Kristallschmetterling von Morgi (Sesshoumaru / Kagome) ================================================================================ Kapitel 3: Erkenntnis --------------------- Kristallschmetterling - Erkenntnis - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Drama, Romantik (Hetero), Epik, Alternate Timeline Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. - - - - - - - 11 Gurgelnd stieß der Kopf in die Erde, während der restliche, schlangenhafte Körper aufbäumte und in einer Welle des Schmerzes von links nach rechts ausschlug. Kieselsteine wurden zerschmettert, Gräser von Schuppen zermalmt. Ein Aal hätte sich nicht verzweifelter gegen die Klauen behaupten können, welche in den Nacken wie in frisch geschöpfte Butter drangen, doch der Wurmdämon spie weitaus verzweifelter Seim und Blut. Frei kam er nicht. "Immer noch hungrig?", flüsterte der Herr der Hunde, bevor er sein Gewicht vorwärts verlagerte und seine stachelverzierte Schulterrüstung mordlüstern gegen die Scharniere des eigenen Brustpanzers schlug. Das Scheppern der Schwerter an seiner Hüfte klang schon gedämpfter, aber sie nahmen sich genauso gefährlich aus wie die Seide, die er trug. Auf den spiegelglatten Wurmschuppen schimmerte sie wie ein Todesgedicht. "Versuch dich doch an mir." Unerbittlich trieb er die Klauen vorwärts, bis ein schmatzendes Geräusch erklang. Der Oni hielt kreischend inne. Obwohl es ihm unmöglich war, zu dem Dämon aufzusehen, spürte er, dass sein Leben am seidenen Faden hing: Da saß kein unbedeutender Käfer, der flügelschlagend in die Morgensonne huschen wollte, sondern eine Macht, die seinen Angriff mit einem persönlichen Rachefeldzug vergalt. Wie sollte er entkommen? Betteln? Er hatte das erste, salbungsvolle Wort noch nicht ersonnen, als ein fremdes, wütendes Schnaufen die Anspannung brach. "Muss es ausarten?", warf Kagome ein. "Er sollte begriffen haben, dass er unterlegen ist. Lass ihn gehen!" Der Wurmyoukai war einen Moment zu sprachlos, dann versuchte er ihr zuzustimmen – wurde jedoch noch vor der zweiten Silbe erbarmungslos tiefer ins Gras gepresst. "Ich nehme keine Befehle von einem Menschenkind an", sagte Sesshoumaru, bevor er einen geringschätzigen Blick auf den Schlangenkopf unter sich warf. Er kannte diese Art: Der Körper glich seiner eigenen, wahren Gestalt in der Länge, aber damit nicht genug. Wenn diese Oni fressen wollten, hakten sie ihre Kiefer aus und verformten das Maul zu einem Vielfachen ihrer gewöhnlichen Größe. Ein wenig Mühe und er könnte ihn selbst verschlingen, obwohl er jetzt auf ihm kniete. Tze. Entlang seiner Krallen liefen blutige Bahnen über die Schuppen, aber der Feind war seines Atems nicht wert. "Sein Leben ist verwirkt." "Wie?" Kagome erbleichte, ehe sich ihre Gesichtszüge verdunkelten. "Ist das dein Ernst?!" Die Widerworte erinnerten sie schmerzhaft an Inuyasha, doch in einem unterschied sich Sesshoumaru gewaltig von ihm: Von Gnade hielt er gar nichts! Im Gegenteil, mit dem weißen Kimono und den Kirschblütenstickereien an den Ärmelschleppen, der Brustrüstung und den hellen Haaren sah er zeitlos und finster wie eh und je aus. "Was bringt es dir, einen Schwächeren zu töten?!" Wollte sie ihn reizen? "Offenbar hast du den dringenden Wunsch mit ihm die Plätze zu tauschen. Ansonsten wärst du dankbar darum, dass du nicht in seinem Magen gelandet bist", knurrte Sesshoumaru und seine goldenen Augen blitzten warnend auf. "Aber keine Sorge, dem –" "Oh, Sesshoumaru-sama! Seht doch, der Schmetterling ist wieder da!", platzte Rin dazwischen. Aufgeregt deutete sie auf die Lichtkugel, die plötzlich vor ihrem Gesicht aufgetaucht war und einen schwungvollen Halbkreis beschrieb. Nun, da der Herr der Hunde sie beschützte, hatte sie die Angst vor dem Oni fast vollständig verloren. Auch die halsbrecherischsten Kämpfe entschied ihr Meister für sich, und ob er dabei durch Jaken oder Kagome verärgert wurde, bedeutete ihr nichts. Er tat ja doch, was ihm in den Sinn kam. Der Oni indes erkannte in der Silhouette der Lichtkugel, wer hinter dem Shikigami steckte, und begann zu kichern, als hätte man ihm den Verstand geraubt. Seine Schuppen glitzerten und funkelten, bis sein Schlangenleib an einen bunten Fisch erinnerte. "Wasss für ein Gefährte! Wie blind ihr ssseid!" "Du kennst ihn?", hakte Sesshoumaru lauernd ein. "Oh jaaa. Dasss tue ich wohl, aber ich werde nichtsss –" "Verschwende nicht meine Zeit", unterbrach ihn der Hundedämon eisig. "Ich werde dich kein zweites Mal auffordern, Wurm." 12 Warum musste eigentlich immer ihm so etwas passieren? "Ah-Uhn! Steh sofort wieder auf!", keuchte Jaken herrisch. Energisch stemmte er sich mit den Füßen gegen die Flanke des braungefleckten Drachenleibes und zog mit aller Kraft an dem ledrigen Geschirr, ehe er den Einfall wieder verwarf und auf den Zehen herumwirbelte, um im Kies besseren Hals zu finden und die Zügel über seine Schulter zu spannen. "Hnnn!" Dachte hier irgendjemand an ihn? Natürlich nicht! Erst flüchtete die kleine Nervensäge Rin unbemerkt, dann verlor er die Spur seines Herrn im Dickicht, und nachdem er Ah-Uhn kreischend und fluchend von seinem Schlafplatz unweit des Lagers aufgescheucht hatte, um zwischen den federweißen Wolken aufzusteigen und Ausschau nach Sesshoumaru-sama zu halten, landete das Schuppentier einfach tausende Meter weiter, auf dem einzigen Findling weit und breit. Wollte der ihm weismachen, dass sich der mächtigste Dämon des Westens hier irgendwo versteckte? Als ob! Ausgerechnet zwischen den Ausläufern der Steine, Rohrbinsen, Klippen und des von Wassermassen gespeisten Sees, von wegen. Eine Unverschämtheit war das. Diesen Starrsinn hatte der zweiköpfige Drache auch erst für sich entdeckt, seit ihn Rin mit Grasbüscheln, Wildblumen und fröhlichem Singsang bedachte. "Beweg dich!", schimpfte er. "Ich habe dir nicht erlaubt, dich wie eine Schnecke einzurollen. Spür den Zorn eines Häuptlings, vor dem ein ganzer Teich erzitterte!" Schweißperlen traten Jaken auf die Stirn, während er die feinen, glattpolierten Steine mit den Füßen davontrat, zeterte und zerrte, bis er sein gesamtes, erbärmliches Gewicht in die Waagschale warf. Der Wasserfall hoch über ihren Köpfen gluckerte höhnisch und schob die eisigen Fluten mühelos über die Steinformationen. Dieser ... verdammte ...! Das war doch zum Verrücktwerden! Jappsend fiel Jaken auf die Knie, um neben den Zügeln auf seinen nutzlos herumliegenden Kopfstab zu starren. "Nun gut", beschwor er die Gnade seines ganzen Charakters, weil er es nicht wagte, mit dem Jintojo auf Ah-Uhn einzuschlagen, bevor der auf die Idee kam, ihn wie beim letzten Mal mit einer Bambusmatte zu verwechseln und das Nickerchen auf seinem Kreuz fortzusetzen. "Ich nehme auf deine Schwäche Rücksicht. Wir rasten!" "Ruuuurrr?" Pah. Dass der es auch noch wagte, kritisch ein Augenlid zu heben, bevor er sich der glitzernden, sprudelnden Gischt auf der anderen Seite zudrehte. Nun, wenigstens war es hier ungefährlich. Hoffte er. 13 "Zu schade." Mit einem dumpfen Knacken splitterte der Schädel unter Sesshoumaru, so dass die Lichter in den Augen des Oni noch vor der nächsten Schmähung einem trüben Grau anheim fielen. Kalt, leblos – gebrochen. Was für eine Verschwendung seiner Zeit. Der Hundeyoukai hatte sich kaum erhoben und die Klauen aus den Knochen und blutigen Häuten gezogen, als ein Windstoß durch das Unterholz und über den Körper des Wurms hinweg fegte. Schuppen lösten sich aus dem matten Kleid des Reptils, nur um in einer Aschewolke davon zu wirbeln. Zurück blieb ein nichtssagender Fleck inmitten platt gedrückter Grashalme. Das, und eine Menschenfrau, die ihn voller Missgunst anstarrte, während das Mädchen neben ihr Gefallen an etwas ganz anderem gefunden hatte. Rin beachtete lieber das Leben, statt den Tod. "Er ist wunderschön", flüsterte sie, während sie fasziniert auf die papierdünnen Flügel sah. Der Shikigami ließ sich auf ihren Händen nieder, ehe er vorsichtige, erste Schritte über die Kuppen setzte. "Ansichtssache", murmelte Kagome streitlustig, während sie auf das ungleiche Gespann sah. Wie konnte es sein, dass Rin nicht denselben, fahlen Geschmack auf der Zunge verspürte, sobald Sesshoumaru die Hand im Gras abwischte? Er wirkte wie jemand, der die Schwertklinge mit Nelkenöl auffrischte! Der Shikigami beruhigte sie auch nicht. Herrgott, warum konnte sie nicht einfach wieder jünger sein und wagemutig durch die Sengoku-jidai stürmen? Rin lächelte. "Ich glaube, er mag dich." "Mich?" Kagome rang sich ein heuchlerisches, keuchendes Glucksen ab. "Das bezweifle ich doch." Hätte dieser flügelschlagende Unruhestifter etwas für sie übrig, wäre sie von ihm nicht aus ihrem Zimmer gelockt worden! Irgendetwas ging an diesem Ort nicht mit rechten Dingen zu: Erst Sango, die sich wie eine Besessene aufführte und sie bedrohte, nur um kurz darauf vom Erdboden zu verschwinden, dann dieser Wurm ... oh, und nicht zu vergessen, der vollblütige Daiyoukai, der wehrlose Geschöpfe abschlachtete. Frostig glitt ihr Blick zu Sesshoumarus Gestalt zurück. Sein Youki war in der Luft verblasst, nachdem er sich wieder zu voller Größe aufgerichtet hatte. Er überragte sie um einen Kopf, doch es war die Art, mit der er gleichgültig die Augenbraue wölbte, die ihrem Selbstbewusstsein das Wasser abgrub. Einen weiteren Blick verschwendete er nicht auf das Menschenweib seines nichtsnutzigen Halbbruders. Sollte sie ihn anstarren, während ihr schwarzes Haar widerspenstig das Gesicht umrahmte und die Nägel in ihre Handballen stachen, als seien diese aus Ton. Was sie hier tat, war für ihn nicht von Belang. Hätte es ihn geschert, wäre ihm ihre Gegenwart bereits in den letzten Jahren wichtig genug gewesen, um sie in den Reisfeldern Musashis aufzutreiben. "Wir gehen, Rin." "Aber Sesshoumaru-sama!", begann das Mädchen augenblicklich zu protestieren, bevor sie die Schultern unter seiner prompt umschwenkenden Aufmerksamkeit unterwürfig rundete. "Wir können noch nicht gehen." Nun, nicht, dass er nicht an Rins Ideen gewöhnt war. Sie reiste seit etlichen Sommern mit ihm. Zu Beginn der wärmer werdenden Tage im Frühling, wenn der Schnee in den Gipfeln zu schmelzen begann und die Flüsse speiste, hatte ihr Dickkopf die besten Chancen, sein Gehör zu finden. Sie war die Einzige, die es wagen konnte, sich gegen ihn aufzulehnen. Duftende Blumen mit roten und gelbgefiederten Blütenblättern, die unbedingt gepflückt werden mussten, witterte er jedoch keine in der Nähe. Immerhin etwas. Dennoch seufzte er innerlich. Ihre Art, ihn mit einer Begründung warten zu lassen, erinnerte ihn zunehmend an seine verehrte Mutter. Wenn Rin es zu bunt trieb, würde er allein ausschreiten, bis sie sich endlich besann – ihm stand nicht der Sinn danach, sich länger dem Anblick dieser Miko auszusetzen. Menschen. Sie steckten voller Schwächen. Kagome schnalzte derweil mit der Zunge. "Warum kannst du nicht mit ihm gehen, Rin?" "Na, weil du sonst alleine zurück bleibst!" Die Miko stutzte einen Moment, bevor sie ihren Widerwillen in ein freundlicheres Gesicht eintauschte. "Aber das ist doch kein vernünftiger Grund, Rin." "Doch. Außer uns ist niemand in der Nähe." "Das macht mir nichts aus", behauptete Kagome. "Ich war bereits alleine unterwegs, bevor ich dich traf." "Und falls du wieder angegriffen wirst?" Prüfend legte Rin den Kopf schief. Auf ihren zur Schale gewölbten Händen stakste der Shikigami voran, aber statt ihr lauthals zuzustimmen, folgte er dem hartnäckigen Schweigen der Älteren. Ach, sollte er ruhig! Ein schweigsamer Geselle war ihr ganz recht. Sprechende Insekten waren nämlich unheimlich, aber nachdem der Bote sie zu Kagome geführt hatte und Sesshoumaru-sama ihm das Leben ließ, konnte sie ihn gut leiden. Erstaunlicherweise war das der Moment, in dem sich der Schmetterling besann und nach einem energischen Flügelschlag auf Kagomes gebürstetem Haar landete. Empört versuchte diese ihn zu verscheuchen, doch drei nutzlose, gewischte Handbewegungen später, thronte der Shikigami immer noch auf ihr. Oh, dieses ... dieses –! "Siehst du? Er will auch nicht, dass du alleine bleibst. Wenn wir etwas zu essen gefunden haben, kannst du immer noch weiter gehen", bekräftigte Rin, ehe sie heiter auflachte. Dann griff sie die weiße Ärmelschleppe von Kagomes Hakui, um sie mit sich zu ziehen. "Warte!", jappste Kagome überrascht von dem Schwung, der sie auf staubigen Tabi-Söckchen – und für ihren Geschmack viel zu ungelenk – an Sesshoumarus Fellen vorbeistolpern ließ. Dessen schmaler werdende, goldene Augen warnten sie davor, ihm auch nur einen Lehmklumpen zu schenken. Was er mit der zarten Haut ihres Halses anzustellen gedachte, sollte sie auf dieses Angebot eingehen, wollte sie gar nicht zu Ende denken. "Warte, Rin! Nicht so schnell. Ich kann nicht, eigentlich muss ich –" Ja, was? Heim? Das war mit Sicherheit die Wahrheit, denn es brannte ihr unter den Nägeln, der Epoche den Rücken zuzukehren und sich wieder in ihren Vokabeln zu verlieren. Aber der Gedanke an die letzte Stunde und an Sango, ließ sie mit bebenden Nasenflügeln nach Luft ringen und die Beschwerde herunterschlucken. Es half nichts. Ihr Verantwortungsgefühl verdarb den Gedanken an eine Flucht zum Knochenfressenden Brunnen. Sie musste sicher sein, dass es allen gut ging. Ein Blick, mehr nicht, doch den würde sie garantiert nicht in der Gesellschaft von Inuyashas Halbbruder wagen. "Ich wollte zu Kaede, bevor ich dich getroffen habe." "Kaede?" Kagome nickte, als sie an das faltig-runzlige Gesicht und die Augenklappe der alten Shinto-Priesterin dachte. "Sie lebt in einem Dorf, nicht weit von hier." "Oh. Ein Dorf voller Menschen?" Auf Rins Gesicht breitete sich ein unglücklicher Ausdruck aus, weil sie an ihre eigene Vergangenheit denken musste. Es war viele Monde her, seit sie ihr altes Leben hinter sich gelassen hatte, doch selbst jetzt konnte sie das geisterhafte Ziepen von Schlägen auf ihren Unterarmen und die schmerzenden Tritte im Magen spüren. Kagome lächelte sie jedoch so warm an, dass die Drohungen der Bewohner überraschend an Schrecken verloren: Wie ähnlich sie gerade dem freundlichen Gesicht ihrer Mutter war! Die feinen Fältchen unter den Wimpern, die Mundwinkel ... In ihrer Gruppe war sie oft die Einzige, die lachte. Jaken entpuppte sich von früh bis spät als launisch und Ah-Uhn war eben Ah-Uhn. Der zweiköpfige Drache verschlief brummend den halben Tag auf Steinen, welche die Sonne aufwärmte, und wenn man ihn unbehelligt ließ, auch gerne einmal den ganzen. Rin wollte das Dorf nicht betreten, aber Kagomes Ärmelschleppe auch nicht leichtfertig hergeben. Hoffnungsvoll sah sie zu Sesshoumaru, der lediglich einige klebrige Pollen in seinem Schulterfell musterte und dem Geplänkel weit weniger Aufmerksamkeit zollte. Eine Böe hatte die Spur der Glyzinien zu ihm getragen, an denen der Geruch von Menschen haftete – die Natur verschwendete nie Zeit im Frühjahr. Blüten brachen in allen Winkeln Musashis auf, auch in der entgegengesetzten Richtung, wo sein lästiger Halbbruder einen Teil seines Lebens verbracht hatte. "Können wir sie ein Stück des Weges begleiten, Sesshoumaru-sama?" "Nein", erwiderte er, während sich die feinen Härchen in der Unterwolle seines Schulterfells aufrichteten. Er hatte die Hoffnung genährt, dass sich Rin über die Schwäche eines herausgezögerten Abschieds erhaben zeigen würde, aber angesichts dieser Situation ... nun, sie war jung, obwohl sie schneller als jeder vollblütige Dämon heranwuchs. Er beabsichtigte jedoch nicht, sich um ihretwillen zu einer weiteren Miko zu begeben. Kaede. Die spirituellen Kräfte in dieser Gegend waren erbärmlich, selbst wenn sie sich wie Regenwürmer zusammenrotteten, aber er verabscheute deren Anwesenheit. Als Nächstes fiel ihr noch ein, dass sie im Großschrein von Ise wohnen wollte – einer heiligen Stätte der Menschen. Selbst er wäre nicht töricht genug, sich dieser geweihten Anlage und ihren Bannkreisen zu nähern. "Wir gehen." "Mach dir keinen Kopf, Rin. Ich finde auch allein den Weg", versuchte Kagome sie zu trösten, aber die Schnute des Kindes geriet noch breiter. "Sesshoumaru-sama, bitte. Nur dreihundert Schritt! Ich werde den ganzen Frühling und Sommer schweigen, wenn Ihr es erlaubt!" Während das Menschenmädchen den Blick des Daiyoukais bannte und alle Register der Bettelei zog, löste sich der Shikigami mit einem federleichten Flügelschlag aus Kagomes Haaren. Dann tanzte er unauffällig nach Osten, und sprang über schuppenförmige, grüne Blätter und Wurzelranken wie eine verträumte Seele. Sein Fehlen blieb vorerst unbemerkt. 14 "Mit welchem Recht bist du so entsetzlich stur?", schimpfte Jaken, während er seinen doppelköpfigen Stab in die Luft hob. Im Licht der Sonne beschrieb er mit der Spitze einen Kreis, als könne er der Gischt des Wasserfalls befehlen, auf den Schuppenleib des Drachens niederzufahren. "Ich bin der ehrenwerte Berater Sesshoumaru-samas und als solcher befehle ich dir, dich endlich wieder zu erheben!" Nichts. "Jetzt!" Wer sagte es denn?! Das Gefühl der Überlegenheit färbte seine grüne Haut noch kräftiger, als Bewegung in den Drachendämon kam. Bedächtig hob Ah-Uhn seine Köpfe von den glattgeschmirgelten, grauen Steinkanten, wackelte kurz mit den Spitzohren – und wälzte sich im nächsten Atemzug träge auf den Rücken, ehe er die kurzen, gebogenen Klauen wie Pfötchen an die Bauchseite zog. Dann wickelte er unaufgeregt den gewaltigen Drachenschwanz um den Kappa, den sofort die Weißglut übermannte. "Nennst du das Gehorsam?!" Fluchend und schimpfend streckte Jaken den Hals, um den Mund über der dicken, unverschämten Schlinge zu halten. "Hör sofort auf damit! Gegrillt werden sollst du für deine Frechheiten! Wie lange willst du noch hier bleiben?!" Empört glühten die gelben Froschdämonenaugen auf, während er weiter Kies und Sand trat. Unter anderen Umständen hätte er vielleicht resigniert, aber allein der Gedanke an die lange Rast und an seinen wiederkehrenden Herrn, der seine Diener nutzlos am Rande der Schlucht herumalbern sehen würde, bereitete ihm Panik. Nicht daran zu denken, was sein Meister mit unfähigen Lakaien anstellte! Und wessen Schuld würde das sein? Die des fetten, schläfrigen Drachen! Uuuh, wenn er nur gekonnt hätte, wie er wollte, er hätte ihn getreten, jawohl! Warum war er eigentlich der Einzige hier, dem sein Leben noch etwas bedeutete? Und wieso wurde ausgerechnet er immer zum Opfer der Umstände? Das war doch nun wirklich nicht fair! "Ich werde dich nicht vor seinem Zorn retten! Hörst du das?", verkündete Jaken biestig, doch mehr als ein friedfertiges Brummen seitens Ah-Uhns erntete er nicht. 15 "Ich habe dich nicht um deine Meinung gebeten, Menschenweib", raunte der Daiyoukai, der sich an dem urplötzlich verstummenden Wald nicht störte. Er war kein Schwächling, der beim ausbleibenden Geträller von Singvögeln nervös wurde und die Lippen benetzte, während Rindenstücke aus der Höhe hinabprasselten. Knisternd und krachend rumorten die Baumkronen über ihm. Kagome funkelte ihn prompt noch unversöhnlicher an. Wofür hielt er sich? Entschlossener denn je schlang sie die Arme um Rins Schultern, aber der seitlich gebundene Zopf des Mädchens nahm ihr die Sicht auf deren ahnungsloses, heillos überfordertes Gesicht. Im Gegenteil zu Rin gab sie eine Menge auf Sesshoumarus Versprechen, hungrig die Nacht zu begrüßen, wenn sie die Miko nicht endlich zurückließ – wie hätte sie ahnen sollen, dass der den kindlichen Trotz mit Vernunft brechen wollte, und dass es unter seiner Würde war, menschliches Essen anzurühren, um es in alle Winde zu verstreuen? Ihre Fantasie schmückte seine Worte aus, nicht ihre Erfahrung. "Tut mir leid, aber auf diesem Ohr bin ich taub!" Wütend blies Kagome die Wangen auf. Lieber würde sie sich mit einem Paar Essstäbchen an giftigen Kugelfischstückchen versuchen als Rins Schicksal zu ignorieren. "So kannst du mit ihr nicht reden!" "Du vergisst, vor wem du stehst." "Sie ist ein Kind! Es ist grausam, sie hungern zu lassen, nachdem sie bereits nachts durch das Unterholz gewandert ist und mich bat, mit ihr Beeren und Pilze zu suchen. Schimpft sich das Erziehung?" Sesshoumarus goldene Iriden verengten sich unmerklich, ehe seiner Kehle ein dunkles, lauerndes Knurren entwich. "Ein weiteres Wort und ich bläue dir Manieren ein." "Die hat der große Hundedämon wohl dreimal nötiger als ich!", schoss Kagome zurück, doch kaum dass sie die letzte Silbe ausgesprochen hatte, blieb ihr der nächste Satz buchstäblich im Halse stecken. Sein Youki sprang sie wie eine Feuersbrunst an, bis es hinauf in die Zedern fuhr und dort Nadeln mit der Gewalt einer Sense büschelweise abscherte. "Genug", flüsterte er. "Geh zu deinem Hanyou ins Totenreich, wenn du Nachsicht für deine Litaneien suchst. Rin vor niederem Gewürm zu verteidigen, macht dich nicht unsterblich." 16 Ei, ei, ei ... "Du hast Staub aufgewirbelt." Ächzend presste die Greisin die Hand auf die roten, robust verwebten Stoffe ihrer Beinkleider, bevor sie sich umständlich erhob. Ihre Schritte sahen auf den Tatamimatten klein und mühsam aus, doch sie bewegte sich in der Hütte hartnäckig vorwärts. Falls es den Shikigami betrübte, dass ihre Haut wie feingesponnene Seide über die Fingerknöchel spannte, an manchen Stellen dunkel wie ein Tuschefleck, verriet sein Flattern nichts davon. Die zwischen den Streben eingeflochtenen Leinenstreifen waren ebenso wie sie in die Jahre gekommen – und jedes Tongefäß, jedes Rollbild und die vielen, zerschrammten Lackkästchen in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes sangen vom Alter. Hier und da roch es stärker nach Kräutern, die abgebunden in Säckchen geschnürt waren oder noch zum Trocknen und Zerkleinern aufbereitet warteten. Beim gusseisernen Teekessel angekommen, der im Schatten auf einem Tablett stand, schnaufte die Frau erbärmlicher als ein Blasebalg. Ach, die Zeit kannte kein Erbarmen. Die letzten Jahre hatten ihre Schultern wie eine Papierlaterne zusammengedrückt, sodass sie sich erst sammeln musste, bis sie den Griff nahm und zur Glut weiter humpelte, die neue Holzscheite und Aufmerksamkeit einforderte. Der Ruß, der über ihrem Kopf kalt und starr an den Holzbalken klebte, schreckte sie genauso wenig. "Wir wollen gut vorbereitet sein, nicht wahr, mein kleiner Freund?" Ein unergründliches, warmes Lächeln trat auf ihre faltigen Züge und der Schmetterling antwortete ihr mit einem schwachen Flügelschlag, der wieder einige blaue Staubspuren zu Boden trudeln ließ. "Wir werden wohl besser mehr Wasser aufsetzen." - - - - - - - Ob sie wirklich zum Tee empfängt, erfahrt ihr in Kapitel #4, "Hütte". Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)