Together through timeless justice von Daelis ================================================================================ Prolog: Ein Traum wird wahr --------------------------- Wärme hüllte mich ein und Helligkeit drang durch meine geschlossenen Lider. Missmutig wollte ich mich herumdrehen und die Decke einfach etwas höher ziehen, um meine Augen vor dem Licht zu schützen. Dabei jedoch fiel ich beinahe aus dem Bett und war von einem Moment auf den nächsten hellwach. Überrascht blinzelte ich und setzte mich auf, den Blick umher schweifen lassend. Wo zur Hölle war ich hier? Ich kannte dieses Zelt nicht und auch sonst kam mir absolut nichts bekannt vor. Ich rieb mir die Schläfe. War das hier eine Art Erste Hilfe-Zelt? Falls ja, war es ziemlich chaotisch eingerichtet und es fehlten mir eindeutig die Sanitäter. Für ein typisches Camping-Urlaub-Zelt war es jedenfalls viel zu groß. Verwirrt blickte ich mich in dem Zelt um. Hier standen allerlei Taschen und Zeug - anders konnte ich das gar nicht nennen. Boxen und Kisten, ein großer Koffer und zwei vollgepackte Reisetaschen. In einer Ecke stand sogar ein kleiner Hocker vor einem Tischchen, auf dem ein Laptop neben einem Notizbuch stand. Prüfend blickte ich an mir herab. Sommerschlafanzug, soweit unauffällig und ich fühlte mich auch nicht krank oder verletzt, also strich ich die Theorie mit dem Erste Hilfe-Zelt direkt wieder. Wo ich mich nun aber tatsächlich befand, war mir ein Rätsel. Was war das für ein komisches Zelt und wieso war es hier drin so verdammt heiß? Ich fuhr mir durchs Haar und entschied, dass die auf dem kleinen Hocker neben dem Bett liegende Kleidung wohl für mich gedacht war und zog mich erst einmal um. Ich fand zu meiner Erleichterung sogar eine Bürste. Nicht die optimalste Morgenroutine, aber immerhin ein Anfang. Um alles weitere könnte ich mir Sorgen machen, wenn ich wusste, wo ich war und - fast genauso wichtig - wie ich hierher gekommen war. Dass sich ohne mein Zutun einer meiner größten Wünsche wie von Zauberhand erfüllt hatte, ahnte ich in diesem Moment noch nicht. Diese Erkenntnis traf mich erst, als ich das Zelt verließ. Wüste. Noch mehr Wüste. Sand und noch mehr Sand. Wären nicht die berühmten Pyramiden von Gizeh am Horizont zu sehen gewesen, ich hätte ernsthaft daran gezweifelt, wo ich war. So jedoch konnte kein Zweifel bestehen. Auch wenn ich mir absolut nicht erklären konnte, wie und wieso dieser Traum wahr geworden war, es erfüllte mich mit Euphorie. So sehr, dass mir sogar ein quietschiger Freudenlaut herausrutschte, der wohl nicht unbedingt zu meiner Würde beigetragen hätte, hätte ihn jemand gehört. Ich traute meinen Augen kaum, aber… ich war ohne jeden Zweifel in Ägypten! Diese Erkenntnis nahm mich so sehr ein, dass ich zunächst gar nicht bemerkte, dass ich nicht alleine war. Ich hatte nur Augen für die weite Wüste, die sich vor mir ausbreitete und die Silhouetten der Pyramiden. Hatte ich je etwas Schöneres gesehen? “Guten Morgen, Daelis”, riss mich eine Frauenstimme aus meinen Gedanken und lenkte meine Aufmerksamkeit auf zwei Fremde, die mich jedoch zu kennen schienen, zumindest, wenn ich die Mienen der beiden richtig deutete. Mir waren gleichermaßen die Frau, die aus einem asiatischen Land zu stammen schien, als auch der Mann, der aussah, als könnte er Ägypter sein, absolut fremd. Beide hatte ich noch nie gesehen und entsprechend irritiert starrte ich beide an, als sie mich heranwinkten. “Ich versteh echt nicht, wie du dich jeden Morgen aufs Neue über die Pyramiden freuen kannst”, plauderte der Mann mit dem dunklen Teint auf mich ein, als würden wir uns gut kennen. Er nippte an seinem Kaffee. “Du bist heut ganz schön spät. Naomi ist schon losgefahren, um Vorräte zu holen. Normalerweise bist du doch eine Frühaufsteherin. Alles in Ordnung?” Ich nickte nur verdattert, noch immer etwas unsicher, was hier überhaupt los war. “Gib ihr einen Moment”, lachte die Frau, die ihm gelassen auf die Schulter schlug. Wie in aller Welt war ich nach Ägypten gekommen? Nicht, dass ich nicht hier sein wollte, denn das wollte ich unbedingt, doch Sinn machte das alles für mich noch überhaupt nicht. Ich sollte nicht hier sein. Zum Glück schienen meine Kollegen es auf auf morgendliche Müdigkeit zu schieben, dass ich sie erst ansah, als sie mich erneut ansprachen. “Frühstücke am besten erst einmal. Ich weiß, das ist nicht so dein Ding, doch du wirkst heute etwas neben dir, Liebes.” Beschwichtigend rieb sie mir die Schulter, als ich mich zu ihr und dem Mann an den Tisch setzte. Ich hatte nicht den blassessten Schimmer, wer die Asiatin war und wieso wir offenbar zusammen an einer Ausgrabung in Ägypten teilnahmen, doch auch sie behandelte mich so vertraut wie eine Freundin und drückte mir jetzt sogar noch eine Tasse in die Hand, die zu meiner Erleichterung keinen Kaffee sondern kalten Kakao enthielt. Dankbar nickte ich ihr zu und nahm einen Schluck. “Hab nicht so gut geschlafen”, murmelte ich halb entschuldigend, während ich noch versuchte, mir ein Bild davon zu machen, was hier überhaupt los war. Die Asiatin lachte. “Wundert mich überhaupt nicht. Dich gestern aus der Grube zu kriegen, war ja schier unmöglich. Hätte man dich gelassen, hättest du bestimmt noch die ganze Nacht dort verbracht und versucht, diesen Stein auszugraben, den du entdeckt hast.” Sie schüttelte fast tadelnd den Kopf, als wolle sie sagen, der Stein laufe mir ja nicht weg, so lange er da schon liege. Unrecht hatte sie damit wohl nicht. Neugierig war ich auf diesen Stein nun zwar allemal, aber dennoch fand ich, wäre es wichtiger, herauszufinden, wie ich hier gelandet war und wer diese Leute waren, die mich scheinbar kannten. “Müsli?”, bot mir der Mann an und füllte eine Schale, noch bevor ich ablehnen konnte. Wenig enthusiastisch goss ich Milch darüber. Ein Frühstücksfan war an mir wirklich nicht verloren gegangen, aber immerhin schmeckte es und gab mir Zeit, ein wenig über alles nachzudenken, was ich sah. Ägypten. Ich war wirklich und wahrhaftig in Ägypten. Allein dieser Gedanke sorgte dafür, dass mein Herz vor Aufregung raste. Hier hatte ich immer hingewollt, schon fast mein ganzes Leben lang. Meine Gedanken wanderten zurück zu den Worten des Mannes. Wir konnten auf Fundstücke hoffen? Also waren wir dann wohl schon länger hier? Cool. Daran konnte ich mich nur blöderweise überhaupt nicht erinnern. Das hieß leider auch, dass ich keine Ahnung hatte, wie die Grabungsstelle aufgebaut war und welche Position ich hier überhaupt einnahm. Sollte ich vielleicht eine spontane Amnesie vortäuschen? Dass ich das Gefühl hatte, aus einer anderen Welt hierher gebracht worden zu sein, würde wohl keinen überzeugen, obwohl ich noch so aussah wie immer und mich auch sonst ganz normal fühlte. Jedes Muttermal war genau da, wo es sein sollte. Das hier war definitiv ich. “Was meint ihr, steht auf dem Stein?”, erkundigte ich mich betont beiläufig, war dabei aber wohl nicht wirklich überzeugend. Offenbar sah man mir die Aufregung an. Ich fühlte mich wie ein Kind, dessen größter Traum gerade wahr geworden war, und die Vorstellung hier im Wüstensand etwas auszugraben, das vor Jahrtausenden für die Menschen von Bedeutung gewesen war, machte mich ganz kribbelig. “Ah, da wird jemand wach. Sehr gut. Keine Ahnung, sag du es uns, Miss Ausgrabungsleiterin. Du bist die Spezialistin und so wie ich dich kenne, wirst du uns sowieso die halbe Nacht damit in den Ohren liegen”, grinste mich die Frau an, klopfte dann dem Mann auf die Schulter. “Gehst du mir noch bei der Kartierung zur Hand, Arif?” Er nickte und leerte seinen Kaffee in einem Zug. “Iss du ruhig erst zuende, Daelis”, flötete mir die Frau noch zu. Arif lachte entspannt und hob noch die Hand zum Abschied, ehe er ihr folgte. Brav hatte ich genickt, dann aber doch wieder mein Zelt angesteuert. Das Müsli hatte ich halb aufgegessen neben Arifs Kaffeetasse stehen lassen. Im Moment hatte ich wirklich andere Probleme, als mir über eine ausgewogene Ernährung Gedanken zu machen. Ich wusste zwar, wo ich war, aber nicht wie ich hergekommen war und wieso ich die Leiterin dieser Ausgrabung sein sollte, schließlich hatte ich niemals Archäologie studiert. Ich wusste ja nicht einmal, wonach wir hier suchten. Noch schwerer machte meine Lage, dass ich außer Arif keinen hier mit Namen kannte, dabei war ich sicher, dass es hier noch mindestens ein halbes Dutzend weitere Leute geben musste, darunter garantiert ein Geologe, vielleicht sogar jemand mit Sprengstoffkenntnissen, wenn wir nach unter Stein verborgenen Grabstellen suchten. Meine Gedanken rasten, doch mein Grinsen blieb. Ich war in Ägypten! Ich war wirklich hier und es war absolut berauschend. Am liebsten wäre ich sofort zu all den Orten gereist, die mich schon so viele Jahre lockten. Wie schön musste der Tempel von Abu Simbel sein, wie erhaben die Höhen und Tiefen des Tals der Könige und wie hinreißend die letzten Ruinen des Bastet-Tempels von Bubastis? Schon in meinen Gedanken kam ich ins Schwärmen. Dass ich einmal in Ägypten nach altertümlichen Fundstücken graben würde, hatte ich mir schon als Kind ausgemalt. Archäologie hatte mich von klein auf begeistert, im Kindergarten und der Grundschule sogar Paläontologie. Schnell jedoch hatte das alte Ägypten seinen Weg in mein Herz gefunden. Immer schon hatte ich hierher gewollt, hatte die Luft der Wüste riechen und die Pyramiden mit eigenen Augen sehen wollen. Dass mein Wunsch sich aber so von einem Moment auf den anderen erfüllen würde, indem ich einfach in Ägypten aufwachte und mich als Leiterin einer Grabungsstelle wiederfand, hatte ich niemals erwartet. Was genau ich an dieser Grabungsstelle zu finden hoffte, sollte ich wohl besser schnell in Erfahrung bringen, wenn ich nicht wollte, dass man mich schneller von hier weg und in eine Zelle mit gepolsterten Wänden beförderte, als ich gucken konnte. Zum Glück halfen mir meine offenbar eigenen Notizen weiter. Zumindest waren sie in meiner Handschrift verfasst. Neugierig ging ich die Seiten durch. Einige Tonscherben hatten uns erst auf diesen Ort aufmerksam gemacht, von dem ich inzwischen offenbar annahm, es handele sich um eine Art kleine Kultstätte, an der Opfergaben dargebracht und Gebete gesprochen wurden. Die Halskette, die man hier vor kurzem gefunden hatte, war auf etwa 1250 vor Christus datiert worden und fiel somit in die Zeit von Ramses des II., des bedeutendsten aller ägyptischen Pharaonen. Meine Neugier war allemal geweckt. Wenn ich eines sicher sagen konnte, nachdem ich alles mehrmals überflogen hatte, dann, dass ich meine Arbeit liebte. Ich liebte jeden Moment davon, begonnen mit der Aufregung, wenn sich herauskristallisierte, das eine Fundstelle versprach, noch mehr preiszugeben, bis zur Grabung selbst und der Datierung der Fundstücke. Auch jetzt nahm mich die Vorfreude auf das ein, was ich hier erfahren würde, dabei war das hier gar nicht mein Leben. Hätte es das vielleicht sein können, hätte ich mich damals für das Studium entschieden? Der Gedanke ließ mich fast wehmütig werden, dabei hatte ich eigentlich nie bereut, mich dagegen entschieden zu haben. Im Moment jedoch spielte das wohl keine Rolle, denn hier war ich: Inmitten von heißem Sand bei Temperaturen, die ich ekelhaft fand, woran auch der Schatten eines Zeltdaches nichts ändern konnte, und doch berauscht vor Glück. Mir war zwar absolut schleierhaft, wie das hier möglich war, doch beklagen würde ich mich nicht. Es war schlicht zu schön. Gerade wollte ich das Notizbuch zuschlagen, als mir eine Papierecke auffiel, die zwischen den Seiten herausragte. Neugierig zog ich daran und hielt im nächsten Moment auch schon einen Brief in den Händen, der meine gute Laune direkt etwas dämpfte, als ich ihn las. Die Zeilen stammten von der U.A. High School in Japan, die mich einlud, als Lehrerin an die Schule zu kommen, um mein Wissen mit den “Helden der Zukunft” zu teilen und damit die Welt zu verändern. Ganz schön hochtrabende Meinung, die sie da von ihren Schülern hatten, tat ich die Formulierung einfach ab und schob den Brief zurück. So blöd konnte ich kaum gewesen sein, dieses Angebot anzunehmen. Wieso sollte ich irgendwelche Bälger unterrichten wollen, wenn ich stattdessen das hier genießen konnte? Nein, keine Chance. Das konnte gerne jemand anderes machen. Die Chance, diesen Traum zu leben, würde ich auf keinen Fall dagegen eintauschen, Lehrer zu werden. Kurzentschlossen nahm ich das Notizbuch nebst des mit einem Band daran befestigten Kugelschreibers mit. An mein halb aufgegessenes Müsli dachte ich schon lange nicht mehr. Dazu war ich viel zu aufgeregt. Etwas planlos sah ich mich in dem kleinen Lager um. Jetzt bemerkte ich auch, dass es noch sechs weitere Zelte gab, von denen eines weit offen stand. Sah aus, als lagere dort Equipment. Ich wollte mich gerade dorthin wenden, als mich die Asiatin abfing und in eine andere Richtung deutete. “Hey, ist es besser jetzt?” Ich nickte. “Gut, aber übernimm dich nicht, ja?”, mahnte sie und klang dabei fast mütterlich, dabei konnte sie nicht viel älter sein als ich es war. “Werde ich nicht”, versprach ich. “Aber ich möchte einfach Antworten!” Ich stockte. “Also… die Steintafel”, fügte ich hastig hinzu und erntete ein Lachen. “Klar. Gehen wir zusammen?” Automatisch nickte ich, obwohl ich nichtmal wusste, was sie meinte, ehe uns unser Weg zu den Grabungsstellen führte. Dort angekommen hielten wir beide kurz inne. “Dann bin ich ja mal gespannt, was du da freilegst. Vielleicht bestätigt sich ja deine geheime Theorie.” Ich hatte keine Ahnung, von was für einer Theorie sie sprach. In dem Notizbuch hatte ich nichts Spezielles gefunden, nur allgemeine Hinweise auf das Alter der bisherigen Fundstücke und eine kleine Kultstätte. Das war allerdings wirklich nicht weiter ungewöhnlich und so wie die Asiatin mich angrinste, steckte hinter meiner geheimen Theorie mehr. “Vielleicht wissen wir heute Abend mehr”, flötete ich also nur gut gelaunt. Wenn ich schon hier war, konnte ich es auch genießen, ganz egal ob ich einfach nur realistisch träumte oder wirklich unvermittelt in einer alternativen Zeitlinie gelandet war. Das schien mir neben den Möglichkeiten Traum, Koma und Tod nämlich im Moment noch die naheliegendste Erklärung für all das hier. Mehrere kleine Vertiefungen von etwa zwei Quadratmetern lagen vor uns und als meine Kollegin in die erste kletterte, steuerte ich die daneben liegende an. Pinsel, eine kleine Schaufel und ein Meißel lagen sogar schon bereit und warteten auf mich. Dass hier jemand begonnen hatte, etwas aus dem Sand und Gestein zu bergen, konnte man gut sehen. Etwa zwei Handbreit ragte eine steinerne Tafel empor. Bitte sei keine Fälschung, ging es mir durch den Kopf, als ich mich mit klopfendem Herzen ans Werk machte, um die Tafel Stück für Stück freizulegen. Im Ganzen, ahnte ich nach einiger Zeit, wäre sie wohl in etwa so groß wie eine handelsübliche Tageszeitung. Zum Glück stand sie nicht aufrecht, sondern lag schief, sodass ich bald ein Relief erkennen konnte, welches ich behutsam vom Sand der Zeit befreite, um es genauer betrachten zu können. Auch jetzt noch schien mir all das hier wie ein unglaublich realistischer Wunschtraum und auch wenn das in den Ohren der meisten Leute wohl albern klänge, war diese Steintafel damit gewissermaßen mein Baby. Vielleicht hatte mein Ich dieser Welt schon etwas ausgegraben, doch ich - ich, die keine Ägyptologin war - hatte das nicht und ein Teil von mir hätte vor lauter Glück am liebsten geheult. Nichts und niemand könnte mir diesen Moment ruinieren. In meinen Augen war das Relief, das ich nach und nach freilegte, einfach nur wunderschön. Zärtlich strich ich mit den Fingerspitzen darüber und pustete etwas Sand weg, sodass ich schemenhaft schon die unter dem Relief eingemeißelte Inschrift erkennen konnte. Meine Aufmerksamkeit galt allerdings zunächst dem Bildnis eines Mannes, dessen Haupt jedoch keine Krone zierte, obwohl er eindeutig heroisiert dargestellt worden war. Die Tracht eines Priesters trug er auch nicht und einen Gott stellte das Bild ebenfalls nicht dar, sodass ich genauer hinsah. Offenbar zeigte die Tafel eine Art Volkshelden, der eine gigantische Bestie bezwang, deren Bildnis nicht mehr ganz erhalten war. Sah auf jeden Fall nicht aus wie ein Krokodil oder die Fresserin, machte ich mir eine mentale Notiz. Sehr seltsam. Erst jetzt glitt mein Blick vom Relief hin zur Inschrift, die ich eigentlich nicht lesen können dürfte. Dennoch arbeitete mein Verstand mahlend daran, als erkenne er Zeichen und Symbole und bemühe sich nun, sie zu entziffern. Ein wenig wie bei einer sehr alten Erinnerung, deren Details einem zwar entfallen waren, aber deren Grundzüge man noch genau vor Augen hatte. Anders konnte ich mir nicht erklären, wieso ich zu dem Schluss kam, dass der Text wohl von jemandem handelte, der übermenschliche Kräfte erweckte. Klang für mich nicht unbedingt typisch für das alte Ägypten. Ob das Relief von einer lokalen Sage handelte, die ich nur nicht kannte und die mir deshalb so rätselhaft erschien? Aufgeregt begann ich, die Symbole in mein Notizbuch abzuzeichnen, um sie mir später nochmal in Ruhe anzusehen und vielleicht auch herauszufinden, wie ich sie hatte übersetzen können, denn natürlich hatte ich nie Hieroglyphen zu lesen gelernt. Kaum hatte ich die Symbole aufgezeichnet und wollte mein Buch zuschlagen, um die Steintafel weiter freizulegen, damit sie aus dem Sand gehoben werden könnte, als ein schriller Schrei meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Das war doch die Asiatin von eben gewesen? Erschrocken sah ich auf und sah doch nichts außer einen violettschwarzen Nebel, der sich wie ein eigenständiges Wesen bewegte und meine Kollegin mit erschreckender Leichtigkeit zu mir herabstieß, wo sie ächzend liegen blieb und sich zusammenkrümmte. “Was…?” Fassungslos starrte ich zu dem Nebel hoch, als dieser auch schon von einem anderen Aufschrei abgelenkt wurde. War das etwa Arif? Kalte Angst kroch mir den Rücken hoch. Was passierte hier? An die vielen altägyptischen Flüche glaubte ich nicht, sonst wäre ich jetzt wohl auf die Idee gekommen, einer von ihnen habe vor, sich meines Unglaubens zum Trotz, zu erfüllen. Eilig beugte ich mich über die Asiatin. “Bist du verletzt? Geht es?” Noch während ich sie das fragte, versuchte ich bereits, sie mit mir hochzuziehen. Was immer hier los war, wir sollten es besser meiden, soweit war ich mir sicher. Die Frau nickte matt und zitterte doch am ganzen Leib, ehe sie eine Hand hob und die Luft davor zu flirren begann, als hätte sich dort Hitze gebündelt. Verwirrt starrte ich dorthin, dann zog mich die Frau mit sich. “Komm mit, wir müssen hier weg. Lange wird das keinen ablenken”, hielt sie mich zur Eile an. Nicht? Ich war ziemlich abgelenkt. Allerdings auch nur so lange, bis von ein weiterer Schrei ertönte, dann beeilte ich mich, meiner Kollegin zu folgen. Hoffentlich war Arif in Ordnung, kam es mir in den Sinn. Wie von selbst glitt mein Blick über meine Schulter in Richtung des Aufschreis und fiel dabei auf eine Gestalt. Dieser seltsame Nebel hatte menschliche Gestalt angenommen. Wie war so etwas nur möglich? Und wieso hatte ich das unangenehme Gefühl, diesen Nebel schon einmal gesehen zu haben? Wo hatte ich den nur gesehen? Vielleicht irrte ich mich auch und er erinnerte mich bloß an das Pokémon Nebulak. Ich schüttelte den Gedanken ab und zog meine Kollegin in den Schatten eines Zeltes. Dabei warf ich einen Blick über die Schulter. Der Nebelmann folgte uns nicht, was jedoch nicht unserer Subtilität zu verdanken war, sondern vielmehr einem seltsamen Tornado, der ihn herumzerrte. Von Arif hingegen konnte ich keine Spur entdecken. “Zum Auto”, bedeutete ich der Frau neben mir, als ich einen Jeep entdeckte. Sie zögerte kurz, nickte dann aber. Weit kamen wir nicht, doch das war zum Glück auch nicht nötig. Der wilde Wirbel, der den Nebel in Schach gehalten hatte, umkreiste uns und kam schließlich zum Halten. Instinktiv wollte ich zurückweichen, doch der Griff meiner Kollegin hielt mich an Ort und Stelle. “Whirlwind!”, freute sie sich hörbar und erntete von mir einen verwirrten Blick, wenngleich nur kurz, denn im nächsten Moment fiel mein Blick auch schon auf eine junge Frau, die nun vor uns stand und uns mit erhobener Hand begrüßte. Entgeistert starrte ich sie an. Was zur Hölle? Aus welchem Marvel-Streifen war die denn bitte gehüpft? Das blau-goldene Kostüm nebst glitzernder Schärpe war gleichermaßen Blickfang wie Augenkrebs im Endstadium. Was musste einen Menschen reiten, um diese Modesünde freiwillig anzuziehen? Das hier war wohl kaum der richtige Ort, noch die richtige Zeit für Cosplay. “Freue mich, zu Diensten zu sein”, flötete uns die Frau entgegen, deren schwarze Locken munter wippten, als sie eine Verbeugung andeutete. “Sie sind jetzt in Sicherheit. Der Angreifer hat sich verdünnisiert.” Zögerlich hob ich die Hand zum Gruß, den Enthusiasmus meiner Kollegin eindeutig nicht teilend. “Hi.” Was für eine seltsame Person. “Da kam ich ja gerade noch rechtzeitig”, flötete Whirlwind uns entgegen. Zumindest nahm ich an, dass meine Kollegin damit die Frau gemeint hatte, denn auf dem bunten Glitzerkostüm konnte ich das stilisierte Bild eines Wirbelsturms erkennen. “Wie kommen Sie überhaupt hierher?”, wollte ich verdattert wissen und erntete ein vergnügtes Kichern. “Mir ist nicht allzu weit von hier seltsamer Nebel aufgefallen, also bin ich dem hierher gefolgt und wie sich zeigte, war das eine gute Entscheidung. Sie habe ich nämlich sowieso gesucht”, fasste sie mich in den Blick. Am liebsten hätte ich direkt kehrt gemacht. Welche verfickte Kacke hier auch abging, damit wollte ich nichts zu tun haben. Ich wollte zurück zu der Steintafel, zu meinen Notizen und all den herrlichen Dingen, die im ägyptischen Sand noch auf mich warten könnten. “Ach? Wieso denn das?”, hakte ich zögerlich nach, mich zu einem Lächeln zwingend, während meine Kollegin sich nun endlich von mir löste und nur noch flüsterte, sie wolle nach Arif sehen. “Um Sie abzuholen, natürlich”, war Whirlwinds Antwort, die ich mit unbegeisterter Miene quittierte. “Mich mitnehmen?” “Aber natürlich”, gab sie sofort gut gelaunt zurück. “Offenbar gab es bereits die Ahnung, dass Sie hier etwas überaus bedeutsames finden würden, weshalb die U.A. High noch einmal dringend auf ihr Angebot, dort zu unterrichten, hinweisen möchte. Obendrein”, zwinkerte sie mir zu, “sind Sie dort auch sicher. Sie und ihr Fund. Was ist es überhaupt?” Wie konnte sie nur so entspannt bleiben, während ich nicht übel Lust hatte, wahlweise sie, den Nebel von vorhin oder auch die Zeltwand anzuschreien? “Am besten, Sie packen direkt”, fuhr sie fort, ehe ich überhaupt wieder klar genug denken konnte, um richtige Fragen zu stellen. “Keine Sorge. An der U.A. High School sind Sie sicher. Nirgends gibt es mehr bedeutsame Superhelden und obendrein wird doch All Might ab jetzt auch dort unterrichten.” Jetzt fiel auch bei mir der Groschen. Das hier war eindeutig kein ”Was wäre, wenn ich Ägyptologin geworden wäre”-Szenario. Leider. Ich war in Boku no hero academia gelandet. Nur… irgendwie an sehr unerwarteter Stelle. Hieß das nun, dass ich auch so einen Quirk hatte und irgendetwas besonderes konnte? Sofort dachte ich an meine Kollegin, die ja diese flirrende Luft geschaffen hatte. Das war dann wohl ihre Fähigkeit, wie genau die auch immer funktionierte. Whirlwind hatte sich ja bereits von selbst erklärt. Doch was war mit mir? “Miss?”, riss mich die junge Heldin aus meinen Gedanken. “Ist alles in Ordnung? Wurden Sie verletzt?” Ich schüttelte nur steif den Kopf. “Nein. Nein, ich bin… nur ein wenig überrascht”, versuchte ich mich rauszureden und erntete einen fast mitleidigen Blick. “Für jemanden wie Sie”, meinte Whirlwind nun selbst zögerlich, “ist das sicher sehr beängstigend. Sie haben ja... Nunja, Sie haben halt keine eigene Fähigkeit, um sich zu verteidigen.” Toll. Ganz, ganz toll. In einer Welt, in der der Großteil der Leute eine besondere Fähigkeit hatte, die übernatürlich anmutete, konnte ich nichts. Vielleicht sollte ich mich nicht beklagen, immerhin war ich spontan Ägyptologin geworden, doch ein wenig fraß es mich doch an. “Schon gut”, wehrte ich barsch ab. “Aber ich gehe ganz bestimmt nicht, ohne mit meinen Kollegen alles Wichtige geklärt zu haben und die Steintafel, die ich gerade freilege, sicher zu wissen. Wenn ich raten müsste, ist sie es nämlich, hinter der man her sein wird.” Auch wenn ich noch nicht alles hatte entziffern können, war das nun nicht mehr schwierig zu erraten und besonders nach der Andeutung, die meine Kollegin am Morgen gemacht hatte, wurde ich das unangenehme Gefühl nicht los, dass die Steintafel besser nicht in falsche Hände geraten sollte. Mein Wissen darum war plötzlich unangenehm gefährlich geworden, denn jetzt dämmerte mir auch, woher ich diesen Nebel kannte. Irgendsoeine Antihelden-Vereinigung. Scheiße. Woher wusste die bitte von dieser Ausgrabung? “Natürlich, aber wir sollten uns dennoch sehr bald auf den Weg machen. Ich kontaktiere die U.A.”, erklärte Whirlwind ernst. “Bis man uns abholt, haben Sie dann Zeit.” Oh man. Das konnte ja heiter werden. Das hieß dann wohl, dass ich erstmal unter Personenschutz stand und nicht würde hier weiterarbeiten können. Das Vergnügen war groß, aber leider kurz gewesen. Wehmütig wanderte mein Blick über die Ausgrabungsstätte. Sollte ich hoffe, dass das alles hier nur ein blöder Scherz war? Schön wäre es. Fühlte sich eher an, als wäre ich grob fahrlässig in eine Fanfiktion geschubst worden, die als Erfüllung meiner Träume begann und dann zügig in einen Alptraum ausartete. Wenn das hier ein Mary Sue-Projekt war, konnte ich nur beten, dass sich nicht Erenya als meine Göttin austobte, sonst könnte ich mich auch direkt selbst in der Wüste einbuddeln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)