehrlich bei ihm und beendet die Untersuchung damit. 7 Der Rest des Tages ist zum Glück weit weniger aufreibend und gibt Nightcrawler daher die Möglichkeit sich wieder etwas zu entspannen. Nach und nach lernt er dann auch die anderen Mutanten kennen, die zum Team der X-Men gehören. Allerdings suchen nur zwei direkt die Nähe des Elfen, um mit ihm zu sprechen, wie es Storm zuvor in der Küche getan hatte. Beim Rest ist es Kurt selbst, der sich ihnen vorsichtig nähert oder ihnen zufällig über den Weg läuft. Durch Charles nachdrückliche Anweisungen sind sie aber alle wohl darauf bedacht nicht zu stürmisch oder gar aufdringlich in seiner Nähe zu werden und daran halten sie sich auch streng. Daher fällt es Nightcrawler nach seiner anfänglichen Furcht und der Untersuchung bei Hank auch gar nicht so schwer, dass ebenfalls noch auf sich zu nehmen. Alles in allem war es also ein ziemlich guter und erfolgreicher Tag. Mit jeder vergehenden Stunde glaubt Nightcrawler auch immer selbstsicherer daran, dass es sich hier sehr gut leben lassen wird und er nichts zu fürchten braucht – zumindest nicht, solange Logan nicht wieder einen fiesen Angriff plant, um ihn zu ärgern. Kurt kommt allerdings der Gedanke, dass es womöglich eine Art von Heimzahlung dafür geben könnte, sobald er in der Lage ist seine Teleportation richtig zu beherrschen. Ja, etwas womit er Wolverine vielleicht sogar erschrecken, oder aber zumindest ärgern könnte. Die Vorstellung gefällt ihm irgendwie ziemlich gut. Und so ist es nicht sonderlich verwunderlich, dass dieser vorfreudige Gedanke der letzte ist, den er an diesem Tag hat, bevor ihm am Abend die Augen zufallen und er in einen tiefen, aber überaus zufriedenen Schlaf abdriftet. Dafür muss er sich dann noch nicht einmal in seinem Schrank verstecken! Fight and headache ------------------ 1 Inzwischen ist fast ein Monat vergangen, seit Wolverine den blauen Elfen aus den Fängen dieses miesen Zirkus befreit hat. Nightcrawler hat sich in dieser Zeit gut entwickelt. Seine tiefsitzende Angst ist fast vollständig verschwunden; nur selten schreckt er noch ungewollt zusammen, wenn er mit etwas Neuem konfrontiert wird. Allerdings ist er hier auch nicht von Menschen umgeben, die ihm immer noch mächtig Sorge bereiten. Trotz seiner sichtlichen Offenheit den anderen Mutanten gegenüber ist ihm eine gewisse Unterwürfigkeit erhalten geblieben, wenn jemand streng die Stimme erhebt oder sich ihm gegenüber dominant verhält. Andererseits hat er auch eine freche Ader in sich entdeckt und spielt insbesondere Logan inzwischen liebend gern Streiche, um ihn auf die Palme zu bringen, was ja schon unter normalen Umständen keine Kunst ist. Die Verfolgungsjagten, die sich regelmäßig daraus entwickeln, sind zum festen Bestandteil des Alltags im Institut geworden und bereiten auch dem temperamentvollen Jäger ziemliche Freude, auch wenn man das auf den ersten Blick nicht vermuten mag. Ab und an gelingt es dem Kanadier aber, sich für diese Frechheiten zu rächen, indem er Kurt mit miesen Aufgaben belegt, oder ihn in für ihn unschöne Situationen bringt; und so haben stets beide irgendwie etwas davon. Nightcrawler hat darüber hinaus aber auch hart trainiert und seine Teleportation mittlerweile ziemlich gut im Griff, sodass Wolverine nun zum nächsten Schritt seiner Ausbildung übergehen und ihm das Kämpfen beibringen will. Kurt ist von diesem Gedanken allerdings nicht sonderlich angetan, ist er doch von Natur aus sehr friedliebend und will niemandem bewusst Schaden zufügen. Doch es gehört nun einmal zu seiner Ausbildung und insbesondere zum Leben als Mutant dazu, das fest vom Grundsatz Leb oder stirb geprägt ist. Von daher muss der Blauhäutige lernen, sich zu verteidigen und seinen Gegner auszuknocken. Getötet werden soll dabei jedoch niemand, da sich die X-Men bewusst dagegen entschieden haben. Schließlich haben sie schon genug andere Probleme, da muss man sie nicht auch noch als kaltblütige Mörder sehen. Logan ist da zwar manchmal anderer Meinung, wird dann aber auch eines Besseren belehrt und von seinen Kollegen, wenn nötig, zurückgehalten. Der menschlichen Bevölkerung darf in keinem Fall Schaden zugefügt werden, das ist die oberste Regel der X-Men. Völlig egal, wie mies sich die meisten Leute ihnen gegenüber auch verhalten. Bei verfeindeten Mutanten sieht das schon anders aus, aber auch sie dürfen im Allgemeinen nicht getötet werden, wenn es sich nur irgendwie vermeiden lässt. Das beruhigt den Elfen zumindest schon einmal etwas, dennoch wäre ihm weitaus wohler, wenn er nicht gezwungen wäre, Gewalt an den Tag legen zu müssen, da er sich sonst genauso mies vorkommt, wie die Leute, die ihn sein Leben lang misshandelt haben. Ein ums andere Mal versucht Logan ihm aber zu erklären, dass das Ganze eigentlich mehr mit Selbstverteidigung zu tun hat und er nicht gezwungen sein sollte, einen Kampf anzuzetteln, sehr wohl aber sich und seine Lieben vor Schaden zu bewahren, und das geht nun einmal nicht, wenn man nur ausweicht. 2 Mit diesem Gedanken betreten der Kanadier und der Elf nun den Gefahrenraum, um mit dem Training zu beginnen. Charles ist ebenfalls anwesend und sitzt im Kontrollbereich. Hier hat er mit Hilfe des Computers schon eine geeignete Illusion erschaffen, die den beiden als Trainingsatmosphäre dienen soll. Sie besteht aus einem lichten Wald, deren Boden zum Schutz vor Verletzungen mit einer Schicht aus Blättern bedeckt ist. Zwischen den einzelnen Bäumen bestehen große Lichtungen, die mit Gras bewachsen sind. Durch die Scheibe, die eine ganze Wand des höhergelegenen Kontrollraums einnimmt, betrachtet Xavier die Szene die gesamte Zeit über, zeichnet das Training auf Video auf, um gegebenenfalls später darüber reden zu können, macht sich Notizen und achtet vor allen Dingen darauf, dass das Ganze nicht ausartet, was bei Wolverines kurzer Zündschnur und Kurts Weigerung Gewalt anzuwenden, durchaus passieren kann. Doch sollte es dazu kommen, kann Charles sie von hier oben aus mit Hilfe seiner Kräfte wieder zur Vernunft bringen – hofft er zumindest. Bei Kurt ist das kein Problem, doch der Jäger ist nur schwer zugänglich, erst recht, wenn er darauf vorbereitet ist. Doch darüber will der Professor jetzt nicht unbedingt nachdenken. Seine Konzentration gilt im Moment ganz dem Training des blauen Jungen. Schüler und Lehrer haben sich inzwischen auf der großen Lichtung in der Mitte der Illusion eingefunden. Mit staunenden Augen betrachtet Kurt seine Umgebung, die gar kein Ende zu nehmen scheint, obwohl der Raum immerhin eine begrenzte Größe hat. Diese geht jedoch in der computergesteuerten Illusion völlig verloren, sodass der Wald nicht nur erschreckend echt aussieht, sondern auch so riecht, sich so anhört und anfühlt. Als Kurt nun fasziniert ein Blatt von einem niedrigen Busch abzupft, fühlt es sich unter seinen Finger vollkommen real an. Vorsichtig zerdrückt er es, woraufhin hellgrüner Saft in einem zarten Faden austritt und über sein Fell läuft. Ein einziger Tropfen davon fällt auf den Untergrund und ein schwacher, süßlicher Geruch breitet sich aus. „Das – ist einfach unglaublich...“, entkommt es ihm ehrfürchtig, während er nun mit der Hand über die holzig-raue Rinde eines Baumes streicht. „Das ist doch noch gar nichts, Junge. Mit Hilfe des Computers können wir hier praktisch alles erschaffen. Jede mögliche Umgebung, die du dir nur vorstellen kann, selbst reine Fantasiewelten. Das Gleiche gilt für Lebewesen. Du wirst staunen, was für Monster wir hier schon bekämpft haben. Das Ding heißt schließlich nicht umsonst Gefahrenraum. Er ist zwar nicht dazu da, dich umzubringen, soll dir aber das Gefühl eines völlig echten Kampfes auf Leben und Tod vermitteln. Von daher erleidest du hier denselben Schmerz und die gleichen Verletzungen, die du auch draußen erleiden würdest. Das Ganze ist allerdings so programmiert, dass das System automatisch abbricht, sollest du ernsthaft in Lebensgefahr sein. Dein Körper wird nämlich die ganze Zeit über mit Hilfe unendlich vieler Sensoren überwacht, die ständig in Kontakt mit dem Hauptcomputer stehen. Es gibt jedoch Mittel und Wege das zu umgehen, wenn es dich wirklich mal in den Fingern juckt, und dann gibt es kein Erbarmen mehr, so lange du nicht den Notaus betätigst...“, erläutert der Ältere, woraufhin ihn der Jüngere doch schon etwas unsicherer betrachtet. „Doch davon solltest du dich jetzt keinesfalls beirren lassen, Kurt. Schließlich ist das hier nur eine harmlose Trainingseinheit. Von daher solltest du Wolverines Worten keine Beachtung schenken, denn im Allgemeinen ist er der Einzige, der das Sicherheitssystem abschaltet, weil er mit seinem Heilfaktor den anderen überlegen ist. Du allerdings solltest dir deiner Grenzen genau bewusst sein, wenn du hier trainierst, um unnötige Verletzungen zu vermeiden.“, mischt sich Xavier über einen Lautsprecher über ihnen ein. Etwas unsicher wendet Nightcrawler den Kopf nach oben und entdeckt dabei die gläserne Wand des Kontrollraums, die die bis dahin perfekte Illusion zerstört. „Jajaja...“, entkommt es Wolverine nun leicht schnaubend. „Wir sollten jetzt anfangen und uns nicht mit Quatschen beschäftigen! Bereit oder bereit, Elf?“ „Bereit – denke ich...“, erwidert der Blauhäutige nervös, kommt es ihm doch nicht so vor, als wenn er überhaupt eine andere Wahl hätte, völlig egal, welche Einwände er auch immer haben mag. 3 Kurz darauf stehen sich die beiden auch schon gegenüber. „Okay, denk daran, was ich dir gesagt habe: Angriff ist die beste Verteidigung! Also versuch mich auf die Matte zu schicken, Kleiner!“, grinst Logan kampflustig, wobei seine Stimme einem tiefen Knurren gleichkommt. Kaum eine Sekunde später schnellen seine scharfen Krallen hervor. Er lässt ein animalisches Kampfgebrüll hören, das sich Kurt allein schon deswegen sein gesamtes Fell sträubt, und greift dann blitzschnell an. Erschrocken reißt Nightcrawler die verstörten Augen auf. Im allerletzten Moment gelingt es ihm, nicht völlig zu erstarren, und sich in Sicherheit zu teleportieren. Der zu kurzgeratene Kanadier gibt ein angewidertes Heulen von sich, als er direkt in die stinkende Schwefelwolke hineinläuft, die seine überempfindlichen Sinne wie ein Hammerschlag trifft. Mit zornig glühenden Augen blickt er sich um und entdeckt den Elfen schließlich einige Meter weiter auf einem niedrigen Ast hockend. Der Schreck steht ihm noch ins Gesicht geschrieben, doch das kümmert Wolverine kein Stück. Kurt wird nicht immer weglaufen können. Früher oder später wird er müde und dann ist er für den erfahrenen Jäger eine leichte Beute und muss sich ganz einfach verteidigen. „Komm her, du!“, knurrt er daher düster und setzt erneut zum Angriff an. Diesmal ist Nightcrawler allerdings aufmerksamer und die Distanz ist größer, sodass er einen Moment Zeit hat, um sich einen anderen Platz auszugucken. Dennoch teleportiert er sich erst wieder im letzten Augenblick davon. Mit einem widerwertigen Geräusch von Endgültigkeit rammen Wolverines Klauen ungebremst in die dicke Rinde des Baumes hinein und er wird erneut vom Schwefel eingehüllt. Zornig knurrend zerrt Logan ungebändigt herum, bis es ihm schließlich gelingt, seine Krallen aus der Rinde zu befreien. Der Baum leidet doch ziemlich darunter und Kurt will sich beim besten Willen nicht ausmalen, wie es wäre, wenn der Jäger ihn stattdessen getroffen hätte. Viel wäre dann jetzt ganz sicher nicht mehr von ihm übrig... „Du sollst dich wehren und nicht nur weglaufen, du elender Feigling!“, faucht der kleine Mann außer sich und setzt wieder zum Angriff an. Wie allerdings zu erwarten, springt Kurt auch diesmal außer Reichweite. „Dann bin ich eben ein Feigling! Das kümmert mich nicht!“, gibt er hilflos von sich, während seine Augen schon den nächsten Ort suchen, an den er teleportieren kann. „Mich aber schon! Denn, wenn ich dich erwische, erwarte bloß keine Gnade von mir, Bürschchen! Ich werde so lange auf dich einprügeln, bis dieser Scheißgestank endlich von dir abfällt! Hörst du!“, kommt es nun immer ungehaltener von dem Schwarzhaarigen. „Tu, was du nicht lassen kannst! Aber dafür musst du mich schließlich erst einmal erwischen, nicht wahr? Und dafür bist du einfach viel zu langsam, alter Mann!“, kommt es leicht spottend von dem Elfen, ehe er wieder direkt vor Logans Augen verschwindet. „Ich zieh dir das Fell ab!“ Mittlerweile ist der blaue Mutant schon so oft teleportiert, dass die Luft regelrecht vor all dem Schwefel steht und Wolverine keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Er sieht nur noch rot! Seine Bewegungen und Angriffe werden immer unkontrollierter, wodurch er wie ein Tier in der Falle wirkt, das nur noch um sich beißt. Das ist gar nicht gut. Charles muss das Ganze wieder unter Kontrolle bringen, ehe Kurt wirklich zu müde wird und der aufgebrachte Krieger Hackfleisch aus ihm macht. „Logan! Das reicht! Beruhige dich wieder, oder ich sehe mich gezwungen, dass hier zu unterbinden! Hörst du nicht?“, ertönt Xaviers Stimme über den Lautsprecher. Zielstrebig wandert sein Finger dabei zum Abschaltknopf, um das Programm zu beenden. In seinem Kopf bereiten sich seine mentalen Kräfte darauf vor, in Wolverines Geist einzudringen – sehr brutal, wenn es sein muss –, um ihn lange genug auszuknocken, damit Kurt den Raum verlassen kann. „Unter steh dich!“, faucht Logan dem Mann im Rollstuhl zu. „Du wirst hier gar nichts beenden, ist das klar?“ „Du hast mir nichts zu befehlen, Wolverine! Es geht schließlich nicht darum, was du willst, sondern was das Beste für Nightcrawler ist!“, hält Charles energisch dagegen. „Ich weiß schon, was das Beste für den Bengel ist!“, giftet der Kanadier zurück und setzt erneut zum Angriff an. Kurt teleportiert abermals von ihm weg, klebt dafür aber schon eine Sekunde später an der großen Scheibe des Kontrollraumes, wo Xavier sich gerade dazu entschieden hat, doch den Knopf zu betätigen. „Komm sofort da runter, du elender Flohfänger, und kämpfe wie ein Mann, verflucht noch mal!“, gebärt sich der Schwarzhaarige vom Boden aus und sucht schon nach einer Möglichkeit, ihn dennoch zu erwischen. Der blaue Mutant ignoriert ihn allerdings und sieht eindringlich zu Charles. „Tu das nicht, Professor! Es ist alles in Ordnung, wirklich. Ich kann weitermachen. Aber – gibt es eine Möglichkeit die Luft hier drinnen auszutauschen? Logan ist doch recht grün um die Nase und ich denke nicht, dass das förderlich für seinen Gemütszustand ist.“ „Bist du dir ganz sicher, Kurt?“, fragt der kahlköpfige Mann sorgenvoll. „Komm sofort da runter!“, brüllt der Kanadier von unten und kurz darauf trifft etwas Großes das stabile Glas direkt neben dem Elfen. Überrascht zuckt er zusammen, springt aber nicht davon. Dafür kann er aber sehen, wie ein armdicker Ast zu Boden fällt, den Logan scheinbar nach ihm geworfen hat, weil er keine andere Möglichkeit hat, ihn sonst zu erreichen. Nervös sieht er mit an, wie der Ältere sich an einem weiteren Baum zu schaffen macht, um ein neues Wurfgeschoss abzubrechen. Diesmal wäre es sogar noch um einiges größer. Das genügt Charles nun wirklich und er streckt ruckartig seine mentalen Finger nach dem Jäger aus. Dieser ist glücklicherweise so abgelenkt, dass er das Ganze nicht mitbekommt. Einen Moment später erstarrt der temperamentvolle Krieger regelrecht zur Salzsäure. „Was – hast du gemacht?“, fragt Kurt überfordert. „Ihn kurzzeitig eingefroren, damit er sich hoffentlich etwas beruhigt. Mit seinem Starrsinn wird das nicht lange halten, aber es wird reichen, um die Luft auszutauschen. Bleib da hocken, Kurt, und nicht teleportieren! Ich muss das Programm kurz beenden und dann wirst du einen starken Wind spüren.“, erläutert der Professor sichtlich angestrengt, während er Wolverine weiterhin unter Kontrolle zu halten versucht. Deutlich spürt er jedoch die Gegenwehr des Älteren, was es nicht gerade einfacher macht. Dennoch gleiten seine Finger erfahren über die Tastatur und finden die richtigen Knöpfe. Kurz darauf verschwindet die perfekte Illusion des Waldes und wird durch kahle, nahezu erdrückend wirkende Metallwände ersetzt, die ein großes Unwohlsein in Nightcrawler entfachen. Dann öffnen sich einige große Klappen an der Decke und riesige Ventilatoren werden sichtbar. Als sie sich zu drehen beginnen und die zum Schneiden dicke Luft im Gefahrenraum abzusaugen beginnen, zerren unsichtbare Finger erschreckend heftig am zierlichen Leib des Blauhäutigen. Instinktiv drückt er sich dichter an die Scheibe heran und klammert sich mit aller Macht am Glas fest. Einige Sekunden später ist alles vorbei und das Programm baut den Wald von Neuem auf. Gerade noch rechtzeitig, wie es scheint, denn da gelingt es Wolverine auch schon, sich von der mentalen Attacke des Professors loszureißen, was dieser mit einem schmerzlichen Stöhnen kommentiert und erschöpft in seinem Rollstuhl zurücksinkt. 4 Wolverine ist zwar alles andere als erfreut, von Charles so heimtückisch festgehalten worden zu sein, dennoch scheint die inzwischen saubere Luft einen positiven Effekt auf seinen Zorn zu haben. Fast schon ungeachtet lässt er den großen Ast, den er abgebrochen hatte, nun zu Boden fallen. Als er Kurt den Blick zuwendet, ist ein beachtlicher Teil des Zornes darin verschwunden. „Komm runter!“, fordert er den Elfen dennoch hart auf und fährt die Krallen wieder aus. „Ich werde nicht gegen dich kämpfen!“, kommt entschieden die Antwort des Jungen, dennoch stößt er sich vom Glas ab und landet mit einer überaus eleganten Sprungrolle in einiger Entfernung zu ihm katzenhaft am Boden. „Das werden wir sehen.“, erwidert der Schwarzhaarige. Dann huscht so etwas wie eine Idee über Logans Gesicht hinweg. Er grinst vielsagend und lässt seine Klauen dann komischerweise wieder verschwinden. Stattdessen stellt er sich Kurt nun mit bloßen Fäusten entgegen. Überrascht weicht Nightcrawler zurück, um nicht getroffen zu werden, er sieht jedoch davon ab sich zu teleportieren. Dennoch gelingt es ihm recht gut, Logans harten und überaus präzisen Schlägen auszuweichen oder aber auch den ein oder anderen mit gekreuzten Armen abzuwehren. Der doch beachtliche Schmerz, der dabei seine Muskeln entlangschießt, ist weißglühend und kaum zu ertragen. Morgen wird es wahrscheinlich noch viel mehr schmerzen, doch im Moment kümmert es den Elfen nicht sonderlich und so macht er einfach weiter. Diese Entwicklung gefällt Wolverine schon um einiges besser. Dennoch ist es noch lange nicht das, wofür sie ja eigentlich hier sind. „Wehr dich endlich!“, knurrt er ungehalten. „Niemals!“, schnappt Kurt und kann nur ganz knapp ausweichen. „Du kannst mir nicht wehtun, wenn dich das beunruhigen sollte, Junge!“, versichert ihm der Kleinere nachdrücklich. „Das weiß ich und das ist auch nicht das Problem.“, hält Nightcrawler dagegen. „Was dann, verdammt?“, bohrt der Ältere, obwohl er die Antwort kennt. „Ich...“, setzt der Elf an, kann den Satz aber nicht beenden, weil Logan in diesem Moment seine halbherzige Verteidigung endgültig durchbricht. Einem Reflex folgend neigt der Blauhäutige den Kopf noch zur Seite, doch es reicht nicht ganz. Wolverines geballte Faust trifft ihn überaus hart an der rechten Wange und wirft ihn unsanft zu Boden. Als Kurt mit schmerzerfüllten Augen zu ihm aufsieht, rinnt dünnes Blut aus seinem Mundwinkel hinaus, doch der Kanadier verzieht deswegen keine Miene. „Siehst du? Das passiert, wenn du dich nicht wehrst.“, zieht ihn der Kleinere hämisch auf. Betroffen senkt Nightcrawler den Blick und erwidert nichts. Er ist es schon lange gewohnt, nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst zu werden, auch wenn er weiß, dass Logan es eigentlich nicht böse meint. Allerdings hat der Jäger ihn jetzt genau da, wo er ihn haben wollte. „Sieh dich nur an, du Häufchen Elend! Was würde dein Gott zu so einem jämmerlichen Schwächling sagen?“, höhnt er gehässig. Überrascht reißt Kurt die Augen auf und sieht ihn an. „Was?“, fragt er beinahe erschrocken. „Du hast mich schon verstanden, Elf.“, brummt Logan und hockt sich dann neben ihn. Einen Moment später findet sich Nightcrawler rücklinks auf den Boden gedrückt wieder. Wolverines kräftige Hand liegt dabei warnend gegen seine Kehle gedrückt. „Gott hasst Schwächlinge!“, dringt die Stimme des Schwarzhaarigen nachdrücklich zu ihm vor. „Das – das stimmt nicht...“, versucht Kurt dagegen zu halten, doch es wirkt eher verzweifelt und resignierend. Der zu kurzgeratene Kanadier erwidert darauf nichts. Stattdessen greift er mit der freien Hand nach dem Reißverschluss an Kurts Kampfanzug. Sichtliches Verlangen schwappt dabei geradezu aus seinen dunklen Augen hervor, doch er lässt es sich nicht festsetzen. Nicht in diesem Moment, und schon gar nicht, wenn Charles sie beobachtet. Nightcrawler wirkt überrascht, versucht sich aber nicht zu wehren, nur irgendwie seinem seltsam durchdringenden Blick standzuhalten. Langsam öffnen sich die scharfen Metallzähne und entblößen die Brust des Blauhäutigen. Sanft auf das weiche Fell gebettet kommt dabei auch eine feine Goldkette zum Vorschein, an der ein fragil verziertes Kreuz hängt, das direkt auf dem Herzen des Jungen ruht. Es bedeutet Kurt praktisch alles, nicht nur, weil Logan selbst es ihm, als eine Art Einweihungsgeschenk, überreicht hat. Nun allerdings will der Jäger es als Druckmittel benutzen, um den Kämpfer in ihm zu wecken. So friedlich Nightcrawler auch sein mag, in jedem Lebewesen dieses Planeten steckt ein erbarmungsloser Krieger, man muss nur das Richtige finden, um ihn hervorzulocken. Das Ganze ist vergleichbar mit einer liebenden Mutter, die ihr Kind in Gefahr sieht und dadurch ungeahnten Mut und Kraft aufbringen kann, um es zu schützen. Oder aber ein noch so friedliches und liebenswürdiges Hündchen, das unter normalen Umständen niemandem ein Haar krümmen würde, aber unerbittlich zubeißen wird, wenn man es nur lange genug in die Ecke drängt. Da macht auch Kurt keine Ausnahme. Und das womöglich Wirkungsvollste ist ganz sicher sein Glaube, an den er sich mit aller Macht klammert. So ergreift Logan nun zielstrebig die Kette und reißt sie dem erschrockenen Jungen einfach grob vom Hals. „Nicht!“, entkommt es dem Elfen aufgebracht und er versucht augenblicklich danach zu greifen. Wolverine hält ihn aber weiterhin grob an der Kehle auf den Boden gedrückt, zudem die Kette außerhalb seiner Reichweite. „Vergiss es, du jämmerlicher Schwächling! Du verdienst es gar nicht, dass auch nur irgendein Gott auf dich aufmerksam wird! Ich weiß gar nicht, was mich überhaupt dazu bewegt hat, dir dieses billige Ding zu geben. Es ist genauso wenig etwas wert, wie du, und das wird sich auch nicht ändern, ganz gleich, wie viel du auch beten magst.“, entgegnet ihm der Jäger eiskalt und entfernt sich dann mit der Kette von ihm. Fassungslos verharrt Kurt auf dem Boden liegend und kann das alles einfach nicht begreifen. Was ist nur mit seinem Freund los? Bisher hat er sich noch nie abfällig über seinen Glauben geäußert, auch wenn Kurt genau weiß, dass Logan selbst an überhaupt nichts glaubt – nicht mehr. Mit sichtlicher Sorge verfolgt Charles das Schauspiel. Er kann sich schon denken, welchen Trumpf der Schwarzhaarige versucht auszuspielen, ist sich verständlicherweise aber nicht sicher, ob es den gewünschten Effekt haben wird. Statt für seine Überzeugungen einzustehen und zu kämpfen, könnte der sensible Kurt immerhin auch an den harten Worten des anderen zerbrechen und sich völlig abschotten. Damit wäre dann die ganze Arbeit des letzten Monats dahin, und es wäre zudem fraglich, ob Nightcrawler dann noch hierbleiben will. Der Kanadier bewegt sich also auf einem überaus schmalen Grat, scheint sich seiner Sache aber erschreckend sicher zu sein. Egal, wie das Ganze jedoch ausgehen wird, Xavier kann es nicht rückgängig machen und sie müssen schlichtweg mit dem Ergebnis leben. Nur allzu verständlich, dass er dem daher Einhalt gebieten muss, ehe es zu spät ist. 5 Langsam wendet sich Logan zu ihm um, blickt ihn fest an. „Es gibt keinen Gott, Junge, sieh es ein. Und selbst wenn, würde er von dir nichts wissen wollen, da er genauso oberflächlich ist, wie der Rest dieser verkorksten Welt. Die Krönung seiner Schöpfung sieht nun einmal ganz anders aus.“, grinst der Jäger kalt, als würde er sich selbst als Krönung besagter Schöpfung ansehen. Dabei wedelt er mit der Kette herum, als wolle er sich als Hypnotiseur versuchen wollen, um den Elfen von seiner Meinung zu überzeugen. Deutlich kann er – und auch Xavier – dabei sehen, wie etwas im Blick des Blauhäutigen regelrecht zerbricht. Ganz langsam richtet sich der Junge nun auf, ohne die Augen vom hämisch grinsenden Wolverine abzuwenden. „Deine Abtrünnigkeit steht dir vor Augen, und du kennst deine Sünden: Abtrünnig sein und den Herrn verleugnen!“, kommt es dann in einer erstaunlich tiefen, nahezu knurrenden Stimmlage von ihn. Das Geräusch jagt selbst dem unerschrockenen Kanadier einen kurzen Schauer über den Rücken, der aber alles andere als Unwohlsein ausdrückt. Er lässt es sich jedoch nicht anmerken, sondern grinst nur weiter in sich hinein. Sein Plan scheint wohl doch aufzugehen. Schon einen Moment später springt Kurt auf die Füße, bleckt die spitzen Zähne zu seinem stummen Grollen und teleportiert sich weg. Den Bruchteil einer Sekunde zweifelt Logan daher doch kurz, dann taucht Nightcrawler direkt vor ihm auf. Mit der geballten Faust holt der Junge aus und schlägt dem Kleineren damit mitten auf die Nase. Der Jäger vernimmt ein widerliches Knirschen, als seine Nase unter der erstaunlich heftigen Krafteinwirkung bricht und ein Schwall Blut daraus hervorschießt. „Gib mir sofort meine Kette zurück und hör auf so gotteslästerlich zu sein, sonst wirst du es bereuen, Sünder!“, gebärt sich der sonst so friedliebende Elf aufgebracht. Für einen Augenblick ist Wolverine richtiggehend überrascht. Dann wischt er sich das Blut vom Gesicht und grinst wieder fies. „Zwing mich doch, Bursche!“, höhnt er und schiebt sich die Kette in die Tasche. „Worauf du dich verlassen kannst!“, entgegnet ihm der Jüngere zornig und holt abermals aus. In der Zwischenzeit hat der Heilfaktor schon dafür gesorgt, dass Logans Nase wieder in Ordnung gekommen ist, wodurch sie nun erneut bricht, während ihn die Faust des aufgebrachten Jungen trifft. So gefällt das dem Kanadier! Er wusste doch, dass er den Bengel damit hinter dem Ofen vorlocken kann und er muss zugeben, dass er weit fester zuschlagen kann, als er es vermutet hätte. Selbstredend kümmert ihn das nicht sonderlich, hat er doch nicht einmal ansatzweide Wolverines Kraft. Aber das braucht er auch nicht, die Hauptsache ist, dass er lernt damit umzugehen. Das Zorn ganz und gar nicht der richtige Ausgangspunkt dafür ist, ist Logan durchaus bewusst. Erst recht, da er sich selbst so ständig in Schwierigkeiten bringt oder einen Kampf anzettelt, der nicht sein müsste oder gar sein darf. Dem Jäger ist es für gewöhnlich jedoch einerlei, sein Heilfaktor bewahrt ihn schließlich vor dem Schlimmsten. Doch für Nightcrawler könnte es den Tod bedeuten, wenn er sich blind vor Zorn auf einen Gegner stürzt. Aber alles zu seiner Zeit. Jetzt ist nur wichtig, dass er das Prinzip des Kämpfens erlernt und herausfinden kann, wo seine Grenzen sind. Um das herauszufinden, stachelt ihn der vorwitzige Kanadier nun noch weiter an. Zu seiner sichtlichen Freude fällt Kurt auch weiterhin darauf herein und ist nun selbst derjenige, der nur noch rot sieht. Knurrend und fauchend wie eine aufgebrachte Katze steigert sich der Junge immer weiter hinein. Nahezu blind schlägt er wieder und wieder auf seinen vermeintlichen Gegner ein. Dieser wehrt sich anfangs überhaupt nicht, sondern analysiert in Seelenruhe die Kraft und Technik seines Gegenübers, lässt ihn ein bisschen Dampf ablassen. Nach einer Weile beginnt Wolverine den Schlägen bewusst auszuweichen, um die Reaktionszeit des Jüngeren zu testen. Kurt ist ziemlich schnell und obwohl er nahezu kopflos auf ihn einprügelt, scheint er doch noch einen Funken Beherrschung zu haben, der ihn gut reagieren lässt, wofür Logan ihn durchaus bewundert, ist er dazu ab einem gewissen Punkt selbst nicht mehr in der Lage. Vielleicht hat er den Elfen aber einfach nur noch nicht genug gereizt? Daher hört er nun auf zurückzuweichen und schlägt selbst nach ihm. Dem ersten Hieb kann der Blauhäutige auch noch erstaunlich gut ausweichen und stattdessen selbst einen Treffer landen. Der zweite Schlag schickt Nightcrawler allerdings zurück auf den Boden. Dort bleibt er jedoch nicht lange, sondern teleportiert sich wieder direkt in Logans Blickfeld. Angewidert weicht der Jäger vor dem beißenden Gestank zurück, kassiert dabei allerdings auch einen erneuten Treffer. Als er ausholen und zurückschlagen will, springt Kurt wieder außerhalb seiner Reichweite, nur um im nächsten Augenblick wieder direkt vor oder hinter ihm aufzutauchen und zuzuschlagen. Das gefällt Wolverine nun aber wirklich nicht mehr. Er wirft seinen Gedanken, dem Bengel doch eigentlich nicht ernsthaft wehtun zu wollen, endgültig über den Haufen. Nun ist er wieder auf hundertachtzig und keinesfalls mehr am Training interessiert. Dieser verhasste Gestank vernebelt ihm schlichtweg das Denken. So steigern sich die beiden in einen schier endlosen und aussichtslosen Kampf hinein, indem der Jäger in all seinem Zorn um sich schlägt und der Elf dem in immer neuen Schwefelwolken ausweicht und zurückschlägt. Ihr blanker Zorn auf einander ist praktisch im ganzen Gefahrenraum greifbar, ihre unnachgiebige Sturheit elektrisiert die Luft regelrecht. Das macht sie beide unvorsichtig, sodass sie nach kurzer Zeit ziemlich lädiert aussehen. Dem Kanadier macht das selbstredend nicht wirklich etwas aus, doch Kurt sieht bald aus, als wäre er im Käfig eines wildgewordenen Tigers gewesen, auch weil Logan im Zorn wieder seine Krallen benutzt. Das kann und darf definitiv nicht länger so weitergehen! 6 Lange genug hat sich Charles das tollkühne Treiben der beiden angesehen und nichts unternommen, da er die Hoffnung hatte, dass wenigstens Kurt einen Funken Selbstbeherrschung und rationalen Denkens behalten würde. Nun muss er aber feststellen, dass sich die beiden doch erschreckend ähnlich sind. Zudem, weil er dachte, dass Wolverine das Ganze vielleicht doch besser unter Kontrolle hat, als er es ihm zugetraut hätte. Zum anderen, weil er selbst sehen wollte, zu was Nightcrawler womöglich alles fähig ist. Doch es reicht nun wirklich! Der Jäger wird letztendlich unverwundet aus diesem Kampf hervorgehen, was man von dem blauen Elfen nun wirklich nicht behaupten kann. Dennoch hält sich der junge Mutant erstaunlich gut, trotz seines mitgenommenen Aussehens. Früher oder später wird einer von ihnen aber einen Fehler machen und es wird damit enden, dass Kurt elendig im Gefahrenraum sterben wird, ohne auch nur die kleinste Aussicht auf Rettung. Ein Blick auf die Konsolen bestätigt Xaviers Vermutung. Nightcrawlers Körper steht kurz vor einem völligen Zusammenbruch und wird praktisch nur noch durch seinen tiefgreifenden Zorn und Adrenalin auf den Beinen gehalten. Es ist nur noch eine Frage von Sekundenbruchteilen, bis er haltlos umkippen und somit dem tollwütigen Vielfraß hilflos erlegen sein wird. Ein scharfes Warnsignal gleitet über den Bildschirm des Computers hinweg, und kurz darauf erstirbt die Illusion des Waldes. Das scheint die beiden Kontrahenten jedoch nicht zu kümmern. Stattdessen gelingt es dem Blauhäutigen jetzt doch tatsächlich den Schwarzhaarigen zu Fall zu bringen. Knurrend hockt er kurz darauf auf dessen Brust und holt erneut mit seiner blutgetränkten Faust aus. Der Ältere will sich dem mit seinen Krallen entgegenstellen, doch nicht einfach, um Kurts Schlag abzuwehren. Nein, im Gegenteil. Sein Ziel ist der weiche, ungeschützte Bauch des Jungen, da er inzwischen einfach zu blind für etwas anderes handelt. Er will nur noch töten! In diesem Moment packen Charles´ mentale Finger mit all ihrer zur Verfügung stehenden Macht zu. Augenblicklich jagt ein schier alles betäubender Schmerz durch den aufgewühlten Verstand des jungen Elfen. In seinem Kopf kann er Xavier wie durch ein Megafon brüllen hören: ‚SOFORT AUFHÖREN!‘ Seine Stimme ist so schneidend, dass sie praktisch alle Lichter im Denken des Jüngsten auf einmal ausbläst. Die mentalen Finger halten ihn dabei fest umklammert, damit er sich nicht wehren kann. Dann jagt ein heftiges Zittern über den mitgenommenen Körper hinweg, Kurt reißt weit die seelenlosen Augen auf und stößt einen heiseren Schrei aus. Danach wird alles dunkel und er bricht reglos auf dem kalten Boden des Gefahrenraums zusammen. Bei Wolverine ist das Ganze nicht so einfach. Der Weg in seine Gedanken wird durch das Adamantium erschwert, sodass Charles einiges mehr an Kraft aufwenden muss, um hindurch zu kommen. Das genügt dem Jäger jedoch, sich darauf vorzubereiten. Sichtlich versucht er sich gegen diesen mentalen Angriff zur Wehr zu setzen und seinen Zorn weiter an dem nun ohnmächtigen Elfen auszulassen. Für einen Moment sieht es auch so aus, als würde es ihm gelingen. Tödlich glänzend nähern sich seine Klauen dem wehrlosen Körper am Boden. Dann schafft es der Professor eine Lücke zu entdecken und blitzschnell hindurch zu schlüpfen. Nun befindet er sich direkt in den wirren Gedanken des Kriegers und kann auf sie einwirken. ‚LOGAN, du musst aufhören! Er ist doch noch ein KIND!‘, teilt er ihm der Verzweiflung nahe mit und spürt dabei nur zu deutlich, wie sich allmählich ein Blackout in seinem Kopf anbahnt. Ehe er ihm jedoch erliegen kann, geht ein Zucken durch Wolverines angespannten Körper und eine Art primitive Erkenntnis huscht über seine vernebelten Augen hinweg. Wie ferngesteuert wirft er einen Blick auf Kurt hinab, ehe es auch in seinem Kopf dunkel wird und er neben dem Jungen zusammenbricht. Zitternd, aber von grenzenloser Erleichterung ergriffen, stößt Xavier die panisch angehaltene Luft mit einem haltlosen Seufzen aus. Kraftlos lässt er sich in seinen Rollstuhl zurücksinken und schließ für einen Moment die Augen, um sich sammeln zu können. Er gönnt sich jedoch nicht lange Ruhe, da er nur zu gut weiß, dass Logan jeder Zeit aufwachen könnte. Daher verlässt er den Kontrollraum auf schnellstem Weg und fährt zu der Stelle, an der die beiden noch immer am Boden liegen. Kaum kommt er neben ihnen zum Stehen, regt sich der Kanadier auch schon. Mit einem schmerzlichen Stöhnen stemmt er sich hoch und hält sich den pochenden Kopf. „Ah! So eine verdammte Scheiße...“, flucht er gequält, ehe er die Anwesenheit des Professors wahrnimmt und ihn mit seinen zornigen Blicken straft. „Du brauchst mich gar nicht so anzusehen, Logan, dass hast du dir selbst zuzuschreiben! Warum musstest du es auch so übertreiben?“, fragt der kahlköpfige Mann ihn aufgewühlt. „Krieg dich wieder ein! Hat doch bestens funktioniert...“, stöhnt der Angesprochene und streckt seinen Körper, wobei praktisch jeder Knochen ein unschönes Knirschen von sich zu geben scheint. „Willst du das wirklich so bezeichnen?“, will der Jüngere wissen und deutet dabei strafend auf den noch immer besinnungslosen Nightcrawler. Mit erhobener Augenbraue folgt der Jäger seinem Fingerzeig und registriert erst jetzt, wie schlimm es wirklich gewesen sein muss. Erschrocken reißt er die Augen auf. So viel Blut! Der junge Elf sieht aus, als hätte eine ganze Truppe von Schlägern auf ihn eingedroschen. Nur entfernt wird sich der Schwarzhaarige bewusst, dass Kurt das alles ertragen und sogar ausgehalten hat und letztendlich nur Charles´ Eingreifen ihn ausgeknockt hat. Ein kleiner Teil von Wolverine bewundert den Bengel dafür. Der Rest von ihm ist dagegen einfach nur erschüttert, was er in seiner blinden und unkontrollierten Wut wieder einmal angerichtet hat. „Scheiße...“, murmelt er sichtlich betroffen. „Das trifft es nicht einmal ansatzweise, fürchte ich!“, tadelt ihn Charles, doch der Ältere hört ihn gar nicht mehr. Seine ganze Aufmerksamkeit gilt jetzt Kurt. Nahezu scheu streckt er eine Hand nach ihm aus, die sogar sichtlich zittert, und streicht ihm ein paar schweißnasse Strähnen aus dem mitgenommenen Gesicht. Er kann deutlich riechen, dass der Elf unter all dem Blut noch lebt und es ihm den Umständen entsprechend gutgeht – sind das meiste doch einfach nur Kratzer –, dennoch schmerzt sein Herz, als wäre der Junge schon gestorben – durch SEINE Hand gestorben! Logan schluckt hart und dreht ihn dann vorsichtig auf den Rücken. Dabei gibt Nightcrawler ein schmerzliches Stöhnen von sich. „Kurt? Hey, du Elf, kannst du mich hören?“, kommt es mit nervöser Betroffenheit von dem Ältesten. Es brauch einen schier endlosen Moment, ehe der Blauhäutige flatternd die Augen aufschlägt und sich orientierungslos umzublicken beginnt. „Hey, Elf, sag was!“ „...Logan...?“ „Ja, ich bin hier. Ist alles in Ordnung?“, fragt er sorgenvoll. „Ich – denke schon. – Was ist passiert?“, will Kurt nun wissen und setzt sich mühevoll hin, wozu er allerdings etwas Hilfe von dem Jäger braucht. „Wir haben gekämpft. Erinnerst du dich nicht?“ „Doch schon. – Logan...?“ „Ja?“ „Gib mir meine Kette zurück, Mistkerl!“, erwidert der Junge nun erstaunlich streng. Verdutzt sieht der Angesprochene ihn an. Er hat das letzte Wort zwar nicht verstanden, doch es lässt keinen Zweifel zu, dass es ein Schimpfwort war. Wolverine hat den Bengel noch nie fluchen hören, was ihn sichtlich verwundert. Aber der Ausdruck in seinen seelenlosen Augen und seinem lädierten Gesicht bestätigen seinen Eindruck nur zu deutlich. Nahezu belustigt über diese Tatsache hebt sich Logans rechter Mundwinkel zum kecken Ansatz eines Grinsens. „Aber selbstverständlich.“, meint er ehrlich, greift in seine Tasche und legt die Kette dann behutsam in die wartende Hand des Jungen. „Danke. Und Logan? Mach das ja nicht noch einmal!“ Entwaffnend hebt der Jäger die Hände. „Würde mir nicht mal im Traum einfallen!“, gluckst er leicht, meint es aber dennoch ernst. Er hat sein Ziel erreicht und Kurt zum Kämpfen gebracht, mehr will er nicht. Das weitere Training wird ganz sicher auch auf eine angenehmere Weise funktionieren, da ist er sich ganz sicher. Allerdings kann er dem sonst so friedlichen Elf ansehen, dass auch er – trotz des ganzen Ärgers – irgendwie Spaß daran gehabt hat, und darauf kann der Ältere sicher gut aufbauen. Trick and alkohol ----------------- 1 Sichtlich zufrieden sieht Charles von seinen Notizen auf. Mit einem Lächeln betrachtet er Nightcrawler, der auf dem Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches ihm gegenübersitzt. Das Gesicht des Elfen ist eine faszinierende Mischung aus leichter Sorge und verhaltener Freude. Dies rührt daher, dass Xavier ihn sowohl gelobt wie auch getadelt hat. Kein Wunder also, dass sich Kurt wie ein unsicherer Schüler vorkommt, der zum Rektor muss – und im Grunde ist es ja auch nichts anderes. Die Gegensätzlichkeiten seiner Worte sind für den Blauhäutigen jedoch so undurchsichtig, dass er sich nicht sicher ist, ob er jetzt wirklich Ärger wegen irgendetwas bekommen wird, oder auch nicht. Daher sein fast schon amüsant anzusehender Gesichtsausdruck. Im Allgemeinen ist der Professor aber sehr zufrieden mit der bisherigen Entwicklung des jungen Mutanten. Dennoch setzt er ihn absichtlich diesem Druck aus, um zu sehen, wie er darauf reagiert, insbesondere wie es mit seinem manchmal doch etwas unterentwickelten Selbstvertrauen bestellt ist. „Ich denke, wir können das Verhör an dieser Stelle beenden, Kurt. Von daher darfst du dich gern entspannen und wieder Luft holen.“, meint der kahlköpfige Mann leicht kichernd. Der Angesprochene wird sichtlich purpurn um die Nase. „Verzeihung, es war nur so schwierig dem zu folgen. Nicht, dass ich dich nicht verstanden hätte, dem ist nicht so. Es ist vielmehr – ich weiß auch nicht...“ „Du musst dich keinesfalls rechtfertigen. Das Lob und der Tadel waren ernst gemeint, dennoch war das Ganze auch ein Test, um deine Reaktion in so einer Stresssituation zu betrachten. So oder so bin ich allerdings sehr zufrieden, wie du dich in den letzten zwei Monaten hier entwickelt hast und hoffe, dass das weiterhin so der Fall sein wird. Deine Ausbildung ist noch lange nicht abgeschlossen, wie du sicher ahnst. Dennoch kommst du inzwischen mit so ziemlich allem klar und das ist die Hauptsache. Von daher brauchst du dich der wenigen Dinge, die ich beanstandet habe, nicht grämen. Ich weiß, mit Logan als Lehrer ist das alles auch eine doppelte Herausforderung, sodass dich nicht allein die Schuld daran trifft. Ich bin aber froh, dass du ihm so gut die Stirn bietest und auch eigenständige Entscheidungen triffst und dich nicht nur blind von ihm befehligen lässt, was einem bei seiner überausgeprägten und temperamentvollen Dominanz durchaus sehr schwerfällt. Da können einige hier ein Lied von singen. Mit seiner Sturheit umzugehen, ist nicht einfach, doch er meint es im Allgemeinen nicht böse, hat nur eine etwas verschrobene Art, es einem zu zeigen.“ „Danke, Professor. Ich versuche mein Bestes.“ „Davon gehe ich fest aus, Junge. – In Ordnung, du kannst jetzt gehen. Sei aber so gut und schick Logan doch auch gleich zu mir, damit ich mit ihm reden kann.“, bittet Charles. Langsam erhebt sich der blaue Mutant. „Über mich?“, fragt er etwas unsicher. „Unter anderem auch über dich, ja. Doch es ist nichts, was wir zwei nicht gerade auch besprochen haben, von daher brauchst du dir keine Gedanken zu machen.“, versichert ihm der Ältere. „Okay. Auf Wiedersehen, Professor.“ „Auf Wiedersehen, Kurt.“ 2 Auf dem Flur verharrt Nightcrawler einen nachdenklichen Moment mit der geschlossenen Tür in seinem Rücken. Konzentriert geht er alles noch einmal durch, was Xavier in der letzten Stunde mit ihm besprochen hat. Wiegt die Worte genau ab und kommt schließlich zu dem Schluss, dass es sich nur im ersten Moment an einigen Stellen schlimm angehört hat. Natürlich hatte der Professor ein bisschen was zu beanstanden, doch kann er ihm das verübeln? Nein, definitiv nicht. Dem Elfen ist klar, dass er nicht auf Anhieb alles richtig machen kann und wird und, dass es daher manchmal etwas länger dauert, bis der gewünschte Lerneffekt eintritt. Und wie Charles es schon gesagt hat, ist Logan als Lehrer eine echte Herausforderung – sowohl für Kurt als auch für sich selbst, wie es dem Blauhäutigen manchmal scheint. Der Jäger hat halt in einigen Fällen etwas gewöhnungsbedürftige Ansichten und Methoden von allem, und da den möglichen Fehler zu finden, ist nun einmal nicht einfach, gehört aber unabdingbar zu Kurts Aufgaben, um den Erfolg zu erzielen, den der Professor ihm auferlegt hat. Im Nachhinein betrachtet war das Ganze jedoch gar nicht so schlimm und es bedeutet ihm viel, dass der Mann im Rollstuhl allerhand Lob für ihn übrighatte. Beim Gedanken daran huscht ein zufriedenes Lächeln über seine Züge hinweg und er ist durchaus willens so weiter zu machen. Nicht nur er lernt und wächst an dieser Aufgabe, auch Wolverine, wie ihm Charles erläutert hat. Der Krieger muss lernen sich besser zusammenzunehmen, Grenzen akzeptieren und Regeln befolgen, und das fällt ihm sehr schwer, völlig egal, wie lange er schon Teil des Ganzen hier ist. Xavier meinte aber auch, dass Kurt einen guten Einfluss auf den temperamentvollen Kanadier zu haben scheint. Es gelingt dem Elfen zwar reihenweise, ihn zum Ausrasten zu bringen – ausversehen oder absichtlich sei mal dahingestellt –, aber er macht ihn auch ein ums andere Mal ruhiger, gesitteter und verantwortungsbewusster. Somit hat ihre Beziehung auf beiden Seiten Vor- und Nachteile und gleicht sich ziemlich gut aus. Seufzend stößt er die Luft aus und beendet diesen Gedanken. Dafür fällt ihm wieder ein, dass der Professor ihn ja gebeten hat, Logan zu ihm zu schicken. Erneut huscht ein Lächeln über seine Lippen hinweg, diesmal hat es allerdings etwas sichtlich Durchtriebenes an sich. Warum ihm auch nur Bescheid geben, wenn man den alten Griesgram auch ärgern kann? Ein vorfreudiges Kichern steigt in seiner Kehle hinauf, während er langsam den Flur entlang zu Wolverines Zimmer schlendert. Oh ja, sie haben beide noch sehr viel zu lernen! 3 Während Kurt vor Xaviers Tür steht und grübelt, lässt sich der Kanadier seufzend in seinem Sessel nieder und will sich seiner wohlverdienten Ruhe hingeben. Zufrieden schiebt er sich eine Zigarre zwischen die Lippen, zündet sie an und saugt den süßlich-scharfen Rauch begierig in seine Lungen. Den Bruchteil eines Augenblicks füllt sich sein Kopf mit herrlicher Leichtigkeit und er schließt wohlwollend die Augen, um es zu genießen. Die Freude darüber hält jedoch nur kurz, dann greift sein Selbstheilungsfaktor und zerstört das leichte Gefühl in seinen Gedanken mit spürbarer Heftigkeit. Im Grunde würde er sich gern darüber ärgern, doch es ist seit jeher das Gleiche und er kann es nun einmal nicht ändern. Also bringt es nichts, sich darüber aufzuregen. Stattdessen ignoriert er es und geniest daher einfach den herben Geschmack des Tabaks auf seiner Zunge. Kurz darauf greift er auf das kleine Tischchen neben seinem Sessel und langt nach der Flasche darauf. Feine Kondenströpfchen perlen über die glatte Oberfläche des braunen Glases, das sich herrlich kühl unter seinen grobschlächtigen Fingern anfühlt. Kurz darauf ertönt ein befreites Zischen, als seine Kralle den Kronkorken vom schlanken Flaschenhals hebelt, und der prickelnde Hopfengeruch steigt ihm augenblicklich in die Nase. Tief saugt er ihn ein und nimmt die Zigarre aus dem Mund, um einen großen Schluck zu kosten. Als sich das eiskalte Bier schäumend in seinen Magen ergießt und sich der durchdringende Geschmack des Alkohols in seinem Körper breitmacht, empfindet er kurz wieder ein leichtes Gefühl im Kopf, doch es verschwindet noch weit schneller, als der beschwingende Gedanke des Tabaks. Wie immer frustrierend, sich nicht dieser tröstenden Umarmung hingeben zu können, aber nicht zu ändern. Auch damit hat er sich schon lange abgefunden und genießt stattdessen auch hier nur den vertrauten Geschmack auf der Zunge. Langsam legt er den Kopf in den Nacken und schließt die Augen. So sitzt er rauchend und trinkend einfach nur da und genießt seinen Frieden. Allzu lange kann er sich selbst aber nicht, wie eigentlich gehofft, vom Denken abhalten. Stattdessen taucht vor seinem inneren Auge ein Bild von Nightcrawler auf. Leise in sich hinein grummelnd versucht er es wieder zu vertreiben, doch es will ihm nicht sonderlich gut gelingen. Dafür mischt sich nun ein anderer – man könnte durchaus sagen ein momentan ziemlich vernachlässigter – Teil seines Körpers ein und klammert sich regelrecht an die Vorstellung des inzwischen doch recht kecken Elfen. Logan schluckt unweigerlich hart, was die Reaktion in seinen Lenden nur noch mehr anstachelt. Knurrend öffnet er die Augen und betrachtet mürrisch das menschenleere Zimmer, in dem er sitzt. Es hilft aber ebenfalls nichts. Dafür verfestigt sich die Vorstellung des blauen Jungen nur noch mehr – manifestiert sich richtiggehend wie eine Fata Morgana vor ihm. Vielleicht bewirken diese lächerlichen Abkömmlinge von einer Droge zur Abwechslung ja doch mal etwas in ihm? Heilfaktor hin oder her. Vielleicht ist es aber auch einfach nur seine Wunschvorstellung, die sich ihm überdeutlich aufzudrängen versucht? Kein Wunder, wo er ihm doch jeden Tag so nahe ist, ohne ihm wirklich nahe zu sein. Mit seltsam vernebeltem Blick beobachtet er daher durchaus interessiert, wie sich die fast schon greifbare Illusion Nightcrawlers immer deutlicher vor ihm auftut. Sanft und wohlwollend lächelt die geisterhafte Erscheinung des Blauhäutigen ihm entgegen. Unwillkürlich fängt auch Wolverine an zu schmunzeln. Lautlos nähert sich ihm nun die durchschimmernde Gestalt des jungen Mutanten. Mit einer überaus eleganten – ja geradezu lasziven –, aber seltsam gewichtslosen Geste setzt sich Kurt nun breitbeinig auf den Schoß des Kanadiers, was dessen Erregung augenblicklich endgültig aus ihrem Schlaf erwachen lässt. Es gibt zwar keinen realen Körper, gegen die sie sich drücken könnte, doch das scheint das erhitze Organ nicht im Geringsten zu stören – Fantasie beflügelt, wie es so schön heißt. Scharf zieht Logan die Luft ein und blickt den Elfen durch seine vernebelten Augen hindurch an. Kurts seelenlose Iriden mustern ihn mit einem, ihm bis dato noch unbekannten, Funkeln, das tiefe Lust auszudrücken scheinen vermag. Erneut schluckt Wolverine hart, fühlt sich dabei seltsam hilflos, und versucht ein letztes Mal seine aufgewühlten Gedanken von diesem erregenden Tagtraum abzuwenden – vollkommen erfolglos, wie er sehr schnell feststellt, es wird eher nur schlimmer. Kein Wunder, er will es ja auch eigentlich gar nicht anders. Das Einzige, was er wirklich will, ist Kurt, am besten genauso, wie er hier jetzt auf seinem Schoß sitzt! ‚...Logan...‘, haucht ihm die Gestalt stimmlos entgegen, sodass ein erregter Schauer den Rücken des Kriegers hinabgleitet. Er kann ihn zwar nicht direkt hören, doch Lippenlesen ist kein Problem, erst recht nicht, da der Geist das Wort überaus deutlich formt und dabei auch noch so unglaublich erregend aussieht. Er erwidert dem Ganzen nichts, doch das scheint Nightcrawler nicht zu stören. Stattdessen beugt sich der Elf nun mit geisterhafter Langsamkeit zu ihm vor. Seine Arme schlingen sich ohne jegliche Substanz um Logans Nacken. Nur eine Sekunde trennt die beiden noch von ihrem allerersten Kuss. Willentlich kommt Wolverine ihm entgegen, obwohl er eigentlich nie vorhatte, ihn überhaupt jemals zu küssen. Es könnte Gefühle in seinem gebrochenen Herzen auslösen, die er sich geschworen hatte, nie wieder empfinden zu wollen. Aus dem ganz einfachen Grund, weil er regelrecht Angst davor hat, wieder so grausam verletzt zu werden. Auf eine Art und Weise verletzt zu werden, die nicht einmal sein immer wieder so verhasster Heilfaktor jemals lindern können wird. Jedes Mal, wenn er sich bisher verliebt hatte, endete es früher oder später tragisch. Doch er ist dazu verdammt mit seinen furchtbaren Erinnerungen bis in alle Ewigkeit auf dieser Erde zu wandeln, während die Personen, die er in sein Herz geschlossen und geschoren hatte, sie mit aller Macht zu beschützen, auf überaus grausame Weise den Tod fanden – und jedes Mal war es seine Schuld! Sie mussten schlichtweg dafür büßen, ihn überhaupt zu kennen, und wurden schlussendlich immer als Druckmittel benutzt, um ihm einen anderen Willen aufzuzwingen. Ihn zu einer gefühllosen und seelenlosen Kampfmaschine heranzuzüchten, die geistlos Befehle auszuführen hatte und jeden zu töten, der ihm unter die Augen kam. Freund oder Feind war dabei einerlei, solange es dem geforderten Ganzen entsprach, das man ihm einzutrichtern versucht hat. Alles Verweigern hat nichts gebracht, gestorben sind seine Liebsten so oder so. Dem konnte er nicht entkommen, wohl aber den finsteren Mächten, die hinter ihm her waren. Zumindest zeitweise. Hier fand er letztendlich eine Zuflucht. Aber was hat es ihm wirklich gebracht? Ein unendlich oft gebrochenes Herz, das sich vor jeder Art von Zuneigung vor Angst zu verkriechen versucht! Zudem so abgestumpfte Gefühle, dass nur seine unbändige Wut und seine animalische Triebhaftigkeit das einzig Beherrschende in ihm sind, und ihm so noch mehr Leid zufügen, weil sie nicht selten auch die Falschen treffen oder sich gar auf unberechenbare Weise vermischen. Daher hat er sich schon vor sehr langer Zeit darauf beschränkt, wenn überhaupt, nur noch rein körperliche Beziehungen einzugehen und das hat ihm auch stets genüg. Mit Kurt soll das nicht anders werden, weil er ihn unter keinen Umständen verlieren will oder auch nur darf. Er ist auf so viele Arten für das junge Leben des Bengels verantwortlich, dass er sich schlichtweg keinen Fehler erlauben kann. Nicht mitansehen will, wie er seinetwegen grausam sterben muss... Als ihm dieser Gedanke überaus schmerzlich bewusstwird, wendet er tiefbetrübt den Blick von der geisterhaften Erscheinung des Elfen ab. Gnädiger Weise ist seine sonst so ungezügelte Erregung doch tatsächlich einmal der gleichen Meinung und legt sich praktisch augenblicklich. Einen Moment später löst sich der Körper des Blauhäutigen langsam wieder auf. Nicht aber, ohne dass Logan eine tiefe Verletztheit in seinem zarten, ach so traurigen Gesicht sehen kann. Eine Geisterträne rinnt sogar seine pelzige Wange hinab, ohne jemals irgendwohin zu fallen. Dann ist Wolverine wieder völlig allein in seinem Zimmer. Der Tagtraum scheint beendet. „Scheiße...“, brummt er in sich hinein, legt abermals den Kopf in den Nacken und starrt dann grimmig zur halbdunklen Zimmerdecke hinauf. Stumm verflucht er sich für all diesen Mist in seinem Schädel und wünscht sich ein ums andere Mal, er würde einfach tot umfallen... 4 Seine Laune, und somit auch seine erhoffte Entspannung, sind für heute damit wohl endgültig dahin. Und was soll er jetzt noch mit sich anfangen? Augenblicklich fällt ihm Kurt wieder ein. Im ersten Moment verzieht er deswegen nahezu angewidert das Gesicht, doch ganz sicher nicht, weil ihn die Vorstellung des Elfen – erst recht nicht nach der Nummer eben – abstoßen würde. Gewiss nicht. Es ist vielmehr die Tatsache, dass er gehofft hat, ihn länger aus seinen Gedanken vertreiben zu können. Nachdrücklich schiebt er die Vorstellung beiseite und konzentriert sich wieder. An sich ist der Gedanke an den jungen Mutanten aber doch nicht so schlimm. Immerhin kann ihn der Bengel ja durchaus auf mehr als nur diese eine Weise ablenken. Mit dem Training sind sie für heute zwar schon durch, das heißt aber noch lange nicht, dass er den Blauhäutigen nicht noch ein bisschen rumscheuchen oder piesacken kann, um sich etwas für diesen miesen Tagtraum zu entschädigen. Völlig ungeachtet, dass Kurt davon ja nichts weiß und daher auch gar nicht bewusst daran schuld ist. Die Vorstellung gefällt ihm von Sekunde zu Sekunde besser. Ein Grinsen schleicht sich auf seine Lippen, während er eine dicke Rauchwolke ausstößt. Dann nimmt er einen großen Schluck Bier und will die Flasche anschließend zurück auf den Tisch stellen, damit er sich auf die Suche nach Nightcrawler machen kann. Soweit kommt er allerdings gar nicht erst. Ehe die braune Glasflasche die schon ziemlich lädierte Oberfläche des Tisches überhaupt erreicht, ertönt auf einmal ein ihm nur allzu bekanntes Geräusch direkt vor seiner Nase. Bamf! Angewidert registriert Wolverine die damit einhergehende Schwefelwolke. Zwar hat er sich in der Zwischenzeit schon etwas daran gewöhnt, ist der Geruch doch untrennbar mit dem Bengel verbunden, dennoch platzt ihm noch immer fast der Schädel, wenn es in seiner unmittelbaren Nähe passiert und seine überempfindlichen Sinne damit regelrecht erschlagen werden. Ehe er jedoch überhaupt wieder richtig Luft holen kann, senkt sich ein Gewicht auf seinen Schoß. Als die purpurne Wolke verschwindet, erkennt er Kurt direkt vor sich. Sofort fällt ihm sein Tagtraum wieder ein und er reißt überrascht die Augen auf. War das Ganze also womöglich gar kein Traum, keine Wunschvorstellung seines mitgenommenen Schädels und durchaus vernachlässigten Körpers, sondern eine Art Vision, eine Vorahnung? Er ist nahe dran, das für möglich zu halten. Allerdings bemerkt er schnell, dass seine Vorstellung nicht eins zu eins mit dem Hier und Jetzt übereinstimmt. In seiner Fantasie saß Kurt breitbeinig und willens auf seinem Schoß. Der echte Nightcrawler kauert jedoch auf den Zehen hockend auf Wolverines Oberschenkeln und wahrt damit genug Distanz zu Logans Lenden, um dessen möglicherweise erneut erwachende Erregung nicht sofort zu bemerken. Das macht das Ganze in den Augen des Jägers jedoch nicht sonderlich viel besser. Der Blick des Elfen gleicht dem seines geisterhaften Ebenbilds dafür schon weit mehr. Ein sanftmütiges Lächeln ziert seine jugendlichen Züge und seine seelenlosen Augen zeigen zumindest schon den Ansatz dieses von Älteren so heißersehnten Schlafzimmerblicks, dem der Schwarzhaarige gerade noch versucht hat zu entkommen. „Hallo, mein Freund...“, raunt der Blauhäutige nun und kommt ihm dabei fast schon erschreckend nahe. Nun ist es durchaus wieder wie in seinem Traum. Nur wenige Zentimeter trennen sie noch voneinander. Der Angesprochene schluckt hart und versucht sich zu irgendeiner abwehrenden Reaktion zu zwingen, was ihm aber irgendwie nicht gelingen will. Wolverine ist richtiggehend erstarrt, gleich einem Reh im Scheinwerferlicht, und das ist alles andere als typisch für ihn und seinen sonst so überaus verlässlichen Kampfinstinkt. Dieser Anblick scheint Kurt durchaus zu vergnügen. Aus seinem sanften Lächeln wird nun ein kleines Grinsen, hinter dem sich ganz sicher wieder eine seiner Frechheiten zu verbergen versucht. Er streckt die Hand aus und zieht dem Krieger nun die Zigarre aus dem Mund, ehe sie womöglich hinabfällt, weil dieser so starr geworden ist. Ungeachtet legt er die glimmende Tabakrolle in den Aschenbecher auf dem nebenstehenden Tischchen ab. Dabei lässt er sein irritiertes Gegenüber nicht eine Sekunde aus den Augen. Stattdessen nähert er sich ihm sogar noch ein Stück mehr, da der Weg ja nun frei ist. „...Elf...“, gibt Wolverine in einem völlig untypisch verkrampften Tonfall von sich, sodass sich der Junge schon etwas zu fragen beginnt, was sein Kollege wohl gerade für Gedanken haben mag. Das wirkt sich aber nicht auf sein weiteres Handeln aus. „Ja?“, erwidert er ihm daher in seinem anfänglich raunenden Tonfall und lächelt überaus entzückend. Durch den täglichen Umgang mit dem Elfen kennt Logan inzwischen sehr viele seiner deutschsprachigen Ausdrücke, dass sich der Jäger dahingehend nur noch wenig den Kopf zerbrechen muss. Viel mehr bereiten ihm die ungewohnte Stimmlage und Stellung des Jungen gerade Probleme, da er seinen Tagtraum nur wieder allzu deutlich vor Augen hat. Das fesselt ihn so sehr, dass er Nightcrawler gar nicht weiter antworten kann. Der Blauhäutige stört sich aber auch daran nicht und greift nun stattdessen nach der Bierflasche, die Wolverine immer noch mit seiner verkrampften Hand festhält. „Ich leih mir die mal eben aus, ja?“, haucht er dem Älteren entgegen und windet ihm dabei geschickt die Flasche aus den Fingern. Der Schwarzhaarige bemerkt es kaum und wehrt sich daher auch nicht dagegen. Mit leicht erhobener Augenbraue betrachtet Kurt seine Reaktionslosigkeit nun doch, ist Wolverine sein Bier doch mindestens so heilig wie seine Zigarre, für deren Entwendung Nightcrawler ja auch schon kein typisches Entgegenkommen erhalten hat. ‚Woran denkst du bloß?‘, geht es ihm unweigerlich wieder durch den Kopf. Allerdings wird sein schöner Plan haltlos scheitern, wenn er keine angemessene Reaktion aus dem Jäger herausbekommen kann. Zudem wird es somit auch schwer, ihn zu Charles zu bringen, der sicher nicht ewig darauf warten wird, dass Wolverine bei ihm auftaucht. Dennoch will sich Kurt den Spaß nicht selbst verderben, also einen Gang hochschalten! Irgendwie kommt ihm nämlich schon so langsam in den Sinn, woran der gute Logan denken könnte. Daher wedelt er nun ein bisschen mit der Bierflasche vorm Gesicht des Älteren herum, um wieder halbwegs seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Immerhin funktioniert wenigstens das, und der Jäger kommt blinzelnd wieder etwas zur Besinnung. Dennoch starrt er Nightcrawler wie ein Auto an. Allein dieser Anblick ist es schon wehrt, hier zu sein. „Was zum...“, entkommt es dem Vielfraß nun ungläubig und er wird sich etwas mehr der Situation bewusst. „Na, willst du das wiederhaben?“, fragt der Blauhäutige nun frech und wedelt wieder mit der Flasche vor seinem Gesicht herum. Als Logan danach greifen will, wickelt sich der Schweif des Elfen um den Flaschenhals und hält das Bier damit sichtlich außerhalb der Reichweite des Kanadiers. „Gib das sofort her!“, knurrt dieser nun, kommt aber selbstredend nicht ran. Dafür beugt sich Nightcrawler nun wieder überaus dicht zu ihm heran, sodass Wolverine sein weiches Fell über seine Wange streichen spüren kann, als der Elf ihm ins Ohr flüstert. Augenblicklich erstarrt der Ältere wieder auf diese ungewohnt seltsame Weise, kann sich gar nicht dagegen zur Wehr setzen. Es ist fast so, als hätte sich Charles in seinen Geist eingeschlichen und würde ihn mental zum Stillhalten zwingen, doch dem ist nicht so, und Kurt zu dergleichen gar nicht in der Lage. Dennoch animiert ihn der blaue Mutant gerade irgendwie dazu. Vielleicht ist es aber auch sein eigenes Unterbewusstsein, das zu verhindern versucht, dass er einen schweren Fehler begeht, wenn er sich jetzt blind vor Erregung auf das Spielchen des Jungen einlässt, und es womöglich an der Stelle seines Tagtraumes weitergeht, der er sich so harsch versucht hat zu entziehen? „Fang mich, wenn du kannst!“, haucht Kurt ihm ins Ohr und Logan kann dabei deutlich das Grinsen des Bengels spüren. Der Geruch des Jungen verrät ihm im Moment, entgegen seines anzüglichen Verhaltens, jedoch keinerlei Lustverlangen. Dafür steigt aber wahrnehmbar sein Adrenalinspiegel an, in Vorbereitung auf die Verfolgungsjagd, die er mit dem Älteren anzuzetteln versucht. Irgendwie erleichtert Logan diese Tatsache doch ungemein und er ist sehr froh, dass sein Geruchssinn ihm diese Information liefern kann. Muss ja wenigstens auch mal irgendeinen Vorteil haben, ein verdammter Mutant zu sein. Dadurch entspannt er sich auch sichtlich und muss nicht mehr ganz so sehr fürchten, einen Fehler zu machen. Ehe er sich aber wirklich über diese Entwicklung freuen kann, teleportiert sich der Elf auch schon davon – und mit sich Wolverines Bier! Sichtlich perplex verweilt der Krieger noch ein paar Momente auf seinem Sessel und versucht das gerade alles irgendwie in seinen Kopf zu bekommen. 5 Einen Sekundenbruchteil später erscheint Kurt auf dem Flur vor Logans Zimmertür. Schelmisch grinst er über das ganze Gesicht und wartet gespannt auf eine Reaktion des Älteren. „Huch...?!“, ertönt es dann hinter ihm. Bevor besagte Reaktion allerdings eintritt, schreckt der Elf selbst zusammen und hätte sich glatt erneut teleportiert, wenn er nicht noch im letzten Moment einen Blick über die Schulter werfen würde. Dort sieht er nun Ororo, die etwas verwundert in ihrer eigenen Tür steht. Es sieht aus, als wollte sie gerade ihr Zimmer verlassen, als Nightcrawler so unvermittelt vor ihr auf dem Flur aufgetaucht ist. Mit klopfendem Herzen dreht er sich zu ihr herum und sieht sie entschuldigend an. „Oh, hallo, Prinzessin. – Ich hoffe, ich habe dich nicht allzu sehr erschreckt...“, leicht schuldbewusst senkt er etwas den Kopf. Selbst wenn sie es gewollt hätte, könnte Storm ihm jetzt wohl kaum noch böse sein, daher winkt sie beruhigend ab. „Keine Sorge, Kurt, ich bin Schlimmeres gewöhnt.“, meint sie lächelnd und der nahezu herzzerreißend deprimierte Ausdruck in seinem Gesicht verschwindet wieder. Kurz darauf entdeckt sie die angebrochene Bierflasche in seiner Hand und kann sich nur zu gut vorstellen, was er eben gemacht hat. „Wie ich sehe, bist du gerade wieder schwer damit beschäftigt, Logan zu einer außerplanmäßigen Sportstunde zu animieren.“, stellt sie in den Raum und kichert dabei verhalten hinter der Hand. Er folgt ihrem Blick und grinst dann wieder schelmisch. „Wo denkst du nur hin? So etwas würde mir doch nie einfallen! Der Professor bat mich lediglich, Wolverine zu ihm zu schicken, und genau das bin ich gerade in Begriff zu tun.“, erwidert Kurt weiterhin grinsend und tut dabei so, als würde er sie für ihre Anschuldigungen rügen wollen. Das bringt Ororo nur wieder zum Kichern. „Nun gut, wie du meinst. Dann will ich dich gar nicht weiter dabei stören.“, entgegnet sie ihm, wobei es allerdings nicht so aussieht, als würde sie nun ihrer Wege ziehen. Stattdessen stehen sie sich weiterhin gegenüber und blicken sich tief in die Augen. Plötzlich wird die schon beinahe knisternde Stille, die zwischen ihnen eingetreten ist, allerdings jeher unterbrochen. „Gib mir sofort mein Bier wieder, du elender Flohfänger!“, tönt Logans Stimme nur wenig durch das Holz der Tür gedämpft zu ihnen nach draußen. Schwere Schritte sind daraufhin von drinnen zu hören. „Oh, ich fürchte, ich muss gehen, Prinzessin.“, kommt es sichtlich geknickt von dem Blauhäutigen. Trotz der hörbaren Gefahr im Nacken, nimmt sich Nightcrawler dennoch die Zeit, überaus sanft Storms Hand zu ergreifen. Eine Sekunde sieht er ihr noch einmal tief in die Augen und zwinkert dann keck. „Küss die Hand, schönes Fräulein!“, meint er ganz in der Stimmlage des wohlerzogenen Gentlemans und drückt seine Lippen dann hauchzart einen Moment auf ihren Handrücken. Wieder einmal scheint ihr Herz bei dieser Tat vor Glück regelrecht zerspringen zu wollen, und verhaltene Röte ziert ihre Wangen. Als nur eine Sekunde später wuchtig die Tür aufgerissen wird und der tollwütige Vielfraß grimmig knurrend und mit tödlich glänzenden Krallen unter der Zarge erscheint, lässt Kurt grinsend von ihr ab. Vom wohlerzogenen Gentleman ist nichts mehr zu sehen, stattdessen bahnt sich der freche Bengel in Kurt ungehindert seinen Weg an die Oberfläche, und die beiden beginnen ihre halsbrecherische Verfolgungsjagd. Es ist, als würde Ororo gar nicht mehr existieren. Leicht verschränkt sie die Arme vor der Brust und schüttelt lächelnd den Kopf. „Diese beiden...“, meint sie mehr zu sich selbst und fragt sich ein ums andere Mal, wie es sein kann, dass Kurt einerseits so höflich und andererseits so dreist sein kann. Beides passt hervorragend zu ihm und jeder seiner vielschichtigen Charakterzüge scheint einzig und allein einer ganz bestimmten Person vorbehalten zu sein. 6 Nachdem Kurt sich aus seinem Zimmer teleportiert hat, sitzt Logan einfach nur da und versucht wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Sein Tagtraum will ihm einfach nicht aus dem Schädel gehen. Es ist zum Haare raufen! Allerdings war das gerade kein Traum. Es fühlte sich alles viel zu echt an. Brummend versucht er es zu verdrängen. Wolverine hat jetzt auch schlichtweg keinen Nerv, sich von dem Bengel auf den Arm nehmen zu lassen. Soll er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst! Der Schwarzhaarige wird sich diesmal ganz sicher nicht dazu hinreißen lassen, hinter ihm herzujagen. Das würde nicht gut enden... Also versucht er den Unfug des blauen Mutanten zu ignorieren und sich wieder seiner wohlverdienten Entspannung hinzugeben. Tief atmet er ein und aus, merkt dabei, wie sich sein Geist wieder etwas klärt. Fast schon einem Reflex folgend greift er dann nach seiner Zigarre im Aschenbecher und saugt ihren herrlichen Geschmack in sein ein. Jetzt nur noch ein schöner Schluck Bier und es ist fast so, als wäre der verdammte Elf nie hier gewesen. Verwundert muss er jedoch feststellen, dass sein heißgeliebtes Bier nicht mehr da ist. Schlagartig reißt Wolverine die Augen auf. Die Erkenntnis schlägt wie ein Hammer auf ihn ein. Kurt hat ihm auf überaus dreiste Weise die Flasche abgenommen und ist damit verschwunden, um sicherzustellen, dass der Kanadier sein mieses Spielchen auch mitmacht! Tief brummt er in sich hinein. Na und? Soll der Bengel doch glauben, was er will. Logan wird sich diesmal definitiv nicht darauf einlassen. Es ist zwar wirklich äußerst schade um das angebrochene Bier, aber dann nimmt er sich eben ein anderes und zieht dem vorlauten Mutanten später dafür das Fell über die Ohren. Eine weitere Erkenntnis trifft ihn allerdings unvermittelt: Es war sein letztes Bier! „Verdammt...!“, kommt es zähneknirschend von dem zu kurzgeratenen Jäger. Das ist nun wirklich ein Problem und er kann es nicht so einfach unter den Teppich kehren, wie er es gehofft hat. Ruckartig steht er daher auf und fährt die Krallen aus. „Gib mir sofort mein Bier wieder, du elender Flohfänger!“, brüllt er ungehalten und hofft, dass Kurt ihn auch hören kann. Doch wie ihm scheint, ist der Bengel nicht allzu weit gekommen, er kann ihn auf dem Flur reden hören. Wütend stapft er daher zur Tür und reißt sie auf. Nur eine Sekunde registriert er, dass es sich bei Kurts Gesprächspartner um Storm handelt. Allerdings hat er im Moment so gar keinen Blick für die aufreizende Schönheit, der er unter normalen Umständen nur allzu gern erliegt. Stattdessen fixieren seine dunklen Augen den Elfen vor sich, der ihn auch noch rotzfrech angrinst. Das reicht nun wirklich! Knurrend hält Logan auf ihn zu. Doch wie nicht anders zu erwarten, teleportiert sich der Junge hinweg und taucht kurz darauf an der Decke wieder auf. 7 Grinsend streckt Kurt ihm die Zunge heraus und wedelt mit dem Bier vor seiner Nase herum. „Willst du das? Dann fang mich!“, neckt er den Älteren. „Na warte, Bürschchen!“, faucht der Krieger und setzt sich in Bewegung. Nightcrawler macht es ihm verständlicherweise nicht so einfach. Daher springt er wieder auf den Boden, nur um gleich wieder weiter zu hüpfen. Glücklicherweise verzichtet er aufs Teleportieren und springt daher nur wie ein Floh im Zickzack von einer Seite des Flurs zur anderen. Sein Schweif hält dabei fest die Bierflasche umklammert, immer gerade außerhalb von Wolverines Reichweite. Nur allzu verständlich, dass das den Kanadier nur noch mehr anstachelt. Je mehr sich dieser jedoch aufregt, desto mehr Freude scheint Kurt an alledem zu haben. Ausgelassen kichernd hastet er wie ein junger Springbock den Flur hinunter und nähert sich dabei zielstrebig der Tür des Professors, während Logan wie toll hinter ihm herjagt und wilde Verwünschungen brüllt. Der Lärm braucht daher auch nicht lange, um Charles aus jeglichem Gedanken zu reißen. Seufzend rollt er zur Tür und öffnet sie. Das Bild, das sich ihm bietet, hätte er sich wohl auch so denken können. Ehe er allerdings dazu kommt, etwas zu sagen, landet Nightcrawler auch schon direkt vor ihm auf dem Boden. Wolverine folgt ihm mit nicht gerade großem Abstand, weshalb die Eile dem Jungen deutlich ins Gesicht geschrieben steht. „Bitte sehr!“, meint der Elf daher knapp, drückt Xavier die Bierflasche in die Hand und teleportiert sich dann schleunigst davon. Noch etwas perplex hält der Professor die Flasche in der Rechten, während er mit der Linken verhalten die abziehende Schwefelwolke hinfort wedelt. Da taucht auch schon Logan vor ihm auf, zähneknirschend und schnaufend wie ein wilder Stier. „Wo ist der kleine Scheißer hin?“, fragt er knurrend und wendet sich schon um, um nach ihm zu schnüffeln. Dabei merkt er praktisch gar nicht, dass der Professor vor ihm sitzt. Einen Moment später scheint der Jäger die Fährte wieder aufgenommen zu haben und will schon weiterhetzen. „Logan!“, unterbricht Charles ihn daher, oder besser gesagt, er versucht es. Der Angesprochene reagiert jedoch nicht darauf. „Ich kann dich riechen, Bengel!“, grinst der Jäger stattdessen gehässig. „Logan!“, kommt es nun weit schärfer vom Professor. Allerdings bekommt er immer noch keine Reaktion. „Du kannst vielleicht weglaufen, Elf, aber du kannst dich nicht vor mir verstecken!“, knurrt der Ältere angriffslustig und setzt sich wieder in Bewegung. Xavier hat jedoch so gar keinen Nerv dafür. Daher streckt er schnell seine mentalen Finger aus, um sich endlich Gehör zu verschaffen. ‚LOGAN!‘, hallt es augenblicklich überdeutlich im Kopf des Jägers. Dieser gibt einen gequälten Laut von sich und reißt sich dann wieder aus dem geistigen Klammergriff los. Charles gibt sich auch nicht die Mühe, ihn davon abzuhalten. Er hat nun die Aufmerksamkeit des Anderen und das genügt ihm völlig. „Was?“, kommt es nun überaus ungehalten von dem Schwarzhaarigen, der sich ruckartig herumdreht. Allerdings wird ihm erst jetzt richtig bewusst, dass der Professor hier ist. Von daher lässt er langsam und unwillentlich die kampfbereit erhobenen Arme sinken und fährt die Krallen wieder ein. „Hallo, Logan.“, kommt es nun erstaunlich gelassen von dem kahlköpfigen Mann, was definitiv nichts Gutes zu bedeuten hat. „Scheiße...“, ist daher die einzige Antwort des zu kurzgeratenen Mannes. Einen Moment herrscht erdrückendes Schweigen zwischen den beiden, dann entdeckt Wolverine sein Bier in der Hand des Rollstuhlfahrers. Zielstrebig will er danach greifen, doch Charles zieht die Hand zurück, woraufhin ihn Logan mit einem ziemlich trotzigen, kindlich wirkenden Schmollen mustert, das so gar nicht zu seiner kämpferischen Ader passt. „Du bekommst es wieder, wenn wir mit unserer kleinen Besprechung fertig sind.“, versichert ihm der Jüngere nun, wendet den Rollstuhl und fährt langsam zurück in sein Büro. „Das war nicht meine Schuld! Der Elf hat mich angestachelt.“, versucht sich der Kleinere zu rechtfertigen. „Ich weiß. Ich habe ihn darum gebeten.“, erwidert Charles ruhig, ohne sich umzuwenden. „Was zum...?“, entkommt es Wolverine wieder ungehalten. Inzwischen ist Xavier hinter seinem Schreibtisch angekommen und stellt das Bier neben sich auf der Platte ab. „Ich habe ihn eigentlich darum gebeten, dich zu mir zu schicken. – Was er allerdings daraus gemacht hat, war von mir so nicht beabsichtigt. Das ist aber auch egal jetzt. Ich will mit dir reden, also komm bitte rein, schließ die Tür und setz dich hin.“, fordert der Professor ihn nun auf. Logan gibt einen missgünstigen Laut von sich, tritt dann aber in das Büro und schließt hinter sich die Tür. 8 Nach dem Gespräch hat sich Wolverine zumindest soweit beruhigt, dass er davon absieht, weiterhin die gesamte Mansion nach dem Elfen auf den Kopf zu stellen. Ein weiterer Grund dafür ist aber auch, dass Charles ihm tatsächlich sein Bier zurückgegeben hat und er somit im Moment keinen Grund mehr hat, dem Bengel nachzujagen. Sollte Kurt ihm aber dennoch vor die Füße laufen, wird er sich auf eine ordentliche Standpauke gefasst machen müssen, so viel steht fest. Von daher vergeht der Rest des Tages relativ entspannt für alle Bewohner. Die Sonne ist bereits untergegangen, als Logan sich zu seinem Lieblingsplatz aufmacht. Dieser befindet sich auf dem Dach des großen Herrenhauses, ziemlich genau über dem Eingang, sodass er einen prima Blick über das weitläufige Areal hat und wie ein Wachhund beobachten kann, wer kommt oder geht oder sich ihnen vielleicht unbefugt nähert. Zu seiner Überraschung sitzt aber bereits jemand auf seinem Platz. Nicht ganz so überrascht es ihn, dass es sich dabei um Nightcrawler handelt. Schon von Anfang an hat er den Bengel mit hier rauf genommen, um nach einem langen Tag etwas zu entspannen und ungestört mit ihm zu reden. Allerdings keimt nun wieder etwas Wut in dem Kanadier auf, wenn er daran denkt, was vorhin schon alles gewesen ist. Das Gespräch mit Charles war für Logan zwar nicht schlimmer als für Kurt selbst, was es aber nicht besser macht, dass das Früchtchen ihm das Bier gestohlen und dieses miese Spielchen mit ihm abgezogen hat. Von daher fackelt der Jäger nicht lange und lässt seine Krallen drohend ausfahren. Leicht zuckt der Elf unter dem mahnenden Geräusch zusammen, das die vorherrschende Stille nahezu überdeutlich zu zerschneiden scheint, obwohl es kaum hörbar ist, und wendet ihm vorsichtig den Blick zu. „Noch sauer, was?“, fragt er verhalten und duckt sich leicht unter dem durchdringenden Blick des Älteren. „Sieht ganz so aus, ne?“, erwidert der Schwarzhaarige und kommt drohend einen Schritt näher. „Versuch nicht mal abzuhauen, Elf! Früher oder später finde ich dich sowieso, das weißt du sehr gut, und dann kannst du was erleben. Also sei ein Mann und stell dich einfach!“, fordert Wolverine. Fast schon resignierend lässt der Junge daraufhin die Schultern hängen. „Ich werde nicht verschwinden. Aber vielleicht nimmst du ja mein Friedensangebot an?“, fragt er hoffnungsvoll, greift neben sich und stellt dann ein Sixpack Bier direkt vor die Füße des anderen. Überrascht weiten sich Logans Augen, erst recht, weil es auch noch seine Lieblingsmarke ist. Nun ist es an ihm resignierend zu wirken und somit lässt er die Arme wieder sinken und die Krallen verschwinden. „Also – na gut, ich will mal nicht so sein.“, meint er schließlich und setzt sich neben den Blauhäutigen. „Glaub aber ja nicht, dass du dich jedes Mal einfach so freikaufen kannst.“, mahnt er ihn, während er die erste Flasche aus dem Karton befreit und öffnet. „Keine Sorge.“, entgegnet ihm der Jüngere und schmunzelt leicht. „Wo hast du das Bier überhaupt her?“, will Wolverine nach einem Moment wissen, da er es nicht von ihm entwendet haben kann, da Logan ja keines mehr hatte. „Ich habe Bobby gebeten, es mir mitzubringen, als er gerade mit Kitty und Shiro zum Einkaufen gefahren ist. Dafür muss ich jetzt diese Woche seinen Küchendienst übernehmen.“ „Gar nicht mal dumm von dir, Junge. Aber zur Strafe wirst du nächste Woche auch meinen Küchendienst machen, zudem meinen Jet waschen.“, fordert Logan, während er über das Grundstück blickt und einen Schluck Bier trinkt. Überrascht sieht der Elf ihn an, lächelt dann aber wieder, hatte er sich doch auf eine viel schlimmere Strafe eingestellt. „Kein Problem, mein Freund.“ Eine Weile herrscht Schweigen zwischen ihnen und jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. „Danke für das Bier.“, brummt Wolverine schließlich und greift nach einer weiteren Flasche, obwohl die erste noch nicht einmal halbleer ist. „Das war doch das Mindeste, das ich tun konnte, nachdem ich dich so geärgert habe.“, winkt Kurt ab, während Logan den Kronkorken entfernt. Ein kleines Lächeln huscht über das Gesicht des Jägers. „Daran könnte ich mich glatt gewöhnen! Hier, du Elf.“, meint der Kanadier dann und reicht Nightcrawler die gerade geöffnete Flasche. Mit großen Augen betrachtet sie der Jüngere etwas unsicher. „Du – teilst dein Bier mit mir?“, fragt er mit einem Anflug von Skepsis. Der Schwarzhaarige zuckt lässig mit den Schultern. „Klar, warum nicht?“ „Ich weiß nicht. – Es kam mir so vor, als würdest du es regelrecht vor allem und jedem beschützen wollen...“, erwidert der Elf, ohne nach der Flasche zu greifen. Der Angesprochene stößt ein raues Lachen aus. „Das siehst du auch ganz richtig, Junge. Doch das hier ist was anderes. Sieh es einfach mal als zusätzliche Lehrstunde.“, gluckst er und drückt dem Blauhäutigen dann harscht die Flasche in die Hand. Ungelenk nimmt Kurt sie entgegen und betrachtet sie eine ganze Weile unschlüssig. „Ich habe noch nie Alkohol getrunken...“, teilt er dem Älteren schließlich in einer Art Geständnis mit. Wolverine wundert das jedoch nicht im Geringsten. „Dann wird es ja mal Zeit.“, erwidert er schlicht und lehnt sich auf die kühlen Dachziegel zurück, um die Sterne betrachten zu können, die sich als schier endlos funkelnder Teppich über ihnen erstrecken. Kurt bleibt sitzen und schnuppert stattdessen unschlüssig an der Flaschenöffnung. Ein herber, unbekannter Geruch steigt ihm in die Nase. Allerdings riecht es nicht, als wäre es etwas Giftiges oder in anderer Form Schädliches. Eine Empfindung, die wohl schon seit Jahrhunderten im menschlichen Geist verankert ist und trotz des Unbekannten auch in Kurt vorhanden ist. Der zu kurzgeratene Jäger beobachtet ihn mit amüsierter Neugierde von der Seite. Nach ein paar Augenblicken scheint der junge Mutant dann doch genug Mut zu haben und setzt die Flasche zaghaft an die Lippen. Überrascht zuckt er jedoch zusammen und fängt an zu husten. Nahezu brennend jagen die feinen Kohlensäurebläschen durch seine Nase und rauben ihm fast den Atem. „Langsam, Junge. Tief durchatmen.“, rät ihm der Ältere, macht sich allerdings nicht die Mühe ihm irgendwie zu helfen. Nightcrawler fängt sich jedoch schnell wieder und verzieht dann leicht das Gesicht. „Schmeckt bitter...“, meint er und sieht Logan leicht zweifelnd an. „Ja, dass muss so sein. Man gewöhnt sich daran.“, und damit scheint das Thema für ihn abgeschlossen zu sein. Der Elf mustert ihn einen Moment, nimmt dann etwas vorsichtiger einen weiteren Schluck, der schon nicht mehr ganz so schlimm schmeckt, und legt sich dann ebenfalls nach hinten auf die Schindeln. 9 Gut eine Stunde später liegen die beiden noch immer weitgehend schweigend auf dem Dach und trinken ihr Bier. Allmählich rückt jedoch die allgemeine Schlafenszeit an. Wolverine kümmert das zwar herzlich wenig, doch die Schüler sind zumindest angewiesen einen gewissen Schlafrhythmus einzuhalten, damit sie während des Unterrichts nicht so leicht müde und unkonzentriert werden. Daher wäre es wohl von Vorteil den Bengel ins Bett zu schicken. Etwas ungelenk setzt sich Logan wieder aufrecht hin und schiebt die leere Flasche in den Karton zurück. „So, Feierabend für heute.“, teilt er seinem Partner dabei mit. Dieser regt sich jedoch nicht. Mit erhobener Augenbraue wendet ihm der Jäger den Blick zu. Was er sieht, lässt ihn unweigerlich grinsen. Kurt liegt ausgestreckt wie ein Erschossener auf den Dachziegeln. Seine seelenlosen Augen sind geschlossen, seine pelzigen Wangen vom Alkohol lebhaft purpurn verfärbt. Aus seinem halboffenen Mund dringt eine faszinierende Mischung aus Schnurren und Schnarchen, fast so, als würde man eine Raubkatze beim Schlafen beobachten. Die leere Bierflasche wird von seinen erschlafften Fingern gerade noch so festgehalten, wobei es nur noch eine Frage von Minuten oder gar Sekunden sein dürfte, bevor sie sich verselbstständigt und mit einem berstenden Poltern auf dem Vorplatz der Mansion zerspringen wird. Geschickt angelt Wolverine nach der Flasche, bevor sie wirklich abstürzen kann, und steckt auch sie zurück in den Karton. Dann sitzt er noch einen Moment grinsend da und betrachtet den Elfen eingehend. „Sturzbetrunken von nur einem Bier. Du bist wirklich überhaupt nichts Gutes gewöhnt, Junge!“, gluckst er schließlich und erhebt sich. Mit einem Gähnen streckt er die müden Glieder und wirft sich den Blauhäutigen dann einfach über die Schulter. Kurt scheint nicht einmal das wirklich mitzubekommen. Ein unverständliches Murmeln ist alles, was er von sich gibt. Logan schnappt sich noch das restliche Bier und macht sich dann auf den Weg zur anderen des Gebäudes. Vorsichtig rutscht er ein Stück die Schindeln hinab, bis er am Fenster seines Zimmers ankommt. Es steht noch halboffen, wie er es vorhin verlassen hat. Daher ist es nicht sonderlich schwierig für ihn in den Raum zu gelangen. Im Vorbeigehen stellt er das übrige Bier auf dem kleinen Tischchen ab und verlässt dann mit Kurt das Zimmer. Auf dem Flur ist es schon erstaunlich ruhig. Gedämpft kann der Kanadier einig Unterhaltungen hinter den Türen vernehmen, die sicher bald ein Ende finden werden. Ungeachtet dessen huscht der Krieger zum Nebenzimmer und öffnet die Tür. Dort angekommen lässt er Nightcrawler fast schon grob auf dessen Bett fallen. „Schlaf dich erst mal aus, Junge. Morgen wird dir sicher ganz schön der Schädel brummen, was aber nicht bedeutet, dass der Unterricht deswegen für dich ausfallen wird.“, grinst der Schwarzhaarige sichtlich zufrieden in sich hinein. Einen Moment verweilt er noch neben dem Bett und betrachtet den schlafenden Elfen. Er wirkt unglaublich friedlich, gleichzeitig so verletzbar. Unweigerlich streckt er seine Hand aus, streicht damit über die erhitze Wange des Jüngeren und schiebt ein paar verirrte Strähnen aus seiner Stirn. Logans Herz beginnt heftiger zu schlagen und ungewollt schleichen sich wieder Gedanken in seinen Kopf ein. Dieser spezielle Funken ist ebenfalls wieder da. Hart schluckt der Ältere und versucht ihn zu verdrängen. Jetzt ist so gar kein guter Zeitpunkt dafür. Kurt ist gar nicht zurechnungsfähig und wenn Wolverine nun irgendetwas versuchen würde, könnte sich der Bengel nicht einmal dagegen wehren. Grob reißt er sich von all den Gedanken los und wendet sich entschieden zum Gehen. Allerdings kommt er kaum zwei Schritte weit, dann spürt er die Hand des Elfen an sich. Überrascht sieht er zu ihm hinunter. Nightcrawler scheint immer noch tief und fest zu schlafen – wirkt völlig weggetreten. „Lass mich nicht allen...“, murmelt er unverständlich in seiner Muttersprache. „Wie war das?“, fragt Logan verwundert. Es dauert eine ganze Weile, dann antwortet ihm der Elf tatsächlich. „Lass mich nicht allein...“, nuschelt er diesmal in Englisch. Dennoch hat Wolverine wegen dem Alkoholpegel Schwierigkeiten ihn deutlich zu verstehen. Allerdings glaubt er trotzdem genug verstanden zu haben. Ein schweres Seufzen verlässt seine Lippen. „Na, schön. Aber nur dieses eine Mal.“, meint er dann, wiedersteht dem nagenden Gefühl in sich, sich einfach neben ihn ins Bett zu legen, und befreit sich dann aus Kurts sehr halbherzigem Griff. Da er fürchtet, dass sich seine Gefühle aber trotz aller Bedenken überschlagen könnten, zieht es der Jäger vor Abstand zu halten. Daher begibt er sich zum Schreibtisch des Jungen, lässt sich dort auf den Stuhl sinken und legt die Beine lässig auf die Holzplatte. Mit verschränkten Armen und geschlossenen Augen sitzt er so da und versucht irgendwie Schlaf zu finden und dabei das seltsam reizvolle, schnurrende Schnarchen des blauen Mutanten vehement zu ignorieren. Das wird also wieder eine ziemlich lange Nacht, wie er fürchtet... Jungle and Approach ------------------- 1 Eingehend betrachtet Charles Kurt und Logan, die wartend seinem Schreibtisch gegenübersitzen. Schließlich seufzt Xavier schwer. In seinem Blick liegt Sorge, doch sie gilt nicht den beiden Anwesenden. Leicht verwundert sehen sich die zwei Mutanten an und dann wieder zu dem Mann im Rollstuhl. „Stimmt etwas nicht, Professor?“, spricht es der Elf schließlich aus. „Nein – ja – ich bin mir nicht sicher...“, gibt er ungewohnt unsicher von sich und betrachtet die beiden wieder eindringlich, als würde er sich wünschen, sie könnten es einfach von seinen Augen ablesen. Nun ist es an Wolverine zu seufzen. „Spuck es schon aus, bevor es dich noch ganz auffrisst! Deine Angst stinkt praktisch zum Himmel!“, fordert ihn der Ältere fast schon streng auf. Für eine Sekunde gleitet Überraschung über das Gesicht des Kahlköpfigen hinweg, dann lächelt er ertappt. Der Jäger ist zwar nicht gerade gut darin, die Stimmungen eines anderen in dessen Gesicht abzulesen oder sich selbst seinen Gefühlen hinzugeben, doch seine überaus feine Nase verrät ihm schlichtweg alles, was er über sein Gegenüber wissen muss. Insbesondere bei Angst horcht er erst recht auf, da es ein so tiefverwurzelter Instinkt ist und das Tier in ihm dadurch höchst aufmerksam wird. „Wie immer kann man dir rein gar nichts vormachen, nicht wahr, Logan? Aber das will ich auch gar nicht. – Ich hatte nur gehofft, dass ihr noch etwas mehr Zeit hättet, bevor ich euch zum ersten Mal auf eine Mission schicken werde. Allerdings könnte diese Aufgabe genau die richtige für Kurt sein, um sich seiner größten Angst zu stellen...“ Merklich zuckt Nightcrawler auf seinem Stuhl zusammen, sagt jedoch nichts. Dafür schlägt sich sichtbare Skepsis im Gesicht des Ältesten nieder. Einen Moment sammelt sich Charles noch und spricht dann betroffen weiter, wobei er sich hauptsächlich dem blauen Mutanten zuwendet. „Ich habe einen sehr guten Freund. Sein Name ist Dr. Wilson Cooper. Er ist ein ziemlich angesehener Genwissenschaftler, mit dem Schwerpunkt auf Mutationen bei Säugetieren.“ „Heißt das, er arbeitet mit Mutanten?“, fragt Kurt überrascht. „Nein, nicht direkt. Er erforscht die Veränderungen gleicher Spezies in verschiedenen Lebensräumen, ähnlich wie bei den Finken in Darwins Entstehung der Arten, das du neulich versucht hast zu lesen.“, erläutert Charles. „Oh, das war wirklich sehr interessant, wenn auch etwas schwierig zu verstehen.“, erwidert der Jüngste hörbar begeistert. „Ja, es ist ein herrliches Werk. – Wilson hat seine Arbeit damals allerdings tatsächlich mit Mutanten begonnen. Oder besser gesagt mit mir. Wir kennen uns schon seit Kindertagen. Sind zusammen zur Schule gegangen und alles. Als meine mentalen Fähigkeiten nicht mehr zu übersehen waren und sich ein jeder von mir abwandte, hielt er als Einziger zu mir. Nach meinem Unfall half er mir wieder zurück in ein halbwegs normales Leben und interessierte sich immer mehr für mein Können. Wollte ergründen, wo es herkam und wie genau es funktioniert. Er entschied sich daher, Medizin zu studieren und sich auf die Genetik zu spezialisieren. Dabei diente ich ihm praktisch aus Versuchskaninchen. Doch das war alles andere als schlecht, denn er versuchte mir zu helfen, wieder normal zu werden, was ich damals noch mehr als alles andere wollte.“, eine Art nostalgischer Funken gleitet über seine Augen hinweg und sein Blick scheint einen Moment in die Ferne gerichtet zu sein. „Im Zuge dessen entdecke er das X-Gen und eine Methode, es unkompliziert im lebenden Körper nachzuweisen. Sie wird heute praktisch überall standardmäßig benutzt, um Mutanten eindeutig zu identifizieren. Allerdings hätte Wilson nie gedacht, dass seine bahnbrechenden Entdeckungen zu solch einem Hass auf unseresgleichen führen würde. Daher hat er seine Forschung schweren Herzens aufgegeben, um uns etwas zu schützen, und sich dann auf Säugetiere spezialisiert. Zuvor hat er mir aber noch geholfen, meinen Traum zu verwirklichen, aus diesem Haus eine Schule und Zuflucht für Mutanten zu machen, und sie so vor der Ablehnung der Menschen wenigstens etwas zu schützen, und ihnen zu helfen mit ihrer Andersartigkeit umzugehen. Zwischen jeder seiner Expeditionen kam er hier sogar vorbei und sah sich das Institut an. Insbesondere natürlich die Mutanten, die ich hier versammelt habe. Sein Forschungsdrang dahingehend ist immer noch ungebrochen.“, lächelt Charles nun voll süßer Erinnerungen. Logan gibt daraufhin ein fast schon amüsiertes Schnauben von sich. „Ja, der Kerl ist echt eine Marke, sag ich dir. Praktisch ein jeder hier war schon mal sein Versuchskaninchen.“, gluckst er nun, während er sich daran erinnert, wie Cooper mit der Begeisterung eines kleinen Kindes seine Krallen versucht hat zu untersuchen und sich dabei mindestens hundert Mal in die eigenen Finger aufgeschnitten hat, weil er sie immer wieder anfassen wollte. Irgendwann hat es Wolverine dann gehörig gereicht, weil ihn der Blutgeruch völlig aus der Fassung gebracht hat und er dem armen Tropf nun doch nicht unbedingt zeigen wollte, wie schnell die messerscharfen Sicheln ihn ausweiden können. „Er hat echt ein paar Schrauben locker...“, meint er weiter und blickt grinsend zu Xavier, der ihn mit leicht erhobener Augenbraue und einen leicht verletzten Ausdruck mustert. „...aber auf eine durchaus liebenswerte Weise...“, endet der Krieger dann entschuldigend. Kurt wirkt dennoch nicht sonderlich begeistert davon, erinnert er sich doch unweigerlich an die Misshandlungen, die er im Zirkus ertragen musste, und seine daraus resultierende Panik vor Menschen. „Mach dir bitte deswegen keine Gedanken, Kurt. Es klingt mit Sicherheit schlimmer, als es in Wirklichkeit ist. Wilson ist wirklich sehr nett und der einzige Mensch, dem ich voll und ganz jedes Leben hier, ohne zu zögern, anvertrauen würde. – Doch das ist nicht der Grund meiner Sorge. Wilson verbringt die meiste Zeit damit, um die Welt zu reisen und die verschiedensten Arten zu untersuchen. Monate, gar ganze Jahre, verbringt er in irgendwelchen Wäldern, im Gebirge oder am Meer. Dabei blieb er aber stets mit mir in Verbindung. Schieb mir mindestens alle zwei Wochen einen Brief und berichtete von seiner Forschung und ich erzählte ihm von meinen Erfolgen hier. Das geschah alles so präzise und vorhersehbar wie ein Uhrwerk...“, er stockt und sammelt sich etwas. „Doch – seit fast zwei Monaten habe ich jetzt nichts mehr von ihm gehört und mache mir daher große Sorgen um ihn. Er reist immer allein, lässt sich nur selten führen und will auch nicht gestört werden. Ich fürchte jetzt, dass ihm etwas passiert sein könnte. Mental konnte ich manchmal eine Verbindung zu ihm bekommen, doch auf so große Entfernung ist es sehr schwierig bis unmöglich. Ich habe es mehrmals probiert, jedoch nichts gefunden. Das könnte bedeuten, dass er eben zu weit weg ist, oder – womöglich nicht bei Bewusstsein, vielleicht schlimmeres. – Doch darüber will ich gar nicht nachdenken! Ich konnte einen Sherpa ausfindig machen, der ihn am Anfang seiner derzeitigen Reise in das gewünschte Gebiet begleitet hat und ihm regelmäßig Nahrung und Wasser dorthin bringt. Er teilte mir jedoch mit, dass er Wilson die letzten paar Male nicht in der Basisstation angetroffen hat, was nicht unbedingt etwas bedeuten muss. Doch alles wirkte irgendwie etwas verlassen auf ihn. Auf mein Bitten hin, hat er versucht, ihn zu finden, wusste jedoch nicht, wohin er überhaupt wollte, was das Ganze praktisch unmöglich macht.“ „Wir sollen ihn jetzt also suchen?“, fragt Logan. Bittend blickt Xavier seine beiden Schützlinge an. „Genau das möchte ich. Diese Aufgabe eignet sich hervorragend als erste gemeinsame Mission für euch beide. Es dürften sich, soweit ich feststellen konnte, keine Mutanten in dem Dschungel aufhalten, und auch keine anderen Menschen. Vielleicht begegnet ihr dem Sherpa, aber mehr auch nicht. Das Gebiet ist, außer zu Forschungszwecken, nicht zugänglich. Den Sherpa habe ich zumindest informiert, dass ich einen Suchtrupp losschicke und dieser vielleicht seine Hilfe benötigt. Das glaube ich allerdings nicht wirklich. Deine feine Nase wird wohl Hilfe genug sein, Logan. Und Kurt kann zumindest ein wenig Kontakt zu Menschen mit Wilson üben, wenn ihr ihn finden solltet, was ich doch sehr hoffe. Denkst du, dass du das schaffst, mein Junge?“ Etwas unsicher sieht Nightcrawler zwischen den beiden Männern hin und her. „Ich will es in jedem Fall versuchen.“, meint er dann ernst. Zufrieden nickt Charles, ehe er eine Karte auf dem Tisch ausbreitet. „Wilsons letzter, bekannter Aufenthaltsort – sein Basislager – befindet sich hier.“, führt der Mann im Rollstuhl aus und deutet dabei auf einen rot markierten Teil. Dieser befindet sich im Amazonas-Regenwald in Brasilien. Genauer gesagt handelt es sich um ein besonders geschütztes Gebiet mit dem Namen Parque Nacional do Jaú. „Dort ist ziemlich schwer hinzukommen, da der Dschungel sehr dicht ist, weshalb ihr hier etwas außerhalb landen und dann zu Fuß dorthin gehen müsst. Der Sherpa hat mir eine Wegbeschreibung mitgeschickt. Zum Basislager werdet ihr demnach fast einen Tag zu Fuß unterwegs sein, und dann seid ihr auf euch alleingestellt...“, kommt es leicht entschuldigend von dem Telepaten. „Mach dir da mal keinen Kopf. Ich finde mich schließlich bestens in der Wildnis zurecht.“, winkt Logan schlicht ab. „Wenn es allerdings so ist, wie du befürchtest, sollten wir uns wohl besser sofort auf den Weg machen. Bis nach Brasilien sind wir mit der Wolf 2 immerhin auch gut einen Tag unterwegs.“, legt er ernst nach. Dankbar sieht Xavier ihn an. „Dann will ich euch auch gar nicht länger aufhalten. Meldet euch aber bitte, wenn ihr gelandet seid.“ „Keine Sorge. Los, komm, du Elf! Wird sicher ein echtes Abenteuer!“, grinst Wolverine herausfordernd. Nightcrawler braucht einen Moment, um sich das vorzustellen, erhebt sich dann aber und folgt ihm Richtung Tür. „Ich komme schon! Bis bald, Professor!“, gibt er leicht gehetzt zurück und blickt sich noch einmal nach dem anderen um. Dann sind die beiden auch schon verschwunden und Charles allein. „Bis bald, Jungs. Seid vorsichtig...“, teilt er dem nun leeren Raum mit und seufzt schwer. Kaum zehn Minuten später vernimmt er das charakteristische Dröhnen des startenden Jets und blickt dem davonrasenden Fluggerät gedankenverloren durch das Fenster hindurch hinterher, bis nichts mehr davon zu sehen ist. 2 Am nächsten Vormittag, fast dreiundzwanzig Stunden nach dem Gespräch mit Charles, landet die Wolf 2 mit einem überaus unsanften Holpern auf einem winzigen Areal an der Grenze des Nationalparks, das nur sehr entfernt Ähnlichkeit mit einem Flugplatz hat. Es gibt nur eine einzige Landebahn, die lediglich aus gestampfter Erde besteht, und ausschließlich von Forschern und Ähnlichem benutzt werden darf. Zudem ist sie sehr kurz, sodass Logan seine liebe Mühe hat, mit dem Jet nicht in die engstehenden Bäume zu krachen, die den kleinen Flugplatz abgrenzen. Seine Landekünste sind schon unter normalen Umständen nur ausreichend, was sich bei diesen Verhältnissen noch einmal mehr als deutlich zeigt. Mit grimmig-knurrend zusammengebissenen Zähnen umklammert er fest den Steuerknüppel und tritt mit aller Gewalt auf die Bremse, doch der sandige Untergrund bietet nicht gerade viel Greifbares, sodass die Wolf 2 letztendlich unsanft mit der Nase gegen einen Baum stößt, der unter dem plötzlich Aufprall zu schwanken beginnt, eine Hand voll Blätter abwirft und gefühlt hunderte Vögel kreischend und schimpfend aufschreckt. Mit großen Augen betrachtet Wolverine das hektische Flüchten der Federtiere und stößt dann hörbar die angehaltene Luft aus. Einen Moment herrscht völliges Schweigen im Cockpit, dann entkrampfen sich die Hände des Jägers und geben den Steuerknüppel wieder frei. „Na, dass lief doch super!“, grinst er anschließend überaus künstlich und fährt die Motoren runter. Als er den Blick zu Nightcrawler wendet, schlägt sich jedoch etwas Mitleid in seinen Augen nieder. Der junge Mutant hat sich inzwischen zwar ziemlich gut ans Fliegen gewöhnt – tut es mittlerweile sogar ganz gern –, doch die Landungen des Schwarzhaarigen verlangen ihm noch immer alles ab, und das hier war noch viel schlimmer, als sonst schon. Stocksteif und blass wie ein Laken sitzt der Elf verkrampft in seinen Sitz gedrückt da. Seine seelenlosen Augen starren noch immer wie hypnotisiert auf den Baum, der die gesamte Windschutzscheibe wie ein Mahnmal einnimmt, und ein sichtbares Zittern gleitet seinen zierlichen Körper auf und ab. Nach dieser Landung kann Wolverine wohl sehr froh sein, dass sich der Junge nicht vor Panik aus dem Cockpit teleportiert hat. „Hey, Kurt, hol doch mal Luft, damit ich weiß, dass du mir nicht umkippst!“, fordert ihn der Ältere schon etwas verlegen auf und legt ihm vorsichtig die Hand auf den Oberschenkel. Ein besonders heftiges Zucken lässt den Blauhäutigen daraufhin erbeben, dann blinzelt er leicht verwirrt und holt hörbar Luft. „Warum – sollte ich denn umkippen? Es war so eine herrliche Ladung! Eine deiner besten, möchte ich sagen, dass sollten wir unbedingt gleich noch einmal machen!“, kommt er erstaunlich sarkastisch von Nightcrawler, ehe er ihm einen leidlichen Blick zuteilwerden lässt, in dem Logan nur zu deutlich sehen kann, wie speiübel ihm sein muss. Entschuldigend lächelt der Krieger ihn an und streicht dabei beruhigend über seinen Schenkel. „Sorry, Kleiner...“, raunt er dabei ehrlich. Für einen Moment ergreift Kurt die Hand seines Gegenübers auf seinem Schenkel und hält sie einfach nur fest. „War nicht deine Schuld.“, meint er dann, obwohl sie wohl beide wissen, dass die nicht gerade gut ausgeprägte Landefähigkeit des Älteren das Ganze um einiges schlimmer gemacht hat, als es hätte sein müssen. „Okay, funk du den Professor an, während ich die Ausrüstung zusammensuche und nachsehe, ob dieser Sherpa irgendwo in der Nähe ist. Unser Kommen dürfte ja nicht zu übersehen gewesen sein. – Wenn du fertig bist, teleportier dich einfach dort in den Dschungel, damit der Typ keinen Herzinfarkt bekommt, wenn er dich sieht.“, mitleidig betrachtet Logan den Jungen, doch dieser ist sich seines abschreckenden Aussehens nur zu gut selbst bewusst und hätte diese Ansage wahrscheinlich auch gar nicht gebraucht. „Verstanden.“, erwidert Kurt dennoch ungerührt und wendet sich dem Funkgerät zu, mit Hilfe dessen er über eine spezielle Frequenz direkt in Xaviers Gedanken senden kann. Wolverine schnappt sich derweilen einen Rucksack mit etwas Ausrüstung und verlässt den Jet. Einen Augenblick schaut er sich auf dem kleinen Flugplatz um, als würde er nach jemandem suchen. Das ist aber nur gespielt, seine feine Nase hat ihm schon verraten, dass sich der Sherpa in einer der runtergekommenen Schuppen aufhält, von der sich ein halbes Dutzend entlang der Landebahn verteilen. Sein Gespür enttäuscht ihn auch nicht, als sich in diesem Moment etwas zaghaft eine Tür öffnet und unsicher ein Mann ins Freie tritt. Zielstrebig nähert sich ihm der Vielfraß mit festen Schritten. Nach dem ersten Schreck wirkt der Sherpa dann allerdings gar nicht mehr so unsicher und schimpft Logan wegen seiner Kamikazelandung. Der zu kurzgeratene Kanadier hört sich das alles völlig ruhig an und beißt sich dabei regelrecht auf die Zunge, dem Kerl nicht ebenso entgegenzukommen und ihm wegen der überaus bescheidenen Landebahn eins auf die Nuss zu geben. Nachdem das dann geklärt ist, beschreibt der Sherpa ihm noch einmal genau den Weg zur Basisstation von Dr. Cooper und was er dort beobachtet hat. Der Schwarzhaarige bedankt sich möglichst freundlich für seine Hilfe und macht sich dann auf den Weg in den schier undurchdringlichen Dschungel, in dem Kurt bereits auf ihn wartet. 3 Als er in das dichte Netz aus engstehenden Bäumen und Büschen tritt, wird er augenblicklich von einer erstaunlichen Dunkelheit umschlossen, die ihn regelrecht zu erwürgen versucht. Die Temperatur scheint schlagartig um fast die Hälfte zu sinken, dafür steigt die Luftfeuchtigkeit so stark an, dass man sich nach kurzer Zeit vorkommt, als wäre man gerade aus der Dusche gekommen oder in einen unerwarteten Regenguss geraten. Geräusche und Gerüche nehmen eine ganz andere Form an, steigern sich ins schier Unermessliche und erschlagen einen zusehends mit neuen Eindrücken. Der Jäger kennt diese Phänomene nur zu gut, sind sie doch jedem Dschungel auf Erden gleichermaßen eigen. Trotz dieser erschreckenden Reizüberflutung, die für Wolverine noch weit heftiger ist, als für jeden anderen, bleibt der Schwarzhaarige erstaunlich ruhig – geradezu unbeeindruckt. In seinem langen Leben hat er schon viel gesehen und es ist bei weitem auch nicht der erste Dschungel, in dem er steht. Von daher braucht er nur wenige Sekunden, um sich an seine neue Umgebung zu gewöhnen. Für einen fast schon nostalgischen Moment schließt er sogar die Augen und lässt all das auf sich wirken. Seine scharfen Ohren zucken unwillkürlich kaum merklich und jagen Millionen neue Geräusche in sein Gehirn, wo sie sortiert und eingeordnet werden. In seinem gespeicherten Wissen erkennt sein Verstand, dass sich kein Feind unbewusst geräuschvoll hier bewegt. Exotische Vögel singen dafür melodisch in allen Ecken, Tiere verschiedener Größe schleichen vorsichtig durch das Unterholz, Insekten summen im ihnen eigenen monotonen Bass, leichter Wind lässt unzählige Blätter geheimnisvoll flüstern. Und unter all diesen Geräuschen vernimmt er ein leises Atmen, gepaart mit einem noch leiseren Herzschlag in seiner Nähe – Nightcrawler. Mit einem tiefen Atemzug bläht sich Logans überaus feinfühlige Nase und seine kräftige Brust hebt sich fast zum Bersten. Der durchdringende Geruch wilder Tiere liegt in der Luft, ein Hauch Blut von einer vor einer Weile gerissenen Beute, der schwere Duft welken Laubs, gemischt mit der Süße frisch spießendem Grün und tausenden Blumen, die so schwer ist, das sie sich wie eine starke Hand auf seine Brust drückt. In weiter Ferne kann er fließendes Wasser wahrnehmen, dessen Rauschen fast völlig vom Flüstern der Bäume verschluckt wird. Unter alledem ein schwindender Geruch, der eindeutig nicht an diesen Platz gehört: Schwefel. Langsam öffnet der Krieger wieder die Augen und gewöhnt seinen Blick an die schattenhafte Umgebung. Hier und da entdeckt er ein fantastisches Schauspiel aus Sonnenstrahlen, die wie feine Punktscheinwerfer durch das dichte Grün schießen. Dicke Insekten schwirren träge um ihn herum, Vögel aller Größen und Farben tun es ihnen gleich. Feiner Staub funkelt in den Sonnenstrahlen, hier und da ein letzter Rest morgendlich glitzernden Taus auf Blüten und Blättern. Vor seinen Augen erschließt sich ihm ein unfassbares Farbenmeer und lässt den vorherrschenden Schatten nahezu mystisch leuchten. Als er den Blick in die Baumkronen hebt, sieht er spielerisch Affen umherhuschen, die ihn neugierig plappernd zu beobachten scheinen. Doch ihnen gilt nicht seine Aufmerksamkeit. Nach einem Moment entdeckt er ihn schließlich. Die Schatten haben Kurt wie immer völlig verschluckt, und könnte der Kanadier ihn nicht riechen, würde er wohl lange nach ihm suchen müssen. Einzig seine durchdringenden, seelenlosen Augen glühen Gelb wie kleine Flämmchen im dichten Blätterdach. Schlagartig fällt Wolverine etwas ein, das er mal irgendwo gelesen hat: Geist des Waldes. Genau das ist es, genauso empfindet er Kurt in diesem Augenblick. Einmal mehr wird ihm dabei klar, warum er ihn von Anfang an als Elfen gesehen hat, statt als dämonischen Sohn des Teufels, für den ihn die Zirkusleute verkaufen wollten. Unweigerlich beginnt sei Herz bei diesem Gedanken schneller zu schlagen, bis es so hart gegen seine Rippen pocht, dass es schon fast schmerzt. Logan schluckt schwer und seine Gedanken versuchen sich einmal mehr zu verselbstständigen. Dem folgt ein nur allzu bekanntes Ziehen in den Lenden. Etwas verstimmt lässt er den Blick sinken und versucht sich wieder auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. ‚Ich muss mir etwas einfallen lassen, um es zu verdrängen. Zumindest so lange zu verdrängen, bis wir diese dämliche Basis erreicht und unser eigenes Lager aufgeschlagen haben. Dann ist der Bengel mit Sicherheit fällig. Länger halte ich das einfach nicht mehr aus...‘, geht es ihm durch den Kopf, wobei er sich überdeutlich bewusst ist, dass der nagende Funken in ihm spätestens heute Nacht überspringen wird... Der zu kurzgeratene X-Man ist jedoch so in Gedanken, dass er gar nicht mitbekommt, wie sich ein freches Grinsen auf Nightcrawlers Züge schleicht. Nahezu lautlos schleicht er den Baum hinab und auf den ahnungslosen Krieger zu. Als er ausversehen auf einen am Boden liegenden Ast tritt, der daraufhin geräuschvoll zerbricht und einige Vögel in unmittelbarer Nähe aufschreckt, wird Kurt jedoch klar, wie abwesend sein Freund gerade doch zu seien scheint, und dass er sich daher eigentlich gar nicht so viel Mühe mit dem Anschleichen geben müsste. Dennoch lässt er nicht davon ab, bis er direkt hinter ihm steht. Sein Grinsen wird noch breiter und er setzt zum Sprung an. Mit einem eleganten Satz landet er schließlich hockend auf den Schultern des Älteren, der daraufhin heftig zusammenschreckt und gerade noch so das Gleichgewicht halten kann. „Was zum...“, entkommt es Wolverine überrascht, wobei seine Krallen instinktiv ausfahren. Er entspannt sich aber wieder etwas, als er merkt, dass es nur Kurt ist, der sich mal wieder einen seiner Scherze zu erlauben versucht. Frech grinst ihn der Junge von oben herab an und drückt ihm dann einen Finger auf die Nase. „Tick, du bist!“, flötet er ausgelassen, springt dann über seinen Kopf hinweg auf den Boden und rennt kindlich lachend in den Dschungel hinein. Einen Moment sieht Logan ihm noch etwas perplex hinterher und versucht seine Gedanken zu ordnen. Dann wird ihm klar, was der Bengel vorhat und ein Grinsen schleicht sich auch auf seine Lippen. „Na, warte, Früchtchen, dich kriege ich!“, ruft er ihm nach, während sein Spieltrieb in ihm erwacht und er Kurt auch schon hinterherläuft. Nach dem schier endlosen Flug eine überaus willkommene Abwechslung, um die müden Muskeln wieder auf Trab zu bringen. Laut und kindlich lachend jagen sie einander durch den dichten Dschungel. Abwechselt fangen sie sich, tragen spielerische Kämpfe aus und legen so in kurzer Zeit eine ziemlich große Strecke zurück. Dabei scheint es eine Art inneren Instinkt zu geben, der sie beide immer näher an das Basislager des vermissten Doktors heranbringt, ohne dass sie überhaupt richtig auf ihre Umgebung achten. Nur ganz selten bleiben sie zwischendurch stehen und bewundern die Vielfalt an Pflanzen und Tieren um sich herum, oder verschnaufen für längere Zeit. Logan sprintet durch den dichten Bewuchs auf ihn zu, bedient sich der ganzen unwahrscheinlichen Gewandtheit, die sein Geheimnis ist, und bekommt Nightcrawler genau in dem Augenblick zu fassen, als dieser wieder zum Sprung ansetzt. Gewaltsam wird der Elf zu Boden gerissen, doch es kümmert ihn reichlich wenig. Stattdessen fangen sie beide an zu lachen und wälzen sich im hohen Gras herum, wie kleine Kinder beim Fangenspielen. Für einen Moment liegen sie still nebeneinander und kommen wieder zu Atem. Dann geht die wilde Verfolgungsjagd erneut los, immer tiefer in den Dschungel und dem letzten, bekannten Aufenthaltsort des Doktors näher. Nun ist es an dem blauen Mutanten den Vielfraß zu fassen zu bekommen. Kraftvoll rennt Wolverine durch das Grün, verschafft sich, wenn nötig, mehr Platz mit seinen Krallen. Hektisch flüchten eine Hand voll kleiner Tiere vor ihm. Sie bleiben jedoch nicht ungesehen, denn der Jäger sondiert das Treiben um sich herum genau, um sich einen Überblick zu verschaffen, welches arme Geschöpf ihm vielleicht zum Abendessen in die Fänge geraten wird. Doch das ist eigentlich nebensächlich, sie haben auch etwas zu Essen bei sich. Viel wichtiger ist es jetzt, dem Elfen zu entkommen. Logan weiß genau, dass der Bengel irgendwo hoch oben in den Bäumen wie ein Affe herumturnt und nur auf den richtigen Moment für seinen Angriff wartet. Der Kanadier kann ihn hören, auch wenn er sich nicht die Mühe macht, ihn im dichten Grün zu suchen. Geschickt springt der Schwarzhaarige über einen niedrigen Busch hinweg. Als er allerdings auf dem Boden aufkommt, gibt dieser plötzlich etwas unter seinem Fuß nach. Er vermutet, dass es sich dabei wohl um den Bau eines Kaninchens oder dergleichen handeln mag, und er gerät ein bisschen ins Straucheln. Darauf hat Nightcrawler nur gewartet! Kaum, dass sich Logan ans Weiterlaufen machen will, stürzt der Junge wie ein Raubvogel auf ihn hinab und reißt ihn rücklings zu Boden. Mit einem überraschten Luftausstoßen landet Wolverine im welken Laub. Durch den Rucksack wölbt sich seine Brust nach oben, was ihn etwas wie eine Schildkröte auf dem Rücken wirken lässt. Kurt hockt nun kichernd auf den Oberschenkeln des Älteren, stützt die Ellenbogen leicht auf dessen Brust und legt den Kopf auf den Händen ab. Grinsend blickt er zu ihm hinab. „Erwischt!“, flötet er ausgelassen. Der Krieger funkelt ihn etwas grummelig an, wollte er sich doch noch nicht von ihm schnappen lassen, doch er beschwert sich nicht. Stattdessen setzt er nun auch ein Grinsen auf. Es vergeht allerdings ganz schnell wieder, als sich der Elf jetzt auf seine Brust legt und sich regelrecht der Länge nach ausgestreckt an ihn schmiegt. Überrascht weiten sich die Augen des Älteren. Deutlich kann er das rasende Herz und den angestrengten Atem des Jungen auf sich spüren. Unweigerlich schluckt er hart und der altbekannte Funken jagt durch seinen Kopf. Langsam steigt ihm Hitze in die Wangen und er würde seinen Gedanken jetzt nur zu gern nachgeben. „Das ist wirklich schön...“, schnurrt Nightcrawler schon fast und schmiegt sich noch etwas mehr gegen ihn. Vermutlich völlig unbewusst berühren sich ihre Körper dabei immer mehr. Mit weit geöffneten Augen starrt Logan zum dichten Blätterdach empor. „Ja, – das ist es...“, meint er beinahe abwesend und legt vorsichtig die Arme um den Blauhäutigen, drückt ihn fest an sich. Einen Moment verharren sie so bewegungslos, dann streicht Wolverine ihm kraulend über den Rücken. Daraufhin gibt Kurt wie aufs Stichwort ein wohliges Schnurren von sich, das den Älteren völlig um den Verstand zu bringen droht. „Elf...“, raunt er tief und beißt sich dabei erregt auf die Unterlippe. Es fehlt nicht mehr viel und sein Gegenüber wird nur allzu deutlich merken, was dem zu kurzgeratenen Kanadier im Kopf herumgeistert. Der blaue Bengel scheint jedoch eine andere Idee zu verfolgen. Langsam befreit er sich etwas aus der Umarmung des anderen und blickt ihm tief in die Augen. Die seelenlosen Iriden haben wieder diesen unwiderstehlichen Schlafzimmerblick angenommen, den Logan noch zu gut von seinem Tagtraum her kennt. Oder von dem Moment, bevor Kurt ihm so dreist sein Bier gestohlen hatte. Dieser Gedanke kommt ihm nun wieder, als der Jüngere plötzlich zu grinsen beginnt, ganz kurz bevor sich ihre Lippen womöglich hätten berühren können. Kichernd drückt er auf Wolverines Nase. „Tick, du bist!“, platzt es fröhlich aus ihm heraus, bevor er sich etwas unwirsch von ihm befreit und wieder im Dschungel verschwindet. Völlig perplex bleibt Logan liegen und begreift einfach nicht, was das alles werden soll. Der Bengel bringt ihn noch mal vollkommen um jeden Verstand! Unweigerlich fragt sich der Jäger, ob Kurt das Ganze vielleicht sogar mit Absicht macht, oder ob ihm einfach nur nicht klar ist, wie erregend er in Logans Augen wirkt. „Scheiße...“, schimpft der Schwarzhaarige leise in sich hinein und kommt schwerfällig wieder auf die Füße. „Hey, warte gefälligst!“, ruft er dem lachenden Elfen hinterher, der ihm diesen Gefallen selbstredend natürlich nicht tut. Also nimmt Wolverine die Beine in die Hand, um ihn irgendwie wieder einzuholen. In der Zwischenzeit ist Nightcrawler ein ganzes Stück weit gekommen und macht daher eine kleine Rast, um festzustellen, wo in etwa sich sein Teamkollege aufhält. So lärmend, wie Logan durch das Unterholz bricht, ist das auch gar nicht so schwer. Er ist aber noch ziemlich weit entfernt, sodass Kurt einen Gang zurückschaltet und sich stattdessen überlegt, wie er ihn vielleicht an der Nase herumführen könnte, indem er sich beispielsweise irgendwo in der Nähe versteckt. Der Gedanke hat sich noch nicht ganz in seinem Kopf festgesetzt, da ertönt auf einmal ein tiefes Knurren hinter ihm. Er schluckt schwer. Schnell wird ihm klar, dass es sich dabei eindeutig nicht um Wolverine handelt. Das Geräusch kommt aus der falschen Richtung, und die Stimmlage passt auch nicht. Es klingt fremdartig und bedrohlich. Abermals schluckend dreht sich Kurt ganz langsam herum. Fast wie erstarrt bleibt er stehen, nur seine Augen huschen hektisch wie zwei kleine Taschenlampen durch die Gegend. Im schummrigen Grün entdeckt er schließlich eine Bewegung. Das tiefe Knurren ertönt erneut und dann löst sich ein großes Tier aus den Schatten. Mit seinem gefleckten Fell passt es sich perfekt in den Dschungel ein – der wahre Geist dieses Waldes. Kurt hat nie zuvor einen Jaguar gesehen, doch sein angespannter Körper weicht nun instinktiv vor der großen Raubkatze zurück. Ganz langsam setzt er einen Fuß hinter den anderen, während der Kater im gleichen Tempo knurrend auf ihn zukommt. Seine Bernsteinaugen mustern den jungen Mutanten interessiert und überaus hungrig. „Oh mein Gott...“, entkommt es ihm völlig atemlos. Ein heftiges Zittern gleitet seinen schlanken Körper hinab und lässt ihn regelrecht erbeben. „Süßes Kätzchen. Du wirst doch nicht...“, setzt er hilflos an. Allerdings kann er den Satz nicht vollenden, da trifft ihn etwas überaus hart im Rücken und reißt ihn zu Boden. Heftig wird er ins duftende Laub gepresst, während ihn zwei starke Hände vehement nach unten drücken. Tiefes Knurren erfüllt die Luft, doch diesmal kommt es nicht von dem Jaguar. Dieser sieht ziemlich verdutzt zu dem Neuankömmling, der ihm die Beute streitig machen will. Doch nur einen Moment, dann beginnt die Raubkatze selbst wieder zu knurren und tritt bestimmend näher heran. Sein Gegner muss schon deutlich mehr bieten, wenn er ihn einschüchtern will. Und vor so einem dummen Menschen – auch wenn er sich nicht wie ein Mensch anhört – hat der König des Dschungels nun wirklich keine Angst. Zumal dieser Kerl nicht einmal einen dieser schmerzhaft knallenden Stöcke mit sich herumträgt, wie er sie schon des Öfteren gesehen hat, wobei er auf primitive Weise gleichermaßen an Wilderer mit ihren Gewehren, wie auch an Forscher mit ihren Bestäubungspistolen denkt. Daher tritt der Kater unbeeindruckt näher heran und faucht seinen Gegner zornig an. Dieser tut es ihm gleich, während er weiterhin die Beute zu Boden drückt. Die tiefen Laute scheinen den Boden unter Nightcrawler beinahe zum Vibrieren zu bringen und er ist so erstarrt, dass er nicht einmal entfernt daran denken kann, sich weg zu teleportieren. Mit ängstlichen Augen blickt er stattdessen den langsam näherkommenden Jaguar hilflos an, während Wolverine ihn so fest in das Laub drückt, dass ihm kaum Luft zum Atmen bleibt und seine Rippen heftig schmerzen, als könnten sie jeden Moment brechen, wenn sich der andere noch etwas mehr auf ihn stützen würde. Breitbeinig knurrend hockt Logan über ihm und fechtet diesen primitiven Kampf mit dem Raubtier aus, als hätte er so etwas schon unzählige Male gemacht. Das dem tatsächlich so ist – auch mit noch weit größeren und gefährlicheren Tieren –, weiß Kurt natürlich nicht. Und so hofft er einfach nur, dass sein Partner weißt, was er da tut. Inzwischen ist der Kater allerdings so nahe herangekommen, dass er Wolverine schon fast mit seiner krallenbesetzten Pranke erwischen kann. Das Tier scheint sich nicht sonderlich von ihm beeindrucken zu lassen, ist stattdessen ein genauso sturer und erfahrener Jäger wie sein Gegenüber selbst, zudem noch überaus hungrig. Doch auch Logan verspürt einen unstillbaren Hunger, nur nicht auf die gleiche Weise, wie der Jaguar, aber nicht minder instinkttief. Von daher wird er seinen Besitz auch genauso energisch verteidigen. Die Raubkatze hält ihn vermutlich für einen relativ harmlosen Menschen, und das hat ausnahmsweise auch mal einen Vorteil. So kommt das Tier furchtlos nahe genug heran. Als der Abstand perfekt ist, löst sich eine Hand von Kurts Rücken, jagt mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf das Tier zu, während gleichzeitig die scharfen Adamantiumkrallen hervorschießen. Die glänzenden Spitzen hinterlassen innerhalb eines Sekundenbruchteils blutige Spuren auf der linken Kopfseite des Jaguars. Mehr als nur überrascht weicht das Tier ruckartig zurück und betrachtet den Kanadier argwöhnisch-erschrocken. Was, in aller Welt, war das? Irritiert schüttelt der Kater den Kopf und mustert sein Gegenüber genau. Tiefes Knurren verlässt noch immer Wolverines Kehle und er hebt drohend erneut die krallenbesetzte Hand. Das spielerisch funkelnde Zwielicht des Dschungels bricht sich auf den blankpoliert anmutenden Schneiden und jagt regelrecht Blitze durch die feuchtwarme Luft. Völliges Nichtbegreifen gleitet über das Antlitz des Jaguars hinweg. Dennoch wagt er sich noch einmal einen Schritt näher heran. Augenblicklich treffen ihn erneut die scharfen Krallen, diesmal sogar seine überaus empfindliche Nase. Heulend weicht der Kater zurück, faucht in einer Mischung aus Wut, Schmerz und Angst, und verzieht sich dann endlich schimpfend zurück in den Dschungel. Tiefes Knurren dringt noch eine ganze Weile aus Logans Mund. Schließlich beruhigt er sich wieder und blickt auf den Elfen hinab, der noch immer ziemlich apathisch unter ihm liegt. Langsam nimmt er nun auch die andere Hand vom Rücken des Jungen und beugt sich dann tief zu ihm hinab, als wolle er dessen Unversehrtheit prüfen. Stattdessen schnüffelt er kurz an ihm, woraufhin Nightcrawler schwer schluckt, da es ihm irgendwie so vorkommt, als wäre er einem Raubtier entkommen, nur um jetzt von einem anderen gefressen zu werden. Das liegt selbstverständlich nicht in Wolverines Begehren. Dafür reibt er nun erstaunlich sanft seinen Kopf an dem des Jüngeren und raunt ihm ins Ohr. „Alles in Ordnung?“, fragt er ihn mit tiefer Stimme, die einen weiteren Schauer über den Körper des Elfen hinwegjagt. „Ich – ich denke schon...“, gibt Kurt etwas unsicher zurück. „Gut. Dann hoch mit dir. Das Vieh war garantiert nicht das einzige hier und wenn es Nacht wird, wird es nur schlimmer. Also sei ab jetzt vorsichtig.“, mahnt Wolverine ihn, entfernt sich dann und zieht Nightcrawler zurück auf die Füße. 4 Es ist bereits Nachmittag, weshalb die beiden nach diesem Erlebnis ihr Spiel beenden und zu Fuß weitergehen. Aufmerksam halten sie dabei Ausschau nach der Basisstation von Dr. Cooper. Da sie den weiteren Weg hauptsächlich schweigend fortsetzen, haben sie nun auch Augen für ihre Umgebung. Staunend bewundert insbesondere Kurt die unzähligen Pflanzen, Insekten und auch das ein oder andere Tier. Immer wieder unterbricht er daher die Stille und fragt Wolverine, was dies oder das ist. Bei Pflanzen wirkt Logan allerdings mindestens genauso ratlos wie der Elf selbst. So was gehört einfach nicht zu seinen Stärken. Allerdings kann er ihm anhand des Geruchs zumindest sagen, welche giftig sind oder köstlichen Nektar bereithalten. Die einzigen Pflanzen, die der Kanadier in so einer Wildnis für gewöhnlich ohne Probleme benennen kann, ohne seine Nase zu Rate zu ziehen, sind Heilkräuter. In seinem langen Leben hat er sehr viel Zeit in den unterschiedlichsten Wäldern überall auf der Welt verbracht, zudem Unterricht bei mehr Lehrmeistern gehabt, als er zählen kann, und da waren Heilpflanzen immer ein wichtiges Thema, selbst für jemanden, der einen Selbstheilungsfaktor hat. Insekten zu benennen ist da schon etwas einfacher. Viele von ihnen senden die verschiedensten Botenstoffe aus, die Wolverines feine Nase problemlos auffangen kann, um sie zweifelsfrei als gefährlich oder ungenießbar zu identifizieren. Ein Großteil der Insekten bedient sich aber auch Farben oder Mustern, um möglichen Feinden klarzumachen, dass sie durchaus wehrhaft sind. Der Jäger erinnert sich nur zugut daran, wie er das in seiner Jugendzeit oftmals auf die ein oder andere schmerzhafte oder Übelkeit erregende Weise am eigenen Leib erfahren musste. Durch seine Selbstheilung dauerte es jedoch ziemlich lange, bis der damals noch sehr junge und insbesondere unerfahrene Kanadier einen dauerhaften Lerneffekt verspürte und es nicht aus Trotz immer und immer wieder versucht hatte. Dutzende seiner Lehrmeister haben sich diese Sturheit daher auch durchaus zu Nutze gemacht, um ihn immer wieder ins Messer laufen zu lassen, schließlich wussten sie zumeist recht gut, dass es Logan nicht umbringen wird. Mit Tieren kennt sich der Krieger hingegen bestens aus. Den meisten Räubern hat er schon Auge in Auge gegenübergestanden und hat zum Teil auch erbarmungslos mit ihnen gekämpft. Wobei er es wiederum anfangs nur seinem Heilungsfaktor zu verdanken hatte, dass er siegreich aus diesen Kämpfen hervorging, bis seine Kraft, Ausdauer und Technik so weit entwickelt waren, wie heute. Beutetiere sind dem ambitionierten Jäger aber immer noch am liebsten. Es gibt kaum ein Tier, das er nicht schon gegessen oder erlegt hat und damit macht er seinem Namensvetter dem Vielfraß wohl alle Ehre. Aufmerksam lauscht Nightcrawler seinen Ausführungen, die sich für ihn zum Teil völlig unglaubwürdig oder blumig anhören. Wenn er aber daran denkt, wie sich sein Partner vorhin dem Jaguar in den Weg gestellt hat oder wie nahezu ausgehungert seine dunklen Augen jeden Hasen oder Hirsch mustern, der ihren Weg kreuzt, wird ihm klar, dass das doch alles wahr sein muss. Logan ist im wahrsten Sinne des Wortes ein wildes Tier, das fast ausschließlich aus Instinkten heraus handelt und es ihm deshalb so schwerfällt, sich unterzuordnen und angemessenes Benehmen an den Tag zu legen, wenn er sich außerhalb dieser ihm so geliebten Wildnis befindet. Kurt kann das gut nachvollziehen. Auch in seinem Verhalten sind tierische Züge unübersehbar, was aber eher daher rührt, dass er die meiste Zeit seines Lebens wie eines behandelt wurde und es daher nicht besser weiß. Wolverine hingegen ist wahrhaft mehr Tier als Mensch, auch weil er die meiste Zeit seines endlosen Daseins in freier Wildbahn völlig allein verbracht hat, sodass sich niemand an seinem Verhalten stören konnte. Die wenige Zeit, die er bis jetzt unter oder mit Menschen und anderen Mutanten verbracht hat, konnte daran nicht so viel ändern, wie man es sich vielleicht wünschen würde. Erst recht, da ihn die meisten Menschen bisher auch wie ein unerwünschtes Tier gejagt, eingesperrt oder ihn als Versuchskaninchen missbraucht haben, was sein instinktives Verhalten und seine Abneigung anderen gegenüber nur noch begünstigt hat. 5 Wenig später erreichen sie dann tatsächlich die Basisstation des Doctors. Sie besteht aus einer simplen, kleinen Holzhütte, wie man sie vielleicht aus einem Wald her kennen mag. Vor der Hütte gibt es eine Feuerstelle, mit einem kleinen Aufbau, auf den man Töpfe hängen oder stellen kann. Wolverine geht davor in die Knie und besieht sich das Ganze genau. Prüfend tauchen seine Finger in die kalten Reste der Achse hinein, betasten gewissenhaft deren Konsistenz. Auf seinem Gesicht schlägt sich ein argwöhnischer Ausdruck nieder. Dieser verstärkt sich noch, als er sich nun hinabbeugt und wie ein Bluthund an der Asche zu schnuppern beginnt. Seine Vermutung bestätigt sich dabei. Interessiert beobachtet Kurt jeden seiner Schritte genau und ahmt sie sogar noch. Doch mehr als kalte Asche kann er nicht identifizieren, dafür fehlt ihm schlichtweg die Erfahrung und auch Logans feine Nase. „Das Feuer ist mindestens eine Woche alt.“, teilt er Nightcrawler schließlich mit und steht wieder auf. „Lass uns die Hütte untersuchen und dann einen Unterschlupf suchen, ehe es anfängt zu regnen.“, legt der Ältere dann fest. Kurt stimmt dem zu, sieht aber doch leicht verwundert zum Himmel empor, an dem sich keine einzige Wolke befindet. Leicht hebt er die Augenbraue, erst recht, da er eine gewisse Dringlichkeit in der Stimme des Jägers hören konnte, als würde es keine zehn Minuten mehr dauern, bevor ein gewaltiger Schauer über ihnen herniedergehen würde. Er selbst sieht nichts dergleichen, doch Wolverine muss es irgendwie gerochen haben, hat er doch nicht mal einen einzigen Blick Richtung Himmel geworfen. Außer dem würzigen Geruch des Dschungels kann der Elf jedoch überhaupt nichts riechen, was bei der schieren Dominanz der Düfte hier draußen wahrscheinlich auch kein Wunder ist. An Hand des Himmels schließt er allerdings, dass der Regen noch ein ganzes Stück entfernt sein dürfte und er ihn, wenn überhaupt, erst kurz vorher wahrnehmen wird. Leicht zuckt er mit den Schultern und läuft Logan dann hinterher, der sich schon an der Tür der Hütte befindet. Abgeschlossen ist sie nicht, doch das ist hier draußen mit Sicherheit auch nicht nötig. Drinnen offenbart sich ihnen ein Anblick, der so gar nicht zum schlichten, fast schon etwas verfallenen, Äußeren der Hütte passen will. Dicht an dicht drängen sich Computer, Mikroskope und allerhand anderer wissenschaftlicher Geräte in dem großen Raum, der auch der einzige der ganzen Hütte ist. In einer Ecke befindet sich ein stabiler, verschlossener Schrank, der laut Logans Nase die verschiedenen Vorräte enthält, die der Sherpa regelmäßig vorbeibringt. Über einem kleinen Waschbecken daneben befindet sich ein großer Wassertank, der mit einem Filtersystem auf dem Dach verbunden ist und Regenwasser aufbereitet, damit es zum Trinken und Waschen benutzt werden kann. Sauberes und schmutziges Geschirr stapelt sich auf der Ablage daneben in wildem Durcheinander. Die eingetrockneten Hinterlassenschaften darauf bestätigen Wolverines Vermutung, dass hier schon seit mindestens einer Woche niemand mehr war. In einer anderen Ecke befindet sich ein schlichtes Feldbett. Es ist ungemacht und wird zum Schutz vor Insekten von einem Moskitonetz umgeben. Unweit davon sind noch drei weitere Feldbetten zusammengefaltet an der Wand befestigt. Hier zu viert womöglich monatelang zu hausen, ist ganz sicher kein sonderliches Vergnügen, wirkt alles doch sehr beengt. Neugierig besieht sich Kurt die verschiedenen Aufzeichnungen, die kreuz und quer auf diversen Tischen verteilt liegen. Sie sind ziemlich unverständlich, kaum mehr als flüchtige Notizen. Zudem ist die Handschrift des Doctors für den jungen Mutanten kaum zu entziffern. Dafür gibt es aber einige wirklich schöne Skizzen und Zeichnungen unterschiedlicher Tiere, zudem das ein oder andere Foto. In all dem Chaos entdeckt der Elf dann einen kleinen Käfig, in dem sich huschend eine Art Ratte oder Maus bewegt. Sie sieht schrecklich verängstigt aus und sucht nach einem Fluchtweg, den es aber nicht gibt. Dabei flitzt sie immer wieder hektisch durch eine leere Futterschale und eine ebenfalls leere Wasserschale. Dieses hilflose, kleine Tier zu sehen, bricht Nightcrawler das Herz. Es erinnert ihn so heftig an sein eigenes Leben in Gefangenschaft, dass er unweigerlich zu zittern beginnt. Zielstrebig greift er nach dem Schließmechanismus der Käfigtür, als sich eine Hand schwer auf seine Schulter legt. „Nicht.“, meint der Jäger etwas streng. Ruckartig wendet sich der Blauhäutige zu ihm herum. Seine seelenlosen Augen mustern den Jäger äußerst aufgebracht. „Warum nicht? Wir können das arme Ding doch nicht einfach eingesperrt lassen! Es ist – ist – ich...“, setzt Kurt erstaunlich nachdrücklich an und verstummt dann niedergeschlagen. „Ich kann gut nachempfinden, was du jetzt fühlst. Dennoch können wir das nicht machen. Dem Tier fehlt aber nichts und mit den hier vorhandenen Geräten kann ihm auch niemand wehtun, was auch ganz sicher nicht in der Absicht des Ganzen liegt.“, erläutert der Krieger ruhig. „Aber – aber was ist, wenn wir ihn nicht finden? – Oder wenn er schon – tot ist?“ Die letzten beiden Worte sind kaum mehr als ein Flüstern. „Wenn dem so ist, kommen wir zurück und lassen es frei. Versprochen. Dann müssten wir sicher sowieso das ganze Zeug hier für Charles mitnehmen. Doch darüber machen wir uns Gedanken, wenn es soweit ist. Jetzt wäre es aber sicher angebracht, es wenigstens zu füttern und ihm Wasser zu geben, bevor wir verschwinden.“ Eine sichtliche Erleichterung gleitet über das verstörte Gesicht des jungen Mutanten hinweg und er nickt eifrig. „Gut. Hol doch etwas Wasser aus dem Tank über Waschbecken und ich versuche in der Zwischenzeit dieses Gekritzel zu entziffern, damit wir wissen, was der kleine Kerl frisst. „In Ordnung.“, meint der Elf und huscht auch schon zum Waschbecken hinüber. Der Schwarzhaarige durchforstet derweilen die Papierstapel in der Nähe des Käfigs. Anhand einer Notiz unter einer Skizze erfährt er schließlich, dass es sich bei dem Nager um eine Cayenne-Ratte handelt. Diese soll eigentlich nachtaktiv sein und bisher nur wenig erforscht. Daher wahrscheinlich ein Glücksfall für Wilson, sie gefangen zu haben. Seinen Beobachtungen zufolge ernährt sie sich wohl von Samen, Früchten und Pilzen, also muss sich hier irgendwo dergleichen finden lassen. Nun tritt Kurt wieder an den Käfig heran, betrachtet das Tier mitleidig und schiebt dann vorsichtig die Spitze einer kleinen Gießkanne zwischen den Gitterstäben hindurch, die er irgendwo in dem Chaos am Waschbecken gefunden hat. Geschickt peilt er damit die Wasserschale an und füllt sie wieder auf, während die Ratte hektisch durch ihre erzwungene Behausung flitzt. Als sich die beiden allerdings etwas von dem Käfig entfernen, beruhigt sich die Ratte zusehends und trinkt sogar gierig, was dem jungen Mutanten ziemlich erleichtert. Die zwei wenden sich nun dem Vorratsschrank zu und Logan ist schon drauf und dran das Schloss zu knacken, als Nightcrawler den Schlüssel dafür in der Nähe an einem Haken entdeckt. In Schrank findet sich praktisch alles, was man sich nur vorstellen kann. Vieles ist jedoch gefriergetrocknet oder in Dosen. Alles darauf ausgelegt lange zu halten und ohne Kühlung auszukommen. Nach einigem Suchen finden die beiden aber eine Plastikschachtel, die mit Cayenne-Ratte beschriftet ist. Darin befinden sich eine Hand voll verschiedener Samen und einige getrockneter Pilze, die Wilson wahrscheinlich im Dschungel gesammelt hat. Mit der Schachtel kehren sie zum Käfig zurück und überlegen kurz, wie sie das Futter hineinbekommen, ohne die Tür zu öffnen und die Ratte damit womöglich entkommen zu lassen. Schlussendlich entscheidet sich der zu kurzgeratene Kanadier für die wahrscheinlich einfachste Lösung und kippt die Schachtel einfach über dem Käfig aus. Der geringste Teil des Inhalts landet dabei in der vorgesehenen Schale und einiges trifft sogar die aufgeregte Ratte selbst, doch was macht das schon? Immerhin beruhigt sich das Tier wieder, als sie sich zurückziehen, und beginnt zu fressen, und das ist die Hauptsache. 6 Als sie die Hütte wenig später verlassen, hat sich das Wetter mit erstaunlicher Geschwindigkeit geändert. Obwohl sie kaum zwanzig Minuten hier sind, ist der Himmel nun tiefschwarz und ein böiger Wind zerrt an ihnen. Selbst für Kurt besteht nun kein Zweifel mehr, dass es in wenigen Minuten einen heftigen Wolkenbruch geben wird. „Beeilen wir uns! Ich hab´ vorhin eine Höhle hier in der Nähe gesehen. Die können wir bestimmt für unser Nachtlager benutzen.“, meint der Jäger leicht drängend und wendet sich in die entsprechende Richtung. Nightcrawler folgt ihm wortlos und fragt auch nicht, warum sie stattdessen nicht in der Hütte schlafen. Er kann sich zu gut vorstellen, dass der Vielfraß lieber im Freien nächtigen will, allein schon aus alter Gewohnheit. Der blaue Mutant selbst fühlte sich in der Hütte auch nicht sonderlich wohl, und ist daher schon froh, dass sie sie wieder verlassen haben. Auf dem Weg zur Höhle sammelt der Schwarzhaarige gleich schon mal etwas Holz ein, um ein Feuer machen zu können. Nur ein paar Minuten später erreichen sie den Unterschlupf. Die Höhle befindet sich in einem fast völlig überwucherten Felsmassiv, die in all dem Grün nur dank des Eingangs überhaupt sichtbar scheint. Das ganze Konstrukt ist riesig und diente vor Jahrtausenden wahrscheinlich sogar frühen Menschen als Behausung. Die beiden entdecken tief drinnen zumindest einige Malereien an den Wänden, die diesen Schluss zulassen würden. Die letzten Bewohner waren allem Anschein nach aber verschiedene Tiere, was Fellspuren, Futterreste, Duftspuren und dergleichen belegen. Logan ist allerdings der Meinung, dass hier schon seit einer ganzen Weile niemand mehr gehaust hat, weswegen sie wohl ungestört sein dürften. Bevor der Regen einsetzt, machen es sich die beiden noch schnell gemütlich, suchen Blätter und Stroh für ein Nachtlager zusammen und machen dann ein gemütliches Feuer. Kaum, dass sie damit fertig sind, kracht auf einmal lautstark Donner vom düsteren Himmel hernieder, sodass Kurt erschrocken zusammenzuckt. Sekunden später jagt ein gewaltiger Blitz herab und lässt den Dschungel für den Bruchteil eines Augenblicks taghell aufleuchten. Die bunten Punkte, die sich dabei vor den Augen des Elfen gebildet haben, sind noch gar nicht wieder verschwunden, da klatscht der Regen auch schon auf die Welt nieder. Klatschen ist dabei wohl der passendste Ausdruck, denn er fällt so heftig und in dermaßen großen Tropfen, als würde dort oben jemand eimerweise Wasser ausgießen. Mit leicht überfordertem Ausdruck betrachtet Nightcrawler das surreal wirkende Schauspiel vor der Höhle. Unweigerlich muss er dabei an die Geschichte von Noah in der Bibel denken und er hofft, dass sie hier nicht tagelang festsitzen werden, bis der Regen nachlässt. Der Krieger meint jedoch, dass das normal ist, praktisch täglich zu dieser Jahreszeit stattfindet, und dass morgen früh alles wieder vorbei sein wird. Kurt möchte ihm nur zu gern glauben. Wenig später scheint immerhin das Gewitter abgezogen zu sein, was den Platzregen aber nicht im Geringsten mindert. So sitzen die beiden X-Men um das kuschlige Feuer herum und essen erst einmal etwas. Anschließend reden sie noch ein bisschen, doch nicht sonderlich lange, dann legen sie sich auch schon zum Schlafen nieder. 7 Die Nacht verläuft ziemlich ruhig. Irgendwann hört der Regen auf und nur noch das verhaltene Trippeln einzelner Tropfen durchbricht die Stille. Es dauert jedoch nicht lange, da sind sich die Bewohner das Dschungels sicher, den Wolkenbruch überstanden zu haben, und so gehen sie wieder ihren nächtlichen Aktivitäten nach. Raschelnde Blätter, knackende Äste und der ein oder andere Ruf in der Dunkelheit ertönen. Doch nichts, worum man sich Sorgen machen müsste. Dennoch öffnet Wolverine in den frühen Morgenstunden gähnend die Augen und blickt verschlafen zum Eingang der Höhle. Im zarten Zwielicht zwischen Nacht und Tag erblickt er einen Schatten, der sich dort unsicher bewegt und ihn um den Schlaf gebracht hat. Das Feuer in der Höhle ist längst ausgegangen, doch der Geruch von verbranntem Holz liegt noch immer in der Luft und verunsichert die junge Hirschkuh sichtlich. Vermutlich kommt sie jeden Tag um diese Zeit hier auf ihrer Futtersuche vorbei, doch nie zuvor hat sie diesen Geruch wahrgenommen. Wahrscheinlich riecht sie zudem den Geruch der beiden Mutanten, welcher ihr noch viel mehr Unbehagen bereitet, als der der erkaltenden Asche. Trotz ihrer spürbaren Angst verweilt sie jedoch weiterhin vor dem Eingang und tapst unsicher herum. Logan kommt der Gedanke, dass es hier in der Höhle vielleicht Salz oder andere wichtige Mineralien gibt, die die Hirschkuh hierherlocken. ‚Tja, Schätzchen, heute nicht.‘, geht es dem Kanadier durch den Kopf. Das nervöse Verhalten der Hirschkuh weckt aber zusehends den Jagdtrieb in ihm – so einen fetten Braten zum Frühstück wäre schon echt eine Wucht! Gierig leckt er sich mit der Zunge über die Lippen und fixiert das Tier mit seinen dunklen Augen. Als er sich allerdings langsam erheben und anschleichen will, macht die Hirschkuh wieder ein paar unschlüssige Schritte und tritt dabei dummerweise auf einen morschen Ast. Dieser zerbricht geräuschvoll, woraufhin sich das Tier heftig erschreckt und die Flucht ergreift. „Schöne Scheiße...“, grummelt er leise in sich hinein. Dennoch will er aufstehen, um zu sehen, ob sie vielleicht doch noch irgendwo in der Nähe ist – oder aber ein anderes Tierchen, in das er seine Krallen schlagen kann. In freudiger Erwartung dessen, fangen seine Fingerknöchel tief unter der Haut regelrecht zu jucken an. Es ist fast so, als würde er das Adamantium um seine Klauen herum vibrieren spüren können, und das facht seinen Jagdinstinkt nur noch mehr an. Wolverine kommt jedoch nicht soweit, sich zu erheben, da drückt sich auf einmal etwas Warmes an ihn und ein Gewicht senkt sich auf seinen Schoß. Im ersten Moment ziemlich irritiert blickt er an sich herab, sieht allerdings nur tiefste Dunkelheit. Seine Nase verrät ihm aber, dass es sich dabei um Kurt handelt. Nach einem Augenblick fällt ihm wieder ein, dass sie ja gemeinsam auf einer Mission sind und er hier nicht allein durch den Wald schleicht, um sich wie des Öfteren etwas abzureagieren. Langsam greift er in die Tasche seines Kampfanzugs und fummelt sein Sturmfeuerzeug heraus. Kurz darauf erhellt die kleine Flamme die Düsternis der Höhle in spärlichem Orange. Etwas umständlich streckt sich der Schwarzhaarige und drückt das Feuerzeug senkrecht in die kalte Asche hinein, sodass es dort wie eine kleine Fackel steht. Nun kann er sich den schlafenden Elfen genau betrachten. Der Junge hat den Kopf in den Schoß des Älteren gelegt, sich wie ein Fötus zusammengerollt, und sein Schweif schlingt sich locker um Logans linken Unterschenkel. Sein Gesicht wirkt unglaublich entspannt und voller Unschuld. Vorsichtig streckt Wolverine die Finger aus und streicht ihm eine Strähne aus der Stirn, woraufhin Kurt etwas Unverständliches vor sich hinmurmelt und sich noch dichter an ihn schmiegt. Unweigerlich schluckt der Krieger hart und beißt sich auf die Unterlippe. Kurze Zeit später rührt sich etwas hinter seinem Hosenschlitz, und die Erregung, die er schon den ganzen Tag über verspürt hat, kehrt wieder zurück – heimlich, wie ein Mörder, der den Ort eines früheren Verbrechens erneut aufsucht, um sich an seiner Tat zu berauschen. Schlagartig fällt ihm auch wieder ein, dass er mit Nightcrawler ja eigentlich noch etwas ganz Bestimmtes vorhatte. Wie er das bis jetzt verdrängen konnte, ist ihm ziemlich unklar. Doch ist jetzt der richtige Augenblick dafür? Etwas unschlüssig betrachtet er sich das Zwielicht vor der Höhle und schätzt ab, wie spät es sein müsste. Bis zum tatsächlichen Sonnenaufgang dürften es mindestens noch zwei Stunden sein, und selbst dann ist es gerade erst fünf Uhr morgens. Somit wäre also noch einiges an Zeit, um diesem nagenden Gefühl freien Lauf und sich den Bengel davon wieder erholen zu lassen, ehe sie ihre Suche nach Cooper fortsetzen. Andererseits wäre es schon fast eine Schande den blauen Mutanten zu wecken. Allerdings ist der Jäger selbst inzwischen hellwach und von daher wird sich seine Erregung auch nicht einfach mal so in Luft auflösen, nur weil er ihr keine Beachtung schenkt. Oh, nein! Dafür kennt er seinen rastlosen Körper nur zu gut, erst recht, wenn sich der Bengel auch noch so an ihn kuschelt. Wenn er den Elfen einfach von sich runterschieben, aufstehen und sich selbst um die Sache kümmern würde, würde Kurt in jedem Fall aufwachen. Somit wäre es einerlei, ob er ihn jetzt weckt oder nicht. Gleichgültig zuckt er daher mit den Schultern und schubst den Bengel nicht gerade sanft von sich runter. Nun liegt Nightcrawler ausgetreckt wie ein Betrunkener neben ihm und schläft doch allen Ernstes immer noch ungerührt. Verwundert legt sich die Stirn des Älteren in Falten. „Ist doch nicht wahr...“, grummelt er leicht und kniet sich dann über ihn. „Hey, du Elf, wach gefälligst auf!“, knurrt er schon fast und rüttelt ihn etwas durch. Unwillentlich verzieht der Jüngere dabei das Gesicht, schmatzt verschlafen und pennt einfach weiter. „Echt jetzt? Du willst mich wohl verarschen, wie?“ „Logan...“, kommt es nun allerdings fast schon schnurrend von dem Blauhäutigen, während er sich leicht unter ihm regt. Scheinbar träumt er irgendetwas und ist ganz darin gefangen. Genervt verdreht der Angesprochene die Augen. „Wenn du hier allein in der Wildnis wärst, hätte dich diese blöde Katze schon längst gefressen, wenn du pennst wie ein Stein, weißt du das?“ Nightcrawler kommentiert diese Anschuldigung allerdings nur mit einem erneuten Hauchen seines Namens und ein paar leichten Bewegungen, die dem Jäger irgendwie seltsam lockend erscheinen. Womöglich träumt der Blauhäutige von genau denselben Dingen, die Wolverine gerade durch den Kopf gehen? Zu schön, um wahr zu sein! Das facht die Erregung des Kriegers verständlicherweise nur noch mehr an und so tasten seine Finger zielstrebig nach dem Reißverschluss an Kurts Anzug. Als er ihn zu fassen bekommt, ertönt abermals die murmelnde Stimme des Jungen. „Nicht da! – Hm, Logan...“ Fast schon ertappt hält der Schwarzhaarige inne. „Ach ja? Und wo dann?“, fragt er keck, bekommt jedoch nur wieder seinen geschnurrten Namen zu hören. Langsam wird es dem zu kurzgeratenen Vielfraß doch allmählich zu bunt. Er beugt sich hinab und knurrt dem Jüngeren nicht gerade leise ins Ohr. „Nun wach gefälligst auf, verdammt noch mal! Sonst garantiere ich hier für gar nichts mehr!“ Ein Zucken gleitet über den Körper des blauen Mutanten hinweg und er schlägt desorientiert die Augen auf. „Logan...“, fragt er mit belegter Stimme. „Was – ist denn los?“ „Das fragst du mich? Ich bin hier immerhin nicht derjenige, der irgendwelche feuchten Träume hat und meinen Namen vor sich hin stöhnt.“, kommt es in einer merkwürdigen Mischung aus Tadel und Belustigung von dem Kanadier. Ein paar Sekunden betrachtet Kurt ihn völlig verständnislos, dann scheint ihm irgendeine Erkenntnis zu kommen, woraufhin er ertappt den Blick zur Seite abwendet und sich seine Wangen unweigerlich purpurn färben. „Ich – ähm – es ist nicht so, wie du denkst...“, stammelt Nightcrawler kaum hörbar und würde am liebsten wohl vor Scham im Boden versinken wollen. „Schwachsinn!“, fährt ihn der Ältere an. Sein Atem geht schwer und sein Herz rast. Sein Körper fühlt sich heiß an und alle Empfindungen konzentrieren sich zunehmend in seinen Lenden. Scheu wendet der Elf ihm wieder den Blick zu. Die dunklen Augen des Jägers sind mit einer Art Schleier überzogen, der sie merkwürdig funkeln lässt. Kurt kann spüren, wie der Mann über ihm bebt und seine Erregung nur unter Kontrolle hält, weil er Zeit seines Lebens versucht hat, Selbstbeherrschung zu üben. Doch der Elf kennt Logan mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass Selbstbeherrschung ganz und gar nicht zu seinen Stärken gehört, so sehr er sich auch zu bemühen versucht. Nun ist es an Nightcrawler hart zu schlucken. Nervös versucht er dem durchdringenden Blick des Älteren standzuhalten, da er das irrationale, aber überaus mächtige, Gefühl hat, gefressen zu werden, sollte er auch nur eine Sekunde wegsehen. Einige Momente lang starren sich die beiden einfach nur an. Dann greift Wolverine wieder zielstrebig nach dem Reißverschluss des Jungen. Überrascht weiten sich die seelenlosen Augen. Der Jäger kann seinen Herzschlag hören, der sich daraufhin deutlich beschleunigt. Angst riecht er jedoch nicht an ihm, nur nervöse Unsicherheit. Langsam gleiten die Metallzähne bis zum Bauchnabel auseinander und geben das weiche, blaue Fell darunter frei. Dabei halten die beiden die ganze Zeit Blickkontakt. „Logan, ich...“, setzt der Elf an, wird jedoch von seinem Partner unterbrochen. „Klappe! Ich weiß, was ich tue. Also nichts von wegen: Nein, Aufhören, Nicht da, oder sonst so einem Scheiß, ist das klar?“, harscht er streng. Leicht zuckt der Jüngere zusammen und dennoch kann Wolverine noch immer keine Ablehnung oder Angst an ihm wahrnehmen. Die zarte Zustimmung, die er vor drei Monaten bei seiner ersten, unbewussten Annäherung an ihm gerochen hat, hält sich allerdings auch noch deutlich zurück. Das kann man aber ändern! Einen Moment mustert ihn der Kanadier noch durchdringend, dann beugt er sich zu ihm hinab. Kurz darauf drückt er seine Wange gegen die des Elfen, reibt sich nahezu sanft an ihr, gibt seinerseits eine Art schnurrendes Knurren von sich und fährt dann mit seinen kräftigen Händen über die entblößte Brust des Liegenden. Das Geräusch allein reicht schon aus, um Nightcrawler einen erregten Schauer über den Rücken zu jagen, gehört es doch sonst keinesfalls zu Logans Repertoire; und durch die Berührung wird es nur noch schlimmer. „Logan...“, raunt er atemlos und legt den Kopf zur Seite, wie es ein Tier tun würde, wenn es sich einem überlegenen Artgenossen unterwirft. Das animiert den Vielfraß erst recht und so drückt er erst seine Lippen und dann seine Zähne an den ungeschützten Hals des Teleporters. Dabei tasten seine Finger weiterhin die samtweiche Brust ab. Von einer nahezu unbekannten Macht getrieben streckt sich Kurt ihm entgegen und keucht verhalten auf. Und da ist sie, die Zustimmung! Die unverkennbare Erregung, die den Bengel unter ihm in eine wahre Explosion aus betörenden Düften verwandelt, die Logans Kopf mit einem Schlag einnehmen und ihn an jeglichem Denken zu hindern versuchen. Das darf der Jäger allerdings nicht zulassen, so gern er es auch würde. Er darf sich nicht einfach kopflos seinen Trieben hingeben, dass würde nicht gut enden. Es würde Kurt nur Angst machen. Daher muss er sich dringend zusammenreißen, um dem Blauhäutigen heute nur einen kleinen Vorgeschmack auf das zu geben, was irgendwann folgen wird. Daher sollte er sich nicht allzu lange mit Irgendwas aufhalten, das seine Selbstbeherrschung haltlos über Bord werfen würde, sondern es schnell durchziehen, um lediglich etwas Dampf abzulassen. Somit greift er wieder nach dem Reißverschluss und zieht ihn diesmal bis ganz nach unten. Dabei streifen seine Finger die langsam anschwellende Erregung des Elfen, was ihm ein atemloses Keuchen einbringt. Mit einem neuartigen Gefühl von Hilflosigkeit – fast so, als würde er fallen – klammern sich Nightcrawlers Hände im breiten Nacken seines Partners fest, während sich sein zitternder Körper den erfahrenen Fingern des Anderen entgegendrückt. Der zu kurzgeratene X-Man registriert das mit sichtlichem Wohlwollen und schiebt seine Hand nun fahrig in die enge Shorts des Liegenden. Fast schon grob umfasst sie die heiße Erregung des Jungen, was diesen erstickt stöhnen lässt. Seine leeren Augen starren verhangen zur halbdunklen Decke der Höhle empor, ohne überhaupt etwas zu sehen. Sein schlanker Körper erbebt unkontrolliert, seine Hände klammern sich fester um den Nacken des Älteren und sein Schweif zuckt wie eine aufgebrachte Schlange herum, ehe er sich wie eine Schlinge um Logans Oberschenkel presst. Verkrampft versucht sich der Jäger etwas aufzurichten, was allerdings nicht so einfach ist, wenn sich der blaue Mutant so an ihn klammert. Doch es reicht gerade so, um seinen eigenen Reißverschluss zu öffnen. Ein nahezu erleichtertes Keuchen entspringt seinem Mund, als die erdrückende Enge etwas nachlässt und er seine eigene Erregung aus dem zum Zerreißen gespannten Stoff befreit. Kurz darauf pressen sich die beiden erhitzen Organe willentlich gegeneinander, was Kurt allein schon völlig um den Verstand bringt. Als sich nun Logans Hand um sie schließt, sie zusammendrückt und entspannt, hinauf- und hinabgleitet, fürchtet der Elf nie wieder auch nur einen einzigen Gedanken in seinem überforderten Kopf zustande bringen zu können. Haltlos stöhnt er auf, drängt sich seinem Partner immer noch weiter entgegen, während endlos viele Gefühle über ihn hinwegströmen, von denen er nie dachte, sie jemals empfinden zu dürfen. Hinzu kommt noch der heiße Atem des Kriegers an seinem Hals, der ihn immer wieder erzittern lässt, und dessen kehliges Keuchen in seinen dröhnenden Ohren, gleich einer äußerst exotischen, aber unwiderstehlichen Musik, von der man einfach nicht genug bekommen kann. Wenige Momente später verstärkt sich jede dieser Empfindungen ins Unermessliche, bis sie zu einem einzigen, riesigen Weiß in seinem Kopf werden, das schlussendlich wie eine Supernova explodiert und ihn haltlos mit sich reißt. Sein Körper krampft sich in einer erstaunlich eleganten Geste zusammen, als wäre er unter Strom gesetzt worden. Ein unartikulierter, endlos langgezogener Laut presst sich seine Kehle hinauf und entlädt sich in einem fast schon weinerlichen Stöhnen, das so hochtönig klingt, dass es keinerlei Ähnlichkeit mehr mit Kurts eigentlicher Stimme aufweist. Nur ganz unterschwellig bemerkt er, dass etwas Gleichartiges mit dem Krieger vor sich geht. Bei ihm wirkt nur alles viel beherrschter – oder besser gesagt erfahrener –, was es längst nicht so verzweifelt und hilflos anmuten lässt. Heiß breitet sich ihre Lust zwischen ihnen aus und beendet damit diesen ersten Akt. Kraftlos sinken Nightcrawlers Hände auf den Boden. Leer starren seine Augen wieder zur Decke empor, ohne etwas wahrzunehmen. Hektisch versucht er irgendwie zu Atem zu kommen, während er sein Blut als heißes Pochen in seinen Ohren rauschen hören kann und sein Herz wie ein Vorschlaghammer schmerzlich gegen seine Rippen wummert. Erst als sich einige Minuten später wieder irgendwelche wichtigen Drähte in seinem Gehirn zu berühren beginnen, merkt er, dass Wolverine nun neben ihm liegt. Erschöpft wendet ihm der Elf das Gesicht zu. Der Ältere wirkt ziemlich zufrieden und fummelt gerade eine Zigarre aus dem Rucksack neben sich. Ungelenk beugt er sich dann vor, fischt das Sturmfeuerzeug aus der kalten Asche heraus und entfacht damit die würzig-duftende Tabakrolle, ehe er es zuklappt und in seiner Tasche verschwinden lässt. Nun herrscht wieder Zwielicht in der Höhle, doch es ist schon weit weniger erdrückend, wie zu Beginn des Ganzen. Seufzend legt sich Logan wieder ins Stroh und saugt an der Zigarre, was kurzzeitig einen rotorange glühenden Punkt in den vorherrschenden Schatten aufflammen lässt. Nach einem Augenblick haben sich Nightcrawlers Augen an die neue Dunkelheit gewöhnt und er kann ganz schwach den Rauch sehen, den der Ältere Richtung Decke bläst. Schwerfällig dreht sich Kurt auf die Seite und drückt sich dann so weit hoch, dass er den Abstand zwischen sich und dem Kanadier überbrücken kann. Kraftlos bettet er seinen Kopf auf der Brust des Älteren und gibt ein Seufzen von sich. Fahrig legt ihm der Schwarzhaarige den Arm um die Schulter und drückt ihn schützend an sich. „Alles klar, Kleiner?“, nuschelt er um die Zigarre herum. Schnurrend kuschelt sich Nightcrawler noch dichter an ihn heran. „Könnte gar nicht besser sein...“, meint er erschöpft und Logan ist sich sicher, ein kleines Lächeln in seinen Worten zu hören. Unweigerlich schmunzelt er auch. „Dann ist ja gut.“, erwidert er und streicht ihm durch die zerzausten Haare. „Wir sollten jetzt noch ein bisschen schlafen. Nachher haben wir viel zu tun.“, legt der Jäger nach einem Moment nach. Kurt antwortet ihm jedoch nicht mehr. Der sich schon wieder normalisierte Herzschlag des Schwarzhaarigen hat eine überaus einschläfernde Wirkung auf seinen mitgenommenen Geist, und so sind ihm schon längst die Augen zu gefallen, bevor Wolverine die Stimme erhoben hat. Zufrieden grinst der Vielfraß in sich hinein, raucht seine Zigarre genüsslich zu Ende und driftet dann ebenfalls zurück ins Traumland. Fear and overcoming ------------------- 1 Ein paar Stunden später öffnet Wolverine erneut die Augen und linst zum Eingang der Höhle hinüber, um die Uhrzeit abzuschätzen. Inzwischen ist die Sonne vollständig aufgegangen und erhellt den Großteil ihres nächtlichen Lagers mit weichem Licht. Tausende Vögel geben ihren Gesang zum Besten. Unmengen Insekten unterstreichen das Ganze mit ihrem motorenähnlichen Gesumme. Der süßlich-schwere Duft unzähliger sich öffnender Blumen lässt die stetig wärmer werdende Luft zum Schneiden dick erscheinen. Schmatzend reibt sich der X-Man über die Augen und gähnt herzhaft. Eigentlich könnte er noch gut und gerne ein paar weitere Stunden so verbringen. Es ist überaus gemütlich hier, erst recht mit dem kuschligen Elfen in seinem Arm. Noch immer liegt Kurt an seine Brust geschmiegt da und schläft tief und fest. Wäre eine echte Schande, ihn zu wecken und erst recht selbst aufstehen zu müssen. Doch sie sind schließlich hier, um eine wichtige Aufgabe zu erfüllen und nicht, um sich auszutoben, auf welche Weise auch immer. Von daher sollten sie endlich mal in die Gänge kommen. Keinen Unfug heute mehr! Leicht verträumt wirft der Schwarzhaarige einen Blick auf den Teleporter. Dabei versucht sich unweigerlich wieder sein Körper einzumischen. Immerhin war das Spielchen vorhin nur ein Tropfen auf den heißen Stein für den ruhelosen Krieger. Aber immer noch besser, als gar nichts. Vielleicht müssen sie ja noch eine Nacht hier im Dschungel verbringen? Dann könnte Logan noch etwas Anderes mit ihm ausprobieren. Allerdings sollte er sich jetzt keinesfalls Gedanken darüber machen, sonst wirft er seinen Plan für heute ganz schnell über den Haufen und den Bengel dafür aufs Kreuz. Ein fast schon sehnsüchtiges Seufzen verlässt seine Lippen. Dann rüttelt er den Jungen in seinem Arm etwas durch. „Hey, Elf! Zeit zum Aufstehen!“ Unwillig vergräbt Nightcrawler sein Gesicht an der kräftigen Brust des Älteren und rollt sich noch mehr zusammen. Belustigt hebt sich Wolverines Augenbraue. Zuhause ist der Blauhäutige nicht so verpennt, dafür überaus pünktlich, aufgekratzt und zum Kotzen gut gelaunt, und dass jeden verdammten Morgen. Allein dafür könnte Logan ihm schon ständig den Hals umdrehen. Hier, fern ab von irgendwelchen Weckern und Regeln, scheint Kurt jedoch weit davon entfernt zu sein. Oder aber es liegt nur an der ungeplanten nächtlichen Action. „Nun komm mal in die Gänge, Junge!“, meint der Vielfraß erneut und rüttelt ihn etwas kräftiger durch. Nightcrawler gibt ein genervtes Stöhnen von sich und öffnet dann ganz langsam die Augen. Ziemlich verschlafen versucht er Irgendetwas in seiner Umgebung zu erkennen, was ihm aber nicht so recht gelingen will. Blinzend wendet er Wolverine den Blick zu und starrt ihn eine Weile einfach nur verwirrt an. Schließlich wird ihm klar, auf was er da eigentlich liegt, woraufhin sich seine Augen überrascht weiten und er Abstand zwischen sie beiden bringen will. Allerdings hält der zu kurzgeratene Mann ihn immer noch fest an sich gedrückt. „Logan...?“, fragt er vorsichtig. „Morgen, du Elf. Gut geschlafen?“, kommt es mit einem durchtriebenen Grinsen von dem Angesprochenen. Diesen Wink scheint der Junge zur Abwechslung einmal ohne Umschweife zu verstehen, weshalb er schlagartig purpurn anläuft und beschämt den Blick abwendet. Lachend gibt ihn der Jäger schließlich frei und setzt sich hin. Kurt rückt etwas von ihm ab und zieht schnell den Reißverschluss seines Anzugs zu. „Nun mach doch nicht so ein Gesicht! Ich wollte dich doch bloß ein bisschen aufziehen. Außerdem war es doch das, was du wolltest, oder etwa nicht?“ Abermals läuft der Jüngere purpurn an. „Irgendwie schon...“, kommt es leise von ihm. „Siehst du? Und es hat dir doch gefallen, oder nicht?“, hakt der Ältere weiter nach und steht auf. „So ziemlich...“, meint der Elf nicht weniger leise. „Dann ist doch alles in bester Ordnung! Also guck nicht so! Was glaubst du, wie lange ich schon auf so eine Gelegenheit gewartet habe?“ Überrascht sieht der Blauhäutige zu ihm auf. „Wirklich?“ „Was dachtest du denn? Ich hätte dich schon an deinem ersten Tag aufs Kreuz gelegt, wenn ich dann keinen Ärger mit Charles bekommen hätte! – Doch vergessen wir das jetzt mal. Wir haben schließlich was zu erledigen, also hoch mit dir!“ Sichtlich zuckt Nightcrawler unter den Worten des anderen zusammen. Ein bisschen Rummachen ist ja eine Sache – zugegeben schon ziemlich heikel, weshalb er sich vor seinem Herrn auch noch rechtfertigen muss, wenn es die Zeit zulässt –, aber das Andere? Das ist dann doch zu viel für seinen Geschmack, und Gott fände das noch viel weniger witzig. Aber kann er das Wolverine so einfach sagen? Schließlich wollte der Kanadier ja schon vorhin nichts von irgendwelchen Widerworten hören, und er hat eine dermaßen dominante Art an sich, der sich Kurt einfach nicht widersetzen kann. Na, egal jetzt. Logan hat recht, sie haben etwas Wichtigeres zu tun. Über alles andere kann sich der Elf auch noch Gedanken machen, wenn sie wieder zu Hause sind... 2 Nach einem kurzen Frühstück packen die beiden ihre Sachen zusammen und verlassen die Höhle. Gemeinsam betreten sich noch einmal die Basishütte, wo Wolverine den Geruch des Vermissten in sich aufnimmt. Wieder draußen im Dschungel hebt er die Nase in die Luft, schnüffelt geräuschvoll wie ein Bluthund und dreht sich dabei langsam im Kreis, um eine Richtung ausfindig zu machen. So nahe bei der Hütte ist das gar nicht so einfach. Stumm verstreichen die Sekunden. „Ich denke, ich hab´s. Aber es ist ziemlich schwach, also muss er noch ein ganzes Stück entfernt sein. Außerdem hat der Regen von gestern einige Spuren verwaschen.“, erläutert der Jäger schließlich und setzt sich dann zielstrebig in Bewegung. Kurt folgt ihm, immer wieder fasziniert von der guten Nase seines Partners, kann er selbst doch kaum irgendeinen Geruch in diesem endlosen Meer identifizieren. Hauptsächlich schweigend bahnen sich die beiden X-Men ihren Weg durch das dichte Grün. Praktisch die ganze Zeit über kann Nightcrawler den Älteren neben sich schnüffeln hören, um die Fährte nicht zu verlieren. Ein paar Mal bleibt er sogar stehen, um sich neu zu orientieren. Dabei wirkt er etwas angefressen, weshalb sich der Elf vorstellen kann, welchen Schaden der Regen wohl angerichtet haben muss. Wahrscheinlich hat es bis zu ihrem Eintreffen hier im Dschungel sogar mehrmals geregnet und daher sind die Spuren alles andere mehr als deutlich. Doch immerhin scheint Logan die Fährte wenigstens nicht zu verlieren und das ist schon mal sehr viel wert. Gegen Mittag rasten sie in der inzwischen sehr erdrückenden, feuchten Hitze. Die Spur ist jetzt wesentlich deutlicher und es dürfte daher nicht mehr lange dauern, bis sie auf Wilson treffen. Umso wichtiger ist es, sich jetzt etwas auszuruhen. Schließlich wissen sie ja nicht, was sie erwartet. Womöglich ein Kampf? Eine Leiche? Das vermutet der Jäger allerdings nicht. Der Geruch ist ein anderer. Noch lebt der Doctor also. Allerdings sagt Wolverines Erfahrung ihm, dass das nur noch eine Frage der Zeit ist. Cooper ist sehr erschöpft. Da ist der schwache Geruch von Blut, also ist er wohl verletzt. Das ist nicht gut. Wenn ihn dieser dämliche Jaguar findet, ist er Geschichte. Von daher sollten sie sich etwas sputen. 3 Aus diesem Grund dauert die Rast auch bei weitem nicht so lange an, wie es sich die beiden wünschen oder wie es bei dieser Hitze angebracht wäre. Logan will sich gar nicht vorstellen, wie es dem Bengel mit seinem Fell da ergeht, wenn ihm selbst schon so warm ist. Ungerührt dessen schlurfen sie weiter durch die hartnäckige Vegetation. Eine Stunde später ist Coopers Geruch überdeutlich, der des Blutes nahezu schneidend. Kurz darauf finden sich die beiden Mutanten auf einer Art Lichtung wieder. Sie wirkt allerdings nicht natürlich. Eine Hand voll Bäume sind kreuz und quer am Boden verstreut. Ihre Wurzelballen liegen frei, als hätte man sie in einem Stück aus der Erde gerissen. Kurz vor ihrer Ankunft im Dschungel muss es wohl ein Erdbeben, eine Überschwemmung oder dergleichen gegeben haben. Anders lässt sich das Ganze hier einfach nicht erklären. Etwa in der Mitte dieser seltsamen Lichtung ist die Erde aufgebrochen. Ein fast zweieinhalb Meter breiter Spalt verläuft von dieser Stelle aus nach beiden Seiten tief in den Dschungel hinein, gleich einer offenen Wunde auf dem Antlitz der Welt. Einen Moment lang blicken sich die zwei Mutant an. In ihren Gesichtern liegt dieselbe Empfindung. Sichtlich vorsichtig nähern sie sich anschließend dem Spalt. Dabei spüren sie deutlich, wie der Boden unter ihren Füßen mit jedem Schritt mehr nachzugeben scheint. Die Erde ist hier tropfnass und jede unüberlegte Bewegung könnte einen Erdrutsch auslösen, der den Spalt nur noch vergrößert. Das gefällt Wolverine ganz und gar nicht. Ohne das Adamantium auf seinen Knochen würde er nur wenig mehr als Kurt wiegen, doch das Metall bringt noch einmal gut dreißig Kilo auf die Waage, weshalb es wohl auch kein Wunder ist, dass er am Rand des Spalts bis zu den Knöcheln in der zähen Masse versinkt. Dank seines geringeren Gewichts sinkt der Elf nicht so weit ein. Zudem verteilt er die Last auf allen Vieren besser. Der Jäger tut es ihm schließlich gleich und hockt sich nieder, was aber auch nicht mehr so viel ändert. Es reicht aber immerhin, um in den Spalt blicken zu können, ohne gleich reinzufallen. Auf Grund des Geruchs überrascht Logan der Anblick dort unten nicht gerade, Nightcrawler holt jedoch erschrocken Luft und zuckt zusammen, als hätte man ihn geschlagen. Der Spalt ist viel tiefer, als man bei der doch eher geringen Breite vermuten würde. Wolverine schätzt, dass er etwa zehn Meter in die Tiefe reicht und dabei nur geringfügig an seiner Ausdehnung verliert. Am Grund ist jede Menge Wasser zu sehen, weshalb es unmöglich ist, die gesamte Tiefe zu bestimmen. Der Spalt ist außerdem sehr unregelmäßig. Überall sind große Felsbrocken von den Wänden gebrochen und hinabgestürzt. Einige sind auf halber Höhe steckengeblieben, andere ragen ein bisschen aus dem Wasser am Grund heraus. Auf einer Art kleinem Plateau in gut sechs Metern Tiefe sitzt zusammengesunken Doctor Cooper. Seine Augen sind geschlossen, er wirkt sehr erschöpft und mitgenommen. Sein linkes Bein klemmt unter einem großen Felsbrocken fest. Auf der feuchten Erde darunter kann Wolverine Blut erkennen. Wilson hat äußerlich sehr viel Ähnlichkeit mit Einstein. Doch seine sonst so wüsten, weißen Haare und sein ebenfalls weißer Schnurrbart sind vom Schlamm verkrustet und strähnig, sodass diese eigentlich lustige Ähnlichkeit praktisch nicht mehr vorhanden ist. Sein ganzer, schier unerschöpflicher Elan scheint ebenfalls entfleucht zu sein. Er wirkt so armselig, wie es Wolverine nie gedacht hätte, es jemals bei ihm zu erleben. Der aufgeweckte Mann hat ihn zwar mehr als einmal mit seinem Forscherdrang auf die Palme gebracht, doch jetzt hat er sichtlich Mitleid mit ihm. So einen Tod wünscht man nun wirklich nicht jedem – einsam und allein, ohne Aussicht auf Rettung, irgendwo im Dschungel verschollen, und nach seinem Ableben von irgendwelchen Tieren gefressen... 4 „Das ist er, oder?“, fragt Kurt schließlich. „Ja, das ist er.“ „Lebt er noch?“ Nervös blickt der Elf in den Spalt auf den reglosen Mann hinunter. „Noch ja. Aber ich denke, er hat sich das Bein gebrochen. Da ist Blut und er ist sehr schwach. Wir sollten uns besser beeilen.“, meint Logan mit leichter Sorge. „Was machen wir?“, will Nightcrawler wissen und schreckt dann etwas zusammen, als sich unter seiner Hand ein Brocken der aufgeweichten Erde löst und klatschend hinabstürzt. „Erst mal aufpassen, wo du hintrittst, Junge. Sonst erschlagen wir ihn noch mit dem ganzen Mist hier.“, mahnt er den Jüngeren, woraufhin dieser ein Stück zurückrutscht und ihn entschuldigend ansieht. „Und dann werden wir versuchen, ihn zu wecken, damit er keinen Herzinfarkt bekommt, wenn wir ihn hochholen.“ Verstehend nickt der Blauhäutige. Kurz darauf erhebt Wolverine die Stimme. „Wilson? Hören Sie mich? – Doctor Cooper aufwachen!“ Ein Zucken geht durch den schmächtigen Körper des Weißhaarigen und er beginnt sich leicht zu regen. „Cooper? Nun kommen Sie schon!“ Eine stärkere Regung und dann schlägt er langsam und schwerfällig die Augen auf. Blinzelnd blickt er sich um, merkt, dass er immer noch an diesem unschönen Ort ist, und lässt dann resignierend die Schultern hängen. „Wilson?“ Irritiert dreht der Angesprochene den Kopf von links nach rechts, sieht nichts und blickt dann nach oben. „Wer ist da?“, fragt er mit brüchiger Stimme und blinzelt wieder. So kann der Jäger deutlich sehen, dass das rechte Glas seiner dicken Brille gesprungen ist. Zudem trübt eine verschmierte Schlammschicht darauf ebenfalls seine Sicht. Dennoch scheint er nach einer Weile genug zu erkennen, damit sich ein erschöpftes, aber überaus glückliches Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitet. „Träume ich? Oder kommt allen Ernstes der berühmte Wolverine höchstpersönlich zu meiner Rettung?“, seine Stimme bebt, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen. Ein flüchtiges Lächeln huscht über das Gesicht des Kanadiers hinweg. „Sie träumen nicht, Cooper! Ich bin es wirklich. Wie geht es Ihnen?“ „Oh, welch eine Freude! Also abgesehen davon, dass ich hier in diesem schlammigen Spalt hocke, mein Schienbein zertrümmert ist, ich Hunger wie ein Bär habe, von Durst ganz zu schweigen, und mehr feuchten Sand in der Unterhose, als ich es je am Strand erlebt habe, könnte es mir kaum besser gehen! Und nun, wo ich dein zartes Stimmchen höre, geht mir wirklich das Herz auf, mein Junge!“, flötet der Doctor jetzt erstaunlich ausgelassen. Von seiner anfänglichen Erschöpfung ist kaum noch etwas zu spüren. Leicht grummelt Wolverine bei der Bemerkung des anderen Mannes in sich hinein, dennoch schleicht sich wieder ein kleines Lächeln auf seine Lippen. „Freut mich zu hören, Cooper. Wie lange hocken Sie schon da?“ „Hm, wenn mich nicht alles täuscht, müsste es inzwischen knapp eine Woche sein. Gut, dass es hier so oft regnet, sonst wäre ich wohl verdurstet. Aber sag mal, bist du extra wegen mir hierhergekommen, mein Junge?“ „Ja. Charles ist schon ganz krank vor Sorge, weil er so lange nichts von Ihnen gehört hat. Daher hat er uns hergeschickt, um Sie zu suchen.“ „Oh, der gute Charlie! Ich hätte es mir ja denken können. Er macht sich immer so schnell um alles Sorgen. – Doch du bist nicht allein? Wer ist dein kleiner Freund?“, fragt Wilson nun und versucht einen genaueren Blick auf den anderen Mutanten zu werfen, der sich am Rand des Spalts zusammengekauert hat. „Das ist Nightcrawler, unser neuster Zugang im Institut. Es ist seine erste Mission und ich muss den Lehrer für ihn spielen.“ Betont gibt Logan dem Elfen einen Stoß, woraufhin sich dieser etwas aufrichtet, damit Cooper ihn besser sehen kann, und winkt dann verhalten zu ihm hinunter. Überrascht weiten sich die blassblauen Augen des Doctors hinter den schmutzigen Gläsern. „Na, sieh sich das nur mal einer an! Was für ein herrliches Exemplar er doch ist! Wirklich ganz wundervoll!“, die Begeisterung in seiner Stimme ist kaum zu überhören und behagt Kurt so gar nicht. Zu deutlich wird ihm bewusst, dass Wilson ja ein Mensch ist, und dann auch noch ein sehr angergierte Wissenschaftler... 5 „Wir werden Sie da gleich rausholen. Also bleiben Sie ruhig sitzen, der Boden gibt sehr leicht nach.“, mahnt Wolverine des Weißhaarigen. „Wem sagst du das, mein Junge? Ich habe mehr als einmal versucht, hier raus zu klettern. Doch die Wände sind furchtbar glitschig. Schlussendlich haben sich sogar ganze Brocken gelöst. Einer hat sich günstig verkeilt, sodass ich jetzt darauf sitzen kann. Dummerweise ist ein anderer genau auf mein Schienbein gestürzt. Naja, und den Rest sieht man wohl...“, erläutert Wilson theatralisch, aber erstaunlich nüchtern. Brummend stimmt ihm der Jäger zu und wendet sich dann mit Kurt ein Stück vom Rand des Spalts ab. „Okay, jetzt wird´s ernst, du Elf! Es kommt ganz allein auf dich an, also...“, setzt Logan an, woraufhin Nightcrawler erschrocken die Augen aufreißt und ihm ins Wort fällt. „Moment mal! Was soll das heißen, es kommt allein auf mich an?“, empört er sich schon fast. Beruhigend legen sich die Hände des Älteren auf seine Schultern, während ihn die dunklen Seelen fest ansehen. „Ganz einfach: Ich bin zu schwer. Verstehst du? Wenn ich versuchen würde, in den Spalt hinabzuklettern, würde er in sich zusammenbrechen und Cooper lebendig begraben. Du bist fast um die Hälfte leichter als ich. Zudem kannst du dich nach unten teleportieren und ihn so wieder hochbringen, ehe alles einbricht.“ „Aber ich – er ist – ich – oh Mann...“ „Ich weiß, dass du angst hast, weil er ein Mensch ist. Doch er ist ganz und gar nicht böse und wird dir auch nichts tun. Er ist vollkommen hilflos und auf dich angewiesen. – Erinnerst du dich daran, was Charles vor unserer Abreise zu dir gesagt hatte? Diese Mission soll dir ein Stück weit helfen, deine Angst zu überwinden. – Du musst es versuchen, sonst wird er womöglich abstürzen und sterben, und das willst du doch nicht, oder?“ „Natürlich nicht. – Es ist nur – Du hast ja recht. Ich muss mich zusammenreißen und ihm helfen. Er hat den Tod nicht verdient.“, unsicher sieht Nightcrawler ihn an. Ein mitfühlendes Lächeln huscht über das Gesicht des Älteren. „Du packst das schon. Da bin ich mir ganz sicher, Kleiner!“ Wackelig erwidert der blaue Mutant das Lächeln und gemeinsam nähern sie sich wieder dem Spalt. 6 „Cooper? Nightcrawler wird jetzt runterkommen und Sie holen. Bleiben Sie ganz still sitzen. Er beherrscht eine Art Teleportation und kann daher...“ „Was? Das ist ja wirklich unglaublich! Wie aufregend!“, platzt Wilson wie ein kleines Kind dazwischen. Leicht seufzend verdreht Logan die Augen. ‚Ob du das auch noch sagst, wenn du in dieser stinkenden Schwefelwolke hockst und von diesem Hammerschlag im Magen getroffen wirst? Naja, immerhin wirst du dir dann nicht die Seele aus dem Leib kotzen müssen, hast ja schon eine Weile nichts mehr zu Futtern gehabt, alter Knabe...‘, geht es dem Jäger durch den Kopf, während er sich um Ruhe bemüht und Kurt neben ihm nur wieder unsicher aussieht. Erneut legt sich seine Hand auf die Schulter des Jüngeren, wobei er aber weiterhin den Blick auf den Doctor gerichtet hat. „Hören Sie, Cooper. Bleiben Sie ruhig! Dass hier ist eine echt schwierige Sache, also wäre es schön, wenn Sie jetzt mal eine Weile nicht das aufgeregte Mädchen spielen könnten.“, seine Stimme klingt streng, fast schon wie ein Knurren, dennoch scheint Wilson es kaum zu bemerken. „Oh, klar, klar. Ich bin ganz brav!“, flötet er fröhlich und grinst zu den beiden Mutanten nach oben. Seine ungetrübte Begeisterung ist trotzdem greifbar, völlig egal, was er auch sagt. Erneut seufzt Logan auf und verdreht leicht die Augen. „Tja, Elf, jetzt wird es ernst. Also mach das Beste draus. Und jetzt ab mit dir!“ Kurt gibt einen ziemlich unwilligen Laut von sich, doch die Hand des Jägers auf seiner Schulter fühlt sich warm und tröstlich an – vor allen Dingen aber auch streng und fordernd. Von daher hat er wohl keine andere Wahl. Kurz schließt Nightcrawler die Augen und atmet ein paar Mal tief durch. Dann blickt er noch einmal in den Spalt hinein. „Doctor Cooper? Ich werde direkt vor Ihnen auf dem Felsen auftauchen. Doch bitte erschrecken Sie nicht.“ Freudig lächelt der Weißhaarige ihm entgegen. „Keine Bange, mein Junge. Mach nur.“ Kurt wirft noch einmal einen Blick zu seinem Partner hinüber, ehe er kurz darauf auch schon verschwindet. Keine Sekunde später taucht er in eine violette Wolke gehüllt direkt vor Wilson auf, der ihn mit überrascht geweiteten Augen und offenem Mund anstarrt. „Heiliges Reagenzgläschen, dass war ja unglaublich!“, platzt es auch schon aus ihm heraus, ohne dass er dem stechenden Geruch irgendeine Beachtung schenkt. Nightcrawler hingegen zuckt beim Klang seiner aufgeregten Stimme unwillkürlich zusammen. „Wie, in aller Welt, hast du das gemacht, Junge?“, fragt der Weißhaarige entzückt und mustert den jungen Mutanten, als wäre er der weltgrößte Diamant. „Ich – ich bin mir nicht sicher. – Aber...“, setzt der Teleporter an und streckt vorsichtig die Hand nach ihm aus, damit er ihn nach oben bringen kann. So weit kommt er allerdings gar nicht erst, da ihm Cooper zuvorkommt. Plötzlich gleiten die Hände des Wissenschaftlers forschend über Kurts pelzige Wangen hinweg, gleich einer Frau, die kritisch einen neuen Stoff befühlt. „Faszinierend...“, haucht er dabei, während ein erschrockenes Zittern über den Körper des Blauhäutigen hinweggleitet. Ein paar Sekunden – er hat keine Ahnung, wie viele es sind – steckt Kurt im Klammergriff einer so überwältigenden und grenzenlosen Panik fest, dass er buchstäblich außerstande ist, auf irgendeine Art zu reagieren. Es ist erstaunlich, dass er überhaupt noch Luft holen kann. Nicht sonderlich begeistert beobachtet Wolverine das Schauspiel. Er hat es ja schon geahnt. Wilson ist niemand, der seine Hände bei sich behalten kann, und das ist alles andere als hilfreich für den schreckhaften Elfen. Nun tasten sich die Finger des Weißhaarigen über die spitzen Ohren hinweg. Nightcrawler ist so dermaßen angespannt, dass sein Fluchtreflex für Logans Sinne eine grellleuchtende Adrenalinwolke um ihn herum erzeugt hat. Der Krieger kann spüren, wie sehr sich der Junge dagegen zu wehren versucht, um seine Aufgabe doch noch erfüllen zu können. Allerdings fehlen nur noch wenige Sekundenbruchteile oder eine weitere Berührung und er ist auf nimmer Wiedersehen verschwunden. Oder noch schlimmer: Er könnte vor Angst ohnmächtig werden. Das darf auf keinen Fall passieren! Zitternd schließt Nightcrawler die leeren Augen und versucht sich irgendwie selbst zu beruhigen. Worte füllen tröstlich seinen Kopf aus. ‚Ich lerne von Jesus Christus. Wie er möchte ich mich in die Nähe der Menschen trauen, in die Nähe der Mutlosigkeit, in die Nähe des Leides und des Todes. In seiner Nachfolge und in der Gemeinschaft mit meinen Brüdern und Schwestern will ich mich den notwendigen Aufgaben stellen.‘ Es kommt ihm so vor, als würde es tatsächlich funktionieren. Dieser Gedanke verflüchtigt sich aber ganz schnell wieder, als Cooper nun neugierig den langen Schweif des jungen Mutanten ergreift. Ein heftiger Schreck fährt Nightcrawler durch die Glieder und er macht unwillkürlich einen Satz nach oben. Nun hockt er verängstigt kopfüber an der zerklüfteten Wand der Spalte und sieht mit aufgerissenen Augen zu Wilson hinab. Der Untergrund ist jedoch ziemlich glitschig, sodass sich nicht einmal der Elf völlig sicher daran festhalten kann. Daher wirkt er erst recht nervös. Geknickt blickt der Weißhaarige zu ihm nach oben, fast wie ein Kind, dem man verboten hat mit etwas ganz Tollem zu spielen. ‚Oh, scheiße...‘, geht es dem Ältesten derweilen durch den Kopf. Dann kommt ihm eine Idee und er hofft inständig, dass Kurt darauf eingeht, um das Ganze endlich zu beenden. „Hey, Elf! Krieg dich wieder ein, ja?“ Vorsichtig wendet ihm der Angesprochene das Gesicht zu. Das Leid darauf bricht dem Schwarzhaarigen fast das Herz, doch der Bengel muss da einfach durch, anders geht es nicht. „Hör zu, okay? In deiner Bibel steht doch irgend so was von wegen: Fürchte mich nicht, glaube nur. Hab´ ich recht?“ Überrascht weiten sich die gelbglühenden Seelen. „Hab´ ich recht, du Elf?“, fordert Wolverine noch einmal zu wissen. Langsam löst sich etwas von der Starre des Jüngeren. „Eigentlich heißt es: Fürchte dich nicht, glaube nur.“ Logan schnaubt leicht ungeduldig. „Ist doch egal, verdammt! Versuch es doch einfach nur!“ Dann wendet der Vielfraß den Blick zu Wilson und keinerlei Güte ist mehr darin zu erkennen. „Und Sie hören mir jetzt auch mal zu, Cooper! Hören Sie auf der Stelle auf den Bengel zu betatschen, ist das klar? Er hat eine Scheißangst vor Menschen, weil er sein Leben lang von ihnen misshandelt und wie ein Tier in einem Käfig gehalten wurde und als Kuriosität in einem Zirkus auftreten musste. Also Schluss jetzt mit dem Mist, sonst werde ich dafür sorgen, dass Sie nie wieder etwas anfassen können. Und scheiß drauf, was Charles dazu zu sagen hat!“, zornig knurrt er die Worte zu dem Weißhaarigen hinab, während warnend seine Krallen hervorschnellen und eine primitive Art von Eifersucht in seinem Verstand zu pochen beginnt. Verdutzt sieht ihn Wilson an und dann zu Kurt, der seinen Blick scheu erwidert. „Ich verstehe. Ich entschuldige mich in aller Form bei dir, mein Junge, und werde mich jetzt nicht mehr rühren.“ 7 Einen Moment halten Kurt und Wilson noch den Blickkontakt, dann streckt sich der Blauhäutige, um erneut auf den Felsen zu kommen. Als er allerdings wieder vor ihm hockt und die Hand nach ihm ausstrecken will, geht auf einmal ein Ruck durch den Brocken. Ein feuchtes Knirschen ertönt und dann stürzt der verkeilte Felsen ohne eine weitere Vorwarnung in die Tiefe hinab. Geistesgegenwärtig klammert sich Nightcrawler wieder an der zerklüfteten Wand des Spalts fest. Ein stechender Schmerz jagt sein linkes Bein hinauf. Es ist Cooper, der sich mit aller Kraft daran festzuhalten versucht. „Alles in Ordnung, Doctor?“, fragt der junge Mutant atemlos und sieht flüchtig zu ihm hinunter, während er verzweifelt Halt auf dem glitschigen Untergrund sucht. „Alles bestens, mein Junge.“ „Gut. Ich kann mich nicht halten, also...“, er beendet den Satz nicht. Stattdessen schlingt sich nun sein Schweif um Wilsons Brust, woraufhin der Weißhaarige sein Bein loslässt. Mit angehaltenem Atem verfolgt Logan das Ganze von oben. Eher er aber etwas sagen kann, teleportiert sich Nightcrawler davon und taucht eine Sekunde später mit dem Doctor neben ihm wieder auf. Erschöpft sinkt der Blauhäutige auf die Knie. Cooper ist erstaunlicherweise einmal völlig still. Als Wolverine ihn betrachtet, kommt es ihm so vor, als wäre der alte Knabe etwas grün um die Nase. Das löst einen Funken Schadenfreude in dem Jäger aus, doch er lässt es sich nicht anmerken. „Alles klar, Jungs?“, fragt er stattdessen. Stumm nicken die beiden. Der Schwarzhaarige gönnt ihnen einen Moment zum Durchatmen. Ehe dieser vorüber ist, legt sich Coopers Hand vorsichtig auf Kurts Schulter. Diesmal zuckt der Junge nicht zusammen, was vielleicht auch nur seiner Erschöpfung zu verdanken ist. Dafür wendet er den Blick um und sieht den Älteren fragend an. „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich´s meine. Und sieh, ob ich auf bösen Wegen bin, und leite mich auf ewigem Wege. – Ich hoffe, du verzeihst mir meine aufdringliche Art, mein Junge, und verstehst, dass ich es nicht böse gemeint habe?“ „Schon gut. Ich muss es lernen, auch wenn es etwas viel auf einmal war. – Sie kennen die Bibel?“ „Aber selbstverständlich, mein Junge. Und ich denke, dass der Herr einen ganz besonderen Plan für dich bereithält und dich keineswegs mit alledem strafen will.“, aufmunternd lächelt er ihm entgegen. Mit einem Funken Erleichterung erwidert Kurt die Geste. „Das hoffe ich auch, Doctor.“ „Wenn das dann geklärt ist.“, unterbricht der Krieger die beiden, die ihm daraufhin den Blick zu wenden. „Hol den Verbandskasten aus dem Jet, Elf, damit wir Cooper für den Abflug vorbereiten können.“, meint der Älteste, wohl wissend, dass sie auch Verbandszeug im Rucksack dabeihaben. Doch er will Kurt eine kleine Verschnaufpause gönnen. „Dafür brauche ich aber mehr als einen Sprung...“ „Ist doch nicht schlimm. Jetzt droht ja keine Gefahr mehr, also ab mit dir!“ Kurz darauf verschwindet Nightcrawler gehorsam und die zwei Älteren bleiben allein zurück. Logan kniet sich zu Wilson und zerschneidet dessen Hosenbein mit seiner Kralle, um sich sein Schienbein ansehen zu können. Es sieht ziemlich böse aus. Muss in jedem Fall geschraubt, genagelt, was auch immer werden. Vielleicht auch gleich komplett durch einen Stahlbolzen ersetzt? Doch das ist Aufgabe der Ärzte im New Yorker Krankenhaus. „Tut mir wirklich leid, dass ich dem Jungen so viel Kummer bereitet habe...“, kommt es nun ziemlich reumütig von dem Wissenschaftler, wobei es Logan jedoch so vorkommt, als würde sich Wilson eher bei ihm, als bei Kurt entschuldigen, damit der Vielfraß seine Krallen nicht doch noch für etwas Anderes benutzen muss. „Schwamm drüber. Er hat es ja doch noch geschafft. Aber ich denke mal, dass ihr beide etwas daraus gelernt habt.“ „Sicherlich. Aber er ist ein so faszinierendes Wesen. Denkst du, es besteht vielleicht die winzige Chance, ihn mir näher betrachten zu können?“ Streng mustert ihn der Jäger. „Nur, wenn du nichts dagegen hast, meine ich. Und er natürlich auch nicht...“ „Wir werden sehen. Erstmal sollten wir Sie jetzt zurück nach New York bringen und ab ins Krankenhaus. Wenn Sie wieder gesund sind, können wir vielleicht noch mal darüber sprechen.“ Weiter kommt die kurze Unterhaltung nicht, da taucht der Teleporter wieder bei ihnen auf. 8 „Das sieht aber wirklich böse aus...“, kommentiert Nightcrawler den offenen Bruch des Doctors, als der Inhalt des Verbandskastens neben ihm ausgebreitet liegt. „Will ich meinen. Daher sei vorsichtig. Wir haben das alles schon geübt und jetzt kannst du dich mal am lebenden Objekt versuchen.“ Nicht sonderlich begeistert von dem Gedanken sieht der Blauhäutige ihn an, hat so etwas aber schon befürchtet. Daher spart er sich mögliche Widerworte und beginnt ganz vorsichtig damit, die Wunde zu reinigen, behelfsmäßig zu schienen und anschließend zu verbinden. Es dauert eine ganze Weile, da Kurt penibel darauf bedacht ist, ihm nicht wehzutun. Cooper lässt das Ganze schweigend über sich ergehen und studiert den Jungen stattdessen mit den Augen. Gewissenhaft beobachtet der Schwarzhaarige alles und gibt zwischendurch den ein oder anderen Tipp. Schließlich ist es geschafft. „Und?“, fragt Kurt. „Fühlt sich ziemlich gut an.“, bestätigt Wilson zufrieden und auch Wolverine nickt zustimmend. „So, jetzt ab zum Jet und weg hier!“, legt er dann fest. „Was ist mit der Ratte?“, wirft Nightcrawler sorgenvoll ein, woraufhin ihn die beiden anderen fragend mustern. Dann fällt bei Logan der Groschen. „Wir waren in Ihrer Basis und da haben Sie so eine Ratte im Käfig...“, setzt er an. „Ja, ein ganz seltenes Tierchen, das bisher kaum erforscht ist!“, erwidert Wilson begeistert. „Genau, wir haben sie gefüttert und so weiter. Wenn wir Sie jetzt aber nach New York zurückbringen, wird sie hier elendig verhungern. Kurt würde sie daher gern freilassen.“ „Oh, ich verstehe. – Es ist sehr schade drum, aber vielleicht wirklich das Beste, wenn ich bedenke, wie lange meine Genesung wahrscheinlich dauern wird...“, sonderlich glücklich klingt der Weißhaarige nicht, aber einsichtig ist er dennoch. „Kannst du uns dort hinbringen, Elf?“ „Sicher. Ich muss aber zweimal springen.“ Gesagt, getan. Als sie an der Basis ankommen, ist Wilson schon um einiges mehr grün um die Nase. Es kommt wahrscheinlich sogar einem Wunder gleich, dass er in seinem geschwächten Zustand noch nicht ohnmächtig geworden ist, doch vermutlich hält ihn nur seine grenzenlose Faszination noch aufrecht. Vorsichtig holt Wolverine den Käfig mit der aufgebrachten Ratte nach draußen und drückt ihn dann Cooper in die Hand. Dieser betrachtet ihn einen Moment und reicht ihn dann an Kurt weiter. „Mach du es, mein Junge.“, lächelt er ihm sanft entgegen. Daraufhin scheint der junge Mutant regelrecht aufzutauen. Mit Bedacht stellt er den kleinen Käfig auf den Boden und öffnet die Klappe an der Seite. Verwundert mustert ihn die Ratte einen Moment und schnüffelt dann an der Öffnung. Abermals wendet sie den Blick zu Nightcrawler, als wolle sie fragen, ob das wirklich sein Ernst ist. „Du bist frei, Kleiner.“, erwidert der Teleporter glücklich. Daraufhin schlüpft die Ratte aus dem Käfig hinaus und entfernt sich hastig einen Meter davon. Ein letztes Mal dreht sie sich herum und mustert die drei komischen Gestalten. Dann flitzt sie quietschend davon und verschwindet im dichten Dschungel. Einen Augenblick sehen sie dem längst verschwundenen Tier noch nach, dann ergreift der Elf die Hände der beiden Männer und springt mit ihnen zurück zum Jet. Dafür braucht er diesmal sogar fünf Anläufe, was den Weißhaarigen dann tatsächlich ausknockt. „Oh, das wollte ich nicht...“ „Ach, halb so wild. Der kommt gleich wieder zu sich.“, winkt Logan ab und verfrachtet Wilson auf den Sitz des Copiloten. Da die Wolf 2 aber nur zwei Sitze hat, setzt sich Nightcrawler in den kleinen Frachtraum, während Wolverine den Jet in die Luft bringt und sie etwa einen Tag später auf dem Dach des Krankenhauses landen, wo sie schon sehnsüchtig von Charles erwartet werden. Und damit endet die erste Mission der beiden. Swords and Passion ------------------ 1 Mit hellem Klirren prallen die messerscharfen Schneiden wuchtig aufeinander, üben einen Moment Druck aufeinander aus und lösen sich dann geschwind wieder voneinander. Einige Sekunden mustern sich die beiden Kontrahenten grinsend, ehe sie erneut die Klingen sprechen lassen. Überaus wohlwollend registriert Logan dabei jeden Fortschritt des Elfen. Inzwischen sind seit ihrer ersten Mission über zwei Monate vergangen und Kurt ist nun um einiges sicherer im Umgang mit Menschen. Zwar ist er ihnen gegenüber immer noch scheu und vorsichtig, fürchtet sich aber nicht mehr, solange er merkt, dass ihm sein Gegenüber wohlgesinnt ist. Wolverine war sich nicht sicher, ob das nach der überaus gründlichen Begutachtung des inzwischen wieder genesenen Dr. Cooper überhaupt der Fall sein könnte. Die Untersuchung, die Hank am ersten Tag Nightcrawlers vorgenommen hatte, war dagegen nur wie ein entspannter Spaziergang im Park... Doch der Teleporter hat alles über sich ergehen lassen, ohne viel zu murren, was definitiv als Erfolg für beide Seiten gewertet werden kann. Bald darauf bemerkte der Schwarzhaarige, dass Kurt eine begeisterte Vorliebe für Helden- und Piratenfiguren entwickelt hat, wobei es ihm Errol Flynn ganz besonders angetan hat. Daher kam ihm die Idee, Nightcrawler den Schwertkampf beizubringen und das mit Erfolg. Der Junge ist hin und weg von dem Gedanken wie ein tollkühler Pirat kämpfen zu lernen – wobei er nicht selten sogar so zu sprechen beginnt, was mit seinem deutschen Akzent wirklich urkomisch ist – und sträubt sich weit weniger dagegen, als sich dem Faustkampf zu stellen, wie Logan es früher schon eher vergebens versucht hatte. Jemandem mit dem Schwert zu töten ist zwar weit einfacher, als mit bloßen Fäusten, doch das scheint den Elfen nicht so sonderlich zu stören, immerhin gibt es ja auch genug Wege, jemandem mit einer Waffe nur kampfunfähig zu machen und gerade das soll ja die Ambition der X-Men sein und nicht das Töten. Das Geschick des Teleporters mit der scharfen Klinge ist erstaunlich, obwohl er nie zuvor eine Waffe in Hände hatte. So macht Wolverine das Training mit ihm umso mehr Spaß und er muss sich weit weniger zurückhalten, als er am Anfang befürchtet hat. Noch ahnt es keiner von beiden, aber in nicht allzu ferner Zukunft wird Kurt ein überaus begnadeter und leidenschaftlicher Schwertkämpfer, der mühelos mit drei Klingen gleichzeitig agieren kann! Jetzt allerdings ist erst mal nur eine dran. Doch allein schon damit steht er Logans Krallen in kaum etwas nach, und seine akrobatische Schnelligkeit macht ihn zu einem sehr ernstzunehmenden Gegner, selbst für den Kanadier, der wahrlich einmal froh ist, seinen Heilfaktor zu haben, sonst wäre das hier wohl eine ziemlich kurze Sache... So haben die beiden also ziemlich viel Vergnügen beim Training und es erfreut den Schwarzhaarigen sichtlich, den Bengel mit so viel Elan kämpfen zu sehen. Wenn er da an ihren ersten Faustkampf zurückdenkt, der überhaupt erst nur durch überaus miese Tricks zustande gekommen ist, stellen sich wohl nicht nur bei ihm alle Nackenhaare auf. Da ist das hier weitaus besser. Erst recht, weil Charles sich so nicht dazu verpflichtet fühlt, die beiden die ganze Zeit überwachen zu müssen. Das hat jede Menge Vorteile, weshalb dem ruhelosen Krieger wieder deutlich ins Gedächtnis kommt, vielleicht einem gewissen hartnäckigen Funken nachgeben zu können! Doch nichts überstürzen. Er hat sich jetzt so lange zurückgehalten, da schafft er das auch noch ein bisschen länger, besonders wenn der Kampf allein schon so viel Spaß macht. „Du gehst über die Planke, elende Landratte!“, grinst Kurt ihm verwegen zwinkernd entgegen und setzt zum nächsten Angriff an. „Das wollen wir doch mal sehen, Captain Fellball!“, grinst der zu kurzgeratene Kanadier zurück, weicht geschickt aus und setzt seinerseits zum Angriff an. Wie zu erwarten, weicht Kurt dem mit der Eleganz eines Tänzers aus und schwingt die Klinge. Logan kann sie gerade noch abblocken. Über die gekreuzten Schneiden hinweg funkeln sie sich herausfordernd an. Wie auf ein geheimes Stichwort hin, trennen sie sich wieder voneinander, umkreisen sich wie zwei Ringer und setzen dann zu einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd an, bei der mal der Eine die Führung hat und mal der Andere. Irgendwann verliert Nightcrawler seinen Partner aber in der dichten Illusion des Waldes aus den Augen und genau darauf hat der Jäger nur gewartet. Jetzt ist Schluss mit den Spielchen und mit der Zurückhaltung erst recht! Ein anderer Teil seines Körpers übernimmt nun unweigerlich das Denken... 2 Unschlüssig steht Kurt hinter einem Baum und linst um die raue Rinde herum, in der Hoffnung, Logan irgendwo zu entdecken. Er sieht allerdings nichts und überlegt schon, ob er sich ein anderes Plätzchen suchen soll, um einen besseren Überblick zu haben. Doch soweit kommt er nicht. Auf einmal drückt sich kaltes Metall mit all seiner Schärfe gegen seine ungeschützte Kehle und lässt ihn augenblicklich erstarren. „Wag‘ es ja nicht abzuhauen, Elf...“, knurrt der Vielfraß ihm mitten ins Ohr. Kurt schluckt hart, ein Schauer läuft seinen Rücken hinunter. Langsam entgleitet das Schwert seinem kraftlosen Griff und landet mit gedämpftem Klappern auf dem Waldboden. Ergeben hebt der Teleporter die Hände. „Du – hast gewonnen.“, meint er etwas unsicher und spürt dabei nur zu deutlich den tödlichen Druck der scharfen Klauen an seinem Hals. „Und wie ich gewonnen hab‘! Wird Zeit für meine Belohnung...“, raunt der Schwarzhaarige schwer und drückt sich von hinten gegen ihn. Der blaue Mutant schluckt abermals hart und ein verräterischer Schimmer gleitet über seine Wangen hinweg. „Logan...“, setzt der Jüngere an. „Schweig!“, erwidert der Ältere, legt den Kopf etwas umständlich auf seine Schulter und fummelt mit der freien Hand nach dem Reißverschluss des Elfen. Als er ihn zu fassen bekommt, zieht er seine Krallen zurück und hält inne. „Bring uns in dein Zimmer!“, fordert er stattdessen mit spürbar wenig Geduld. Der Teleporter wagt es gar nicht erst zu widersprechen, sondern tut, was ihm befohlen wurde. Zurück bleibt nur das Schwert in der Stille des Waldes... 3 Schon einen Wimpernschlag später kommen sie im Zimmer des blauen Mutanten an. Als Logan merkt, wo genau sie gelandet sind, muss er unweigerlich grinsen. „Du scheinst diesen Schrank ja wirklich unglaublich zu mögen!“, gluckst er amüsiert und drückt sein Gegenüber bäuchlings gegen die weißgetünchte Holzverkleidung der Innenseite. Etwas unbehaglich windet sich Nightcrawler unter seinem Griff. „Es war das Erste, dass mir eingefallen ist...“, meint er entschuldigend. „Soll mir sehr recht sein...“, raunt der Vielfraß und presst harsch die Lippen gegen den Halsansatz des Jungen, während seine Finger wieder nach dem Reißverschluss greifen und ihn flink bis zum Bauchnabel hinabziehen. Scharf holt Kurt Luft, drückt unsicher die Hände gegen die Wandverkleidung und ist sich nicht sicher, ob es nicht besser wäre, sich dem Ganzen zu entziehen. Überdeutlich kann er die angespannte Erregung des Älteren an sich spüren, wie sie sich unfassbar verlangend gegen seine Kehrseite presst, so heiß und hart... Allein schon vom Gedanken daran schwirrt ihm unweigerlich der Kopf. Doch das hier ist falsch! Es darf nicht sein! Und doch fühlt es sich so gut an! Er sich so hingezogen zu diesem anderen Mann... Die starken Hände des Älteren auf seinem zitternden Körper... Die Erfahrung des Jägers, die ihn davor bewahrt haltlos zu Boden zu stürzen... Diese seltsame Hitze, die ihn durchfluten will, ohne dass er sich dagegen wehren kann... Aber will er das wirklich? Will er sich dagegen wehren, nur weil es in Gottes Augen vielleicht nicht rechtens ist? Sein Kopf schreit JA, sein Körper wimmert NEIN, und in mitten dessen hockt ein sichtlich überforderter Kurt und weiß nicht, was das Richtige ist. Wolverine hingegen scheint das ganz genau zu wissen. Fahrig zerrt er dem Elfen den Anzug von den Schultern, gleitet mit seiner heißen Zunge über dessen pelzigen Hals, bevor er die Zähne bleckt und sie in die weiche Haut hineindrückt. Erschrocken keucht Nightcrawler auf. Es ist eine Mischung aus Überraschung und Schmerz, und tief darunter eine ganz ähnliche Erregung, wie er sie damals im Dschungel empfunden hat. „Logan...“, wimmert er hilflos-verwirrt und legt dann unbewusst ergeben den Kopf auf die Seite, um dem animalischen Jäger noch mehr seines schutzlosen Halses zu präsentieren. Nur allzu gern geht der zu kurzgeratene Kanadier darauf ein und wandert mit Lippen und Zähnen ungeniert diesen empfindlichen Bereich auf und ab. Ein Zittern gleitet am Rücken des Teleporters hinab und lässt ihn spürbar erbeben. Die feine Nase des Schwarzhaarigen nimmt dabei leichten Unwillen, einen Hauch Furcht und eine beachtliche Portion unterdrückte Erregung wahr. Begierig saugt er diese Gerüche in sich ein. In dieser Kombination bringen sie ihn regelrecht um den Verstand. Fast schon schnurrend zieht seine Zunge eine feuchtwarme Spur am Rand des spitzzulaufenden Ohrs des Jungen entlang. „Vertraust du mir?“, will der Krieger dabei wissen. „J-ja...“, kommt die Antwort leicht stockend. Doch es ist die Wahrheit, Logan kann es riechen, auch wenn die Furcht vor dem Unbekannten bleibt. Aber das ist nicht schlimm, umso schöner wird es sein, wenn er sie im Keim ersticken kann! Wolverine kann den inneren Konflikt des Elfen ebenso wahrnehmen, allerdings soll das ganz sicher kein Hindernis für ihn darstellen. Er muss sich nur geschickt anstellen, damit Kurt alle Bedenken beiseiteschieben kann und brav bis zum Schluss bei ihm bleibt. Daher setzen sich nun auch wieder seine Finger in Bewegung und erforschen die Beschaffenheit der Brust und den zarten Ansatz von Muskeln am flachen Bauch. Das stimmlose Keuchen des blauen Mutanten dringt dabei an sein Ohr und mischt sich mit seinem eigenen verlangenden Raunen. Fast schon grob zieht der Vielfraß den Reißverschluss des blauen Mutanten bis ganz nach unten, was ihm ein stockend-erleichtertes Stöhnen einbringt, als sich die scharfen Metallzähne über der erhitzten Erregung ruckartig öffnen. Geschwind streift Logan seinem Partner den Anzug von den schmalen Hüften und befreit ihn dabei auch gleich von den viel zu engen Shorts. Während sich Kurt um etwas mehr Beherrschung bemüht, sorgt Wolverine für einen Ausgleich, in dem er sich ebenfalls seiner Sachen entledigt und sich dann völlig blank gegen den Jüngeren drückt. Dieser zuckt sichtlich zusammen und holt hörbar Luft, als ihn das heiße Organ so tollkühn berührt. „Logan...“, keucht Nightcrawler fast schon weinerlich. „Ja?“, grinst der Ältere ihm raunend ins Ohr. Er bekommt allerdings keine Antwort. Das ändert sich jedoch, als er den langen Schweif des Teleporters zu fassen bekommt, ihn besitzergreifend umklammert und gerade so fest daran zieht, dass es noch nicht unangenehm wird, aber dennoch nachdrücklich wirkt. „Nicht! Lass los!“, bittet der Blauhäutige mit einem Hauch von Verzweiflung. „Warum denn?“, neckt Wolverine und tastet sich bestimmend an dem langen Organ hinauf. Mit jedem Zentimeter scheint Kurt unruhiger zu werden, was den Schwarzhaarigen nur zufrieden grinsen lässt. Schließlich erreichen seine Finger den Ansatz des Schweifs, während sich der Rest inzwischen fest wie eine Würgeschlange um seinen Arm geschlungen hat. „Warte...“, wimmert Kurt. „Worauf denn?“, kommt es keck zurück. Ehe sich der Elf eine plausible Antwort überlegen kann oder auch nur ansatzweise weiß, wie er es ausdrücken soll, presst sich Logans Daumen in die kleine Kuhle direkt über der Schweifwurzel. Ein erstickter Laut folgt als Reaktion darauf, begleitet von einem heftigen Schauer, der den schlanken Körper wie bei einem Erdbeben erzittern lässt. Ein heißes Stöhnen bricht durch die bebenden Lippen des Jungen. An dieser besonderen Stelle laufen sehr viele Muskeln und Nerven zusammen, die diesen Punkt überaus empfindlich auf Druck machen. Wer schon mal einen Hund oder eine Katze an dieser Stelle direkt über dem Schwanz gekrault hat, der weiß, wie wohlwollend die Tiere diese Berührung hinnehmen, sich ihr willentlich entgegenstrecken und nicht selten sogar den Schwanz auf die Seite legen, als würden sie ihrem Partner ihre Bereitschaft zur Paarung signalisieren. Dabei ist es völlig egal, ob es sich um ein weibliches oder ein männliches Tier handelt, es ist ein simpler Reflex, der tiefverwurzelt im urinstinktiven Verhalten ist. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch Kurt unwillkürlich dieser Reaktion unterliegt, ist sie fast allen schweiftragenden Säugetieren eigen. Fahrig streicht der Daumen nun immer wieder über diesen speziellen Punkt hinweg, mal mit mehr und mal mit weniger Druck. Nightcrawlers Reaktion darauf ist mehr als eindeutig. Seine Stimme verliert sich immer mehr in keuchendem Stöhnen, sein ganzer Körper zittert vor Erregung, sein Schweif gibt Logans Arm wieder frei und legt sich dafür bereitwillig zur linken Seite, und schließlich schieben sich seine Hüften nach hinten und strecken sich dem begierigen Krieger wollüstig entgegen. Verlangend beißt sich Wolverine auf die Unterlippe. Langsam wendet Nightcrawler den Blick zu ihm nach hinten. Seine seelenlosen Augen sind vor Lust so verschleiert, dass es wirkt, als wäre er völlig blind. Dieser Anblick macht den Älteren nur noch wilder, daher muss das halt als Vorspiel genügen! Noch einmal beugt sich der Schwarzhaarige an das Ohr seines Vordermannes heran. „Entspann dich – hier.“, raunt er schwer und gleitet dann mit den Fingern über die so verbotene Stelle, die er meint. Ein weiteres Zucken geht durch den blaufelligen Körper. Scheinbar wird Nightcrawler dabei bewusst, was ihm gleich blühen könnte. Er wirkt augenblicklich wieder nervös, sein Schlafzimmerblick brutal ins Nirwana verbannt. „Das – das geht nicht...“, bringt er hervor und versucht sich dabei Logans Händen zu entziehen. Dieser drückt ihn allerdings erneut fester gegen die Holzverkleidung, sodass ihm nicht mehr viel Bewegungsfreiheit bleibt. „Steht in deiner Bibel nicht: Liebe deinen Nächsten? Und genau das habe ich ja gerade vor. Also stell dich nicht so an, Junge!“ „So – ist das aber überhaupt nicht gemeint...“, erwidert Kurt überfordert. Wolverine grinst in sich hinein und flüstert ihm dann abermals schwer ins Ohr. „Dann nenn mich eben Judas, wenn dir das besser gefällt...“ Logans Stimme ist tief und kraftvoll und hat etwas sehr Mitreißendes, Verruchtes an sich. Kurt spürt, wie sich sein kurzes Fell an den Armen und auf dem Rücken beim Klang dieser kraftvollen Stimme sträubt, doch es hat nichts Unangenehmes an sich. Stattdessen sträubt sich ihm das Fell in purer Erwartung. Er erbebt geradezu unter diesem Geräusch und den warmen, erfahrenen Händen des anderen Mannes hinter sich. Er hat definitiv Angst vor dem, was folgen könnte, dennoch brennt alles in ihm darauf, Wolverine in all seiner ganzen Wildheit zu spüren. Wie er Besitz von ihm ergreift und ihn zu seinem Eigentum macht – ganz gleich, was Gott auch immer davon halten mag. Im Moment existiert sein über alles geliebter Herr schlichtweg gar nicht, nur die sündige Wollust, die in ihm entbrennt... „Lass mich rein, Kurt!“, schnurrt der Krieger in einer ungewohnt sanften Art und gleitet erneut mit dem Daumen über die empfindliche Stelle über dem Schweif des jungen Mutanten. Dem Teleporter entkommt ein tiefes Keuchen und all seine Bedenken scheinen sich mit ihm in alle Winde zu zerstreuen. Er kann sich einfach nicht mehr länger dagegen verwehren. Sein animalischer Trieb übernimmt jegliche Kontrolle über den bemüht keuschen Teil seines Denkens und sperrt ihn in ein dunkles Verließ, aus dem er so schnell nicht wieder hervorkommen wird. „Ich – bin dein...“, haucht der Elf in seinem Verlangen ertrunken – und das ist wie Musik in den Ohren des Vielfraßes! Daher verschwendet er auch keinen weiteren Gedanken mehr an irgendetwas, sondern umfasst fordernd die Hüften seines Partners, bringt ihn in die richtige Position und dringt dann in ihn ein. Dabei bemüht er sich sichtlich um Beherrschung, es langsam zu machen, um dem Elfen nicht unnötig wehzutun. Doch Beherrschung ist nun einmal nicht seine Stärke, so sehr er sich manchmal auch dafür verflucht. Der Schmerz, der den Blauhäutigen durchfährt, ist daher dennoch intensiv und plötzlich. Es ist, als hätte jemand Kurt einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf gekippt. Ein ersticktes, gequältes Stöhnen zwängt sich durch seine zitternden Lippen und sein Körper zuckt unwillkürlich unter der grobwirkenden Behandlung des Jägers zusammen. Wimmernd klammert er sich an der Wand fest und versucht dem Drang zu widerstehen, auf die Knie zu sinken, um den Schmerz dadurch vielleicht erträglicher werden zu lassen. Eine einzelne Träne rinnt seine pelzige Wange hinab. „Alles – okay?“, fragt der Krieger zwischen zusammengepressten Zähnen, fest umschlossen von so viel herrlich heißer Enge. „Es – tut weh...“, erwidert der Jüngere wimmernd. Seine Stimme klingt ganz so, als würde er gleich anfangen zu weinen, und dass will der Kanadier nun wirklich nicht. Innerlich würde er sich jetzt gern selbst ohrfeigen, um sich darüber im Klaren zu werden, dass das hier immerhin Kurts erstes Mal ist und er deswegen viel behutsamer sein müsste. Doch jetzt ist es dafür eh zu spät... „Das geht gleich vorbei. Aber versuch dich etwas mehr zu entspannen, Elf!“, meint Wolverine keuchend und gibt ihm etwas Zeit. „Tief durchatmen.“ Zittrig versucht der Teleporter dem nachzukommen, doch es ist weit einfacher gesagt, als getan. Daher dauert es eine ganze Weile, bis der X-Man spürt, wie sich die Muskeln um ihn herum lockern und die Atmung des Jungen ihren schmerzlichen Unterton verliert. „Das machst du sehr gut! Nur nicht verkrampfen...“ Logan lässt ihm noch etwas Luft und dringt dann weiter in das hitzige Unbekannte vor. Er hält allerdings immer wieder gezwungenermaßen inne, wenn er spürt, dass sich die Muskeln unwillkürlich anzuspannen drohen. Dadurch geht es bei weitem nicht so schnell voran, wie es der triebhafte Jäger gerne hätte, doch immerhin fehlt es Kurts Körper an Erfahrung, dass muss er sich immer wieder sagen. Es kann somit nur besser werden. Schließlich ist der Kanadier mit seiner ganzen Länge in ihm verschwunden, hält inne, ringt nach Beherrschung und atmet durch. Das gibt auch Nightcrawler die Möglichkeit sich an all das zu gewöhnen, obwohl er das unschöne Gefühl hat, gepfählt worden zu sein. Diese Vorstellung behagt ihm überhaupt nicht, doch er kann sie irgendwie nicht vertreiben. Wolverine scheint sein Unwohlsein zu spüren und reibt daher wieder über die empfindsame Stelle oberhalb von Kurts Schweif hinweg. Wie erhofft, lässt es den Jüngeren wieder tief stöhnen, wobei sich sein Körper deutlich entspannt und sich Logan daher nicht mehr so erdrückt in der hitzigen Enge fühlt. Möglichst langsam und kontrolliert beginnt sich der Krieger dann in ihm zu bewegen. Die rhythmischen Stöße erzeugen ein seltsam reibendes Gefühl tief im Inneren seines Körpers, wobei sich Nightcrawler überhaupt nicht sicher ist, was er davon halten soll. Es fühlt sich so merkwürdig an – so falsch. Insbesondere an dieser so verbotenen Stelle. Ein Gefühl von einem kaum zu beschreibendem, fast schon brennendem Ziehen durchflutet seinen Unterleib bei jedem Eintauchen. Ganz hinten in seinem Kopf ist ihm allerdings klar, dass dieses schmutzige Treiben schon seit Urzeiten ein fester Bestandteil des Menschen und unzähliger Tiere ist. Das es, obwohl es sich so falsch anfühlt, doch richtig und von der Natur sogar beabsichtigt ist. Das es hunderttausendfach jeden Tag rund um den ganzen Erdball verteilt praktiziert wird, und er somit nicht der Erste ist, der solch eine Erfahrung macht. Ja, was ihm an Wissen fehlen mag, beherrscht Wolverine vermutlich schon seit etlichen Jahrzehnten und hat es zur Perfektion ausgebaut. Kennt sich daher bestens aus und weiß genau, was er tun muss, damit sich der Elf dabei wohlfühlen kann. Im Moment fehlt ihm diese positive Empfindung zwar noch, doch er kann spüren, dass sich Logan dessen bewusst ist und schon nach einer Lösung sucht. Selbstredend entgeht dem Jäger nicht, dass sich Kurt nicht gerade angetan gibt. Beim ersten Mal auch nicht gerade untypisch. Doch wie der Teleporter schon so richtig gedacht hat, mangelt es dem Kanadier überhaupt nicht an Erfahrung und daher weiß er schon ziemlich gut, wie er es besser machen kann. So verlagert er seine Stöße leicht in ihrer Position und tastet sich praktisch suchend durch die hitzige Enge, in der Hoffnung, noch einen speziellen Punkt zu finden. Das versucht unterdrückte, klägliche Wimmern, das der junge Mutant dabei durch zusammengebissene Zähne ausstößt, treibt ihn noch mehr an, sich dahingehend Mühe zu geben. Er will keinesfalls riskieren, dass es dem Fellträger endgültig zu viel wird und er sich einfach verdrückt – und dabei womöglich ihre innige Freundschaft zueinander zum Erliegen kommt, weil er sich womöglich von ihm geschändet fühlt... Nein, das darf auf keinen Fall passieren! Kurts Laute wollen aber einfach nicht besser werden. Es scheint dem Jäger sogar so, als würden sie immer nur noch verzweifelter. Langsam fängt er an, an sich selbst zu zweifeln. Sollte das hier vielleicht wirklich nicht zwischen ihnen sein? War es ein Fehler, den Elfen dazu zu bringen? Wahrhaben will er diese Gedanken so überhaupt nicht. Sein Gefühl hat ihn bei so etwas noch nie im Stich gelassen, warum also ausgerechnet jetzt? Oder kann es vielleicht auch sein, dass Kurt etwas braucht, dessen sich selbst der triebhafte X-Man nicht bewusst ist – es trotz seiner grenzenlosen Erfahrung nicht kennt? Das ist doch albern! Es gibt kaum etwas, dass Logan nicht schon ausprobiert und seinem Repertoire als nützlich hinzugefügt hat. Ungehalten knurrt er in sich hinein und drängt sich noch ungestümer in den zitternden Körper vor sich hinein. Auf einmal gibt Nightcrawler jedoch ein schwaches Stöhnen von sich, das Wolverine augenblicklich aufhorchen lässt. Sollte es möglich sein, dass er doch noch den richtigen Punkt gefunden hat? Konzentriert versucht er ihn wiederzufinden. Leicht verstimmt stellt er dabei fest, dass sich dieser Punkt so weit hinten in dem engen Körper befindet, dass er ihn in dieser Stellung nur ziemlich schwerlich erreichen und somit nicht ausreichend bedienen kann. Kein Wunder also, dass er ihn zuvor nicht finden konnte. Vermutlich wäre es einfacher, und sicherlich auch angenehmer für Kurt, wenn sie die Stellung wechseln würden, doch dazu hat der Schwarzhaarige im Augenblick so gar keine Lust. Und er will dem Blauhäutigen dabei auch nicht die Möglichkeit geben, sich gegen das Ganze hier zu entscheiden, wenn er sich jetzt von ihm trennt, um eine neue Position einzunehmen. Womöglich würde sich Kurt ihm dann vielleicht sogar gänzlich verweigern, weil er keinen Sinn darin sieht, sich diesem unschönen Gefühl erneut ergeben zu müssen, nur damit der Vielfraß bekommt, was er will. Von daher muss es einfach auch so gehen! Ein Ass hat Logan allerdings doch noch im Ärmel. Nachdrücklich stößt Wolverine weiterhin bemüht gegen den Punkt tief hinten in seinem Partner, stützt sich mit einer Hand an der Wandverkleidung ab – wobei er seine Krallen zur Hilfe nimmt, die sich tief ins Holz hineinfressen –, und tastet mit der anderen Hand dann abermals nach dem Schweif des Jungen. Dieser hat sich inzwischen mit der Heftigkeit einer Henkersschlinge um seinen Oberschenkel gewickelt und hinterlässt darauf immer wieder kurzzeitig ein rotes Würgemahl, bevor sein Heilfaktor diese erblühende Quetschung erneut wieder in Ordnung bringt. Es ist schier unglaublich wie viel Kraft doch in diesem schlanken Anhängsel steckt. Logan kümmert sich jedoch nicht sonderlich darum, sondern arbeitet sich bis zum Ansatz nach oben und reibt dann wieder fahrig mit dem Daumen über die kleine Kuhle hinweg. Daraufhin erzittert Kurt ergeben unter seiner Hand, presst sich mit der blanken Brust gegen die Wand, macht dabei ein Hohlkreuz und streckt ihm die Hüften noch weiter entgegen. Heißes Keuchen verlässt seinen Mund, in dem kaum noch Unwohlsein zu hören ist. Etwas ungelenk wendet Nightcrawler dann das Gesicht zu ihm um, und da ist er wieder, dieser herrliche Schlafzimmerblick! „Logan...“, kommt es ihm wohlig schnurrend über die Lippen. Der Angesprochene verliert dabei fast gänzlich seine Beherrschung. Es ist wie ein Kopfschuss. „Elf...“, raunt er schwer und verstärkt seine Bemühungen noch um einiges. Das quittiert der Teleporter mit noch heißerem Stöhnen, womit er also über den Berg sein dürfte. Jetzt fehlt nur noch der Sprung von der Klippe. „Komm schon, du Elf...!“, fordert ihn der Jäger daher auf. Er hat den Satz noch gar nicht ganz beendet, da überrascht ihn der blaue Mutant genau damit. Ruckartig wirft Kurt den Kopf in den Nacken und stöhnt langgezogen zur Decke des Schranks empor. Sein ganzer Körper erzittert und sämtliche Muskeln verkrampfen sich rhythmisch um den Krieger herum, als würden sie versuchen wollen, ihn noch tiefer hineinzuziehen oder ihn haltlos zu zerquetschen. Doch etwas überrascht von diesem plötzlichen Ausbruch, lässt sich Wolverine ebenfalls fallen, knurrt erstickt auf und kommt dann tief in ihm. Eine heiße Welle durchflutet Nightcrawlers Unterleib wie ein Tsunami. Kraftlos gibt er ein weiteres Keuchen von sich und droht dann völlig den Halt zu verlieren. Etwas grob schlingt der Schwarzhaarige den Arm um ihn, um ihn vor einem Sturz zu bewahren. Kurz darauf zieht er sich aus ihm zurück, und gemeinsam sinken sie dann auf die Knie hinab. Schwerlich lässt sich Kurt auf den Rücken fallen. Mit heftig pochendem Herzen und geschlossenen Augen liegt er da und versucht wieder Luft zu bekommen. Logan sitzt neben ihm und betrachtet ihn hingerissen zwischen ein paar schnellen Atemzügen. Lange hält er dem aber nicht stand... 4 Mit noch leicht zitternden Fingern tastet der Teleporter nach dem goldenen Kreuz am Ende der feingliedrigen Kette um seinen Hals. Müde führt er es zu seinen Lippen empor und haucht einen atemlosen Kuss darauf. „Oh, Heiliger Vater –, erhöre mich, denn – ich habe gesündigt. – Die Wollust ergriff von mir – Besitz und...“, setzt Kurt keuchend an. „Lass den Scheiß!“, unterbricht Logan ihn sehr harsch. Etwas erschrocken und völlig verständnislos blickt der Elf zu ihm auf. „Aber...“ setzt er an, um sich zu rechtfertigen. Immerhin hat er absichtlich Englisch gesprochen, damit sich auch Wolverine ihrem unkeuschen Fehltritt bewusstwird und vielleicht sogar so etwas wie Buße für diese Sünde vor dem Herrn tut. Allerdings hätte er wissen müssen, dass sich der Krieger auf so eine Schiene ganz sicher nicht herablassen würde. „Kein aber! Du brauchst jetzt nicht den reumütigen Knaben zu spielen.“, entgegnet er ihm und beugt sich dann tief zu ihm hinab, sieht ihm mahnend in die Augen. „Warum?“, will der Jüngere unsicher wissen. „Ganz einfach: Weil wir noch längst nicht fertig sind, Junge!“ Überrascht weiten sich Nightcrawlers seelenlose Augen. „Aber der Herr Gott wird...“ „Der wird gar nichts! Also hör auf dir darüber einen Kopf zu machen! Dafür hast du eh nicht die Zeit, wenn du gleich die Englein singen hören wirst!“, grinst der Jäger herausfordernd. Nahezu entrüstet betrachtet ihn der Blauhäutige einen Moment. Dann jedoch fängt er frech an zu grinsen und irritiert damit seinen Partner sogar etwas. „Schön, wenn du so überzeugt von dir bist, dann zeig mir, was du kannst!“, kommt es nun in einem untypisch lüstern-herausfordernden Tonfall von ihm. Verdutzt fehlen Logan einige Sekunden lang sämtliche Worte, ehe er sein dreckiges Grinsen wiederfindet. „Na warte, Bursche! Ich zieh dir das Fell über die Ohren!“, gluckst er, bevor er dem Liegenden fast schon grob die Beine auseinanderspreizt und sich dazwischen hockt. Der Elf schaut neugierig zu ihm auf und scheint somit den ersten Schreck des vorangegangenen Treibens und die dahinterstehende Sünde überwunden zu haben. Wohlgesinnt breitet er sogar die Arme aus, als sich der Krieger zu ihm hinabbeugt und wieder die Zähne über seinen Hals wandern lässt. Leise schnurrend verschränkt der Teleporter die Finger im Nacken des anderen Mannes und streicht dort ziellos durch dessen wirre Haare. Deutlich flammt die Erregung abermals zwischen ihnen auf und der blaue Mutant ergibt sich ihr bedingungslos, weiß er doch jetzt, dass ihn der Schwarzhaarige sicher ans Ziel führen wird. Wolverine hält sich auch nicht allzu lange mit irgendetwas auf, sondern umfasst fordernd die Hüften des Jungen, hebt sie leicht an und dringt dann erneut in ihn vor. Nightcrawler entkommt ein angestrengtes Stöhnen, als sein geschundener Körper wieder dazu getrieben wird, dieses heiße, harte Organ in sich aufzunehmen. Seine Laute haben aber nichts mehr mit dem ersten, schmerzlichen Eindringen zuvor gemeinsam, und das beruhigt nicht nur den Jäger sichtlich. Der Kanadier hofft zudem, dass es in dieser Stellung einfacher sein wird, diesen Punkt so tief hinten in dem Elfen zu treffen. Denn immerhin kann er jetzt nicht darauf zurückgreifen, ihn zusätzlich an der Schweifwurzel zu stimulieren, die er praktisch nicht erreichen kann, wenn Kurt auf dem Rücken liegt. „Logan...“, wimmert der junge Mutant ergeben und schiebt sich ihm noch weiter entgegen. Die langen Beine schlingt er fest um die Hüften des Vielfraßes und drücken ihn dabei sogar noch tiefer in sich hinein. Das kommt dem Älteren gerade recht, denn nun trifft er diesen Punkt mit aller Härte und lässt seinen Partner haltlos unter sich erzittern. Sein tiefes Stöhnen jagt einen Schauer über Logans Rücken, wodurch er nur noch fester zustößt. Erregt verdreht Kurt die blicklosen Augen und klammert sich wie ein Ertrinkender an ihm fest. Sein Herzschlag gleicht einer Buschtrommel, sein Atem einem heißen Wüstenwind. Seine Nägel bohren sich tief in die verschwitzten Schulterblätter des anderen Mannes über ihm und hinterlassen dort lange Kratzspuren, die Sekunden später schon wieder verwunden sind. Sein Schweif schlingt sich abermals um Wolverines Oberschenkel, um dort ein weiteres Würgemahl zu setzen, das aber auch keinen dauerhaften Bestand hat. „Elf...“, stöhnt der Schwarzhaarige zwischen seinen rhythmischen Stößen und versucht ihn erneut an den Rand der Klippe zu bringen. „Kannst – ah – du schon die Engel singen hören?“, fragt er mit einem angestrengten, aber überaus frechen Grinsen. Eigentlich ist die Frage völlig überflüssig, da er genau riechen kann, wie kurz Nightcrawler vor seinem Höhepunkt steht, doch er lässt es sich nun einmal nicht nehmen, ihn ein bisschen zu necken. Kurt scheint von der Vorstellung singender Engel allerdings ziemlich angetan zu sein. Mit jedem weiteren Stoß steigert er sich mehr in diesen Gedanken hinein, bis seinen Mund schließlich Worte verlassen, mit denen sein Partner so gar nichts anfangen kann. „Angeli – archangeli – virtutes – potestates – principatus, dominationes, thronicherubimserapHIM...“ Die letzten Worte spricht er schließlich so schnell, dass sie miteinander verschmelzen und noch viel weniger Sinn ergeben. Doch er kann nicht anders, zu heftig überkommt ihn in diesem Moment der Höhepunkt. Das Ganze reißt Wolverine haltlos mit sich, sodass er ein hohes Summen in den Ohren wahrnimmt und sich einzubilden beginnt, dass auch er jeden Augenblick die Engel singen hören wird. Mit abgehaktem Atem zieht er sich kurz darauf zurück und sinkt einen Moment auf Kurts sich hektisch auf und ab hebende Brust. „Oh Gott, – vergib mir...“, presst der Teleporter schließlich hervor, doch er verkneift sich weitere Worte dahingehend. „Heilige Scheiße...“, platzt es auch aus dem Schwarzhaarigen hervor, ehe er seinen Atem wiederfindet und sich so weit hochdrückt, dass er dem anderen ins Gesicht sehen kann. Die leeren Augen des Elfen erwidern schwach, aber ziemlich zufrieden seinen Blick. Langsam hebt sich fragend die linke Augenbraue des Vielfraßes. „Was, in aller Welt, hast du da gerade vor dich hingeplappert?“, will er nun wissen. Unverständlich mustert ihn der Jüngere nur weiterhin. „Irgendwas von wegen Angela, Achim, schieß mich tot...“ Bei den Worten des Älteren muss Nightcrawler unweigerlich lachen. „Was ist?“, fragt Logan scharf. „Das habe ich nun wirklich nicht gesagt. Sondern: Angeli, archangeli, virtutes, potestates, principatus, dominationes, throni, cherubim und seraphim. Das sind die Neun Chöre der Engel. – Du wolltest doch, dass ich sie singen höre und da hast du sie nun!“, kichert der Blauhäutige amüsiert. „Nicht dein verdammter Ernst!“, fängt nun auch Wolverine an zu lachen. 5 Der erfahrene Jäger lässt seinem jungen Partner wieder nur ein paar Augenblicke Zeit zum Verschnaufen, dann springt er auch schon auf und zieht den Elfen mit sich hoch. Ungelenk kommt Kurt auf die Füße und hat doch das Gefühl, dass er jeden Moment wieder kraftlos zu Boden sinken wird. Logan gibt ihm aber nicht die Gelegenheit dazu, sondern umklammert fest sein Handgelenk und verlässt mit ihm den Schrank. Unsicher, wie Bambi auf dem Eis, stolpert ihm der Teleporter hinterher. „Nun warte doch mal! Langsam...“, wimmert der Blauhäutige leicht und versucht dabei nicht über seine eigenen Füße zu fallen, die ihm noch nicht so recht wieder gehorchen wollen. „Du musst schon Schritt halten, Elf!“ „Aber sollten wir uns vorher nicht wieder anziehen?“ „Unter der Dusche braucht man keine Klamotten.“, erwidert Wolverine in sich hinein grinsend und zerrt ihn auch schon schnurstracks durch die Badezimmertür. Leicht überfordert lässt Nightcrawler es geschehen und findet sich kurz darauf in der Nasszelle wieder. Allerdings nicht allein, wie er ganz hinten in seinem Kopf irgendwie ein ganz klein wenig gehofft hatte. Ausreichend Platz für zwei gibt es allemal, doch der Blick des Kanadiers gefällt dem Jüngeren mittlerweile gar nicht mehr so sehr. Hört diese Unzucht denn niemals wieder auf? Dieselbe Frage will er seinem triebhaften Kollegen auch gerade stellen, als dieser unvermittelt das Wasser aufdreht – das kalte Wasser! Ganz so fies ist der zu kurzgeratene Kanadier dann doch nicht, aber es braucht einen Moment, bis das Wasser warm wird. Als der noch sehr eisige Schauer auf seinen Körper herniedergeht, gibt Kurt einen überaus hochtönigen Laut von sich, der wie das Schreien einer getretenen Katze klingt. Für ein paar Sekunden scheint sogar sein Herz aussetzen zu wollen, bevor es mit aller Gewalt gegen seinen Brustkorb hämmert, sodass einige weiße Punkte vor seinen Augen zu tanzen beginnen. Grinsend betrachtet ihn der Ältere, während das Wasser nun endlich schön warm wird. Wolverine hat wirklich gut lachen, immerhin hat der Elf den Großteil des Sturzbachs abbekommen, während Logan auf Abstand blieb. „Das war fies...“, jammert der Teleporter daher und schiebt schmollend die Unterlippe vor. „Ich könnte ja behaupten, dass es mir leidtut, aber dafür war dein Anblick einfach zu genial!“, amüsiert sich der Schwarzhaarige weiterhin völlig ungeniert. Bockig, wie ein kleines Kind, verschränkt Nightcrawler die Arme vor der blanken Brust und mustert ihn streng. „Nun guck doch nicht gleich so! Ich mache es wieder gut, okay?“, entgegnet der Kleinere und nähert sich ihm. Der Elf versucht noch, ihn auf Abstand zu halten. „Ich kann mir ziemlich gut vorstellen, wie das aussehen soll! Von daher muss ich entschieden abl...“, weiter kommt er nicht mehr, um seinen Protest auszusprechen, da schmiegt sich der Vielfraß auch schon verlangend gegen ihm, reibt versöhnlich die Wange an der seinen, raunt ihm heiß ins Ohr und gleitet fahrig mit den Händen über seine Hüften hinweg. „Was wolltest du sagen?“, fragt Wolverine schließlich mit schwerer Stimme, kaum hörbar über das Rauschen des Wassers hinweg. Aber gerade das macht sie wahrscheinlich so unwiderstehlich. Ein Schauer jagt Nightcrawlers Rücken hinunter und er löst langsam seine abwehrende Haltung auf. „Das du ziemlich fies bist...“, erwidert er daher nur. „War keine Absicht...“, schnurrt Logan zurück, wobei seine Finger zielstrebig nach diesem faszinierenden Punkt knapp über Kurts Schweif tasten. Als er bestimmend Druck darauf ausübt, werden dem Teleporter augenblicklich die Knie weich und er lässt sich willentlich in die Berührung hinabsinken. „Ich weiß nicht –, ob ich das – noch einmal kann...“, presst er dann hervor und legt unsicher die Arme um den Nacken seines Partners. „Du schaffst das ganz sicher. Ist auch das letzte Mal heute, versprochen.“, versichert ihm der Jäger und drängt sich noch weiter gegen ihm. Überdeutlich kann der Blauhäutige dabei abermals die harte Erregung des anderen Mannes spüren. Im Gegensatz dazu scheint das inzwischen heiße Wasser kalt wie Eis zu sein. „Okay...“, keucht der junge Mutant und bekommt schon keinen klaren Gedanken mehr zu Stande. Er begreift schlichtweg nicht, was sein Gegenüber nur mit ihm anstellt. Es ist richtiggehend unheimlich, dass er einfach irgendwelche unsichtbaren Knöpfe an oder in ihm zu drücken scheint, um sein Gegenüber völlig willenlos zu machen, als wäre Nightcrawler nichts weiter als eine simple Maschine. „Soll ich – mich umdrehen...?“, fragt der Elf nach einer Weile hitzig, da er sich so gar nicht vorstellen mag, wie es sein würde, wenn sie sich wieder auf den Boden legen und ihm dann das Wasser direkt ins Gesicht prasselt. „Brauchst du nicht...“, keucht Wolverine. Mit einer einzigen, schnellen Bewegung ergreift er den Schenkel des Jungen und legt sich dann dessen Knie direkt auf die Schulter. Dank der langen Beine des Blauhäutigen genau auf der richtigen Höhe für ihren letzten Akt. Überrascht zuckt Nightcrawler zusammen und klammert sich etwas unsicher an der Aufhängung der Dusche fest, als würde er fürchten zu fallen. Das würde Logan ganz sicher nicht zulassen, aber der Reflex lässt sich nicht unterdrücken. Prüfend betrachtet ihn der Ältere. Da allerdings keine Widerworte mehr kommen, dingt er abermals tief in ihn ein. Leicht schmerzlich verzieht Kurt das Gesicht. Allmählich wird es doch etwas unangenehm, dieses harte Organ immer wieder in sich aufzunehmen. Zudem ist es in dieser merkwürdigen Stellung auch gar nicht so einfach, locker zu lassen. Zwar hat sich der Elf inzwischen geistig an die Tatsache des Sex mit einem anderen Mann gewöhnt, doch sein Körper stößt langsam an seine diesbezüglichen Grenzen. Er fühlt sich wund, fast schon geschunden. Wolverine entgeht der doch etwas gequälte Ausdruck im Gesicht des jungen Mutanten nicht, weswegen er hofft, dass diese Nummer überhaupt ein gutes Ende nehmen wird. Bei solchen Gelegenheiten vergisst der triebhafte Jäger gerne mal, dass er ja einen Heilfaktor hat und das hier praktisch bis ans Ende aller Tage machen könnte, ohne sich groß ausruhen zu müssen. Bei Nightcrawler ist das aber nicht der Fall, weshalb er sich langsam doch etwas zügeln sollte, wenn er irgendwann wieder auf diese Weise mit ihm verkehren will. Von daher bedient sich der Schwarzhaarige ein letztes Mal diesem magischen Punkt über dem Schweif seines Partners, um ihn möglichst schnell an die Klippe heranzuführen. Allerdings scheint auch dieser Punkt nicht mehr ganz so empfindsam zu sein. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass das Unwohlsein mittlerweile zu überwiegen beginnt, und Kurt nicht mehr so nachhaltig mit all den Glückshormonen überschüttet werden kann, die diese Stelle sonst freizusetzen vermag? Trotz seiner Bemühungen dauert es daher doch um einiges länger, als noch bei ihrem ersten Mal, sodass Logan schon kurz davor ist, die Hoffnung aufzugeben. Aber dann kommt sein süßer Elf doch noch und beendet damit praktisch selbst sein Leiden, weil er den Krieger einfach mit sich reißt. 6 Völlig fertig sinkt der Blauhäutige anschließend auf die Knie hinunter und ringt nach Atem. Es wirkt, als würde er jeden Moment ohnmächtig werden. Wolverine folgt ihm einen Moment später und wartet, bis der Teleporter wieder halbwegs ansprechbar ist. Dann reckt er sich ein wenig nach dem kleinen Regal, das an den Kacheln festgeschraubt ist und auf dem Shampoo und Duschgel stehen, und greift aufs Geradewohl nach einer der Flaschen. Irritiert mustert er sie mit erhobener Augenbraue. „Willst du mich verarschen?“, fragt er leicht belustigt und hält Kurt das Shampoo direkt vor die Nase. Müde blinzelnd betrachtet der Jüngere es eine Weile, ehe ihm ein Licht aufgeht. Ein erschöpftes Lächeln schleicht sich auf seine Lippen. „Du hast dich doch neulich beschwert, ich würde wie eine ganze Blumenwiese stinken, und dass du diesen süßen Duft an mir ekelhaft finden würdest. Also dachte ich, dass dir das sicher mehr zusagen würde.“ Noch einmal betrachtet sich der Schwarzhaarige die ausgefallene Flasche. Bier-Shampoo steht dort groß und breit geschrieben, und die Falsche sieht auch noch aus, als wäre wirklich Bier drin – mit diesem charakteristischen Metallbügel, der die Flasche verschließt, und der markanten braunen Farbe. „Ist da echt Bier drin?“, fragt Logan etwas skeptisch, öffnet den Verschluss und schnuppert. „Ja, ein bisschen. Hauptsächlich riecht es nur so. Um dich zu enttäuschen, es schmeckt aber nur nach Seife.“ Das kann der Jäger nur bestätigen und schüttelt sich leicht, als sich der seifige Geschmack auf seiner Zunge ausbreitet – bei so einer Flasche muss man echt aufpassen, dass man sie nicht mit einem echten Bier verwechselt. Allerdings verschließt er die Flasche schnell wieder und stellt sie zurück auf das Regal. „Gute Wahl! Doch wenn wir das jetzt benutzen, kommen wir heute nicht mehr hier raus.“, grinst der Vielfraß lüstern und greift dann widerwillig nach der anderen Flasche, die seiner Meinung nach viel zu süß riecht – Honig und Himbeere. Leicht verdutzt betrachtet Kurt ihn und grinst dann keck. „Würde es dir etwa gefallen, wenn ich in Bier baden würde?“, fragt er so aufreizend, als hätte es die vorangegangenen Nummern gar nicht gegeben. „Das kannste aber glauben, Junge! In jedem Fall besser, als die ekelhaft-süße Nasenmisshandlung, die du sonst benutzt. Da ist mir ja dein Schwefel lieber...“, erwidert der Ältere mit angewidert verzogenem Gesicht, und spritzt dann einen großen Klecks besagter Misshandlung auf den Kopf des Teleporters. „Vielleicht sollten wir uns das für das nächste Mal im Hinterkopf behalten?“, stellt Nightcrawler lockend in den Raum und revanchiert sich dann, indem er Logan nun seinerseits einen gehörigen Klecks von dem Fruchtshampoo auf den Kopf setzt. „Pfui Spinne!“, kommentiert Wolverine diese Aktion und schüttelt sich wie eine Katze, die unerwartet nass geworden ist. Kurt kichert nur. „Jetzt stinken wir ja beide...“, schmollt der Schwarzhaarige angesäuert. „Du kannst ja später noch mal ohne mich mit Bier duschen.“, gluckst der Jüngere frech, wohl wissend, dass Logan schon unter normalen Umständen kein Freund von Wasser und Seife ist. „Ich dusch dich gleich, passt bloß auf!“, entgegnet der Jäger, woraufhin zwischen den beiden eine wilde Seifenschlacht entbrennt. 7 Eine ganze Weile später treten die zwei X-Men dann sauber und halbwegs trocken aus dem Badezimmer heraus und lassen sich auf Nightcrawlers Bett nieder. Logan setzt sich mit hinter dem Kopf verschränkten Händen ans Fenster, während sich Kurt mit einem Schnurren an seine Brust schmiegt. Liebevoll anmutend legt der Krieger daraufhin den Arm um ihn und drückt ihn an sich. Es könnte wohl kaum schöner sein. Dieser Gedanke macht sich zusehends im Kopf des zu kurzgeratenen Kanadiers breit und er würde dem nur zu gern Glauben schenken. Allerdings drängt sich langsam ein anderer Gedanke in den Vordergrund, der ihm weißzumachen versucht, dass dieser Frieden nicht lange anhalten wird – es nie getan hat – und der Teleporter möglicherweise dafür büßen muss, was Wolverine so leichtsinnig begonnen hat. Hartnäckig versucht er diese unschöne Vorstellung zu verdrängen und sich nicht die Freude des Augenblicks nehmen zu lassen. Bisher hat er immerhin nichts getan, was früher immer wieder zu einem tragischen Unglück geführt hat. Warum also dieses negative Gefühl? Eine Vorahnung? Sicher, er empfindet sehr viel für den blauen Elfen – viel mehr, als er in den letzten Jahrzehnten zugelassen hat –, doch er wird sich hüten, es ihm auf die Nase zu binden und damit die blutige, alles vernichtende Kettenreaktion auszulösen, die ihn seit jeher verflogt. Es war nur Sex, mehr nicht, und das wird sich auch nicht ändern! Dass das alles aber auch ein unblutiges Ende nehmen und dennoch eine schmerzliche Tragödie werden könnte, dieser Gedanke kommt ihm nicht – zumindest noch nicht. Allerdings wird er gleich ungewollt eines Besseren belehrt werden. Und es beginnt damit, dass sich Nightcrawler nun etwas hochdrückt, um ihm tief in die Augen sehen zu können. Ein sanftes Lächeln umspielt seine Lippen und er streicht eine noch leicht feuchte Strähne aus der Stirn des Älteren. Der Jäger erwidert das Ganze und krault ihm dabei über den blanken Rücken. Kurts Blick ist mindestens so verträumt, wie sich Logan gerade fühlen möchte. Das ändert sich aber schlagartig, als sich der kuschelige Elf nun zu ihm hinabbeugt, die seelenlosen Augen schließt und ihn zu küssen versucht. Ein merklicher Schreck gleitet Wolverines Körper hinab und er drückt harsch die Hand auf den Mund seines jungen Partners. Überrascht öffnet Nightcrawler wieder die Augen und sieht ihn gekränkt an. „Lass den Mist! Wir küssen uns ganz sicher nicht!“, entkommt es dem Schwarzhaarigen dann so dermaßen angewidert, als wäre allein schon die Vorstellung dessen das Ekelhafteste, das er je erlebt hat. Sichtbar zuckt der Blauhäutige zusammen und entfernt sich etwas von ihm. Alles, was die ganze Zeit so wundervoll und aufregend zwischen ihnen war, scheint nun in einen entsetzlichen Scherbenhaufen verwandelt worden zu sein. Ein schmerzlicher Stich gleitet über das Herz des Elfen hinweg und er setzt sich betroffen neben seinen Freund. „Aber – aber ich – ich li...“, setzt Kurt den Tränen nahe an, ehe Wolverine ihm zornig ins Wort fällt. „Halt den Mund! Tust du nicht! Darfst du nicht!“, faucht er aufgebracht und erhebt sich so hastig aus dem Bett, als hätte ihn gerade etwas in den Hintern gebissen. Fassungslos sieht ihn der Teleporter an. „...warum...?“, fragt er erstickt. „Warum? Du fragst allen Ernstes warum? Weil es Unglück bringt, deswegen! Also komm mir nicht mit solchem Scheiß, Bursche! Ich will dich nicht auch noch zu Grabe tragen müssen!“ Der Vielfraß unterstreicht seine hasserfüllten Worte mit einem überaus böswilligen Knurren. Zudem schnellen unkontrolliert seine Krallen keine zwei Zentimeter vor dem Gesicht des Jüngeren drohend hervor. Erschrocken zuckt Nightcrawler zusammen, und bevor der Ältere eine weitere Mahnung aussprechen kann, teleportiert er sich davon. Logan bleibt allein im Zimmer zurück. Wenige Sekunden später kann er seinen Partner allerdings im verschlossenen Kleiderschrank weinen hören. Gebrochen lässt Wolverine die Hände sinken, wobei sich seinen Krallen ganz langsam wieder zurückziehen. „Scheiße...“, presst er kaum hörbar zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Einen Moment bleibt er völlig unschlüssig stehen, während ihm bewusstwird, wie sehr er Kurt gerade verletzt haben muss. Dass alles, was zwischen ihnen war, jetzt vielleicht Geschichte sein könnte. Warum musste er auch so ausflippen, wo der Bengel ihm doch nur seine Zuneigung gestehen wollte? Versucht er ihn womöglich unbewusst dafür zu bestrafen, dass er sich selbst diesem wundervollen Gefühl nicht mehr hingeben darf? Das es ihm schlichtweg nicht mehr möglich ist, jemanden zu lieben, ohne ihm damit die Pistole auf die Brust zu setzen? Hilflos verzieht sich sein Gesicht zu einer Maske aus Schmerz, Selbstverachtung, Wut, Enttäuschung und tiefempfundenem Leid. Fast schon scheu wirft er einen Blick zum Schrank hinüber, indem Nightcrawler so bitterlich weinend hockt. Nun spürt er selbst einen ganz ähnlichen Stich im Herzen, wie sein Partner wenige Augenblicke zuvor. „Vergib mir. – Ich will dich doch bloß beschützen, mein kleiner Elf...“, flüstert er so leise, dass es über das erstickte Schluchzen des Jungen hinweg gar nicht zu hören ist. Es gelingt ihm kaum, den Blick von der geschlossenen Tür abzuwenden. Wie gern würde er ihn trösten, ihn festhalten und das alles ungeschehen machen. Er hätte einfach nie damit anfangen dürfen. Oh, wie furchtbar er diesen ruhelosen Körper doch verflucht! Mit sehr schweren Schritten verlässt er schließlich das Zimmer des Blauhäutigen und lässt ihn mit all seinem Schmerz allein... 8 Am nächsten Morgen liegt Logan verkrampft in seinem eigenen Bett und starrt stur zur Decke empor, während er gereizt darauf wartet, dass dieser schreckliche Wecker seiner Bestimmung nachkommt und er ihn dann in tausend Fetzen zerreißen kann. Nach diesem unschönen Ende ihres, bis dahin, so unglaublichen Zusammenseins, hat Wolverine die ganze Nacht wachgelegen und versucht eine Lösung dafür zu finden. Es besteht kein Zweifel, dass er sich bei dem Teleporter entschuldigen sollte, damit das Arbeitsklima nicht darunter leidet und Charles wieder etwas zu meckern hat. So was ist allerdings auch so gar keine Stärke des Jägers. Viel lieber würde er jetzt auf irgendetwas einschlagen wollen, bis die Erinnerung daran aus seinem Kopf verschwindet, aber auch das ist nicht so leicht, und Kurt hilft es schon mal gar nicht. Von daher muss eine andere Lösung her. Was muss ich tun, damit ich dich lieben kann? Was muss ich tun, damit es mich interessiert? Was mache ich, wenn mich ein Blitz trifft? Grummelnd jagt er seine Klauen in den Wecker hinein, als dieser die unverfrorene Frechheit besitzt tatsächlich zu klingeln, obwohl ihm doch klar sein dürfte, dass sein Besitzer eh kein Auge zu gemacht hat. Seufzend bleibt Wolverine daher im Bett liegen und wartet. Für gewöhnlich dauert es keine zwei Minuten, dann zappt sich der aufgeweckte Elf in sein Zimmer und sieht überschwänglich nach, ob der Schwarzhaarige auch wirklich dabei ist aufzustehen. Beim Gedanken an das sonst so überaus fröhliche Gesicht des frechen Jungen jagt ein neuerlicher Stich durch sein Narben übersätes Herz. Und ich wache auf und stelle fest, dass du nicht bei mir bist Als Nightcrawler zehn Minuten später noch immer nicht aufgetaucht ist, glaubt der Vielfraß auch nicht mehr daran, dass sich das ändern wird. Er kann es dem Bengel auch gar nicht übelnehmen. Logan weiß nur zu gut, dass es das erste Mal ist, dass Kurt verliebt ist, und ausgerechnet dann muss Wolverine so mies zu ihm sein, nur weil er mit sich selbst nicht klarkommt. Selten hat er mehr Verachtung für sich selbst empfunden, wie in diesem Augenblick. Er hat dem süßen Elfen das Herz gebrochen, wie kann er da auch nur ansatzweise auf den Gedanken kommen, dass der Blauhäutige jetzt fröhlich in sein Zimmer spazieren könnte, als wäre nichts gewesen. Das ist völlig absurd! Was muss ich tun, damit ich dich an meiner Seite will? Was muss ich tun, um dich zu hören? Was sage ich, wenn alles vorbei ist? Er muss dringend mit ihm reden, wenn das Frühstück vorbei ist und sie eigentlich trainieren sollten. Dann sind sie ungestört und haben jede Menge Zeit. Wenn er sich gut anstellt, bringt er den eigentlich so friedfertigen Teleporter vielleicht sogar dazu, seiner Enttäuschung Luft zu machen. Logan hat in jedem Fall nichts dagegen, wenn ihn der Junge ein bisschen mit seinem Schwert durchbohren will, solange er sich dann nur wieder etwas besserfühlt. Aber erstmal etwas Essen, damit die anderen keinen Verdacht schöpfen, dass etwas zwischen ihnen vorgefallen sein könnte. Das gibt nur wieder unnötig Ärger. Eine Entschuldigung scheint das schwierigste Wort zu sein Von daher schwingt sich der Krieger aus dem Bett, macht sich fertig und klopft dann an die Tür seines Partners. Er bekommt allerdings keine Antwort. Ungerührt öffnet er dennoch die Tür und tritt untypisch vorsichtig ein. Mit einer gewissen Erleichterung stellt er fest, dass Nightcrawler immerhin nicht die ganze Nacht weinend im Kleiderschrank verbracht hat. Stattdessen liegt der Junge jetzt zusammengerollt in seinem Bett und hat sich die Decke bis über den Kopf gezogen, als versuche er, sich vor der ganzen Welt zu verstecken. Es ist traurig, so traurig Es ist eine traurige Situation Und es wird immer absurder „Elf?“, fragt er fast schon scheu, bekommt jedoch keine Reaktion. Deutlich kann er aber riechen, dass der Jüngere wach ist. „Kurt? Ich bin’s...“ „Verschwinde!“, kommt es gedämpft, aber nachdrücklich unter der Decke hervor. „Das gestern war scheiße und es tut mir leid...“ „Ich sagte: Verschwinde!“, erhält er noch nachdrücklicher die Antwort. „Schön, wie du willst. Aber wir sollten trotzdem zum Frühstück ge...“, setzt Wolverine ein letztes Mal an. Der Teleporter unterbricht ihn allerdings, indem er blitzschnell die Decke zurückschlägt und dem Vielfraß dann harsch sein Kissen mitten ins Gesicht wirft. Verdutzt zuckt der Schwarzhaarige zusammen, obwohl er es hat kommen sehen, doch er macht sich nicht die Mühe auszuweichen – er hat jegliche Ablehnung des Jüngeren verdient. Er hat jedoch nicht damit gerechnet, wie entsetzlich sein kleiner Elf aussehen würde. „Verschwinde endlich, HERR GOTT NOCH MAL!“, platzt es schluchzend aus dem Blauhäutigen heraus, während ihm dicke Tränen die pelzigen Wangen hinabrinnen. Er sieht aus, als hätte er ebenfalls die ganze Nacht nicht geschlafen und stattdessen nur geweint. Es ist traurig, so traurig Warum können wir nicht darüber reden? Für Logan ist sein Anblick wie ein Schlag ins Gesicht, mehr noch, als seine unnatürlich zornige Stimmlage. Betroffen lässt der Kanadier die Schultern hängen, senkt den Blick zu Boden und trollt sich dann aus dem Zimmer heraus. Hier kann er wohl nichts mehr tun – zumindest jetzt nicht. Vielleicht ist es besser, ihm noch etwas Ruhe zu gönnen? Er wird den anderen einfach sagen, dass er Bauchschmerzen oder so etwas hat und deswegen nichts Essen mag. Das wird schon irgendwie funktionieren... 9 Als Logan die Küche betritt, herrscht wie immer reges Treiben unter den Mutanten. Einigen sieht man zwar noch deutlich die Müdigkeit und den Unwillen an, zu dieser frühen Stunde aus dem Bett zu müssen, was sie alle aber dennoch nicht davon abhält, sich zum Kotzen fröhlich zu unterhalten. Der Vielfraß würdigt sie daher keines Blickes. Eigentlich will er sich auch nur einen starken Kaffee holen und sich dann selbst wieder etwas zurückziehen, bis er denkt, das genug Gras über die Sache gewachsen ist, damit er es erneut bei Nightcrawler versuchen kann. Leicht irritiert wird er dabei von Xavier betrachtet. Der Jäger wirkt ziemlich angefressen. Zudem ist der Teleporter nicht wie sonst immer freudestrahlend an seiner Seite. Irgendetwas stimmt da nicht. Seit der Elf hier angekommen ist, scheinen die beiden regelrecht unzertrennlich und Wolverine hat sogar einige seiner sonst so festgefahrenen Verhaltensmuster dank ihm geändert. Jetzt wirkt es allerdings so, als wäre der Blauhäutige nie hier gewesen. „Logan? Wo ist Kurt?“, fragt er daher sorgenvoll, um sich Klarheit zu verschaffen. „Im Bett. Dem geht’s nicht gut.“, brummt der Angesprochene in sich hinein und füllt seine Tasse mit Kaffee. „Oh. – Was ist passiert?“, hakt Charles weiter nach. „Keine Ahnung. Vielleicht war das letzte Bier gestern doch schlecht...“, kommt es dem Schwarzhaarigen über die Lippen, bevor er richtig darüber nachdenken konnte, was diese Antwort für Auswirkungen hätte. Überrascht zuckt der Professor zusammen, als hätte der Ältere versucht nach ihm zu schlagen. „Wie bitte?“ „Du hast mich schon verstanden.“, meint Logan weiterhin ungerührt und wendet sich schon wieder zum Gehen. Inzwischen ist es in der Küche völlig still geworden. Etwas liegt in der Luft und alle Anwesenden können es deutlich spüren. „Du bleibst hier, Logan, und erklärst mir das!“, fordert der Kahlköpfige nun streng. Ruckartig stoppt der zu kurzgeratene Kanadier tatsächlich, dreht sich aber nicht zu ihm um. „Was gibt es da denn nicht zu begreifen?“, knurrt er leicht und umkrampft den Henkel der Tasse fester. „Du willst mir doch nicht allen Ernstes sagen, dass Kurt Alkohol getrunken hat!“, empört sich der Jüngere, woraufhin die anderen Mutanten sichtlich zusammenzucken, kommt es doch gewöhnlich nicht vor, dass ihr Gründer laut in ihrem Beisein werden muss. „Und wenn schon. Er ist alt genug dafür.“ „Dass ist er nicht! Er ist noch nicht einundzwanzig und diese Regel gilt für die Schüler ganz besonders, wie du sehr wohl weißt!“ Der sonst so gefasste Leiter des Instituts ist nahezu außer sich. Ganz langsam und mahnend wendet Wolverine ihm den Blick zu. „Als wenn drei verdammte Monate da noch etwas ausmachen würden.“, knurrt er nun ziemlich bösartig zurück. Fassungslos sieht Charles ihn an. „Du bist sein LEHRER, verflucht noch eins! Wie kannst du ihm da so etwas antun und es auch noch unter den Tisch kehren, als wäre nichts gewesen?“ „Ja, ich bin sein verdammter Lehrer und daher entscheide ich auch, was das Beste für ihn ist! Also halt dein verdammtes Maul und lass mich endlich in Frieden!“ Drohend schießen Logans Krallen hervor, während er wütend die volle Tasse Kaffee zu Boden schleudert und den Mann im Rollstuhl animalisch anknurrt. Alarmiert erheben sich die anderen X-Men. Sie wissen nur zu gut, wie gefährlich der Vielfraß werden kann, wenn er aufgebracht ist. Abstand ist da am sichersten, doch davon wird sich der Schwarzhaarige schließlich auch nicht beruhigen. Schützend stellt sich Scott somit vor den Professor und legt mahnend eine Hand an seine rotverglaste Quarzbrille, um im Ernstfall einen Schuss abfeuern zu können, sollte der Jäher völlig ausrasten. „Ich warne dich nur einmal, Logan!“, teilt er seinem Gegenüber trocken mit. „Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß, Slim!“, faucht der Ältere zurück und tritt einen Schritt näher. Instinkttief macht Cyclops einen Schritt rückwärts, doch das ist ein Fehler, wenn man einem wilden Tier gegenübersteht, das anzugreifen droht, dass weiß er selbst sehr gut. Und Wolverine ist nun einmal nicht sehr weit von einem tollwütigen Wolf entfernt. Der Kleinere könnte ihn mühelos in der Luft zerreißen und nebenbei noch über die Bemühungen der meisten anderen um sich herum lachen, und auch das weiß Scott nur zu gut – der Versuch dazu war schon mehrmals da gewesen, weshalb das Verhältnis der beiden eh nicht das Beste ist. „Setz dich wieder, Scott! Und der Rest von euch auch, ich regele das schon!“, verkündet Xavier nun streng und wartet darauf, dass dem folgegeleistet wird. Nur sehr widerwillig kommen die X-Men dem nach. Nun stehen sich Wolverine und Professor X ungestört gegenüber. Abschätzend mustern sich die beiden und Charles kann dabei eine entscheidende Feststellung machen, die ihn sichtlich erschüttert. „Warum lügst du?“, fragt er den Vielfraß schließlich. „Das geht dich überhaupt nichts an!“, faucht der andere wütend. „Es geht hier um meinen Schüler, also geht mich das sehr wohl etwas an!“, entgegnet der Mann im Rollstuhl und streckt grob seine mentalen Finger noch ihm aus. Sich heftig dagegen wehrend wird Logan von ihm zum Stillhalten gezwungen, damit er in seinem Geist nach der korrekten Lösung suchen kann. „NEIN, RAUS DA!“, versucht sich Wolverine ihm zu verschließen. Xavier versteht allerdings gar keinen Spaß mehr und seine Geduld mit den ständigen Launen des anderen ist jeher erschöpft. Somit verstärkt er seine Bemühungen noch um einiges, übergeht das lästige Adamantium und rammt seine mentalen Finger regelrecht in das Hirn des Älteren hinein. Diesem rinnt deswegen nun dünnes Blut aus der Nase und sogar aus den Ohren, während er sich weiterhin dagegen zu stemmen versucht. Charles lässt jedoch nicht locker, obwohl ihm von der Anstrengung schon selbst heftig der Kopf schmerzt. Er verstärkt seine Bemühungen sogar noch ein wenig, weil Logan ihm immer noch etwas Falsches zu zeigen versucht. Fassungslos bleiben die anderen Mutanten auf Abstand und sehen mit an, wie Wolverine ganz langsam in die Knie gezwungen wird und ihm nun auch Blut aus dem Mund zu tropfen beginnt. Schwer atmend sinkt er schließlich auf den Boden, versucht zu knurren und schafft es doch nicht mehr wirklich. Angestrengt wendet er den Blick von dem anderen Mann ab, aber sein Widerstand bricht auf. Er kann es nicht mehr zurückhalten. Was würde es auch nutzen? Wenn Charles die Antwort nicht aus ihm herausbekommt, erhält er sie von Kurt, der sich dieser Kraft nicht widersetzen kann. Ein nahezu wimmernder Laut verlässt seine Kehle und nun kann Xavier alles sehen. Er sieht überdeutlich, was gestern zwischen den beiden vorgefallen ist. Sieht sogar, was damals im Dschungel zwischen ihnen gewesen ist. Er sieht weit mehr, als er jemals sehen wollte, und kann es doch nicht fassen. „Oh, Logan. – Was hast du nur getan...?“, bringt er entsetzt hervor und presst sich eine Hand auf den Mund. Mit größter Anstrengung hebt der Krieger den Kopf wieder an. Er wirkt mindestens so elend, wie Kurt vorhin aussah, und nun rinnen ihm sogar blutige Tränen über die Wangen. „Ich – habe – ihn zu nichts – gezwungen...“, presst er schwerlich hervor. Noch einmal betrachtet sich Charles das Ganze, auch wenn er es absolut nicht sehen will. Und es ist die Wahrheit, was ihn wenigstens etwas erleichtert. Dennoch macht es die Sache nicht besser. Zornig rammt er seine mentalen Finger daher mit voller Absicht fester in das malträtierte Hirn des Vielfraßes hinein, um ihn für sein Fehlverhalten zu bestrafen, woraufhin der Ältere gequält aufstöhnt und auch den letzten Rest seiner kläglichen Gegenwehr fallenlässt. Dadurch hat Charles jetzt einen Einblick in das, was nach ihrem schändlichen Treiben passiert ist. In den Augen des Elfen kann er dessen triefgreifende Gefühle sehen und wie alles zerbricht, als Logan ihn von sich stößt. Andererseits kann er auch sehen, wie verzweifelt der Kanadier deswegen ist. Weshalb Kurt nun wirklich im Bett geblieben ist. Für einen Moment betrachtet Xavier den Schwarzhaarigen vor sich mit einem Hauch Mitgefühl, obwohl er nicht so tief vorgedrungen ist, um heraus finden zu können, warum Wolverine nichts von Nightcrawlers Gefühlen wissen wollte. Der Augenblick hält jedoch nur kurz, dann besinnt sich der Kahlköpfige wieder auf das eigentliche Problem. Xavier hat ganz sicher nichts dagegen, dass die beiden etwas für das gleiche Geschlecht übrighaben oder sich sogar zu einander hingezogen fühlen. Das wäre schließlich nicht das erste Mal hier. Iceman hat sich schon vor zwei Jahren ihnen allen gegenüber offen als homosexuell geoutet und keiner hat irgendein Problem damit. Was Charles wirklich stört, ist die Tatsache von Wolverines ungezügelten Trieben. Schon von Anfang an stellte dies ein Problem da. Doch zumeist hatte sich der Krieger zu meist auswärts vergnügt. Und wenn nicht, was es Ororo gewesen, die mit ihm das Bett teilte, und sie lies sich nie zu etwas bringen, das sie nicht auch wirklich wollte, und das hat sich auch bis heute nicht geändert. Zudem wissen mittlerweile auch alle anderen, was zwischen ihnen gelegentlich immer mal wieder läuft. Kurt hingegen ist Unbekanntem gegenüber immer noch manchmal scheu und fügt sich nur zu leicht Logans überaus dominantem Verhalten. In jedem Fall ist es überaus wichtig, dass diese Sache zwischen ihnen wieder ins Lot kommt, damit das Vertrauen im Team bestehen bleibt, sonst ist ein vernünftiger Umgang miteinander einfach nicht möglich. „Du musst das wieder in Ordnung bringen, Logan! Das ist überaus wichtig, und ich denke, dass auch dir das klar sein dürfte und es ganz in deinem Interesse ist.“, kommt es nun wieder etwas ruhiger vom Professor. Dennoch rammt er noch einmal sehr nachdrücklich seine mentalen Finger in das Gehirn des Schwarzhaarigen hinein. Dieser stöhnt gepeinigt auf. „JA doch, verflucht! – Das wollte ich doch...“, wimmert er der Ohnmacht nahe. „Dann versuch es noch einmal!“, erwidert Charles streng und stößt ein letztes Mal fest zu. Es reicht, um bei Wolverine alle Lichter auszublasen. Bewusstlos bricht der Vielfraß auf dem Küchenboden zusammen. Es wird nicht lange anhalten, dafür wird sein Selbstheilungsfaktor sorgen, aber es gibt Xavier Zeit, sich wieder etwas zu sammeln. Vorsichtig tritt Scott an ihn heran. „Ist alles in Ordnung, Professor?“, fragt er besorgt, würdigt den Krieger aber keines Blickes. „Alles okay, keine Bange.“ „Was hat er getan?“, will Piotr nun wissen. „Nichts, was euch etwas angeht, mich allerdings schon. Doch es ist nicht so schlimm, wie ich zu Anfang befürchtet habe und das ist die Hauptsache. Den Rest müssen die beiden unter sich ausmachen.“, erläutert Xavier nichtssagend und beendet das Thema damit entschieden, erst recht, da Logan schon wieder munter wird. Grummelnd kommt er irgendwie auf die Füße zurück, mustert sie alle eindringlich warnend und verschwindet dann ohne ein weiteres Wort aus der Küche. Er wird sich noch etwas sammeln und dann noch einmal sein Glück bei Kurt versuchen. Nur weiß er allerdings nicht so recht, was er ihm sagen soll, damit sie wieder gut Freund miteinander werden. Doch vielleicht wäre es hilfreich, ihm zu erklären, warum er so ausgerastet ist? Ihm eine Wahrheit erzählen, die hier niemand kennt – nicht einmal Charles... 10 Es ist bereits fast Mittag, als sich Logan endlich so weit beruhigt hat, um einen neuen Versuch zu unternehmen mit Kurt zu sprechen. Es schockiert den sonst so kaltblütigen Jäger ziemlich, wie schwer ihm das alles fällt, wie sehr er an dem jungen Mutanten zu hängen scheint. Diese Gefühle haben sich praktisch unbemerkt in sein Verlangen für den Bengel eingeschlichen, aber vielleicht waren sie auch von Anfang an da und er wollte sie nur nicht sehen? Doch das ist völlig egal. Er hat Mist gebaut, sogar ziemlichen, und muss es jetzt irgendwie wieder geraderücken. Dabei ist es vollkommen gleich, ob er seinen süßen Elfen verliert oder nicht, Hauptsache er muss seinetwegen nicht sterben, nur weil Wolverine zu leichtfertig seine Gefühle erwidern möchte. Oh, es scheint mir Diese Entschuldigung scheint das schwierigste Wort zu sein Unschlüssig steht er eine ganze Weile vor der Tür und weiß nichts mit sich anzufangen. Es kommt ihm so vor, als hätte jemand sein Herz in einen Schraubstock gespannt und würde diesen nun immer weiter zudrücken. Er kennt diesen Schmerz nur zu gut, doch gewöhnlich verspürte er ihn nur, wenn er jemanden zu Grabe tragen musste, den er liebte. Warum also jetzt? Nightcrawler ist nicht tot und er liebt ihn auch nicht. Oder doch? Selbst wenn dem wirklich so sein sollte, kann er es nicht einmal sich selbst eingestehen, weil er Angst davor hat, dass es ausreichen könnte, Kurt den Todesstoß zu geben. Er muss es verdrängen, dem Blauhäutigen zu liebe. Es ist traurig, so traurig Es ist eine traurige Situation Und es wird immer absurder Richtiggehend zaghaft pocht er nun gegen das Holz der Tür und wie erwartet erhält er auch dieses Mal keine Antwort. Allerdings kann er spüren, dass der Bengel in seinem Zimmer ist, noch immer traurig und zu tiefst verletzt. Langsam öffnet der Jäger die Tür und späht hinein. Inzwischen versteckt sich der Teleporter nicht mehr unter seiner Decke, sondern sitzt am Kopfende des Bettes und sieht traurig aus dem Fenster. Als sich die Tür öffnet, wirft er einen flüchtigen Blick zu seinem ungebetenen Gast hinüber und starrt dann wieder stur durch das Glas. „Lass mich in Ruhe. – Bitte...“ Es klingt überhaupt nicht mehr nachdrücklich, so wie noch heute Morgen, es klingt einfach nur noch erschöpft und resignieren. Allein dadurch krampft sich das Herz des Schwarzhaarigen nun noch mehr zusammen. Es ist traurig, so traurig Warum können wir nicht darüber reden? „Das – kann ich nicht. Charles will, dass ich das bereinige und er wird so lange darauf pochen, bis es erledigt ist. – Ich konnte ihn nicht daran hindern, herauszufinden, was gestern und vorhin passiert ist. – Er weiß jetzt einfach alles und ist gar nicht froh darüber. Hab‘ ich auch nicht erwartet, aber ich wollte ja auch nicht, dass er es rausfindet, weil ich wusste, dass das nur Ärger gibt. – Hör zu, ich verlange gar nicht von dir, dass du mir verzeihst, oder auch nur irgendetwas dergleichen. Ich will nur, dass du mir zuhörst, damit du vielleicht verstehen kannst, warum ich so ein Arschloch war. – Wirst du mir zuhören?“ Langsam wendet Kurt ihm abermals den Blick zu, völlig ausdruckslos, wie es scheint. „Vielleicht...“, erwidert der Elf dann nichtssagend und blickt wieder aus dem Fenster. Tief seufzt Logan in sich hinein. „Darf ich mich zu dir setzen?“, fragt er versöhnlich. Wieder richten sich die seelenlosen Augen des jungen Mutanten auf die seinen, mustern ihn nun überaus streng, und der Ältere befürchtet schon eine Abfuhr. „Ans Fußende und fass mich bloß nicht an!“, tönt er nach einem Moment, wobei seine Stimme fast zu brechen droht. Oh, es scheint mir Diese Entschuldigung scheint das schwierigste Wort zu sein Bedrückt kommt Wolverine seiner Anweisung nach und setzt sich ganz an den Rand des Bettes. Er wendet Nightcrawler sogar den Rücken zu, wobei er sich nicht sicher ist, ob er dies tut, damit sich Kurt besserfühlt, oder damit es ihm selbst leichter fällt über all das zu sprechen. Was muss ich tun, damit ich dich lieben kann? Was muss ich tun, um dich zu hören? Was mache ich, wenn mich ein Blitz trifft? „Es – tut mir wirklich leid, dass ich so fies war. – Ich wollte dir nicht wehtun. – Es ist nur...“, er bricht ab und seufzt schwer, versucht sich irgendwie wieder zu sammeln. „Jedes Mal, wenn ich etwas für einen anderen empfunden habe, dann musste derjenige meinetwegen sterben und ich will einfach nicht, dass dir das auch passiert, verstehst du?“ Kurt antwortet ihm nicht, doch Logan kann spüren, wie sich die Wut und Enttäuschung des Jungen in Mitgefühl verwandelt und er einen Großteil seines Abwehrverhaltens aufgibt. Was muss ich tun Was muss ich tun Wenn Entschuldigung das schwierigste Wort zu sein scheint Das gibt Wolverine zumindest die Hoffnung, zu ihm durchdringen und alles erklären zu können. Ob das ausreicht, um einen Teil ihrer bisherigen Freundschaft widerherzustellen, vermag er nicht zu sagen, doch er wünscht es sich sehr. Es gibt schon genug Leute auf diesem Planeten, die den Vielfraß hassen, verachten oder ihn einfach nur qualvoll sterben sehen wollen – Kurt soll nicht so empfinden. Von daher gibt sich der Schwarzhaarige einen Ruck und beginnt alles, woran er sich noch erinnern kann, zu erzählen. 11 Das Früheste, woran er sich erinnern kann, ist der Tod seines Vaters. Das Bescheidene daran war aber, dass der Kerl, den Logan immer für seinen Vater gehalten hat und nach dem er sogar benannt wurde, gar nicht sein richtiger Vater war. Er hatte sich immer nur dafür ausgegeben, doch im Grunde kümmerte ihn sein angeblicher Sohn kein bisschen, was er ihm auch immer wieder deutlich gemacht hatte. Doch die Prügel war nichts im Vergleich zu dem Moment, in dem er Wolverine sturzbetrunken erzählte, dass er nur ein kleiner Bastard ist, dessen er sich angenommen hatte, weil sein eigentlicher Erzeuger nur ein dahergelaufener Streuner war, der sich an seiner Mutter vergriffen hatte, sie das Kind aber dennoch behalten wollte, weil sie sich schon so lange eines gewünscht hat. In diesem Moment stürzte die ganze Welt um den Schwarzhaarigen herum ein und er sah nur noch rot. Das war damals der Auslöser für sein X-Gen überzuschwappen und ihm seine Krallen zu schenken. Mit diesen im Zorn geborenen Waffen tötete der damals erst Elfjährige seinen angeblichen Vater und floh danach verzweifelt, verwirrt und einsam in die Wälder, während seine Mutter mit all diesen Scherben zurückblieb und gleichzeitig bis heute die einzige Person darstellt, die von dem Fluch verschont blieb, der Logan seither verfolgt. Irgendwie schlug sich der junge Mutant durch, wurde älter, stärker und lernte mit seiner Andersartigkeit umzugehen. Fünfzehn Jahre vergingen, in denen er alles lernte, was die Natur ihm zu bieten hatte, ganz besonders wie man ums Überleben kämpft. Dann brach der Erste Weltkrieg los und er trat als Soldat an die Front, um für ein Land einzustehen, das ihm nie viel bedeutet hat. Doch er traf auf andere Mutanten, denen er sich irgendwie verbunden fühlte, weil er begriff, dass er damit nicht allein auf der Welt ist. Als das Ganze ausgestanden war, zog er sich in die Wälder zurück und lernte nicht lange später eine junge Frau kennen, in die er sich unsterblich verliebte. Ein Jahr später heirateten sie und waren glücklich miteinander. Wolverine dachte, endlich so etwas wie Frieden und Zugehörigkeit gefunden zu haben, da Julia ihn bedingungslos so liebte, wie er war. Sie schenkte ihm eine Tochter, die sie Maria nannten, und einen Sohn namens Nathan. Doch ihr gemeinsames Glück war nicht für die Ewigkeit gemacht... Schon im Krieg lagen die Augen einer blutrüstigen Organisation auf ihm, ohne dass er es bemerkte. Jahre später hatten sie ihn aufgespürt und versucht zu fangen. Er sollte ihnen als Versuchskaninchen dienen, um mehr über seine Fähigkeiten herauszufinden und diese als Waffe gegen die Menschheit benutzen zu können. Mutanten waren zu dieser Zeit noch ziemlich selten, versteckten sich aus Angst vor Ablehnung und daher nur wenig erforscht. Verständlicherweise wollte sich der Jäger das nicht gefallen lassen. Die verrückten Wissenschaftler aber waren ebenfalls mit allen Wassern gewaschen und fanden schnell etwas, das ihn umstimmen sollte: seine Familie. Am Ende dessen musste der Kanadier mitansehen, wie seine Frau und Tochter erst vergewaltigt und dann grausam hingerichtet wurden. Seinem Sohn erging es nicht besser. Sie folterten ihn so lange, bis kein Fünkchen Leben mehr in seinem kleinen Körper steckte und der Tod mehr Erlösung als alles andere für ihn war. Dadurch wurde auch der Willen des Vielfraßes weitgehend gebrochen und sie nahmen ihn mit. Führten grauenvolle Experimente an ihm durch, um das bis dahin noch fast gänzlich unbekannte X-Gen zu erforschen und sich zu Nutze machen zu können. Dafür überzogen sie letztendlich sogar seine Knochen mit dem nahezu unzerstörbaren Adamantium. Irgendwann aber war bei Logan der Punkt erreicht, an dem er einfach nur noch seinen Instinkten folgen und sich aufs nackte Überleben konzentrieren konnte. Sonst hatte er ja nichts mehr. Schließlich war es diesen Typen nicht möglich ihn zu töten und so würden die Torturen ganz sicher auch niemals aufhören. Und es macht das Ganze auch nicht besser, dass sie ihn einer Gehirnwäsche unterzogen, um völlige Kontrolle über ihn zu erlangen, indem sie alle störenden Gefühle und Zweifel ausschalten. Nach einer gefühlten Ewigkeit gelang ihm schließlich die Flucht, was aber nicht bedeutete, dass sich die Männer davon abhalten ließen ihn weiterhin zu jagen, um ihr Ziel – aus ihm die ultimative Waffe zu machen – zu erreichen. Eine Weile konnte er sich verstecken und einen Teil seiner Erinnerungen wiedererlangen, durchatmen und sogar eine neue Liebe finden. Ehe er jedoch erneut den Band der Ehe eingehen konnte, fanden sie ihn, töteten seine Verlobte und alles begann von Neuem. Diesmal ließ sich Wolverine aber nicht wieder einfangen, sondern entkam in einem Blutregen. Er hoffte, dass es das letzte Mal sein würde, dass er sie wiedergesehen hat... Da er dem Frieden aber nicht wirklich traute, verließ er Amerika und floh nach Japan. Dort ging er bei etlichen großen Meistern der Kampfkunst in die Leere, auch um etwas Selbstbeherrschung zu lernen, die ihm durch die Gehirnwäsche gänzlich verloren gegangen zu sein schien, wenn auch mit mäßigem Erfolg. Seine Vergangenheit hatte sich allerdings auch bis in dieses ferne Land herumgesprochen und seine unübersehbaren Fähigkeiten weckten auch hier sichtliches Interesse. Er verliebte schließlich sich in die Tochter einer seiner Meister und dieser versuchte Wolverine mit ihrer Hilfe für seine Zwecke zu missbrauchen – er wollte das ewige Leben erlangen, in dem er Logans DNA mit der seinen zu mischen versuchte. Das Ende vom Lied war ein weiteres totes Mädchen, ein abermals gebrochenes Herz, grenzenlose Verwüstung und panische Flucht. Allmählich begann der Schwarzhaarige darin ein grausames Muster zu erkennen. Blut klebte an seinen Händen und ließ sich nicht mehr abwaschen. Der Tod folgte ihm wie sein eigener Schatten auf Schritt und Tritt. Logan zog sich immer weiter zurück, um dem irgendwie zu entkommen. Doch egal wohin er ging, früher oder später holte ihn seine Vergangenheit ein, er beging einen Fehler und Menschen mussten seinetwegen sterben. Es schien kein Ende zu nehmen, sodass sich sein Herz völlig abzuschotten begann. Eine Weile schien es zu helfen und er in Frieden leben zu können. Dann lernte er einen jungen Mutanten kennen. Sein Name war Floater und er konnte jede Art von Flüssigkeit seinem Willen unterwerfen, ganz ähnlich wie Bobby das Eis kontrolliert. Er hatte so viel Ähnlichkeit mit Kurt, dass es Logan schrecklich schwer fällt über ihn zu sprechen. Doch er beißt sich weiterhin durch. Zuerst waren sie nur Freunde, aber das hielt nicht lange an. Die letzte Konfrontation mit dem Tod war schon so lange her, dass Wolverine ein Fünkchen Hoffnung in sich spürte, dem zaghaft wieder erblühenden Gefühl von Liebe nachzugeben. Alles schien so perfekt und er dachte wirklich, dass er das alles hinter hat und nun glücklich mit diesem Bengel werden könnte. Doch das Schicksal meinte es selbstredend abermals nicht gut mit ihm. Floater starb in seinen Armen, wie so viele andere vor ihm, und das war der Beweis für den Kanadier, dass er einfach kein Glück verdient zu haben scheint. Fortan begnügte er sich nur noch mit irgendwelchen leidenschaftslosen Bettgeschichten und blieb für sich allein, um niemandem zu schaden. Doch das alles nagte schwer an ihm, was ihn sehr verbitterte und es ihm kaum noch möglich war mit anderen Leuten zu interagieren. Als Charles Xavier ihn Jahre später fand und zu seinen X-Men holte, war Wolverine weit mehr Tier als Mensch und musste erst einmal wieder ein die Gesellschaft integriert werden. Ein hartes Stück Arbeit, welches auch heute noch kein Ende findet. Doch es hat sich gelohnt, wie es scheint. Hier fühlt sich Logan weitgehend sicher, unter seines Gleichen, und dennoch so frei, um selbst zu entscheiden, wohin er gehen will. 12 „...und nun sitzen wir hier und ich könnte mich selbst ohrfeigen, weil ich dir trotz allem wehgetan habe...“, endet der Jäger schließlich mit bebender Stimme. Krampfhaft holt er Luft, um all die Gefühle und Erinnerungen wieder hinunterzuschlucken und in die Dunkelheit seiner wirren Gedanken zu verbannen, wo sie hingehören. Kurt hat ihm die ganze Zeit über schweigend zugehört, von Fassungslosigkeit und endloser Trauer ergriffen. Heiße Tränen rinnen seine pelzigen Wangen hinab. Hätte er das alles nur vorher gewusst, er hätte Logans Reaktion voll und ganz verstehen können. Sein Herz schmerzt immer noch, doch nun weiß er, dass es dennoch nicht zu spät ist. Sie können immer noch Freunde sein! Noch ehe sich der Krieger wieder halbwegs unter Kontrolle hat, legen sich zwei Arme von hinten um ihn und Nightcrawler schmiegt sich weinend gegen ihn. Heiß kann er die Tränen den Jungen durch sein T-Shirt sickern spüren. „Es tut mir so leid!“, wimmert er fast völlig unverständlich ins Ohr des Älteren. „Es tut mir so leid, was du alles durchmachen musstest. Es ist so schrecklich...“ Sanft streicht ihm der Angesprochene durch die Haare. „Ist nicht deine Schuld, Elf. Kannst es nicht ändern...“ „Doch! Ich will dir helfen! Will dir ein guter Freund sein, damit du nie wieder so traurig sein musst! Bitte lass mich dir helfen!“ „Vergibst du mir?“, fragt der Schwarzhaarige und wendet sich zu ihm um. „Wie könnte ich es auch nicht? Ich liebe dich und das wird sich auch niemals ändern! Doch du musst es nicht erwidern, es reicht mir völlig, dass du es weißt und wir zusammen sein können!“ Ungelenk zieht Logan den weinenden Jungen in seine Arme und drückt ihn fest an sich. „Wenn du nicht wie der Teufel persönlich aussehen würdest, würde ich denken, du wärst ein Engel.“ „So ist es! Lass mich dein Engel sein, Logan! Lass mich dein Engel in der dunklen Nacht sein! Ich werde für dich beten, werde für uns beten. Und ich werde niemals von deiner Seite weichen, bis wir zusammen ins Paradies dürfen!“ Das ist ein Wunsch, den beide gleichermaßen haben und an den sie sich mit aller Macht klammern. Doch das Schicksal ist bekanntlich eine miese Hexengöttin und meint es nicht gut mit ihnen. Kurt wird sterben, noch ehe er das erste Jahr als X-Men vollenden kann – und Logan wird daran schuld sein... Sermon and Hope --------------- 1 Verwundert beobachtet Kitty, wie sich Kurt nach dem Frühstück wegteleportiert. Stunden später taucht der Blauhäutige dann zum Mittagessen wieder auf. Dabei scheint er von einer erstaunlichen Ruhe und Zufriedenheit umgeben zu sein, wodurch sie sich nur noch mehr fragt, wo er war und was in aller Welt er getan hat. Allerdings will die Brünette nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und ihn geradeheraus danach fragen. Womöglich fühlt er sich sonst bei irgendetwas ertappt. Könnte ja immerhin sein, dass er etwas macht, von dem niemand weiß – das vielleicht sogar verboten ist? Andererseits fragt sich die junge Frau in dem Fall, ob es dann nicht doch besser wäre, es zu wissen und Nightcrawler so vor Schaden zu bewahren. Eine äußerst verzwickte Sache... 2 Eine Weile hält sie sich zurück und beobachtet das Verhalten des Elfen immer wieder. Die meiste Zeit des Tages verbringt er völlig normal und unauffällig mit Logan, und somit mit seiner Ausbildung. Er sagt dem Älteren auch praktisch immer, wohin er geht, wenn sie sich zwischendurch einmal trennen – und sei es nur, um die Toilette aufzusuchen. Von daher müsste Wolverine doch ganz sicher wissen, wohin Kurt am letzten Sonntag verschwunden ist? Am Samstag gelingt es ihr schließlich, den Vielfraß allein zu erwischen, als er gerade dabei ist, eine längst überfällige Reparatur an seinem Jet vorzunehmen. Nightcrawler hat derweilen ein Gespräch mit Charles und wird daher nicht so schnell wieder zurück sein, was den Krieger schon etwas wurmt, hilft der Elf ihm doch sonst immer begeistert bei solchen Sachen. Kurt mag zwar nur drei Finger haben und in einem stinkenden Zirkus aufgewachsen sein, aber er ist dafür ziemlich geschickt im Umgang mit Werkzeugen. Zielstrebig nähert sich Kitty daher dem Jäger, der sich umständlich und schon ziemlich mit Öl beschmiert in den engen Maschinenraum zwängt, wobei es wahrlich so aussieht, als würde er jeden Moment feststecken. „Hey, Logan.“, gibt sie von sich. Der Angesprochene macht sich jedoch nicht die Mühe sie anzusehen oder seine Arbeit zu unterbrechen, es wäre auch viel zu umständlich. Nur ein brummendes Schnüffeln wirft sein Echo durch den kleinen Metallvogel. „Hey, Kitty.“, erwidert er schließlich, nachdem er sich sicher ist, dass sie es ist. „Kann ich dich mal was fragen?“, setzt sie wieder an. „Reich mir mal den 7/8 Maulschlüssel!“, tönt er und streckt blind die Hand in ihre Richtung aus. Suchend schaut sich Shadowcat auf dem fahrbaren Werkzeugwagen um, der neben der Leiter steht, auf der sich der zu kurzgeratene Kanadier befindet. Es dauert einen Moment, ehe sie in dem dort herrschenden Chaos findet, was er verlangt. Nachdem sie ihm den Maulschlüssel gereicht hat, bekommt sie allerdings keine weitere Reaktion von ihm. Er brummt nur irgendetwas Unverständliches in sich hinein. „Logan?“, fragt die Brünette daher erneut. „Verdammter Mist!“, schimpft der Schwarzhaarige nun in sich hinein und ein dunkler Fleck zähflüssigen Öls läuft träge an seinem Hemd herab. „Klammer!“, faucht er schon fast und streckt erneut fordernd die Hand aus. Leicht genervt verdreht Kitty die Augen, greift nach dem Gewünschten, gibt es Wolverine aber nicht. Stattdessen phast sie sich in den beengten Maschinenraum hinein und erscheint so direkt von dem ölverschmierten Gesicht des Älteren. Es wirkt überaus grotesk, ihren geschmeidigen Körper von endlosen Kabeln, Drähten und Stützbalken förmlich durchbohrt zu sehen, auch wenn es bei weitem nicht das erste Mal ist, dass Logan so etwas zu sehen bekommt. Dennoch zuckt er bei ihrem plötzlichen Auftauchen heftig zusammen, versucht instinktiv zurückzutreten und knallt dabei wuchtig mit dem Hinterkopf gegen den Rand der schmalen Luke. Zähneknirschend unterdrückt er einen Schmerzlaut und knurrt zornig. Dieses Geräusch wird kurz darauf aber von einem überraschten Laut erstickt, als ihm ein warmer Schwall Öl aus der gerissenen Leitung mitten ins Gesicht spritzt. Die Brünette weiß beim Anblick des begossenen Jägers nicht, ob sie lachen oder lieber wieder verschwinden soll. Schließlich siegt aber die Schadenfreude und sie schmunzelt leicht schuldbewusst in sich hinein, während sie etwas ungeschickt die Klammer an der Ölleitung befestigt und somit den anhaltenden Fluss gnädiger Weise unterbricht. „Unglaublich witzig, Kindchen!“, schimpft Logan nicht ganz so ernst, wie sie erwartet hat und wie sein Gesicht vermuten lässt, und windet sich dann aus dem Zwischenraum heraus, um sich das Gesicht abwischen zu können. Noch leicht grinsend folgt ihm die Jüngere. „Was sollte das denn?“, fragt Wolverine schließlich und schmeißt das verschmierte Handtuch auf den Werkzeugwagen. „Du hast mir gar nicht zugehört...“, schmollt Kitty ein bisschen. „Tja, ich hatte da ein kleines Problem, wie du vielleicht bemerkt hast, und leider keinen Nerv für dich.“, grummelt der Angesprochene etwas. Shadowcat schmollt noch ein bisschen mehr, woraufhin sich das Gesicht des Kriegers unweigerlich wieder entspannt. Kindern kann er nun einmal nicht lange böse sein. Er seufzt schwer. „Okay, was gibt es denn so Dringendes?“, fragt er. „Ich wollte dich fragen, ob du weißt, wohin Kurt jeden Sonntag verschwindet?“ Mit großen Kulleraugen sieht sie ihn an, weshalb Logan leicht irritiert die Stirn in Falten legt. „Nee, keine Ahnung. Warum fragst du ihn nicht selbst?“ Enttäuschung schlägt sich auf ihrem Gesicht nieder. „Weil es vielleicht etwas Verbotenes ist...“, setzt Kitty an, wodurch Wolverine nur ein schroffes Lachen von sich gibt. „Der war gut! Als könnte der Elf überhaupt auf solche Ideen kommen.“, grinst er kopfschüttelnd. „Aber wenn dem nicht so ist, warum weißt du dann nicht, wo er hingeht? Er sagt dir doch sonst immer alles!“, behaart sie trotzig. „Er sagt mir nicht immer alles und das will ich auch gar nicht. Sonst würde mir der Schädel von all dem Bibelmüll, den er den ganzen Tag so von sich gibt, reihenweise platzen! – Aber etwas Verbotenes tut er ganz sicher nicht. Womöglich aber etwas Privates? Denken wir mal nach. Was auch immer er macht, er tut es, meiner Meinung nach, jeden Sonntag zur selben Zeit. Bei der Regelmäßigkeit muss es etwas fast schon Offensichtliches sein...“ „Du meinst, wie in die Kirche zu gehen?“, fragt sie skeptisch. „Genau! Findet so was nicht jeden Sonntag statt? Ich hab davon keine Ahnung. Ist zu lange her, dass ich so ein Ding aus diesem Grund von innen gesehen habe. Und deswegen sagt er es mir wahrscheinlich auch nicht, weil ich ihn sonst nur wieder damit aufziehen würde. Außerdem ist Sonntag unser freier Tag. Er kann machen, was er will, ohne sich bei mir rechtfertigen oder abmelden zu müssen.“ Etwas ratlos zuckt die junge Frau mit den Schultern. Sie weiß zwar schon, dass sonntags in vielen Kirchen Messen abgehalten werden, doch als Jüdin ist sie sich nicht sicher, wie genau das bei Katholiken vonstattengeht. Zudem ist sie immer wieder überrascht, wie unterschiedlich Kurts und ihr Glaube doch ist, obwohl er sich doch auch so sehr gleicht. Allerdings wurde Kitty in das alles hinein geboren und hatte keine wirkliche Wahl, weshalb sie ihren Glauben auch nicht mehr wirklich ausübt, nur in schwere Stunden des Trostes wegen darauf zurückgreift. Im Gegensatz zu Nightcrawler, der sein ganzes Leben nach den göttlichen Regeln der Bibel aufzubauen versucht und sich aus freien Stücken dafür entschieden hat. „Wenn er nie mit dir darüber gesprochen hat, weißt du wahrscheinlich auch nicht, wo sich die Kirche befindet, zu der er immer geht, oder?“, fragt Shadowcat wenig hoffnungsvoll. „Nee, keinen Schimmer. Und die einzige Kirche, die mir je bewusst hier in der Gegend aufgefallen ist, befindet sich etwa eine Meile die Straße runter. Hab aber keine Ahnung, ob die katholisch oder sonst was ist. Ist aber in jedem Fall nicht zu übersehen. Das Ding ist so dermaßen weiß, dass einem die Augen schmerzen.“, erwidert Logan nachdenklich, mit leicht gerümpfter Nase. „Okay, trotzdem danke. Vielleicht schau ich da einfach mal vorbei...“, murmelt sie schon fast und verlässt den zu kurzgeratenen Kanadier dann einfach wieder. Schulter zuckend macht sich Wolverine wieder an die Arbeit. 3 Am nächsten Morgen ist Sonntag und Kitty beendet ihr Frühstück mit einer gewissen Eile, da sie gern vor Kurt an der Kirche sein möchte, was einem echten Kunststück gleichkommt. Schließlich kann sich der Teleporter innerhalb eines Sekundenbruchteils durch den Raum bewegen, während sie zu Fuß gehen muss. Allerdings macht ihr das nicht wirklich etwas aus. Das Wetter ist einfach herrlich für einen kleinen Spaziergang, selbst wenn sie nicht die Lösung des Rätsels finden sollte. Logan hatte aber in jedem Fall recht. Die Kirche ist wirklich nur knapp eine Meile vom Anwesen der X-Men entfernt und sie ist so weiß, dass ihr die Augen davon schmerzen. Das Gebäude, dessen Eingang von römischanmutenden Säulen umgeben wird, wirkt mit seinem reinen Glanz richtiggehend fehl am Platz – nicht nur hier, sondern in ganz Amerika, wenn nicht gar der ganzen Welt, wie ihr scheint. Es kommt ihr eher so vor, als wäre es hier einfach so hierhin gebeamt worden – aus einer anderen Dimension, jenseits aller bekannten Sterne und Welten, in der es nichts Schlechtes, nichts Dunkles zu geben scheint. Das Weiß leuchtet praktisch von innen heraus und kein einziger Schmutzfleck verunstaltet die Fassade, ganz so, als wäre die Kirche gerade erst fertiggestellt worden und kein Lebewesen hat sie bisher betreten oder auch nur angeschaut. Würde in ganz New York der Strom ausfallen, würde dieses Gebäude dennoch in der Dunkelheit strahlen und den verwirrten Menschen den Weg weisen, so wie der Stern von Bethlehem den drei Königen den Weg zum Jesus-Kind wies. Falls es wirklich einen Gott gibt, der hoch über ihnen in den Wolken sitzt, dann würde sich Kitty nicht wundern, wenn er dieses Bauwerk selbst von so hoch oben erblicken könnte. Es ist auf seltsame Weise wunderschön und dennoch irgendwie erschreckend. So ähnlich würde sie sich wohl das Schloss der Eiskönigin vorstellen, die ihr als kleines Kind den ein oder anderen Alptraum gebracht hat. Umgeben von Unmengen Schnee muss die Kirche hingegen kaum zu sehen sein und diesen Anschein nur noch bekräftigen. Ungewollt gleitet ein kalter Schauer ihren Rücken hinab und sie schüttelt sich leicht, obwohl es ein angenehm warmer Vormittag ist. Lange kann sie sich jedoch nicht mit dem Gedanken befassen, da nimmt sie etwas Dunkles wahr, das plötzlich vor der Kirche auftaucht. Als sie genauer hinschaut, erkennt sie, dass es sich dabei um Kurt handelt. Also ist das hier wohl ein Volltreffer! Vorsichtig und gebückt hockt Nightcrawler hinter einer der Säulen und blickt sich verstohlen um, ob ihn jemand sehen könnte. Die Türen der Kirche sind bereits geschlossen, obwohl bis zum Beginn der Messe eigentlich noch mindestens zehn Minuten Zeit sein sollten. Das scheint auch den Elfen leicht zu verwundern. Flink huscht er zur Tür hinüber und betrachtet einen dort angebrachten Zettel, woraufhin er etwas ratlos wirkt. Dennoch erklimmt er anschließend die blütenweiße Wand, wie eine überaus große Spinne, und verschwindet in einem kleinen Fenster unterhalb des Dachs, auf dem sich ein schmuckvoller Glockenturm befindet. Die Neugierde der Brünetten wird dadurch nur noch mehr entfacht. Geschwind huscht auch sie zu den Stufen hinüber und liest den Anschlag. Er verkündet, dass hier heute eine Hochzeit stattfinden und die Messe erst anschließend abgehalten wird. Kittys Augen werden ganz groß. Eine Hochzeit? Oh, wie wundervoll ist das denn? Welch ein Glück sie doch hat, ausgerechnet heute hergekommen zu sein! Vorfreudig hüpft sie von einem Bein aufs andere. Allerdings bedeutet eine Hochzeit auch eine geschlossene Gesellschaft, wie ihr dann klar wird. Andererseits muss es einen Platz geben, von dem aus Kurt wöchentlich die Messe beobachten kann, ohne gesehen zu werden. Mit Sicherheit ist dort auch noch ein Eckchen für sie frei. Sie muss den Blauhäutigen nur finden. Prüfend sieht sie sich daher um, ob sie auch niemand beobachtet, und phast dann in die Wand hinein. Sie landet zu ihrem Glück direkt hinter einem riesigen Blumengesteck und blickt sich daher fasziniert in dem großen Saal um, der sich vor ihr ausbreitet. Auch im Innern der Kirche herrscht die strahlend weiße Farbe vor. Die Bänke sind zudem mit fast schwarzem Ebenholz eingefasst. Ein dunkelroter Teppich verläuft den Mittelgang bis ganz nach vorn zum Altar entlang. Alles ist festlich geschmückt. Überall finden sich Blumen und Girlanden. Der Altar ist präzise mit kleinen Punktstrahlern ausgeleuchtet und aus hellem Buchenholz gefertigt. Dahinter befinden sich aufwändig gestaltete Buntglasfenster, die verschiedene Bibelszenen und Symbole zeigen, durch die das Sonnenlicht einen fast schon mystischen Schein in allen Regenbogenfarben auf den Altar wirft. Die Hochzeitsgäste haben sich bereits fein herausgeputzt auf den Bänken verteilt und tuscheln leise miteinander. Ein Priester in seiner reich verzierter Festrobe steht auf dem Altar und lässt den Blick über seine Schäffchen schweifen. So wie es aussieht, wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis Braut und Bräutigam die Bildfläche betreten. Auf einer kleinen Erhöhung neben dem Altar steht eine prachtvolle gold-weiß gestaltete Orgel, deren Spieler nun sanft die Tasten anschlägt, um die Gäste auf das Bevorstehende einzustimmen. Noch ist es allerdings nicht der Hochzeitsmarsch, doch Kitty ist sich sicher, dass er als nächstes ertönen wird. Von daher sollte sie schnell herausfinden, wo sich Kurt versteckt hat und sich zu ihm gesellen. Suchend schaut sie sich um, kann aber nichts entdecken. Andererseits wird sich der junge Mutant ganz sicher auch ziemlich gut verstecken, damit ihn niemand sieht und dadurch Panik bekommt. Nach einem Moment entdeckt sie eine Tür neben dem Eingang, durch die ganz sicher das Brautpaar treten und sie dann sehen wird. Vielleicht kommt sie von da aber auch dorthin, wo sich Nightcrawler versteckt? In jedem Fall muss sie sich beeilen. Geduckt verlässt Shadowcat ihre Deckung und verschwindet in dem angrenzenden Flur. Hier sieht sie weitere Türen. Eine ist tatsächlich das Brautzimmer. Eine andere führt zu einer Empore hinauf, die sich links und rechts des großen Salles befinden. Das wäre sicher ein ziemlich guter Platz, selbst wenn sie den Elfen nicht finden sollte. Die Empore ist von einem weißen, engmaschigen, reich verzierten Holzzaun umgeben, der sie unsichtbar machen wird, es ihr aber ermöglicht, alles dort unten zu beobachten. Eilig phast sie sich durch diese Tür und erklimmt dann leise die Stufen zur Empore, während unter ihr nun tatsächlich der Hochzeitsmarsch einsetzt und der Bräutigam seinen Platz am Altar einnimmt. In wenigen Augenblicken wird die Braut vortreten, und das will sie auf keinen Fall verpassen. Schnell phast sie sich durch eine weitere Tür und steht dann direkt auf der Empore linker Seite. Auch hier oben ist alles so dermaßen weiß, dass es richtiggehend unwirklich erscheint. Daher ist es auch absolut nicht schwer, Nightcrawler in der hintersten Ecke hocken zu sehen. Aufgeregt tippelt sie zu ihm hinüber und hockt sich neben ihn. Verständlicherweise erleidet der Blauhäutige dadurch fast einen Herzstillstand, ehe er bemerkt, dass es sich nur um Kitty handelt. „Kätzchen?! Was, in aller Welt, machst du denn hier?“, flüstert er atemlos. „Ich habe dich gesucht. Doch jetzt sei bitte still, die Braut kommt!“, flötet die junge Frau aufgeregt und kann dabei kaum stillsitzen. Ihre Augen leuchten wie die eines Kindes am Weihnachtsmorgen. Verwundert legt Kurt die Stirn in Falten und betrachtet sie einen Moment. Dann lächelt er sanft und blickt ebenfalls hinunter. Erst in der Pause zwischen der Hochzeit und der Messe erhebt Nightcrawler wieder das Wort. „Was machst du wirklich hier,Kätzchen?“ „Wie ich schon sagte, ich habe dich gesucht.“, erwidert sie noch immer mit seligem Ausdruck in den Augen. „Warum?“, fragt der Jüngere. „Naja. Ich wollte wissen, was du jeden Sonntag machst, wenn du still und heimlich verschwindest, und Logan konnte es mir nicht sagen. Er meinte aber, dass du vielleicht in die Kirche gehst.“, gibt sie zurück. „Und bei all den vielen Kirchen in New York hast du es tatsächlich geschafft meine zu finden?“, will er nur noch irritierter wissen. „Zum Glück nicht. Aber das hier war die einzige Kirche, die Logan kannte, und ich dachte mir, ich fange damit einfach mal an.“, meint sie Schulter zuckend. „Soso. Ist deine Neugierde damit jetzt also befriedigt?“, meint er lächelnd. „In jedem Fall! Ich hätte mir wohl keinen besseren Tag dafür aussuchen können. Die Hochzeit war so unglaublich schön! Wann ist die nächste?“ „Nun, eigentlich finden Hochzeiten normalerweise nur unter der Woche oder am Samstag statt. Das heute war eine Ausnahme, weil es sich um die Tochter eines Politikers gehandelt hat, der dafür die ganze Kirche gemietet hatte, um möglichst ungestört zu sein. Von daher kann ich es dir nicht sagen. Es war die erste Hochzeit, die ich hier überhaupt gesehen habe, weil ich ja eigentlich nur zur Messe oder an Feiertagen herkomme.“, erwidert Kurt entschuldigend. „Oh, wie Schade...“, schmollt Kitty leicht. „Mach dir nichts draus. Die Messe ist auch sehr schön. Alle zwei oder drei Wochen findet dabei auch immer eine Taufe statt. Das ist oftmals recht amüsant, wenn die Babys keine Lust darauf haben. Zwar ist dann alles nicht so aufwändig geschmückt, aber in ihren weißen Kleidchen sehen die Kinder wie kleine Engel aus.“ „Hm, dass klingt auch hübsch. Vielleicht komme ich ja noch ein paar Mal mit, um es mir anzusehen. Wenn du nichts dagegen hast, selbstverständlich.“ „Du bist jederzeit herzlich willkommen!“, versichert ihr der Elf ehrlich erfreut, während unter ihnen die Messe beginnt. 4 Am nächsten Sonntag teleportiert sich Nightcrawler zusammen mit Shadowcat zur Kirche. Erneut beziehen sie heimlich Position auf der Empore und blicken auf das Geschehen unter sich hinab. Zu Kittys sichtlicher Enttäuschung findet jedoch keine neuerliche Hochzeit statt. Was sie sich durch Kurts Worte ja hätte denken können, aber dennoch war die leise Hoffnung in ihr vorhanden. Nicht einmal eine von denen von Nightcrawler angedeuteten Taufen zeigt sich ihnen heute. Sie stößt ein stummes Seufzen aus. Da kann man wohl nichts machen. Dennoch will sie dem Elf die Messe nicht verderben und bleibt bei ihm hocken. Vielleicht ist das Ganze ja doch nicht so trocken, wie sie es sich in ihrer diesbezüglichen Unwissenheit oder Erinnerungen aus ihrer Kindheit vorstellt? Der Priester ist zwar nicht mehr der Jüngste und er wirkt etwas unsicher, als er sich zum Altar begibt, doch seine Augen sind strahlend, offen und zeugen von einer Energie, die kaum zu glauben ist. Trotz seiner ältlichen Haltung wirkt er dadurch äußerst fähig und angergiert. Seine Gemeinde betrachtet ihn voller Ehrerbietung und Vorfreude. Als der schwarzgekleidete Mann nun die Stimme erhebt, ist sie so kraftvoll und durchsetzungsfähig, wie die eines strengen Lehrers. Und dennoch wirkt sie unfassbar sanft, richtiggehend liebevoll. Als die Brünette kurz den Blick zu dem Blauhäutigen neben sich schwenkt, kann sie in seinem Gesicht die gleiche Begeisterung erkennen, die auch die Leute auf den Bänken ergriffen hat. Noch kann sie selbst dem wenig abgewinnen und kommt sich daher schon etwas fehl am Platz vor. Sie spielt sogar etwas mit dem Gedanken, nächsten Sonntag nicht mehr herzukommen und Kurt zu bitten, ihr doch Bescheid zu geben, sollte eine Taufe oder Hochzeit stattfinden. Würde sie damit die Gefühle des Elfen verletzen? Da ist sie sich nicht ganz sicher, verdrängt den Gedanken aber erst einmal, um der Predigt zu folgen, damit Nightcrawler nicht merkt, wie abgelenkt sie ist. 5 Wohlwollend betrachtet Pater James seine versammelte Gemeinde einen Moment lang. Stillschweigend zählt er Gesichter und ist wie immer sehr zufrieden, bezüglich des zahlreichen Erscheinens seiner Schäfchen. Gewichtig schlägt er seine große Bibel auf, überfliegt kurz den dargelegten Text und blickt dann wieder die vor ihm sitzende Menge an. Als er den Mund öffnet, schallt seine überraschend kräftige Stimme durch den ganzen Saal und dringt in die Seelen und Herzen der Anwesenden ein, um ihnen die Worte des Herrn tief zu verinnerlichen. „Liebe Brüder und Schwestern, unsere heute Predigt steht unter dem Titel der zweiten Todsünde, der Habgier!“, verkündet er fast schon unheilvoll, woraufhin die versammelten Leute ein fast schon erschrockenes Seufzen ausstoßen. „Hierzu möchte ich zu erstmal ein paar Worte aus der heiligen Schrift an euch richten.“, flüchtig senkt er den Blick in das große Buch, um gleich darauf wieder aufzuschauen. „Wir haben nichts in die Welt mitgebracht, und wir können auch nichts aus ihr mitnehmen. Wenn wir Nahrung und Kleidung haben, soll uns das genügen. Wer aber reich werden will, gerät in Versuchung und Schlingen, er verfällt sinnlosen und schädlichen Begierden, die den Menschen ins Verderben und in den Untergang stürzen. Denn die Wurzel aller Übel ist die Habsucht. Nicht wenige, die ihr verfielen, sind vom Glauben abgeirrt und haben sich viele Qualen bereitet.“, rezitiert der Pater und schweigt dann einen Moment, um es wirken zu lassen. Wieder geht ein beinahe angstvolles Raunen durch die Menge, die ganz seinen Worten verfallen zu sein scheint. Für Kitty ist das zwar alles etwas fremd, auch wenn es im jüdischen Glauben viel Gleiches gibt, aber selbst sie kann nicht abstreiten, dass dieser Mann durchaus etwas Mitreißendes an sich hat, was es schwer macht, ihm nicht zuzuhören. Kurt neben ihr wirkt völlig gefangen, fast so, als wäre er hypnotisiert worden. Dadurch fragt sich die junge Frau schon ein bisschen, ob er überhaupt mitbekommen würde, wenn sie jetzt aufstehen und einfach gehen würde. Leicht schmunzelt sie in sich hinein. Nein, dass wäre wirklich gemein. Und das Ganze ist nun bei weitem nicht so schlimm, wie sie es sich vielleicht hätte vorstellen mögen. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie sich davon bekehren lässt oder dergleichen, und daher will sie schon an ihrem Plan festhalten und nicht mehr zur Messe mitkommen. Wie Logan schon sagte, ist so was etwas ziemlich Privates und so soll Kurt es auch ungestört genießen können. „Das sind Worte des alternden Apostel Paulus an seinen Schüler Timotheus. Paulus hat seine Erfahrungen mit Menschen gemacht, die der verfluchten Sucht nach Geld verfallen sind: Sie wurden von ihrer Gier aufgefressen, verlieren alle Freude an Gott, haben kein Mitgefühl mehr mit ihren Mitmenschen und stürzen unweigerlich ins eigene Verderben. Dabei ist es eigentlich so leicht, die entscheidende Einsicht zu gewinnen, die dem Strudel der Habgier entkommen lässt: Du kannst nichts mitnehmen, das letzte Hemd hat keine Taschen. Aber irgendwie kann man dieses Wissen doch auch wieder verdrängen, es wirkt jedenfalls kaum.“, führt James weiter aus und mustert seine Gemeinde mahnend. „Weh euch, die ihr seid reich; denn ihr habt keinen Trost mehr zu erwarten. Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“, zitiert er nun wieder aus der Bibel. Die Menschen hängen gebahnt an seinen Lippen, wie man es sonst wohl nur aus schlechten Filmen her kennen mag. „Jesus malt im Gleichnis das Schicksal des Habsüchtigen nach dem Tode aus. Es ist töricht, seine Lehre als Drohbotschaft zu verunglimpfen und totzuschweigen. Unser Leben auf der Erde ist endlich, nach dem Tod beginnt das ewige Leben, dessen Unendlichkeit unsere besten Kräfte jetzt schon mobilisieren sollte. Das letzte Hemd hat keine Taschen! Wir können nichts mitnehmen! Einzig unsere guten Taten nehmen wir mit. Sie sind gleichsam die Währung, mit dem im Reich Gottes gehandelt wird. Mit der praktischen Nächstenliebe bauen wir an unserer Zukunft...“ Während die Menge und auch die beiden X-Men gefangen in seinen Worten sind, merkt keiner von ihnen, wie sich die großen Türen der Kirche langsam öffnen und zwei junge Männer richtiggehend hineinschleichen. Der Priester ist sich dessen aber durchaus bewusst, hat er doch als Einziger einen direkten Blick auf den Eingang. Er denkt sich allerdings nichts Besonderes dabei. Es kommt immer mal wieder vor, dass ein paar Schäfchen verspätet zur Messe erscheinen. Von daher ignoriert er die Tatsache erst einmal. Dennoch huscht für eine Sekunde leichte Skepsis über seine Augen hinweg, sind ihm die beiden Männer doch völlig fremd. Ungerührt spricht er trotz alledem seine Predigt zu Ende und entlässt seine Gemeinde dann in diesen sonnigen Mittag hinaus. 6 Lächelnd schüttelt James die Hände jedes einzelnen seiner Gemeindemitglieder, als sich diese geordnet zur Tür hinausbegeben. Schlussendlich sind nur noch die beiden Fremden übrig, die abermals seine Aufmerksamkeit erwecken. Langsam erheben sie sich von der letzten Bank und schlendern dann großspurig auf den Geistlichen zu. „Na, Pater, was geht ab?“, fragt er der eine lässig. Zwischen seinen grinsend entblößten Zähnen klemmt keck ein Streichholz. Er trägt zudem eine schwere Lederjacke mit unzähligen Nieten und Reißverschlüssen. Seine blankpolierten, schwarzen Motorradstiefel hallen dumpf auf dem roten Teppich. Kichernd folgt ihm sein Kollege in einer ganz ähnlichen Kluft, nur das er unablässig ein Sturmfeuerzeug aufschnappen lässt. Sichtliches Unbehagen kommt in dem Älteren hoch und er weicht unbewusst einen Schritt zurück. „Die Messe ist zu Ende, von daher würde ich die Herren bitten jetzt zu gehen.“, setzt er nervös an. Von der Empore aus beobachten die beiden X-Men das Geschehen. Für sie wirkt es ganz so, als wenn das kein gutes Ende nehmen wird. Verständlicherweise ist Kurt bei solch einem Frefel außer sich. Sie müssen etwas unternehmen, dass ist ihm klar. Das denkt sich auch Kitty. Doch was? Die beiden Typen wirken nicht gerade ungefährlich, was die junge Frau nicht unbedingt sonderlich stört. Als X-Men sind sie immerhin darauf trainiert Konfrontationen einzugehen, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Sie könnte sie mit Sicherheit auch irgendwie außer Gefecht setzen. Allerdings glaubt sie nicht, dass Nightcrawler die beiden ungestraft davonkommen lassen würde. Bisher hat sie ihn noch nie so erzürnt gesehen, und es ist wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit, bis er alles vergisst und etwas Dummes macht, was vielleicht nicht einmal verwunderlich wäre, wo doch Logan sein Lehrer ist und der Kanadier nicht gerade ein Vorzeigebeispiel für Beherrschung und logisches Handeln ist. Wenn sie Kurt allerdings sehen, werden sie sofort wissen, dass er ein Mutant ist und das könnte ein großes Problem , nicht nur für die beiden X-Men, nach sich ziehen, sondern im schlimmsten Fall alle Mutanten wieder einmal als etwas Schlechtes abstempeln, wie es in der Vergangenheit schon mehrfach der Fall war. Und das wäre genau das, was die X-Men immer zu vermeiden gedenken, versuchen sie doch nur, sich irgendwie in die Gesellschaft einzufügen, die sie von vornherein ablehnt. Untätig wird der Elf die Szene aber ganz sicher nicht verlassen wollen. Also muss ihr etwas einfallen, um das Ganze so schnell und unauffällig wie möglich durchzuziehen. Während sie nahezu fiberhaft überlegt und Kurt dabei an Ort und Stelle zu halten versucht, spitzt sich die Szene unter ihnen nur noch weiter zu. „Haste gehört? Der Pater will uns loswerden!“ „Yeah, das ist aber gar nicht nett von ihm. Das kostet!“ „Genau, also her mit der Kohle aus der Kollekte, Freundchen!“ „Sonst blüht dir was!“, verkündet der zweite Kerl, steckt sein Feuerzeug weg und zieht stattdessen ein Schnappmesser aus seiner Jacke. Mit einen hellen Plink!, das sich im großen Saal erschrecken laut anhört, springt es aus dem Schaft heraus. „Oh, gütiger Gott...“, entkommt es James hilflos. „Der kann dir auch nicht helfen, Alterchen!“, tönt der Typ mit dem Streichholz im Mund und zieht ebenfalls ein Messer. Drohend kommen die beiden ihm immer näher. „Kitty!“, fleht Nightcrawler sie eindringlich an. „Ja, ist ja gut! Ich werde sie entwaffnen und du schaffst sie dann weg.“, bestimmt Shadowcat kurzerhand. Eilig steht sie auf, phast sich durch das Geländer der Empore und landet dann genau vor den beiden Kerlen auf dem Boden. Überrascht zucken diese einen Schritt zurück, ehe sie breit zu grinsen beginnen. „Schluss mit dem Unfug!“, gebärt sich die Brünette. „Na sieh mal einer an, was wir da Nettes haben!“, flötet der eine und leckt sich vielsagend über die Lippen. Sein Kumpel grinst so dreckig, dass Kitty ein angewiderter Schauer über den Rücken jagt. „Wenn du brav bist, kriegst du was ganz Tolles von mir, Süße!“ „Vergiss es! Ich will nur eine Sache von euch beiden.“, meint sie grimmig. Eine Sekunde später phast sie ihre Finger durch die Hände der beiden Männer und versucht ihnen damit die Messer abzunehmen. Erschrocken reißen die zwei die Augen auf. „Scheiße, was soll das?“ „Die ist ein Scheiß-Mutant!“, entkommt es ihm stockend. Hilflos lassen sie die Messer los und weichen vor ihr zurück. „Wir wollen keinen Ärger mit dir, Schätzchen...“, gibt der Typ mit dem Streichholz von sich, wobei seine Stimme einen Tonfall angenommen hat, als fürchte er, er hätte sich nun mit irgendetwas von ihr angesteckt und könnte jeden Moment ebenfalls mutieren. Herzlichst lächelt ihnen die junge Frau entgegen. „Oh, mit mir bekommt ihr keinen Ärger, Jungs.“, flötet sie vergnügt und gibt Kurt damit sein Stichwort. Dieser teleportiert sich hinter die beiden Männer und legt ihnen die Hände auf die Schultern. „Den Ärger gib es von mir, Freunde!“, knurrt er zornig und verschwindet sogleich mit den Gaunern in einer beißenden Schwefelwolke. Sekunden später tauchen die drei wieder auf. Schnell wird die beiden Typen klar, dass sie nun vom Dach des Glockenturms baumeln. „Scheiße!“ „Was soll der Mist?“ „Ihr hättet pünktlich sein und euch die Predigt anhören sollen, Freunde. Dann wüsstet ihr jetzt, dass Habgier eine Todsünde ist.“, ertönt auf einmal eine düstere Stimme über ihnen, die unter normalen Umständen keine Ähnlichkeit mit der Tonlage des friedfertigen Elfen hätte. Angestrengt wenden sie den Blick hinter sich und stellen mit Entsetzen fest, dass sie von einem blauen Teufel im Genick festgehalten werden! „Um Gottes willen...“, entkommt es dem einen stockend, während sein Kumpel nur noch blasser wird. Zornig beginnt Nightcrawler zu knurren. „Wag es nie wieder den Namen des Herren in den Mund zu nehmen, elender Sünder!“ „Werd‘ – werd‘ ich nicht...“ „Und wagt es ja nicht noch einmal diese Kirche zu betreten, denn sonst werde ich wirklich wütend!“, faucht Kurt, wie eine streitsüchtige Katze, und teleportiert sich wieder mit ihnen davon. Einen Wimpernschlag später finden sie sich im Stadtpark wieder. Kurt kauert auf der Spitze eines Fahnenmastes, der in der Mitte eines großen Teichs steht. „Merkt euch meine Worte: Gott sieht alles und bestraft eure Sünden!“, raunt ihnen der Blauhäutige entgegen und lässt sie dann einfach ins kalte Wasser fallen. Noch ehe die zwei wieder an die Oberfläche kommen, ist der schaurige Teufel auch schon wieder verschwunden und die Gauner sich nicht sicher, ob sie sich das Ganze vielleicht nur eingebildet haben, weil sie vor der Aktion ein paar Pillen eingeworfen hatten... 7 Derweilen versucht der Priester irgendwie wieder Worte für das zu finden, was sich gerade vor seinen Augen abgespielt hat. Langsam dreht sich die Brünette zu ihm herum. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragt sie leicht besorgt, woraufhin James erleichtert die angehaltene Luft ausstößt. „Ja, Kindchen. Es geht mir gut und das habe ich nur dir zu verdanken!“, strahlt er begeistert und streckt ihr unbedarft die Hände entgegen, um die ihren zu ergreifen, obwohl er gerade gesehen zu glauben schien, dass dieses Mädchen die zwei Gauner durch bloße Berührung hat verschwinden lassen. Doch seine Erleichterung ist im Augenblick zu groß, um sich darüber ganz im Klaren zu sein. Etwas verlegen lässt Kitty es geschehen. „Oh, aber nicht doch! Das war nicht nur allein mein Verdienst...“, setzt sie an. Kaum wahrnehmbar hört si hinter sich in der dunklen Ecke des Eingangs, wie Kurt wieder zurückkommt und das Geschehen still beobachtet. Innerlich hadert sich mit sich. Nightcrawler gebührt ebenfalls Dank und diesen würde sie ihm nur zu gern zuteilwerden lassen. Allerdings weiß sie beim besten Willen nicht, wie der Pater darauf reagieren würde, wenn plötzlich ein blauer Teufel vor ihm steht. Es ist eine echte Zwickmühle. Andererseits können sie sich nicht für den Rest ihres Lebens verstecken. So etwas ist vollkommen unmöglich, auch wenn der Elf das vielleicht manches Mal anders sieht. Bei seinen Erfahrungen nur allzu verständlich, dennoch... „So?“, fragt der alte Mann verwundert, hat er doch außer dem Mädchen niemanden gesehen. „Ja. Mein Freund hat die beiden Männer weggebracht. Haben Sie das nicht bemerkt?“, fragt sie vorsichtig. Einen Moment schweigt der Geistliche. „Ich habe irgendetwas bemerkt und dann waren die beiden plötzlich weg. – Doch sie haben dich als Mutant beschimpft und da dachte ich, dass du etwas mit ihrem Verschwinden zutun hattest...“ „Nein. Ich habe ihnen lediglich die Messer abgenommen. – Aber ja, ich bin ein Mutant und mein Freund ebenfalls. Von daher würde ich gern wissen, ob Sie ein Problem damit haben? Wenn ja, werden wir selbstverständlich sofort gehen.“, flehend betrachtet sie ihn. Ein etwas unsicheres Lächeln ziert seine Lippen, dennoch hält er weiterhin sanft ihre Hände umfasst. „In meinen Augen sind wir alle Geschöpfe Gottes. Und die Tatsache, dass die Welt euch als Mutanten beschimpft, macht mir nur deutlich, dass es etwas gibt – einen großen Plan des Herrn –, dessen Weg ihr schon beschritten habt, wogegen wir noch darauf warten müssen, uns dort einfügen zu können. Von daher habe ich kein Problem mit Mutanten, solange sie mir wohlgesinnt sind. Und ich denke, ich kann noch viel weniger gegen irgendeinen von euresgleichen haben, wenn ihr ungerührt meine Messe und dieses Haus Gottes betretet, um eurem Glauben nachzugehen, mein Kind.“ „Das freut mich wirklich zu hören. Allerdings muss ich gestehen, dass ich nicht so sehr Ihrem Glauben folge. Ich bin eigentlich Jüdin. Ich habe lediglich meinen Freund begleitet, der dafür aber mit ganzem Herzen Eurem Rufen folgt.“ „Das freut mich wirklich zu höre, mein Kind. Aber wo ist dein Freund denn jetzt? Ich würde mich zu gern auch bei ihm bedanken.“ „Er ist hier. Dort hinten im Schatten. Er ist allerdings sehr scheu. Wenn Sie ihn sehen, werden Sie verstehen, warum. Es ist nicht zu übersehen, dass er ein Mutant ist und hier vielleicht gar nicht hergehören mag...“ Ihre Stimme klingt regelrecht entschuldigend, wie er feststellt, weshalb er sich nicht sicher ist, was ihn erwarten könnte. Im Laufe der letzten paar Jahre hat er öfter mal Mutanten gesehen, besonders wenn sie Schlagzeilen gemacht haben, was sich bei ihresgleichen kaum vermeiden lässt. Einige davon sahen schon speziell aus oder konnten die unglaublichsten Dinge vollbringen. Dennoch hat man ihnen stets auch ihre Menschlichkeit angesehen. Also denkt er nicht, dass ihn dieser Junge abschrecken kann. „Denkst du, dass er dennoch zu uns kommen würde?“ Vorsichtig wendet Kitty den Blick zum Eingang. Ganz tief dort in den Schatten kann sie kurz Nightcrawlers Augen funkeln sehen. „Ich denke schon, dass er das möchte, oder es sich zumindest wünscht.“ „Gut, dann sollten wir ihn zu uns kommen lassen.“ James tritt zwei Schritte näher zum Eingang hin und verweilt dann. „Junge...“, fängt er an. „Er heißt Kurt.“, fügt Shadowcat leise hinzu. „Sehr gut! Kurt, möchtest du nicht zu mir kommen, damit ich mich bei dir für die Hilfe bedanken kann?“, die grenzenlose Güte in seiner Stimme treibt dem Elfen fast die Tränen in die Augen. Undeutlich kann der Geistliche sehen, wie sich etwas tief in die Schatten zu bewegen scheint. „Ich – ich würde gern herüberkommen. Doch ich fürchte, dass Sie sich vor mir erschrecken werden. – Ich – ich wirke hier doch sehr fehl am Platz...“, erwidert der Blauhäutige traurig aus der Dunkelheit heraus. „Oh, denke so etwas nicht, mein Sohn. Wie ich deiner Freundin...“ „Kitty.“, wirft besagtes Mädchen ein, woraufhin der Ältere verstehend nickt. „Wie ich Kitty schon gesagt habe, sind mir alle Wesen Gottes gleichermaßen willkommen. Und ich habe auch schon den ein oder anderen Mutanten gesehen. Also musst du dich nicht scheuen.“ Eine ganze Weile tut sich nichts und die Brünette denkt schon, dass Nightcrawler es einfach nicht übers Herz bringen kann. Dann löst sich plötzlich ganz langsam und tief am Boden gehalten – wie ein pirschendes Raubtier oder ein sehr ängstlicher Hund – eine Gestalt aus den Schatten. Je mehr sich von ihm zeigt, desto größer werden die Augen des Priesters. So etwas hat er in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen – höchstens in schrecklichen Alpträumen, die ihn verfolgten, als er sich noch nicht sicher war, ob er das Priesteramt überhaupt ausüben kann, ob sein Glaube dafür stark genug ist. Der junge Mutant sieht aus wie ein blauer Teufel. Keine Frage wirkt er damit völlig unpassend in einer so reinen Kirche, wie dieser hier, und James kann nur froh sein, dass seine Gemeinde schon gegangen ist. Würden sie ihren geistlichen Führer mit so einem Wesen sprechen sehen, würden sie wahrlich vom Glauben abfallen, völlig egal, dass Kurt ihn gerade gerettet hat oder nicht. Nervös betrachtet ihn Kitty, gleichermaßen mustert sie auch Kurt, der jederzeit zur Flucht bereit scheint und damit wieder genauso aussieht, wie damals, als er sich versucht hat, Charles zu nähern. „Heiliger Vater...“, entkommt es James ungewollt flüsternd, er kann es einfach nicht unterdrücken, so sehr er es auch versucht. Er schluckt schwer. ‚Welch Prüfung erlegst du mir auf, oh Herr?‘, geht es ihm durch den Kopf, ohne zu wissen, dass Kurt ganz ähnliche Gedanken hat. Bei seinen Worten verharrt Nightcrawler nahezu erschrocken, setzt sich auf allen Vieren nieder und ringelt den langen Schweif wie eine übergroße Katze um sich. Ein tiefes Flehen liegt in den seltsam leeren, gelben Augen des Jungen, die aber so viel Güte und Furcht gleichermaßen auszustrahlen scheinen. Etwas hilflos lässt Kitty den Blick zwischen den beiden hin- und herwandern und hofft inständig, dass das die richtige Entscheidung und alles gut für sie ausgehen wird. Andernfalls blüht ihnen nicht nur von Charles jede Menge Ärger. Leicht unsicher sucht der Geistliche ihren Blick, gibt ein tonloses Seufzen von sich, ehe er sanft lächelt und sich wieder ins Gedächtnis ruft, was die beiden gerade Gutes für ihn getan haben. Mutanten mögen manchmal furchteinflößend oder sogar böse und gefährlich sein, aber diese zwei sind es ganz sicher nicht. Von daher sollte er sich keinesfalls von Äußerlichkeiten abschrecken lassen und auf sein Herz vertrauen, seinen Glauben. Wenn Gott ihm einen blauen Teufel als Schutzengel schickt, dann ist es so und er sollte dankbar dafür sein! Langsam setzt er nun einen Schritt vor den anderen und nähert sich bedächtig dem Elfen. Nightcrawler zuckt leicht zusammen, verharrt jedoch auf seiner Position und macht sich selbst klar, dass dies nicht nur für den Priester eine göttliche Prüfung ist, sondern auch für ihn selbst. Daher versucht er sich zu entspannen. Seine leuchtend gelben Augen mustern den näherkommenden Mann sehr genau. Die dreieckige Spitze seines Schweifs zuckt nervös herum. Genau für solche Arten von Begegnungen hat er jeden Tag, seit seiner Ankunft hier, bis zur völligen Erschöpfung trainiert und gelernt und dies ist nun eine weitere Prüfung, die es zu bestehen gilt. Und Kurt ist sich sicher, dass es bei weitem nicht so schlimm werden wird, wie die Rettung von Dr. Cooper damals im Dschungel. „Hab keine Angst, mein Sohn. Du hast etwas Gutes getan und dafür möchte ich mich herzlich bei dir bedanken.“, setzt James an und bleibt dann etwa einen Meter vor dem X-Man stehen, als er merkt, wie unbehaglich diesem zumute zu sein scheint. Dem Älteren fällt es auch wahrlich schwer, den Blick von der seltsamen Gestalt seines Retters abzuwenden und genau das löst sicher auch dessen sichtliches Unbehagen aus. „Ich meine nicht, dass ich einem solchen Auftrag aus eigener Kraft gewachsen bin und mir irgendetwas selbst zuschreiben kann. Gott ist es, der mir die Fähigkeit dazu geschenkt hat.“, erwidert Nightcrawler bescheiden und deutet eine Verbeugung an. Lächelnd tritt der Priester näher heran und streckt die Hände aus. „Ich wünsch dir, dass du erfahren mögest, dass alles, woran du gelitten hast, nicht vergeblich gewesen ist, und dass dir Kräfte zuwachsen, deine Begabungen zu entfalten und die Beziehungen zu Menschen heilvoll und fruchtbar zu gestalten.“, entgegnet er ihm liebevoll. Auf Kurts Gesicht breitet sich ein scheues Lächeln aus. Ganz vorsichtig ergreift er die dargebotenen Hände und lässt sich von dem anderen Mann dann aufhelfen. Die Güte und Herzlichkeit in den braunen Augen scheinen grenzenlos und lassen den Elf all seine Bedenken verlieren. „Vielen Dank, Vater!“, meint der Teleporter ergeben. Und obwohl sich James nicht ganz sicher ist, was die fremden Worte des Jungen bedeuten, findet er die Antwort doch in dessen offenem Gesicht. „Mein Dank gilt ganz dir, Kurt. Es war sehr mutig von euch beiden, euch diesen Rabauken in den Weg zu stellen und meine Kirche zu beschützen. Von daher danke ich euch im Namen des Herrn und meiner gesamten Gemeinde. Möge Gott euch auf all euren Wegen begleiten und stets über euch wachen!“ Wenig später verlassen die beiden Mutanten zufrieden und glücklich die Kirche und machen sich wieder auf den Weg nach Hause, bereit für ein neues Abenteuer, das sicher nicht lange auf sich warten lässt! Life and dead ------------- 1 Nach diesem doch verhältnismäßig schönen Abenteuer – bei dem Kurt sogar seinen ersten, menschlichen Freund gefunden hat –, erwartet die X-Men nun etwas, das nicht nur Nightcrawler tief im Herzen an allem Göttlichen zweifeln und seinen Glauben auf eine harte Probe stellen wird. Nein, es wird selbst Logan in einer Form herausfordern, die er bis dahin so noch nicht gekannt hat – und das will bei dem hart gesottenen Kanadier nur wirklich etwas heißen. Doch bevor es soweit ist, steht die gesamte Mannschaft nun erst einmal im Büro des Professors und hört sich an, was ihnen für eine Aufgabe bevorsteht. „...und die Polizei hat bereits die gesamte Innenstadt abgeriegelt und den Großteil der Leute in Sicherheit gebracht. Doch sie werden der Lage einfach nicht Herr. Zudem scheinen immer mehr von diesen Wesen aufzutauchen und keiner weiß, woher sie genau kommen. Die Armee ist bereits auf dem Weg, doch das Verteidigungsministerium hat mich gebeten, euch zu schicken, um die Lage bis dahin unter Kontrolle zu bringen, ehe noch mehr Zivilisten verletzt und Polizisten getötet werden.“, berichtet Charles mit überaus ernster Miene. Wolverine schnaubt nur mit vor der Brust verschränkten Armen. „Ist ja mal wieder typisch! Wenn’s den Leuten an den Kragen geht, sind wir gut genug, um unseren Arsch für sie hinzuhalten. Aber jeden anderen Tag bespucken sie uns. Und wir müssen brav das Maul halten, wenn sie einen von uns wie einen räudigen Köter auf offener Straße abknallen!“, knurrt er verstimmt. Nicht alle teilen seine Meinung, doch sie alle wissen nur zu gut, dass der Jäger durchaus recht hat, und so liegt ein ähnlicher Ausdruck auf ihren Gesichtern: eine Art traurig-verstimmte und leicht angesäuerte Resignation. Xavier kann das ebenfalls verstehen, dennoch weiß er, dass seine X-Men diese Aufgabe sehr ernstnehmen und ihr Bestes zum Schutz der Bevölkerung tun werden – selbst der so launische Wolverine. „Sieh es doch mal so, Logan, wenn du nicht wie ein Wilder ein unnötiges Blutbad anrichtest, haben die Leute vielleicht irgendwann einmal einen Grund, dich nicht wie einen räudigen Hund erschießen zu wollen.“, meint Jean leicht lächelnd und legt ihm beschwichtigend eine Hand auf die breite Schulter. Der Schwarzhaarige erwidert ihr Lächeln, doch bei ihm hat es eher etwas Verärgertes an sich. „Die Leute werden immer einen Grund haben, mich abknallen zu wollen, erst recht, weil sie wissen, dass es nicht funktionieren wird, wenn sie merken, wer da vor ihnen steht. Somit ist es völlig egal, was ich mache und was nicht. Zudem hört sich der ganze Mist für mich so an, als wenn ein Blutbad diesmal in jedem Fall angemessen ist, um den Scheiß hinter sich zu bringen. Außerdem schert es mich nicht, was die Leute von mir denken oder mit mir machen. Ich sorge mich da einzig und allein um euch, die man sehr wohl wie räudige Köter in der nächsten Gosse abknallen kann, Schätzchen.“, erwidert er ihr sachlich. „Letztendlich ist es aber allein dein schlechtes Benehmen, das auf uns alle zurückfällt und uns somit in unnötige Gefahr bringt!“, hält Scott entschieden dagegen. Der Angesprochene knurrt tief in der Kehle. „Halts Maul, Slim! Geht dich gar nichts an, was ich mache!“, schnauzt der Kanadier zurück. „Und ob mich das etwas angeht! Ich bin schließlich der Anführer und für eure Taten verantwortlich!“ Zornig funkeln sich die beiden an. „Ach ja? Da pfeif ich...“ „Schluss jetzt, und zwar alle!“, unterbricht Charles das Ganze entschieden. Einen Moment mustern sich die zwei noch warnend, dann wenden sie gleichzeitig den Blick ab. „Ich erwarte von euch, dass ihr das hier ernstnehmt und euer Bestes gebt, um die Menschen zu beschützen! Es ist egal, was sie von euch denken mögen, doch wir müssen ihnen nicht immer wieder einen neuen Grund für Hass und Hetze geben! Also reißt euch zusammen, damit Menschen und Mutanten eines Tages friedlich zusammenleben können! Und das gilt nicht nur für dich, Logan!“, er macht eine kurze Pause, um den Faden wiederzufinden und sich selbst auch etwas zu beruhigen. Manchmal ist es wirklich nicht einfach mit ihnen allen, sind sie doch so grundverschieden mit ihren Erfahrungen und Ansichten. Doch es ist und bleibt ihre einzige Change auf Frieden, und das begreift sogar Wolverine, auch wenn er sich nach außen hin gern anders gibt. Gleichzeitig kann er die Ansichten des Kanadiers aber nur zu gut nachvollziehen. Zu oft mussten sie schon miterleben, wie Mutanten tatsächlich ohne ersichtlichen Grund oder Anlass auf offener Straße erschossen, misshandelt, festgenommen oder sogar hinterrücks ermordet wurden, nur eben, weil sie Mutanten sind und den Leuten damit ein schlechtes Gefühl geben. Zum Glück traf es bisher keinen der X-Men, doch es wäre bei weitem übertrieben, zu behaupten, dass es bisher niemand versucht hätte. Xavier selbst hat mittlerweile aufgehört zu zählen, wie oft er schon in den Lauf einer Waffe blicken, sich beleidigen oder anderweitig angreifen lassen musste, obwohl er nur helfen wollte. Doch sein Traum – dass Menschen und Mutanten eines Tages friedlich und gleichberechtigt Seite an Seite leben können, Familien gründen und sich nicht mehr gegenseitig vor einander fürchten und verstecken müssen – wird deswegen noch lange nicht zu Grunde gehen! Es zeigt ihm nur, dass sie sich noch viel mehr bemühen müssen, die Welt davon zu überzeugen, dass nicht alle Mutanten von Grund auf böse sind und nur Schlechtes im Sinn haben. Dass ihr mögliches Fehlverhalten oftmals erst nur durch den Hass und die Ablehnung der Leute entstanden ist. Doch das ist ein sehr langer und steiniger Weg... „So, ich denke, die Aufgabe ist klar, also werden Scott, Kurt und Logan sich den Süden der Innenstadt vornehmen.“ Nicht sonderlich angetan davon mustern sich Cyclops und Wolverine wie trotzige Kinder. Das entgeht dem Professor selbstverständlich nicht. „Und ich will kein Gemecker mehr hören! Ich packe euch nicht zusammen, um euch zu bestrafen, sondern damit ihr lernt, als Team zusammen zu arbeiten. Zudem ergänzen sich eure Kampfstile hervorragend. Und außerdem sollt ihr beide ein Vorbild für Kurt sein, also reißt euch am Riemen!“, mahnt er sie streng, woraufhin die zwei Sturköpfe abermals den Blick von einander abwenden. „Ororo, Bobby und Sean, ihr nehmt den Norden. Jean, Piotr und Shiro, ihr geht nach Westen. Kitty, Hank und John gehen nach Osten. Alles klar soweit?“, geduldig mustert er sein Team. Nacheinander sehen sie sich alle an und sammeln sich dann in den Dreiergruppen, die Charles gerade festgelegt hat. „Sehr gut! Ich werde euch im Ernstfall mit Cerebro unterstützen und euch die ganze Zeit im Augen behalten. Wenn es sonst keine Fragen gibt, dann wünsche ich euch viel Erfolg.“, beendet der Mann im Rollstuhl seine Ansprache, und die X-Men verlassen kurz darauf das Büro, um sich der Welt dort draußen zu stellen... 2 Nicht lange später hält Scotts Jeep an der nördlichen Seite der Straßensperre, die die Polizei um die gesamte Innenstadt errichtet hat. Schwer bewaffnete Trooper stehen in voller Montur vor der Absperrung und mustern sie überaus streng. Einer von ihnen nähert sich schließlich mit hallenden Schritten seiner schweren Stiefel dem Wagen und blickt durch das Fenster hinein, das Cyclops geöffnet hat. „Zieht Leine, Jungs, hier gib’s nichts zu sehen!“, brummt er verstimmt und hebt mahnend sein Maschinengewehr hoch, damit sie es sehen können und verstehen, dass er nicht zu Scherzen aufgelegt ist. „Ich glaube schon, dass wir hier was zu suchen haben.“, grinst Logan keck vom Beifahrersitz hinüber und fährt die Krallen aus. Überrascht zuckt der Trooper zurück. „Scheiße...“, entkommt es ihm stockend. Scott schiebt Wolverines Hand nachdrücklich wieder weg und wendet sich dann selbst dem Polizisten zu. „Professor X schickt uns, um hier etwas aufzuräumen, bis die Armee da ist. Sie wissen doch sicher davon, oder Officer?“ Etwas zweifelnd wendet sich der Trooper zu seinen Kollegen um und sieht sie fragend an. Ein weiterer Mann kommt von ihnen herüber, blickt in den Wagen und nickt dann stumm, ehe er sich wieder entfernt und zusammen mit den anderen ein Stück der Sperre öffnet, sodass die drei gerade so durchlaufen können. „Verdammtes Mutantenpack...“, knurrt der erste Polizist in sich hinein und deutet ihnen dann an, sich schleunigst hindurch zu bewegen. „Wie war das gerade, Freundchen?“, fragt Logan mahnend und lässt erneut die Krallen ausfahren. Doch der Trooper dreht sich nicht noch einmal um, sondern bezieht wieder Position neben der Absperrung. „Lass es einfach!“, brummt Cyclops und steigt aus dem Jeep. Verstimmt rümpft der Kanadier die Nase und steigt ebenfalls aus, dicht gefolgt von Nightcrawler. Als die drei durch die Sperre treten, werden sie noch viel genauer von den bewaffneten Männern gemustert. Ihnen ist deutlich anzusehen, dass sie die Mutanten am liebsten sofort abknallen wollen würden – wann hat man das Packzeug schon mal so direkt vor der Flinte? Stattdessen müssen sie aber darauf hoffen, dass die X-Men ihnen den Hintern retten. Welch eine Schande für dieses stolze Land... Unbehaglich drückt sich Kurt gegen Logan. Die Blicke der Trooper erinnern ihn so sehr an seine Zeit im Zirkus, dass er kaum einen Schritt vor den anderen bekommt, und er somit noch besser verstehen kann, was Wolverine vorhin gemeint hatte. „Ganz ruhig, Elf, ich pass schon auf dich auf.“, haucht ihm der Ältere entgegen und umfasst überraschend sanft sein Handgelenk, um ihm etwas Führung und Sicherheit zu vermitteln. Mit der anderen Hand schiebt er sich keck eine Zigarre zwischen die Lippen und steckt sie an. Dankbar sieht Kurt ihn an, doch das Unbehagen bleibt noch einen Moment in seinen leeren Augen. Hinter ihnen rücken die Männer die schwere Barrikade wieder zurecht und schließen die drei Mutanten damit in dem Sperrkreis ein – mit was auch immer sich hier rumtreiben mag... 3 Langsam laufen die drei die Hauptstraße entlang, ohne jedoch etwas Ungewöhnliches zu sehen. Alles wirkt friedlich und normal, mal davon abgesehen, dass keine Menschenseele auf der sonst sehr belebten Straße unterwegs und alle Geschäfte regelrecht verbarrikadiert sind. Leicht verwundert bleiben die Mutanten schließlich stehen und blicken sich um. „Seht ihr irgendetwas?“, fragt Scott nach einer Weile unschlüssig. Nightcrawler schüttelt nur den Kopf und wirkt ratlos. „Was ist mit dir, L...“, setzt der Leader an, wird aber sogleich harsch von dem Angesprochenen unterbrochen. „Klappe! Ich höre da was.“ „Und was?“, fragen die beiden Jüngeren fast im Chor. Wolverine spitzt noch einmal die hochsensiblen Ohren und konzentriert sich. Dann nimmt er die Zigarre aus dem Mund, hebt die Nase in die Luft und schnüffelt geräuschvoll. „Klingt wie ein Schmatzen – und ich rieche Blut. Eine ganze Menge sogar! Und etwas Verwestes...“, berichtet er. In seinem Blick liegt eine seltsame Mischung aus Erkenntnis und Unverständnis, was seine beiden Partner in beunruhigte Alarmbereitschaft versetzt. Auf was werden sie hier stoßen? Scott kommt sich plötzlich wie in einer Art Horrorfilm vor. Seine Gedanken rasen, um Logans Worte in etwas Logisches zu verwandeln und nicht immer wieder zu der Absurdität zurückzukehren, die sein Verstand ihm aufzuzwingen versucht. Das kann einfach nicht sein. So etwas gibt es in Wirklichkeit nicht! Vehement schüttelt er leicht den Kopf. „Wo?“, fragt er den Älteren dann. Dieser klemmt sich seinen Glimmstängel wieder zwischen die Zähne und deutet zwei Blocks weiter nach rechts, wo sich nach Cyclops‘ Meinung eine Sackgasse befinden müsste, die den Geschäften auf beiden Seiten unter anderem zur Anlieferung dient. „Gut, dann sehen wir uns das mal an.“, legt der Leader leicht nervös fest und setzt sich in Bewegung. Kurt und Logan folgen ihm schweigend. 4 An der Gasse angekommen drückt sich Cyclops gegen die rechte Wand, Nightcrawler und Wolverine gegen die linke. Vorsichtig blickt der Leader um die Ecke. Nun sind die merkwürdigen Laute, die Logan als Schmatzen bezeichnet hat, deutlich zu hören und sie drehen Scott schon jetzt den Magen um, ohne dass er etwas gesehen hat. Diese allumfassende Übelkeit erreicht ihren Höhepunkt, als er nun erkennen kann, was diese widerlichen Geräusche von sich gibt. Abermals hat er das Gefühl in einem schlechten Horrorfilm gelandet zu sein, denn was er dort sieht, erscheint ihm mehr als nur unwirklich... Etwa in der Mitte der schmalen Gasse sitzt ein Polizist blutüberströmt auf dem Boden gegen die kalte Backsteinwand gelehnt. Die Pistole hat er noch in der erschlafften Hand, doch sie hat ihm wohl nie etwas genutzt. Seine glasigen Augen blicken zum Himmel empor, als hätte er im Angesicht des Todes versucht ein letztes Stoßgebet an den Allmächtigen zu schicken. Der ungläubige Ausdruck in seinem Gesicht zeugt aber eher davon, dass er den Himmel fragen wollte, was, in aller Welt, hier nur passiert ist, womit er das verdient haben könnte. Doch das alles ist selbstredend nicht gerade ein schlimmer Anblick für den hartgesottenen Cyclops. Schlimm ist aber die Tatsache, dass der Trooper in literweise seines eigenen Blutes sitzt, das in der halben Gasse verteilt zu sein scheint und zu einem makabren Teppich zu trocknen beginnt. Noch schlimmer ist die Tatsache, dass sämtliche Eingeweide des bemitleidenswerten Mannes auf dem rissigen Beton der Gasse verteilt liegen, wie bei einer erschreckend lebensechten Halloweendeko. Aber auch das ist noch nicht der Gipfel des Ganzen. Dieser ist nämlich die Tatsache, dass ein halbes Dutzend Menschen um den toten Polizisten herumkauern, bis zu den Ellenbogen mit dessen Blut beschmiert in seinen Gedärmen herumwühlen und sie essen! „Heilige Scheiße...!“, gibt Scott atemlos von sich, doch es ist laut genug, dass die kannibalische Meute auf sie aufmerksam wird. Als sie den X-Man die blutverschmierten Gesichter zuwenden, wird dem Brünetten ein ums andere Mal bewusst, dass er hier wirklich in einem ganz schlechten Horrorfilm gelandet ist. Es sind nämlich keine Menschen mehr, die sich dort an dem verschiedenen Polizisten gütlich tun, sondern waschechte Zombies! Verweste, wiederauferstandene Leichen, die nur auf dieser Erde wandeln, um zu töten! Entsetzt tritt er ein paar Schritte rückwärts. „Das sind – das sind Zombies!“, entkommt es ihm schließlich in einer Mischung aus Unglauben und sichtbarer Panik. Mit erhobener Augenbraue blickt nun auch Logan in die Gasse hinein. Wolverine ist weder ein Feigling noch ein abergläubischer Bauer, der auf Krähen mit dem Zeichen gegen den bösen Blick reagiert oder seine schwangeren Weibsbilder von frischer Milch fernhält, damit sie nicht sauer wird. Er ist kein Dummkopf, ist immun gegen das Geschwätz gerissener Stadtleute, die berühmte Brücken billig verkaufen wollen, und er ist nicht von gestern. Er glaubt an Logik und vernünftige Erklärungen – trotz allem Unwirklichen, was er in seinem langen Leben schon zu Gesicht bekommen hat. Der Fairness halber muss man dazu aber sagen, dass er auch hin und wieder in besonders schweren Stunden an die Existenz von Gott und seinen Jüngern glauben möchte, und natürlich an Mutanten und deren übernatürliche Fähigkeiten, was sich aber von selbst versteht, schließlich ist er auch ein Mutant und lebt ausschließlich mit seinesgleichen auf einem Anwesen zusammen, das ihren Schutz vor der Ablehnung und Grausamkeit der Menschheit garantieren soll. Aber Zombies sind doch etwas sehr weit hergeholt, um in seinem althergebrachten Verstand Platz zu finden. Dennoch kann er nicht leugnen, dass das, was dort vor ihnen hockt, waschechte Zombies sind und Summers somit tatsächlich recht hat. Diese Tatsache wurmt den Kanadier zu tiefst. Mit Zombies kann er sich ja noch irgendwie anfreunden, wenn es denn wirklich sein muss, aber, dass sein verhasster Kollege mit den Laseraugen recht hat, ist einfach zu viel. „Ist doch nicht wahr...“, stöhnt der Kanadier fast schon genervt, wobei er fast seine Zigarre fallenlässt. Langsam schiebt sich Kurt an ihm vorbei, um auch einen Blick in die Gasse zu werfen, kann er doch mit dem Wort Zombies nicht wirklich etwas anfangen. Der Schwarzhaarige will ihn schon davon abhalten, aber was würde es letztendlich bringen? Der Elf wird die Biester so oder so sehen – gegen sie kämpfen müssen. Schlagartig weiten sich die leeren, gelben Augen des Blauhäutigen. Der Mund klappt ihm auf und sein Körper scheint jegliche Spannung zu verlieren, als würde er kurz davor stehen ohnmächtig zu werden. Nahezu hilflos greift er blind neben sich und Wolverine umklammert seine tastende Hand, um ihm Halt zu geben. „Viele, die – unter der Erde – schlafen liegen, werden – werden aufwachen, – die – die einen zum ewigen Leben, die anderen zu – zu ewiger Schmach und Schande...“, zitiert der Elf stockend, ehe er panisch das Gesicht zu seinem Partner wendet. „Das ist die Apokalypse!“, teilt er dem Kanadier erstickt mit. Dieser sieht ihn nur leicht kopfschüttelnd an und zieht ihn wieder auf die Seite, damit er erstmal wieder Luft holen kann. „Das ist es ganz sicher nicht! Beruhige dich. Dafür wird es sicher eine andere Erklärung als die göttlichen Strafen in deinem Kopf geben. Also konzentrier dich und denk an unser Training!“, mahnt ihn der Ältere. „Aber...“ „Äh, Leute...“, platzt Cyclops nun dazwischen und die beiden wenden erneut den Blick in die Gasse. „Scheiße...“, gibt Logan von sich. Inzwischen sind alle Zombies aufgestanden und haben das frische Fleisch entdeckt, das wie auf dem Präsentierteller vor der Gasse auf sie wartet. Geifernd und mit ausgestreckten, klaubenden Händen kommen die Untoten nun auf die X-Men zu. In diesem Moment stirbt in Scott allerdings auch der letzte Gedanke an einen Horrorfilm, denn diese Wesen haben nichts mit den schlurfenden Gestalten der B-Movies gemeinsam, die er sich gern mal nachts ansieht, wenn er nicht schlafen kann. Im Gegenteil, sie sind erschreckend schnell! Sie rennen zwar nicht, bewegen sich aber erstaunlich flink und fast schon koordiniert auf sie zu. Geordnet treten die drei den Rückzug auf die Hauptstraße zurück an, wobei ihnen die Zombies wie ausgehungerte Hunde folgen und unentwegt stöhnende Laute von sich geben. In der Ferne kann Wolverine leise weitere Geräusche wahrnehmen, die ihm sagen, dass auch der Rest der X-Men auf diese wandelnden Toten getroffen sein muss und nun zum Kampf übergeht. Und das scheint eine wirklich gute Idee zu sein. Kaum, dass sich die drei etwa in der Mitte der breiten Hauptstraße befinden, strömen aus sämtlichen Gassen und Nebenstraßen unzählige dieser verwesenden Leichen hervor. Es müssen hunderte sein, die nach ihrem heißen Fleisch lechzen, ihrem süßen Blut, ihrem köstlichen Gehirn und was nicht noch alles. Innerhalb von Sekunden sind die drei regelrecht von ihnen umzingelt! 5 Grabschend und sabbernd kommen die Zombies Schritt für Schritt näher. Ihre toten Augen fixieren die drei X-Men mit einer Endgültigkeit, die es auf Erden eigentlich nicht zu geben scheint. Unweigerlich erwacht dadurch das Tier in Logan. Doch nicht mit einem hilflosen Fluchtreflex, wie Kurt ihn gerade sichtlich zu unterdrücken versucht. Nein, nur mit blanker Kampfeslust. Knurrend fährt er seine Krallen aus und stürmt los, zerlegt einen von ihnen nach dem anderen. Doch die zerstückelten Leichen versuchen auch weiterhin ein Stück von ihm zu ergattern. „Nicht, Wolverine! Du musst ihr Gehirn zerstören, nur so können wir sie wirklich erledigen!“, ruft Cyclops ihm mürrisch zu und feuert einen roten Strahl aus seinem Visier auf einen der näherkommenden Zombies ab. Hofft dabei inständig, dass seine Vermutung richtig ist und sich wenigstens diese Horrorfilmlogik bewahrheitet. Dafür hat Logan nur ein herablassendes Schnauben übrig. Dennoch setzt er seinen nächsten Angriff so, dass er dem Zombie den Schädel spaltet und tatsächlich rührt sich dann nichts mehr. „Kann der Tag noch beschissener werden?“, fragt er sich selbst halblaut, als er Scotts selbstgefälliges Grinsen sieht. Ein Blick zu Nightcrawler sagt ihm, dass es durchaus geht. Der blaue Mutant hat ganz eindeutig ein Problem damit, die Zombies zu töten – obwohl sie theoretisch ja schon tot sind. Verständlich, unter anderen Umständen tötet keiner der X-Men absichtlich einen Gegner, wenn es sich nur irgendwie vermeiden lässt, schon gar keinen Menschen. Außer vielleicht Logan, wenn er die Beherrschung verliert und keiner da ist, der ihn daran hindern kann. Immerhin ist James Howlett ein blutrünstiger Wolf in Menschengestalt, den sowohl seine Veranlagung als auch sein soziales Umfeld zu zwei Dingen mehr als zu allem anderen befähigt haben: Zu töten und zu überleben. Doch Kurts Glaube an die unsterbliche Seele ist jetzt wirklich nicht angebracht. „Hey, Elf! Nun mach schon! Wenn sie dich beißen, ist es aus mit dir!“, ruft Logan ihm zu, ohne zu wissen, ob auch diese Filmlogik stimmt oder nicht. „Aber sie waren doch einmal unschuldige Menschen…“, kommt es so wehklagend als Antwort, als würde der Junge jeden Moment in Tränen ausbrechen. „Das siehst du richtig, sie WAREN Menschen, doch jetzt sind sie lebende Tote und haben nichts mehr mit ihnen gemeinsam. Wenn du also ihre Seelen retten willst, dann musst du sie erlösen und das geht nur, wenn du ihr Hirn auf dem Bürgersteig verteilst!“, erwidert der Ältere kalt. Verständnislos blickt Nightcrawler ihm in die dunklen Augen. Einen Moment später wird er von einer Gruppe Zombies brutal zu Boden gerissen. Die Kraft dieser Wesen ist richtiggehend erschreckend. Ihre klaffenden, zuschnappenden Münder versuchen ihn erbarmungslos zu erreichen, ihm das zarte, blaue Fleisch von den Knochen zu reißen. In seiner Panik vergisst der Fellträger sogar völlig, dass er sich einfach wegteleportieren könnte. Kurzentschlossen greift Logan ein und jagt den Biestern seine Adamantiumkrallen in die Schädel. Kaltes Blut regnet dabei auf den jungen Mutanten am Boden herab. Erstarrt und mit von Ekel verzerrtem Gesicht lässt sich der Elf anschließend von ihm aufhelfen. „Konzentrier dich, Junge!“, weist der Jäger ihn hart an. „Wolverine, hinter dir!“, kommt es plötzlich von Cyclops. Eine flammende Regung gleitet schlagartig über die pupillenlosen Augen des blauen Mutanten hinweg, als er feststellen muss, dass sein bester Freund und Liebhaber nicht mehr rechtzeitig reagieren kann. Festentschlossen und ohne Nachzudenken hebt er sein Schwert und stößt es dem Zombie tief in den Schädel. Als der tote Körper daraufhin schlaff zu Boden sinkt, legt Wolverine Kurt zuversichtlich eine Hand auf die Schulter. „Siehst du, es geht doch!“, kommentiert er grinsend und stürzt sich dann wieder ins Getümmel, ohne auf eine Antwort zu warten. Perplex sieht Kurt ihm hinterher. Der zu kurzgeratene Kanadier war sich der möglichen Gefahr die ganze Zeit über bewusst und wollte ihn damit nur aus der Reserve locken!? „Verdammt, Wolverine, das war ein widerlicher, gottloser Trick!“, brüllt Nightcrawler ihm entsetzt hinterher. „Sag ich ja, hat bestens funktioniert!“ Die Schadenfreude steht dem Älteren deutlich ins Gesicht geschrieben, auch wenn es ihm schon ein bisschen leidtut. Einen Moment steht der Blauhäutige noch etwas fassungslos da. Dann sinkt er kurzer Hand auf die Knie nieder. Zum Glück sind die sich immer noch vermehrenden Zombies gerade nicht auf ihn fixiert, sodass er sich diesen kurzen Augenblick durchaus leisten kann. Etwas angewidert legt er das mit stinkendem Blut verschmierte Schwert vor sich auf der Straße ab, wischt sich fahrig über das ebenfalls befleckte Antlitz und faltet dann die Hände vor seinem Gesicht. „Jesu, hilf siegen und lass mich nicht sinken; wenn sich die Kräfte der Lügen aufblähen und mit dem Scheine der Wahrheit schminken, lass doch viel heller dann deine Kraft sehen. Steh mir zur Rechten, oh König und Meister, lehre mich kämpfen und prüfen die Geister.“ Langsam öffnet er wieder die Augen, ergreift sein Schwert und erhebt sich. Sein Körper ist auf einmal von einer Art himmlischen Ruhe durchzogen und er fühlt sich dadurch viel besser, sicherer. Der Herr Gott wird nicht zulassen, dass er als Futter für die Verdammten herhalten muss, wenn es doch seine hoch heilige Aufgabe ist, sie zu erlösen und ihre Seelen in den Himmel aufsteigen zu lassen. Somit scheint Nightcrawler seine Bedenken abgelegt zu haben und kämpft nun bestärkt an der Seite des Kanadiers und seines Leaders gegen die Untoten, als hätte er nie etwas anderes getan. Wie in einem Blutrausch gefangen fängt der Junge sogar an zu lächeln und sich Späße mit den Zombies zu erlauben, um sie von der stetig größer werdenden Masse zu sondieren und sie dann säuberlich einen nach dem anderen zu erledigen. Logan kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. ‚So gefällt mir das!‘, geht es ihm durch den Kopf. Ja, wenn man den sonst so harmlosen und friedlichen Elf nur lange genug ärgert, oder er tatsächlich so etwas wie einen göttlichen Wink bekommt, dann wird er zu einer echten Kampfmaschine und entspricht damit ganz seinem schaurigen Äußeren. Es mag Kurt zwar ganz und gar nicht gefallen, aber es sichert ihm heute zumindest sein Überleben. 6 Doch all die gut gemeinten Worte scheinen nun sichtlich auf Gegenwehr zu stoßen, denn es werden einfach immer nur noch mehr Zombies. Sie überschwemmen die Straße regelrecht, torkeln trunken aus jeder Gasse, jedem unverschlossenen Gebäude, und es scheint einfach kein Ende nehmen zu wollen. Abermals sind die drei X-Men hoffnungslos umzingelt – jeder jedoch in einem anderen Abschnitt des Sperrkreises. Die wandelnden Toten haben es somit geschafft, sie auseinander zu bringen, und das ist gar nicht gut. Hilflos richtet Kurt sein Schwert auf eines der näherkommenden Wesen. Mit einem eleganten Hieb versenkt er die scharfe Klinge in dessen deformiertem Schädel. Als er sie zurückziehen und zu einem weiteren Angriff ansetzen will, verkeilt sich das Schwert jedoch irgendwie in dem erschlafften Leib und geht weder vor noch zurück. Ungläubig betrachtet Nightcrawler das Schlamassel und versucht es erneut. In diesem Moment wird er aber grob von hinten bei den Schultern gepackt und fast zu Boden gestoßen. Der Sturz wird nur dadurch verhindert, dass sich vor ihm eine ganze Horde Untoter wie aus dem Nichts versammelt hat und ihn praktisch auffängt. Panik überkommt den jungen Mutanten. Überdeutlich nimmt er den stinkenden Atem seiner Gegner wahr, wie dieser seine pelzige Wange streichelt. Ihm bliebt nur noch eine Möglichkeit. In letzter Sekunde verschwindet er in einer beißenden Schwefelwolke und lässt die Zombies mit überrascht-fragenden Mienen hinter sich. Eine Sekunde später taucht er auf der Spitze einer Laterne in der Nähe wieder auf. Dort hockt er nun auf der Glaskugel der Natriumdampflampe, gleich einer verängstigten Katze, die vor einem Hund auf einen Baum geflüchtet ist. Mit pochendem Herzen und hektischem Atem verweilt der Blauhäutige an seiner Position und versucht die Lage von hier oben zu überblicken. Die Horde, die ihn eben bedroht hat, hat zum Glück nicht mitbekommen, wo er hin ist. Doch das macht es nicht viel besser, da sie sich nun verständlicherweise seine beiden Kollegen vornimmt. An einer Seite der Straße zucken wild rote Laserstrahlen durch die Menge, ohne sie allerdings nennenswert auszudünnen. Auf der anderen Seite der Straße ertönt unablässig Wolverines verstimmtes Fauchen, während tote Körper nur so durch die Luft fliegen und in ihre Einzelteile zerfetzt werden. Aber auch der kampfwütige Kanadier scheint sich keinen Weg mehr herausarbeiten zu können. Das ist nicht gut, das ist ganz und gar nicht gut. Kurt muss ihnen irgendwie helfen, sie da rausholen, damit sie sich einen Plan überlegen können, der möglichst viele der Zombies gleichzeitig ins Messer laufen lässt. Nach einem weiteren Blick über den Schauplatz des Geschehens entscheidet sich Nightcrawler zuerst für Scott. Und das ist wohl die richtige Wahl. Ein glühender Strahl pflückt noch durch die Menge, dann wird Cyclops niedergerungen. Er ist noch gar nicht ganz auf dem blutgetränkten Asphalt zum Liegen gekommen, da bauen sich die grabschenden Untoten schon grunzend über ihm auf. „Nein...“, entkommt es ihm hilflos-erstickt, während er zu einem neuen Schuss ansetzt. Zum Glück reißt einer der Zombies seine Hand zurück, ehe er das Visier seiner Brille erreicht und feuern kann, denn sonst hätte er Nightcrawler getroffen, der in diesem Moment wie ein übergroßer Schoßhund direkt auf seinem Bauch auftaucht. „Uff...“, presst Scott überrascht hervor, als das Gewicht des Elfen so plötzlich auf ihm lastet. Für eine Sekunde scheinen die Zombies auch etwas verwirrt von der dichten Schwefelwolke und das gibt dem Teleporter genug Zeit mit seinem Anführer ungesehen zu verschwinden. Einen Wimpernschlag später erscheinen die beiden auf dem Dach eines Geschäfts in der Nähe und Cyclops findet endlich wieder genug Luft zum Atmen. „Oh, Mann. – Das war wirklich knapp...“, keucht er erschöpft, während er ausgestreckt auf dem Dach liegt. Kurt schenkt ihm jedoch keinerlei Aufmerksamkeit, sondern sieht über den Rand hinweg nach Logan. Diesem geht es nicht viel besser als Scott gerade. Allerdings versucht er sich vehement gegen seine Angreifer zu stemmen, um irgendwie freizukommen. Wie durch ein Wunder gelingt es ihm auch tatsächlich und er wendet sich behände herum, um seine Krallen sprechen zu lassen. Dazu kommt es aber nicht, da ihm einer der Zombies nun ziemlich kräftig die flache Hand mitten ins Gesicht klatscht. Der Schwarzhaarige gibt einen überraschten Laut von sich, taumelt leicht zurück und versucht sein Gegenüber abzuwehren. Dabei bleibt jedoch seine Zigarre zwischen den schleimigen Fingern des wandelnden Toten hängen. „Na warte, du Mistvieh! Gib die sofort wieder her!“, knurrt er zornig und versucht irrerweise seinen Glimmstängel wiederzubekommen. Dabei ignoriert er die mögliche Gefahr durch die anderen Angreifer um sich herum allerdings völlig. Das ist wie ein Stichwort für den Elfen. Geschwind teleportiert er sich zu seinem Freund hinab und landet direkt auf dessen Schultern, was Logan unweigerlich auf die Knie zwingt. „Sofort runter von mir, du elender Fellball!“, gebärt sich der Ältere wutschnaubend und versucht auch weiterhin an seine Zigarre zu gelangen. „Logan, lass den Unfug!“, wirft Kurt ein und erledigt einen der Zombies mit seinem Schwert. Stinkendes Blut verteilt sich auf der Straße und genau darin landet nun auch Wolverines heißgeliebter Glimmstängel! Dennoch streckt der Kanadier die Hand danach aus. Aber das kann Nightcrawler einfach nicht zulassen – Selbstheilung hin oder her. Somit teleportiert er sich zusammen mit dem tobenden X-Man auf das Dach zu Scott. Dort angekommen springt Wolverine auch schon wieder auf und blickt über den Rand des Daches hinweg. „Was sollte der Scheiß?“, wendet er sich dann knurrend an seinen jungen Liebhaber. „Ich wollte dir nur helfen...“ „Ich hatte alles unter Kontrolle, also schieb dir deine Hilfe das nächste Mal sonst wo hin!“ „Es sah ganz und gar nicht so aus, als hättest du alles unter Kontrolle! Diese Wesen hätten dich in Stück gerissen und das nur, weil du diese Gott verdammte Zigarre haben wolltest!“, entgegnet Kurt nun nicht minder wütend. „Das ist meine Sache, klar? Außerdem werde ich ganz sicher nicht draufgehen. Also heb dir deine beschissene Fürsorge für jemanden auf, der sie braucht!“ „Schön, wie du willst!“, meint Kurt nur und teleportiert sich dann davon. „Elender Elf...“, faucht Logan grimmig. „Er hat recht und das weißt du auch.“, mischt sich nun auch Scott ein. „Halt die Klappe!“, doch es hat schon etwas Resignierendes. „Weg von mir!“, ertönt es dann von der Straße. Alarmiert sehen die beiden nach unten. Dort erblicken sie Nightcrawler zwischen den Zombies. Sie haben ihn schon bis zur Atemlosigkeit bedrängt und dennoch drängelt er sich noch mehr zwischen sie, bis er hat, was er will. „Er ist völlig lebensmüde...“, kommt es fast schon belustigt von dem Schwarzhaarigen, wobei er insgeheim die ungeahnte Hartnäckigkeit seines Elfen bewundert. „Deinetwegen wird er noch draufgehen...“, kommentiert Cyclops das Ganze, woraufhin ihm der Kleinere einen überaus strengen Blick zu wirft. „Ich habe nicht gesagt, dass er da ohne uns wieder runtergehen soll.“ „Das nicht, aber er ist dennoch nur deinetwegen dort unten.“ Ehe der Vielfraß fragen kann, was das bedeuten soll, taucht der Elf schwer atmend wieder vor ihm auf. Sein sonst so zartes Gesicht ist eine zornige Maske, die so gar nicht zu ihm passen will. Seine leeren Augen allerdings glänzen verräterisch und auch seine Unterlippe zittert leicht. „Da hast du sie! Ich hoffe, du bist jetzt zufrieden!“, tönt der Jüngste mit nicht mehr ganz fester Stimme und drückt dem überraschten Kanadier grob die blutgetränkte Zigarre in die Hand. Er wendet sich ab, bevor die erste Träne seine Wange hinabrinnen kann. Fast schon verständnislos mustert Wolverine ihn und blickt dann zu Scott, als könnte dieser ihm erklären, was denn nun wieder in den Bengel gefahren ist. Dieser verschränkt aber nur mahnend die Arme vor der Brust und schweigt. Einen Moment betrachtet der Älteste die verschmutzte Zigarre, die sich bereits in der klebrigen Schmiere aufzulösen beginnt, leicht angewidert und wirft sie dann doch von sich. Es ist nicht zu übersehen, dass ihm das ziemlich schwerfällt, aber er begreift langsam, was Kurt Sorgen bereitet. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass Logan von den Zombies getötet und dadurch selbst zu einem von ihnen wird, infizieren können sie ihn jedoch allemal trotzdem. Auch das würde er überstehen, es dauert aber einen Moment – vielleicht auch etwas länger, da ist er sich nicht so sicher; manchmal ist es komisch, wie das alles so funktioniert –, bis sein Selbstheilungsfaktor seinen Körper davon befreit hat, und bis dahin wäre er wohl gezwungenermaßen der ultimative Zombie, den einfach nichts töten kann... „Scheiße! – Hey, du Elf. Es – tut mir leid. – Du hast nichts falsch gemacht...“, kommt es dann ziemlich kleinlaut von dem sonst so temperamentvollen X-Man. Langsam dreht sich Kurt zu ihm herum und wischt sich vielsagend über die glänzenden Augen. Als er sieht, dass Logan die Zigarre weggeworfen hat, fällt ihm fast schon sichtbar ein Stein vom Herzen und er kann ihm gar nicht mehr böse sein. „Schon gut...“, meint er daher nur und dann umarmen sich die zwei etwas unbeholfen. „Bitte nimm dein Leben nicht für so selbstverständlich hin, nur weil du glaubst, nicht sterben zu können. – Das Leben kann ein genauso großer Schrecken wie der Tod sein.“ „Das brauchst du mir nun wirklich nicht zu sagen. Aber schon verstanden. Ich bin ab jetzt vorsichtiger, versprochen.“ „Schön, dass du doch noch zur Einsicht kommst. Aber können wir uns jetzt mal wieder auf unsere Aufgabe konzentrieren, ehe die ganze Stadt von diesen Biestern überrannt wird?“, unterbricht Scott sie nachdrücklich. Die beiden blicken ihn einen Moment lang an, als wüssten sie beim besten Willen nicht, was er damit meint, dann schlägt sich ein ähnlicher Gesichtsausdruck der erschrockenen Erkenntnis auf ihren Zügen nieder und sie finden wieder zum gegenwärtigen Geschehen zurück. 7 „Wir brauchen einen guten Plan, der möglichst viele von diesen Zombies in die Falle lockt, damit wir etwas Luft zum Atmen bekommen und sie nacheinander erledigen können.“, verdeutlicht Cyclops es noch einmal. „Wir müssen irgendwie ihre Richtung kontrollieren, damit sie nicht von allen Seiten kommen und uns noch einmal trennen können.“, entgegnet der Jäger sachlich. „Vielleicht so etwas wie eine Engstelle?“, fragt Kurt nachdenklich, während er den Blick nach unten auf die Straße richtet. „Das ist es!“, stößt sein Anführer zuversichtlich hervor. „Wir locken sie in die Sackgasse zwischen den Geschäften. Wenn wir uns an deren Ende postieren, stehen wir immer nur einer Hand voll direkt gegenüber, während die anderen nachrücken. So könnten wir das Ganze für eine Weile in den Griff bekommen.“, führt Scott aus. Wolverine gesellt sich zu seinem Elfen und blickt in die Gasse hinab, in der sie vor gefühlt ewigen Zeiten den toten Polizisten gefunden haben. Mit leichtem Grummeln tief in der Kehle scheint er nachzurechnen und die Situation abzuschätzen. Die Gasse ist etwa drei Meter breit und zwölf Meter lang. Auf beiden Seiten reihen sich im hinteren Drittel große Müllcontainer. Diese könnten sie im Ernstfall wie einen Schutzwall aufstellen, falls der Plan nach hinten losgehen sollte. Die vorderen zwei Drittel der schmalen Zufahrt sind hingegen frei – mal abgesehen von dem toten Polizisten. Sie dienen den Geschäften links und rechts als Lieferantenstelle. Große Rolltore kennzeichnen diese Punkte, doch sie sind verschlossen, wie es um diese Zeit üblich ist. Sie wirken jedoch stabil genug, um einiges auszuhalten, sodass sie dahingehend keine Probleme bekommen dürften. Cyclops gesellt sich zu seinen beiden Teamkollegen und blickt ebenfalls in die Gasse hinab. Auch ihm fallen zuerst die Müllcontainer auf, und das diese ihnen durchaus dienlich sein könnten. Prüfend betrachtet er erst Kurt, dann Logan. Keiner von ihnen hat noch etwas zu sagen, wie es scheint, auch wenn er dem Schwarzhaarigen ansehen kann, dass dieser seine Strategie schon fertig im Kopf hat. Nightcrawler wirkt zwar etwas nervös, kann er im Augenwinkel doch gut erkennen, dass sich immer mehr der Zombies dort unten versammeln. Langsam scheint diesen hirnlosen Wesen sogar aufzugehen, wo sich die drei Frischfleischhappen aufhalten, weshalb sie nun wenig erfolgreich an der Hauswand unter ihnen zu kratzen beginnen. „Okay. Wolverine, halt die Biester etwas in Schach, sollten sie auf uns aufmerksam werden. Nightcrawler, du hilfst mir die Müllcontainer zu verschieben, damit wir uns im Ernstfall dahinter sammeln können.“ Beide nicken verstehend und schon einen Moment später teleportiert sie der Blauhäutige nach unten in die Gasse. Das haben die Zombies noch nicht mitbekommen, weshalb sie weiterhin planlos die Hauswand bearbeiten, um irgendwie an ihr Festmahl zu gelangen, das sich offensichtlich auf dem Dach befindet. Mit ausgefahrenen Krallen postiert sich der zu kurzgeratene Kanadier so dicht wie möglich am Eingang der Gasse, ohne jedoch die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Scott und Kurt widmen sich derweilen den Containern. Diese sind allerdings weit schwerer, als die beiden gedacht haben, was aber für ihre Sicherheit nur von Vorteil sein kann, das Positionieren aber zu einer echten Schwerstarbeit macht. Die Container sind auch bis zum Brechen voll, da der Müll erst morgen abgeholt werden wird. So gelingt es den beiden X-Men nur gemeinsam einen Container nach dem anderen zu bewegen. Dadurch dauert das Ganze länger als gedacht und sonderlich leise geht es auch nicht von statten. Das lockt verständlicherweise die Zombies an. Die beiden Jüngeren haben gerade einmal einen der Container in Position gebracht, da vernehmen sie hinter sich schon das atemlose Keuchen der Untoten, gemischt mit dem wilden Gebaren des angreifenden Vielfraßes. Verstimmt wirft Scott einen Blick über die Schulter. Noch kann sich der Kanadier behaupten, doch das wird nicht mehr lange der Fall sein, sie drängen ihn jetzt schon in die Gasse hinein. Erschrocken blickt auch Nightcrawler zu seinem Freund hinüber und sieht sichtlich besorgt aus. „Logan...“, bringt er leise über die Lippen und scheint zu überlegen, ob er ihn holen soll oder nicht. „Konzentrier dich, Kurt! Er kommt schon klar.“, fährt Cyclops ihn leicht an. Die leeren Augen des Elfen mustern den Anführer ein paar Sekunden lang unschlüssig, fast schon trotzig, will doch die scheinbare Unsterblichkeit des Kanadiers einfach nicht in seinen Kopf hinein. Dann nickt er stumm und stemmt sich abermals gegen den schweren Container. „Scheiße...!“, keucht Logan kurt darauf giftig und setzt zum Rückzug an. „Macht hin, ihr zwei!“, knurrt er verstimmt und rammt sich dann mit voller Wucht gegen den letzten Müllcontainer. Der Behälter scheint sich daraufhin fast schon mühelos zu bewegen, wahrscheinlich kein Wunder, wo es doch kein Geheimnis ist, dass der Vielfraß weit stärker ist als jeder von ihnen. Dennoch staunen die beiden Jüngeren nicht schlecht darüber. Allerdings bleibt ihnen keine Zeit anerkennende Worte darüber zu verlieren, denn so unbeholfen wie die Zombies vielleicht wirken mögen, kommen sie beängstigend schnell näher. Behände klettert Cyclops auf einen der Container, damit er die Horde von etwas weiter oben besser ausdünnen kann, während Wolverine und Nightcrawler sich ihnen direkt stellen. Bewaffnet mit Krallen und Schwert wirken die zwei wie ein eingespieltes Team, was sie zweifellos auch sind. Ein Fünkchen Stolz keimt bei diesem Anblick in Scott auf, scheint Logan seine Aufgabe als Lehrer doch nicht völlig zu vermasseln, wie er ein ums andere Mal schon befürchtet hatte. So gleicht der Kampf der beiden Partner einem komplizieren und dennoch erstaunlich anmutigen Tanz, bei dem sie immer wieder geschickt die Plätze tauschen, Drehungen vollführen, sich auf und ab bewegen und sich dennoch niemals in die Quere zu kommen scheinen, immer genau wissen, wohin sich der andere bewegen wird. Unbemerkt haben die beiden dabei tatsächlich Spaß und sehen es wie eine Art Tanz, bei dem sie sich nicht selten tief in die Augen sehen, sich ab und an sogar bei den Händen halten oder Rücken an Rücken schmiegen. So kommen die drei ganz gut voran, während sich die Leichen der Zombies nach und nach in der Gasse aufstapeln. Dabei erschweren sie es aber den Nachrückenden nahe genug heranzukommen, sodass selbst Scott irgendwann nicht mehr viel ausrichten kann. Dennoch will die Horde einfach immer noch kein Ende nehmen. Somit müssen sie sich wohl abermals einen Überblick verschaffen und einen neuen Plan überlegen. Vom Dach aus besehen sie sich daher erneut die Lage. 8 Zu ihrem Erstaunen stellen die drei X-Men jedoch fest, dass es weit weniger Untote sind, die noch auftauchen, als sie befürchtet haben. Von daher ist kein neuer Plan von Nöten und sie stürzten sich ein weiteres Mal einfach so in den Kampf. In der Ferne kann Logan wieder das Vorankommen ihrer Teamkollegen in den anderen drei Himmelrichtungen der Innenstadt hören. Doch wie bei ihnen, klingt es auch dort schon viel ruhiger, und so hofft er, dass sie sich ebenfalls dem Ende nähern. Zudem vernimmt er jetzt auch ein anderes Geräusch, das er nur zu gut kennt: das Näherkommen von bewaffneten Soldaten und schweren Fahrzeugen! Die Armee ist also endlich in Sichtweite, und wie es scheint, keine Sekunde zu früh, um mal wieder hinter den X-Men aufzuräumen. 9 Gut zehn Minuten später versammeln sich die Soldaten dann an der Straßensperre und starren mit offenem Mund auf das Geschehen. Anscheinend hat ihnen keiner gesagt, dass sie es hier mit Zombies zu tun haben werden. Oder besser gesagt, sich um deren Entsorgung kümmern müssen. Vielleicht hat man ihnen nicht einmal gesagt, dass die X-Men überhaupt anwesend sind. Irgendwie amüsiert Wolverine dieser Gedanke. So wie die uniformierten Männer aussehen – von denen die meisten kaum der Pubertät entwachsen zu sein scheinen –, sind sie gerade in ihrem schlimmsten Albtraum gelandet, indem Mutanten gegen Zombies kämpfen. Eine bescheidenere Story hätten sich die Typen beim Pay-TV auch nicht ausdenken können. Aber so verlieren die Milchbubis wenigstens ihre Eierschalen hinter den Ohren und lernen, dass nicht alles immer nur eitel Sonnenschein ist, wie man es ihnen heutzutage zweifelsohne in der Ausbildung beibringt. Wenn Logan da an seine Zeit in etlichen Kriegen denkt, ist das hier echt ein Witz, und die Soldaten von Heute nichts mehr gewöhnt, was ihnen wirkliche Albträume bereiten könnte. Ein Untoter ist jetzt noch übrig, und wie aufs Stichwort kommt er direkt auf Wolverine zu gestolpert. Darauf hat der Kanadier irgendwie nur gewartet. Seine beiden Kollegen halten sich netterweise auch zurück und gönnen ihm diese letzte Freude. „Komm her, du hässliche Missgeburt!“, gibt der Schwarzhaarige in einer Mischung aus begeisterter Kampfeslust und dunklem Knurren von sich. Der Zombie antwortet ihm mit seinem unnachahmlichen Stöhnen und streckt grabschend die Hände nach ihm aus. Das Grinsen im Gesicht des Jägers ist unübersehbar. Dreist schielt er über die Schulter seines letzten Opfers hinweg und sieht die Soldaten direkt an. Oh ja, sie sollen es sehen und verstehen – mit Wolverine ist ganz eindeutig nicht zu spaßen! Fauchend reißt er den Mund auf, bleckt die scharfen Zähne und stürmt nach vorn. Seine blutverschmierten Krallen zischen nur so durch die Luft. Mit Wohlwollen betrachtet er die uniformierten Männer, die seinetwegen nun in aufgebrachtes Reden verfallen. Dann rammt er seine Klauen mit unübersehbarer Befriedigung in den Schädel des Zombies und reißt ihm diesen regelrecht von den verrotteten Schultern. Der kopflose Körper sackt schwankend zu Boden. Der aufgespießte Schädel klebt auch weiterhin auf den Krallen des Jägers, durchbohrt wie ein Stück Fleisch auf einen Grillspieß. Der durchdringende Geruch von Blut steigt Logan in die Nase und ihm wird plötzlich klar, dass er sich die ganze Zeit über nur zurückgehalten hat. Aber warum eigentlich? Die jungen Soldaten wirken verängstigt, zweifelsfrei seinetwegen, und das ist auch gut so. Sie dürfen noch viel mehr angst haben, wenn es nach ihm ginge. Langsam tritt er ein paar Schritte vor, fletscht die Zähne, während dunkles Knurren seinen Rachen verlässt. Der Schädel auf seinen Krallen wird schlagartig in seine Bestandteile zerlegt, als er die Arme auseinanderzerrt. In seinen Augen liegt ein Ausdruck, als wolle er sagen: Ja, seht genau hin, ihr Früchtchen. Dasselbe kann ich auch mit euren Köpfen machen, ohne mich anstrengen zu müssen. Und es wird so schnell gehen, dass ihr nicht mal Zeit habt euch in die Hosen zu machen! Die uniformierten Männer scheinen diesen stummen Wink zu verstehen, weichen sie doch augenblicklich mehrere Schritte zurück und ergreifen zitternd ihre Maschinengewehre. „Das – das ist Wolverine und er wird uns umbringen...!“, kommt es stammelnd von einem der Soldaten. Seine Kollegen scheinen der gleichen Ansicht zu sein und weichen noch weiter zurück. Doch Flucht ist immer eine ganz schlechte Idee, wenn man einem zornigen Tier gegenübersteht! „Und ob ich das werde!“, presst der Schwarzhaarige im Knurren erstickt hervor, sodass man seine Worte kaum verstehen kann. Sein animalisches Gesicht ist zur zornigen Fratze eines tollwütigen Wolfes verzerrt, und bei der nächsten Bewegung wird er unzweifelhaft alles angreifen, das sich ihm in den Weg stellt. Der Blutrausch übermannt ihn schlichtweg und er will ihm nur noch freien Lauf lassen! Das erkennt auch Scott sehr schnell. Ist immerhin nicht das erste Mal, dass Logan seine ohnehin kaum vorhandene Beherrschung bei einer Mission einbüßt und blindwütig ausrastet. Jetzt ist also Vorsicht geboten, und es muss schnell gehen, ehe jemand verletzt wird. Inzwischen ist der Kanadier schon fast an der Absperrung angekommen und die Soldaten sind nur noch einen Wimpernschlag davon entfernt auf ihn zu schießen, was den temperamentvollen Mutanten nur noch wütender machen wird. „Wolverine, bei Fuß!“, ruft Cyclops ihm zu, um ihn abzulenken und vielleicht sogar seinen Zorn auf sich zu lenken. Mit gefletschten Zähnen wendet der Angesprochene ihm das Gesicht zu. Das Knurren, das dabei seinen Mund verlässt, ist so tief und zornig, das es die Luft nahezu zum Vibrieren zu bringen scheint. Die Augen des Kanadiers wirken wie glänzender Teer in einem See aus Milch und scheinen doch glühende Funken zu sprühen. Langsam wendet er sich herum und fixiert Scott mit tödlicher Präzision. Eine Sekunde später rennt er auch schon los, um seine Krallen in seinem verhassten Anführer zu versenken. Seine Gedärme dampfend auf der Straße zu verteilen, wie er es sich sicher schon seit Ewigkeiten vorstellt, und was Cyclops durchaus ebenfalls klar ist. „Nightcrawler bringt ihn weg!“, setzt der Leader daher an und hofft, dass er den Elfen damit nicht ins Messer laufen lässt. Kurt braucht auch bloß zwei Schritte auf seinen Partner zu zutun, da prallt dieser auch schon mit ziemlicher Wucht gegen ihn. Ehe es den zierlichen Mutanten jedoch umwirft, verschwindet er mit dem tobenden Wolverine in einer Schwefelwolke. Abermals steht den Soldaten der Mund offen, wissen sie doch nicht, was da gerade passiert ist. Wo sind die beiden Mutanten hin? Planen sie womöglich einen fiesen Hinterhalt? Ehe sie sich diese Fragen beantworten können, nähert sich Cyclops ihnen. Erschrocken reißen sie erneut die Waffen hoch, doch Scott hebt beschwichtigend die Hände, folgt ihren Befehlen und versucht dann zu erklären, was eigentlich los ist. 10 Als sie wieder auftauchen wirft es Kurt schmerzhaft gegen den Schornstein auf dem Dach, das sie vorhin schon als Aussicht benutzt haben. Schmerzhaft schlägt sein Kopf gegen den Backstein und er sieht grelle Sterne aufblitzen. Dann allerdings streift ihn der heiße Atem seines Liebhabers am Hals, allerdings nicht so erregend, wie er es vor einer Weile in Leidenschaft erträgt getan hat. Sein Knurren liegt ihm in den Ohren und jagt ihm einen Schauer über den Rücken, der ebenfalls nichts Gutes verspricht. Er spürt ein halbherziges Rucken in den Armen des kleinen Mannes vor sich und begreift, dass sich dessen Krallen tief in den Schornstein gefressen haben, er Kurt aber nicht die Möglichkeit zur Flucht geben will, wenn er versucht sie jetzt zu befreien. Das sich der Elf einfach wegteleportieren könnte, scheint ihm dabei nicht aufzugehen, zu vernebelt sind seine Gedankengänge gerade. Stattdessen reißt er blindwütig den Mund auf und rammt dem Blauhäutigen die scharfen Zähne in den Hals. Hilflos zuckt der Jüngere zusammen und beginnt zu zittern. Dennoch denkt er gar nicht an Flucht. In seiner grenzenlosen Wut würde Logan dann nur erst recht einen Grund haben alles kaputt zu machen und noch mehr Leute zu verletzten. Daher unterwirft er sich dem Älteren und versucht ihn damit irgendwie milde zu stimmen. Leider will ihm nicht wirklich einfallen, wie er das am besten anstellen soll. Plötzlich kitzelt es allerdings in seinen Gedanken, als sich der Professor einmischt. „Kurt, halt durch! Ich werde ihn schlafen legen!“, erläutert der Mann im Rollstuhl, der sich fernab von hier befindet und sie die ganze Zeit über beobachtet hat. Für eine Sekunde kann der Elf einen Gedanken von Logan auffangen, als Charles in dessen Gehirn einzudringen versucht, ohne allerdings die Verbindung zu Nightcrawler zu trennen. In diesem einen Gedanken kann Kurt all die Verzweiflung eines in die Ecke getriebenen Tieres sehen, das aus blankem Überlebenswillen um sich beißt. Ihm wird klar, dass Logan ihn gar nicht absichtlich verletzen will, sondern sich nur gegen die Ablehnung der Soldaten zur Wehr setzt, die angelegt hatten, um ihn wie einen räudigen Hund zu erschießen. Sein scheinbarer Blutrausch ist längst verflogen und durch puren Selbsterhaltungstrieb ersetzt worden! Von daher wäre es mehr als unfair ihn mit einem brutalen Hirnschlag kurzzeitig auszuschalten, nur damit er sich wieder beruhigt. „Nein, Professor! Warte! Ich schaffe das allein!“, stößt Kurt richtiggehend verzweifelt hervor, während er sein eigenes Blut die Schulter hinabrinnen spüren kann, gepaart mit dem heißen Atem seines Freundes, dem Zucken seiner verletzten Muskeln um die Wunde herum und dem unablässigen Kitzeln in seinen Hirnwindungen. „Kurt, nicht! Das ist glatter Selbstmord!“, bringt Xavier vehement hervor. Trotz der sichtlichen Schmerzen bleibt Nightcrawler jedoch ruhig. „Der Herr ist mein Hirte. Und wenn Er der Meinung ist, mich in sein Himmelsreich holen zu wollen, dann werde ich gehen! Doch bis es soweit ist, werde ich Logan helfen! Kannst du denn nicht sehen, dass du ihm Unrecht tust?“, beharrt der Jüngere. „Kurt, ich kann verstehen, dass du Gefühle für Logan hast. Doch die bringen dich jetzt nicht weiter. In solchen Momenten ist er blind für einfach alles und jeden. Glaub mir, ich weiß es...“, setzt der Ältere noch einmal an. Aber der blaue Elf bleibt stur. „Wenn ich durch seine Hand den Tod finde, dann sei es so, doch ich lasse nicht zu, dass du ihm wehtust!“ Die tiefe Entschlossenheit des Teleporters erstaunt Charles sichtlich. Die Gefühle, die er für Wolverine hegt, müssen noch viel stärker sein, als Xavier es in seinen Gedanken deuten kann. Langes Diskutieren bringt sie hier aber nicht weiter, also lässt er Kurt seinen Willen, auch wenn es ihm furchtbar schwerfällt, will er den Jungen doch nicht verlieren – allein schon um Logans Willen nicht. Von daher zieht er sich etwas zurück und beobachtet nur wieder, bereit im schlimmsten Fall doch noch einzugreifen. Somit ist Nightcrawler wieder Herr über seine Gedanken. Allerdings gelingt es dem Kanadier in diesem Moment auch seine Krallen aus dem Schornstein zu befreien. Seine Zähne graben sich noch fester in das zarte, blaue Fleisch hinein, um ihn zu fixieren. Alle Muskeln in dem gedrungenen Körper spannen sich für den letzten Angriff an und dann... ...schließt Kurt ihn auf einmal fest in seine Arme. Damit entgeht er den tödlichen Klauen für einen Moment, auch wenn die scharfen Zähne ihn immer noch in ihrer Gewalt haben. „Bitte, Logan, hör auf. Ich liebe dich doch...“ Für einen Moment verstärkt sich der Biss des Vielfraßes sogar noch und seine Krallen suchen eine neue Position für ihren Vernichtungsschlag. Die Worte des Elfen dringen nicht zu Wolverine durch, dass kann Charles sehen. Doch die wohlgemeinte Nähe, die zarte Wärme des Jungen und seine erstaunliche Ruhe dringen sehr wohl zu ihm durch. Auf einmal gleitet ein Zittern am Körper des Kanadiers hinab. Nahezu kraftlos lässt er die Arme sinken. Ein letztes Knurren verlässt seine Kehle, doch es klingt eher resignierend. Dann lösen sich die spitzen Zähne ganz langsam vom Hals des Blauhäutigen und Kurt stößt seufzend den angehaltenen Atem aus, hält den anderen aber weiterhin fest in den Armen. „Logan...“ „Scheiße...“, kommt es leise von dem Angesprochenen. Kurz darauf spürt der Elf die heiße Zunge des anderen Mannes über die blutige Wunde an seinem Hals gleiten. Das ist seine Art der Entschuldigung und bedarf auch keiner Worte, die Wolverine im Moment eh nicht zustande bringen kann, zu entsetzt ist er noch über das, was er seinem geliebten Partner angetan hat. 11 „Alles klar hier oben?“, fragt Scott nach einer Weile vorsichtig, nachdem er die Feuerleiter hinaufgeklettert und die beiden gefunden hat. Sie sitzen gegen den Schornstein aus Backstein gelehnt da und scheinen zu verschnaufen. Deutlich kann Cyclops die Krallenspuren erkennen und kann sich vorstellen, wie heftig der Zusammenstoß gewesen sein muss. Sonst scheint aber nichts ramponiert worden zu sein, abgesehen von Kurt selbst. Das langsam trocknende Blut an seinem Hals und auf der Schulter stimmen den Leader nicht gerade froh, hatte er doch gehofft, dass es Nightcrawler gelingen würde mit heiler Haut davon zu kommen. Doch in Anbetracht des ziemlich geringen Schadens kann Scott eine gewisse Erleichterung nicht verbergen. Immerhin hätte der Teleporter ja auch tot hier oben liegen können. „Alles in Ordnung. Wie sieht es dort unten aus?“, fragt der Elf erschöpft. „Gut. Ich konnte die Soldaten beruhigen, sodass sie davon abgelassen haben, mich ebenfalls erschießen zu wollen. Die Zombies scheinen alle erledigt zu sein und die Jungs fangen gerade mit dem Aufräumen an. Soweit mir ihr Hauptmann mitgeteilt hat, werden sie die Leichen alle auf einen Haufen legen und auf der Straße verbrennen. Er meinte auch, wir sollen so lange noch in der Nähe bleiben, falls doch noch irgendwas auftaucht. Die anderen X-Men sind wohl auch soweit durch, haben ihnen ihre Kollegen gerade über Funk mitgeteilt, sodass auch da bald Feuer entfacht werden. Außerdem hat die Polizei wohl vor einer halben Stunde einen Typen festgenommen, der höchstwahrscheinlich dafür verantwortlich ist, dass diese Biester hier rumgerannt sind. Von daher denke ich, dass wir für heute durch sind.“, berichtet der Brünette abgespannt. Sichtlich vermeidet er den Blickkontakt zu Wolverine, um ihn nicht wieder aufzuregen, der Ältere macht hingegen auch keine Anstalten ihn ansehen zu wollen. 12 Eine Weile sitzen sie schweigend beisammen und lauschen den Geräuschen, die die Soldaten bei ihrer Arbeit machen. Irgendwann vernehmen sie dann das Knistern von Feuer und eine dicke, schwarze und überaus widerlich stinkende Rauchsäule schlängelt sich zu ihnen nach oben. Angewidert verzieht Wolverine das Gesicht. Kaum etwas riecht schlimmer als brennende Leichen. Diese Ansicht scheinen auch seine beiden Kollegen zu teilen. Dennoch erhebt sich Kurt nach einer Weile und blickt auf die Straße hinunter. In seinen leeren Augen spiegeln sich die Flammen wider und dennoch schwimmen sie in Tränen. Schwer legt sich eine Hand auf seine Schulter. Es ist Logan, der nun neben ihm steht und in Begriff ist sich eine neue Zigarre anzünden zu wollen. Nahezu entsetzt sieht der Elf ihn an, sodass Wolverine die Tabakrolle schnell wieder wegsteckt – wenn auch sichtlich unfreiwillig. Für heute kann er das Rauchen wohl erst mal vergessen, solange der Bengel in seiner Nähe ist... „Sieh dir das nicht an, Junge. Das ist nicht gut für dich.“, meint er dann nur verstimmt und vermeidet sogar selbst den Blick nach unten, was sonst gar nicht seiner Art entspricht. Kurt löst die Augen jedoch nicht von dem scheußlichen Scheiterhaufen auf der sonst so belebten Einkaufsstraße. „Wir sollten für sie beten.“, kommt es dann leise von ihm. „Warum?“, fragt Logan etwas gleichgültig, hatte er so was doch schon befürchtet. „Weil sie nichts für ihr Tun können. Sie wurden benutzt und das ist nicht rechtens. Sie verdienen es, die ewige Ruhe zu finden und Vergebung zu erlangen. Denkst du das nicht auch?“ Einen Moment scheint der zu kurzgeratene Kanadier tatsächlich darüber nachzudenken, dann seufzt er ergeben. „Na schön. Bringen wir es hinter uns, bevor mir von dem Gestank die Nase abfault...“ Kurt schenkt ihm ein kleines Lächeln und kniet sich dann von den Dachvorsprung. Mit einem weiteren Seufzen hockt sich Logan neben ihn. Nightcrawler wirft einen Blick über die Schulter zu Scott, der ihr kurzes Gespräch gehört hat. Der Anführer zuckt leicht mit den Schultern und gesellt sich dann wortlos zu den beiden. Gemeinsam falten sie die Hände vor dem Gesicht und schließen die Augen, als hätte sie das alles schon tausend Mal gemacht. Dem ist nicht so, dennoch weiß sowohl Scott als auch Logan, wie so etwas gemacht werden sollte, auch wenn sie nie dergleichen tun mussten oder den Glauben daran hegen. Ein paar Sekunden herrscht nahezu erdrückendes Schweigen, ehe Kurt die Stimme erhebt. Sehr sorgfältig spricht er das Sterbegebet in Englisch, damit eine jede der verlorenen Seelen dort unten ihn auch verstehen und ihren Weg zu Gott finden kann. „Herr, unser Gott. Wir schauen zurück auf eine schwere Zeit, auf Tage der Ungewissheit und der quälenden Fragen. Hoffen und Bangen lagen so dicht beieinander. Langsam lichtet sich der Tunnel. Wir schöpfen neuen Mut und denken an das Morgen. Wir danken Dir, dass Du uns getragen hast. Wir danken Dir für jedes Zeichen Deiner Nähe und für jede Hilfe, die wir gefunden haben. Bleibe immer bei uns und halte Deine Hand über uns. Amen.“ „Amen.“, erwidern seine beiden Kollegen im Chor, woraufhin noch einmal ein kurzes Schweigen eintritt. Als es endet, erheben sich die drei Mutanten, vermeiden diesmal alle den Blick nach unten und setzen sich wieder um den Schornstein herum. Mit geschlossenen Augen und jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend, warten sie darauf, dass sie wieder in die Behaglichkeit ihres Zuhauses zurückkehren können und so schnell hoffentlich keine Leichen mehr zu Gesicht bekommen – besonders keine wandelnden... Commands and control -------------------- 1 Geduldig mustert Logan die vor ihm stehenden X-Men. Für das Training der Jüngeren hat er sich heute eine Schnitzeljagd durch den Wald überlegt, der hinter der Mansion verläuft. Überall hat er dafür Hinweise versteckt, die sie in Zweierteams finden und die dahinterliegenden Rätsel lösen müssen, um möglichst schnell ans Ziel zu kommen. Im Zuge dessen sind jetzt allerdings alle X-Men versammelt, nicht nur die Anfänger. So ein Survivaltraining kann ihnen allen nicht schaden, wie ihm Charles nahegelegt hat. Wolverine soll es nicht stören. Je mehr, desto lustiger! „Gut, noch irgendwelche Fragen?“, meint er schließlich und wirft einen Blick neben sich. Dort steht Hank bereit. Damit das Ganze mit den Zweierteams überhaupt aufgeht, machen Beast und Logan nicht mit, stehen dafür aber bereit, falls sich einer der anderen verletzen sollte. Die Trainingseinheiten des Schwarzhaarigen sind niemals harmlos, auch wenn es der Vielfraß gern anders sieht. Von daher ist Vorsicht immer besser als Nachsicht. Der blaufellige Arzt hat jedoch nichts mehr hinzuzufügen, richtet sich nur geschäftig mit seiner erschreckend großen Pranke die winzig kleine Brille und wartet auf den Startschuss. Logan nickt zufrieden und mustert die Jüngeren ein weiteres Mal. „Okay, dann ab mit euch!“ Mit leichtem Murren, das sie gar nicht erst versuchen zu verbergen, zerstreuen sich die einzelnen Teams in die verschiedenen Himmelsrichtungen und suchen nach ihren ersten Hinweisen, die je nach Gruppe farblich markiert sind und sowohl ihre verschiedenen Fähigkeiten wie auch ihr Denken individuell herausfordern sollen. 2 Zur selben Zeit schleichen ein paar gut getarnte Männer auf der anderen Seite des Waldes durch das Unterholz. Sie gehören zur einer geheimen Sondereinheit des Militärs, die unter anderem auch bei der noch nicht allzu lange zurückliegenden Zombieattacke in der Innenstadt dabei gewesen war. Bei ungewöhnlichen Gegebenheiten kommen sie immer wieder zum Einsatz und beobachten die Lage, um sie, wenn möglich, zu ihren Gunsten zu nutzen. Und wie das gesamte Militär, haben auch sie stets ein besonderes Augenmerk auf alle Mutanten, um ihre Fähigkeiten zu katalogisieren oder im Ernstfall auch eingreifen zu können, wenn einer dieser verdammten Freaks mal wieder durchdreht. Heute sind die Hand voll Männer allerdings unterwegs, um einige neu entwickelte Substanzen zu testen, die im Falle eines Krieges oder dergleichen den entscheidenden Vorteil dem Gegner gegenüber bringen sollen. Dazu kontrollieren sie einige Fallen, die sie vor ein paar Tagen aufgestellt haben. Darin befinden sich zu meist Kaninchen, Vögel oder sogar Rehe. Geübt statten sie die Tiere mit Sendehalsbändern aus und verabreichen ihnen dann die verschiedenen Substanzen. Auch an einigen markierten Punkten führen sie Proben des Ganzen der Umwelt zu. Hier an einem Baum, dort direkt im Boden oder auch in einem kleinen Flüsschen. In einigen Tagen werden sie sich die Ergebnisse ansehen und entscheiden, ob die Tests von Erfolg gekrönt sind. Eine ganz besondere Substanz ist allerdings noch übrig und die Männer nicht sicher, wo beziehungsweise wem sie sie verabreichen sollen. Sie brauchen dafür in jedem Fall ein lebendes Objekt, das zudem eine gewisse Intelligenz aufweisen muss. Die Substanz dient nämlich der Gedankenkontrolle. Damit könnte man beispielsweise gefangene Soldaten des Feindes beeinflussen und sie dann mit einem geheimen Auftrag zurück zu ihrer Truppe schicken und so alles von innen heraus infiltrieren, ohne dass sich die betreffende Person später an etwas erinnern oder sich auch nur dagegen wehren kann. So zumindest bis jetzt die Theorie. Die Männer brauchen daher einen Freiwilligen. Ein Tier kommt dafür leider nicht in Frage. Vielleicht aber ein Zivilist? Im besten Fall ein Obdachloser, den niemand vermisst, falls etwas schieflaufen und das Zeug womöglich eine tödliche Nebenwirkung haben sollte. Hier im Wald werden sie diesen aber ganz mit Sicherheit nicht finden. Dieser Wald gehört zum Grundstück dieses Mutantenpacks, weshalb sich außer dem Militär niemand hierher verirrt. Und selbst das tun die Männer ohne das Wissen dieser Freaks – wie sie zumindest hoffen – und gehen damit ein sehr großes Risiko ein, sollten sie entdeckt werden. Von daher sind auch die Soldaten nicht gerade scharf darauf, sich dem Haus der sogenannten X-Men näher als nötig zu nähern. Aber vielleicht brauchen sie das auch gar nicht? Vorsichtig schleichen sich die Männer etwas weiter vorwärts und dann hören sie plötzlich Stimmen. Im Dickicht verborgen können sie ein paar der Mutanten sehen. Grob stößt Hendricks seinem Kollegen den Ellenbogen in die Seite und deutet dann auf einen von ihnen. Fragend hebt Johnson eine Augenbraue. Er war beim Zombieangriff nicht dabei und erkennt Nightcrawler daher auch nicht wieder. „Das ist dieser Mutant, von dem ich dir erzählt habe. Der sich irgendwie unsichtbar machen kann. Der Hauptmann sagt, dass es sich dabei eigentlich sogar um Teleportation handelt. Und ich dachte immer, dass wäre nur so eine dümmliche Hollywooderfindung.“, erläutert Hendricks leicht amüsiert. „Okay. – Sollen wir dem Hauptmann dann Bescheid geben?“, fragt Johnson etwas überfordert. „In jedem Fall! Das wäre genau das richtige Testobjekt für die Gedankenkontrolle.“, grinst der Blonde zurück und zückt sein Funkgerät. Auch der Brünette grinst leicht, als er verstanden hat, was für einen Vorteil diese Fähigkeit bedeuten könnte. Hauptmann Wesley zeigt sich überaus begeistert von dieser Neuigkeit, war auch er beim Zombieangriff dabei und hat gesehen, zu was dieses blaue Fellknäul fähig zu sein scheint. „Er wäre genau der Richtige für das Mittel! Was könnte schon besser sein als ein Attentäter, der sich nach getaner Arbeit in Luft auflösen kann? Lasst ihn unter keinen Umständen entkommen und verpasst ihm irgendwie das Zeug! Und wenn ihr fertig seid, kommt sofort zur Basis zurück, ehe euch der Rest dieses mutierten Haufens entdeckt. Dieser Wolverine ist bestimmt auch irgendwo in der Nähe. Der mimt immerhin den Lehrer für die Jüngeren und klebt der blauen Teufelsbrut daher sicherlich ständig an den Hacken! Wenn der euch wittert, ist alles aus!“, gibt Wesley seine Befehle. Leicht beunruhigt sehen sich die beiden Soldaten in die Augen. Johnson hat zwar die Zombies verpasst, Wolverine hingegen kennt nun wirklich jeder von ihnen. Immerhin war auch er vor vielen Jahren schon einmal ein Gefangener einer anderen militärischen Geheimtruppe, die ihn umkrempeln und zur ultimativen Waffe heranzüchten wollte. Dies schlug allerdings fehl und der Vielfraß entkam, nachdem er den gesamten Stützpunkt niedergemetzelt hatte. Das Ganze ist zwar schon an die vierzig Jahre her, doch noch immer eine wirkungsvolle Schauergeschichte, die durch das gesamte amerikanische Militär geistert und jedem klarmacht, dass mit ihm nicht zu spaßen ist. Und beim Gedanken an diesen wildgewordenen Irren läuft es ihnen eiskalt den Rücken hinab, haben die grausigen Experimente damals ihn doch nur noch blutrünstiger und unbeherrschter gemacht, als er bis dato eh schon war. „Beeilen wir uns lieber...“, meint der Brünette daher kurz angebunden. Zusammen schleichen sie sich noch ein Stück weiter durchs Unterholz und nähern sich so dem ahnungslosen Elfen. Sein blaues Fell macht ihn im hellen Sonnenlicht dieses frühen Nachmittags zu einer erstaunlich guten Zielscheibe, nur weiß er das selbstverständlich nicht... 3 Konzentriert bahnt sich Kurt seinen Weg durch das dichte Gestrüpp und versucht den letzten Hinweis zu finden, der sich hier irgendwo befinden muss. Sein Magen knurrt dabei schon ziemlich laut und Müdigkeit klammert sich hartnäckig an seine Gedanken. Sie sind schon seit Stunden hier draußen. Das Mittagessen liegt schon längst hinter ihnen, ohne dass sie etwas davon zu Gesicht bekommen haben, und noch ist kein wirkliches Ende in Sicht. Logan meint es mal wieder viel zu gut... Erschöpft teleportiert sich der junge Mutant von dem Baum herunter, auf dem er leider doch nichts gefunden hat, und besieht sich nun die dichten Büsche darunter. Er merkt nicht, dass er schon eine ganze Weile beobachtet wird. Verloren tapst er noch ein paar Schritte umher und bleibt dann stehen. Ratlos kratzt er sich am Hinterkopf und gähnt herzhaft. Vielleicht sollte er doch zurück zu Kitty? Womöglich ist er schon zu weit von der eigentlichen Stelle entfernt? Oder aber er sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, was wahrscheinlich auch kein Wunder ist, wo Logan doch wahrlich seine Freude daran hat, sie alle an der Nase herumzuführen. „Kurt?“, schallt dann Kittys Stimme aus der Ferne. „Komm her, ich glaube, ich habe das Ding endlich gefunden!“, flötet das Mädchen mindestens so erschöpft wie sich der Elf fühlt. „Komme!“, ruft er zurück. Bevor er jedoch zum Teleport ansetzt, sticht ihn etwas in den Nacken. „Ah, diese grässlichen Mücken...“, kommt es wehleidig von dem Blauhäutigen, während er sich die betreffende Stelle reibt. Bevor er weiterhin zur Zielscheibe dieser miesen, kleinen Blutsauger wird, verschwindet er lieber schnell. Zurück bleibt nur eine beißende Schwefelwolke, die sich kurz darauf auch verflüchtigt. 4 „Krass, er ist wirklich weg!“, entkommt es Johnson ungläubig, während er mit der Hand den letzten Rest Schwefel fort wedelt. Irgendwie hat er sich das anders vorgestellt. Im Film wirkt so etwas irgendwie immer weniger spektakulär, dafür aber auch geruchsarmer. Und diese lila-schwarze Wolke, die dabei entsteht, ist auch nicht so vorteilhaft, wie er findet. Das Geräusch, so leise es auch sein mag, ist zudem irgendwie beunruhigend. „Sag ich ja.“ „Und was jetzt?“ „Jetzt gehen wir zurück zur Basis und warten.“, meint Hendricks. „Worauf denn?“, will sein Kollege wissen. „Darauf, dass dieses Bürschchen zu uns kommt.“ Fragend sieht ihn der Brünette weiterhin an. „Das Zeug reagiert auf bestimmte Reize und Worte, die Wesley gerade anhand der Daten, die wir von dem Bengel schon haben, bestimmt. Wenn es ausgelöst wird, dann kommt er von ganz allein zu uns und wird eine brave Marionette sein. – Immer vorausgesetzt, das Zeug funktioniert wirklich und bringt ihn nicht schon vorher um die Ecke.“, erläutert der Blonde. „Na dann hoffen wir mal das Beste...“, gibt sein Partner sichtlich nervös von sich, macht ihn allein schon der Anblick Nightcrawlers ziemlich nervös – Teufelsbrut, wie der Hauptmann ihn nannte, passt da wirklich erschreckend gut – und die beiden wenden sich zum Gehen. 5 Endlich geht der Tag in die Nacht über und die X-Men fallen erschöpft in ihre Betten. Logan hat sie bis vor einer Stunde noch auf Trab gehalten, ohne auf ihr Nörgeln und Wehklagen auch nur ansatzweise einzugehen. Doch nun ist es endlich geschafft und der Schwarzhaarige halbwegs mit ihrer Leistung zufrieden. Also haben sie sich schon irgendwie eine Pause verdient. Zudem ist morgen Sonntag und sie haben alle frei, solange kein Notfall eintritt. Mit einem kraftlosen Seufzen krabbelt Kurt in sein Bett und vergräbt sich auch sogleich unter der Decke, damit ihn auch niemand mehr finden mag. Schnurrend kuschelt er sich in die wohlige Wärme und ist auch schon eingeschlafen, ehe er ganz zum Liegen kommt. Darauf hat die Substanz, die ihm die Soldaten so heimlich injiziert haben, praktisch nur gewartet. Sie beginnt mit ihrer Arbeit und löst sich von der Stelle im Nacken des Jungen, wo sie bis eben selbst förmlich noch geschlafen hat. Langsam, aber überaus zielstrebig, erklimmt sie nun das kurze Stück Rückenmark und bahnt sich darüber ihren Weg den Hirnstamm hinauf. Von dort aus breitet sie sich dann allerdings explosionsartig im ganzen Kopf des Elfen aus, dockt an Nervenenden an, überbrückt Leitungen und kreiert sogar einige neue Bahnen. Wie ein Virus nimmt sie alles in Besitz und nistet sich überall tief ein. Dann heißt es auch für sie auf den Startschuss warten. Dieser braucht auch nicht mehr viel Zeit. Hauptmann Wesley sitzt seit der Injektion am Nachmittag an einem leistungsstarken Computer und beobachtet damit die Substanz in Kurts Körper sehr genau. In dem Mittel befindet sich zudem ein winzig kleiner Microchip, der zum Lokalisieren des Probanden dient, zur Übermittlung der Worte, aber auch zur Überwachung der Körpertätigkeiten, sodass der Grauhaarige ziemlich gut sagen kann, wann Nightcrawler endlich eingeschlafen ist, damit der Test beginnen kann. Und genau jetzt ist das der Fall. „Sehr gut...“, murmelt er in sich hinein, während ihm Johnson und Hendricks neugierig über die Schulter schauen. Nun greift er neben sich, wo eine Akte mit Nightcrawlers Foto vorne drauf liegt. In ihr stehen ganz ähnliche Sachen, die auch Hank in der Akte über den Elfen verfasst hat. Vieles ist noch offen und soll jetzt ergänzt werden, wenn der Bengel den Weg zu ihnen findet. Andere Dinge wurden nach der Zombieattacke nachgetragen, wo Wesley die drei Mutanten sehr genau beobachtet hatte. Doch Logan und Scott interessierten ihn nicht sonderlich. Ihre Akten sind schon lange vollständig, wenn man das so sagen kann. Sie wären auch nicht die Richtigen für diese Aufgabe. Wolverine ist von Natur aus schon gefährlich genug und bei seinem Selbstheilungsfaktor wäre es sehr fragwürdig, ob die Droge überhaupt anschlagen würde. Und selbst wenn, würde ihre Wirkung mit Sicherheit nicht lange genug anhalten und er dann augenblicklich alle Soldaten töten, statt der eigentlichen Zielpersonen. Cyclops wäre in jedem Fall leichter dranzukriegen, aber sein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit und sein Status als Truppenführer würden es sehr erschweren, ihn dafür auszuwählen, ohne dass es ein anderer mitbekommt. Von daher ist Nightcrawler die perfekte Wahl, erst recht wegen seiner Fähigkeit des Teleportierens und der Tatsache, dass er der letzte Neuzugang der X-Men ist. In vieler Hinsicht muss er sich noch bewähren, sein erstes Jahr ist immerhin noch nicht vorbei. Daher würde es weit weniger Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn dieses Früchtchen Amok läuft, statt einer der Alteingesessenen. „Wie wollen Sie ihn denn nun zu uns locken, Hauptmann?“, fragt Johnson schließlich. „Das wird ein bisschen knifflig und ich brauche dazu eure Hilfe. Außerdem brauche ich auch noch Stevens, damit es funktioniert. Zudem einen Penner von der Straße, um die Wirksamkeit zu testen.“, erläutert Wesley, ohne den Blick von der Akte zu heben. „Okay. – Und wie soll das dann aussehen?“, kommt es erneut von dem Brünetten. „Ganz einfach. Wir führen ein kleines Theaterstück auf, wenn man so will, und ihr müsst euch schlichtweg nur ans Drehbuch halten, auch wenn es nicht wirklich eines gibt. Redet nur, wenn ich es euch sage, dann wird das schon werden. – Aus verschiedenen Quellen weiß ich, dass Nightcrawler streng gläubig ist und damit locken wir ihn letztendlich in die Falle. Während des Zombieangriffs habe ich mehrfach mitbekommen, wie er gebetet oder beispielsweise das Wort Apokalypse verwendet hat. Auch Wolverine hat dergleichen mehrmals angedeutet, schien aber von den Ansichten des Jungen nicht so sonderlich angetan zu sein, was wohl auch daran liegt, dass Wolverine jeglichen Glauben längst verloren hat und ihm der Bengel damit sicherlich des Öfteren auf die Nerven fällt.“ Verächtlich schnaubt Hendricks. „Kaum zu fassen, dass so eine Missgeburt den gleichen Gott anbetet wie wir es tun. Das will einfach nicht in meinen Kopf rein...“, grummelt er. „Ja, das ist schon faszinierend, nicht wahr? Aber genau dieser Glaube wird ihn direkt in die Hölle bringen, glaubt mir! – Gut, ihr beiden und Stevens werden bei dem Ganzen die drei Erzengel mimen, während ich den Allmächtigen persönlich geben werde. Sagt ihm Bescheid und bringt dann einen Penner hierher. Ich werde inzwischen unseren kleinen Attentäter zu uns führen.“, beendet Wesley fürs Erste seine Anweisungen und widmet sich nun wieder dem Computer. Die beiden Soldaten verlassen derweilen den Raum und kümmern sich um die Dinge, die ihnen aufgetragen worden sind. 6 In dem Moment, indem sich der Hauptmann wieder dem Computer zuwendet und zu sprechen beginnt – die nahezu magischen Worte freigibt, auf die das Serum inzwischen programmiert ist –, schlägt Kurt ruckartig die Augen auf. Für eine Sekunde sind es jedoch nicht die gelben Seelen des Teleporters, sondern rote Rubine, als würde ein Roboter einen Befehl registrieren, und irgendwie ist es ja auch so. Der blaue Mutant wirkt einen Moment neben sich, so als wüsste es nicht, wo er sich genau befindet. Dann erkennt er die – irgendwie trügerische – Sicherheit seines Zimmers und entspannt sich wieder. Allerdings hallt etwas durch seinen Kopf, fast wie eine Stimme. Ungläubig legt der Junge den Kopf schief, als würde er lauschen. Kurz darauf hört er die Stimme wieder, diesmal viel deutlicher. Mit einer seltsamen Mischung aus Entsetzen und tiefgreifender Freude wird ihm klar, dass diese Stimme die Stimme Gottes ist, seines Schöpfers! Das sich all sein Leid, seine Entbehrungen und seine Gebete doch gelohnt haben und er endlich erhört wird. „Oh, lieber Gott...“, flüstert er in Tränen erstickt und lauscht dann der Stimme des Herrn, die ihn zu sich lockt. Bereitwillig steht Kurt vom Bett auf, zieht sich geschwind seinen Trainingsanzug an, ergreift sein rasiermesserscharf geschliffenes Schwert und verlässt dann in einer purpurfarbenen Wolke das Gebäude. 7 In groben Zügen und wundervoll ausgeschmückt, beschreibt Wesley dem Fellträger anschließend, wie er den Weg zur geheimen Militärbasis finden kann, die Kurt für einen prunkvollen Palast Gottes auf Erden hält. Für den jungen Mutanten hat sich die ganze Welt in ein zauberhaftes Märchen verwandelt, in dem er genau das sieht, dass der Hauptmann ihn weiszumachen versucht. Während der Grauhaarige noch mit der Beschreibung beschäftigt ist, kehren seine drei Soldaten zurück. Im Schlepptau haben sie einen schlafenden Obdachlosen, den sie nun in einen Stuhl verfrachten. Anschließend beobachten sie amüsiert, wie sich Wesley filmreif ins Zeug legt, um die pelzige Marionette hierher zu bekommen. Nach einer Weile dreht er sich zufrieden zu seinen Männern herum und begutachtet dann fragend den Penner auf dem Stuhl in der Nähe. „Der müsste bald wieder zu sich kommen.“, erläutert Hendricks, woraufhin der Hauptmann verstehend nickt. „Sehr gut, Männer! Ihr wisst alle, was jetzt zutun ist?“ „Jawohl, Sir.“, kommt es als Chor von den dreien. Erneut nickt Wesley zufrieden. „Wunderbar! Dann kann unser kleines Schauspiel ja beginnen. Unser Hauptdarsteller dürfte auch nicht mehr lange auf sich warten lassen.“, verkündet er grinsend. Die drei Soldaten sehen sich etwas unbehaglich an. Sind sich nicht sicher, ob das Ganze wirklich so reibungslos funktionieren wird, wie es sich der Ältere vorstellt. Wenn etwas schiefgeht, sind sie alle geliefert. Mutanten sind eine Gefahr, eine lebensgefährliche Bedrohung, um genau zu sein, und das ist ihnen allen bewusst. Der blaue Fellball mag vielleicht kein Wolverine sein, doch genau dieser wird nicht lange auf sich warten lassen, sollte dem Bengel etwas passieren oder er ausrasten. Immerhin ist der Vielfraß sein Lehrer, und das hat bestimmt in irgendeiner Form abgefärbt. Schier endlose Minuten vergehen, in denen sich die vier Männer einfach nur ansehen und warten. Dann erhebt Stevens zögerlich die Stimme. „Wie soll der Bursche hier überhaupt reinkommen? Ich meine, mit all den Sicherheitsschleusen und den Wachen. Da wird er wohl kann mal eben so dran vorbei spazieren.“ „Das muss er auch gar nicht. Immerhin sieht er nicht das, was wir hier sehen, sondern das, was ich ihn sehen lassen will. Zudem hat er ja seine Teleportation. Er kann damit jeden Ort erreichen, an dem er entweder schon einmal gewesen ist oder zu dem er Sichtkontakt herstellen kann. Somit genügt ihm ein schlichtes Fenster, um überallhin zu kommen.“ „Aber die Basis befindet sich doch fast völlig unterirdisch.“, wirft Johnson ein. „Ja, aber eben nur fast. Doch macht euch mal keine Gedanken. Er ist schon hier. Ich kann ihn förmlich spüren...“ Skeptisch mustern ihn seine Untergebenen, können sie doch nichts dergleichen feststellen. Dennoch können auch sie nicht abstreiten, dass irgendetwas in der Luft liegt, etwas sehr Bedrückendes... 8 Weitere Minuten gleiten zäh wie Honig dahin, doch Wesley wirkt weiterhin zuversichtlich. Dann plötzlich und aus heiterem Himmel, ertönt direkt zwischen ihnen ein seltsames Geräusch – Bamf! –, das mit einer beißenden Schwefelwolke einhergeht. Hustend wedeln die Soldaten den violetten Dunst davon, während Wesley nicht einmal die Nase rümpft. Als die Wolke verschwunden ist, sehen die Männer den blauen Teufel vor sich auf allen Vieren hocken, der sich mit leeren, gelben Augen kindlich anmutend umsieht. Für eine Sekunde funkeln sie aber erneut blutrot auf und bestätigen dem Hauptmann damit, dass die Verbindung zu dem Bengel noch vorhanden ist. Wohlwollend registriert er auch, das lange, schmale, überaus scharfgeschliffene Schwert an der linken Hüfte des Jungen. Überrascht und auch erschrocken, weichen die drei Soldaten einige Schritte zurück. Der Hauptmann hingegen erhebt sich mit überschwänglicher Freude, breitet freundschaftlich die Arme aus und grinst dabei über das ganze Gesicht. „Kurt, mein Sohn, schön dich endlich bei uns zu haben!“, platzt er begeistert heraus und überbrückt dann den kurzen Abstand zu dem am Boden hockenden Mutanten. Dieser betrachtet ihn mit großen – wieder ganz kurz rot aufleuchtenden – Augen und ergreift dann die dargebotene Hand, um sich aufzurichten. Die Soldaten beobachten das Ganze sehr abgeneigt, wollen sie doch nicht diejenigen sein, die diesen Bengel anfassen müssen, sagen aber nichts dazu, um das Schauspiel nicht zu ruinieren. Ein falsches Wort zur jetzigen Zeit, und alles wäre dahin, ist die Programmierung des blauen Teufels doch noch nicht völlig abgeschlossen. „Oh, Heiliger Vater, es ist mir eine unaussprechliche Ehre, dass Ihr mich zu Euch gerufen habt!“, entkommt es dem Elfen ehrfürchtig, während er Anstalten macht, vor Wesley auf die Knie zu fallen. Dieser hält ihn jedoch weiterhin an den dreifingrigen Händen und schüttelt nachsichtig den Kopf. „Das musst du nicht tun, mein Sohn. Ich weiß, welch treuer Diener du mir stets warst. Also entspann dich, denn vor dir liegt eine Menge Arbeit.“ Sichtlich entspannt sich Kurt und blickt seinen vermeintlichen Schöpfer dann wieder mit seinen großen, leeren Augen an. „Ihr habt eine Aufgabe für mich? Habt Ihr mich deswegen zu Euch bestellt?“ „So ist es, mein Sohn...“, setzt Wesley an. Ehe er dem Mutanten jedoch erläutern kann, worum es geht, erwacht plötzlich der Obdachlose, den die drei Soldaten hergebracht hatten. Polternd fällt er vom Stuhl und richtete sich schwerlich in eine sitzende Haltung auf. „Was’n hier los?“, fragt er nuschelnd und sieht sich ungläubig um. Hendricks will ihn schon zum Schweigen bringen, doch der Hauptmann deutet ihm an, sich zurückzuhalten. Nightcrawler scheint das Ganze nicht einmal zu bemerken, obwohl er unter normalen Umständen stets vorsichtig und wachsam Menschen gegenüber ist. Da wird einem klar, wie groß die Macht des Serums sein muss. „Heilige Scheiße, ein blauer Teufel!“, entkommt es dem verwahrlosten Mann nun und er versucht, irgendwie auf die Füße zu kommen, um zu flüchten. Aber so ganz will ihm das nicht gelingen. Das Schlafmittel und eine nicht gerade geringe Menge Restalkohol tun noch immer ihre Wirkung. Wesley räuspert sich. „Meine Erzengel...“, setzt er an und deutet dann auf die drei Männer hinter Nightcrawler, die dieser mit erkennbarer Ehrfurcht betrachtet. „...haben mir von deinem Kampf gegen die Zombies berichtet. Ich war erschüttert von alledem und bin gleichzeitig sehr stolz auf dich, dass du diese bedauernswerten Geschöpfe in meinem Namen gereinigt und zurück in den sicheren Schoß des Himmels geführt hast.“ „Ihr – habt gesehen, wie wir gegen diese Untoten gekämpft haben?“ „Das habe ich und ich bin sehr beeindruckt, wie du dich entwickelt hast, mein Sohn.“ Sichtlich färben sich die Wangen des Teleporters purpurn. „Das ist nicht allein mein Verdienst. Logan...“ Doch Wesley winkt nur ab. „Von diesem kleinen Sünder sprechen wir jetzt mal lieber nicht. – Was ich eigentlich sagen will, ist, dass die Arbeit dahingehend leider noch nicht beendet ist. Eines dieser bedauerlichen Wesen hat es doch tatsächlich geschafft, hierher zu kommen und den Frieden dieses geweihten Ortes zu stören...“ Überrascht weiten sich Kurts Augen und funkeln wieder rot. Nun gestattet ihm der Hauptmann auch, den Obdachlosen wahrzunehmen, allerdings in Gestalt eines sabbernden Zombies. Erschrocken zuckt der Elf zusammen und weicht ein paar Schritte zurück. „Hab keine Angst, mein Sohn. Er ist der Letzte und wir brauchen dich, um ihn zurück zu verwandeln. Wirst du das für mich tun?“, fragt Wesley mit gespielter Sorge. Kurt mustert ihn einen Augenblick etwas unsicher, dann greift das Serum wieder hart zu und weckt die mörderischen Instinkte in ihm, von denen sonst nur Wolverine in dieser Stärke übermannt wird. „Ich werde Euch nicht enttäuschen, Heiliger Vater!“, verkündet die sonst so sanfte Stimme des Fellträgers erschreckend rau und kalt. Langsam zieht er das Schwert, das er von Logan bekommen hat, und wendet sich dem vermeintlichen Zombie zu. „Heilige Scheiße...“, entkommt es dem Obdachlosen und er versucht abermals auf die Füße zu kommen. Ungeschickt zieht er sich am Stuhl hoch, doch seine zitternden Beine wollen ihn nicht so recht tragen. „Nein, bitte...“, beginnt er zu wimmern, als dieser blaue Teufel mit dem glänzenden Schwert plötzlich direkt vor ihm steht. Seine alkoholtrüben Augen fixieren die scharfgeschliffene Klinge zwanghaft, folgen jeder ihrer geschmeidigen Bewegungen. Hilflos sinkt der Mann wieder auf die Knie. „Oh, bitte nicht! Hab Gnade mit mir, Junge!“, fleht er jammernd. Tränen rinnen nun seine zerfurchten Wangen hinab und ein dunkler Fleck bildet sich im Schritt seiner zerschlissenen Hose. Angewidert verziehen die Soldaten das Gesicht. „Gottes Gnade komme nun über dich!“, kommt es ruhig von Kurt, während er den vermeintlichen Zombie mit roten Augen fixiert und ihm dann in einer einzigen, fließenden Bewegung das Schwert in den Schädel treibt, als wäre dieser nichts weiter als ein Klumpen kalte Butter. „Nei...“, ist alles, was der Obdachlose noch von sich geben kann. Abwehrend hatte er die Hände erhoben und sogar versucht, nach der Klinge zu greifen, doch sie hat ihm mühelos die Finger abgetrennt, bevor sie seinem jämmerlichen Leben ein Ende bereitet hat. Ein paar erstickt-blubbernde Laute kommen noch von ihm, während er unkontrolliert zuckt. Dann rutscht er mit lebloser Schwere von der Klinge herab, schlägt mit einem dumpfen Poltern auf dem Boden auf, wobei sich unter seinem durchbohrten Kopf träge eine Blutlache bildet. „Möge deine ruhelose Seele nun ihren Frieden finden.“, bekreuzigt sich der blaue Elf. „Sehr gut, mein Sohn! Das hast du ganz ausgezeichnet gemacht. Doch etwas anderes hätte ich von einem so treuen Schäfchen wie dir auch gar nicht erwartet.“, flötet Wesley begeistert, während er seinen Männern ein Handzeichen gibt, damit sie diesen stinkenden Penner nun endlich entsorgen. Kurt wird abermals purpurn um die Nase und lächelt zufrieden. „Du bist zu weit Größerem bestimmt, mein Sohn! Lass mich dir daher nun von all den schändlichen Sündern erzählen, die in dieser schönen Stadt unterwegs sind und mich vehement daran hindern, meine Botschaft von Frieden und Liebe zu verbreiten...“, beginnt der Hauptmann und erklärt ihm dann, was er von ihm erwartet. Nightcrawler hört ihm äußerst aufmerksam zu, wobei sich das Serum immer und immer stärker in seinem Körper ausbreitet, seinen eigenen, vernünftigen Willen vollkommen auslöscht und ihn somit zu der skrupellosen Killermaschine macht, die sich das Militär – zumindest diese geheime Truppe – so sehnlichst wünscht: Zu einem vollständig kontrollierbaren Wolverine 2.0! 9 Nachdem Wesley seine Erklärung beendet und Kurt noch einmal in höchsten Tönen gelobt hat, schickt er den Jungen noch vor Ende der Nacht wieder nach Hause, wo der Teleporter bis zum Läuten des Weckers den Schlaf der Gerechten schläft, ohne sich an seinen nächtlichen Ausflug erinnern zu können. Tage vergehen, in denen das Serum völlig ruhig und unbemerkt in seinem Körper verbleibt und wie ein Virus auf den geeigneten Moment wartet, um erneut zuschlagen zu können. Fast zwei Wochen später ist es dann soweit. Es ist Sonntag, weshalb sich keiner der X-Men Gedanken darum macht, wohin Kurt nach dem Frühstück verschwinden könnte, und genau das ist der Fehler. Ein Fehler, den insbesondere Logan nie wieder vergessen wird... 10 Da die X-Men heute ihren freien Tag feiern, geht alles etwas langsamer und entspannter vonstatten. So is es auch nicht verwunderlich, dass es schon fast Mittag ist, als sich die Meisten von ihnen erst zum Frühstück einfinden. Gähnend betritt Logan die Küche, nimmt sich einen extragroßen Becher Kaffee und setzt sich dann schlaftrunken zu Scott und Charles an den Tisch. Dies tut er aber nicht gerade mit sonderlicher Begeisterung für seinen Truppenführer, sondern einzig und allein aus dem Grund, weil man von diesem Tisch aus perfekt den kleinen Fernseher auf dem Tresen betrachten kann, in dem gerade die Nachrichten laufen. Diese zu verfolgen ist praktisch eine der Hauptaufgaben der X-Men, wenn kein Auftrag für sie ansteht. Denn in einer Stadt wie New York passiert ständig etwas, wobei die Mutanten vielleicht helfen könnten. Und je schneller sie vor Ort sind, desto besser ist es meistens auch. Am unteren Bildrand läuft ein Textband entlang, das verkündet, dass in wenigen Minuten live ins Rathaus geschaltet wird, in dem der neue Kandidat für das Bürgermeisteramt, Benedikt Watson, eine Wahlkampfrede halten wird. Wolverine nimmt diese Sache mit abwertend gerümpfter Nase zur Kenntnis, wissen doch alle hier nur zu gut, dass dieser Kerl nicht nur korrupt ist, sondern auch allerhand Dreck am Stecken hat. Von Drogenhandel, über illegalen Waffentransport, bis hin zu ausschweifenden Partys mit minderjährigen Prostituierten ist praktisch alles dabei. Doch der Typ trägt einen zu großen Namen und hat mehr Geld als man sich nur wünschen kann, weshalb er sich die meisten Stimmen auch einfach erkauft hat, die ihn hierhergebracht haben. Und wenn die New Yorker weiterhin so verblendet und bestechlich sind, wird dieser Mistkerl die Wahl wohl auch noch gewinnen – wenn kein Wunder mehr geschieht, das ihn daran hindern kann... Dieses besagte Wunder tritt auch tatsächlich ein, doch ganz sicher nicht so, wie es sich irgendjemand vorgestellt haben mag. Watson hat gerade einmal drei Minuten gesprochen, als plötzlich eine violette Wolke die Kamera für wenige Sekunden völlig verdeckt. Überrascht weiten sich Logans bis dahin noch vollkommen verschlafene und desinteressierte Augen, kennt er doch nur Einen auf der Welt, der so einen Dunst bei seinem Erscheinen sehen lässt. Doch das kann einfach nicht sein. Nightcrawler müsste immerhin noch in der Kirche sein, wo er nach der Messe stehts noch beim Aufräumen und dergleichen hilft, somit nie vor dreizehn Uhr wieder zurück ist, komme was da wolle. Allerdings täuschen sich die erfahrenen Augen des Vielfraßes selbstverständlich nicht, und auch Charles und Scott betrachten das Ganze verwundert, überrascht und zutiefst erschrocken. Dann verzieht sich die Wolke wieder und der Elf wird tatsächlich sichtbar. Er hockt wie eine übergroße Katze direkt auf den Schultern dieses egoistischen Penners von einem verlogenen Kandidaten, während seine überaus scharfe Klinge im Scheinwerferlicht bedrohlich blitzend funkelt und die umstehenden Bodyguards gar nicht zu wissen scheinen, wie sie reagieren sollen. Im Training lernen sie schließlich nicht, mit plötzlich auftauchenden und zudem bewaffneten Teufeln zu agieren. „Stirb, du gottloser Hurensohn!“, gebärt sich der blaue Mutant auf dem Bildschirm, ehe er sein Schwert auch schon schneller sprechen lässt, als sich die völlig überforderten Bodyguards Watsons auch nur rühren können. In seiner Stimme liegt eine unheimliche Kraft von bedrohlicher Anmut. Diese nahezu fremde, unglaublich kräftige Stimme ist Nightcrawlers üblichem Schnurren so unähnlich, dass Logan sinnloser Weise nur eines denken kann: Stahlkrallen unter Samtpfoten verborgen. In Bezug auf den sonst so friedlichen Elf völlig fehl am Platz und allein schon von der Ausdrucksweise her eher sein Metier, auch wenn er keinesfalls Samtpfoten hat, und doch findet er keine anderen Worte, um den Klang dieser fast schon gebieterischen Stimme zu beschreiben und die damit verbundene Fremdartigkeit, die der Junge nun auf ihn ausübt. Watsons sauber abgetrennter Kopf fällt nun wie in Zeitlupe anmutend auf das kleine Rednerpult vor ihm, schwankt dort mit ungläubig aufgerissenen Augen eine Sekunde von einer Seite zur anderen und kippt dann herunter, woraufhin man im Hintergrund eine Frau laut aufschreien hören kann. Wolverine, der immer geglaubt hat, dass ihn so schnell nichts mehr erschüttern kann, muss nun feststellen, dass er völlig ungläubig mit offenem Mund dasitzt und den Bildschirm wie ein Reh das Scheinwerferlicht anstarrt. Was er sieht, muss eine Lüge sein. Es kann nur eine Lüge sein. Ein ganz schlechter Scherz. Doch tief in seinem Inneren weiß er bereits, dass das vollkommen unmöglich ist, er es nur nicht wahrhaben will. Obwohl es eine Live-Übertragung ist, wirkt der Nightcrawler auf dem Monitor weit furchterregender, als er es in Wirklichkeit jemals könnte – selbst im äußersten Zorn ihres ersten Kampfes damals, wirkte er nicht so teuflisch raubtierhaft –, sodass Logan fast das Gefühl bekommt, in einen seltsamen Spiegel zu sehen. Die Kamera zeigt ihn als Todesengel der Stadt: Brutal, dumm und dabei aber von einer gewissen primitiven, ja animalischen Schlauheit. Das Schreckgespenst der vornehmen Bewohner der kriminellen Oberschicht. Nun breitet sich ein zutiefst zufriedenes – fast schon lüsternes – Grinsen auf dem eigentlich so zart geschnittenen Gesicht seines sonst so friedlichen Elfen aus, das ihn so abgrundtief hässlich aussehen lässt, wie es seine restliche Erscheinung in Wolverines Augen nicht einmal ansatzweise schafften könnte. Nun endlich schaffen es die Bodyguards sich aus ihrer Starre zu befreien und zu den Waffen zu greifen, während um sie herum schon das blanke Chaos auszubrechen scheint. Bevor sie jedoch eine tödliche Kugel nach der anderen in den verwundbaren Körper des Teleporters ballern können – ja sogar noch, bevor sie die Pistolen auch nur entsichernd können –, verschwindet der Fellträger wieder in einer stinkenden Schwefelwolke und lässt abermals alle Anwesenden mit ratlosen und fassungslosen Gesichtern zurück. Kurz darauf wechselt das Bild wieder zum Nachrichtensprecher ins Fernsehstudio, der sichtlich blass um die Nase kein Wort mehr herausbekommt. Dieser Anblick hält sich zwei Sekunden, dann erscheint ein farbenfrohes Testbild, begleitet mit beruhigender Fahrstuhlmusik und dem Text: Technische Störung! Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten und hoffen, Ihnen schnellstmöglich wieder unser fantastisches Programm bieten zu können! Also bleiben Sie unbedingt dran! Ein mehr als makabrer Scherz, wie die X-Men finden. Logan beginnt unbewusst zu zittern, muss etwas unternehmen, bevor Kurt noch mehr dem scheinbaren Wahnsinn erliegt, der ihn gefangen zu halten vermag. Sieh sich nur einer diese erschreckend rotglühenden Augen an! Knurrend springt er vom Stuhl auf, dass dieser polternd zu Boden fällt. Charles versucht ihm direkt in die Augen zu sehen, nicht in seinen überforderten Geist, nein, in seine alten Augen, die schon alles gesehen zu haben scheinen, das auf der Welt möglich ist, und er glaubt, eine Mischung aus tiefgreifender Angst und Schuldgefühlen unter dem blanken Entsetzen und der eisernen Wut zu sehen. Es sind die Augen eines Mannes, der mit aller Gewalt zu vergessen versucht, dass er womöglich scheiße gebaut hat, einen Riesenhaufen Scheiße... Wolverines Gedanken werden immer hektischer, sodass Xavier jeden gutgemeinten Versuch unterlässt, in den Kopf des aufgebrachten Kriegers einzudringen, um ihn zur Ruhe zu bringen. Immerhin weiß er inzwischen ja ziemlich gut, was sich zwischen Logan und seinem Elfen abspielt, sodass er nur zu gut verstehen kann, wie fertig der Ältere jetzt ist, auch wenn sich Logan seine Gefühle nicht eingestehen will. Dennoch, oder gerade deswegen, braucht er jetzt ein gewisses Maß an Führung, um nicht völlig die Kontrolle über sich und die Situation zu verlieren. „Bitte denk erst nach, bevor du losrennst, Logan!“, fordert er den Schwarzhaarigen daher auf. Dieser sieht ihn nur vollkommen verständnislos an, ballt zornig die Fäuste und knurrt mahnend tief in der Kehle. „Du hast das doch auch gerade gesehen! Wie kannst du also von mir verlangen, dass ich ruhig bleibe und nachdenke!? Kurt braucht dringend meine Hilfe!“, gebärt sich der zu kurzgeratene Kanadier und schlägt nachdrücklich mit den Fäusten auf die Tischplatte, dass die Beine des wehrlosen Möbelstücks ein warnendes Knarren von sich geben. Dabei wird dem Professor klar, dass Logan nicht gesagt hat, dass er Kurt aufhalten muss, sondern dass dieser lediglich Hilfe braucht, was Charles irgendwie falsch erscheint. Wolverine muss diesen Gedanken irgendwie unterbewusst aufgefangen haben, versucht er genau das doch jetzt zu erklären. „Hast du seine Augen gesehen? Gehört, wie seine Stimme klang? Er sich ausgedrückt hat? Er ist nicht er selbst! Irgendetwas oder irgendjemand treibt ihn dazu!“ „Das kannst du nicht wissen...“, setzt der Mann im Rollstuhl an, woraufhin Wolverine wieder die Fäuste auf den Tisch knallt, um sich Gehör zu verschaffen, sodass dieser diesmal wirklich krachend zusammenbricht. Wütend schreckt Scott zurück und stellt sich dann schützend vor Xavier. Dieser schiebt ihn jedoch bestimmend zur Seite und deutet ihm an, sich erst einmal rauszuhalten. Ungläubig verharrt der Brünette einen Augenblick, wirft Logan dann einen mahnenden Blick zu, ehe er sich fügt und wieder an seinen Platz zurückkehrt. „Und ob ich das wissen kann! Ich war selbst ein beschissenes Versuchskaninchen für solchen Scheiß, wie du sehr gut weißt! Und womöglich steckt sogar wieder so eine geheime, militärische Sondereinheit dahinter! Es mag Jahrzehnte her sein, seit ich damals alle getötet habe, die mir das angetan haben, aber das heißt ja noch lange nicht, dass die Oberbosse von diesem Scheiß deswegen aufgegeben haben, hat man mich doch noch lange danach verfolgt und wieder einzufangen versucht. Und wenn sie mich nicht kriegen können, dann suchen sie sich eben ein anderes Opfer und donnern ihm ein paar Drogen mehr rein, damit er so ausflippt wie ich. Und ich werde nicht hier rumsitzen und tatenlos zusehen, wie Kurt daran zu Grunde geht und wie ein tollwütiger Köter auf offener Straße erschossen wird!“ Und damit ist das letzte Wort für den Jäger gesprochen und er verlässt schnaubend das Haus. Einen Moment herrscht völlige Stille in der Küche. Dann seufzt Charles bedrückt. Tief im Herzen weiß er, dass Logan wohl Recht hat. Das Militär hat schon des Öfteren unschönes Interesse an Mutanten aller Art gezeigt, und nicht wenige von ihnen grausam missbraucht und manipuliert, bis sie elendig verreckt sind – anders kann man es leider gar nicht ausdrücken –, doch bis jetzt konnte Xavier sie von seinen X-Men fernhalten. Allerdings wird der aufbrausende Kanadier Hilfe brauchen, auch wenn er sie nicht will. Doch es wird hoffentlich ein unnötiges Blutbad verhindern. „Bobby, Piotr, geht ihm nach und helft, wenn es irgendwie möglich ist. Nehmt den Black Bird. Der ist zwar viel langsamer als die Wolf 2, aber ich werde euch mit Hilfe von Cerebro sagen, wo die beiden sind.“ Unbehaglich sehen sich Colossus und Iceman an, nicken dann aber. „Jean, Scott, ihr helft mir bei Cerebro und habt den Polizeifunk im Auge. Der Rest von euch hält sich für den Ernstfall bereit und beobachtet weiterhin die Nachrichten.“ 11 Ziellos fliegt Logan dorthin, wo Benedikt Watson ermordet wurde. Doch der Elf ist selbstredend nirgends auszumachen. Zudem umstellt inzwischen so viel Polizei das Gebäude, dass nicht einmal eine Fliege lebend dort hineinkommen könnte. Wo soll er also nach dem Jungen suchen? Lebhaft kann er sich vorstellen, dass Watson erst der Anfang von Kurts Amoklauf war. Aber wer könnte der Nächste sein, wo New York doch ein echter Pool an miesen Typen ist – immer voraus gesetzt der Teleporter hat es wirklich nur auf böse Buben abgesehen und sein Gefühl täuscht in dahingehend nicht. Das macht es dem Jäger allerdings auch völlig unmöglich, sich irgendwie festzulegen. Nagende Verzweiflung macht sich in ihm breit und schürt seine unbeherrschte Wut auf die Menschheit nur noch mehr. „Verdammte Scheiße!“, platzt es aus ihm heraus und er schlägt mit zitternden Fäusten auf das Armaturenbrett ein, woraufhin es ihm die Wolf 2 mit einem unschönen Hopser in der Luft dankt und dann fast mit einem Sendemast kollidiert. ‚Logan...‘, kitzelt es plötzlich in seinem Kopf, als er den Jet gerade wieder unter Kontrolle hat, und der Angesprochene zuckt so heftig zusammen, dass er das Fluggerät fast wieder ins Wanken bringt. Eigentlich will er Charles auch direkt wieder aus seinem Schädel hinauswerfen, entscheidet sich dann aber doch dagegen, platzt ihm dieser doch schon beinahe vom ganzen Grübeln. ‚Was ist?‘, fragt er gedanklich knurrend; bereit, seine Entscheidung jeden Moment zu ändern, was Xavier nur zu deutlich spüren kann. ‚Ganz ruhig, Logan! Ich werde dich nicht aufhalten, wohl aber dich so gut es geht unterstützen.‘ ‚Wie das?‘, fordert der Ältere zu wissen. ‚Mit Hilfe von Cerebro habe ich alle Leute eingefroren, die sich gerade vor einem Fernseher oder Radio aufgehalten haben, was zur jetzigen Zeit wohl der Großteil der Stadt gewesen sein dürfte. Sie werden sich später nicht mehr daran erinnern können, was Kurt getan hat, wenn das hier vorbei ist. – Allerdings kann ich im Moment nichts gegen die Kameraaufnahmen unternehmen. Doch darüber können wir uns später noch Gedanken machen. Jetzt ist es nur wichtig, dass du Kurt wieder nach Hause bringst und wir ihn wieder zur Vernunft bringen können. – Ich hoffe, du rastest nicht aus, aber ich habe Bobby und Piotr losgeschickt, um dir zu helfen...‘ Wolverine gibt ein leichtes Knurren von sich, das sein Missfallen ausdrückt. Dann seufzt er schwer. ‚Schon gut. Ist vielleicht sogar besser so...‘ ‚Gut, dass du das so siehst. – Ich fürchte allerdings, dass ihr euch sehr beeilen müsst, Nightcrawler zu finden. Scott hat gerade über den Polizeifunk mitbekommen, dass es ein weiteres Opfer gibt...‘ Überrascht reißt der Kanadier die Augen auf, doch das ist nur äußerlich. Innerlich hat er sich ja schon gedacht, dass das nur der Anfang war. Auch wenn er nicht damit gerechnet hat, dass es so schnell weitergeht, ist sein letzter Mord doch gerade einmal acht Minuten her. ‚Wer und wo?‘ ‚Giovanno Portello auf der Upper East Side. Der Name sagt dir doch sicher etwas...‘ ‚Auf jeden Fall!‘, knurrt der Schwarzhaarige verstimmt in Gedanken und wendet den Jet in einer uneleganten Schleife. Portello ist der Boss der hiesigen Mafia. Zu seinen Hobbies gehören unter anderem Menschenhandel – insbesondere junge Frauen und Kinder aus Taiwan, die er hier für kranke Sexspielchen missbrauchen lässt – und der Verkauf von übertrieben getunten Autos, die wöchentlich grausige Unfälle mit tödlichem Ausgang bei illegalen Straßenrennen verursachen. Er ist ein äußerst ätzender Typ, der den Tod mehr als nur verdient hätte, aber ganz sicher nicht so, nicht durch einen ehrenwerten X-Men. Wenn sich die Polizei später die Überwachungskameras auf Portellos Grundstück ansieht, wird sie feststellen, dass der Mafiosi gerade dabei war, ein paar Runden in seinem Pool zu drehen, während er sich mit zwei blutjungen Mädchen vergnügt hat und vier Bodyguards alles im Auge hatten. Doch auch sie konnten nicht verhindern, dass plötzlich aus dem Nichts ein schwertschwingender, blauer Teufel direkt auf den Schultern des fetten Mistkerls auftauchte, ihn dabei unter Wasser drückte und den Pool dann mit grausiger Röte füllte. Während die jungen Mädchen sich die Seele aus dem Leib schien, kletterte der Elf in aller Ruhe wieder aus dem Becken heraus, funkelte die Leibwächter mit roten Augen an, grinste dermaßen dreckig über das ganze Gesicht und verschwand dann wieder in einer stinkenden Wolke, ehe einer der Männer auf ihn schießen konnte. Zurück blieb nur eine Pfütze auf den glatten Fliesen und ein kurzer Schauer aus rosafarbenen Wassertröpfchen, die beim Verschwinden des Mutanten scheinbar zurückblieben. ‚Kannst du sehen, wo Kurt jetzt ist?‘, fragt Logan. ‚Einen Moment. – Ich habe da etwas, doch ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll...‘, kommt es zweifelnd von Charles, während er Wolverine geistig die Koordinaten und ein Bild sendet. ‚Aber ich! Es ist ein verdammter, geheimer Militärstützpunkt!‘ Am anderen Ende herrscht einen Moment bedrücktes Schweigen. ‚Ich hoffe inständig, dass du dich irrst, Logan...‘ Xaviers Stimme ist deutlich anzuhören, wie nahe ihm das Ganze geht, wie fertig es ihn macht, wie hilflos er sich fühlt. Es fehlt nicht mehr viel und er bricht in Tränen aus, so kommt es dem Jäger in jedem Fall vor. Er kann es ihm nicht verübeln. Die X-Men sind wie seine Kinder für ihn und in solchen Momenten spürt er sein väterliches Versagen so heftig, dass er auf der Stelle sterben möchte. Logan weiß das, hat es mehr als einmal miterlebt, diese Verzweiflung, und fühlt sich selbst nicht besser. Doch im Gegensatz zu Charles ist Wolverine das Sterben verwehrt und seine ruhelose Wut hindert ihn zusätzlich daran, sich solchen Gedanken auch nur hinzugeben. ‚Ich auch, Professor, ich auch...‘ Aber beide wissen nur zu gut, dass sich der Kanadier nicht irrt und Kurts Leben daher am seidenen Faden hängt... 12 Wenig später erreicht Logan die fast völlig unterirdisch liegende Militärbasis. Inzwischen hat Nightcrawler ein drittes Opfer zu verzeichnen – irgendeinen Chef einer Bande Krimineller, die sich darauf versteht, seit Monaten überall in der Stadt Feuer zu legen und so hauptsächlich Schulen und Kindergärten zu zerstören, während sich dort drinnen Menschen aufgehalten haben. Allerdings hat sich der Jäger nicht die Mühe gemacht, dorthin zu fliegen, da Kurt anscheinend nach jedem Mord zur Basis zurückkehrt. Vermutlich um sich ein verbales Leckerli abzuholen und den Namen seines nächsten Opfers. Von daher hofft der Krieger, ihn hier irgendwie abfangen zu können. Er hat die Wolf 2 kaum gelandet und mit dem Tarnmodus unsichtbar gemacht, da registrieren seine scharfen Ohren ein leises Geräusch in der Nähe – Bamf! Als er sich umsieht, erblickt er Kurt auf dem einzig sichtbaren Teil der Basis hockend – eine Art großem Schuppen, nicht ganz ein Hangar, aber nahe dran. Der Bengel sieht sich ein paar Mal um, als fürchte er, dass ihn hier in dieser Einöde, wo es außer diesem Schuppen und Stacheldrahtzäunen rein gar nichts gibt, irgendjemand sehen könnte. Dann klettert er kopfüber durch ein offenstehendes Fenster und verschwindet aus Logans Blickfeld. Wobei der Schwarzhaarige hofft, sich selbst auch darüber Zugang verschaffen zu können. In der Ferne hört er fast flüsternd den Black Bird sich nähern. Gut, dann kann die Party ja beginnen! 13 Es gestaltet sich etwas schwieriger als gedacht, sich Zutritt zu verschaffen, aber letztendlich ist der Geruch des Elfen hier so durchdringend, dass Wolverine keine Probleme mehr hat, Wesley zu finden. Fauchend und knurrend bricht er die letzte Stahlschleuse auf, die ihn noch vom Ziel trennt, nur um dann mitanzusehen, wie Kurt gerade mit einem neuen Auftrag verschwindet. Es ist schön, dich zu kennen Mit dir zu reden oder auch Musik zu hören „Verfluchte Scheiße!“, brüllt Wolverine und hastet auch schon auf den Hauptmann zu, der sich im Moment als Einziger hier befindet, ehe dieser ganz begreift, was eigentlich los ist. Grob packt ihn der Kanadier am Kragen seiner perfekt gebügelten Uniform und knallt ihn so heftig gegen die nächste Wand, dass er fast das Bewusstsein verliert. Doch diesen Luxus darf sich Wesley keinesfalls erlauben, nicht dieser krallenbewehrten Bestie gegenüber. Immerhin kennt er die wenigen, verbliebenen Berichte von damals sehr gut, als man versucht hat, Logan zu einer ultimativen Waffe heranzuzüchten, was ihn ja erst auf die Idee gebracht hat, das Ganze in etwas anderer Form noch einmal zu versuchen. Sogar Schweigen ist nie peinlich zwischen uns Und das ist auch gut so! „Hol ihn sofort zurück, oder ich mache Hackfleisch aus dir, Freundchen!“, faucht der Ältere ungehalten und fährt mahnend die Krallen aus. „Selbst – selbst wenn ich es wollte, kann ich es nicht. – Er kommt erst zurück, wenn – wenn er seinen Auftrag ausgeführt hat. Vorher habe – ich keine Kontrolle über ihn. Die – Distanz ist zu groß...“, bringt der Hauptmann stockend hervor und windet sich schmerzlich unter dem festen Griff des kleinen Mutanten. Unbeherrscht rammt Logan die Krallen seiner Linken bis zum Anschlag in die Wand direkt neben Wesleys Kopf hinein und knurrt so animalisch, dass dem Jüngeren ganz flau im Magen wird und er es gerade noch verhindern kann, sich in die Hosen zu machen. Heucheln und Lügen ist sinnlos, Weil wir uns gegenseitig fast wie Glas durchschauen Langsam und zittrig streckt er seine Hand aus und versucht einen Knopf auf der Konsole neben sich zu erreichen. Allerdings bemerkt es der aufgebrachte Vielfraß und eine Sekunde später schießt ein heftiger Schmerz den Arm des Weißhaarigen hinauf. Dann folgt ein dumpfes Geräusch und als er hinabsieht, glotzt er ungläubig auf seine Hand, die nun auf dem Boden liegt. Dieser wahnsinnige Mutant hat ihm mit einem Hieb seiner Krallen die ganze Hand abgetrennt! „Was – was – hast du getan?“ „Sei froh, dass es nichts Anderes war, das ich dir abgeschnitten hab, du dreckiger Hurensohn! Doch das wird passieren, wenn du auch nur noch einmal zuckst! Außerdem ist niemand mehr da, den du um Hilfe rufen kannst. Und falls ich doch eine dieser Maden übersehen habe, werden sich meine Kollegen sicher gleich darum kümmern!“ Wir machen uns schon lange nichts mehr vor Und das ist auch gut so! „Das – das wird deinem blauen Freund auch nicht mehr helfen. Die – Droge hat ihn inzwischen völlig vereinnahmt.“ „Dann macht es rückgängig, und zwar sofort!“ „Das – kann ich nicht. Sein Handeln wird von blanker Wut bestimmt. Es braucht ein gegensätzliches, positives Gefühl, um die Wirkung aufzuheben...“ „Kein Problem, wir holen einfach Storm. Kurt ist doch tierisch in sie verknallt, oder nicht?“, ertönt auf einmal Bobbys Stimme hinter ihnen. Du hast in meinem Arm geweint So manche Nacht mit mir durchträumt Logan blickt kurz über die Schulter und war selten so froh, die beiden zu sehen. „Keine Zeit!“, knurrt Wolverine dennoch. „Es wird auch nicht funktionieren.“, erwidert der Hauptmann, trotz der Schmerzen und dem Blutverlust, jetzt breit grinsend. „Warum nicht?“, fragt Piotr verwundert. „Ganz einfach: Weil kein Gefühl in dem Bengel so stark ist, wie seine Liebe zu Gott! Und ICH bin im Moment Gott für ihn!“ 14 Entsetzt sehen sich die drei Mutanten an. „Das kann doch wohl alles nicht wahr sein!“, entkommt es Logan verzweifelt, wobei ihm klar wird, dass dieser Mistkerl doch tatsächlich das geschafft hat, was die Schweine damals bei Wolverine so vergeblich versucht haben: Die ultimative Waffe zu erschaffen! Die letzten Zweifel ausgeräumt Ich kenne dich und du mich! „Du verfluchtes Dreckschwein! Ich sollte dich...“, setzt der Krieger an und holt mit seiner krallenbesetzten Faust aus. „Wenn du mich tötest – wenn du also GOTT tötest –, gibt es keine Hoffnung mehr für deinen Freund! Absolut keine!“, grinst Wesley, woraufhin Logans Klauen nur wenige Millimeter vor seinem Gesicht stoppen, während ein merkliches Zittern über den gedrungenen Körper des Mutanten hinweggleitet. Knirschend beißt er die Zähne zusammen und lässt den Hauptmann dann achtlos zu Boden fallen. Stattdessen rammt er seine Krallen in sämtliche Konsolen. Das schockiert Wesley zwar äußerlich, aber er braucht sie schließlich nicht mehr, um Kurt zu kontrollieren. Du bist nicht hart im Nehmen Du bist beruhigend weich Und wenn man vom Teufel spricht, erscheint er auch schon in einer violetten Wolke. Allerdings nehmen seine blutroten Augen die anderen Mutanten gar nicht wahr. Er reagiert nicht einmal darauf, dass Bobby seinen Namen ruft. Er hat nur Augen für seinen angeblichen Gott, der verwundet in einer Ecke sitzt. Erschrocken eilt Nightcrawler zu ihm. „Oh, Heiliger Vater, was ist passiert?“, fragt er sichtlich aufgelöst. „Eindringlinge...“, presst der Weißhaarige hervor, und die drei Mutanten ahnen, was jetzt kommen wird. In diesem Moment bemerkt sie der Teleporter. „Bring sie alle um und lass Gott sie aussortieren!“, befiehlt der Hauptmann mit einem wahnsinnigen Lachen. Dich nicht zu mögen, ist nicht leicht Du bist kein Einzelkämpfer Schneller als einer von ihnen gucken kann, wendet sich der Fellträger mit gezogenem Schwert herum und hält auf sie zu. Panisch schießt Bobby einen Eisstrahl auf den Elfen ab, der ihn augenblicklich einfrieren lässt. Die Spitze seines Schwerts kommt dabei direkt auf dem Nasenrücken des Brünetten zum Liegen. Zitternd sinkt Robert auf die Knie hinab und schluckt schwer. „Himmel, das war knapp...“, bringt er der Ohnmacht nahe hervor. „Ist noch nicht vorbei...“, meint Colossus trocken. Iceman will ihn schon fragen, wie er auf etwas so Absurdes kommt, doch dann hört auch er das verräterische Knacken von brechendem Eis. „Das ist nicht möglich!“, meint er noch weinerlich, dann fliegen ihnen auch schon die Eisbrocken um die Ohren. Du bist so herrlich wach Vertrau mir und benutz mich! Abermals hält der blaue Teufel auf Bobby zu. Dieser sieht sich jedoch außer Stande etwas zu tun, sitzt nur wie erstarrt auf dem Boden. Daher holt nun Piotr mit seiner mächtigen Stahlfaust aus, auch auf die Gefahr hin, Nightcrawler damit womöglich den Schädel einzuschlagen. Kurt ist allerdings zu flink für ihn und Colossus muss auf schmerzhafte Weise die Rechnung dafür zahlen. Das Schwert des Teleporters durchdringt fast schon mühelos den stahlummantelten Oberarm des Russen und lässt ihn so mit einem heiseren Schrei zu Boden sinken. Wozu sind denn schließlich Freunde da?! Nicht zum ersten Mal an diesem Tag überkommen Logan heftige Schuldgefühle. Die Klinge des Schwerts ist aus Adamantium, genau wie seine Krallen, und damit eines der wenigen Dinge, die Piotr wirklich gefährlich werden können. Unweigerlich fällt Wolverine daher ein Spruch ein, den ihm einst ein japanischer Sensei gesagt hat, bei dem er in der Lehre war: Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen. Logan hat sich das nie wirklich zu Herzen genommen oder gar verstanden, da er sich seine Klingenkrallen ja nicht ausgesucht hat und sie wohl auch niemals loswerden wird, doch nun begreift er die Sinnhaftigkeit des Spruchs unweigerlich und mit einer Härte, die ihn umzuwerfen droht. Immerhin hat ER allein Kurt das Schwert in die Hand gegeben, ihn bis zur tödlichen Perfektion trainiert, und wenn es ihm nicht gelingt, es ihm wieder abzunehmen, wird man ihn vor seinen Augen töten... Ich lese in deinen Gesten Freue mich, wenn ich ein echtes Lachen sehe Der Schmerz ist so gewaltig – wie flüssiges Blei in seinem Blut –, dass Colossus seine Transformation nicht mehr aufrechthalten kann. Darauf hat Nightcrawler nur gewartet. Es folgt ein äußerst unschönes Geräusch, mit dem das untere Ende des Hefts gegen die Schläfe des Russen knallt und ihm fürs erste die Lichter ausbläst. Kurz darauf ereilt Iceman ein ähnliches Schicksal. Die beiden zu erledigen, hat gerade mal drei Sekunden gedauert. Rein äußerlich ist Logan froh, dass Kurt die beiden nicht sofort tötet, wie es ja eigentlich sein Befehl war. Innerlich ist er sogar stolz auf seinen Elfen, zu was für einem begnadeten Kämpfer er sich doch entwickelt hat, auch wenn das nicht wirklich er selbst ist. Als sich ihm der Fellträger nun zuwendet, sieht der Jäger allerdings den Grund dafür, dass Piotr und Bobby noch leben in den blutroten, leeren Augen aufleuchten: Aus reinem Spaß an der Freude! Die Brücke zwischen uns ist gnadenlos belastbar Und das ist auch gut so! Abermals hat Wolverine das Gefühl in einen Spiegel zu blicken, hat er selbst es doch oft genossen, seine Opfer langsam und grauenvoll zu töten. Doch das ist nicht Kurt, nicht sein sanftmütiger, unschuldiger Elf, den sonst kaum etwas aus der Ruhe bringen kann! Aber er ist noch irgendwo da drin, dass kann der Vielfraß spüren. Und daher beginnt nun ihr gemeinsamer Todestanz. 15 Wie schon unzählige Male im Gefahrenraum, stehen sich die beiden Freunde nun gegenüber. Ihre Adamantiumwaffen glänzen todbringend im Schein der Deckenbeleuchtung. Das Schwert des Elfen kann Logan zwar nicht töten, ihm aber dennoch ziemlich gefährlich werden. Die Wunden, die es reißt, heilen um ein Vielfaches langsamer, was den Jäger in arge Bedrängnis bringen kann, wenn ihm durch den Blutverlust die Puste ausgeht und Kurt dann Gelegenheit haben sollte, ihm einen Körperteil zu amputieren. Daher verflucht er sich ein ums andere Mal wieder, dass er Nightcrawler so wunderbar trainiert hat, dass der Bengel praktisch jeden seiner Angriffe durchschauen oder vorhersehen kann, und erst recht, dass er ihm dieses ganz besondere Schwert seines alten Senseis gegeben hat. Allerdings kennt auch Wolverine die Kampftechnik des Teleporters und diese scheint sich – im Gegensatz zu seinem Verhalten – nicht verändert zu haben, was hoffentlich ein Vorteil ist. Wir kosten uns Nerven Tauschen Ideen und manchmal auch das letzte Hemd Doch das alles lässt sich jetzt nicht mehr ändern. Er muss nur selbst zusehen, dass er Kurt im Affekt nicht ausversehen tötet. Dass könnte er sich niemals verzeihen. Also irgendwie Ruhe bewahren. Allerdings prallen alle Worte einfach an Nightcrawler ab. Nichts dringt zu ihm durch und so ist es ein sehr langer und unerbittlicher Kampf, in den sich beide immer mehr hineinsteigern. Philosophieren und saufen und werden uns nie mehr trennen Und das ist auch gut so! Das Serum hat den Teleporter so sehr unter Kontrolle, dass dieser gar nicht merkt, wie schwach er irgendwann wird. Auch Wolverine holt schon ziemlich angestrengt Luft. Sie sehen mittlerweile beide aus, als wäre eine Herde wildgewordener Katzen über sie hergefallen. Tödliche Treffer sind zwar keine dabei, doch der akute Blutverlust wird den Fellträger bald in die Knie zwingen oder sogar umbringen, sollte er zum Teleportieren ansetzen, was er während des ganzen Kampfes gnädiger Weise unterlassen hat. Dessen ist sich auch Wesley bewusst. Doch es darf nicht so enden. Nicht, bevor Kurt die letzte und wichtigste Person auf der Liste getötet hat: Den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika! Wir haben uns versöhnt, verkracht So manchen derben Witz belacht Als Nightcrawler nun durch einen Hieb in die Knie geht und nicht mehr in der Lage scheint, wieder rechtzeitig aufzustehen, treffen sich ihre Blicke zufällig. Das reicht aus, um die ungeteilte Aufmerksamkeit seines kleinen Attentäters zu bekommen. „Vergiss diesen Idioten, mein Sohn! Du hast nun eine wichtigere Aufgabe. Töte den Präsidenten, töte Richard Nixon!“ Uns gegenseitig Mut gemacht Ich brauch dich und du mich, oder? Wild flammen Kurts Augen auf und er macht sich kraftlos zum Sprung bereit. „NEIN!“, entkommt es Logan noch, doch er wird den Elfen nicht aufhalten können, selbst wenn er es schafft, ihn rechtzeitig zu fassen zu bekommen. Wesley grinst kraftlos und sieht sich schon als großen Sieger. Dann jedoch reißt Kurt überrascht die Augen auf, stößt einen gequälten Schrei aus, während ein heftiges Zittern seinen geschundenen Körper hinabgleitet. Im nächsten Moment bricht er ohnmächtig auf dem Boden zusammen... 16 “Was zum Teufel...?“, entkommt es dem Hauptmann verständnislos, doch Wolverine schenkt ihm keine Beachtung. Dafür spürt er wieder ein Kitzeln im Kopf. ‚Charles? Du warst das gerade, oder?‘, fragt er hoffnungsvoll. Der Professor antwortet jedoch nicht gleich. Als er es dann doch tut, ist seine Stimme schwach und sehr erschöpft. ‚Ja – ich war es. – Doch – dafür habe ich – die Verbindung zu – zu den Leuten verloren. – Hier wird gleich alles – drunter und drüber gehen, doch – dass – dass ist jetzt egal. – Kurts Gedanken – sind für mich völlig undurchsichtig. – Ich hatte die ganze Zeit – schon versucht ihn – ihn auszuknocken. – Bin aber nicht – nicht durchgekommen. – Werde es – auch nicht wieder schaffen. – Doch ich konnte – konnte den letzten Befehl – löschen. – Wenn – wenn er aufwacht –, wird – wird er dich wieder – angreifen. – Du musst...‘, doch Xavier bricht zusammen, ehe er den Satz beenden kann. Wolverine braucht die letzten Worte aber auch nicht, um zu wissen, was zu tun ist. Du bist nicht hart im Nehmen Du bist beruhigend weich „Was geht hier vor? Was hast du mit ihm gemacht?“, fragt Wesley zornig, ohne darauf zu achten, dass er mit einem äußerst wütenden Vielfraß spricht. „Halt endlich die Schnauze, Arschloch!“, gebärt sich der Schwarzhaarige und rammt ihm dann seine Krallen in die Brust. Mit einem letzten, blubbernden Luftholen stirbt der Hauptmann schließlich zu seinen Füßen. Dich nicht zu mögen, ist nicht leicht Du bist kein Einzelkämpfer Erschöpft wendet sich der zu kurzgeratene Kanadier seinem Elfen zu. Dieser kommt auch gerade wieder zu sich, wie Logan nicht sonderlich erfreut feststellt, hatte er doch gehofft, noch ein paar Augenblicke zu haben. Allerdings sind Bobby und Piotr noch immer weggetreten, also eine Sorge weniger. Daher wird sich Kurt wohl ganz auf ihn konzentrieren. Du bist so herrlich wach Vertrau mir und benutz mich! Schwerfällig versucht Nightcrawler irgendwie auf die Füße zu kommen, doch der Blackout, den Charles ihm verpasst hat, hat ihm fast jeglicher Kraft beraubt. So sackt er wieder auf die Knie zurück, während ihm das Schwert aus den zitternden Fingern rutscht. Logan kann diesen Anblick kaum ertragen. Auf wackligen Beinen nähert er sich seinem Elfen. Der blaue Bengel versucht ihn anzufauchen, doch es klingt mehr als nur kläglich. Wozu sind denn schließlich Freunde da?! Wolverine geht vor ihm auf die Knie. Kurt versucht von ihm wegzurutschen, doch der Ältere zerrt ihn grob wieder zu sich heran. Er ignoriert die gebleckten Zähne des Jungen und schickt stattdessen ein Stoßgebet in den Himmel. Anschließend überbrückt er den kurzen Abstand zu seinem Freund und hofft, dass sein Plan aufgeht, obwohl dieser ganz allein auf der Annahme beruht, dass Nightcrawlers Gefühle für ihn wirklich so stark sind, wie der Bengel es sich einbildet. Das Gleiche gilt für Logans Gefühle, die er sich auch jetzt nicht eingestehen will, weil er weiß, dass das Ganze ein tragisches Ende nehmen wird, so wie immer... Als er seinen geliebten Elfen jetzt zum ersten Mal küsst – wobei er sich wünscht, dass sie es vorher schon mal getan hätten, dann wäre das alles nicht so schrecklich –, spürt er, wie sich der Teleporter unter seinem Griff versteift, ihn wegzudrücken versucht und ihm abwehrend die scharfen Zähne in die Lippen rammt, wodurch sie beide kurzzeitig das Blut des Vielfraßes schmecken können. Doch Wolverine wäre nicht Wolverine, wenn er sich davon abschrecken lassen würde. Statt also zurückzuweichen, verstärkt er seine Bemühungen noch. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, doch dann merkt er, wie die Gegenwehr des Jungen allmählich schwindet und Kurt schlussendlich sogar den Kuss ergeben erwidert. Allerdings kann sich keiner der beiden darüber freuen. Ruckartig trennt sich Nightcrawler auf einmal von ihm, zittert am ganzen Körper, würgt erstickt. Schließlich übergibt sich der Bengel sogar in einem gewaltigen Schwall, der eine sehr ungesunde schwarz-grüne Farbe hat. Für eine Sekunde treffen sich ihre Augen, wobei der Blick des Fellträgers wieder völlig klar zu sein scheint. Dann bricht er abermals ohnmächtig zusammen. „Gott sei Dank...“, keucht der Kanadier und lässt sich dann ebenfalls auf die kalten Fliesen fallen. 17 „Glaubst du, die beiden sind tot?“, kommt es vorsichtig von Bobby, während er sich den schmerzenden Kopf reibt, wo Kurt ihn mit dem Schwertgriff erwischt hatte. „Net – hoffe ich zumindest...“, erwidert Piotr unsicher, wobei er einen Streifen seines Hemdes dazu benutzt, um seine noch immer stark blutende Wunde zu verbinden. Daraufhin beginnt sich der Schwarzhaarige zu regen. „Logan!?“, kommt es als Chor. „Ah, haltet die Klappe, mir platzt gleich der Schädel...“, brummt der Angesprochene verstimmt. „Was ist mit Kurt?“ Daraufhin setzt sich der Jäger trotz der Schmerzen ruckartig auf. Schwerlich versucht er sich zu konzentrieren, um Charles zu erreichen. Allerdings meldet sich stattdessen Jean, da der Professor noch nicht wieder auf den Beinen ist. ‚Hat es funktioniert, Logan?‘, fragt sie, wobei sie nicht weiß, was der Ältere genau gemacht hat, aber das spielt auch keine Rolle. ‚Sag du es mir, Schätzchen.‘, meint er müde, woraufhin sich Jean in Kurts Gedanken einzuklinken versucht. Der Elf stöhnt schwach auf, ohne zu sich zu kommen. ‚Seine Gedanken scheinen wieder normal zu sein. Zumindest kann ich nichts Ungewöhnliches feststellen und habe auch keine Probleme hineinzukommen.‘, meint die Rothaarige hörbar erleichtert. Zehn Minuten später hat der Black Bird die Wolf 2 im Schlepptau und fliegt gemeinsam mit den vier Mutanten zurück nach Hause. Erleichterung schwingt im Cockpit. Doch Wolverine wird das nagende Gefühl nicht los, einen Fehler gemacht zu haben: Der Kuss. Ist das Ganze also vielleicht doch kein glückliches Ende, so wie es jetzt den Anschein haben mag...? Tears and Goodby ---------------- 1 Drei Tage sind seit diesem Unglück ins Land gezogen und inzwischen weiß Kurt auch ziemlich gut, was er alles getan hat. So recht glauben kann er es selbstverständlich nicht, doch die Beweise sind erdrückend und er muss sie einfach hinnehmen. Doch niemand würde ihm jemals die Schuld an dem Ganzen geben, dass wäre mehr als nur unfair. Allerdings ist Nightcrawler sehr gut darin, sich selbst die Schuld zu geben, auch wenn das schlichtweg sinnfrei ist, was ihm die anderen X-Men auch immer wieder sagen. Aber der Teleporter weiß nur zu gut, dass sie ihm noch so viele nette Worte entgegenbringen können, letztendlich wird Gott allein über sein Schicksal entscheiden und niemand sonst... Ein Vorbote dessen könnte sein, dass Kurt seither unter schrecklichen Albträumen leidet und überhaupt nur ein Auge zumachen kann, wenn er bei Logan schläft, was der Kanadier sehr gut verstehen kann und es ihm daher auch nicht verweigert, auch wenn es sich komisch für ihn anfühlt, haben sie doch so nie das Bett zusammen geteilt. Das macht den Älteren sehr nachdenklich, das alles macht ihn seither sehr nachdenklich. Seine Gefühle haben schon während des Ganzen verrücktgespielt und dadurch wird es nicht besser. Der Schwarzhaarige erwacht an diesem frühen Morgen mit einem unguten Gefühl, das er jedoch noch nicht so recht deuten kann. Als er den Kopf leicht zur Seite dreht, sieht er seinen kleinen Elfen neben sich liegen, wie er sich in Logans Arm kuschelt, sich praktisch wie ein Ertrinkender daran festklammert. Sein Gesicht wirkt nicht so entspannt, wie man es von einem Schlafenden erwarten würde. Es ist eher leicht verkrampft. Fahrig kaut er sich auf der Unterlippe herum, die schon ziemlich mitgenommen aussieht. Alles in allem sieht Kurt so aus, als würde er sich schwerlich zu verkneifen versuchen, in Tränen auszubrechen, um dadurch womöglich alles in seinem Traum nur noch schlimmer zu machen. Tief seufzt der Ältere und zieht ihn noch etwas dichter an sich heran, um ihm halbwegs ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, auch wenn er ihn leider nicht vor seinem bösen Traum beschützen kann. Dadurch verstärkt sich das ungute Gefühl in ihm aber nur noch mehr. Er spielt mit dem Gedanken, es einfach zu ignorieren und noch etwas die Ruhe zu genießen. Letztendlich ist es Charles nämlich doch noch gelungen, nicht nur die Erinnerung der Leute an diese Grausamkeit auszulöschen, sondern auch die Kameraaufnahmen zu vernichten. Von daher dürfte Kurts Fehltritt keine weiteren Konsequenzen haben, mal abgesehen vom zerstörten Seelenheil des Jungen, und dass ist schließlich schon schlimm genug, wenn man sich den armen Kerl nur einmal ansieht, wie fertig er wirkt, wie sehr ihn das alles belastet. Seine Erfahrung lehrt Wolverine allerdings, dass Ruhe meistens mit einem sehr lauten Knall endet. Und dieser Knall soll schon keine zwei Stunden später eintreten und die X-Men weit mehr schockieren, als es Nightcrawlers ungewollter Amoklauf schon getan hat. Doch den junge Teleporter wird es abermals am härtesten treffen... 2 Auch Xavier beschleicht ein ungutes Gefühl. Deshalb begibt er sich nach langem Nachdenken nach draußen zum großen Tor und blickt die Straße entlang, die in die Stadt führt. Stumm starrt er auf den Asphalt hinaus und konzentriert sich. Jemand nähert sich zielstrebig dem Zuhause der X-Men, oder besser gesagt: Viele Jemande. Allerdings ist der Professor nicht in der Lage in ihre Gedanken vorzudringen, und dass macht ihm große Sorgen. Es macht ihm auch klar, dass diese Leute wissen, was sie hier womöglich erwarten könnte und sich daher irgendwie darauf vorbereitet haben. Viele Personen kommen für diesen ungewollten Besuch daher nicht infrage. Charles ist sich jedoch sicher, dass es sich um keinen Mutanten handelt, aber das ist auch schon das Einzige, was er mit Sicherheit sagen kann. Dann bleibt nur noch die Spezial-Mutanten-Einheit der Polizei. Eine überaus zweckmäßig trainierte Truppe junger Männer, die darauf ausgelegt ist, Mutanten jeglicher Art in Gewahrsam zu nehmen, damit sie vor einem Gericht für ihre Missetaten bestraft werden können. Ihr wirkungsvollstes Werkzeug ist dabei ein hochentwickeltes Halsband, das das X-Gen unterdrücken kann und den Mutanten somit im besten Fall kampfunfähig zu machen, ohne ihm körperlich zu schaden. Nicht selten tragen die Beamten diese Halsbänder auch selbst, aus dem einfachen Grund, dass diese auch dazu in der Lage sind, die Wirkung mancher Kräfte abzublocken, wenn sie damit konfrontiert werden. Dies gilt insbesondere für Psi-Kräfte. Somit wird es Xavier nicht möglich sein, die Polizisten mental zu beeinflussen, sollten sie diese Halsbänder angelegt haben. Keine fünf Minuten später biegt ein schwer gepanzerter Einsatzwagen um die Ecke und hält auf das Tor zu. Auf seinem schwarzen Lack prangern große, weiße Buchstaben, die das Wort X-SWAT bilden und bestätigt damit, was der Professor schon befürchtet hat. All seine Bemühungen waren anscheinend doch vergebens und dieses Team ist nun hier, um Kurt seiner rechtmäßigen Strafe zu zuführen! Nichts wird diese Männer davon abhalten können, ihrem Befehl nachzukommen, erhalten sie ihre Anweisungen doch vom Obersten Gerichtshof und dem Präsidenten höchstpersönlich. Auf Nightcrawler wartet das Gefängnis, wo er vermutlich den Rest seines noch so jungen Lebens verbringen muss. Ein spezielles Gefängnis nur für Mutanten, mit dem passenden Namen Die Box, weil es wir ein Würfel ohne Fenster und jegliche Zugänge aussieht. Es wurde aus ganz speziellen Materialien hergestellt, die allesamt das X-Gen unterdrücken, und somit ist nicht einmal ansatzweise an Flucht zu denken. Hinzu kommt, dass Mutanten keine Bewährung genehmigt wird oder gar so etwas wie Haftaufschub oder frühzeitige Entlassung wegen guter Führung. Solche Gesetze gibt es für Mutanten nicht. Sie sind eine Bedrohung, die ausradiert werden muss und weiter nichts. Solche Wesen haben keine Rechte verdient! Charles kämpft praktisch schon sein Leben lang dafür, dass Mutanten die gleichen Rechte bekommen, so wie es schon die Farbigen getan haben. Doch diese sind trotz ihrer dunklen Hautfarbe reine Menschen, was die Mutanten in den Augen aller nicht sind, egal was man ihnen auch immer versucht zu erklären. Xavier hatte immer gehofft, niemals den Tag erleben zu müssen, an dem einer seiner X-Men – seiner Kinder, wie er sie gern nennen möchte – auf so grausame Weise von ihm weggerissen wird und dort versauern muss, wo niemals die Sonne scheint. Oder gar Schlimmeres, denn die Strafen für Mutanten sind oftmals wesentlich härter als für normale Kriminelle... Schließlich stoppt der große Wagen direkt vor dem Tor und zehn Männer in schwerer Schutzkleidung treten heraus. Gleich einer Militärtruppe reihen sie sich vor den schmiedeeisernen Streben auf und ihr Captain tritt vor, um mit dem Mann im Rollstuhl auf der anderen Seite des Zauns reden zu können. Unweigerlich fällt der Blick des Professors dabei auf das klobige Halsband, das er trägt und das auch all seine Männer angelegt haben. „Charles Xavier, ich bin Captain Former und Ihrer Anwesenheit hier entnehme ich, dass Sie wissen, weswegen wir hier sind. Von daher wäre es wünschenswert, wenn Sie unsere Arbeit nicht behindern würden und den Angeklagten unverzüglich ausliefern. Sollten Sie zur Kooperation bereit sein, verspreche ich, dass keinem von den Ihren Schaden zugefügt wird. Sollten Sie sich jedoch weigern, sehen wir uns gezwungen Gewalt anzuwenden.“ Die stechend blauen Augen des Captains mustern Charles durch das hochgeklappte Visier seines Helms hindurch streng. Praktisch im selben Moment heben die neun Männer seiner Sondereinheit ihre Waffen und zielen damit auf den Professor. Beim kleinsten Zucken werden sie unzweifelhaft abdrücken und ihn hier auf dem nackten Stein vor dem Zaun hinrichten. Wie einen räudigen Köter abknallen, würde es Logan wohl ausdrücken. „Und versuchen Sie gar nicht erst eines Ihrer Gedankenspielchen mit uns abziehen zu wollen. Das würde nichts bringen, wie Sie sicher schon bemerkt haben.“ Der Mann im Rollstuhl gibt ein tonloses Seufzen von sich. „Das habe ich durchaus bemerkt, die Herren. Und ich werde mich Ihrer Arbeit auch nicht in den Weg stellen, auch wenn ich gehofft hatte, dass es nicht so kommen würde...“ Former gibt ein fast schon verächtliches Geräusch von sich. „Reden Sie sich so etwas nur selbst ein, doch Niemand entkommt dem Gesetz, schon gar kein dreckiger Mutant, der vor laufenden Kameras unschuldige Bürger abschlachtet!“, profiliert sich der Captain herablassend. Schwerlich unterdrückt Charles ein Zähneknirschen und schluckt die beleidigenden Worte des anderen Mannes einfach herunter. „Sie wissen also von den Aufnahmen?“, fragt er stattdessen nach. „Oh ja! Ihre kleine Gehirnwäsche mag bei den unbescholtenen Bürgern New Yorks funktioniert haben, wofür wir durchaus sehr dankbar sind, da dadurch wohl eine Massenpanik verhindert werden konnte, was aber nicht bedeutet, dass niemand sonst davon Wind bekommen hat. Die Live-Übertragung der Wahlkampfrede des Bürgermeisterkandidaten wurde aus Sicherheitsgründen auch an unsere Zentrale weitergeleitet, was Sie wohl nicht wussten, sonst hätten Sie womöglich versucht, auch diese Aufnahmen unbrauchbar zu machen und uns zu beeinflussen. Danach hatten wir den Bengel praktisch im Fadenkreuz und haben alles Weitere genau verfolgt.“ „Wenn dem so ist, warum haben Sie dann nicht eingegriffen und versucht zu verhindern, dass diese unschuldigen Leute getötet werden?“ „Aus dem einfachen Grund, dass der Präsident uns zum Abwarten gezwungen hat. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste er nichts von der geheimen Militärdroge, die an dem Bengel ausprobiert wurde, doch er sah durchaus Potential dafür, nachdem er aufgeklärt wurde. Erst als Hauptmann Wesley den Befehl gab, auch den Präsidenten selbst ermorden zu lassen, wurden wir alarmiert einzuschreiten. Als wir am Stützpunkt ankamen, waren Ihre Mutanten aber schon dabei, das Ganze zu unterbinden, weshalb wir uns zurückgehalten haben.“ „Dann weiß Nixon also, dass Kurt nichts für sein Tun kann? Das er gegen seinen Willen dazu missbraucht wurde? Und dennoch lässt er ihn nun verurteilen?“ „So sieht es aus. Nixon wusste davon, was aber noch lange nicht bedeutet, dass der Bengel ungeschoren davonkommt. Er hat Menschenleben gefordert, Blut geleckt, wenn man so will. Wer kann also dafür garantieren, dass er das in Zukunft nicht von sich aus wiederholt?“ „Das ist eine unerhörte Anschuldigung! Kurt ist die reinste und friedfertigste Seele, die ich kenne! Er würde niemals jemandem absichtlich Schaden zufügen, schon gar keinem Menschen!“, empört sich Charles. „Das sagen Sie, doch der Präsident sieht das anders und ist sowieso kein Fan von euch Freaks. Also würden Sie den Bengel jetzt herholen oder sollen wir handgreiflich werden?“ Abermals knirscht Xavier verstimmt mit den Zähnen, verkneift sich jedoch jedes weitere Wort. Minuten vergehen, in denen nichts passiert, in denen sich die Männer auf beiden Seiten des Zauns nur stumm mustern. „Was ist nun?“, fragt Former schließlich streng. „Welche Strafe wird ihn denn erwarten?“, will Charles ohne viel Hoffnung wissen. „Es steht mir nicht zu, diese Auskunft in Abwesenheit des Angeklagten auszusprechen.“, kommt die knappe Antwort. „Das habe ich mir schon gedacht. – Also schön, ich werde ihn rufen...“, seufzt der Professor schwer und konzentriert sich dann, um Kurts Gedanken aufzufangen. 3 Klirrend schlagen die Klingen aufeinander. Nightcrawler und Wolverine befinden sich gerade im Gefahrenraum beim täglichen Training. Trotz der Tatsache, dass Kurt ungewollt mit seinem Schwert Amok gelaufen ist, hat Logan ihn dennoch dazu angehalten, sein Training nicht darunter leiden zu lassen. Dafür ist er einfach zu begabt. Verständlicherweise fiel dem Teleporter der Gedanke nicht sonderlich leicht, wieder zu der Waffe zu greifen, die so sinnlos getötet hat, doch auch der Schwarzhaarige hatte genug Bedenken, ihn überhaupt wieder dazu bewegen zu wollen. Aber letztendlich konnte Kurt schließlich nichts für all das, und es wird auch nicht besser, wenn er sich in Zukunft womöglich wieder gänzlich gegen Gewalt beziehungsweise Selbstverteidigung entscheidet. Somit trainieren die beiden genauso intensiv und begeistert wie zuvor miteinander und schenken sich nichts. Plötzlich stoppt der Elf jedoch mitten in der Bewegung und scheint mit leicht schief gelegtem Kopf zu lauschen. Logan bekommt das allerdings zu spät mit und hält mit seinen tödlichen Krallen direkt auf ihn zu. Kurts Reflexe sind jedoch verdammt gut, sodass er den Angriff noch kommen sieht. Geschwind springt er hoch und lässt den Älteren einfach unter sich durchrennen. Bedrohlich knurrend kommt Wolverine kurz vor der hinteren Wand zum Stehen und wendet sich gerade noch rechtzeitig herum, um den Bengel verschwinden zu sehen. „Der Professor ruft!“, meint er noch knapp und schon ist nur noch eine stinkende Schwefelwolke übrig. „Scheiße, nein!“, entkommt es dem Krieger daher vergebens und das schlechte Gefühl in ihm explodiert regelrecht. Hastig verlässt er ebenfalls den Gefahrenraum und sucht nach dem blauen Fellknäul. 4 Eine Sekunde später taucht Kurt neben Charles auf und versetzt die Polizisten damit in helle Aufregung, denn er hat noch immer sein Schwert in der Hand! Augenblicklich richten sich sämtliche Waffen auf ihn. „Sofort fallenlassen!“, gibt Former streng von sich, weicht aber dennoch nervös anmutend einen Schritt zurück. Nightcrawler ist noch gar nicht klar, was überhaupt los ist, geschweige denn was diese Leute eigentlich wollen, da fasst Xavier ihn nachdrücklich am Arm. „Leg das Schwert weg, Kurt!“, zischt er den Jungen an, doch es liegt nichts Böses in seiner Stimme. Mit großen Augen blickt der Teleporter auf seine Hand hinab. Dabei kann er die vielen, roten Laserpunkte der Schnellfeuerwaffen sehen, die die Polizisten direkt auf seine Brust gerichtet haben. In diesem Moment wird ihm klar, dass er hier nichts weiter als eine lebende Zielscheibe ist. Des Weiteren wird ihm klar, dass er sein Schwert in der Eile tatsächlich mitgenommen hat. Die mentale Stimme des Professors klang so sorgenvoll, dass er darüber gar nicht nachgedacht hat. Eingeschüchtert wirft er die Klinge einige Meter weiter ins Gras und hebt dann ergeben die Hände, wie er es schon hunderte Male im Fernsehen gesehen hat. „Ganz ruhig, Jungs. Das ist nur ein Missverständnis...“, versucht er ihnen mit einem beschwichtigenden Lächeln klarzumachen. Die Polizisten entspannen sich kaum merklich, dennoch bleiben die Waffen drohend auf ihn und Charles gerichtet. Mit festem Schritt tritt der Captain dann wieder an den Zaun heran. Seine kalten, blauen Augen suchen streng die leeren, gelben Seelen des jungen Mutanten und mustern ihn durchdringend. Versuchen herauszufinden, ob er irgendetwas plant oder ob Charles ihn mental zu einem weiteren Amoklauf anzustiften versuchen könnte. Dem scheint augenscheinlich nicht so zu sein, daher erhebt er nun die Stimme. „Kurt Wagner, du bist hiermit festgenommen. Die Anklage lautet auf mehrfachen Mord. Daher wirst du in das Mutanten-Gefängnis Die Box überführt und wirst dort bis zur Urteilsvollstreckung bleiben. Das Urteil wird morgen Nachmittag um 14:00 Uhr mittels Giftspritze vollstreckt. Das Urteil ist unanfechtbar und dir steht keine Berufung oder dergleichen zu. Du hast auch kein Anrecht auf einen Anwalt oder eine Verschiebung der Urteilsvollstreckung. Und ich rate dir dringend, dich freiwillig in Gewahrsam zu begeben, andernfalls sind wir angewiesen, dich hier auf der Stelle zu erschießen.“ Mit wachsendem Entsetzen lauschen die beiden Mutanten den Worten des anderen Mannes. Glauben können sie dennoch nicht, was sie dort hören. Fieberhaft denkt Charles darüber nach, wie er dieses Unglück noch irgendwie abwenden kann. Auf die Schnelle will ihm aber gar nichts Sinnvolles einfallen, erst recht nicht, da er dank der Halsbänder praktisch machtlos ist. Neben ihm steht Nightcrawler wie zur Salzsäule erstarrt und schluckt so hart, dass der Professor tief in seiner Kehle ein hohles Klicken hören kann. Als er dem Jüngeren den Blick zuwendet, sieht er, dass eine einzelne Träne die pelzige Wange seines Schützlings hinab läuft. Kraftlos lässt er die Schultern hängen, wirkt hilflos und gebrochen. Dann jedoch ballt er die Fäuste und atmet tief durch. Langsam hebt er den Kopf an und blickt direkt in Formers Augen. „Ich habe verstanden und werde mich nicht wehren. Tun Sie also, was Sie tun müssen...“ Seine Stimme klingt erstaunlich fest, dafür dass er gerade sein eigenes Todesurteil bestätigt hat. Erschrocken zuckt Xavier in seinem Rollstuhl zusammen. „Kurt, nicht!“, doch es klingt reichlich hoffnungslos. „Es ist nicht deine Schuld, Professor. Durch dich hat mein Leben überhaupt erst einen Sinn bekommen und wir hatten viele schöne Zeiten zusammen. Doch ich habe einen unverzeihlichen Fehler begangen...“, setzt er an. „Nein! Es war nicht deine Schuld!“, versucht der Ältere ihm klarzumachen. „Das mag sein. Doch ich habe gegen das Wichtigste der Zehn Gebote verstoßen. – Du sollst nicht töten. – Somit muss ich mich der Strafe stelle, die mir Gott auferlegt, auch wenn das bedeutet, dass ich die Ewigkeit in der Verdammnis verbringen muss. Ich muss für meine Sünden büßen.“ Die Entschlossenheit in Nightcrawlers Stimme jagt einen eisigen Schauer über den Rücken des kahlköpfigen Mannes, dennoch kann er dem nichts entgegenbringen, Kurt hat sich unwiederbringlich entschieden. „Wenn du das für richtig hältst, kann ich dich nicht davon abhalten. Ich wünschte nur, uns wäre mehr Zeit vergönnt geblieben, mein Junge.“ „Das hätte ich mir auch gewünscht, Professor. – Leb wohl...“ Der winzige Hauch eines Lächelns umspielt seine Lippen, bevor er wieder zu Former blickt. Dieser hat inzwischen eines dieser klobigen Halsbänder hervorgeholt und wartet nun darauf, es Kurt anlegen zu können. Soweit kommt er allerdings nicht, da Wolverine inzwischen herausgefunden hat, wohin sein Elf verschwunden ist, und nun außer sich vor Wut ist. „WAGT ES JA NICHT, IHN ANZUFASSEN!“, brüllt er aufgebracht über den ganzen Vorplatz. Wie ein plötzliches Gewitter stürmt er mit glänzenden Krallen heran. Erschrocken weichen die Polizisten vom Zaun zurück und richten die Waffen auf ihn, obwohl sie tief hinten in ihrem Köpfen wissen, dass das nichts bringen wird, egal wie oft sie ihn auch treffen würden. „Logan...“, entkommt es Kurt und Charles im Chor. „Lass dir von diesen Spinnern nichts einreden, Elf! Du hast nichts verbrochen! Sie können dich nicht bestrafen!“, beharrt der Schwarzhaarige zornig und zieht den Jungen zu sich heran, um ihn aus der Schussbahn zu wissen. „Aber Logan, ich habe mich doch bereits entschieden, Buße zu tun...“, versucht ihm der blau Fellball klarzumachen. „Hör endlich mit diesem Schwachsinn auf! Du musst für gar nichts büßen! Das ist nicht Gottes Wille, sondern nur das vertrackte Rechtssystem unseres Staates, das jeden Mutanten auf dem Scheiterhaufen sehen will!“, gebärt sich der Ältere hektisch. Nightcrawler bedenkt ihn allerdings nur mit einem nachsichtigen Lächeln. „Ich kann verstehen, dass du das nicht wahrhaben willst, aber es ist besser so, glaube mir.“ „NEIN! Das lasse ich nicht zu, und wenn ich dich höchstpersönlich...“ Weiter kommt Logan nicht mehr, da rammt Charles seine mentalen Finger in sein überfordertes Denken hinein und zwingt ihn damit brutal zu Boden. Mit sichtlichen Schmerzen sinkt der Krieger unter heftigem Protest auf die Knie, während ihm ein Schwall Blut aus Mund und Nase schießt, weil er sich so heftig dagegen zur Wehr setzt. Angestrengt sucht Charles Formers Blick. „Legen Sie – Logan das Halsband an, sonst – wird er versuchen, Kurt – zu befreien. Machen Sie – schnell, das Tor ist offen...“, keucht er schwerlich und verstärkt seinen mentalen Griff noch etwas. Sichtlich unsicher tritt der Captain durch das Tor. Seine Beine drohen jeden Moment zu versagen, was wohl auch kein Wunder ist, wenn er sich so diese wild gewordene Beste betrachtet, der er sich nun ungeschützt nähern soll. Es ist, als würde man einen Löwenkäfig zur Fütterungszeit betreten. Verständlicherweise stimmt es ihn auch nicht sonderlich sicher zu sehen, wie sehr sich Xavier doch anstrengen muss, um Logan am Boden zu halten. Ganz langsam beugt sich Former dann zu ihm hinunter und legt ihm schwerlich das Halsband an. „Nein...“, presst Wolverine kaum hörbar hervor, bevor die Verriegelung einrastet und er endlich die Besinnung verliert. „Er wird nicht lange ohnmächtig bleiben, also wenn du wirklich diesen Weg gehen willst, Kurt, dann sollte es jetzt ohne Umschweife sein.“ Verstehend nicken sowohl Nightcrawler als auch Former. Ohne Zögern begeben sich beide wieder ans Tor. Dort wartet schon einer der Polizisten mit einem weiteren Halsband. Stumm nimmt es der Captain entgegen und legt es dem pelzigen Mutanten an. Kurz darauf folgen auch noch Hand- und Fußfesseln, ehe die Beamten Kurt in ihren Transporter führen und dort anketten. Ein letztes Mal treffen sich die Blicke der beiden X-Men, dann schlagen die Türen zu und Charles wird seinen Schützling erst wiedersehen, bevor ihm der tödliche Cocktail verabreicht wird... 5 Es ist Anfang Mai, Frühling, die Zeit, da die Fantasie eines jungen Mannes sich unbeschwert Gedanken an die Liebe zuwenden sollte. Eine wunderbare Jahreszeit und zweifellos ein großartiges Gefühl, aber James Howlett gehen andere Dinge durch den Kopf, denn seine Liebe wird morgen vor seinen Augen sterben. Morgen werden sie Kurt hinrichten... Du bist ein Teil meiner Seele Du bist ein Stück meiner Haut Du bist die Kraft, die mich bewegt Es ist dunkel. Ungewohnt schwerfällig setzt sich Logan auf das Dach der Mansion, einen Kasten Bier neben sich. Mit leerem Blick schaut er den Weg zum Tor hinunter. Es ist verschlossen. Jean und Charles haben eine Art mentalen Bannkreis um das Grundstück errichtet, damit Wolverine nicht doch auf den Gedanken kommt, Kurt helfen zu wollen. Sicher eine sehr gute Entscheidung, selbst wenn man bedenkt, dass der Jäger noch immer das verdammte Halsband trägt. Außer den Polizisten wird es ihm nämlich auch niemand abnehmen können, somit wäre es reichlich sinnlos, versuchen zu wollen, Kurt zu retten. Und die Zärtlichkeit, die mich trägt Du bist der Glanz meiner Tage Du bist das Licht meiner Nacht Wie oft hat er hier oben schon mit Nightcrawler gesessen? Er kann sich nicht erinnern, doch es waren so viele Nächte wie sonst kaum bei etwas Anderem. Zusammen haben sie sich die Sterne angeschaut, den Mond, gelacht und Unfug gemacht, manch hitzige Diskussion geführt, und nicht selten endeten diese Treffen mit einem sturzbetrunkenen Elfen oder animalischer Zweisamkeit im Bett. Vergessen wird das offene Bier in seiner Hand langsam schal. Stur richtet sich sein Blick weiterhin auf das verriegelte Tor, das sie von der Welt der Menschen trennt, in die sein bester Freund und Liebhaber so endgültig entführt wurde. Die Liebe, die den Schmerz vertreibt Und der Trost, der mir immer bleibt Wie soll ich leben ohne dich? Kurt wird nie wieder lachend vor ihm stehen und ihm einen Streich spielen oder schnurrend neben ihm einschlafen; ihm nie wieder von Gott und all dem Unsinn erzählen, oder wild mit ihm durch den Gefahrenraum turnen. Logan kann es einfach nicht begreifen. Warum nur hat Kurt dem Ganzen zugestimmt und ist einfach mit ihnen gegangen? Glaubt er wirklich, dass er so für seine ungewollten Taten Buße tun kann? Wolverine kann es sich nicht vorstellen. Vielleicht glaubt Nightcrawler es wirklich, aber wer kann schon dafür garantieren, dass sein Gott ihm wirklich vergibt und ihn ins Paradies einkehren lässt, statt ihn auf ewig in der Hölle schmoren zu lassen? Wie soll ich atmen ohne dich? Denn ich bin du und du bist ich Uns beide kann man nicht trennen! „Glaubst du an Gott?“, hatte der Elf ihn ziemlich am Anfang ihrer Partnerschaft einmal gefragt. Nachdenklich hatte Logan den Jungen angesehen. Als Kind hatte er tatsächlich mal an Gott geglaubt, weil seine Eltern ihn so erzogen hatten. Doch je älter er wurde, desto schneller begriff er, dass es einfach keinen Gott geben kann. Nicht, wenn er so versessen darauf ist, einem einzigen Wesen so sehr das Leben zur Hölle zu machen. Oder aber es gefällt dem alten Dreckskerl, ihn leiden zu sehen? Aber wenn dem so ist, womit hat er diesen anhaltenden Zorn dann verdient? Klar, an seinen Händen klebt mehr Blut, als irgendein Wesen auf Erden überhaupt haben kann, aber es fand den Weg dorthin viel öfter aus Selbstverteidigung als durch irgendetwas Anderes. Und hat er nicht auch schon genug Menschen das Leben gerettet, ohne einen Dank dafür zu erhalten? Ist er mit seinem Mutantendasein denn nicht also schon genug bestraft worden? Wie soll ich leben ohne dich? Wie soll ich träumen ohne dich? Weiß mich von dir so sehr geliebt Mit einem verstimmten Brummen hatte Logan ihm schließlich geantwortet. „Ich glaube an keinen Gott, der all unsere Sünden in seinem großen, goldenen Buch festhält und über uns zu Gericht sitzt, wenn wir gestorben sind. Sollte es doch einen geben, habe ich wahrscheinlich mein ganz eigenes Sündenbuch, bei dem ganzen Scheiß, denn ich schon gemacht habe, und er straft mich schlichtweg damit, dass er mich bis in alle Ewigkeit auf diesem Scheißplaneten wandeln lässt. – Ich mag auch nicht an einen Gott glauben, der es fertigbringt, vorsätzlich böse Menschen zu erschaffen, um sie dann bewusst in einer von ihm erfundenen Hölle braten zu lassen. Aber ich glaube, dass es Irgendetwas da draußen gibt, das wir nicht verstehen, und dass wir alle einem Plan folgen, den sich kein Gott, sondern ein vollkommen Schwachsinniger ausgedacht hat, um sich die Langeweile zu vertreiben. So als wären wir nur Bewohner einer riesigen Ameisenfarm. Verstehst du?“ Bin glücklich nur mit dir Und wenn ich dich verlier, Dann fehlt der Mittelpunkt der Welt für mich Über Kurts Gesicht zog eine seltsame Mischung aus Mitleid, Entsetzen, Erkenntnis und Sorge hinweg. „Sieh mich ja nicht so an! Ich habe deinem heißgeliebten Gott so oft die Chance gegeben, mich eines Besseren zu belehren, doch nichts als weiteren Schmerz dafür erhalten. Mir wurde immer wieder alles genommen, das mir etwas bedeutet hat, egal wie sehr ich mir auch den Arsch aufgerissen hab, mich zu ändern. Wie also soll ich da an ihn glauben?“ „Das musst du nicht und ich werde dich auch nicht dazu zwingen. Aber ich werde für deine unsterbliche Seele beten, da ich glaube, dass du ein sehr guter Mann bist und das Paradies verdient hast.“, lächelte der Elf sanft. Wolverine gab nur ein Schnauben von sich. Wie könnte ich jemals leben ohne dich? Du bist die Sonne im Dunkeln Du bist die Ruhe im Sturm „Unsterbliche Seele? Paradies? Ha! Tu, was du nicht lassen kannst, Junge. Solange du mich nicht versuchst zu bekehren, dann muss ich dir nämlich den Hals umdrehen.“, meinte er ernst, dennoch lag ein Fünkchen Humor in seinen Augen. „Keine Sorge, das werde ich ganz sicher nicht.“ Du bist der Weg, auf dem ich gehe Du bist das, was ich in dir sehe Wie soll ich leben ohne dich? Damals hatte Logan das alles durchaus ernst gemeint und Kurt damit womöglich sogar ziemlich gekränkt. In jedem Fall hatte sich der Elf auf eine andere Antwort eingestellt, dass hatte allein schon sein Gesichtsausdruck verraten. Jetzt allerdings wünscht sich der Jäger, er würde an Gott glauben, völlig egal welchen. Hauptsache dieses angeblich allmächtige Wesen könnte verhindern, dass Nightcrawler hingerichtet wird. Oh, wie sehr er dafür doch beten würde. Aber er kann es nicht, sein gebrochenes Herz lässt es nicht zu, dafür würde er von allen nur erdenklichen Mächten dieser Erde viel zu oft eines Besseren belehrt – oder eher eines Schlechteren. Wie soll ich atmen ohne dich? Uns beide trennt kann man nicht! Wie soll ich leben ohne dich? Logan hat schon so viele Kommen und Gehen sehen, er weiß nicht, ob er es ein weiteres Mal ertragen kann, und dann auch noch auf so eine grausame Art und Weise. Bis zum heutigen Tag war er der Ansicht, dass der Elf und er wirklich nur Freunde sind, selbst wenn sie das Bett miteinander teilen. Logan wurde in seinem langen Leben zu oft verletzt, um sich andere Gefühle zu erlauben. Doch jetzt, wo er hier so einsam sitzt und der Platz neben ihm für immer leer bleiben wird, wird ihm klar, dass er sich selbst einfach nur die ganze Zeit über belogen hat, weil er Angst davor hatte, erneut verletzt zu werden. Wie soll ich träumen ohne dich? Weiß mich von dir so sehr geliebt Bin glücklich nur mit dir Aber er kann es nicht mehr leugnen: Er liebt ihn! Wolverine liebt Nightcrawler über alles auf dieser Welt! Und wenn sein flauschiger Elf morgen sterben muss, dann wird auch er sterben. Nicht körperlich selbstverständlich, obwohl er es sich oft genug ernsthaft wünscht, aber seine Gefühle werden mit ihm sterben. Ein weiteres Mal, und Logan weiß wirklich nicht, ob er dann noch in der Lage sein wird, darüber hinwegzukommen und sich einem anderen zu öffnen. Es ist Ewigkeiten her, dass er das letzte Mal geweint hat. So lange, dass er sich nicht einmal daran erinnern kann. Doch beim Gedanken, seinen geliebten Freund und Partner zu verlieren, rinnen ihm nun heiße Tränen über die Wangen. Irritiert berührt er die feuchten Spuren und betrachtet die funkelnden Tröpfchen auf seinen merklich zitternden Fingerspitzen. Ihr Anblick weckt eine unbändige Wut in dem Jäger. Wut auf die Gesellschaft, die Menschen, ein Leben, in das sie nie gepasst haben und auch nie passen werden, weil sie schlichtweg Mutanten sind! Und wenn ich dich verlier, Dann fehlt der Mittelpunkt der Welt für mich Wie könnte ich jemals leben ohne dich? Ein knurrendes Wimmern, fast wie das leidliche Heulen eines einsamen Wolfes, verlässt seine Kehle, ehe er mit voller Wucht die Bierflasche auf den Vorplatz der Mansion hinunterwirft. Sie zerschellt in tausend feucht-funkelnden Scherben und verspritzt die goldig schäumende Flüssigkeit in alle Richtungen. Kurz darauf folgt ihr eine zweite Flasche und eine dritte. Sie explodieren wie gläserne Wasserbomben auf dem harten Beton. Das geht weiter, bis der ganze Kasten leer ist und der Vorplatz aussieht, als hätte ein Angriff stattgefunden. Ich brauch dich! Der Lärm hat die anderen Mutanten in Alarmbereitschaft versetzt. Vorsichtig wagen sie sich nach draußen, um herauszufinden, was eigentlich los ist. Doch da ist das Flaschenbombardement schon vorbei. Schnaubend starrt Logan auf die Scherben. Dann greift er nach dem Plastikkasten und schleudert ihn ebenfalls nach unten. Auch er zerschellt auf dem Vorplatz und hätte Scott dabei fast am Kopf getroffen, als er die Lage auskundschaften wollte. „Verdammt noch mal!“, gibt er empört von sich und starrt nach oben zum Dach. Dort entdeckt er Wolverine. „Hast du jetzt völlig den Verstand verloren?“, ruft er zu ihm hinauf. Ein überaus bedrohliches Knurren und eiskalt funkelnde Augen sind die einzige Antwort, die er erhält, dann taucht Charles neben ihm auf. „Scott, lass ihn…“ „Aber, Professor…“ „Nein, Scott!“, kommt es bestimmend von dem Mann im Rollstuhl. Resignierend lässt Cyclops die Schultern hängen. Als er dann wieder nach oben zum Dach blickt, ist Logan verschwunden und keiner von ihnen wird ihn bis zur Hinrichtung wiedersehen… Ich brauch dich! 6 Die Box ist ein unglaublich trostloser Ort, dem man selbst seinem schlimmsten Feind nicht wünschen würde. Viele der Mutanten hier sind wirklich böswillige Gestalten, die es nicht anders verdient haben. Doch es gibt auch solche wie Kurt, die es nur bescheidenen Umständen zu verdanken haben, hier gelandet zu sein. Die Zelle, in der Nightcrawler hocken muss, ist winzig. Es gibt kein Fenster, nicht einmal eine Pritsche. Stattdessen liegt eine alte, muffige Decke in einer Ecke. In Anbetracht der Tatsache, dass der Teleporter nicht lange hier sein wird, kein großer Mengel, obwohl es in der Zelle erschreckend kalt und feucht ist. Hier drinnen fühlt es sich fast wie Winter an und nicht wir Anfang Mai. Eine dreckige Stahltoilette rundet den Anblick ab. Ihre silbern glänzende Oberfläche scheint die Luft noch kälter zu machen, vom widerwärtigen Geruch ganz zu schweigen. Einsam und traurig hockt sich Kurt in die Ecke neben der Tür, schlingt die Arme um die langen Beine und ringelt seinen Schweif darum. Die Stunden ziehen sich träge wie Kaugummi dahin. Sein Denken schwankt immer wieder zwischen billigen Gefängnisfilmen und einer seltsamen Unwirklichkeit hin und her. Die Stimmen der anderen Insassen hallen wütend oder verzweifelt durch die langen Gänge, doch der Elf hört sie kaum. Den undefinierbaren Brei, der ihm als Abendbrot serviert wird, rührt er nicht einmal an. Stattdessen versucht er seinen Geist zu reinigen und sich auf das vorzubereiten, was ihn erwarten wird. Irgendwann erlischt das Licht und lässt ihn in vollkommener Dunkelheit zurück. Nun hört er die anderen Mutanten um sich herum tatsächlich, doch die anfängliche Wut ist aus ihren Stimmen verschwunden. Nun klingen sie nur noch einsam, hilflos, verzweifelt, und nicht wenige von ihnen scheinen sogar bitterlich zu weinen. Kurt kann es ihnen gut nachempfinden. Seit seinem Leben im Zirkus hat er sich nicht mehr so allein, missverstanden und hoffnungslos gefühlt. Irgendwann fordert die Erschöpfung aber dennoch ihren Tribut und er versinkt in einen unruhigen und ganz und gar nicht erholsamen Schlaf... 7 Die Zeit vergeht, zumindest glaubt Nightcrawler, dass sie es tut. Da es hier ja kein Fenster und somit auch kein Tageslicht gibt, kann er überhaupt nicht einschätzen, wie spät es ist, als sie schließlich geweckt werden. Das Frühstück und auch das Mittagessen sehen nicht viel appetitlicher aus als das, was man ihm gestern schon serviert hatte, von daher rührt er es ebenfalls nicht an. So oder so hat der Teleporter auch überhaupt keinen Hunger. Und da er bald das Zeitliche segnen wird, ist es nicht schlimm, mal ein paar Mahlzeiten auszulassen. Immerhin wird ihn eine Giftspritze dahinraffen und nicht die Tatsache, dass er langsam und womöglich qualvoll verhungern könnte. In einem richtigen Gefängnis könnten sich die Insassen zumindest darauf freuen, einmal am Tag in den Hof zu dürfen oder zu arbeiten, doch so etwas gibt es für Mutanten nicht. Sie müssen tagein, tagaus nur in ihren Zellen hocken, bis sie entweder hingerichtet werden oder dem Wahnsinn verfallen und dann deswegen beseitigt werden müssen. Irgendwann dann tritt ein Wärter an Kurts Tür. „In einer Stunde ist es soweit, du Abschaum!“, teilt er ihm kalt mit und will schon wieder gehen, als der Elf die Stimme erhebt. „Bekomme ich denn keinen Priester?“, fragt er verwundert, ist es in Filmen doch immer der Fall, selbst wenn der Häftling keinen Glauben mehr hat. Mit flehenden Augen sieht er zu dem Mann empor, der ihn nur voller Verachtung betrachtet. „Sag mal, spinnst du? So was wie du hat gar keinen Priester verdient und schon gar keinen Gott, der dich erhören könnte! Also träum weiter!“ Dann verschwindet der Wärter endgültig und Nightcrawler lässt mutlos die Schultern hängen. Doch Kurt wäre ganz sicher nicht Kurt, wenn er sich davon lange deprimieren lassen würde. Wenn kein Priester zu ihm kommt, dann muss der blaue Fellball eben selbst für seine unsterbliche Seele beten und hoffen, dass Gott ihm nur noch ein allerletztes Mal zuhört. Gewissenhaft geht er daher auf die Knie und faltet die Hände vorm Gesicht. Langsam schließt er die Augen und seine sanfte Stimme gleitet wie Seide durch den kleinen Raum. „Lass Dein Angesicht über mir leuchten und sei mir gnädig. Lass mich Dich nicht aus den Augen verlieren und Deine Spuren in meinem Leben nicht verwischen. Lass mich frei werden von dem, was mich hindert zu Dir hin, und spüren, was mich öffnet. Lass mich vorbereitet sein auf mein Sterben und nicht überrascht werden von der Wahrheit meines Lebens. Lass mich hineinfallen in Deine Liebe und Geborgenheit. Amen.“ Wieder und wieder wiederholt er das Sterbegebet, bis schließlich ein weiterer Wachmann an seine Zelle tritt. Laut pocht er mit seinem Schlagstock gegen den dicken Stahl. „Hoch mit dir, Mutant! Zeit für deinen letzten Gang!“ Der große Schlüssel dreht sich bedrohlich im Schloss und dann öffnet sich die Tür. Doch der Wachmann ist diesmal nicht allein, wie Kurt schnell feststellt. Zwei seiner Kollegen sind ebenfalls anwesend. Einer von ihnen hält schwere Ketten in Händen, mit denen sie Nightcrawler auf seinen letzten Weg fesseln werden... 8 Die drei Männer führen ihn schier endlose Gänge entlang, bis sie schließlich an einer Tür ankommen. Als sich diese öffnet, erblickt Kurt zwei weitere Männer. Einen identifiziert er als den Direktor dieser beschaulichen Einrichtung. Der andere trägt einen weißen Kittel und ein Stethoskop um den Hals und dürfte somit wohl ein Arzt sein. Der Raum, in dem sie stehen, ist nicht sonderlich groß. Dominiert wird er von einer Liege in der Mitte, die in den Augen des gläubigen Elfen fast wie das Kreuz aussieht, an das man Jesus damals genagelt hat. Der Anblick lässt einen eisigen Schauer über das Herz des Mutanten hinweggleiten, und zum ersten Mal, seit er hier angekommen ist, empfindet er echte, nahezu allumfassende Furcht. Mit großen, leeren Augen und leicht zitternd verharrt er daher mitten in der Tür und starrt das Gebilde einfach nur an. Die Wärter fackeln jedoch nicht lange und versetzen ihm einen kräftigen Stoß, sodass er beinahe zu Boden stürzt, und drängen ihn damit hinein. Fast schon hektisch sieht sich Nightcrawler nun weiter in dem kleinen Raum um. Hinter dem Kopfende der Liege befindet sich eine Art Kontrollpult mit einigen Monitoren, Schaltern und Knöpfen. Mehrere medizinische Schläuche sind auch sichtbar, die ordentlich an der Seite aufgewickelt sind. Der Tür gegenüber, auf der rechten Seite der Liege, befindet sich ein weißer Vorhang, der scheinbar ein Fenster oder dergleichen verdeckt. Daneben ist eine weitere Tür, die aus schwerem Stahl zu bestehen scheint und mit großen Bolzen verriegelt ist. An der Wand, die sich unweit dem Fußende der Liege erstreckt, steht ein Krankenbett auf Rollen vor einer dritten Tür. Kurt ist sich sicher, dass die Wachen ihn am Ende von alledem auf dieses Bett legen und ihn dann durch diese Tür hinausbringen werden. Und dann wird sein Leichnam entsorgt – vermutlich verbrannt. Ein letztes Mal muss der Elf auch wieder an einen schlechten Gefängnisfilm denken, denn neben der dritten Tür hängt ein Telefon an der Wand. In einem Film würde dieses wohl im allerletzten Moment zu läuten beginnen und der Gefangene doch noch vom Tode freigesprochen werden. Doch diese Hoffnung hat der blaue Teleporter nicht, zeugt die gefühlt zentimeterdicke Staubschicht auf dem Apparat doch davon, dass er vermutlich noch nie geklingelt hat, nicht für einen verabscheuungswürdigen Mutanten. Mehr Zeit zum Umsehen erhält er jedoch nicht, dann schieben ihn die Wachen vor die Liege und drücken ihn dann unsanft mit dem Rücken darauf. Die schweren Ketten werden von ihnen geschickt durch feste Lederriemen ersetzt, die sich nun um seine Handgelenke, Schultern, seine Brust, seinen Bauch, um die Knie und die Knöcheln straffen und ihn damit so fest auf die Liege pressen, dass er nur noch schwer Luft holen kann. Das scheint allerdings niemanden zu kümmern. Langsam tritt nun der Arzt an ihn heran und blickt dabei in eine Akte. Dann betrachtet er Kurt einmal von oben bis unten, nickt anschließend zufrieden und wendet sich wieder dem Kontrollpult zu. Er gibt dem Direktor ein kurzes Zeichen, woraufhin dieser den Vorhang an einer Schnur zur Seite gleiten lässt. Dahinter befindet sich tatsächlich ein Fenster. Dort durch kann man in einem weiteren Raum blicken, in dem etwa ein Dutzend Stühle ordentlich in zwei Reihen aufgestellt wurden. Auf den meisten davon sitzen die X-Men versammelt. Alle tragen aus Sicherheitsgründen diese klobigen Halsbänden, wie es auch Kurt noch immer tun muss. Schlagartig wird dem Elfen klar, dass seine Freunde zusehen werden, wie er das Zeitliche segnet, und abermals krampft sich eine eisige Hand um sein Herz zusammen... 9 Als der Vorhang zur Seite gleitet und die X-Men Kurt dort auf die Liege geschnallt sehen können, springt Logan auch schon entsetzt auf und ballt mahnend die Fäuste. Hoffnungslose Verzweiflung dominiert sein sonst so hartgesottenes Gesicht und lässt ihn auf groteske Weise fast wie ein verschrecktes Kind aussehen. Sein Anblick bricht Nightcrawler das Herz, gleichwohl ist es andersherum genauso. Nachsichtig ergreift Charles den Arm des Kriegers und bringt ihn schwerlich wieder dazu, sich hinzusetzen. Immerhin werden sie ganz genau vom Direktor beobachtet. Und sollten sie sich in irgendeiner Form danebenbenehmen, werden sie von alledem ausgeschlossen und der flauschige Elf muss letztendlich ganz allein sterben. Das begreift auch Logan, auch wenn er nicht mit ansehen will, wie sein Geliebter hingerichtet wird. Mit jedem Tag kehrt die Erinnerung An das, was geschah zurück An jenem kalten Frühlingstag Einen Moment wartet der Direktor noch ab, dann drückt er auf den Knopf einer kleinen Sprechanlage, die neben dem Fenster montiert ist. Nun können auch die X-Men hören, was drinnen gesprochen wird, gleichermaßen kann man ihre Stimme in dem Hinrichtungszimmer vernehmen. Förmlich wendet sich der Mann etwas herum. Über die Sprechanlage wirkt seine Stimme leicht verzerrt, ist aber dennoch überdeutlich zu verstehen. „Kurt Wagner, Sie wurden von einem Geschworenengericht zum Tode durch die Giftspritze verurteilt. Ein Urteil, das durch das höchste Gericht dieses Bundesstaates und durch den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika bestätigt wurde. Haben Sie noch etwas zu sagen, bevor das Urteil vollstreckt wird?“, streng mustert er den jungen Mutanten vor sich, als wolle er andeuten, dass Nightcrawler eigentlich nichts zu sagen hat, er diesen Text aber dennoch aufsagen muss. In jenem Augenblick Du wurdest mir entrissen Die Natur kennt kein Gewissen Einen Augenblick herrscht ersticktes Schweigen auf beiden Seiten der Glasscheibe. Dann wendet Kurt das Gesicht der Zimmerdecke zu, als würde er hoffen, dort Jemanden zu sehen. seine Stimme klingt fast heiser, erschöpft und dennoch erstaunlich fest. Er wählt seine Worte genau, erst recht, da er in English spricht, damit es auch jeder verstehen kann. „Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte und tilge meine Sünden nach deiner Barmherzigkeit, amen.“ Und so muss ich nun weitergehen, Wenn alle Uhren stehen Diese Welt wirft tausend Schatten Sichtlich rümpfen die Angehörigen des Gefängnisses die Nase über diesen Ausspruch, sind sie doch einschlägig der Meinung, dass Mutanten nicht an denselben Gott wie alle anderen Menschen glauben können. Die X-Men hingegen werden nur noch mehr von ihrem Schmerz ergriffen. Alles Sein bricht nur das Licht Und in jedem dieser Schatten Sehe ich dein Gesicht Ohne großen Aufhebens fährt der Direktor dann auch schon fort. „Das Urteil erfolgt nun durch die Giftspritze.“, verkündet er und gibt dann seinerseits dem Arzt ein Zeichen. Dieser tritt wieder an die Liege heran. Gewissenhaft entrollt er dabei die medizinischen Schläuche. Es sind zwei, an deren Enden sich jeweils eine Venenkanüle befindet. Eine der Nadel sticht er nun in Kurts linken Arm, die andere in seinen rechten. Für die Hinrichtung wird allerdings nur eine der beiden benötigt. Die zweite dient schlichtweg als Sicherheit, sollte die erste aus irgendeinem Grund nicht funktionieren. Mittels einer Elektrode, die der Arzt ihm nun auf die entblößte Brust klebt, wird Kurts Herzschlag auf einem der Monitore sichtbar. Man merkt, dass Nightcrawler aufgeregt ist, dennoch ist er weit ruhiger als es die Todeskandidaten in dieser Situation normalerweise sind. 10 Charles spricht mit Wolverine, versucht ihn zu beruhigen. Er redet schon eine ganze Weile, aber Logan hört ihn nur aus weiter Ferne, und seine Stimme wird von einem Echo in seinem Kopf verzerrt. Es ist, als sitze er in einem tiefen Brunnen und jemand ruft ständig zu ihm hinunter. In ihm wird es auf einen Schlag dunkel, und diese Dunkelheit dient als Hintergrund für eine Serie von Fotographien und Bildern, die nun an seinem inneren Auge vorbeiziehen. Sag mir wie oft, Sag mir wie oft, Sag mir wie oft, Alte Kodakaufnahmen von Kurt, wie er ihn zum ersten Mal in seiner Zirkusshow gesehen hat. Ein anderes Bild zeigt den jungen Mutanten zusammengerollt im Kleiderschrank, tief schlafend in der ersten Nacht in der Mansion. Dann, wie sie gemeinsam durch den Dschungel getobt sind. Ein weiteres Bild präsentiert den Gentleman in ihm, als er an einem Lagerfeuer saß und Storm halb schlafend in seine Arme gekuschelt war. Kurts erstes Bier und der unvergessliche Anblick den er am nächsten Morgen mit Kopfschmerzen bot. Ihr erstes Mal in tiefer Erregung vereint. Dann, wie Kurt mit Händen und Füßen zu essen scheint, ehe er begriffen hat, wie man mit dem Besteck umgeht. All die Streiche, die er Logan gespielt hat, wobei er dem Elfen nie wirklich böse sein konnte. Sein herzliches Lachen, so voll naiver Unschuld. Es scheint kein Ende nehmen zu wollen. Alles wirbelt wild und ohne richtige Zeitabfolge an ihm vorbei. Zum Schluss ein Bild von der Live-Übertragung, wo Kurt so kaltherzig anmutend und nicht bei Sinnen den miesen Bürgermeisterkandidaten getötet hat. Der Anfang vom Ende. Wann kann ich gehen? Sag mir wie oft muss ich noch sterben, Bis wir zwei uns wiedersehen? Schließlich schüttelt Logan schwach den Kopf, um das alles loszuwerden. Er kann es nicht mehr ertragen. All die schönen Erinnerungen und der schreckliche Mist, der sie hierhergebracht hat. Dann sieht er wieder den Raum vor sich, Kurt auf diese Liege geschnallt wie ein Tier, den Tod vor Augen, und Wolverine weiß, dass es nun bald vorbei sein wird. Nasser, schwerer Sand Fällt auf dich hinab Es ist das letzte Bild von dir, was ich im Auge hab Vielleicht hat sich sein kleiner Elf ja wirklich damit abgefunden, so für seine Sünden büßen zu können? Wolverine wünscht es ihm von ganzem Herzen, doch er selbst kann und will sich nicht damit abfinden! Warum muss er nur alles im Leben verlieren, dass ihm etwas bedeutet? Ist das seine Art der Bestrafung für all das Schlechte, das er getan hat? Doch warum müssen dann immer die Unschuldigen darunter leiden? Und über deiner letzten Ruhe Da weht ein kalter Wind Herüber zu uns allen Wütend schlägt er mit den Fäusten auf die Armlehnen seines Stuhls. Sanft legt sich Charles´ Hand erneut auf seine. Aber Logan wendet verkrampft den Blick von ihm ab und kämpft mit den Tränen. Einen Kampf, den er kläglich verliert. Er blickt abermals zu Kurt, der ihm ein hilfloses, letztes Lächeln schenkt. Auch in seinen Augen glänzen Tränen. Die wir hier gefangen sind Und ich warte auf das Ende Unweigerlich fallen Logan die Worte eines seiner alten Kampfmeister ein, die er bisher immer verflucht hatte, da er einfach nicht von dieser Welt gehen darf, egal wie sehr er es sich auch gewünscht hat. Doch nun hofft er, dass sie für Kurt mehr Sinn ergeben, auch wenn der Elf sie niemals hören wird: Feiglinge sterben oft, bevor sie den Tod finden. Doch die Heldenhaften sterben nur einmal. Außerdem fällt ihm schlagartig auch ein altes Sprichwort ein, von dem er nicht mehr weiß, woher er es hat: Mögest du im Himmel sein, eine halbe Stunde bevor der Teufel weiß, dass du tot bist. Und auch davon hofft er inständig, dass es Kurt helfen wird. Es ist Zeit von hier zu gehen Und wir werden uns in einem Anderen Leben wiedersehen Einen Moment später tritt der Arzt zurück an das Kontrollpult und bittet zwei der Wachen zu sich. Diese heben einen Finger und legen ihn auf zwei nebeneinander liegende Knöpfe. Auf ein Nicken des Direktors hin, drücken die Wachen sie nieder und besiegeln damit Kurts Schicksal, auch wenn keiner von beiden weiß, wer ihm im Endeffekt die Lichter auspustet, da es reiner Zufall ist, welcher der beiden Knöpfe die tödlichen Chemikalien in Bewegung setzt. Sag mir wie oft, Sag mir wie oft, Sag mir wie oft, Auf einem zweiten Monitor können die Gefängnismitarbeiter jedoch beobachten, wie sich eine Kanüle in dem Venenzugang entleert. Sie enthält ein Narkosemittel, das an sich schon so hoch dosiert ist, dass es Nightcrawler in ewigen Schlaf versetzen könnte. Doch darauf verlässt man sich natürlich nicht. Es hilft aber, dass der Verurteilte sich nicht mehr zu Wehr setzen kann. Somit fallen dem jungen Teleporter ziemlich schnell die Augen zu. Wütend stellt Logan dabei fest, dass Kurts Gesicht im Schlaf seit seinem Amoklauf nicht mehr so friedlich ausgesehen hat wie jetzt. Eine echte Schande, dass sein geliebter Elf tatsächlich nur im Tod seinen Frieden damit machen kann. Wann kann ich gehen? Sag mir wie oft muss ich noch sterben, Bis wir uns wiedersehen? Eine schier endlose Minute verstreicht, bis sich die zweite Kanüle in den Zulauf entleert. Sie enthält ein Relaxan, das alle Muskeln des Mutanten lähmt, ausgenommen seinem Herzen. Dadurch fängt Kurt langsam an im Schlaf zu ersticken. Davon merkt man glücklicherweise aber nichts, da sich der Elf nicht mehr rührt. Nur sein Herzschlag auf dem Monitor zeigt an, dass er überhaupt noch lebt. Doch er ist schon bedenklich schwächer geworden. Und die Zeit heilt keine Wunden Sie ist mit dem Tod vereint Aber auch damit geben sich diese Sadisten nicht zufrieden. Oh, nein, wenn die Amerikaner etwas gut können, dann ist es Verurteilte hinzurichten. Mancher Orts fast schon ein Volkssport, der rege besucht wird. Und sie wird mit jeder Stunde Immer mehr zu meinem Feind Also entleert sich nun auch noch die dritte und somit letzte Kanüle. Sie enthält ein Mittel, das letztendlich das Herz lähmt und dadurch endgültig den Tod herbeiführt. Die Gnade sei mit ihm, dass Kurt das nicht mehr mitbekommen muss. Sag mir wie oft, Sag mir wie oft, Sag mir wie oft, Fast schon gebannt starren die Mitarbeiter auf den Monitor mit der Herzkurve. Sie dehnt sich immer weiter, wird dabei stetig flacher und schließlich ertönt das warnende Piepsen, das den Herzstillstand signalisiert. Weitere drei Minuten verstreichen, in denen der Arzt aufmerksam den Monitor im Blick hat, dann erklärt er Nightcrawler offiziell für Tod und die Exekution damit für erfolgreich. Wann kann ich gehen? Sag mir wie oft muss ich noch sterben, Bis wir zwei uns wiedersehen? Sichtliche Zufriedenheit legt sich auf die Gesichter der fünf Männer. Dann tritt der Direktor wieder ans Fenster heran. „Es ist vorbei, von daher würde ich Sie nun bitten, ohne großes Aufsehen zu gehen.“, wendet er sich an Charles, der betroffen die Blicke seiner X-Men sucht, die sich daraufhin langsam erheben. Auf der anderen Seite der Scheibe ziehen die Wärter nun ein weißes Laken über den Leichnam und bereiten ihn für den Abtransport vor. 11 Mit hängenden Schultern erhebt sich auch Logan von seinem Platz. Doch er kann einfach nicht mehr an sich halten. Zu lange hat er das alles schweigend ertragen, und nun wollen sie seinen süßen Elfen einfach auf den Müll schmeißen! Das kann er nicht zulassen. Anstatt mit den anderen zum Ausgang zu gehen, wendet er sich zornig um und hämmert dann mit den Fäusten gegen die Stahltür. „Macht sofort auf, ihr dreckigen Schweine, und gebt mir meinen Elfen zurück!“, brüllt er wütend, während sich die anderen X-Men erschrocken umdrehen und ihn davon abzuhalten versuchen. Was dann jedoch passiert, begreift keiner von ihnen auch nur ansatzweise. Sag mir wie oft, Sag mir wie oft, Sag mir wie oft, Die Wachen hatten Kurt gerade von der Liege losgeschnallt und wollten ihn nun auf das Krankenbett legen, als Wolverine anfängt gegen die Tür zu hämmern. Das nehmen sie allerdings nicht sonderlich überrascht zur Kenntnis und machen einfach weiter. Sie kommen jedoch nicht dazu, ihre Arbeit fortzusetzen, da beginnen auf einmal alle Lampen im Raum zu flackern. Irritiert halten die Wachen inne und blicken den Direktor an, der aber nur nichtssagend mit den Schultern zuckt. Als die drei Männer erneut Hand an Nightcrawler legen wollen und Logan noch immer wie von Sinnen die Tür misshandelt, fällt das Licht plötzlich sogar ganz aus. Wann kann ich gehen? Bis wir uns irgendwann in einem Anderen Leben wiedersehen… Erschrocken verharren auf einmal alle, selbst der aufgebrachte Krieger. Wie aus dem Nichts geht dann flackernd eine Lampe wieder an, und zwar genau die, die sich direkt über dem leblosen Körper des Teleporters befindet. Es wirkt, als wäre ein Scheinwerfer auf ihn gerichtet worden. Nun hat das Ganze nicht mehr den Charme eines schlechten Gefängnisfilms, sondern entwickelt sich immer mehr zu einem Gruselszenario. Als Nächstes beginnt das verstaubte Telefon an der Wand hektisch zu läuten. Überrascht fahren die Männer herum. Keiner von ihnen hat je diesen Laut gehört, außer wenn einmal im Jahr die Funktionsfähigkeit getestet wird. Außerhalb der Box verdichten sich die Wolken am bis eben noch sonnigen Frühlingshimmel und kurz darauf bricht ein heftiges Gewitter los, als wäre es Gottes Zorn persönlich. Doch das ist längst nicht alles. Die schweren Bolzen der Stahltür rucken nun in ihren Aufhängungen und schieben sich wie von Geisterhand zurück. Kaum eine Sekunde später springt die Tür auch schon auf und Logan fällt regelrecht in den Raum hinein. Hinter ihm drängen sich die anderen X-Men unschlüssig zusammen. Erschrocken weichen die Gefängnismitarbeiter zurück, wollen sie dem aufgebrachten Vielfraß doch keineswegs in die Hände fallen. Knurrend bleckt Logan die Zähne und drängt die Männer damit noch weiter von Nightcrawlers Leichnam hinweg. Geistesgegenwärtig nimmt Kitty schließlich den Hörer des immer noch klingelnden Telefons in die Hand und drückt ihn sich ans Ohr. „Hallo...?“, fragt sie vorsichtig. Allerdings bekommt sie keine Antwort, keine richtige jedenfalls. Stattdessen hört sie einen lieblichen Chor aus hunderten Stimmen singen, kann jedoch kein Wort verstehen, da es Lateinisch zu sein scheint. Langsam schiebt sich Storm an Logan vorbei, der noch immer wie ein überaus pflichtbewusster Wachhund die Männer in Schach hält. Zwei Schritte von der Liege bleibt sie allerdings stehen und zuckt heftig zusammen, als plötzlich Kurts leblose Hand herabrutscht und unter dem Tuch sichtbar wird. „Oh Göttin...“, flüstert sich ehrfürchtig. Ihre kaum hörbaren Worte scheinen zu Etwas durchzudringen, das sie weder sehen noch ergreifen kann, und dennoch spürt sie einen Hauch, der an ihr vorbeigleitet und unter das weiße Tuch zu schlüpfen scheint, unter dem Kurts Körper langsam erkaltet. Hilflos tastet Storm nach Wolverines Schulter. Das anhaltende Knurren des Jägers verstummt daraufhin abrupt und er wendet den Blick zur Liege herum, als könnte er Ororos Gedanken lesen. Ein heftiges Husten wird plötzlich unter dem Tuch laut und der eigentlich tote Körper ihres Kollegen beginnt sich schwerfällig zu regen. Überrascht drängen sich die X-Men enger zusammen. Schützend legt Logan den Arm um Storm und zieht sich fest an sich. Doch nur einen Moment, dann befreit sich die junge Frau nachdrücklich von ihm und tritt an die Liege heran. Mit allem Mut, den sie aufbringen kann, zieht sie das Tuch in einer fließenden Bewegung zur Seite. Nun treffen ihre schreckgeweiteten, blauen Augen auf die leeren, gelben Seelen des Elfen, der sie völlig verwundert anstarrt. „Oh Göttin, Kurt! Du lebst!“, bringt sie den Tränen nahe hervor. Nightcrawler schenkt ihr ein sehr erschöpftes Lächeln und setzt sich dann mühevoll hin. „Gott hat mich erlöst, dass ich nicht hinfahre zu den Toten, sondern mein Leben das Licht sieht.“, rezitiert er. Mehr kann er jedoch nicht sagen, weil sich Logan dann überraschend grob an Storm vorbeischiebt und ihn so heftig in seine Arme zieht, dass Kurt regelrecht das bisschen Luft wegbleibt, das er schon wieder schöpfen konnte. „Logan, du – erdrückst mich...“, bringt er erstickt hervor. Wolverine trennt sich kurz von ihm und mustert ihn genau, als könne er nicht glauben, dass der Bengel wieder auf Erden wandert. „Ich – war in Gottes Paradies im Himmel, doch Er meinte, dass meine Zeit noch nicht gekommen ist...“, setzt der Teleporter erneut an. Eine dicke Träne rinnt Wolverines Wange hinab. „Das ist mir scheißegal! Hauptsache du bist wieder da!“, schnieft er unmelodisch. Noch ehe Kurt dem etwas erwidern kann, zieht der Ältere ihn wieder zu sich heran und vereinigt harsch ihre Lippen miteinander. Ein überraschtes Raunen gleitet durch den Raum und dann endet der ganze Spuk genauso plötzlich wie er angefangen hat. Nur ganz langsam trennen sich die beiden voneinander. Mit aufgerissenen Augen starrt Kurt sein Gegenüber an und weiß nicht, was er zu diesem ungewohnten Gefühlsausbruch sagen soll. Der Schwarzhaarige weiß es dafür umso besser. „Ich liebe dich, Elf!“, platzt es nun aus ihm heraus, was ein erneutes Raunen durch den Raum schickt. Die beiden X-Men bekommen es jedoch gar nicht mit. Für sie existieren die anderen im Moment gar nicht. Nun kullert Nightcrawler eine Träne die Wange hinunter. „Ich liebe dich auch...!“, schluchzt er aufgelöst. Logan zieht ihn wieder an sich und küsst ihn innig. 12 Eine Stunde später wird die Anklage gegen Kurt aus unerfindlichen Gründen fallengelassen und er vollends freigesprochen. Und somit endet dieses Kapitel in Leben der beiden X-Men und ein neues wartet schon auf sie als frisch gebackenes Paar! Butterflies and Childs ---------------------- 1 Die schrecklichen Ereignisse, die Kurts Leben so nachhaltig gezeichnet haben und schließlich damit endeten, dass Logan ihm endlich seine Gefühle offenbaren konnte, liegen nun schon sechs Monate zurück. In der Zwischenzeit konnte der Teleporter nicht nur seinen 21. Geburtstag und sein neues Leben feiern, sondern auch sein erstes Jahr bei den X-Men vollenden, von dem er vor so kurzer Zeit nicht einmal geträumt hatte, nachdem seine Klinge so widerwillig Blut leckte. Die Gedanken daran verfolgen ihn manchmal noch immer in seinen Träumen, doch das Ganze belastet ihn nicht mehr so sehr, hat Gott ihm doch eine zweite Chance gegeben, seinen ungewollten Fehler wiedergutzumachen. Nightcrawler ist sehr willens, dieser himmlischen Forderung in jeglicher Form nachzukommen, geht aufmerksam durch die Welt und sucht nicht selten unermüdlich nach dem Grund. Der allmächtige Herr teilte ihm immerhin mit, dass er noch mindestens eine sehr wichtige Aufgabe auf Erden zu erfüllen habe, um Buße für seine Taten zu tun, und ihm bis dahin der Weg ins Paradies verwehrt bleibt. Daher öffnet er sein Herz und seine Seele für die zarten Stimmen, die ihn führen mögen, um so den Willen seines Herrn zu erfüllen, sich von seinen Fehltritten reinzuwaschen und eines Tages an Seiner Seite Platz nehmen zu dürfen. 2 Der Gedanke, an die vor ihm liegende Aufgabe, wird in den letzten Tagen dieses bitterkalten Novembers immer nachdrücklicher. Massen am Schnee haben New York fest im Griff, dennoch beginnt Kurt Dinge zu sehen, die es jetzt einfach nicht geben dürfte: Schmetterlinge. Zuerst hielt der Elf das Ganze nur für Zufall, ist es doch kaum eine Woche her, dass die Temperaturen noch im zarten, zweistelligen Plusbereich lagen und die Sonne fröhlich wie im Frühling vom Himmel schien, sodass Vögel und zahlreiche Insekten schon ganz durcheinander kamen, und sogar eine waghalsige Bäume zu knospen begannen. Das ist nun alles futsch, in grausamer Kälte qualvoll vergangen, dennoch sind dort diese Schmetterlinge. Somit vermutet Nightcrawler die letzten Überlebenden dieser fragilen Sommergäste zu sehen, die bald ebenfalls das Zeitliche segnen werden oder endlich ihren Aufbruch ins Winterquartier starten. Das Komische an der ganzen Sache ist allerdings, dass Kurt der Einzige zu sein scheint, der die Schmetterlinge sieht. Mehrmals berichtete er den anderen X-Men von seinen Sichtungen und erntete jedes Mal nur unverständliche Blicke. Einmal flog einer der Falter sogar direkt an Scotts Nase vorbei, doch dieser hat ihn gar nicht wahrgenommen. Nightcrawler versuchte sich einzureden, dass das vielleicht an der roten Quarzbrille liegen könnte, die Cyclops ja den ganzen Tag tragen muss, um seinen Laserblick unter Kontrolle zu halten. Dass dem Leader daher solche Feinheiten womöglich entgehen könnten, doch irgendwie glaubt er nicht daran, da Scott eigentlich immer überaus aufmerksam ist. Was also, wenn der blaue Mutant tatsächlich der Einzige ist, der diese Schmetterlinge sehen kann? Was, wenn das die Aufgabe ist, von der Gott ihm berichtet hat? Was kann das alles bedeuten und wie findet er dafür eine sinnvolle Lösung, bevor die anderen ihn noch für völlig verrückt halten? Der Teleporter ist angesichts dieses Problems hin- und hergerissen und weiß nicht recht, wie er damit umgehen soll. Der Allmächtige wird es ihm mit Sicherheit nicht verraten, nur darauf warten, dass Kurt möglichst bald eine Lösung dafür findet. Nachdem er die Schmetterlinge also mehrere Tage hintereinander immer wieder gesehen hat, fällt ihm auf, dass es sich dabei immer um dieselbe Art handelt. Zuvor hat er so einen Falter noch nie gesehen. Das Insekt wirkt mit seiner überwiegend dunklen, fast schwarzen Farbe ziemlich unscheinbar, besonders im Vergleich mit den schillernd bunten Exemplaren, die man sonst auf üppigen Blumenwiesen zu sehen bekommt. Ist diese Art hier also vielleicht gar nicht heimisch oder stellt ihr Aussehen womöglich einen Hinweis dar? Ziemlich verloren grübelt der Fellträger darüber nach. Hilfe von den anderen kann er wohl nicht wirklich erwarten, halten sie ihn doch schon für ziemlich durch den Wind, was vielleicht auf irgendwelche Spätfolgen seines zwischenzeitlichen Verlassens der Welt der Sterblichen zurückzuführen sein könnte. Als letzte Hoffnung betritt er schließlich Xaviers Büro und berichtet ihm von alledem. Auch der Mann im Rollstuhl wirkt ziemlich skeptisch bei dem, was er da zu hören bekommt. Selbstredend beginnt er aber auch sofort sich Sorgen um Kurts geistigen Zustand zu machen, da Hank kein körperliches Problem für diese seltsamen Sichtungen finden konnte. Allerdings weiß der Professor natürlich von dem, was Gott seinem Schützling gesagt hat und wie stark Kurts unerschütterlicher Glaube damit bestätigt wurde. Von daher erhofft er sich ebenfalls, dass diese Schmetterlinge etwas mit dem Willen Gottes zu tun haben und den Elfen somit auf irgendeine Weise leiten sollen. Daher schlägt er Nightcrawler kurzerhand vor, doch einmal in der hauseigenen Bibliothek nachzusehen, ob er nicht herausfinden kann, um was für einen Falter es sich handelt, wenn es doch immer die gleiche Art zu sein scheint, die ihm begegnet. 3 Diesen Vorschlag will der junge Mutant nun in die Tat umsetzen. Mit einem Anflug von Hoffnung öffnet er also die großen Flügeltüren, um den ausladenden Raum mit den tausenden Büchern zu betreten. Soweit, einen Fuß hineinzusetzen, kommt er allerdings gar nicht erst. Mit offenem Mund steht Kurt wie erstarrt da und blickt in diese Halle des Wissens hinein, als hätte er einen Geist gesehen. Was er dort allerdings sieht, ist damit vermutlich tatsächlich zu vergleichen, denn es sind gefühlt hunderte dieser dunkel gefärbten Schmetterlinge, die gemächlich wie kleine Schatten durch den Raum gleiten. „Gott der Allmächtige...“, gibt er stockend von sich. Als die Falter seine fast schon flüsternde Stimme vernehmen, beginnen sie plötzlich eine Art Formation zu bilden und wie ein Kamikazeflieger auf ihn zuzuhalten. Erschrocken versucht Nightcrawler auszuweichen, doch er kann sich kaum bewegen, geschweige denn sich wegteleportieren – es ist, als würde ihn eine unsichtbare Hand daran hindern. Schützend hebt er also die Arme vors Gesicht, als die Schmetterlinge wie unzählige Geschosse an ihm vorbei rasen. Ihr gewaltiger, gemeinsamer Flügelschlag reißt den Elfen schlichtweg von den Füßen, sodass er unsanft auf seinen vier Buchstaben landet. Der Strom scheint gar kein Ende zu nehmen und dennoch ist kein einziger Falter mehr zu sehen, als er sich nach ihnen umsieht. Es ist, als hätten sie sich alle gemeinsam in Luft aufgelöst. Unsicher kommt er wieder auf die Füße und betritt dann ganz vorsichtig, geduckt auf allen Vieren, die Bibliothek. Seine leeren, gelben Augen huschen von einer Seite zur anderen. Seine spitzen Ohren lauschen nach jedem noch so leisen Geräusch. Doch nach dieser unerwarteten Attacke scheint es nun erst einmal wieder vorbei zu sein. Nightcrawler ist sich jedoch sicher, dass er auf dem richtigen Weg ist und der Ratschlag des Professors ihn somit einen Schritt näher an die Lösung herangeführt hat. Als Kurt das erste der schier unzähligen Regale erreicht, richtet er sich ganz langsam wieder auf, drückt sich mit dem Rücken gegen die Bücher und lässt den Blick lange durch den nun völlig leeren und stillen Raum gleiten. Er ist allein, wie es augenscheinlich wirkt, doch stimmt das wirklich? Ihn beschleicht das leise Gefühl, dass dem nicht vollkommen so ist, doch er kann im Moment nichts ausmachen. Tief atmet er mehrmals durch und wendet sich dann den Regalen zu. Die vielen Reihen sind wie in einer richtigen Bibliothek in bestimmte Kategorien unterteilt, die er nun langsam abgeht und nach der vielversprechendsten sucht. Der naturwissenschaftliche Bereich erscheint ihm am Sinnvollsten. Das Ganze scheint sich auch sogleich zu bestätigen, da einer der Schmetterlinge genau vor dieser Regalreihe herumschwirrt. Instinktiv verharrt der junge Mutant und macht sich schon für einen erneuten Überfall der Falter bereit. Dieser bleibt aber glücklicherweise aus, nur dieser eine Vertreter bleibt vorhanden, als wolle er ihm ein bisschen unter die Arme greifen. Langsam nähert sich Kurt dem Regal des Falters, wobei der Schmetterling immer denselben Abstand zu ihm wahrt, als fürchte er fast, nun derjenige zu sein, der von dem Teleporter angegriffen werden könnte. Dessen leere, gelbe Augen richten sich stattdessen auf die unzähligen, bunten Buchrücken und versuchen anhand der Titel herauszufinden, wie vielversprechend sie zu sein scheinen. Es dauert nicht lange, dann entdeckt er einen Bildband über Insekten. Als er danach greifen will, saust der einsame Falter auf einmal so dicht an seiner Nase vorbei, dass sich Nightcrawler vor Schreck wegteleportiert. Mit jagendem Herzen blickt er kurz darauf vom Regal gegenüber herunter und versucht diesen linkischen Schmetterling auszumachen. Zuerst scheint ihm, als wäre nun auch er verschwunden, doch dann findet er ihn auf der oberen Kante eines dicken Buches hockend wieder. Das Werk wirkt unscheinbar, lässt keine sichtbare Beschriftung erkennen, der Einband in rotbraunem Leder gehalten, sodass der dunkle Falter darauf kaum zu erkennen ist. Kurt gibt ein leichtes Seufzen von sich und klettert dann elegant kopfüber wieder von dem Regal herunter. Das kleine Insekt verharrt auch weiterhin auf dem Buchrücken, obwohl Nightcrawler ihm inzwischen so nah wie nie gekommen ist. Mit erhobener Augenbraue kratzt er sich am Hinterkopf und bläst sich dann eine verirrte Strähne aus der Stirn. „Weiß du was, mein Freund? Ich bin ziemlich schreckhaft, also überlegst du dir beim nächsten Mal vielleicht etwas Anderes, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen, findest du nicht?“, fragt er den Falter nachsichtig und kommt sich im selben Moment schon ein bisschen verrückt vor, mit einem Insekt zu sprechen, als wäre es ein Hund oder dergleichen. Selbstredend erwidert der Schmetterling auch nichts dazu, rührt sich noch nicht einmal von seinem Platz. Erneut gibt der Elf ein Seufzen von sich und legt die Stirn in Falten. Vorsichtig streckt Nightcrawler die Hand nach dem Buch aus, doch selbst als er es bemüht langsam aus dem Regal zieht, rührt sich das geflügelte Insekt nicht von der Stelle. Erst als sich der blaue Mutant den Buchdeckel betrachten will, fliegt der Schmetterling auf und wirrt träge um seinen Kopf herum. Wie sich herausstellt, handelt es sich bei dem Werk um eine Enzyklopädie der Schmetterlinge, was wohl kaum passender sein könnte. Einerseits erstaunt es den Teleporter, hier so ein Buch zu finden – zudem so alt und wertvoll aussehend –, andererseits auch wieder nicht, da Charles stets bemüht ist, jedes nur erdenkliche – insbesondere wissenschaftliche – Buch in seiner Sammlung zu haben. Sucht man hingegen nach Romanen oder auch nur simplen Märchen, wird man jedoch ziemlich enttäuscht, finden sich hier doch nur einige wenige ausgewählte Werke großer Künstler wie Shakespeare. 4 Ein paar Minuten später sitzt der Fellträger auf einem Stuhl an der Reihe aus Tischen, die sich in der Mitte der Bibliothek befindet. Konzentriert blättert er die einzelnen Seiten des dicken Buches durch, während der Schmetterling wie ein kleiner Soldat immer wieder vor ihm auf der Tischplatte entlang patrouilliert und mit seinem langen Rüssel das Holz anzutasten scheint, als würde er nach einer verlorenen Kontaktlinse oder dergleichen suchen. Fast schon belustigt beobachtet der junge Mutant das Schauspiel, bei dem der kleine Falter erst nach links marschiert, kurz verharrt, sich mit einer ruckartigen Bewegung umdreht und dann nach rechts zurückwandert, während sein Rüssel wie der Stock eines Blinden von einer Seite zur anderen schwenkt. Er wirkt wie der kleinste Lehrer der Welt, der geduldig darauf wartet, dass sein riesenhafter Schüler die Lösung findet. Kurt kann sich ein müdes Schmunzeln gar nicht verkneifen, dann blickt er wieder in das Buch und blättert weiter. Fasziniert betrachtet er die endlosen Bilder der größtenteils überaus farbenfrohen Schmetterlinge. Das Exemplar auf dem Tisch ist hingegen eher unscheinbar, wenn auch nicht weniger hübsch anzusehen. Zu jeder Falterart gibt es in dem Buch einen ausführlichen Text, der seine Lebensweise, Nahrung, Fortpflanzung, Herkunft und vieles mehr beschreibt. So befindet sich immer nur ein Schmetterling auf einer Seite, weshalb Kurt ziemlich weit blättern muss, ehe er etwas Passendes findet. Als er schließlich die richtige Abbildung entdeckt, schwirrt der kleine Falter gezielt auf das Buch, rollt seinen langen Rüssel heraus und scheint damit neugierig oder auch wehmütig sein fotografiertes Ebenbild abzutasten, als wäre es jemand, den er kennt. Beim Namen des Schmetterlings zuckt Nightcrawler allerdings augenblicklich zusammen und ahnt nichts Gutes für seine bevorstehende Aufgabe. Trauermantel: Der Trauermantel (Nymphalis antiopa) ist ein Schmetterling (Tagfalter) aus der Familie der Edelfalter (Nymphalidae). Die Falter erreichen eine Flügelspannweite von 55 bis 75 Millimetern. Die Oberseite ihrer Flügel ist überwiegend dunkelbraunviolett gefärbt. Der Rand ist cremefarbig bis hellgelb und leicht gezackt. Hinter dem gelben Rand schließt ein schwarzer Rand, der zahlreiche aneinandergereihte, blaue Flecken einschließt, an. Am Flügelvorderrand kann man an diesem dunklen Rand einen hellen Fleck und einen weiteren etwas weiter innen erkennen. Die Unterseite der Flügel ist überwiegend schwarz gefärbt, darüber hinaus findet sich nur der gelbe Rand, dessen Farbe deutlich blasser als auf der Oberseite ist. Die Flügelunterseiten sind ähnlich wie die Oberseiten, jedoch unregelmäßig schmutzig gefärbt. Der dunkle Bereich weist helle Flecken auf, der helle Rand dunkle. Die Falter kommen in ganz Europa und in Asien vor. Auch in weiten Teilen Nordamerikas sind sie heimisch, kommen aber nur in Bereichen mit Kontinentalklima vor. Sie leben vor allem in lichten, offenen und feuchten Laubwäldern. Sie fliegen dabei bis in Höhen von ca. 2000 Meter. Der Name „Trauermantel“ spiegelt sein Aussehen wider. Im 17. und 18. Jahrhundert waren an der männlichen, schwarzen Trauertracht helle Stoffbinden, sogenannte Pleureusen, an den Ärmeln befestigt. Der Trauermantel erinnerte die Menschen an ebendiese Kleidung durch seine hellen Ränder der ansonsten dunklen Flügel. Der wissenschaftliche Name erinnert an Antiope, die in der griechischen Mythologie zwei Söhne mit Zeus zeugte. Da Antiopie wegen trauriger Begebenheiten bekannt wurde, ist der Trauermantel nach ihr benannt. In einigen alten Überlieferungen gelten diese Falter auch als Sinnbild eines Psychopompos. Mit sichtlich traurigem Blick betrachtet Kurt den kleinen Falter, der noch immer sein Ebenbild betastet, als wäre es jemand, den er sehnlichst vermissen würde. Seufzend stößt der X-Man die Luft aus, streckt dem Schmetterling dann vorsichtig den Finger hin, den dieser ohne jede Furcht leichtfüßig erklimmt, und betrachtet ihn dann eingehender. „Okay, jetzt weiß ich, was du für ein Tierchen bist, und dass mich wahrscheinlich keine sonderlich schöne Aufgabe erwarten wird. Doch was ist es? Was soll ich tun?“, fragt der Teleporter leicht verzweifelt. Der Trauermantel dreht sich allerdings nur einmal um sich selbst und löst sich dann ganz plötzlich in Luft auf, als würde auch er das Teleportieren beherrschen. Der Elf bleibt allein und ratlos zurück. Davon will er sich aber nicht so schnell beirren lassen. Vielleicht hat er ja nur etwas übersehen? Der Schmetterling hat ihm zwar ein bisschen dabei geholfen das richtige Buch zu finden, doch dachte er wirklich, dass das nun so weiter gehen würde, bis er seine göttliche Aufgabe erfüllt hat? Nun wirklich nicht. Also muss ihm selbst etwas einfallen. Daher besieht er sich den Text über den Trauermantel noch einmal etwas genauer. Womöglich hat er etwas Entscheidendes nicht ganz im Blick gehabt. Nightcrawler liest jeden Satz gründlich durch und verinnerlicht dessen Bedeutung. Das Meiste handelt aber schlichtweg nur vom Aussehen und der Lebensweise des kleinen Insekts. Der Name der griechischen Dame sagt ihm nichts. Zeus ist hingegen allgemein bekannt und Kurt kommt es so vor, als wäre er auch nicht gerade eine sonderlich treue Seele oder ließe sich nur zu leicht von der holden Weiblichkeit verführen. Wenn er nachschlagen würde, könnte er vermutlich feststellen, dass Zeus mehr Geliebte – und außereheliche Kinder – hatte, als er an seinen ohnehin schon wenigen Fingern abzählen kann. Dann jedoch springt ihm der letzte Satz der Aufzeichnungen in die Augen. Psychopompos lautet das Wort ganz am Ende vom Text. Irgendwo hat der Elf diesen Ausdruck schon einmal gehört, er kommt nur nicht drauf. Er glaubt allerdings, dass er auch aus dem Griechischen stammt. Langsam erhebt er sich wieder und wendet sich erneut den endlosen Regalreihen aus Büchern zu. Nach einigem Suchen findet er ein mehrbändiges Lexikon. Jeder Buchstabe des Alphabets nimmt hierbei mindestens drei armdicke Bücher ein. Beim Q ist es jedoch nur eines, X und Y teilen sich sogar einen Band. Dafür erhält das S gleich sieben für sich allein – eines dicker als das andere. Alle Bücher zusammen füllen gut die Hälfte des vier Meter hohen und zwei Meter breiten Regals aus. Für das P stehen immerhin auch vier Bände zur Verfügung, wobei sich das gesuchte Wort lauf Angabe auf dem Buchrücken im letzten davon befinden müsste. Geschickt windet er das ledergebundene Buch zwischen den anderen hervor und nimmt es mit zum Tisch. Suchend gleitet er mit dem Finger die einzelnen, teils sehr kryptischen und kaum noch zu verstehenden, geschweige denn zu lesenden Worte entlang, und hält nach dem von ihm gewünschten Ausschau. In der Abteilung Psycho reihen sich dann gefühlte hundert Worte untereinander auf, sodass er schon glaubt, es nicht mehr finden zu werden. Tatsächlich wechselt die Abteilung dann auch zu Pt, ohne dass er fündig wird. Verwundert legt Kurt die Stirn in Falten und überlegt schon, ob er nun doch ein griechisches Wörterbuch zu Rate ziehen muss, um zumindest eine Übersetzung dafür zu finden. Dann allerdings entdeckt er das Wort doch noch. Es befindet sich ganz unten auf einer der Seiten, sodass nicht einmal mehr eine vollständige Zeile der Erläuterung vorhanden ist, bevor es auf der nächsten Seite weitergeht. Somit hat er es schlichtweg überlesen und beim nächsten Wort weitergemacht. Mit einer seltsamen Mischung aus Erleichterung und nervöser Aufregung beginnt er dann zu lesen, wobei seine Stimmung immer weiter ins Negative abgleitet, besteht doch nun wirklich kein Zweifel mehr dafür, dass ihn eine schwierige und womöglich lebensgefährliche Aufgabe bevorsteht. Psychopompos: Das Wort Psychopompos (Plural Psychopompoi) kommt vom griechischen ψυχοπομπὀς und bedeutet wörtlich übersetzt „Seelengeleiter“: Er geleitet die Seelen der Verstorbenen ins Jenseits. Der Namensteil „pompos“ stammt vom Verbum „pempo“ ab, was führen und geleiten bedeutet. Das Wort „Pomp“ verweist auf einen großen, festlichen Geleitzug. Psychopompos ist der Titel des griechischen Botengottes Hermes, der dieses Amt von Apollon übernommen hatte. Die Vorstellung von Psychopompoi war aber allgemein verbreitet. So kannten etwa die alten Ägypter Anubis, in der germanischen Mythologie holen Walküren die gefallenen Krieger vom Schlachtfeld nach Walhalla, und bei den Kelten war Ogma Seelenführer. Im Christentum sind es der Erzengel Michael, der Schutzengel oder der Riese Christophorus; an der Pforte zum Himmel erwartet Petrus die Seele, die Einlass begehrt. Im Islam ist es der Engel Azrael, der von Allah eine Liste mit den zum Tode bestimmten Menschen erhält und in den darauffolgenden 40 Tagen ihre Seelen vom Körper trennt. Allgemein ist der Psychopomp eine mögliche Form der Personifikation des Todes. Generell können Geister, Gottheiten, Dämonen oder Engel die Aufgabe eines Psychopompos übernehmen. Seine Bedeutung ist neben dem Transport der Seele vor allem der Prozess der Akzeptanz der Sterblichkeit. Er ist vor allem ein Führer und Begleiter. Helfer des Psychopompos sind die Schutztiere, die zumeist als Erste auftauchen. Während Nightcrawler diesen Text liest und zu verinnerlichen versucht, läuft ihm ein eiskalter Schauer den Rücken hinab. Wenn er das alles richtig versteht, wird bald jemand sterben müssen, dessen Zeit womöglich noch nicht gekommen ist, und Kurt soll das im Namen des Herrn verhindern. Doch wer wird es sein? Kennt er diese Person? Wann wird es passieren und wie? Wo? Fragen über Fragen, bei denen ihm niemand helfen kann und deren Antworten dennoch über Leben und Tod entscheiden werden. Was also soll er jetzt nur tun, um das zu verhindern? 5 Tage vergehen, in denen Nightcrawler keine Antworten findet und auch keinem der Schmetterling mehr über den Weg läuft. Das Ganze beschäftigt ihn aber verständlicherweise dennoch sehr. So sehr, dass die übrigen X-Men schon in Sorge sind, ob das alles womöglich in einer Art Fanatismus ausartet, der Kurts zartbesaitetes Seelenheil völlig zerstören könnte. Er redet praktisch von nichts anderem mehr. Wird nur immer panischer, weil er keine Lösung findet und die Schmetterlinge auch nicht wieder auftauchen. Ziellos läuft er gefühlte Stunden in dem großen Haus auf und ab, ohne irgendwie weiter zu kommen. Schließlich reicht es Logan und er schickt den Elfen nachdrücklich in sein Zimmer, um sich endlich einmal richtig auszuschlafen, damit er mal wieder auf einen klaren Gedanken kommt. Nur widerwillig gibt der junge Mutant dem Ganzen nach und verzieht sich in sein Bett, wo er augenblicklich einschläft, noch bevor er sich ganz hingelegt hat. Als Nightcrawler irgendwann dann wieder die Augen aufschlägt, ist es bereits dunkel draußen. Ein Blick auf seinen Wecker sagt ihm aber, dass es erst halb fünf Uhr nachmittags ist. Da es allerdings tiefster Winter ist, ist es nicht verwunderlich, dass es jetzt schon stockfinster ist. Der Schnee, der in den letzten Tagen gefallen ist, türmt sich in der ganzen Stadt zu kleinen Bergen auf, und auf Feldern und Wiesen versinkt man schnell bis über die Knöchel in dem kalten Weiß. Im Moment kümmert das Kurt allerdings nicht so sonderlich viel – auch wenn er sonst hell auf begeistert von der weißen Pracht ist –, immerhin ist es in seinem Zimmer herrlich warm, erst recht im Bett, das er auch noch nicht so schnell verlassen will, obwohl ihn immer noch die Gedanken an seine göttliche Aufgabe quälen. Verschlafen fallen ihm wieder die Augen zu, doch nur für ein paar Sekunden. Dann kitzelt ihn etwas an der Nase und erlangt daher schwerfällig seine Aufmerksamkeit. Er hat noch gar kein völlig klares Bild von dem Störenfried, da schreckt er auch schon heftig zusammen und kann gerade noch verhindern, sich weg zu teleportieren. Den Trauermantel stört das allerdings kein bisschen und er bleibt ungetrübt auf der pelzigen Nasenspitze des Elfen hocken. „Hatte ich nicht erwähnt, dass ich sehr schreckhaft bin?“, rügt er den Schmetterling ein bisschen. Dieser zuckt nur nichtssagend mit den Fühlern herum und starrt Kurt mit seinen dunklen Facettenaugen an. Seufzend stößt Nightcrawler die Luft aus und pustet sie dabei absichtlich gegen die zarten Flügel des Falters. Auch das beeindruckt das Insekt nicht im Geringsten. Stattdessen entrollt es seinen langen Rüssel, als würde es sich strecken und lässt ihn dann wieder verschwinden. „Warum hat das eigentlich so lange gedauert, bis du wiedergekommen bist? Die anderen X-Men halten mich schon für vollkommen durchgeknallt, weil sie keine Schmetterlinge sehen können.“ Der Trauermantel antwortet ihm selbstverständlich nicht, ist sich aber scheinbar auch keiner Schuld bewusst. Erneut seufzt der Elf, diesmal aber ohne das Insekt anzupusten. „Habe ich irgendetwas übersehen? Ich meine, war deswegen die Pause, oder habt ihr noch etwas anderes zu tun und konntet deswegen nicht zu mir kommen?“ Der Falter äußert sich auch weiterhin nicht, hockt nur stumm auf Kurts Nase. Als der Teleporter kurz darauf jedoch niesen muss, schwirrt der Schmetterling etwas überrascht im Zimmer herum und stößt dann immer wieder ungeschickt gegen das Fenster, als wolle er versuchen zu entkommen. „Warte, ich lasse dich raus.“, gibt der junge Mutant von sich, woraufhin der Falter gehorsam am Glas verweilt. Innerlich fragt sich der X-Man, warum er sich eigentlich die Mühe macht, immerhin ist der Schmetterling ja auch vorher immer wie aus dem Nichts aufgetaucht und genauso magisch wieder verschwunden, da dürfte doch eine Glasscheibe kein Hindernis für ihn sein. Als er jedoch das Fenster hochschieben will, erstarrt Kurt in jeder Bewegung und blickt mit tellergroßen Augen in die verschneite Nacht hinaus. Was er dort zu sehen bekommt, will so gar nicht in seinen Kopf hinein, und dennoch scheint es da zu sein: Tausende Schmetterlinge tummeln sich dort auf der dicken Schneedecke, als wäre es eine saftige Blumenwiese im Sommer! „Heiliger Vater im Himmel...!“, entkommt es ihm stockend. Wie ferngesteuert richtet Kurt den Blick wieder auf seinen kleinen Zimmergenossen, der noch immer an der Fensterscheibe hockt, nun aber wieder den Rüssel entrollt hat und damit über das kalte Glas zu tasten scheint. „Du hast diesmal also deine Freunde mitgebracht, was? Heißt das, dass es jetzt soweit ist? Das ich jetzt meine Aufgabe zu erfüllen habe?“ Der Trauermantel rollt seinen Rüssel wieder zusammen und wirrt dann aufgebracht um Nightcrawlers Kopf herum, als wolle er ihn zu Eile drängen. Auch seine Artgenossen wirken hektisch, wie sie dort so über die dicke Schneedecke tanzen. Der Elf atmet tief durch und streift sich dann schnell seinen Trainingsanzug über. Als das erledigt ist, schiebt er endlich das Fenster hoch und entlässt seinen Gast in die langersehnte Freiheit. Der Schmetterling fliegt auch sogleich zu seinen Kollegen hinab und scheint sich aufgebracht mit ihnen auszutauschen. Völlig fasziniert betrachtet der blaue Fellball das Ganze. Inzwischen hat ein heftiger Wind eingesetzt, der die gefühlte Temperatur weit unter Null sinken lässt. Neuer Schnee peitscht dabei durch die klirrend kalte Luft, wie winzige Geschosse treffen sie die pelzigen Wangen des Mutanten. Augenblicklich lässt ein Schauer ihn erzittern und unweigerlich stellt sich sein kurzes Fell auf, um ihm Wärme zu spenden. Das alles bekommt Kurt jedoch nur am Rande mit, seine Augen kleben stattdessen regelrecht an all den Insekten, die in dieser weißen Einöde so fehl am Platz wirken. „Oh Herr, steh mir bei, damit ich dieser Aufgabe gewachsen bin...“, schickt er ein kleines Gebet hinauf in den düsteren Himmel und krabbelt dann aufs Fensterbrett. Geschickt klettert er kopfüber die Hauswand hinab und lässt sich dann in den dicken Schnee gleiten. Wie eine übergroße Katze hockt er dann dort auf allen Vieren, den langen Schweif um seinen zierlichen Leib gewickelt, als könnte er ihn irgendwie wärmen. Aufmerksam betrachtet er die endlos vielen Falter, die sich nun wieder in Bewegung setzen. Es dauert nicht lange, da bilden sie eine Perlenkette, die über das ganze Grundstück und in den angrenzenden Wald hineinzuführen scheint. Sie hocken immer als kleines Paar nebeneinander und blicken sich dabei wie Tanzpartner in einem großen Saal an. Die Schmetterlinge – jedenfalls diejenigen von ihnen, die Kurt am nächsten sind – machen nun einen schmalen Weg zwischen sich frei, gerade so breit, dass Nightcrawler hindurch laufen kann, ohne einen von ihnen zu berühren. Nun wirken die Insekten wie die kleinste Startbahn der Welt, sie scheinen sogar von innen heraus ganz sanft zu glühen. Sie kommen dem Elfen damit fast wie Irrlichter in einem dunklen Wald vor, obwohl Kurt ihren Weg in der Finsternis auch so erkennen könnte, immerhin bilden sie deutliche, dunkle Tupfen auf dem sonst völlig ungerührten, blütenweißen Schnee, und sind so trotz des heftigen Windes erkennbar. Der Sturm scheint die kleinen Insekten gar nicht zu kümmern, falls sie ihn überhaupt spüren. „Großer Gott!“, flüstert er und erhebt sich dann ganz langsam wieder auf alle Viere. Dann ist er zwischen ihnen. Plötzlich gleitet er aus der Welt, die er seit jeher gekannt hat, in eine fremde, in der es nichts zu geben scheint als diese winzigen Wachposten an der Grenze zwischen dem Land der Lebenden und der Toten. Nichts scheint mehr zu existieren, außer dem Weg vor ihm, und der unbändige Drang sich beeilen zu müssen. Mit gesenktem Kopf rennt Kurt mit dem Tempo und der geballten, sprungbereiten Eleganz einer Wildkatze über die halbgefrorene Schneedecke zwischen den wartenden Schmetterlingen hindurch. Tief sinkt er dabei in der weißen Pracht ein, doch es kümmert ihn nicht. Seine langen Gliedmaßen sind wie geschaffen dafür, sich ihren Weg durch dieses kalte Hindernis zu bahnen. Bei seiner Windhund gleichen Geschwindigkeit ist es ein Wunder, wie die winzigen Schmetterlinge es dennoch schaffen, ihm immer voraus zu sein und sich vor ihm zu öffnen. Praktisch unverändert bleibt ihr Abstand zu ihm und somit der Weg, der sich vor ihm in diese Winterwelt eröffnet und ihn immer weiter in das Grenzland zwischen Leben und Tod zu führen scheint... 6 Eine Stunde später pocht es nachdrücklich an Kurts Tür. Kurz darauf betritt Logan das Zimmer. „Hey, du Elf, Schluss mit Trübsal blasen. Vielleicht bekommst du von einem Bier ja wieder einen klaren K...“, versucht er seinen Freund zu locken. Allerdings kann er den Satz nicht ganz beenden. Als sein Blick auf das Bett des Teleporters fällt, rutscht ihm fast die Bierflasche aus der Hand. Auf dem Kopfkissen hockt ein einzelner Schmetterling, macht ein paar unsichere Schritte und fällt dann wie tot auf die Seite. Außerdem ist das Fenster offen, wodurch der ganze Raum wie eine Tiefkühltruhe wirkt. Als Wolverine die angehaltene Luft ausstößt, bildet sich eine dicke, weiße Wolke vor seinem Gesicht. Hier drinnen muss es mindestens so kalt wie draußen sein, was bedeutet, dass das Fenster nicht erst seit ein paar Minuten offensteht. Der Jäger merkt sofort, dass sein Elf nicht mehr da ist. So etwas wie leichte Panik macht sich in dem Schwarzhaarigen breit, weshalb er ziemlich unelegant wirkt, als er sich nun dem Bett nähert. Stirn runzelnd betrachtet er den toten Schmetterling auf dem Kissen. Ganz vorsichtig schiebt er eine Hand unter das zerbrechliche Insekt und hebt es an, um es näher zu betrachten. Es scheint sich um einen der Falter zu handeln, die Kurt in letzter Zeit immer wieder gesehen haben will. Doch was hat es zu bedeuten, wenn auch Wolverine ihn jetzt sehen kann? Verliert er nun auch den Verstand, so wie es anscheinend bei seinem süßen Elfen der Fall ist, oder ist die Aufgabe, die der Bengel angeblich erfüllen soll, so groß geworden, dass er möglicherweise Hilfe braucht? Viel darüber nachdenken kann der Jäger nicht, da löst sich der Schmetterling plötzlich direkt vor seinen Augen auf, als wäre er nichts weiter als eine Fata Morgana gewesen. Einen Moment starrt Logan seine Hand völlig dümmlich an, dann wendet er sich dem offenen Fenster zu. Er streckt den Kopf in die eisige Nacht hinaus und schreckt abermals zusammen. Unter Kurts Fenster liegen dutzende toter Schmetterlinge auf der dichten Schneedecke. Es gleicht jedoch einem Wunder, dass sie bei dem heftigen Wind nicht davongeweht oder hilflos unter dem Schnee begraben werden. Es können also einfach keine gewöhnlichen Falter sein. Von dem Haufen toter Insekten erstreckt sich ein Weg aus weiteren Tierchen wie ein Pfad in einem unheimlichen Märchen. Der Weg scheint bis in den angrenzenden Wald hinein zu reichen. Zwischen den bedauerlichen Schmetterlingen erkennt Wolverine noch schwache Spuren im Schneetreiben, die unverkennbar zu Nightcrawler zu gehören scheinen. Mit einem gekonnten Sprung landet Logan in der weißen Pracht, sinkt auf die Knie und schnüffelt an den verblassenden Spuren. Ganz eindeutig Kurt. Sein Duft hängt gerade noch so in der gefrorenen Luft, was bei diesen Witterungsverhältnissen nicht selbstverständlich ist, nicht einmal mit der guten Nase des Jägers. „Was machst du nur, Elf?“, fragt er halblaut in sich hinein und blickt zum Wald hinüber. Merklich frisst sich dabei die Kälte in ihn hinein. Kurz darauf gibt er ein heftiges Niesen von sich und schüttelt sich unwohl. Lange sollte sich niemand hier draußen aufhalten. Bei dieser Kälte hilft auch das kurze Fell des Teleporters nicht viel. Wolverine sollte ihn also lieber schnell finden, bevor noch ein Unglück passiert. Das besagte Unglück scheint jedoch schon zu beginnen, denn nun fangen auf einmal die Schmetterlinge an sich aufzulösen! Zuerst nur der Haufen vor seinen Füßen, dann allerdings auch die Wegbegleiter. „Scheiße...“, schimpft er leicht in sich hinein und beginnt zu rennen, wobei die Falter viel schneller das Zeitliche zu segnen scheinen als er im fast kniehohen Schnee unelegant vorankommt. Das ist nicht gut, ganz und gar nicht gut. Erst recht, wenn der Wind die wenigen Spuren des Blauhäutigen auch noch verwischt. Knurrend legt er noch einen Gang zu, doch es ist echt schwer in diesen Schneemassen vorwärts zu kommen. Doch so schnell gibt sich der Krieger nun wirklich nicht geschlagen. Damals in Kanada hat er Schlimmeres durchgemacht und da liegt das Land monatelang unter einer dicken Schneedecke begraben, die weit fieser ist als das hier. Also los, Logan, streng dich an! 7 Mit der Kälte, dem anhaltenden Wind und den immer dichter fallenden Flocken verliert Wolverine ziemlich schnell jegliches Zeitgefühl. Somit kommt es ihm wie eine Ewigkeit vor, bis er tief im Wald schließlich den letzten Schmetterling aus den Augen verliert. „Scheiße!“, knurrt er in sich hinein und niest wieder heftig. Wenn das so weitergeht, kann er seine Nase zur Fährtensuche völlig vergessen. Das Wetter macht es sowieso fast unmöglich etwas auszumachen. Es ist fast so, als wäre etwas oder Jemand dagegen, dass er seinen kleinen Elfen wiederfindet. Doch das darf er einfach nicht zulassen. Er kann spüren, dass Nightcrawler seine Hilfe braucht, und zwar dringend. Etwas verloren dreht er sich im Kreis und versucht die Spur wiederzufinden. Mit leichtem Grummeln stellt er allerdings fest, dass der stetige Wind und der nicht enden wollende Schneefall schon beinahe seine eigenen Spuren weggewaschen hat. Hier mitten im Wald ist es zudem auch noch fast stockfinster. Der Schnee gibt zwar ein gewisses Licht ab, sodass nicht alles vollkommen schwarz ist, aber das macht es auch nicht viel besser. Verzweiflung versucht ihn zu übermannen, doch er lässt es nicht zu. Stattdessen schließt er die Augen, versucht sich irgendwie zu beruhigen und lauscht. Er hört den Schnee sachte fallen, ein Geräusch, das über das nächtliche Heulen des Windes hinweg selbst für ihn kaum wahrzunehmen ist. In der Ferne kann er zudem ein, zwei Tiere – vermutlich Hirsche oder dergleichen – durch das Unterholz brechen hören. Irgendwo schreit eine Eule, woraufhin sich etwas anderes zu verstecken versucht. Äste knacken, immergrüne Sträucher rascheln. Plätschernd gleitet der Bach dahin. Noch tiefer, er muss noch tiefer hineintauchen! Alle anderen Geräusche ausblenden... Weiter... Tiefer... Immer noch viel weiter... Und... Da! Ein neues Geräusch, sehr schwach, doch unverkennbar das Schlagen von vielen kleinen Flügelchen – Schmetterlingsflügel! Sofort reißt Wolverine die Augen wieder auf und wendet sich in die Richtung um. Eine weitere Ewigkeit vergeht, dann stößt er auf einen ganzen Haufen der dunklen Falter. Es sieht aus, als wenn sie auf etwas sitzen würden, das dort im Schnee liegt. Mit einem ziemlich unguten Gefühl nähert sich Logan noch zwei Schritte. Daraufhin zerstreuen sich die Schmetterlinge in einer hektischen, dunklen Wolke und umschwirren ihn. Knurrend versucht er sie von sich fernzuhalten, um einen Blick auf das Etwas im Schnee werfen zu können. Als es ihm schließlich gelingt, stockt ihm zum dritten Mal heute Abend der Atem. Dort, schon halb im tiefen Schnee versunken, liegt reglos sein kleiner Elf! 8 Von Sorgen zerfressen stürzt Logan zu ihm und rüttelt ihn kräftig durch. „Wach auf, Elf! Kurt, hörst du mich? Hey!“ Er erhält jedoch keinerlei Reaktion. Prüfend drückt der Jäger sein Ohr auf die schmale Brust des Jungen und horcht nach dessen Herzschlag. Er ist sehr schwach und Wolverine muss sich richtiggehend anstrengen, ihn bei dem starken Wind hören zu können. Noch einmal versucht er den Bengel wachzurütteln, doch es geschieht abermals nichts. Verzweiflung schürt seine Sorgen ins Unermessliche. Dann nimmt er im Augenwinkel das Flattern der Falter wahr und wendet sich zu ihnen um. Sie schwirren ziellos umher und scheinen mit sich und alledem nichts wirklich anfangen zu können. Ihr Anblick weckt jedoch unglaubliche Wut in dem Vielfraß. Sie allein sind schuld daran, dass Kurt hier draußen im Schnee womöglich sterben wird! Knurrend fährt er die Krallen aus und beginnt damit die Viecher aus der Luft zu holen. Hektisch versuchen die Schmetterlinge dem zu entgehen. Nicht wenige von ihnen landen allerdings zerfetzt wie Bastelpapier auf der Schneedecke und lösen sich kurz darauf auf. Ihren Platz scheinen nur kurz danach aber neue Falter einzunehmen, sodass Wolverines Bemühungen nicht gerade von Erfolg gekrönt sind, was ihn nur noch zorniger macht. „Ihr dreckigen Biester seid schuld, wenn mein kleiner Elf hier draußen krepieren muss! Also kommt gefälligst her, damit ich euch das Fell über die Ohren ziehen kann!“, schimpft er in sich hinein und zerschneidet knurrend hundertfach die eisige Luft. Die Schmetterlinge werden immer aufgebrachter, doch wehren können sie sich nicht wirklich. Dann gelingt es Logan eines der Wesen mit seinen Klauen aufzuspießen. Zuckend und zappelnd hängt der Falter mit durchbohrten Flügeln auf dem kalten Adamantium und versucht irgendwie los zu kommen. Der heiße Atem des Kriegers trifft seinen kleinen Körper in einer fauchenden Dunstwolke. „Tut gefälligst etwas oder ihr endet als Mitternachtsimbiss!“, tönt der X-Man und öffnet mahnend den Mund. Gleichzeitig beginnt er sich zu fragen, ob diese Falter, die Kurt immer wieder als Seelengeleiter bezeichnet hat, nur hier sind, um die geschundene Seele des Elfen zu rauben, oder ob da wirklich eine göttliche Aufgabe dahintersteckt und das hier nur ein ungewolltes Unglück ist. Er spürt schon die winzigen Füßchen des Falters panisch über seine Zunge tanzen, als hinter ihm eine schwache Stimme laut wird. „Logan? – Was – was machst du denn hier?“ Mit aufgerissenen Augen wendet sich der Angesprochene herum. Seine Krallen verschwinden wieder in seinen Fingerkuhlen, wodurch der gefangene Schmetterling hilflos auf dem Schnee landet und dann verschwindet. Ungelenk lässt sich der Ältere auf die Knie fallen und reißt den sichtlich überforderten Teleporter dann in seine Arme. „Um Himmels willen, Elf, ich hatte eine Scheißangst um dich...!“, platzt es mit bebender Stimme aus ihm heraus, während er den geschwächten Jungen so fest an sich drückt, dass dieser schon kaum noch Luft holen kann. „Du – erdrückst mich...“ Nur widerwillig lässt der Schwarzhaarige von ihm ab. „Ist alles in Ordnung?“ „Ich – denke schon...“ „Was machst du hier mutterseelenallein im Wald, verdammt?“ „Ich bin den Schmetterlingen gefolgt. – Dann wurde irgendwann alles schwarz vor meinen Augen und jetzt bist du hier.“ „Diese dämlichen Falter wollten dich umbringen!“ „Das ganz bestimmt nicht, aber – kannst du sie etwa sehen? Hast du mich deswegen gefunden?“ „Ich kann die Mistviecher sehen, das heißt aber noch lange nicht, dass ich sie für hilfreich halten muss, wenn sie dich hierhergelockt haben.“ Kurt wirkt sichtlich erleichtert. „Wenn auch du sie sehen kannst, dann hälst du mich also nicht mehr für verrückt?“ Der zu kurzgeratene Kanadier gibt ein verstimmtes Schnauben von sich. „Vielleicht. Vielleicht hab‘ ich dank dir mittlerweile aber auch selbst einen Dachschaden.“ „Ach, den hattest du doch schon lange vor mir!“, gluckst der Elf keck und lächelt entzückend. Als Logan spielerisch nach ihm schlägt, weicht der Jüngere geschickt aus und zieht den anderen Mutanten dann seinerseits in seine Arme. „Danke, mein Freund! Hilfst du mir?“ „Alles, um diesen Irrsinn zu beenden, Elf.“, erwidert der Krieger seufzend und drückt ihm dabei zärtlich einen Kuss auf die Schläfe. 9 Die beiden haben sich noch gar nicht wieder voneinander getrennt, da werden die Schmetterlinge um sie herum immer aufgeregter. Hektisch flattern sie den Mutanten um den Kopf, um ihnen klarzumachen, dass die Zeit nun wirklich drängt. „Folgen wir ihnen lieber. – Irgendetwas liegt in der Luft. Ich kann es spüren, doch ich weiß nicht, was es bedeutet.“, Hilfe suchend sieht Kurt seinen Partner an. Der Krieger hat ebenfalls ein seltsames Gefühl, das er nicht so recht deuten kann. Etwas wird passieren, sehr bald, doch mehr kann er nicht damit anfangen. „Ich merke es auch. Hoffen wir, dass uns diese Flattermänner nicht in die Irre führen...“ Und so geht es weiter in den Winterwald hinein. Nach einer Weile überqueren sie den kleinen Bach, den Logan in der Ferne gehört hatte. Dahinter werden die Bäume immer dichter, sodass kaum noch Schnee auf dem Boden zu finden ist, was es nicht gerade leichter macht, den dunklen Schmetterlingen zu folgen. Schließlich kommen sie an einem Zaun an, der mitten durch den Wald führt und in regelmäßigen Abständen mit Schildern versehen ist. Privatgrundstück, betreten verboten! lautet die Aufschrift. Darunter befindet sich das Symbol eines Blitzes. „Wir ignorieren das einfach, oder?“, fragt Nightcrawler hoffnungsvoll, während die fliegenden Insekten ungerührt darüber hinweggleiten und nervös auf der anderen Seite auf sie warten. „Natürlich ignorieren wir das. Es galt nicht uns. Dieser Zaun markiert immerhin das Ende unseres Grundstücks. Berühr ihn nur nicht, sonst wird dir nicht nur das Fell zu Berge stehen.“, erläutert der Ältere knapp und schwingt sich elegant über das Hindernis hinweg. Dabei kommt er mit der Hand kurz an den fast unsichtbaren Draht, der um die einzelnen Holzbohlen gewickelt ist. Deutlich sprühen in der Dunkelheit Funken auf, die Nightcrawler unweigerlich das Fell sträuben. „Echt?“, staunt der Teleporter, hätte er doch nie geglaubt, dass das Anwesen der X-Men so weitläufig in den Wald hineinführt und zudem so abgesichert ist. „Warst du schon mal auf der anderen Seite?“, fragt er dann noch, während auch er auf die andere Seite überwechselt, wobei er in einem hohen Bogen wie ein Reh darüber hinwegspringt, um jede mögliche Berührung damit zu vermeiden. Logans Körper steckt den heftigen Stromschlag dank seines Heilfaktors locker weg, doch der Elf zweifelt nicht daran, dass er ihn selbst vielleicht sogar umbringen könnte. Leicht legt Wolverine den Kopf schief und denkt nach. „Jetzt, wo du es erwähnst. Nee, war bisher nur ein paar Mal hier am Zaun, um zu kontrollieren, ob der noch intakt ist. – Hm. An sich komisch. Ist sonst gar nicht meine Art. Hatte irgendwie immer andere Dinge zu tun und hab‘ nur daran gedacht, wenn ich hier am Zaun stand, und dann kam auch immer wieder etwas dazwischen, das mich davon abgehalten hat, ihn zu übertreten. Fast so, als hätte mich etwas davon abhalten wollen...“ Nachdrücklich betrachtet ihn der Elf. „Vielleicht ist es ja tatsächlich so? Vielleicht befindet sich hier etwas, das du nicht finden solltest? Vielleicht...“ „Jaja, vielleicht. Lass uns weitergehen, bevor deine Schmetterlinge keine Lust mehr haben zu warten.“ So machen sie sich erneut auf den Weg. Das Gebiet jenseits des Zaunes ist jedoch ziemlich unerschlossen, nahezu undurchdringlich. Die Vegetation steht so dicht, dass das Vorankommen zu einer echten Geduldsprobe wird. Die Flora liegt zwar größtenteils im Winterschlaf, doch es gibt genügend immergrüne Büsche oder Jungbäume, die den Weg immer wieder versperren, sodass Logan gezwungen ist, seine Krallen als Buschmesser zu benutzen. Das ist in jedem Fall einfacher, als sich endlos oft durch die Wildnis zu teleportieren, was sie beide schnell an ihre Grenzen bringen würde. Nach gefühlten Ewigkeiten stoppen die Falter endlich und wirren immer wieder im Kreis. Kaum, dass die beiden Mutanten bei ihnen angekommen sind, verschwinden sie allerdings spurlos. „Und jetzt?“, stellt Kurt in den Raum. „Was fragst du mich? Ist doch dein Projekt. Irgendwelche göttlichen Eingebungen?“ Der letzte Satz klingt schon beinahe belustigt, doch das ignoriert der Elf gekonnt. Immerhin weiß er nur zu gut, dass Wolverines Glauben schon seit Jahrzehnten nicht mehr existiert und macht ihm da auch keinen Vorwurf draus. Andererseits ist der Vielfraß durchaus bereit, himmlische Fügungen zu akzeptieren, wenn er sie mit eigenen Augen sehen kann. Gedankenversunken geht der Blauhäutige in sich. Er ist sich ziemlich sicher, dass sie ihrem Ziel jetzt sehr nahe sind. Hier muss es also etwas zu sehen geben. Es muss! Doch was und wo? Das ungute Gefühl in ihm ist nun praktisch schon greifbar und droht ihn regelrecht zu ersticken. Die Zeit sitzt ihm wie eine wütende Katze im Nacken und wartet nur darauf ihn fertigzumachen. Doch er muss sie abschütteln, sich konzentrieren. Ganz langsam lässt er daher seine leeren, gelben Augen über das vor ihm liegende Dunkel wandern. Sucht nach etwas Auffälligem in dem dichten Grauschwarz der Nacht. Wie in weiter Ferne hört er dabei Wolverine neben sich geräuschvoll schnüffeln. Als Nightcrawler schon der festen Überzeugung ist, nichts mehr zu sehen, ertönt die Stimme des Schwarzhaarigen neben ihm. „Wir sind nicht allein.“, knurrt er. „Was?“, fragt der Junge überrascht und dreht sich um, um den Weg zu betrachten, den sie gekommen sind. „Nein, nicht hinter uns, vor uns. – Hier ist irgendwo eine Höhle oder ein Zugang unter die Erde. Einer von denen war öfters hier draußen. – Die anderen Spuren sind zu viele, zu unterschiedlich. Fast so, als hätte dieser eine immer wieder andere hierher gebracht...“ „Das gefällt mir nicht.“, meint Kurt sorgenvoll. „Mir erst recht nicht. Der eine ist eindeutig ein Mann – die anderen sind Kinder!“ „Himmel! Er tut ihnen etwas ganz Schreckliches an, ganz sicher! Und ich bin hier, um das zu verhindern!“ „So sieht’s wohl aus!“ „Kannst du zufällig den Eingang oder so riechen? In dieser Dunkelheit fällt es selbst mir schwer, etwas zu erkennen.“, kommt es fast schon entschuldigend von dem Elfen. Der Mond ist hinter den dicken Wolken verborgen, und da hier kein Schnee liegt und die Vegetation so eng steht, dass sie einen förmlich anspringt, ist es nahezu stockfinster. Nur das leichte Glimmen der Schmetterlinge hat ihnen hier überhaupt den Weg weisen können. Logans Augen sind bei Tageslicht gewöhnlich weit besser als Nightcrawlers, was der Teleporter nachts mehr als wett macht. Jetzt allerdings sind sie beide praktisch blind, erst recht, seit die Falter verschwunden sind. Nur die überaus feine Nase des Vielfraßes kann ihnen jetzt noch helfen. Grummelnd geht der Krieger auf alle Viere hinab, hält die Nase eine Handbreit über dem gefrorenen Boden und beginnt dann wieder geräuschvoll zu schnüffeln. Langsam bewegt er sich dabei vorwärts und versucht den Ursprung der Fährte zu finden, was bei den vielen sich überlagernden Spuren gar nicht so einfach ist. Nach einer Weile stoppt er an einem sehr großen, alten Baum. Er wirkt, als wäre er schon völlig hohl und ist deswegen nur noch nicht umgefallen, weil dafür gar kein Platz ist. Zwischen seinen mächtigen Wurzeln, die sich als dicke Stränge über den Erdboden winden und erstklassige Stolperfallen in der Finsternis bilden, befindet sich ein Loch. Als der Schwarzhaarige seine Bemühungen dort hinein richtet, beginnt er tief in der Kehle zu knurren. All seine Muskeln spannen sich mahnend an und es wirkt, als wäre er nur noch einen Sekundenbruchteil davon entfernt völlig auszurasten. ‚Er kann sicher das Leid dieser armen Kinder riechen und das treibt ihn vollkommen in den Wahnsinn...‘, geht es Kurt durch den Kopf, bevor er seinem Freund beruhigend eine Hand auf die Schulter legt. „Der Kerl ist so was von tot!“, brummt der Ältere kaum noch verständlich, ehe er sich gerade so weit wieder fängt, dass auch sein Partner das Loch einen Moment betrachten kann. „Nur nichts überstürzen. Wenn er uns bemerkt, können wir den Kindern vielleicht nicht mehr helfen...“ Widerwillig fügt sich Wolverine dem Gedanken und atmet ein paar Mal durch, ehe er wieder auf alle Viere sinkt und in dem Loch verschwindet, dicht gefolgt von Nightcrawler. 10 Das Loch unter dem Baum geht in einen langen Tunnel über, der die beiden X-Men immer weiter unter die Erde führt. Kurt kann unmöglich sagen, wie tief sie sich letztendlich befinden, als sie den Zugang zu einer riesigen Kammer erreichen. Beobachtend kauern sie sich neben dem Eingang hin und lassen den Blick bezüglich möglicher Gefahren schweifen. Das unterirdische Gewölbe scheint die Ausmaße eines pompösen Ballsaales zu haben. In unterschiedlichen Höhen reihen sich unzählige Lampen auf und tauchen diesen Ort damit in ein weiches, gelbes Licht, das trügerische Sicherheit zu versprechen scheint. Genau im Zentrum des Ganzen befinden sich allerdings leistungsstarke Strahler, die den mittleren Bereich so sehr ausleuchten, dass es einem Operationssaal gleichkommt. Unweigerlich muss Logan an die grausamen Experimente denken, die vor ewigen Zeiten an ihm vorgenommen wurden. Unterdrückt beginnt er zu knurren, bis sich abermals die Hand seines Elfen auf seine Schulter legt. Die eigentlich tröstlich gemeinte Hand des Teleporters fängt allerdings kurz darauf an zu zittern, als er die ein Dutzend Käfige entdeckt, die ebenfalls von der Decke herabhängen. Sie wirken wie übergroße Vogelkäfige, doch anstelle eines gefiederten Tierchens hockt in jedem ein verängstigtes Kind – ein Mutanten-Kind! Wie bei Nightcrawler ist ihnen ihre Andersartigkeit überdeutlich anzusehen. Viele wirken, als wären sie der überschwänglichen Fantasie eines Fantasy-Autoren entsprungen, der über eine ferne Alien-Zivilisation im Weltall schreibt. Der alte Getmann hätte sich wahrscheinlich alle zehn Finger danach geleckt, diese armen Geschöpfe in seinem Zirkus präsentieren zu können. Bei dieser Vorstellung gleitet ein eiskalter Schauer den pelzigen Rücken des Blauhäutigen hinab und er schüttelt vehement den Kopf, um sie zu vertreiben. Im Zentrum des hell erleuchteten Bereichs taucht nun ein Mann aus den Schatten hervor, der wie ein Arzt gekleidet ist. Im Gegensatz zu den gefangenen Kindern wirkt er allerdings völlig normal, nichts deutet augenscheinlich daraufhin, dass auch er ein Mutant sein könnte. „Freut euch, meine Kinderchen! Nun ist es endlich soweit. Euer Warten hat ein Ende. Ich habe endlich eine Möglichkeit gefunden, eure Kräfte zu kopieren! Schluss mit dem jämmerlichen und nutzlosen Leben eines unbedeutenden, kleinen Menschen. Ich werde der mächtigste Mutant aller Zeiten werden und dann gehört die Welt ganz allein mir! Ihr werdet dann allerdings nicht mehr gebraucht, doch als Brennholz seid ihr allemal ausreichend!“ Der vermeintliche Arzt bricht in ein dermaßen geisteskrankes Gelächter aus, dass es nun auch dem hartgesottenen Wolverine kalt den Rücken hinabläuft und er an seine Zeit in Japan denken muss, wo einer seiner damaligen Lehrmeister ebenfalls versucht hatte, ihm seiner Mutantenkraft zu berauben, um damit unbesiegbar und unsterblich zu werden. Damals konnte Logan ihn nur mit knapper Not besiegen und flüchten, doch es fehlte nicht mehr viel und er wäre seine Krallen losgeworden und womöglich sogar gestorben. Diesen wehrlosen Kindern darf daher keineswegs etwas Ähnliches passieren, sonst ist nicht auszudenken, was dieser Kerl alles anrichten könnte... 11 Durch diesen Gedanken beflügelt, erhebt sich Wolverine in einer schnellen, erstaunlich geschmeidigen Bewegung und will zum Angriff übergehen. Im allerletzten Moment bemerkt sein Partner jedoch sein Vorhaben und hält ihn vehement zurück. Der Jäger will schon zu einem lautstarken Protest ansetzen, besinnt sich dann aber doch noch gerade so und lässt sich von dem Jungen zurück in ihre Deckung ziehen. „Was?“, zischt er den Blauhäutigen wütend an. Dieser betrachtet ihn flehend und hält weiterhin seinen muskulösen Arm umfasst. „Logan, beruhige dich, bitte! Wir können nicht einfach kopflos dort reinstürmen! Siehst du das Gerät, das er hat, um die Kraft der Kinder zu kopieren? Wir wissen nicht, was passieren wird, wenn er es einsetzt. Womöglich kann er ihnen damit allen gleichzeitig schaden. Oder womöglich trifft er damit sogar einen von uns! Dass können wir nicht riskieren!“ Der Schwarzhaarige grummelt in sich hinein, entspannt sich jedoch merklich. „Hast recht. Hört sich allerdings eher so an, als wäre das Ding gerade erst fertig geworden, weshalb er vielleicht doch einen Testlauf mit nur einem Kind durchführen wird. Aber im Grunde ist das auch vollkommen egal. Wir dürfen nicht zulassen, dass auch nur eines einen Kratzer abbekommt. Sie haben bestimmt schon genug durchgemacht...“ Heftig ballt Logan die Fäuste und knurrt mit gebleckten Zähnen. Tief unter der Haut kann er seine Krallen regelrecht vor Erwartung vibrieren spüren und er würde dem nur zu gern nachgeben. Kurt kann das sehr gut verstehen und er verflucht sich tausend Mal selbst dafür, dass er sein Schwert in seinem Zimmer gelassen hat. Andererseits ist gerade das vielleicht auch etwas Gutes, sonst würde er wohl auch liebend gern Hackfleisch aus dem Typen machen, und dass wäre so gar keine gute Idee. So etwas sollte er besser Wolverine überlassen, der sich ja nur zu gern über dieses Gebot hinwegsetzt, ohne auch nur einen Funken Reue zu empfinden. Immerhin hat Nightcrawlers Schwert schon genug Tod gebracht und daher sollte er sein Glück, diesbezüglich noch einmal ungeschoren davon zu kommen, lieber nicht allzu sehr auf die Probe stellen, selbst wenn er im Auftrag des Allmächtigen unterwegs sein sollte. Einen Moment herrscht nachdenkliches Schweigen zwischen ihnen. „Okay, versuch so viele von den Kindern wie möglich hier wegzuschaffen. Schaffst du es von hier aus bis nach Hause? Jedenfalls irgendwo ins Warme.“ „Da ich eh immer nur ein Kind mitnehmen kann, weil sie zu weit voneinander entfernt sind, denke ich mal, dass das gehen dürfte. Auch wenn ich das Gefühl habe, dass ich in diesem Wald jegliche Orientierung verloren habe. Aber das ist beim Teleportieren zum Glück ja nicht ganz so schlimm.“ Zuversichtlich legt sich Logans Hand auf die Schulter des Jungen. „Du packst das schon. Mach nur schnell, dass ist am wichtigsten. Ich werd‘ dir derweilen Deckung geben. Ich schleich mich an den Typen ran und wenn er dich bemerkt, ist er fällig!“ Verstehend nickt der Elf und zappt sich dann auch schon davon. Kurz darauf hockt er in den vorherrschenden Schatten an der Decke und verschmilzt damit förmlich. Seine funkelnden Augen sind praktisch das einzig Sichtbare an ihm und mit ihnen beobachtet er nun den Mann unter sich genau. Wartet auf einen günstigen Augenblick, um sich unbemerkt einem der Käfige nähern zu können. So weit, so gut. Nun macht sich auch der Jäger auf den Weg. Geduckt versucht er jeden der wenigen Gegenstände in dem Gewölbe als Deckung zu benutzen, um möglichst nahe an den Kerl heranzukommen. 12 „So mein kleiner Timmy, freu dich, du darfst der Erste sein!“, posaunt der Arzt nun und nähert sich dabei dem Käfig des wehrlosen Jungen. Seine Haut ist von einer grünlich-braunen Farbe, die einen an einen Moos bewachsenen Baumstamm denken lässt. Seine Haare gleichen tatsächlich Blättern, seine Gliedmaßen wirken wie mit Rinde überzogen. Seine Fähigkeit besteht darin, seinen Körper wie eine Pflanze wachsen zu lassen. Wie aus dem Nichts kann er Äste, Blätter oder Lianen sprießen lassen und sie auch gegen jemanden einsetzen. Doch der Junge ist kaum älter als fünf und hat viel zu viel angst, um sich überhaupt wehren zu können, falls er überhaupt schon in der Lage ist, seine Kraft zu kontrollieren. Auch wenn Kurt es kaum ertragen kann, es untätig geschehen lassen zu müssen, wendet er sich dennoch schnell dem Käfig zu, der ihm am nächsten ist. Geschickt hangelt er sich an der dicken Kette herab und blickt hinein. Darin befindet sich ein kleines Mädchen, das mehr Ähnlichkeit mit einem Hund als einem Menschen hat. Erschrocken weicht die Kleine zurück, als der große, dunkle Schatten des Elfen an der Rückseite ihres Gefängnisses auftaucht. „Pssst!“, meint der Blauhäutige nur, woraufhin sich das Mädchen kindlich die Hände vor den Mund schlägt. „Bitte habe keine Angst. Ich bin Nightcrawler und...“, setzt er an, wird aber dann doch schnell von ihr unterbrochen. Aufgeregt beginnt die Kleine mit ihrem buschigen Schweif zu wedeln und mit den Schlappohren zu zucken. „Du meinst, von den richtig-echten X-Men?“, fragt sie freudig und tapst auf allen Vieren zu ihm heran. Neugierig beschnüffelt sie ihn und leckt ihm dann überglücklich über die Nasenspitze. Überrascht zuckt Kurt leicht zusammen und lächelt dann verhalten. Nach ihrer Aussage hatte er schon befürchtet, dass sie etwas Schlechtes über ihn gehört haben könnte, das ihr nun erst recht Angst machen könnte, doch dem scheint nicht so zu sein, was ihn sehr beruhigt. „Äh, ja, genau der.“, erwidert er ihr und wirft verstohlenen einen Blick an ihr vorbei, um zu sehen, was der fiese Typ treibt. Wie es aussieht, ist er gerade dabei, die letzten Einstellungen an seinem komischen Apparat vorzunehmen. Inständig hofft der Elf, dass das, was folgt, nicht so verstörend aussehen wird, wie er befürchtet, da er wohl nur eines der Kinder vorher wegbringen können wird. „Ich bin Lina. Sind die anderen X-Men auch hier, um uns zu retten?“ Die Angst scheint völlig von dem kleinen Mädchen abgefallen zu sein. Es sieht nun eher so aus, als würde sie darauf hoffen, dass Kurt mit ihr spielt. Vielleicht ist später ja für so etwas Zeit? „Wolverine ist auch hier. Aber du muss jetzt still sein und mir deine Hand geben. Dann kann ich dich hier wegbringen. Kannst du das?“ „Wusste ich doch, dass ich noch wen gerochen habe!“, gluckst sie begeistert. Doch bevor Kurt sie noch einmal ermahnen muss, reicht sie ihm ihre Hand, die mehr wie eine Pfote geformt ist, und blickt ihn mit ihren großen Hundeaugen an. „Gut, dann los!“, meint der X-Man noch und verschwindet dann in einer Schwefelwolke mit ihr. Das leise Geräusch entgeht Logans feinen Ohren nicht. Ihr Widersacher ist zum Glück noch nicht so gut ausgestattet und zudem völlig mit seiner Arbeit beschäftigt. Allerdings haben die Kinder in den anderen Käfigen ringsum beobachten können, was mit ihrer Leidensgenossin passiert ist, weshalb sie jetzt etwas unruhig werden, scheinen sie doch zu begreifen, dass sie womöglich doch noch gerettet werden. Der Jäger hofft, dass sich das aber in Grenzen hält. Wenn die Kleinen zu reden beginnen, statt sich ängstlich in irgendeine Ecke zu kauern, könnte die ganze Sache fehlschlagen. Kaum hat der Schwarzhaarige den Gedanken beendet, taucht sein Partner auch schon wieder auf. Geschwind widmet er sich dem nächsten Käfig und stellt zu seinem Erstaunen fest, dass er sich die Erklärungen sparen kann. Der kleine Junge, der darin hockt, sieht aus wie eine zum Leben erwachte Lehmfigur, und reicht ihm bereitwillig die Hand, als Kurt die seine in den Käfig steckt. Und weg sind sie. Das ist aber auch alles, was Nightcrawler zustande bringt, denn nun ist das Gerät einsatzbereit! „Schön stillhalten, Timmy!“, flötet der Kerl diabolisch grinsend. Dann richtet er die Maschine, die Ähnlichkeit mit einem futuristischen Handmixer hat, auf das Kind und drückt ab. „NEIN!“, entkommt es dem Kind noch panisch, dann löst sich ein greller Lichtstrahl aus der Spitze des Geräts und hüllt seinen Körper für einen Moment völlig ein. Mit aufgerissenen Augen beobachtet Logan fassungslos wie der Lichtstrahl sich nun umzukehren scheint und stattdessen den Arzt umhüllt. „Ja! JA! Es funktioniert! Ich kann die Kraft spüren!“, kommt es ekstatisch von ihm, während er wohlwollend die Augen verdreht. Kurz darauf erlischt das Licht und als der Kerl daraufhin konzentriert seine Fingerspitzen betrachtet, sprießen auf einmal saftige Blätter daraus hervor. Derweilen liegt Timmy bewusstlos in seinem Käfig, womöglich ist er aber auch schon tot... Als Nightcrawler eine Sekunde später erneut auftaucht, hat er schlagartig das Interesse an den Kindern verloren, die noch auf ihre Rettung warten. Stattdessen betrachtet er nun fassungslos den ausgelassen lachenden Mann und das reglose Kind. Der Elf ist wie versteinert und so kommt es wie es kommen musste. Als sich der Arzt dem nächsten Käfig zuwendet, entdeckt er Kurt! „Wen haben wir denn hier? Einen ungebetenen Gast, wie? Und du willst mir meine Kinder wegnehmen, habe ich recht? Doch das werde ich nicht zulassen, du mieser Dämon, also nimm das!“ Ein erneuter Lichtstrahl verlässt das Gerät und hält genau auf den Teleporter zu. Die Kinder versuchen ihn noch zu warnen, doch nichts scheint zu ihm durchzudringen. Erst ein dunkles Geräusch – das aufgebracht-wütende Knurren des Vielfraßes – befreit ihn schlussendlich aus seiner Starre. Im letzten Moment verschwindet der Blauhäutige und der Lichtstrahl durchzuckt nur die sich aufblähende Schwefelwolke. Nun hockt Nightcrawler wieder an der Decke, doch der Arzt braucht nicht lange, um ihn dort zu finden. „Eine wirklich sehr interessante Fähigkeit, mein Junge. Sei doch so gut und halt still, damit ich sie kopieren kann!“, gluckst er und feuert erneut. Diesmal macht sich Kurt aber nicht die Mühe zu fliehen, denn in diesem Augenblick greift Wolverine den Typen von hinten an und reißt ihn zu Boden, bevor er schießen kann. „Was zum...! Noch mehr ungebetene Gäste?“ „Verflucht, Elf! Sitz nicht nur rum, mach weiter!“, faucht Logan aufgebracht, während er den Kerl am Boden zu halten versucht, was sich dank der kopierten Mutantenkraft jedoch nicht gerade leicht gestaltet. Unschlüssig betrachtet Kurt das Ganze noch einen Moment, dann besinnt er sich und nimmt das nächste Kind mit, das ihm nur allzu bereitwillig folgt. So sieht er allerdings auch nicht das, was als nächstes passiert... 13 Im selben Augenblick, in dem Nightcrawler verschwindet, gelingt er dem Arzt, sich Logans Griff zu entwinden. Ehe ihn der Jäger erneut fixieren kann, trifft den X-Man stattdessen der Lichtstrahl. Ein sehr seltsames Gefühl gleitet über den gedrungenen Körper des kleinen Kanadiers hinweg. Es ist fast so, als würde sich eine riesige Hand um sein Herz legen und zudrücken. Gleichzeitig scheint eine andere Hand seinen gesamten Körper abzutasten. Abermals spürt er eine Art Vibration unter der Haut. Unwillkürlich schießen seine Krallen hervor, ohne dass er es will. Logan versucht dagegen anzukämpfen, doch er kann sich nicht rühren. Dabei wäre jetzt der beste Zeitpunkt, um den Typen umzubringen. Wenn es ihm erst einmal gelingt, Wolverines Selbstheilung zu kopieren, können sie ihn womöglich nicht mehr besiegen! Doch ist es ihm überhaupt möglich, mehr als eine Fähigkeit auf einmal zu erhalten? Es gibt nur einen Weg, dass herauszufinden! „NEIN!“, entkommt es Nightcrawler verzweifelt, als er nach seiner Rückkehr mit ansehen muss, was seinem Freund passiert ist. Nur seiner Selbstheilung hat es Wolverine überhaupt zu verdanken, dass er nun nicht ohnmächtig wird oder gar gleich tot umfällt, was es aber auch nicht besser macht, denn nun ist er so richtig wütend. „Ich bring dich um!“, faucht er zornig und lässt seine Krallen hervorschnellen, erleichtert, dass das nun wieder problemlos auf sein Kommando funktioniert. Sein Gegenüber lacht nur triumphierend. „Wahnsinn! Ich habe doch tatsächlich die Kraft des berühmten Wolverine kopiert! Damit bin ich unschlagbar!“ Ehe er sich aber noch weiter über seinen Erfolg freuen kann, zerfetzt das scharfgeschliffene Adamantium seine Maschine in tausend Teile. Entsetzen zeichnet nun das Gesicht des Arztes. „Wie kannst du es wagen, du räudige Töle?“, empört er sich, und verspürt im selben Moment die gleiche animalische Wut in sich, der der Vielfraß so oft erlegen ist. Die ihn blind für alles andere macht. „Logan...“, kommt es hilflos von dem Teleporter. „Kümmer dich um die Kinder!“, faucht der Angesprochene, ohne seinen Gegner aus den Augen zu lassen. „Aber...“, setzt Kurt an „Tu’s einfach!“ Alles in Nightcrawler sträubt sich dagegen, diesem Befehl nachzukommen. Doch was soll er denn sonst tun? Er könnte sein Schwert holen, aber selbst die Adamantiumklinge könnte Wolverine nicht töten, folglich auch seine Kopie nicht, oder doch? Oh, er ist sich so unschlüssig. Aber die Kinder dürfen auf keinen Fall das Gemetzel sehen, das nun zwischen diesen beiden Sturköpfen entbrennen wird. Von daher setzt sich Kurt wieder in Bewegung. Auch wenn er seinen Elfen nicht direkt angesehen hat, so konnte er dennoch in dessen Blick erkennen, was ihm durch den Kopf geht, und dass ihn dieselben Gedanken quälen. Logan hat seinen Selbstheilungsfaktor schon immer mehr als etwas unglaublich Lästiges empfunden und nun steigert sich dieses Gefühl ins Unermessliche. Allerdings schöpft er etwas Hoffnung, als er nun mit ansieht, wie der Typ seine kopierten Krallen ausfährt, um auf ihn losgehen zu können. „Was zum...?“, setzt der Arzt irritiert an, als er die seltsamen Gebilde sieht, die dort aus seinen Fingerkuhlen hervorschnellen. „Irgendwas muss schiefgelaufen sein...“, japst er voller Nichtbegreifen. Ein wölfisches Grinsen umspielt die gebleckten Zähne des Vielfraßes. „Da ist ganz und gar nichts schiefgelaufen, Freundchen. Doch deine kleine Maschine kopiert wohl nicht den Ist-Zustand der Fähigkeiten, wie?“ „Nein, sie kopiert die im Erbgut hinterlegten Informationen des X-Gens, sodass ich auch Dinge kopieren kann, die noch nicht ausgebrochen sind. Aber das kann trotzdem nicht richtig sein. Sieh dir diese Dinger doch mal an!“, empört er sich aufgebracht und streckt Logan die in seinen Augen missgebildeten Klauen entgegen. „Da ist gar nichts schiefgelaufen. Das ist der Original-Wolverine! Du sagst, du hast mein X-Gen kopiert und genau das hast du auch bekommen. Wenn du mich auch nur ansatzweise über meinen fragwürdigen Ruf hinaus kennen würdest, dann wüsstest du, dass meine Krallen eigentlich aus nachwachsenden Knochen bestehen.“ „Aber – aber das Adamantium...“ „Oh, ja, das Adamantium! Das gehört nicht zu meiner Grundausstattung, Kumpel. Das ist ein überaus limitiertes Extra, das sehr aufwendig nachgerüstet wurde!“ „Nein...“ „Ich fürchte doch.“ Fassungslos betrachtet ihn der Arzt und dann wieder die ziemlich kümmerlich wirkenden Knochenkrallen an seinen Händen. Er sieht sich schon als unterlegen, doch dann fällt ihm ein, dass Wolverine ja noch mehr Fähigkeiten als nur seine berühmten Krallen hat. Vielleicht hat er also doch noch eine Chance? In diesem Moment greift ihn der kleine Kanadier aber auch schon an. Als sich die scharfgeschliffenen Klauen des Schwarzhaarigen in sein Fleisch schneiden, ist es, als würde jemand mit einem glühenden Skalpell auf ihn losgehen und er müsste diese ungewollte Operation ohne Narkose ertragen. Der Schmerz ist schier überwältigend. Doch er lässt sich davon nicht blenden. Der animalische Überlebenstrieb des Jägers flammt in ihm auf und verdrängt dadurch den Großteil der Qualen. Schließlich findet er eine Lücke in den Angriffen seines Gegenübers und setzt zur Gegenwehr an. Mit den kümmerlichen Knochenkrallen verursacht er allerdings nur sehr oberflächliche Verletzungen. An dem Adamantium kommt er damit keinesfalls vorbei. Er spürt allerdings, wie sein Körper sich zu regenerieren beginnt, was ihm zwar nicht die Hoffnung gibt, diesen Kampf zu gewinnen, aber wenigstens lebend daraus hervorzugehen. Diese Erkenntnis hat auch der Krieger. Aber ohne das Adamantium ist der Kerl dennoch überaus verletzbar. Wenn er ihm also schnell genug schwer zusetzt, kommt der Heilfaktor in besten Fall nicht mehr hinterher und er wird dennoch krepieren. Dummerweise hat der Typ aber auch Logans Schnelligkeit übernommen. Ihm fehlt zwar die jahrzehntelange Kampferfahrung, aber solange es ihm gelingt auszuweichen, reicht es aus, dem Heilfaktor die benötigte Zeit zu verschaffen. 14 Inzwischen sind alle Kinder in Sicherheit. Kurt hat sich sogar noch die Zeit genommen, Hank Bescheid zu geben, damit er sie medizinisch versorgen kann. Insbesondere Timmy hat seine Hilfe dringend nötig. Nun taucht der Elf ein letztes Mal in der Höhle auf, das Schwert kampfbereit in der Hand. Er nimmt sich ein paar Sekunden, um die Lage zu begreifen. Schnell fällt ihm dabei auf, dass die Krallen des Arztes seltsam aussehen. Dunkel erinnert sich der Teleporter allerdings, dass Logan ihm mal davon erzählt hatte, woher das Adamantium auf seinen Knochen kommt. Somit durchaus ein Pluspunkt für diesen Kampf, wenn ihnen dieses Metallgeflecht nicht im Weg steht. Nightcrawler merkt aber, dass der Kerl dafür allerdings den Heilfaktor seines aufbrausenden Partners hat und daher auf Zeit zu spielen versucht, bis ihm etwas einfällt, sich aus dem Staub zu machen. Doch er wird nicht ewig ausweichen können, und entkommen wird ihn Wolverine nicht so einfach lassen, so viel steht fest. Dennoch wäre es besser, den Kerl schnell irgendwie kampfunfähig zu machen, damit sie sich überlegen können, wie sie ihn von der Bildfläche verschwinden lassen. Denn dank des fehlenden Adamantium hat er auch nicht die scheinbare Unsterblichkeit des Kanadiers. Wenn der Typ also keine Krallen mehr hätte, wäre damit schon mal viel getan. Eine ähnliche Strategie verfolgt sicher auch der Jäger, doch der Arzt weicht immer wieder aus, wenn er zum entscheidenden Angriff ansetzen will. Plötzlich kommt Kurt allerdings die Idee. Inzwischen hat der Elf nämlich noch einige interessante Facetten seiner Teleportation entdeckt, die ihn zu jeder Menge neuer Streiche animiert haben. So kann er inzwischen nicht nur Personen oder Gegenstände mit sich im Raum transportieren, wenn er sie berührt, sondern auch nur Teile eines Ganzen, wenn er sich ausschließlich auf sie konzentriert. Daraus hat sich ein ziemlich fieser Streich entwickelt, den Logan überhaupt nicht witzig findet. Der Elf hat es nämlich mehr als nur einmal fertiggebracht, den zu kurzgeratenen Kanadier aus heiterem Himmel ohne Klamotten dastehen zu lassen! Vielleicht kann der Elf diese Fähigkeit jetzt nutzen, um dem Arzt die Krallen abzunehmen? Angestrengt sucht er Logans Blick, um ihm klarzumachen, einen Moment innezuhalten, damit er seinen Plan in die Tat umsetzen kann. Allerdings ist der Vielfraß inzwischen so in Rage, dass er nur noch sein Ziel vor Augen sieht. Eine verzwickte Sache, aber verübeln kann Kurt es ihm nicht. Der Elf will sich gar nicht vorstellen, wie er an Logans Stelle reagieren würde, wenn jemand seine Fähigkeit kopieren und ihn damit – wenn auch ziemlich ungeschickt – versucht vorzuführen, zu ärgern oder sogar zu besiegen. Nightcrawler kommt dabei schnell der Gedanke, dass er dann sicher herausfinden würde, wie sich Wolverine jedes Mal dann fühlt, wenn Kurt ihm einen Streich spielt. Keine sonderlich schöne Vorstellung. Na schön, dann muss es eben anders gehen. Hoffen wir mal, dass der Kanadier ihm das nicht übelnimmt. Kurt passt einen geeigneten Moment ab und zappt sich dann direkt auf die Schultern seines zornigen Partners. Dieses Spielchen hat er nun schon unzählige Male abgezogen, dennoch überrascht es den Schwarzhaarigen immer wieder aufs Neue. Ist wahrscheinlich auch kein Wunder, wenn man gerade auf etwas ganz anderes konzentriert ist und dann so plötzlich aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Das zusätzliche Gewicht des Teleporters zu tragen, ist für Logan nun wirklich keine Kunst, es ist lediglich der Schreck, der ihn nun kurz taumeln lässt. Gekonnt fängt er sich jedoch schnell wieder, ohne richtig aus dem Tritt zu kommen. Er steht zwar am Rande eines ziemlichen Wutausbruchs und würde Nightcrawler daher liebend gern ebenfalls blindwütig den Hals umdrehen, weil er ihm gerade dazwischenfunkt, aber er kann sich dennoch vorstellen, dass der taffe Elf einen Plan hat, um ihm zu helfen. Sonst würde er unter keinen Umständen freiwillig dazwischengehen und riskieren, ebenfalls getroffen zu werden. So gibt er nur ein verstimmtes Knurren von sich und führt ungehindert den Angriff aus, den er eben begonnen hatte. Das kommt dem blauen Jungen sogar noch zugute. Der Arzt hebt nämlich abwehrend die Hände, damit Logan seine Brust nicht trifft. Darauf hat der Fellträger praktisch nur gewartet. Schnell umklammert er die Handgelenke des Mannes und konzentriert sich mit aller Kraft darauf. Erschrocken versucht sich die billige Kopie ihm zu entziehen. Es gelingt ihm allerdings nicht und dann teleportiert sich Nightcrawler davon. Ein unsagbarer Schmerz jagt die Arme des Arztes hinauf. Als sich die purpurfarbene Schwefelwolke verflüchtigt, sieht er auch den Grund dafür: Seine Hände sind weg! Es sieht aus, als hätte jemand ein Beil genommen und sie feinsäuberlich von seinen Armen abgetrennt. „Was – was hast du getan?“, stammelt der Mann fassungslos und auch Wolverine betrachtet das Ganze mit großen Augen, ehe er makaber zu grinsen anfängt. Das Ganze wirkt vollkommen unwirklich, erst recht, da es noch einen vollen Moment dauert, bis die Armstümpfe ausgiebig zu bluten beginnen. „Ach, brauchst du die etwa noch? Dann entschuldige vielmals. Was bin ich doch für ein Dummerchen.“, kommt es nun erstaunlich kalt von der Decke der Höhle herab. Eine Sekunde später landen die abgetrennten Hände klatschend zwischen den beiden Kontrahenten auf dem Boden. Als der Arzt sie sieht, wird er ganz blass um die Nase. Er begreift einfach nicht, was gerade passiert ist. „Du – du elender Teufel!“, jammert er zur Decke empor. Dort löst sich Kurt aus dem Schatten und funkelt ihn todbringend mit seinen leeren Augen an. „Ich bin kein Teufel, sondern ein Abgesandter Gottes, und hier, um dich für deine Untaten an diesen wehrlosen Kindern zu bestrafen, Sünder!“ Kaum hat er den Satz beendet, lässt er sich mit gezogenem Schwert herabfallen. Die scharfe Klinge durchbohrt die linke Schulter des Mannes und frisst sich in ihrer gesamten Länge in seinen Körper hinein. Sie zerreißt den linken Lungenflügel, weshalb ein pfeifender Laut ertönt, als der Arzt erschrocken einatmet. Nun endlich treffen sich die Blicke der beiden X-Men. Der von Kurt wirkt hilflos-flehend, hat er doch gerade noch einmal die Kurve gekriegt. In seiner Wut auf diesen Mann, wollte er ihm das Schwert eigentlich direkt durch den Schädel jagen. Das hätte ihn womöglich umgebracht, vielleicht aber auch nicht. Doch auf ein Vielleicht kann sich Nightcrawler einfach nicht verlassen. Er will nicht töten, wenn es nicht ausversehen aus Notwehr passiert. Wolverines Blick besagt, wie stolz er auf die Entscheidung seines Elfen ist, und gleichzeitig ist er dankbar dafür, dieses Arschloch eigenhändig vernichten zu dürfen. Und genau das macht er nun auch. „Und jetzt zu uns beiden, Freundchen!“ Noch ehe der Kerl überhaupt ausatmen kann, rammt der Vielfraß seine Krallen in ihn hinein, wieder und immer wieder. Zerfetzt ihn regelrecht in tausend Stücke. Instinktiv schließt Kurt die Augen und wendet sich ab. Er weiß, wie viel Freude Logan das Ganze macht und das kann er sich einfach nicht mit ansehen. Irgendwann fällt klappernd das Schwert zu Boden. Vorsichtig sieht sich Nightcrawler nach seinem Partner um. Dieser steht beinahe ekstatisch keuchend über dem blutigen Haufen Undefinierbares und lässt ganz langsam seine Krallen wieder verschwinden. Von Übelkeit überkommen presst sich der Elf eine Hand auf den Mund und schluckt angestrengt. „Denkst – denkst du, er ist – tot?“, fragt er gepresst, obwohl der Anblick unmöglich etwas anderes zulässt. „Glaub schon, aber wir sollten die Reste dennoch verbrennen, um ganz sicher zu sein.“, erwidert der Ältere und sammelt alles Brennbare in der Höhle zusammen. 15 Als das Feuer schließlich brennt, schließt Wolverine seinen jungen Freund fest in die Arme und wendet so abermals den Blick es Elfen von der Szene ab, was dieser überaus erleichtert hinnimmt. „Wie geht’s den Kindern?“, fragt er nach einer Weile über das Prasseln der Flammen hinweg. Der Teleporter schmiegt sich fester in die Arme des anderen Mannes. „Den geht es den Umständen entsprechend, meint Hank. Er wird sie noch ein paar Tage beobachten, während wir ihre Eltern ausfindig machen.“ „Klingt gut. – Meinst du, dass es das jetzt mit einer göttlichen Aufgabe war?“ „Ich denke schon.“ „Und heißt das, dass du jetzt verschwinden wirst? Ich meine, der da oben hat dich von den Toten zurückgeholt, damit du etwas für ihn tust. Wenn deine Aufgabe jetzt erledigt ist, müsste das doch eigentlich heißen, dass du wieder zurück musst, oder?“ Langsam hebt Kurt den Blick und sieht in diese unglaublich alten und doch so wachen Augen vor sich. „Ich – weiß es nicht. – Was du sagst, klingt logisch, aber – ich weiß es nicht. – Wenn dem so ist, wird Gott mir sicher ein Zeichen geben und mich nicht einfach so verschwinden lassen – hoffe ich zumindest...“ „Hoffe ich auch. Ich will mich wenigstens verabschieden können, ohne dass eine verdammte Scheibe zwischen uns ist...“ Nachdenklich verweilen die beiden, bis das Feuer erlischt. Keiner von ihnen merkt, dass sie die ganze Zeit über beobachtet wurden. Ein wohlwollendes Lächeln huscht über das gütige Gesicht des Allmächtigen. Nein, Nightcrawlers Zeit ist noch lange nicht gekommen, so viel steht fest, denn es gibt noch so einiges für ihn zu tun, ehe er seinen wohlverdienten Platz im Paradies einnehmen darf... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)