Together through timeless justice von Daelis ================================================================================ Kapitel 5: Unterrichten für Dummies ----------------------------------- Dazu, meine stille Drohung wahr zu machen und dem großen All Might die Leviten zu lesen, weil er zugelassen hatte, dass mehrere Schüler verletzt worden waren - nämlich sein eigener Schützling Deku und mein Küken Erenya - kam ich vorerst nicht. Immerhin wollte ich den Rest der Stunde, der noch geblieben war, nutzen, um der Klasse 1-A ein bisschen theoretisches Wissen zu vermitteln. Außerdem wusste ich ja genau, dass noch jemand in der Krankenabteilung bei Recovery Girl saß, nämlich All Might selbst, wenn auch vor allem, um seine wahre Gestalt zu verbergen. Wie lange plante er, dieses Schauspiel auch vor mir durchzuziehen? Die anderen Lehrer wussten doch sicher längst alle Bescheid. Sollte ich beleidigt sein, weil man mir nicht genug vertraute, um mich einzuweihen, oder schloss man mich nur aus, weil ich als einzige keine Superheldin war? Beide Möglichkeiten ärgerten mich, also schob ich diese Überlegungen beiseite, um mich stattdessen meiner Klasse zu widmen, die nun endlich den Weg ins Klassenzimmer gefunden hatte. Mein Blick glitt über die Schüler. Außer Deku und Erenya waren alle da, also begann ich mit dem Unterricht. Mir wurde ziemlich schnell klar, dass ich heute wohl nicht mehr mit wirklich wichtigen Inhalten aufwarten musste. Abgesehen von Momo und Shouto, schien niemand wirklich zuzuhören. Immer wieder erreichten Gesprächsfetzen mein Ohr, die preisgaben, dass die gesamte Klasse noch ganz in der letzten Stunde festhing. Die Kämpfe hatten einiges an Emotionen aufgewirbelt und beschäftigten die zukünftige Helden-Elite eindeutig mehr als die Taten von Ramses II. oder Herakles. Stumm seufzte ich, ehe ich der Form halber die Anwesenheitsliste durchging. Dass ich sie alle schon mehr oder weniger kannte, würde nur seltsam wirken. Ich war gerade beim letzten Namen auf der Liste angelangt und bereit, meine Einführung zu beginnen und aufzuzeigen, womit wir uns in den kommenden Wochen beschäftigen würden, als es an der Tür klopfte. „Herein“, forderte ich auf, da schob sich die Tür auch schon auf und gab den Blick auf Erenya preis. Ich hätte nicht leugnen können, dass ich mich sofort etwas ruhiger fühlte. Wenn sie schon hier war, dann hatte Recovery Girl ihre Wunden sicher gut versorgt. „Scheint als würde nur Midoriya-kun fehlen. Er-, ich meine Okamoto-san, setz dich bitte auf deinen Platz“, forderte ich Erenya auf und fuhr dann direkt fort: „So, da wir fast vollständig sind und ein gewisser Held uns unsere wertvolle Zeit reduziert hat, fangen wir heute keine schwierigen Themen an. Ich werde euch heute sagen, wie der Lehrplan für die nächsten Monate aussieht und wenn die Zeit reicht, fangen wir mit Heldengeschichte an.“ Ohne weiteres Zögern fing ich an, den Plan in groben Zügen an die Tafel zu schreiben. Damit hätte jeder, der gewissenhaft mitschrieb, auch schon einen Überblick darüber, welche Themen in den Tests und Klassenarbeiten drankämen. Am liebsten hätte ich zwar direkt Erenya bestürmt, um herauszufinden, ob sie wirklich meine Eri war, aber das konnte ich im Unterricht wirklich nicht bringen. „Wie ihr seht, fangen wir mit den etwas eingestaubteren, aber nicht ganz unwichtigen Helden an. Ich weiß, der Stoff klingt trocken, aber wie bei allem im Leben, können wir aus der Vergangenheit lernen und ich bin mir sicher, dass der eine oder andere Held für jeden von euch eine wichtige Lektion beitragen kann.“ Das gleiche galt zweifellos auch für einige Lehrer hier, doch die Bemerkung verkniff ich mit geflissentlich. Mit Aizawa wollte ich auch noch das eine oder andere Hühnchen rupfen. Wie dessen erste Stunde ausgesehen hatte, wusste ich immerhin auch und man musste wirklich kein Genie sein, um zu erahnen, wie er mit seinem Verhalten auch Erenya mitgespielt hatte. Meine arme Kleine. Hoffentlich war sie nicht zu entmutigt. Mit ihrer Fähigkeit war Aizawas komischer Sporttest ala Bundesjugendabzeichen - wusste Gott, ich hatte diesen Mist jedes Jahr gehasst wie die Pest - sicher keine Kleinigkeit gewesen. Meine Versuche allerdings, mit der Klasse darüber zu sprechen, welche Helden sie kannten, hätte ich mir vielleicht sparen können. Momo gab zwar ihr Bestes und war, wie erwartet, ein Musterbeispiel einer gebildeten jungen Frau, doch schon die zweite Antwort auf meine Frage nach den Helden der Geschichte, ließ mich mental die Hand vor die Stirn schlagen. Mineta hielt also Hugh Hefner für einen Helden? Oh man, dann hatten wir hier wirklich einiges zu tun. Demonstrativ begann ich mit einem Beispielhelden, von dem ich genau wusste, dass bei seinem Namen bei meiner Erenya alle Alarmglocken schrillen würden: Gilgamesh. Er bot sich ohnehin an, immerhin war sein Epos der erste, schriftlich festgehaltene Heldenepos der Menschheitsgeschichte. Das allein war schon beeindruckend genug, aber ich glaubte, in Erenyas Mimik zu erkennen, dass bei ihr noch ein anderer Groschen fiel. Kaum jedoch hatte ich meinen Einstieg gefunden, hörte ich schon Denki, dessen Aufmerksamkeit eindeutig nicht meinem Unterricht galt, denn er sah zu Kirishima und fragte leise nach Deku. Anstatt jedoch die Frage zu ignorieren und mitzuschreiben, ging das Getuschel da auch schon weiter, denn Kirishima wandte sich an Erenya. Binnen Sekunden war die halbe Klasse involviert. Glaubten sie wirklich, ich würde das nicht merken? So würde aus dieser Geschichtsstunde jedenfalls nichts. Seufzend gab ich auf. „Ich glaube, ich muss mit diesem Nummer Eins-Helden den Unterricht tauschen“, murmelte ich und wandte mich dann in Richtung der Klasse. „Na schön, reden wir über eure erste Stunde bei All Might. Ich hab zwar nicht alles erlebt, aber da Midoriya-kun noch im Krankenzimmer ist, weiß ich, dass einige von euch es übertrieben haben. Es ist zwar gut, dass ihr nun eure Fähigkeiten austesten konntet und so auch die eurer Kameraden kennengelernt habt, aber es bringt euch nichts, wenn ihr euch überanstrengt.“ Diese Lektion hätte eigentlich auch Deku hören sollen, denn der musste die eindeutig auch lernen. Und sein Mentor auch. Vielleicht sollte der sich mal hier in den Unterricht setzen, er könnte noch so einiges lernen. „Ein Held muss auch in der Lage sein, seinen Stolz runterzuschlucken und den Rückzug anzutreten. Es bringt niemandem etwas, wenn er sich verausgabt und dabei stirbt“, fuhr ich ernst fort und konnte nicht umhin, dabei besonders Erenya anzusehen. Wenn das hier meine Eri war, dann sollte besonders sie sich das zu Herzen nehmen. Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie ihr eigenes Wohl viel zu schnell aus den Augen verlor. Aber auch wenn sie nicht meine Erenya war, hatte sie sich offensichtlich Bakugo gestellt und dazu gehörten schon ein paar Eier, besonders wenn man keinen offensiven Quirk hatte wie sie. Gerade wollte ich fortfahren, als auch schon die Klingel ertönte, die das Ende der Stunde ankündigte. Missmutig dachte ich an meinen Plan für die heutige Stunde. Danke, Mr. All Might. Erst überzieht er ohne Ende und jetzt hat sein Unterricht auch meinen komplett übernommen - oder zumindest den kleinen Rest, der mir übrig geblieben war. Nun gut. Dann sollte ich nun besser sicherstellen, ob ich allein in diesem wirren Boku no Hero Academia-Chaos steckte oder nicht. Ein kleiner Test und ich wüsste sofort, ob Erenya meine Erenya war. „Okamoto-san, ich bräuchte da noch etwas Hilfe mit Kopien. Eine Zusammenfassung über Gilgamesh, die ihr euch alle besser anguckt. Komm bitte mit und hilf mir dabei“, wandte ich mich an Erenya. So wie sie guckte, könnte man meinen, ich bestrafe sie. Und dabei gab ich mir wirklich Mühe, so freundlich und arglos wie möglich zu lächeln, ehe ich Richtung Kopierraum vorging. Dort angekommen, zögerte ich nicht, mich zu Erenya umzuwenden. „Meine arme Bebi-Eri. Ich hoffe Bakugo hat dir nicht zu sehr wehgetan. Wieso musst du dich auch mit ihm anlegen?“ „Daelis, lass mich los! Du kannst doch nicht so einfach, argh!“ Hah, hatte ich es doch gewusst! Eindeutig meine Eri! Triumphierend leckte ich kurz scherzhaft über ihre Wange, ehe ich die Umarmung löste. Sie ahnte ja nicht, wie erleichtert ich war. Und besorgt. „Es ist so schön, nicht alleine in all diesem Wahnsinn zu stecken. Lass mich dich also ein bisschen anlecken“, versuchte ich, nicht daran zu denken, in welch gefährlicher Lage meine kleine Eri im Vergleich zu mir steckte. Ich war sicher. Als Lehrerin ohne Quirk konnte ich alle gefährlichen Vorkommnisse einfach aussitzen, aber Erenya wäre mittendrin, wie alle Schüler der Klasse 1-A. Kein Gedanke, der mich enthusiastisch werden ließ. „Und ich dachte schon, das sei ein MSP aus deiner Feder, anders hätte ich mir diese Fähigkeit nicht erklären können“, murrte Erenya und trat einen Schritt zurück. Ich schüttelte den Kopf. „Nope, das ist dieses Mal nicht meine Schuld. Auch wenn es sehr nach mir klingt. Aber keine Sorge, ich brauche kein MSP, um meine Bebi-Eri glücklich sehen zu wollen.“ Hach, wäre es doch nur ein Mary Sue-Projekt. Dann wäre das alles hier nur eine Geschichte und keine von uns beiden irgendeiner potentiellen Gefahr ausgesetzt. Auch wenn ich es schon etwas süß fand, dass ich zwar immer noch die Alte war, aber Erenya wieder ein Teenie. Wie das wohl war? Und obendrein hatte sie einen wirklich faszinierenden Quirk, der ganz bestimmt meinem Hirn entsprungen sein könnte. Vor den Gefahren, die da kämen, könnte ich sie nur beschützen, wenn ich sie von der Schule verwies - und zwar schnell - und ich bezweifelte, dass Erenya damit einverstanden wäre. Also konnte ich wenigstens versuchen, sie aus dem Hintergrund heraus zu unterstützen und aufzupassen, dass sie sich aus dem Ärgsten heraushielt. „Hör bitte mit diesem Bebi-Eri Gerede auf. Ich denke, wir beide haben hier ein anderes Problem. Dir ist bewusst dass wir hier feststecken, oder?“ Oh, und wie bewusst mir das war. Abwägend nickte ich, unwillig nur das Schlechte zu sehen. Für mich hatte das hier immerhin prinzipiell gut angefangen. „Ja, ich will zurück zu meinem Sand. Da hatte ich das, was ich schon immer wollte“, erklärte ich übertrieben gespielt jammernd, als Erenya auch schon die Arme verschränkte und mich streng ansah. „Daelis, wir stecken hier in einem Anime fest. In einer Welt, in der wir schneller hopps gehen können, als uns lieb ist. Außer du hast eine Fähigkeit, die dir den Arsch rettet. Nicht so wie meine.“ Sie unterschätzte die Möglichkeiten, die ihr Quirk ihr eröffnete, maßlos, fand ich. War ihr nicht klar, was für eine Macht man ihr da gegeben hatte? „Beschwer dich nicht, ich bin absolut quirklos. Mir rettet nichts den Arsch. Dabei war ich so glücklich bei meinen Artefakten in Ägypten“, brummte ich leise. Erenya könnte wirklich einen Unterschied machen, Leben beschützen. Ich konnte nur herumsitzen und Damsel in Distress spielen. Was für mich in dieser Welt wirklich toll gewesen war, hatte ich direkt wieder verloren. „Also was machen wir nun?“, seufzte Erenya. Hilflos zuckte ich mit den Schultern. Was sollten wir schon tun? Allen erklären, woher wir kamen und was wir wussten? Wer würde uns glauben? Wir hatten ja selbst absolut keine Erklärung dafür und sicherlich würde niemand gerne hören, dass seine Realität in einer anderen nur ein Manga war. Ganz abgesehen davon, dass wir nicht abschätzen konnten, wie sehr wir den Verlauf der Dinge allein durch unsere Anwesenheit schon beeinflusst hatten und welche Folgen das haben würde. Fragte man mich, wäre es besser, möglichst nichts zu verändern. Sonst müssten womöglich Leute sterben, nur weil wir uns einmischten. Diese Verantwortung wollte ich nicht tragen. Doch diese düsteren Gedanken wollte ich nicht mit Erenya teilen. Für sie war es sicher schon belastend genug, auf einmal ein Teenager, Schüler und obendrein mit einem Quirk gesegnet zu sein. Das waren eine Menge Veränderungen. Also meinte ich nur spielerisch: „Also ich werde dich shippen. Shinsou und du seid schon niedlich, wobei ich denke, Kirishima passt eher zu dir.“ Erenya sah nicht überzeugt aus und ließ sich zu meinem Ärger auch nicht so einfach ablenken. „Dir ist klar wo wir zeitlich befinden und was passieren wird?“ Am liebsten hätte ich einfach tief geseufzt. Eindeutig meine Eri. Vermutlich wusste sie längst, was mir durch den Sinn ging. „Ja. Und ich hab damit kein Problem, denn im USJ werde ich nicht dabei sein. Ich muss auch nicht beim Sportfest mitmachen, oder beim Trainingscamp… ich bin safe“, meinte ich zögerlich. „Und du findest okay, dass ich überall mittendrin hänge?“, schnaubte Erenya. Wieder seufzte ich und schüttelte den Kopf. Natürlich nicht. Wie könnte ich? Aber ich konnte es auch nicht ändern und ich kannte Eri gut genug, um zu wissen, dass sie sicher nicht die Schule verließe, um sich selbst zu schützen. „Du könntest auch einfach nur dabei sein, dich ruhig verhalten und die Geschichte so ausgehen lassen, wie sie sein sollte“, meinte ich nachdrücklich, ihren Blick suchend. Bitte, Eri, bat ich stumm, halt dich raus. Zwar glaubte ich nicht wirklich, dass sie das täte, doch die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt. Dennoch wollte ich daran glauben, dass sie sich zumindest nicht unnötig in Gefahr begab, weil sie ja wusste, was alles gut ausging. Um alles andere - besonders unseren Weg heim - würde ich versuchen, mich zu kümmern. Vielleicht fand ich jemanden mit einem passenden Quirk oder so. Für den Moment allerdings sollte ich Erenya wohl nicht zu lange aufhalten. Immerhin wartete auf sie schon die nächste Stunde und ich wollte hier keinen All Might abziehen. „Also, komm mit, wir machen mal ein paar Kopien über Gilgamesh. Vielleicht sollten wir für die Mädchen ein paar Nacktfotos einfügen, um das Thema wenigstens für sie interessant zu machen“, feixte ich und nickte in Richtung des großen Kopierers. Erenyas Grinsen glich meinem. „Als ob. Der interessante Part ist doch immer durch ein heiliges Licht überbelichtet. Keine Ahnung, was das verbergen soll. Vielleicht sind die königlichen Kronjuwelen zu klein.“ Demonstrativ schüttelte ich mich, lachte aber. Bewaffnet mit den Kopien ließ ich Erenya ziehen und wandte mich stattdessen in Richtung Lehrerzimmer. Die nächste Stunde hatte ich frei und wollte sie nutzen, um mir das kleine Büro anzusehen, welches Nezu für die Vertrauenslehrerposition bereitstellte. Eine kleine Notiz hatte ich mich heute Morgen überhaupt erst auf dieses Büro aufmerksam gemacht und wenn ich mich nicht täuschte, war der Raum genauso behaglich und einladend wie ein Krankenhauszimmer. Das wollte ich ändern, ehe die ersten Schüler an All Might oder mich herantraten, um über ihre Sorgen zu sprechen. Müsste ich raten, würden die meisten wohl lieber mit dem Nummer Eins-Helden reden, aber mir gegenüber wäre es vermutlich einfacher. Mit ihm stünde jeder angehende Held immer im Vergleich, mit mir hingegen nicht. Ohnehin würde All Might wohl kaum immer Zeit haben, wenn man bedachte, wie pingelig er damit war, sein Geheimnis zu wahren. Und seine Zeit in seiner Heldenform würde weiter schwinden. Als könnte ich damit den aufkommenden Kopfschmerz verjagen, rieb ich mir mit den Fingern über den Nasenrücken. Warum zermarterte ich mir darüber überhaupt das Hirn? Man hatte es ja nicht mal für nötig gehalten, mich einzuweihen! Missmutig öffnete ich die Tür zum Lehrerzimmer. Zur gleichen Zeit öffnete Aizawa sie von der anderen Seite. Überrascht blinzelte ich ihn an. „Hallo“, grüßte ich schließlich, erhielt jedoch keine Antwort. Aizawa warf mir einen kurzen Blick zu, den ich nicht zu deuten vermochte und schlurfte von dannen. Ich sah ihm nur kurz nach, dann bemerkte ich die einzige Person, die im Lehrerzimmer verblieben war. Das Symbol des Friedens, der Unterrichtszeitdieb, höchstpersönlich. Ah, das erklärte Aizawas Blick. Bestimmt war er auch der Ansicht, dass ich nicht in All Mights Geheimnis eingeweiht werden sollte. Verübeln konnte ich es ihm nicht, immerhin war dieses Geheimnis wirklich ziemlich brisant und außer Erenya und mir wusste ja noch keiner, dass es ohnehin bald auffliegen würde. Na, sollten sie meinetwegen bis dahin um mich herumeiern, wenn es sie alle glücklich machte. Bestimmt hatte die Schlafsackraupe Aizawa gerade ein paar ernste Takte mit dem Nummer Eins-Helden gesprochen, so geknickt wie dieser in seinem Stuhl hing. Ein bisschen lustig sah das schon aus. Zugleich bekam ich aber fast ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn ja auch noch ein wenig zusammenfalten wollte - und das würde ich auch. Der Hüne vor mir war alt genug, die Folgen seines Handelns zu tragen und auch wenn er als Superheld die Nummer Eins sein mochte, hatte er als Lehrer doch noch so einiges zu lernen. „Miss Daelis!“, schreckte All Might merklich auf, als die Tür des Lehrerzimmers hörbar hinter mir ins Schloss fiel. „Wie schön, dass ich Sie hier direkt antreffe, Mr. All Might“, flötete ich so freundlich, wie ich konnte, doch so wie der Held vor mir guckte, ahnte er wohl, was ihm blühte. Dennoch erhob er sich sofort und setzte sich auch erst wieder, als ich Platz nahm. „Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. Ich bedaure wirklich außerordentlich, dass ich die Zeit Ihres Unterrichts mit in Be-“, begann er sofort, den Kopf demütig geneigt, doch ich hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. „Richtig, Sie haben überzogen und obendrein zugelassen, dass mindestens ein Schüler schwerer verwundet wurde, beinahe zwei“, ergriff ich streng das Wort. „Sie mögen ja ein Held sein und wissen, was unseren Nachwuchs in realen Kämpfen erwartet, aber hier sind Sie allen voran auch Lehrer und für die Sicherheit unserer Schützlinge verantwortlich, mehr noch als sie es als Held sowieso schon sind. Bitte seien Sie sich dieser Verantwortung bewusst.“ Er nickte kleinlaut. Jetzt ernst zu bleiben, fiel mir schwer, doch was ich zu sagen hatte, war wichtig. „Auch das Wissen außerhalb Ihres Unterrichts kann einmal den Unterschied machen, der nötig ist, damit die Helden der Zukunft in Ihre Fußstapfen treten und die Welt zu einem sichereren, besseren Ort machen können. Wenn Sie also noch einmal so heftig überziehen, könnte ich glauben, dass Sie der Ansicht sind, Ihr Unterricht sei sehr viel bedeutsamer als der meine“, bemerkte ich spitzfindig. Dass ich damit einen wunden Punkt traf, war unübersehbar. Der hünenhafte Held neben mir zuckte zusammen. „Bitte entschuldigen Sie. Ich wollte ganz sicher nicht respektlos sein. Ihre Arbeit ist very important!“, betonte er so eilig, dass er sich dabei fast verhaspelte. Nicht lachen, Daelis, mahnte ich mich im Stillen. Ein wenig ironisch mutete es schon an, dass es so dermaßen einfach war, den größten Helden unserer Zeit nervös zu machen. Ich könnte schwören, er hatte vor mir mehr Angst als vor der gesammelten Bankräuberschaft der Stadt. „Schon gut, schon gut. Sie sind sehr enthusiastisch dabei und das ist schön, aber… verlieren Sie dabei nicht aus den Augen, dass es hier nicht um Ihre Wünsche geht, sondern das Wohl der Schüler“, meinte ich beschwichtigend. „Ah, Sie haben natürlich Recht. Ich gelobe Besserung. Sie haben mein Wort darauf, Miss Daelis.” „Nur Daelis. Ich weiß, das ist hier in Japan so üblich, aber alle anderen hier duzen sich - und mich - auch. Außerdem waren Sie doch einige Jahre in Amerika und sind einen etwas lockereren Umgang gewöhnt, oder? Also bitte: Daelis“, bat ich und hielt ihm die Hand hin, um seine zu schütteln. Sicher eine Geste, die er hier lange nicht mehr erlebt hatte. Tatsächlich stutzte er kurz, ergriff meine Hand dann wieder. „Very thoughtful, thank you.“ Wieder rutschte er ins Englische. „Ah, gar nicht. Es ist angenehm, die strenge Höflichkeit mal abzuschütteln“, winkte ich ab. „Aber wenn du mir nochmal meine Stunde klaust, setze ich mich in deine und kommentiere live und schonungslos jeden Augenblick, in dem ein Schüler nicht absolut sicher ist“, drohte ich scherzhaft, was den Hünen neben mir direkt etwas in seinem Stuhl schrumpfen ließ. „Die junge Okamoto-san hat mir vorhin auch schon den Kopf gewaschen“, gab All Might kleinlaut zu, wobei er sich verlegen den Nacken rieb. Oha! Das hatte Eri also, mh? Dann konnte ich mir im Groben vorstellen, was passiert war. Dass sie vor dem berühmtesten Helden dieser Welt nicht kuschte, wunderte ich überhaupt nicht. Eher wäre ich verwirrt gewesen, wenn sie sich deshalb zurückgehalten hätte. Ich war da ja auch nicht anders, wieso auch? Letzten Endes war All Might auch nur ein Mensch mit Fehlern, wie sie jeder hatte. Außerdem glaubte ich nicht, dass Eri etwas gesagt hatte, das ihn wirklich verletzte. „Wie schlimm war es?“, fragte ich und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. All Mights Miene entspannte sich nun auch. Er wirkte beinahe geistesabwesend, als er meinte: „Sie hat das Temperament ihrer Mutter. A strong and independent woman, yes!“ Ich nickte. Das klang eindeutig nach meiner Eri, auch wenn ich nicht wusste, ob das von ihrer Mutter kam. „Hast du sie gut gekannt? Okamotos Mutter meine ich“, hakte ich wie beiläufig nach und musterte den Helden aus den Augenwinkeln, der direkt wieder etwas unruhig wurde. War ihm nur das Thema unangenehm oder lief einfach nur seine Zeit in dieser Form ab? „Wir waren Kollegen“, fiel die Antwort schließlich recht ausweichend aus, doch ob des bedrückten Tonfalls mochte ich nicht weiter nachbohren. Ich hatte den armen Mann vorhin schon genug runtergeputzt. Zeit, ihn ein wenig aufzubauen. „Gefällt dir das Unterrichten bisher? Ist sicher eine ziemliche Abwechslung zum Alltag eines Superhelden“, wechselte ich das Thema abrupt und schien damit doch wieder in einen Fettnapf getreten zu sein. Zählte mein Talent, jedes Fettnäpfchen mitzunehmen, nicht vielleicht doch als Quirk? „Um ehrlich zu sein“, begann All Might zögerlich, „bin ich manchmal nicht sicher, ob ich die richtigen Entscheidungen treffe. So wie heute. It’s quite a challenge to teach!“ „Oh ja, das ist es wirklich“, gab ich unumwunden zu. „In dieser Hinsicht sitzen wir im gleichen Boot. Manchmal vermisse ich die Grabungsstätte.“ Gelogen. Ich vermisste sie ständig, aber dass Eri hier war, änderte nun mal alles. Sonst hätte ich vielleicht darauf bestanden, mich wieder nach Ägypten zu verkrümeln. „Hier ist jede Entscheidung viel bedeutsamer als bei der Grabung“, fuhr ich fort. „Immerhin ist man nicht nur einerseits ein Vorbild für die Schüler, sondern soll sie zugleich auch anleiten, an ihren Herausforderungen zu wachsen, damit sie einmal bessere Erwachsene werden, als wir es jetzt sind.“ Volltreffer versenkt. Eigentlich hatte ich gehofft, All Might damit etwas aufmuntern zu können, doch stattdessen sah er drein wie ein begossener Pudel. Oha. Ich hatte wohl wirklich einen wunden Punkt getroffen. Vermutlich zermarterte er sich jetzt nur noch mehr das Hirn darüber, was er besser machen könnte. Ich seufzte. „Lehrer zu sein, ist nicht einfach. Ich bin sicher, wir beide werden noch in unsere neue Rolle hineinwachsen“, schlug ich also einen etwas versöhnlicheren Tonfall an und tätschelte dem armen Hünen ein wenig den Unterarm. „Kopf hoch. Direktor Nezu glaubt immerhin auch an uns und ich habe das Gefühl, dass er über eine hervorragende Menschenkenntnis verfügt.“ Nun hellte sich All Mights Miene auf. Phew, nochmal die Kurve gekriegt. „Ich denke“, meinte ich abwägend, „dass wir einfach nur unser Bestes tun können, um den höchsten Ansprüchen gerecht zu werden. Ein hartes Stück Arbeit, aber sie ist es ganz bestimmt wert.“ „You are absolutely right!“, ergriff der Profi-Held so laut das Wort, dass ich vor Schreck zusammenzuckte. Ob ich mich an diese Anwandlungen je gewöhnen würde? Ich freute mich auf den Tag, an dem er sich mir gegenüber auch entspannter gab und nicht mehr glaubte, immer eine Heldenshow abziehen zu müssen. Wir waren immerhin Kollegen. Beschwichtigend hob ich die Hände und wollte eigentlich noch mehr sagen, doch mir war völlig entfallen, was. „Du hast mir wirklich sehr geholfen. Thank you!“ Mit einem unsicheren Lächeln nickte ich nur, als er sich erhob. Wollte er diese Erkenntnisse nun direkt in die Tat umsetzen? Verwirrt starrte ich dem Nummer Eins-Helden nach, als dieser entschlossenen Schrittes aus dem Lehrerzimmer stiefelte. Oh je. Was hatte ich damit in Gang gesetzt? Hoffentlich tat er nichts Dummes. Hätte ich doch nur die Klappe gehalten. Das hatte ich nun davon. „Sieht gut aus“, ertönte Nemuris Stimme. Erschrocken machte ich einen Satz. Ich hatte meine Kollegin gar nicht kommen hören, obwohl ihre hochhackigen Schuhe eigentlich hörbar auf dem harten Boden klapperten. „Findest du? Ich hab das Gefühl, es fehlt noch etwas“, gab ich schließlich zurück und ließ meinen Blick noch einmal durch das Büro der Vertrauenslehrer wandern. Die Schreibtische hatte ich soweit vorbereitet, dass Papier und Stift bereitlagen, auf der Fensterbank standen nun zwei Orchideen, die ich kurzerhand heute früh vor der Schule gekauft hatte, doch ansonsten sah das Büro einfach noch kahl aus. „Vielleicht finde ich ja noch einen hübschen Kunstdruck“, überlegte ich, den Blick auf die kahle Wand hinter dem großen Schreibtisch gerichtet. „Bestimmt. Vielleicht ja ein Poster von All Might? Das gefiele den Schülern bestimmt“, schlug Nemuri enthusiastisch vor. Sie stand nun neben mir. „Ich dachte dabei ehrlich gesagt eher an etwas neutrales“, murmelte ich seufzend. „Die Schüler sollen sich hier vom Druck, ein großartiger Held sein zu müssen, befreit fühlen. Ich glaube nicht, dass es so gut wäre, sie dann ausgerechnet an die Nr. 1 zu erinnern.“ „Mh“, machte Nemuri nun grüblerisch, ehe sie unvermittelt das Thema wechselte. „Vielleicht hat Hizashi ja eine Idee. Komm doch heute Abend mit uns essen. Wir wollen nochmal in das Restaurant vom letzten Mal.“ „Das ist wirklich nett, aber ich passe heute. Es wartet einfach noch so viel zu tun“, schüttelte ich den Kopf. „Außerdem wollen meine alten Kollegen aus Ägypten noch anrufen. Ein anderes Mal, ja?“ „Alles klar“, schmunzelte Nemuri verständnisvoll. „Aber dann zahlst du.“ Ich lachte und nickte. „Einverstanden. Aber sag mal, was ist das ei-“ Ein Klopfen unterbrach mich mitten in meiner Frage, die ich somit nicht zu Ende stellte. „Ich hoffe, ich störe nicht?“ „Direktor Nezu“, entfuhr es der Schwarzhaarigen neben mir überrascht. „Sagen Sie bloß, Sie wollen heute mal zum Essen mitkommen?“ Überrascht sah ich von meiner Freundin zum Direktor und zurück. Das klang, als habe er schon einige Einladungen ausgeschlagen. Nezu lächelte nur und schüttelte den Kopf. „Mitnichten, auch wenn es mich freut, dass die Einladung noch zu stehen scheint. Ich war auf dem Weg zu Daelis.“ Sein Blick fixierte nun mich. Hoffentlich folgte nun nicht wieder stundenlanger Smalltalk, sonst könnte es sein, dass ich in Gedanken nebenbei nicht nur die Inneneinrichtung dieses Büros plante, sondern gleich des ganzen Gebäudes. „Wie kann ich helfen?“, fragte ich meiner Bedenken zum Trotz. Nemuri klopfte mir auf die Schultern, nickte dem Direktor zu und schlich damit davon. Müsste ich raten, dann floh sie vor einem potentiellen Schwall sinnlosen Geredes über das Wetter, die Schüler, die Nachrichten und was immer der Direktor sonst noch aus dem Hut zauberte. Nezu lächelte nur freundlich weiter in meine Richtung. „Eigentlich bin ich sicher, dass ich helfen konnte. Ich habe mir erlaubt, eine Kleinigkeit für dich vorzubereiten, damit du dich hier etwas heimischer fühlst. Deine Kollegen in Ägypten waren so freundlich, mich dabei zu unterstützen.“ Fragend sah ich zu meinem Chef herunter, in dessen Augen es nun aufgeregt funkelte. „So gerne ich es dir auch persönlich zeigen würde, fehlt mir heute leider die Zeit dazu“, seufzte er etwas überdramatisierend, dann nickte er gen Fenster. „Aber vielleicht siehst du es von hier aus sogar.“ Fragenden Blickes trat ich an das Fenster heran, auf dessen Fensterbrett der Direktor schon im nächsten Augenblick kletterte. Er deutete auf eine Art Gewächshaus, von dem ich schwören würde, dass es gestern noch nicht da gewesen war. „Wir waren so frei, einige Abschnitte der Grabungsstätte hierher zu verlegen. Selbstredend sind die klimatischen Bedingungen Ägypten nachempfunden, damit den im Sand verborgenen Fundstücken nichts passiert.“ Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch kein Laut drang hervor. War das sein Ernst? Das hatte er veranlasst? Das war schierer Wahnsinn! Allein der Aufwand dahinter! Nezu sah mir die Fassungslosigkeit wohl an, denn er fuhr schließlich fort. „Sieh es als Dank für deine Arbeit. Sie ist auch für uns hier sehr wichtig. Alle anderen Lehrer gehen ihrer Heldenberufung noch nach und ich sah keinen Grund, wieso du deine ursprüngliche Berufung aufgeben solltest.“ „Danke“, brachte ich schließlich leise hervor. „Vielen, vielen Dank. Das ist… unglaublich. Und wundervoll. Danke!“ „Gern geschehen. Wenn du mich nun entschuldigst.“ Nezu war so schnell verschwunden, wie er gekommen war, während mein Blick noch immer fassungslos an dem Gebäude mit dem Glasdach hing. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)