Kristallschmetterling von Morgi (Sesshoumaru / Kagome) ================================================================================ Kapitel 2: Weissagung --------------------- Kristallschmetterling - Weissagung - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Drama, Romantik (Hetero), Epik, Alternate Timeline Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 7 "Verschwinde!", fauchte Sango und für einen Moment glühte in ihren braunen Augen das alte Feuer der Dämonenjägerin auf, bevor ihr der Schmerz die Sinne raubte. Ihr Oberkörper erzitterte, dann ein Gurgeln, ein Wimmern, ehe sie den Kopf zur Seite warf und einen Schwall blutiger Klumpen erbrach. Das Geräusch war so widerlich, dass sie das Gesicht verzog. Würgend rang sie nach Fassung. Die mit Speichel durchsetzten, seimigen Fäden hingen an ihrem Kinn fest, während sie stoßweise den Atem zwischen den Zähnen hervorpresste. "Komm ... komm nicht näher", warnte sie, während ihre Hand den Schwertlanzengriff weiter unten packte. Die Waffe stach aus ihrem Fleisch hervor, als wäre sie ein gebrochener Knochen und hätte mit ihrer Kurzatmigkeit nichts zu schaffen, doch sie wusste es besser. Ihr Bellen klang wie ein waidwundes Tier: "Was gibt es noch zu starren, Kagome? Ich sagte –" Sie riss die Augen auf, ehe statt der Drohung alles in ihr zu rebellieren begann und der Brustkorb wie eine Apfelsine zusammenschrumpfte. "Sango!" Kagome war binnen eines Herzschlags über ihr und versuchte, sie davon abzuhalten, den Oberkörper weiter zu krümmen und damit das Blatt der Lanze tiefer zu treiben, doch ihre Berührung an der Schulter setzte einen Zorn frei, als habe sie ihr die Glut einer Kohlenpfanne in das Gesicht gefegt. Jäh wich Kagome vor der um sich Schlagenden zurück, ehe sich die Dämonenjägerin wie ein Insekt am Boden wand. "Ich sagte, du sollst mich nicht anfassen!", heulte Sango auf. "Ich weiß genau, wofür du gekommen bist, du elende Heuchlerin!" "Wovon zur Hölle redest du? Du bist verletzt und brauchst einen Heiler! Was ist nur in dich gefahren?" Aufgebracht musterte Kagome das einst so vertraute Gesicht, auf dem sich Staub und Dreck abzeichneten. Das Fieber brachte deutlich sichtbare Schweißperlen auf der Oberlippe, aber das verächtliche Schnaufen nährte andere Befürchtungen: Diese Wut, die Unterstellungen; das war verrückt! Wie konnte es soweit gekommen sein? Sango lag keine Handbreit entfernt, aber zwischen ihnen schien eine unsichtbare Mauer aufzuragen. Wo steckten bloß ihre anderen Freunde: Miroku, der tapfere Mönch, und der kleine Fuchsdämon Shippou? Fahrig starrte Kagome über Sangos Kopf hinweg in den Nebel, der in dicken Schlieren vom Erdboden aufstieg. Außer der Silhouette des Goshinboku und einer davonfliegenden, gewaltigen Krähe konnte sie allerdings niemanden entdecken. Sie wollte nach den Pfotenabdrücken der gewaltigen Dämonenkatze Kirara suchen, aber der höhnische Laut aus Sangos Kehle polterte dazwischen. "Gib dir keine Mühe. Ich bin die Letzte", zischte sie. "Überrascht dich das? Miroku hat mich vor dir gewarnt. Ich wusste, dass du zurückkommen würdest ... immer und immer wieder, bis du es beendet hättest. Ich weiß über alles Bescheid, Kagome. Über alles." Ihr Lachen wirkte so kläglich wie das Husten eines Flohs und ließ Kagome hilflos zurück. Sie hatte sich während des Hinaufkletterns im Knochenbrunnen davor gefürchtet, einem ihrer alten Weggesellen erklären zu müssen, wieso sie drei Jahre wie vom Erdboden verschluckt worden war. Doch das stellte alle Ängste in den Schatten. Warum benahm sich Sango, als sei sie der Feind? Wo um alles in der Welt war sie hier gelandet? "Kagome!", jauchzte es da und noch ehe die Angesprochene zusammengefahren war, tauchte neben ihrer Schulter ein überglückliches Gesicht auf. Der Impuls es entsetzt anzuschreien, verpuffte in einem Geistesblitz. "Rin?", flüsterte Kagome ungläubig. "Ja", frohlockte das Mädche, bevor sie sich mit dem Handballen über die Wange rieb. Die dunkelbraunen, dicken Strähnen und der Zopf umrahmten Züge, in denen die Augen wie Kastanien leuchteten, dann gesellte sich auch schon das karierte Muster des Baumwollkimonos dazu, weil Rin leichtfüßig vorwärts sprang und sie umrundete. "Ich dachte, ich wäre ganz allein auf der Wiese!" Wiese? "Wovon redest du?", fragte Kagome. "Hier sind doch keine –" Sie stockte, unfähig zu glauben, was ihr der Blick zurück offenbarte. Dort, wo sie erwartete Asche zu sehen, war nichts weiter als duftendes, grünes Gras, das sich bis zum Horizont erstreckte, bis die Haselnussbüsche und Zedern die Waldlinie säumten. Keine Sango, kein Speer, nicht einmal ein Nebelfetzen war zurück geblieben. Sogar der Himmel über ihr war in ein malerisches Rot getaucht und sanfter, als sie ihn in Erinnerung hatte. Ging die Sonne gerade auf? Unter? Wo war die Zeit geblieben? Sie hatte ihr Zimmer kurz nach Mitternacht verlassen! "Ich glaube, ich werde verrückt", raunte Kagome wie betäubt, ehe sie hölzern auf die Beine kam. Ihre Unterschenkel zwiebelten unangenehm, während sich das Blut bis in ihre Zehenspitzen verteilte und das Gefühl vertrieb, auf Butter zu laufen. Doch das erklärte nicht die Übelkeit in ihrem Magen. Die Sorge grub sich durch ihre Eingeweide, während sie sich einmal um die eigene Achse drehte und nach der Dämonenjägerin suchte. Ihr Verstand biss sich an dem Erlebten die Zähne aus. Träumte sie gerade? War sie über ihren Notizen eingeschlafen? Aber warum hatte sie dann das Gefühl, als ob in ihrem Haar immer noch Asche klebte? Angespannt fuhr sich Kagome durch die Mähne, doch mehr als Rins Glucksen erntete sie dadurch nicht. "Du bist bestimmt nicht verrückt", behauptete Rin verschmitzt. "Jaken-sama verkündet auch ständig, dass er das bald wird, aber auf mich wirkt er noch ganz vernünftig. Und schau, der hübsche Schmetterling scheint mir zuzustimmen!" Schmetterling?! So rasch, als ob sie sich an dem Gedanken verbrannt hätte, fuhr Kagomes Kopf in die Richtung, in die Rin zeigte. Keine Sekunde später sah sie ihre bitterböse Vorahnung bestätigt. Da flatterte er, der Übeltäter! Hatte er ihr diese scheußliche Halluzination eingebrockt? Diesen Albtraum? Oh, dieses heuchlerische, elende –! "Kagome?", riss Rin sie erneut aus den Gedanken. "Ja?" Die Miko ließ von ihrem Einfall ab, dem Shikigami unter wüsten Beschimpfungen die Flügel auszureißen, bevor sie die Tränen der Erleichterung mit einem Schlucken vertrieb. Solange Sango nicht schwerverletzt war, bestand dazu nämlich kein Grund! Himmel, warum war sie überhaupt hierher gekommen? Sie hätte wissen müssen, dass es noch mehr in dieser Zeit gab, das ihr Angst und Bange werden ließ als der Gedanke an Inuyasha. Ihr lieber, halsstarriger Hanyou. Jetzt fehlte nur noch Rins Begleiter – Oh Gott. Prompt saß ihr ein Kloß im Hals und ihr Puls schnellte in die Höhe, während sie an aufgebauschtes Schulterfell und eine Eleganz dachte, die ihr ohne mit der Wimper zu zucken die Kehle öffnen konnte: War Sesshoumaru auch hier? Wusste er vom Tod seines Halbbruders? Dann erklang ein tiefes Grollen, welches Kagome mit einem umso jäheren Kieksen beantwortete. Beim Herumwirbeln begriff sie, dass ihre Fantasie mit ihr durchging: So klang kein Daiyoukai, so ... so klang ein hungriger Magen! "Entschuldige", brach es kleinlaut aus Rin hervor, die beide Hände hinter dem Rücken hielt und verlegen auf den Füßen wippte. "Ich wollte dich damit nicht überfallen, aber ich bin die halbe Nacht gelaufen und hatte außer einer Handvoll Beeren noch nichts." "Warum?", hakte Kagome ein. "Warum ich gelaufen bin?" "Nein", widersprach die Miko kopfschüttelnd. "Warum bist du allein unterwegs? Du bist doch allein, oder?" "Oh, das ... also ..." Rin runzelte die Stirn, bevor sie mit geschürzten Lippen zu einem Farnkraut sah, auf dem sich eine Schnecke entlang schob. Wie sollte sie das erklären? Sie hatte sich auf Ah-Uhns Talent verlassen, sie wieder aufzuspüren, nachdem sie dem Schmetterling hinterhergeeilt war. Unvorsichtig und gutgläubig wollte sie jedoch nicht klingen: "Ich ... also ... ich bin vorausgegangen!" "Wirklich?" Kagome hegte Zweifel, aber sie versuchte sich mit einem Lächeln zu retten. Die Anwesenheit des Falters stimmte sie unruhig genug, und bislang konnte sie sich keinen Reim daraus machen, warum ausgerechnet Rin seine Bekanntschaft geschlossen hatte. Das Mädchen war älter geworden, ja, bestimmt einen ganzen Kopf größer, aber sie schien sich trotzdem heimisch zu fühlen und tänzelte wie ein Reh von einem Fuß auf den anderen. Ob Rin ihr den Shikigami in die Neuzeit geschickt hatte? Doch wie sollte sie so etwas beschwören können? Brauchte sie bloß etwas Zeit, um einen Anfang zu finden? Nun, vielleicht taute sie bald auf. "Ich verstehe. Wir werden wohl besser etwas zu essen suchen, oder?" Rins Augen blitzten prompt. "Zusammen?" "Natürlich", bestätigte die Miko. Wenige Minuten später versank sie in dem Fragenspiel Rins, die abwechselnd auf Wurzeln und schimmernde Pilzkappen deutete. Beinahe wäre Kagome nicht aufgefallen, wie viel Abstand der Shikigami zwischen sich und ihnen wahrte: Manchmal schlüpfte er in die Baumkronen und hielt sich nahe der roten Ahornblätter, ein andermal duckte er sich hinter Farnkraut und wartete, bis sie fast völlig außer Sichtweite verschwanden. Seltsam ... 8 "Oh verschont mich, Sesshoumaru-sama! Ich schwöre Euch, sie kann nicht weit sein!", krächzte Jaken, während sein faltiges, grünes Gesicht der Länge nach im Staub klebte und er aussah, als ob er anwachsen wollte. Zitternd vor Angst hatte er beide Hände von sich gestreckt und eine Schweißperle rann über sein Gesicht. Wie hatte ihm das nur passieren können? War ihm sein Leben so gleichgültig geworden? Heftig schluckend sank Jakens Haupt noch etwas tiefer hinab, während er verzweifelt auf ein Wunder hoffte. Gnade! Aber der Herr der Hunde, sein Meister, hatte sich noch nie um seine Wünsche geschert. An all dem war nur die liederliche Göre Schuld. Und er selbst, verflucht! Wieso war ihm ihre Abwesenheit nicht früher ins Auge gestochen? Die Stille hätte ihn stutzig machen müssen, ihn vor Freude oder Panik zum Schreien bringen sollen, aber nein, stattdessen war er beim ersten Frühlicht aufgestanden, um sich ausgiebig zu strecken. Kein Meister in Sicht, kein zweiköpfiger Drache – nur er, der sich selbst die Blätterreste aus den Kleidern klopfte. Das anschließende Feuerholzsammeln hatte ihn glücklich gestimmt und bei seiner Rückkehr ein Liedchen trällern lassen, bevor ihn der Daiyoukai aus dem Nichts am Kragen gepackt und emporgehoben hatte. Und dessen Blick! Sesshoumaru-samas Augen hatte ihn durchbohrt und er, ein kleiner Kappa, war noch blasser als die hellste Seerosenblüte geworden! Warum mussten seine Glücksgötter ausgerechnet heute wie vom Erdboden verschluckt sein? "Jaken." "J-ja?" "Komm." Augenblicklich schnellte Jakens Kopf empor, dann nickte er hastig und sprang auf die kurzen Beine. Sein brauner Kariginu zeigte am Kragen noch die Spuren der Hundeklauen, aber daran verschwendete er kein erbostes Gebrabbel. Die gesammelten Holzreste zu seiner Linken interessierten ihn noch weniger! Ha, Feuer! Wer brauchte schon Feuer? Wollte er sich selbst wie eine Forelle von seinem Meister grillen lassen? Nein, natürlich nicht. Fieberhaft eilte er durch das Lager, um die Habseligkeiten an sich zu reißen und die Schlinge um seinen Hals nicht noch enger zu knüpfen. "Sesshoumaru-sama, Ihr seid zu gütig", behauptete er dabei untertänigst, "wartet nur noch einen Moment! Ich bin fast fertig, Sesshoumaru-sama!" Der Daiyoukai musterte taub für derlei Litanei die Umgebung, denn alle seine Sinne verrieten ihm, dass Rin offensichtlich nach Osten geschlichen war. Auf dem Weg von Bokusenou hierher – zur dichten, schattigen Lichtung – waren ihm ihre schmalen Fußabdrücke im Moosbett aufgefallen. Ihre Zehen hatten Staubsporen in den weichen Untergrund gedrückt, ehe der Abstand zwischen ihren Schritten anwuchs und aus dem sorglosen Schlendern eines Menschenkindes ein Hüpfen und Eilen formte. Danach hatte Jaken seinen Weg gekreuzt, unangenehmerweise ohne sein Mündel im Schlepptau. Nun, er hätte es wissen müssen. Die blauen, funkelnden Schuppen eines Shikigamiflügels, dazu unbändige Neugierde ... Rin fühlte sich von Blumenwiesen und Schmetterlingen wie die Motte vom Licht angezogen, und ihr mangelte es an der Weitsicht, dem Boten einer Miko keine Aufmerksamkeit zu schenken: Unschön. Vor allem für ihn, der dank des Baumgeists eigentlich andere Pläne ins Auge gefasst hatte. Aber was erwartete er von einem Kind? Seufzend verschwand der Daiyoukai in der nächsten Baumkrone und dachte daran, dass ihn seine hochverehrte Mutter während ihres letzten Besuches daran erinnert hatte, wie wenig er doch von den Bürden eines Fürsten und Vaters verstand. Tze. Weit konnte Rin ja nicht gekommen sein. 9 "Rin, bist du dir sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind?", hakte Kagome nach. "Ich kann nicht glauben, dass er dich so weit vorausgeschickt hat." "Oh, das tut Sesshoumaru-sama oft. Warum auch nicht? Der Weg war kurz und es gibt keine Gefahr, der er mich nicht entreißen könnte!", ereiferte sich Rin, ehe sie munter den Kopf schüttelte. Ihre dunklen Haarsträhnen flogen von links nach rechts, aber Kagome ließ sich von ihrem aufsteigenden Unmut nicht so leicht abbringen. "Tatsächlich?" Während Rin einen Kieselstein aus dem Weg kickte, stieg sie bereits über einen quer liegenden Baumstamm, an dessen Wurzeln Höhlungen erkennbar wurden. Das Holz war morsch und modrig, doch Kagome achtete kaum mehr auf die schwammigen Pilze, die sich wie Treppen an der Seite entlang fraßen, als auf ihre eigenen, sicheren Griffe. Ihr Körper erinnerte sich auffallend mühelos an die Sengoku-jidai. Nur ihr Verstand war zu abgelenkt, um das Glitzern im ausgehöhlten Stamm zu bemerken. "Wenn ich es nicht besser wüsste", murrte Kagome weiter, "würde ich behaupten, du bist auf eigene Faust losmarschiert und wir laufen im Kreis." "Also ..." Kagome hob fragend eine Augenbraue, ehe sie den langen Zweig einer Weide aus dem Blickfeld schob, darunter hinweg tauchte und innerlich seufzte. Ein verschwundenes Kind, die Obhut eines Daiyoukai, sie ... na, das konnte ja noch heiter werden. "Bist du böse auf mich, Kagome?", erkundigte sich Rin, doch die Miko schnaufte nur. Böse wird jemand ganz anderes sein. "Bitte mach dir keine Sorgen. Wir können nicht weit von Jaken-sama und Ah-Uhn entfernt sein. Die schlafen nämlich da, wo der Bachlauf von Zedern und Farnen gesäumt wird. In der Nähe hatte ich einige Azaleen entdeckt – und Pilze! Natürlich! Wie konnte ich die vergessen? Wir könnten sie uns teilen", beschloss Rin zuversichtlich und deutete mit ihrem Finger in Richtung einer Baumgruppe. Kagome musste an die gebratenen Shiitake-Pilze ihrer Mutter denken, aber das verbat sie sich genauso schnell wieder. Wenn die wüsste, wo sie steckte, wäre ihr das Stirnrunzeln sicher! Herrje, da hatte sie sich etwas eingebrockt. Der erste Teil des Tages war längst vorbei, den sie sich selbst als Ziel gesetzt hatte. Also gut. Wohin hatte Rin gezeigt? Prüfend hob Kagome ihre Hand vor die Augen, um sich von dem einfallenden Sonnenlicht zu schützen, doch erkennen konnte sie beim besten Willen nichts. Es führte nicht einmal mehr ein Trampelpfad durch das Dickicht. Alles schien überwuchert und der Wald zeigte diffuse Schatten. Mit ihren Freunden an der Seite war ihr solch ein Anblick mit fünfzehn noch vertraut gewesen. Ihr Abenteuergeist, die unbekannte Welt – nein, danke. Jetzt suchte sie Verlässlichkeit und ein Anzeichen, dass Rin diesen Weg auch tatsächlich genommen hatte, ehe sie sich weiter ins Ungewisse begab. Sangos Anblick spukte durch ihre Erinnerung, aber sie versuchte sich einzureden, dass dahinter nichts steckte. Vielleicht war es auch der Anwesenheit des Shikigami geschuldet, eine Illusion, irgendein Naturphänomen. Ein grausames Naturphänomen, verbesserte ihr Verstand. Sie musste unbedingt Kaedes Dorf und ihre Freunde aufsuchen, sobald sie Rin zurückgebracht hatte. "Sind das dort drüben nicht Azaleen?", lenkte sie sich selbst ab. "Ah-Uh und Jaken kann ich allerdings nicht entdecken. Du?" "Ich ... na ja ... nein. Es könnte auch dort gewesen sein", murmelte Rin, bevor sie ihre Finger auf den Yukata zurücksinken ließ und eine Fratze zog. Gegen die anderen Himmelsrichtungen sprach genauso wenig, wenn sie ehrlich war. Ob sie das besser für sich behielt? "Rin?" "Entschuldige. Ich habe kaum auf die Umgebung geachtet. Es war bereits dunkel und ich wollte den Schmetterling nicht aus den Augen verlieren." Kagome bedachte Rin mit einem sprachlosen Blick, den das Mädchen mit einem eingeschüchterten Lächeln quittierte, ehe sie ein Rascheln aufhorchen ließ. Die Miko sah gerade noch, wie der Shikigami hinter dunkelroten Blättern verschwand, als sich in einem benachbarten Gebüsch die Pflanzen wie von Geisterhand zu regen begannen. Um Himmels Willen! Überstürzt hob sie einen Finger an die Lippen und bedeutete Rin leise zu sein. Dann horchte sie angestrengt in die Stille des Waldes. Das Vogelgezwitscher war fort und das Unterholz flimmerte leer und bedrohlich im Licht. Als Kagome das silberne Glitzern zwischen den Blättern erkannte, schob sie sich abrupt vor das Mädchen. Rin erschrak zwar, aber das lag mehr an der schnellen Geste. Jaken hätte sich zeternd bewegt, Ah-Uhn gemächlich und brummend, während Sesshoumaru-sama eisig wie der Tod vorwärts schritt. Dann begriff auch sie, wie ruhig es geworden war. Nervös linste sie hinter der Hüfte der jungen Frau hervor: Wenn sie eines gelernt hatte, dann, dass ihr fremde Instinkte einfach überlegen waren. Sie wusste, wie man in Bächen Fische fing, aber es gab kaum eine Gefahr in der Nähe eines Daiyoukais, die sie vor allen anderen bemerkte. Warum auch allzeit auf der Hut sein? Das ruhige Leben der letzten Wochen hatte Spuren in ihrer Aufmerksamkeit hinterlassen. "Bleib dicht hinter mir." Kagome versuchte, sie aufmunternd anzulächeln, aber es misslang gründlich. Solange nicht einmal ihr siebter Sinn anschlug, was Feinde betraf, konnte sie sich warm anziehen. Der süße Geruch, der in der Luft lag, ließ ihr Herz unnatürlich laut und schnell schlagen. Sie wollte auf ihre spirituellen Kräfte vertrauen, aber ohne einen Gegenstand zum Kanalisieren bräuchte sie nach dem langen Aufenthalt in ihrer Epoche Zeit – Zeit, die sie vermutlich nicht hatten. Sie konnte nur beten, dass sich dort drüben nicht genau das befand, was das frisch aufflammende Youki ihr vorgaukelte: Ein Dämon. 10 Zsssssch. Knisternd teilten sich die Blätter des Gebüschs, doch das Schuppentier gönnte sich erst einen langen Moment, um die gespaltene Zunge aus dem Maul fahren zu lassen. Kein Risiko eingehen, das war das Wichtigste in der Nähe des vermaledeiten Magnolienbaums und der mächtigen Energie, die dort vor Stunden aufgewallt war. Aber Futter, das war ein lohnenswerter Grund, um den Unterschlupf zu verlassen und die Luft zu prüfen. Die Brise auf seiner Zunge schmeckte wie erwartet: Verlockend und wohlig-süß, warm und sättigend – so wie das unberührte Menschenfleisch, das seine geschlitzten Augen entdeckten. Als sich der gewaltige, glänzende Leib der Kreatur in einer Schlangenlinie vom Erdboden abhob, zersplitterte sogar ein Weidenzweig. "Sssieh an." Rin rückte prompt noch näher an Kagome heran. Sesshoumaru-sama hatte sie vor vielen Jahren vor Oni gewarnt, aber ihr war nicht klar gewesen, dass Wurmyoukai so ... so riesig werden konnten. Das war doch einer, oder? War 'lächerlich' nicht seine Beschreibung für diese Art gewesen? Trocken schluckend verfolgte Rin, wie das Monster zurück ins Gras sank und in einem langsamen Halbkreis in ihre Richtung glitt. Nur Kagome hob verwirrt die Augenbrauen. Das ... das war nicht das Youki, das sie gespürt hatte. Es ähnelte ihm nicht einmal! Aber wie konnte das sein? War das eine Falle? Hastig versuche sie in den Blättern der Umgebung einen Anhaltspunkt zu entdecken, aber was auch immer sie gespürt hatte: Es war fort. "Sssieh an, mein Futter kommt von allein sssu mir", wisperte der Oni listig, ehe er abermals die warme Tagesluft sondierte und sich auf den Gräsern positionierte, sodass sich das Sonnenlicht auf seinem Schuppenkleid brach. Die Farben waren atemberaubend, sie flirrten und sirrten, wirbelten durcheinander und – "Sieh nicht hin, Rin!", mahnte Kagome scharf, dann ballte sie die Faust und trat einen weiteren Schritt vorwärts. "Ssspielverderberin", versetzte der Wurm. "Du kannst dir die Mühe sparen, niederer Dämon. Wir sind nicht deine nächste Mahlzeit, also verschwinde!" "Ssseeehr amüsssant, Menssschenkind. Aber ich bin sssu hungrig, um meine Ssseit zu vergeuden. Gib mir dasss Mädchen und ich lassse dich sssiehen", verlangte er lüstern. "Hast du mir nicht zugehört?", fauchte Kagome, bevor sie mit den Zähnen knirschte und sich wenigstens einen Talisman aus Papier herbeiwünschte. Vor einem heiligen Sutra wäre der Feind längst zurückgewichen. "Geh endlich!" Wer war sie denn, dass sie sich von einem Oni einschüchtern ließ? Dass er vor ihrer Kleidung nicht zurückschreckte, mochte zwar Eindruck schinden – vor drei Jahren hatten sich die meisten schwachen Dämonen lieber davongeschlichen –, aber deshalb würde sie nicht kneifen. Sie hatte vor dem Lernen den Hof gefegt, ohne in der Kälte zu jammern, also brauchte sie jetzt nicht damit zu beginnen! Nur weil sie weder ihren Bogen des Asuza-Berges, noch ihre Pfeile zur Verfügung hatte, hieß das noch lange nicht, dass man sie deswegen als Snack betrachten konnte. "Verschwinde oder es passiert etwas!" "Zsssch... Wasss sssoll mir denn passssieren?", hakte der Wurmyoukai vergnügt ein. "Willssst du mich mit Staub bewerfen, kleine Miko?" Lauernd legte der Oni seinen Kopf zur Seite, doch mehr als ein verächtliches Schnauben erntete er dadurch nicht. "Ich habe esss mir andersss überlegt. Ihr ssschmeckt bessstimmt beide vorsssüglisssch! Sterbt!" Wie im Fieber preschte der Wurm vorwärts und setzte eine Energie frei, welche die Grashalme in die Höhe spritzen ließ. Wenige Herzschläge später durchbrach ein Schrei die Stille des Waldes. - - - - - - - Wen es wohl erwischt hat? In Kapitel #3, "Erkenntnis", erfahrt ihr es. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)