Slices of Life von QueenLuna (Eine Sammlung an Kurzgeschichten und Mini-Episoden) ================================================================================ Kapitel 1: The Challenge (Dir en grey) -------------------------------------- Band: Dir en grey Genre: Humor, Slice of Life, Freundschaft The challenge Shinya schlägt sie alle oder auch die bisher geheime Kraft des Shinyas Das laute Vibrieren meines Handys lässt mich erschrocken zusammenzucken. Gleichzeitig macht sich der Kaffee aus meiner Tasse mit einem Schwapp selbstständig und breitet sich als große, dunkle Pfütze auf meinen Notizen aus. So ein Mist. Leise vor mich hinfluchend stelle ich eiligst das Heißgetränk zur Seite und versuche so gut wie möglich Schadensbegrenzung zu betreiben, während das kleine Gerät weiter enthusiastisch auf dem Tisch vor sich hin summt. Doch das ist mir gerade herzlichst egal – die Rettung meiner Notizen hat im Moment oberste Priorität. Ach Mann. Der wellig bräunliche Fleck auf meinem Zettel verdeutlicht mir sofort, dass mein Rettungsversuch leider kläglich gescheitert ist. Denn dieser will sich auch nach mehrmaligem, intensiven Rumwedeln meinerseits nicht zum Verschwinden überreden lassen. Seufzend sinke ich auf meinen Stuhl zurück, das Handy ist mittlerweile verstummt, und blicke leicht resigniert auf mein Gekritzel. Also nochmal von vorn. Es ist nicht so, dass mir aktuell Songideen fließend von der Hand gehen, aber das, was in den letzten Stunden auf dem Papier entstanden ist, kann sich, wie ich selbst finde, sehen lassen. Andererseits nun, mit dem riesigen Kaffeefleck darauf, ist meine neuste Idee nicht mehr so ansehnlich und noch weniger gut lesbar. Nächstes Mal sollte ich wieder auf den Computer zurückgreifen. Bevor ich weiter über das völlig verlaufene Schriftbild jammern kann, höre ich, wie sich schnelle Schritte nähern, schon im nächsten Moment wird die Tür zu unserem Proberaum aufgerissen. Hätte mich das Klingeln meines Handys nicht bereits unsanft aus meinen Gedanken gerissen, spätestens jetzt würde sich mein geliebter Muntermacher vor mir auf dem Tisch ausbreiten. Aber der steht zum Glück sicher neben mir, während ich mich dezent genervt nach dem neuen Störenfried umdrehe. Eigentlich gibt es nur einen, der gern mit der Tür ins Haus fällt, besonders dann, wenn man noch nicht mit ihm rechnet. Und natürlich ist dem auch diesmal so. Mit einem lauten Poltern stellt Toshiya in diesem Augenblick zwei große Getränkekästen ab, schmeißt seine Tasche obendrauf, ehe er sich in einer fließenden Bewegung auf das alte Ledersofa, das unseren Raum schmückt, pflanzt und mich grinsend ansieht. „Guten Morgen, Leader-Sama. Schon wach?“ Dass in jedem seiner Worte ein stichelnder Unterton mitschwingt, versuche ich zu ignorieren. Argwöhnisch mustere ich seine Mitbringsel, verbiete mir selbst jeden Kommentar diesbezüglich, obwohl mir bereits Übles schwant. „Du bist zu früh.“ Sein triumphierendes Grinsen übergehe ich komplett, während ich ihn mit einem finsteren Blick bedenke und dabei demonstrativ über das wellige Papier vor mir streiche. Dass der Kaffeeunfall nicht seine Schuld ist, muss unser aufgedrehter Bassist ja nicht gleich wissen. Außerdem fällt mir gerade kein besserer Weg ein, meinen Unmut über seinen polternden Auftritt am Morgen zu zeigen. Ich ernte einen entschuldigenden Augenaufschlag, den ich mit einem hoffentlich großzügig wirkendem Schulterzucken beantworte. Ich will mal nicht so sein. „Ich wäre vermutlich spätestens jetzt mit deinem Erscheinen gänzlich wach gewesen“, ergänze ich grummelnd. Er lacht auf. „Na ja, ich hatte noch was zu erledigen…“ Sein Blick huscht kurz zu den beiden Kästen. „... und das ging irgendwie schneller, als ich dachte, deshalb bin ich schon da. Freu dich drüber.“ „Hmmm ja, ganz toll.“ Die Ironie in meiner Stimme kann ich kaum verbergen, wofür ich sofort eine dezent beleidigte Schnute seitens des Schwarzhaarigen kassiere. Es ist beinahe spannend zu beobachten, wie schnell seine Gesichtsausdrücke wechseln und damit auch seine Stimmung. Das wiederum hebt nun meine Laune und ein Grinsen stiehlt sich auf meine Lippen. „Mal im Ernst, Toshiya. Warum schleppst du so früh am Tag Getränkekisten mit dir herum?“ Nicht, dass ich es nicht schon ahnen würde, aber fragen schadet bekanntlich nicht. Obwohl ich bezweifle eine ehrliche Antwort zu bekommen. „Beziehungsweise warum bringst du die hierher? Ist nicht so, dass wir nichts zu trinken da hätten“, füge ich noch hinzu. So schnell wie die Schnute gekommen ist, verschwindet sie wieder und macht einem schiefen Grinsen Platz. „Ich hatte einfach mal Lust auf was anderes“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. „Immer nur Kaffee, Bier und… ähm… Wasser sind langweilig.“ Ja ja, wer‘s glaubt. Das übermütige Funkeln in den Augen unseres Bassisten ist mir bei seiner Erklärung nicht entgangen. „Aha“, mache ich. Er soll nicht denken, dass ich seinen Worten Glauben schenke. Bin ja nicht blöd. „Du könntest sie wenigstens in die Küche räumen.“ Ich werfe noch einen letzten misstrauischen Blick auf den Getränkestapel, ehe ich mich mit einem Seufzen den Überresten meiner schriftlichen Kreativität zuwende und einen frischen Zettel aus meinen Unterlagen hervorkrame. Hilft alles nichts und schließlich muss wenigstens einer von uns arbeiten. Toshiyas lapidares „Mach ich später“ geht in dem Geraschel fast vollständig unter, aber anscheinend ist für ihn das Thema ‚Getränkekisten‘ vorerst ebenso abgehakt wie für mich, denn er hat bereits sein Handy in der Hand und tippt munter drauf los, während er sich auf dem Sofa ausstreckt. Ich unterdrücke ein weiteres genervtes Seufzen, versuche mich einfach auf meine Arbeit zu konzentrieren und unseren Bassisten Bassist sein lassen. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn zum einen lässt sich der Schwarzhaarige, sobald er einmal den Raum betritt, nur schwer ausblenden und zum anderen geht seine – mittlerweile schon seit einer Weile anhaltende – übereifrige Art mit verschiedenen Dingen umzugehen, nicht spurlos an mir vorbei. Vielleicht bin ich auch einfach schlecht darin, Sachen und Vorkommnisse zu ignorieren, obwohl sie mich nichts angehen. Während ich mir durch die Haare fahre, zwinge ich meine Augen auf dem Papier vor mir zu bleiben und die Anwesenheit des anderen zu verdrängen. Ich muss arbeiten! Doch ich merke, dass das einfach nichts wird, so lege ich den Stift murrend beiseite und genehmige mir einen Schluck aus meiner Tasse. Bah! Kalt ist Kaffee selbst für mich fast ungenießbar. Mit zusammengepressten Lippen angel ich mir meine Wasserflasche vom Boden und versuche den Geschmack von meiner Zunge zu spülen. Ohne mein bewusstes Zutun gleitet mein Blick erneut zu meinem Kollegen, der in sein Handy vertieft das Sofa vereinnahmt und nicht so wirkt, als würde er mich in naher Zukunft mit kreativen Ergüssen unterstützen wollen. Was mich wieder auf das aktuell leidliche Thema zurückbringt. Nicht, dass Toshiya sonst die Ausgeglichenheit und Besonnenheit in der Person ist – das auf keinen Fall – jedoch hat sein Verhalten inzwischen in so manchen Augenblicken reichlich seltsame und vor allem neue Auswüchse angenommen. Ich werde das Gefühl nicht mehr los, dass er sich einfach nur liebend gern in Dinge verrennt, sich in sie hineinsteigert und schlussendlich die Grenze nicht erkennt, wann das Normalmaß überschritten ist. Stirnrunzelnd huschen meine Augen über die Gestalt des Schwarzhaarigen, bleiben allerdings diesmal an seinen Oberarmen hängen, die sich mehr als deutlich unter seinem dünnen Shirt abzeichnen und es gefährlich spannen lassen. Ich stoße kaum hörbar die Luft aus, aber scheinbar laut genug, dass Toshiya kurz aufschaut und mir einen fragenden Blick zuwirft. War er doch nicht so vertieft gewesen, wie ich dachte. Ich winke ab und nehme einen weiteren Schluck aus meiner Flasche. Währenddessen ist Toshiyas Aufmerksamkeit zu dem leuchtenden Display wenige Zentimeter vor seiner Nase zurückgekehrt. Wenn er sich damit mal nicht irgendwann die Augen verdirbt. Ein leichtes Schmunzeln lässt meine Mundwinkel zucken, gleichzeitig liegt mein Blick immer noch auf den Oberarmen des Bassisten und ich frage mich unwillkürlich, ob er sich schon neue Klamotten gekauft hat. Offenbar geraten meine Gedanken heute häufiger auf Abwegen und ich schüttle innerlich über mich selbst den Kopf. Aber... irgendwie will dieser aktuelle Fitnesswahn, der den Schwarzhaarigen ergriffen hat und in den letzten Monaten seine Kleidung oftmals nah ans Zerreißen bringt, nicht so recht einleuchten. Nur stehe ich mit meinem Unverständnis diesbezüglich wohl recht allein da, denn mittlerweile ist er nicht mehr der Einzige, der bei jeder Gelegenheit trainiert oder irgendetwas im Proberaum als Hantelersatz missbraucht, anstatt sich auf unsere Arbeit zu konzentrieren. Hantelersatz… Ich betrachte missmutig die beiden gestapelten Kisten neben dem Sofa. Ja, die eignen sich definitiv als Hantelersatz – da kann mir unser Bassist erzählen, was er will. Wie gesagt, ich bin ja nicht blöd… oder blind. Ob er heute schlussendlich mit dem Zeug wirklich noch trainiert oder sie nur durch die Gegend schleppen will, ist für mich wiederum zweitrangig interessant. Viel mehr interessiert mich, dass die beiden Dinger in der nächsten halben Stunde aus meinem Sichtfeld und damit auch aus der unmittelbaren Reichweite meiner Kollegen verschwinden, denn sonst sehe ich schwarz für diese Probe. Eine Erfahrung, die ich in den letzten Wochen ein paar Mal machen durfte. Und ob es nun Toshiya, Die oder womöglich sogar Kyo sein würden, die die Kisten in die Küche befördern, ist mir schnuppe. Hauptsache weg und vorübergehend aus meinen Gedanken gestrichen. Sie sollen mich einfach damit in Ruhe lassen… und am besten unseren Jüngsten ebenso, aber na ja... Ich kann ein Seufzen nicht verhindern, als meine Gedanken weiter abdriften und definitiv nicht auf meine Ideensammlung vor mir zurückkehren wollen. Eine Tatsache, die mich ungemein nervt. Es bringt gerade einfach alles nichts. Die passende Konzentration will sich einfach nicht einstellen, also beschließe ich zu warten, bis der Rest meiner Chaostruppe auftaucht. So kann ich meinen Gedanken auch endlich offiziell den Freiraum geben, nach dem sie sowieso schon verlangen, während ich aus den Augenwinkeln weiter unseren Bassisten beobachte, der fröhlich auf seinem Handy rumtippt und dabei vor sich hin grinst. Wohl irgendein lustiges Video gefunden und es an alle in seiner Kontaktliste geschickt. Mein resigniertes Schnauben bleibt dieses Mal ungehört. Eigentlich hat das ganze Dilemma vor einigen Wochen angefangen. Genauer gesagt, an einem dieser Abende, an dem wir uns als Band mit einigen Staffmitglieder nach Ewigkeiten mal wieder in einem abgelegenen Lokal getroffen hatten, um Pläne in lockerer Runde zu schmieden. Das Pläne schmieden, hatte sich irgendwann erledigt und die Themen waren zu späterer Stunde mit steigendem Pegel in ganz andere Richtungen abgerutscht. Ich weiß nicht mehr, was schlussendlich der Auslöser für die nachfolgenden Ereignisse gewesen war – ob es daran lag, dass ich dreimal zum Tresen gegangen war, um Getränke zu holen oder einfach einer meiner geliebten Kollegen im alkoholvernebelten Verstand seinen Einfall als besonders amüsant und brillant ansah. Ich kann es nicht mehr sagen. Jedenfalls endete das Ganze damit, dass plötzlich alle der Meinung waren, sich miteinander messen zu müssen – und zwar im Armdrücken. An sich waren solche Wettkämpfe meist unter meiner Würde, nur hatte ich an diesem Abend das ein oder andere Bier zu viel intus. Also waren wir alle mit von der Partie und traten lautstark gegeneinander an. Und mit „alle“ meine ich wirklich alle. Denn irgendwie hatten es Toshiya und Die, die beiden eigentlichen Drahtzieher des Wettkampfs, geschafft, jeden zum Mitmachen zu nötigen – einschließlich unseres Jüngsten, der sich sonst selten aus solchem Blödsinn beteiligte. Und da wären wir beim Thema. Sie hätten ihn lieber raushalten sollen – in ihrem Interesse. Meine eigene Teilnahme am Kräftemessen war glücklicherweise nur auf die erste Runde beschränkt, da ich – nett wie ich eben bin – unserem Manager den Sieg überließ, und mich nun in der Rolle des Zuschauers wiederfand. Traurig war ich darüber keineswegs. Nein, dazu fehlte mir bei sowas eindeutig der Ehrgeiz. Aber vermutlich war ich mit meiner Einstellung an diesem Abend der Einzige, denn die anderen wetteiferten mit größter Hingabe. Wahrscheinlich lag es bei 95 Prozent der Anwesenden wirklich am Alkohol. Was Shinya zum Mitmachen bewog, weiß ich nicht mehr. Womöglich hatten Die und Toshiya ihn mit irgendwas bestochen: Friseurgutschein, Kosmetik, was auch immer und mir egal. Tja, und nun hatten sie eben das Dilemma. Wobei… Dilemma war relativ. Ich glaube, alle Anwesenden fanden die Situation überraschend und unterhaltsam, nur Toshiya nicht. Denn anstatt, wie von allen vermutet, gleich am Anfang rauszufliegen, schaffte es Shinya Runde um Runde weiter zukommen und saß schlussendlich unserem Bassisten gegenüber. Allerdings vermute ich, dass Kyo bloß geschlagen wurde, weil er keine Lust mehr gehabt und sich deshalb nicht sonderlich angestrengt hatte. Jedenfalls hieß es in der Endrunde Shinya gegen Toshiya. Dass wir alle über diese Tatsache verblüfft waren, versteht sich wohl von selbst. Es hatte keiner damit gerechnet, dass Shinya überhaupt so weit kommen würde bzw. dass seine Motivation so lange reichen würde. Bestechung hin oder her. Doch irgendetwas – waren es nun Dies gängige Sticheleien oder die blöden Sprüche Toshiyas, sei mal dahin gestellt – hatte ihn dazu gebracht mit dem nötigen Ernst dabei zu bleiben. Wo unserer Jüngster diese Kraft im Arm hernahm, war mir schleierhaft und ich war in diesem Moment nicht der Einzige, der sich darüber wunderte. Denn die Verwunderung aller war nicht zu übersehen, als unser Drummer wirklich als Sieger aus diesem Duell hervorging. Während Toshiya wie erstarrt auf seinem Platz saß und die Situation erst einmal verarbeiten musste, wirkte unser Jüngster entspannt wie eh und je. Ein kleines zufriedenes Schmunzeln zierte seine Lippen, als er sich kurz darauf wieder seinem Glas Wasser zuwandte. Na ja, dafür dass er sonst immer ganz gerne für seine zarte Erscheinung aufgezogen wurde, durfte er den Sieg meinetwegen gerne auskosten. Ich glaube, ich konnte in diesem Moment mein dezent schadenfrohes Grinsen nicht verbergen. Natürlich hätte man den Sieg auf Toshiyas wenig nüchternen Zustand schieben können, aber generell war es wohl allen ein Rätsel wie Shinyas magere Ärmchen selbst gegen die ein oder anderen deutlich kräftigeren Exemplare einiger Beteiligter hatten bestehen können. Und genau diese Frage nach dem „Warum“ schien auch den Verlierer der Endrunde den restlichen Abend nicht mehr loszulassen. Jedenfalls, wenn man Toshiyas starrenden Blick auf Shinya und seine Frage, ob dieser denn besonders trainiere, richtig deutete. Das war der Anfang vom großen Ende. Okay, das ist vielleicht jetzt etwas dramatisch ausgedrückt, aber irgendwas musste Shinyas verneinende Antwort im Hirn unseres Bassisten in Gang gesetzt haben. Hätte ich gewusst, was sich aus dem Ganzen noch entwickeln würde, hätte ich gleich versucht es im Keim zu ersticken. Doch ich wusste es nicht und nun habe ich den Salat. Denn in kürzester Zeit haben sich sowohl Toshiya, als auch Die, der Shinyas Sieg offenbar ebenso wenig verkraftet hatte, zu wahren Fitnessfanatikern entwickelt. Und Kyo… den haben sie gleich mitgezogen, wobei ich eher vermute, dass dieser eher froh ist, mal jemanden zum Trainieren zu haben, da er bisher der Einzige in der Band gewesen war, der sich ansatzweise für Sport interessierte. Wie dem auch sei, und unabhängig was die genauen Beweggründe unseres Sängers waren, bei Toshiyas und Dies ausgeklügeltem Training teilzunehmen, das Bild, das sich nun beinahe Woche für Woche in unserem Proberaum bot, war mehr oder weniger immer dasselbe. Nachdem ich in der ersten Woche Dies frisch erworbene Hanteln unter lautem Gezeter aus dem Proberaum verbannt hatte, waren meine beiden frisch sportbegeisteren Kollegen (Kyo ausgenommen, da es ihn eindeutig wenig tangierte, was die beiden hier veranstalteten. Er ist eher der Fitnessstudio- und Joggen-geh-Typ) dazu übergegangen mit irgendwelchen Dingen anzukommen, die sie hinter meinem Rücken definitiv zum Stemmen und Krafttraining verwendeten. Ob es nun Taschen voller Bücher, die Die rein zufällig nach der Probe zu seiner Schwester schaffen musste, oder eben wie heute Getränkekisten waren. Toshiya war sogar vor zwei Wochen mit der Nähmaschine seiner Mutter angekommen, die er sich wohl ‚ausgeliehen‘ hatte und ihr unbedingt an diesem Tag noch vorbeibringen wollte. Dass das Bild eines nähenden Toshiyas nicht in meinen Kopf passt, muss ich sicher nicht extra erwähnen. Offensichtlich war die Kreativität meiner Kollegen, was Alternativen zu Hanteln und Co. anging, unerschöpflich und manchmal geradezu lächerlich. Glaubten sie denn wirklich, dass ich es nicht mitbekam, wenn sie im Nachbarraum Liegestütze oder am Türrahmen Klimmzüge machten? Immer noch: ich bin nicht blöd. Und warum mussten sie denn überhaupt ständig trainieren? Reichte es nicht nach Feierabend? Dass ihr ‚Training‘ in einem Fitnessstudio womöglich deutlich sinnvoller wäre, bleibt mal dahingestellt. Vielleicht gingen sie ja an ihren freien Tagen dort hin, nachfragen möchte ich nicht. Sichtbare Erfolge kann ich ihnen dabei nicht mal absprechen. Anhand von Toshiyas spannenden Hemden oder Dies enger werdenden Shirts kann man erkennen, dass ihre Besessenheit tatsächlich etwas brachte. Allerdings brachte es nichts bezüglich der Thematik Armdrücken. Denn seither hatten beide Shinya mehrere Male – viermal, bei denen ich es mitbekommen hatte – herausgefordert und dennoch kein einziges Mal gewonnen. Letzte Woche hatte ich Shinya nach Feierabend, und nachdem die anderen sich nebenan wieder zu übertreffen versuchten, nach seinem Geheimnis gefragt, denn neugierig war ich schon. Schmunzelnd hatte er gemeint, dass es beim Armdrücken mehr auf Technik als auf überdimensionierte Muskeln ankam. Das leuchtete ein. Woher er die passende Technik kannte, verschwieg er. Nähere Details interessierten mich sowieso nicht sonderlich. Viel mehr lachte ich die anderen nun gern innerlich aus, wenn Shinya sie einmal mehr bezwang. Okay, nicht nur innerlich. Meist offen und laut. Aber hey, warum auch nicht? Ein bisschen Häme darf mir wohl vergönnt sein, wenn ich sonst schon die ganze Zeit damit genervt werde. Eigentlich sollen sie sich sowieso auf der Bühne oder wenigstens aktuell bei unseren Proben verausgaben und nicht beim Armdrücken, doch irgendwie rede ich diesbezüglich momentan gegen eine Wand. Als Entschädigung lache ich eben einfach über meine Kollegen. Die Tür klackt und reißt mich abermals aus meinen Gedanken. Die betritt den Raum, dicht gefolgt von Kyo. Wenn man vom Teufel spricht oder an ihn denkt oder so ähnlich. Wie auch immer. Fehlt eigentlich nur noch unser Jüngster und wir können mit den Proben oder wenigstens mit der Besprechung loslegen. Ich beschließe mir einen frischen Kaffee zu holen und tue es damit Kyo gleich, der kurz vor mir im Nachbarraum verschwunden ist. Er hätte wenigstens Toshiyas Mitbringsel mitnehmen können. Ach, was soll‘s. Nicht ärgern, Kaoru. Vielleicht würde ich nachher einfach Die das Ganze aufs Auge drücken, wenn Toshiya es bis dahin nicht selbst auf die Reihe bekommt. Während die Kaffeemaschine geräuschvoll vor sich hinarbeitet, stehen Kyo und ich dafür umso schweigender daneben und hängen unseren Gedanken nach. Ich, weil ich gerade nichts zusagen habe und mir den Rest aufsparen will bis alle da sind und Kyo, weil er ein Morgenmuffel durch und durch ist. Es stört mich nicht. Dafür dringt Dies gackerndes Lachen bis hierher und als ich einen kurzen Blick zurück riskiere, sah ich wie sich die beiden Verbliebenen eingehend mit den Kästen beschäftigen, solange wie sie mich außer Reichweite wähnen. Ich drehe mich genervt schnaubend zur Kaffeemaschine um, die mittlerweile ihre Arbeit an Tasse Eins für beendet erklärt hat. Muss aufpassen, dass das Schnauben nicht zu einer dauerhaften Angewohnheit wird. Ich sehe Kyos Mundwinkel zucken, als er mich beobachtet. Na ja, er scheint zu wissen, was die beiden treiben, ohne nachgeschaut zu haben. „Durchhalten, Kao“, höre ich ihn leise murmeln. Ein wenig überrascht bin ich doch, dass heut bereits vor seinem ersten Kaffee eine Reaktion von ihm kommt. Womöglich hat er aber auch schon einen intus. „Vielleicht ist heute –“ Er bricht ab, als erneut die Tür des Proberaums zu hören ist. Ich linse aus der Küche heraus und entdecke Shinya, der sich soeben recht abgehetzt wirkend auf einen Stuhl fallen lässt. Ehe ich mit meinen Kaffee bewaffnet zurück zu den anderen gehe, werfe ich Kyo einen fragenden Blick zu, ob er denn seine Ausführungen fortsetzen möchte. Doch er schüttelt nur leicht den Kopf und nuschelt etwas, das wie „Wart‘s mal ab“ klingt in seinen nicht vorhandenen Bart, als er sich anschickt die Küche zu verlassen. Seufzend folge ich ihm und lasse mich gegenüber von Shinya auf meinen Stuhl plumpsen. Auf was soll ich denn warten? Ich hasse kryptische Andeutungen. Grummelnd fahre ich mir durch die Haare. Irgendwie verlaufen die letzten Tage, besonders die Proben, nicht mehr so wie sie mal waren. Und wer ist schuld? Natürlich meine Kollegen. Ich schlürfe kurz an meinem viel zu heißen Kaffee und fange dabei Shinyas Blick auf, der mich leicht anlächelt. „Morgen“, begrüße ich ihn, versuche mich ebenfalls an einem Lächeln. „Guten Morgen“, kommt es leise zurück. „Entschuldige die Verspätung. Ich hatte versucht dich anzurufen, aber du bist nicht rangegangen.“ Aha, das war also der Übeltäter, der meine Notizen auf dem Gewissen hatte! Ich seufze kaum hörbar und gönne mir einen weiteren Schluck des braunen Gebräus, ehe ich ihm antworte: „Alles gut. Bin nur irgendwie nicht dazu gekommen ans Handy zu gehen.“ Ich kann unserem Jüngsten einfach nicht böse sein. Damit ist das Thema abgehakt und es kann losgehen. Jetzt erst merke ich, dass es ungewöhnlich still um mich herum geworden ist, weshalb ich mich zu den restlichen Anwesenden umdrehe. Kyo lehnt schweigend an der Wand und schlürft hin und wieder an seinem Kaffee, während er mich abwartend ansieht. Genauso abwartend starren mich Die und Toshiya an, die, mittlerweile beinahe unschuldig dreinschauend, auf dem Sofa nebeneinandersitzen und kein Wässerchen trüben können. Ich sollte mir das mit dem Seufzen definitiv abgewöhnen, das nimmt aktuell wirklich überhand. Also erhebe ich mich und werfe noch einen Blick in die Runde. „Geht gleich los. Ich geh nochmal fix ums Ecke. Bis ich zurück bin, will ich, dass das da…“ Damit deute ich auf den Kistenstapel. „... aus meinem Sichtfeld verschwunden ist.“ „Geht klar!“, ertönt es zweistimmig. Kurz bevor ich den Raum verlasse, sehe ich, wie Toshiya und Die beinahe synchron aufspringen und Shinya breit angrinsen, der sichtlich zusammenzuckt. Oh Mann, ich sollte mich beeilen, denn ich ahne etwas. Aber meine Blase drückt gerade und das lässt sich nicht wesentlich länger rauszögern. „Keine Dummheiten machen!“, rufe ich noch, bevor ich auf den Gang verschwinde. Als ich wenige Minuten später zurückkehre, hat sich mein schlechtes Gefühl bestätigt und bleibe ich augenblicklich im Türrahmen stehe. Was hab ich eigentlich erwartet? Vermutlich genau das. Vor mir bietet sich die Szene, die ich bisher schon viermal in unserem Proberaum entdecken durfte. Am Tisch sitzen sich Drummer und Gitarrist gegenüber, die Ellenbogen auf dem Tisch abgestützt und die Hände ineinander verschlungen. Während Shinya wie immer recht entspannt wirkt, versucht Die in diesem Augenblick angestrengt dagegen zuhalten, obwohl sich sein Arm langsam aber stetig der Tischplatte nähert. Toshiya feuert seinen Trainingspartner lautstark an, doch auch das hilft nichts. Wenige Sekunden später ist die Runde vorbei und der Sieger mittlerweile nicht mehr überraschend. Ein wehleidiges Jammern von Seiten Dies erklingt, als er sich geschlagen geben muss und seinen Platz mit Toshiya tauscht. Noch haben mich die Drei nicht bemerkt. Dafür allerdings Kyo, der neben der Tür steht und das Geschehen ebenfalls mit hochgezogenen Augenbrauen verfolgt. Seine Kaffeetasse ist leer, wie mir ein Blick auf seine vor der Brust verschränkten Arme verrät, wo an einer Hand eben jene Tasse vor sich hin baumelt. „Sie meinten, das ist heute das letzte Mal, dann geben sie auf.“ Verwundert starre ich Kyo an, während dieser weiter ungerührt das zweite Kräftemessen verfolgt. Na, wenn das wahr ist, wären das ja mal positive Neuigkeiten und ein Grund zur Entspannung. Unwillkürlich frage ich mich wieder einmal, warum Shinya da überhaupt noch mitmacht. Dass es bei den anderen beiden um Stolz geht, ist mir klar, aber bei Shinya…? Vielleicht ist es bei ihm derselbe Grund oder es geht ihm einfach ums Prinzip, die anderen Beiden mal in ihre Schranken zu weisen. Wie dem auch sei. Interessiert beobachte ich den Zweikampf der beiden Jüngsten und ein unterschwellig wehmütiges Gefühl macht sich in mir breit. So ungern ich es zugebe, vermutlich würde ich diese Wettkämpfe sogar vermissen, wenn dies heut wirklich der letzte dieser Art ist. Irgendwie habe ich mich unfreiwillig daran gewöhnt. Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus, als ich beobachte, wie Toshiya mit verkniffener Miene gegen Shinya anhält. Ich denke, genau dieser Anblick wird mir fehlen, auch wenn ich stark daran zweifle, dass meine Kollegen sich nicht wieder irgendetwas Neues einfallen lassen, um meinen Nerven zu strapazieren. Wobei meine Nerven schon einiges gewöhnt sind, sonst hätte ich es nie so lange mit dieser Chaostruppe ausgehalten. Denn ich mag sie ja doch und ohne solche Eskapaden wäre es wohl ziemlich langweilig. Es bleibt also spannend, was sie sich als Nächstes einfallen lassen. In diesem Moment trifft Toshiyas Arm mit einem dumpfen Laut auf die Tischplatte. – Und die Moral von der Geschicht‘: Sieh der Wahrheit ins Gesicht, Gegen Shinya gewinnen kannst du nicht. – ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)