Slices of Life von QueenLuna (Eine Sammlung an Kurzgeschichten und Mini-Episoden) ================================================================================ Kapitel 5: Modefragen (Dir en grey) ----------------------------------- Band: Dir en grey Genre: Humor, Slice of Life, Freundschaft Inspiration: Kaorus Kleidungsstil beim Mode of Vulgar - Konzert Modefragen – oder auch: ein Mann ohne Wärmeempfinden – „Sollen wir das wirklich tun?“ Mit gerunzelter Stirn blickte ich auf den quadratischen Karton, der mitten auf dem Tisch im Proberaum thronte und in seiner quietschend bunten Erscheinung komplett fehl am Platz wirkte. „Und woher hast du überhaupt dieses furchtbare Geschenkpapier?“ Skeptisch sah ich zu unserem Sänger hinüber, der entspannt in einem der Sessel lümmelte und so tat, als hätte er mit dem Ganzen nichts zu tun. „Was heißt denn hier furchtbar? Da sind Füchse drauf!“ „Ja, aber neongrüne, blaue und… ähm… pinke Füchse. Sehr naturgetreu.“ Hinter mir hörte ich es leise lachen und konnte mir genau vorstellen, wie Die über das ganze Gesicht grinste, während er unsere Unterhaltung verfolgte und sich auf das Kommende freute. Ich unterdrückte ein Seufzen und sah Kyo weiter abwartend an, in dessen Mundwinkel ebenfalls ein kleines Schmunzeln wohnte. Wie kam Kyo überhaupt darauf, ausgerechnet ein Geschenkpapier zu kaufen, das eindeutig für Kinder gedacht war? „Ich mag Füchse. So. Und es war im Angebot.“ Nun seufzte ich doch laut. Warum war ich eigentlich der Einzige, der das Ganze ernst zu nehmen schien, obwohl es weder meine Idee gewesen war, noch dass ich sie gut fand? Theoretisch war die Sache als Scherz gedacht gewesen, soweit ich es verstanden hatte, aber irgendwie wollte ich dennoch, dass es… ja, was eigentlich?... eine schöne Überraschung wurde, obwohl ich sie immer noch dämlich fand, besonders in dieser Aufmachung? In diesem Moment wurde die Tür des Proberaums aufgerissen und ein sichtlich gut gelaunter Toshiya schlenderte herein. „Morgen. Kaoru kommt auch gleich, der redet nur noch kurz mit Takabayashi-San und – Ach, nein! Das ist ja mal ein schickes Geschenkpapier.“ Er lachte laut auf und trat näher an den Tisch heran. „Ich würde sagen: ein einzigartiges Muster. Find ich gut.“ „Ein einzigartiges Muster für einen einzigartigen Leader, sozusagen.“ Kurz herrschte Stille. Alle Blicke lagen auf Kyo, der ungerührt im Sessel hockte und nicht erkennen ließ, wie ernst er diese Aussage meinte. Dann brachen Die und Toshiya in Lachen aus, selbst ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Boah, da hast du aber tief gegraben. Das kannst du nachher nochmal anbringen, sollte Kaoru sich darüber aufregen. Das hört der sicher gerne.“ Grinsend warf sich Die neben Kyo in den anderen Sessel und streckte die langen Beine aus. „Ich bin ja sehr gespannt, was er zu unserem verspäteten Geburtstagsgeschenk sagt. Und ich finde die Idee immer noch super.“ Ich nicht, aber mich hatte auch niemand gefragt. Ob das gut ging? Außerdem, ging ein Geburtstagsgeschenk, das man einen Monat später bekam, überhaupt noch als Geburtstagsgeschenk durch? Generell schenkten wir uns seit Jahren nur noch selten etwas, aber vermutlich hatten Toshiya und Die nur einen Vorwand gesucht, um ihre Idee in die Tat umzusetzen. Weiß der Teufel, wie viel sie dabei getrunken hatten. Erst eine warme Hand, die sich auf meine Schulter legte, holte mich aus meinen Überlegungen zurück und ließ mich den Blick von dem augenschmerzenden Muster lösen. „Mensch, Shinya, guck nicht so verbissen.“ Das Schmunzeln war nicht aus Toshiyas Miene verschwunden, vielmehr schien die gute Laune in ihm sogar noch weiter gewachsen zu sein. Wenn das denn möglich war. „Ist doch nichts dabei und prinzipiell schenken wir ihm ja sogar etwas Nützliches. Ihm ist doch sowieso ständig kalt und er verwechselt unseren Proberaum mit einem Backofen, den er hochheizen muss. Da freut er sich ganz bestimmt über sowas.“ Das wagte ich zu bezweifeln, aber vielleicht wurde ich ja in den nächsten Minuten vom Gegenteil überzeugt. Auch wenn am Grundgedanken der beiden natürlich nichts Falsches war, aber – Erneut wurde die Tür zum Proberaum aufgestoßen und unser verspätetes „Geburtstagskind“ erschien auf der Bildfläche. Unwillkürlich schienen alle den Atem anzuhalten und eine geradere Haltung anzunehmen. Kaoru bekam im ersten Moment nichts davon mit, sondern war damit beschäftigt, seinen übervollen Kaffeebecher heil in den Raum zu bugsieren, ohne dabei irgendwo anzuecken. Seine schulterlangen Haare wirkten etwas zerzaust – kein Wunder bei dem Wind, der draußen durch die Straßen pfiff und wenig vom kommenden Frühling erahnen ließ. Das bestätigte auch der dicke, rote Wollschal, der um seinen Hals hing, und sich schrecklich mit dem grünen Aufdruck auf seinem Hoodie biss. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich der Einzige war, der sich selbst für die Probe ordentlich herrichtete und nicht nur wahllos in den Kleiderschrank griff. Das gemurmelte „Guten Morgen“ ließ sich mehr vermuten als hören und bisher hatte er auch noch nicht einmal aufgeschaut. Anscheinend war da heute jemand nicht besonders gut drauf, was mich innerlich noch etwas angespannter werden ließ, wenn ich an das Geschenk dachte. Aber ich kannte meine Bandkollegen lang genug, um zu wissen, dass sie sich von schlechter Laune nie aufhalten ließen. Besonders Die und Toshiya waren Meister darin, diese zu ignorieren. „Was ist denn hier los?“ Nun hatten wir doch Kaorus ungeteilte Aufmerksamkeit. Ein skeptischer Ausdruck huschte über sein Gesicht, als er in die Runde sah und dabei wie in Zeitlupe seinen Becher abstellte und den Schal abwickelte. „Nichts.“ Wie zu erwarten ließ sich Die von dem prüfenden Blick nicht einschüchtern und grinste unseren Leader übertrieben freundlich an. „Wir haben nur auf dich gewartet, um endlich loszulegen.“ Ich verkniff mir ein Augenverdrehen, irgendjemand hinter mir schnaubte vernehmlich. Selbst Kaoru schien Dies Worten wenig Glauben zu schenken, doch statt etwas darauf zu erwidern, hielt er plötzlich in seinem Tun inne und starrte an mir vorbei auf den Tisch. Seine linke Augenbraue zuckte nach oben, während er gleich darauf misstrauisch von einem zum anderen schaute. Ich versuchte mich an einem wohlwollenden Lächeln. Wie Toshiya gesagt hatte, eigentlich war es ja sogar etwas Nützliches… nur die Ausführung – „Was ist das denn?“ Als wäre das das Stichwort gewesen, stellte sich Toshiya direkt neben das Päckchen und strich betont langsam über das Papier. „Das, lieber Kaoru, ist ein Geschenk. Von uns, an dich.“ Ich hatte nicht gewusst, dass Kaoru seine Augenbrauen so weit nach oben ziehen konnte. „Wieso das? Hab ich was verpasst?“ „Nein, nein. Wir dachten, es wäre Zeit für ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk“, erklärte Die seelenruhig. Nur dass er sich zum wiederholten Mal mit den Fingern durch die langen Haare strich, zeigte, dass er nicht ganz so gelassen war, wie er wirken wollte. „Ah ja.“ Langsam trat Kaoru noch ein Stück näher und beäugte kritisch das Papier. „Kann das explodieren?“ „Für wen hältst du uns denn?“ „Na ja, bei der Verpackung erwarte ich vieles.“ Eindeutig Kaoru-Humor, was wiederum bedeutete, dass seine Laune sich ein Stück weit gebessert hatte. Und trotz, dass er immer noch ernst dreinschaute und kaum eine Miene verzog, meinte ich ein kleines, neugieriges Funkeln in seinen Augen zu sehen. Aber vielleicht wünschte ich mir das auch nur. * Ich hatte mir einige Szenarien ausgemalt, wie Kaoru wohl reagieren würde, aber eine, in der er eine Viertelstunde später mit einem milden Lächeln auf den Lippen sein Geschenk eng um sich schlang, war nicht dabei gewesen. Allein, wie er beim Öffnen des Geschenks erst kurz innegehalten hatte und dann beinahe andächtig den zusammengelegten Wollberg, der sich als überdimensionale Strickjacke entpuppte, aus der Verpackung befreit hatte, war Zeichen genug gewesen, dass meine beiden Bandkollegen anscheinend nicht so falsch mit ihrer Idee lagen, wie ich gedacht hatte. Kaoru sah wirklich zufrieden aus, wie er da auf dem Sofa saß, seinen wohl mittlerweile kalten Kaffee schlürfte und sich tiefer in den weichen Stoff kuschelte. Nicht, dass ich mich nicht wenigstens ein bisschen darüber freute, aber ich war irritiert. Wich mein Geschmack so sehr von seinem ab und er fand das Ding wirklich gut? Das Problem war nicht, dass Kaoru nun Besitzer einer beigefarbenen XXL-Strickjacke war, sondern die Ausführung dieser. Denn gelinde gesagt, war sie besonders – oder anders ausgedrückt: einfach hässlich. Es war nicht mal die Farbe, die mich schon beim ersten Mal abgeschreckt hatte, als Toshiya uns seine Errungenschaft präsentierte – schließlich mochte ich helle Farbtöne sehr gerne – es waren vielmehr die unzähligen Bommeln daran und das grobe Strickmuster, die mich zu sehr an den Kleiderschrank meiner 90-jährigen Tante erinnerten. Aber anscheinend sahen das die anderen nicht so. „Siehst du, ich hab's doch gesagt.“ Die leise Stimme dicht neben mir ließ mich zusammenzucken. „Sie gefällt ihm.“ Aus den Augenwinkeln warf ich Toshiya einen vielsagenden Blick zu und murmelte: „Schön, wie gut du seinen Geschmack kennst, aber ich finde sie immer noch furchtbar.“ Er lachte laut auf, was uns fragende Blicke der anderen einbrachte. Verlegen sah ich auf das Notenblatt in meiner Hand, das wir gerade durchgegangen waren, und wünschte mir, dass Toshiya einmal einfach still war. Aber ich hätte es besser wissen müssen. „Shinya hat gerade gemeint, ob du die Jacke nicht mal auf einem Konzert tragen magst. Damit wir sehen, was dir unser tolles Geschenk wirklich bedeutet.“ Empört, ob der dreisten Lüge, zuckte mein Kopf nach oben. Sowas würde ich nie sagen! Oder vorschlagen. Und die anderen wussten das auch. Doch ehe ich etwas zu meiner Verteidigung vorbringen konnte, überraschte Kaoru uns alle. Statt irgendeinen Kommentar zur wenig einleuchtenden Begründung des neuesten Vorschlags abzugeben, drehte er mit geschürzten Lippen eine der Bommeln zwischen den Fingern und schien allen Ernstes darüber nachzudenken. Schließlich sah er auf, seine Mundwinkel zuckten. „Klar, warum nicht.“ * Die Halle war bis auf den letzten Platz gefüllt und die Stimmung auf ihrem Höhepunkt. Ich setzte mich hinter meinem Schlagzeug ein kleines Stück aufrechter hin und ließ unauffällig meinen Blick umherschweifen, während meine Kollegen vorne am Bühnenrand den Fans noch einmal ordentlich einheizten und sie auf das letzte Lied vorbereiteten. Allmählich spürte ich die Erschöpfung in den Knochen. Es war so warm, dass sich in meinem Nacken ein dünner Schweißfilm gebildet hatte. Recht ungewöhnlich für mich, da ich bei Konzerten selten ins Schwitzen geriet, dank jahrelangen Trainings und der zwei Ventilatoren, die die gesamte Zeit über kühle Luft in meine Richtung bliesen. Anders sah es bei meinen Kollegen aus, die immer zu auf der Bühne herumrannten und inzwischen aussahen, als könnten sie dringend eine Dusche gebrauchen. Kyos Oberteil hatte bereits vor einer Weile das Zeitliche gesegnet – ganz zur Freude der weiblichen Fans – und selbst Die und Toshiya standen nur noch im dünnen Shirt da, wobei letzterer dabei mehr Einblicke ge- als verwehrte. Nicht, dass das unseren Bassisten sonderlich stören würde. Er liebte und lebte für die bewundernden Blicke der Fans und wer wollte es ihm verübeln. Tief ein und ausatmend mobilisierte ich die letzten Kraftreserven und versuchte mich auf Kyos Ansagen zu konzentrieren, um den Einsatz nicht zu verpassen. Plötzlich wurde ich abgelenkt, als sich etwas in mein Blickfeld schob, das ich eigentlich schon gewohnt sein müsste und das dennoch immer wieder irritierte, da es so falsch in dieser Aufmachung wirkte. Kaoru. Während Kyo jeden in der Halle zum Ausrasten brachte, schlich unser Leader seelenruhig über die Bühne, als würde ihn das Ganze überhaupt nichts angehen. Mit der ihm so eigenen, stoischen Gelassenheit wandelte er umher und schien jeden Einzelnen, sowohl auf als auch vor der Bühne, genau zu beobachten und jede Reaktion zu registrieren. Wie ein Tiger im Käfig. Prinzipiell etwas, das einen immer kurz den Atem anhalten ließ, wenn der Blick ihn traf. Allerdings machte Kaorus Aufmachung heute seine Wirkung vollkommen zunichte. Innerlich konnte ich nur den Kopf schütteln. Was hatte Toshiya mit seiner Aussage nur angerichtet? Und warum zog Kaoru das überhaupt durch? Gefiel ihm das wirklich? Ich konnte es einfach nicht nachvollziehen, warum er ausgerechnet zum Encore diese furchtbare Strickjacke, die wir ihm vor drei Monaten geschenkt hatten, anzog. Dann, wenn die Temperaturen trotz Klimaanlage und Ventilatoren am höchsten waren. Und die noch dazu so hell war, dass das Licht der Scheinwerfer scheinbar wie von selbst von ihm angezogen wurde und ich beinahe die Augen zusammenkneifen musste, um nicht geblendet zu werden. Leider war es noch dazu nicht das erste Mal, dass er auf der Bühne dieser Strickmode nachging. In letzter Zeit bestand sein bevorzugtes Outfit wahlweise aus einem großen, langen Wollpullover, manchmal sogar mit Löchern, als wäre er frisch aus der Mülltonne gerettet worden, oder eben einer Strickjacke, von denen er inzwischen mehrere Varianten besaß. Vor ein paar Wochen hatte ich es endlich gewagt zu fragen, ob ihm damit nicht zu warm während des Konzerts werden würde, um ihn dadurch eventuell unterschwellig darauf hinzuweisen, seine Auswahl nochmal zu überdenken. Doch er hatte mich nur verwirrt angeschaut. „Nein, wieso? Ich finde die Luft der Ventilatoren immer ganz schön frisch, da ist das mit dem Pullover ganz angenehm.“ Es war Hochsommer. Was hatten wir bloß getan? Ende Hosted by Animexx e.V. 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