Das Volk unter DER BLUME von DieLadi ================================================================================ Kapitel 2: Beginn ----------------- Fro hockt auf dem Dorfplatz, nahe des Tempels, inmitten der Hütten am Boden und beobachtet ein winziges Moospflänzchen, das gerade durch das grobkrumige, bröckelige Erdreich gebrochen ist. Es ist so klein und zart. Es ist durchsichtig grün, man kann die Säfte durch die Pflanzenadern fließen sehen. Fro streicht sanft und beschützend mit den Händen darüber. Ein zartes neues Leben. Er seufzt. Es berührt ihn zutiefst, dieses neue, sprießende, in die Welt hineinwachsende Leben zu sehen. Gerade jetzt, da das Schicksal ihm mit aller Macht und mit allem Schmerz klar gemacht hat, dass jedes Leben irgendwann endet. Auch eines, das ihm wertvoll und unersetzlich ist. Letzte Nacht ist seine Großmutter gestorben. Die Frau, die ihn aufgezogen hat, nachdem seine Mutter bei seiner Geburt verstorben war und sein Vater sie aus Kummer darüber nur wenige Wochen überlebt hatte. Die Großmutter hat ihm all die Liebe und Fürsorge gegeben, die ein Kind braucht. Sie hat ihn alles gelehrt, was sie selbst wusste. Sie hat ihn unterstützt, ihm geholfen, ihm zu Seite gestanden, ihm, wenn nötig, den Hosenboden stramm gezogen. Sie war immer für ihn da, auch, als sich herausstellte, dass er anders ist. Anders in dem Sinne, dass er wissen will. Er hat das überkommene Wissen, die uralten Traditionen nicht hingenommen, sondern begonnen, sie zu hinterfragen. Das ist nicht üblich unter den Menschen des Volkes unter DER BLUME. Und schon gar nicht bei jungen Menschen. Die haben einfach zu tun, was die Alten sagen. Sie haben zu akzeptieren, was seit jeher getan und gesagt wird und nicht nach Erkenntnis oder gar Veränderung zu streben. Fro dagegen dürstet nach Wissen und Erkenntnis. Ein starker Kummer zerschneidet Fros Herz. Er hat die Großmutter aus tiefem Herzen geliebt. Er hat sich nie vorstellen können, jemals ohne sie zu sein. Und er hat sich nie vorstellen können, das Licht, dessen Kommen angekündigt war, ohne sie zu erleben. Und nun ist sie letzte Nacht einfach gestorben. Sie war nicht krank, hatte keine Schmerzen, und gestern war auch noch alles in Ordnung. Heute Nacht dann hat sie ihn an ihr Bett gerufen. „Fro, es geht zu Ende“, hat sie gesagt. „Ich muss gehen, mein Leben ist zu Ende.“ „Nein!“, hat er geschluchzt. „Lass mich nicht allein!“ Sie hat sanft seinen Kopf gestreichelt. „Fro, ich bin alt, es geht zu Ende, und du bist nicht allein. Du hast gute Freude. Du wirst mit ihnen zusammen die Ankunft des Lichtes erleben. Und eines Tages wirst du eine gute Frau finden. Werde glücklich mein kleiner, und versprich mir eines: Lass dich nicht verbiegen!“ Er hat genickt, geschluchzt. Sie tat ihren letzten Atemzug. Und er hat die ganze Nacht an ihrem Bett geweint. Gegen Morgen haben die Nachbarn gemerkt, dass etwas nicht stimmt, und nach ihnen geschaut. Sie haben den Priester benachrichtigt, der hat seine Tempeldiener geschickt, die sie abgeholt haben, um die Bestattung vorzubereiten. Und nun sitzt Fro hier, fühlt sich allein gelassen, überflutet von Kummer und Schmerz. Er weiß nicht, was er tun sollte. Und so betrachtet er die winzige, sich ins Leben kämpfende Moospflanze. Um ihn herum herrscht angespannte Aufregung. Die Menschen fiebern dem Augenblick entgegen, in dem das Licht kommen soll. Vorfreude, Hoffnung, Furcht, das alles flutet um ihn herum. Fro spürt von alledem nichts. Gegen Mittag hören die Gesänge und Trommelklänge aus dem Tempel auf. Kurz darauf setzt der monotone, eindringliche Posaunenton ein, der sie alle zum Tempel ruft. Sie eilen dorthin, niemand will etwas versäumen und niemand würde im Übrigen wagen, sich dem zu widersetzen. Nur Fro hört auch das nicht. Die Menschen versammeln sich im Halbkreis vor dem Tempel. Fro bemerkt nicht, dass er, nach wie vor am Boden hockend, sich in der Mitte des Halbkreises aus Menschen befindet. Flo, sein bester Freund, will zu ihm, um ihn in die Reihe zu holen. Doch ein schriller Posaunenton und die gerade vorgestreckten Handflächen des Priesters, der jetzt auf der Empore erscheint und über sie alle hinweg schaut, verbot ihnen jede weitere Bewegung. Der Priester spricht nicht. Er zeigt mit großer Geste auf die über ihm an der Außenwand des Tempels befindlichen Zeichnungen, die den Kern der Prophezeiung darstellen. Dann zeigen seine von Alter und Gicht verknöcherten Hände in den Himmel und er stößt einen seltsamen, hochtonigen langgezogenen Schrei aus, der den Menschen eine Gänsehaut über den Rücken treibt. Es ist also soweit. Jeden Augenblick würde das Licht erscheinen. Es würde Glück und Hoffnung bringen ... endlich ... Und, auch dessen sind sich die Menschen bewusst, es würde den Einen auserwählen, der dann die beschwerliche, ungewisse Reise auf DIE BLUME antreten muss, von der niemand sagen kann, wie sie enden würde und ob er je wiederkehren würde. Keiner von Ihnen ist ohne Angst, dass es ihn treffen konnte. Keiner der sich das wünscht ... nein, sie sind nicht dafür geschaffen, sich in Abenteuer zu stürzen. Der schrille Schrei des Priesters bricht ab. Die Wolken am Himmel verändern sich. Das Violett wird heller, leuchtender. Zuerst würde ein einzelner, schmaler Strahl die Wolken durchbrechen, das wissen sie, und auf den Auserwählten fallen. Die Zeichnungen auf seinem Körper würden zu leuchten anfangen. Und erst dann würde das Licht die Wolken verjagen, und ihre Welt würde nicht weiter in ewiger Dämmerung liegen. Für Jahrhunderte würde es keine Dämmerung, keine Dunkelheit geben. Die Wolken schieben sich auseinander. Der Strahl bricht hindurch. Er fällt genau in die Mitte des Halbkreises vor den Hütten. Er fällt genau auf Fro. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)