Slices of Life von QueenLuna (Eine Sammlung an Kurzgeschichten und Mini-Episoden) ================================================================================ Kapitel 6: Modefragen II (Dir en grey) -------------------------------------- Band: Dir en grey Genre: Humor, Slice of Life, Freundschaft Inspiration: Kaorus Kleidungsstil beim Mode of Vulgar - Konzert Modefragen II – oder auch das Strickmuster-Drama – „Au… so eine elende -“ Irritiert hielt ich mitten im Schritt inne und lugte vorsichtig durch den Spalt der angelehnten Proberaumtür. Viel erkennen konnte ich auf den ersten Blick nicht, aber dem überdeutlichen Fluchen nach konnte es sich nur um Kaoru handeln. Flüchtig prüfte ich die Uhrzeit. Eigentlich hatte ich vor allen anderen hier eintreffen wollen, um noch ein wenig meine Ruhe zu haben, doch gegen unseren Leader war das wie so oft ein schwieriges Unterfangen. Der wohnte faktisch hier. Wahrscheinlich war er gestern nicht einmal nach Hause gegangen – zutrauen würde ich ihm das auf jeden Fall. Ein erneuter Fluch drang zu mir nach draußen, weshalb ich vorsichtig die Tür öffnete und eintrat. Ich rechnete mit dem Schlimmsten. Doch – „Um Himmels Willen, was machst du da?“, entfuhr es mir statt meiner sonst üblichen schweigenden Begrüßung. Verdattert stand ich halb im Raum und wurde nicht so recht schlau aus der Szene, die sich gerade vor mir auf dem Sofa abspielte. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich vermutet, Kaoru habe sich innerhalb eines Tages in einen Kater verwandelt, der sich nun in einem Dutzend Wollknäuel verheddert hatte. Langsam trat ich näher und hob eins der Wollknäuel auf, das unmittelbar vor meinen Füßen lag. Es war … pink. Skeptisch wanderte mein Blick zu Kaoru, neben dem sich noch mehr buntes Garn auf dem Sofa verteilte – oder eben wahlweise auf dem Boden. Es wirkte beinahe so, als habe er im nicht mehr ganz nüchternen Zustand ein Strickwarengeschäft geplündert und alles eingepackt, was ihm in die Hände fiel. Anscheinend hatten sich dabei die schöneren Farben im Lager versteckt und waren ihm entgangen. Selbst die Wolle in meiner Hand sah verwaschen aus. „Kaoru, was soll das werden?“ Würde ich ihn nicht schon seit mehreren Jahrzehnten kennen, wäre ich sicher unter dem Blick, der mich traf, zusammengezuckt. Stattdessen blieb ich ruhig und wagte mich sogar noch einen Schritt näher, um auf das Blatt Papier neben ihm linsen zu können. Eindeutig eine Strickanleitung. Allerdings hatte das, was auf dem Bild zu erkennen war, nur entfernt etwas damit zu tun, was sich gerade auf Kaorus Schoß befand. „Ein Pullover, sieht man doch.“ Da hatte anscheinend jemand richtig schlechte Laune oder noch nicht genügend Kaffee intus. Ich enthielt mich eines Kommentars und setzte mich dafür lieber in einen der Sessel gegenüber des Sofas. Theoretisch hätte ich unserem Leader den ein oder anderen Tipp geben können, schließlich hatte ich meiner Oma früher hin und wieder beim Stricken zugesehen und mich sogar selbst daran geübt. Aber bei der Gewitterwolke, die sich gerade um Kaorus Kopf zusammenbraute, würde er mich eher mit einer der Nähnadeln bewerfen, als sich meinen Verbesserungsvorschlag anzuhören. So schwieg ich und beschäftigte mich mit meinem Smartphone. Es war schon lange her, dass ich mir gewünscht hatte, dass unsere übrigen Bandmember einmal zeitiger hier eintrafen als sonst. Kaorus Gegenwart allein zu ertragen, war gerade etwas anstrengend. Kyo ließ mich nur eine Viertelstunde warten. Seine Reaktion fiel im ersten Moment ähnlich aus wie meine, was mich ein wenig zum Schmunzeln brachte. Er verharrte für einige Sekunden in der Tür, dabei ungerührt seinen Kaffee weiterschlürfend, ehe er sich in den Sessel neben mir fallen ließ. Ein fragender Blick traf mich, den ich mit einem Schulterzucken beantwortete. Kyos nicht vorhandene Augenbrauen wanderten nach oben, doch ehe er nachhaken konnte, unterbach ein erneutes Fluchen unsere stille Konversation. „Wie lange geht das jetzt schon so?“ Kyo gab sich nicht einmal Mühe, leise zu sprechen oder auch nur ansatzweise seine Belustigung zu verbergen. Stattdessen beobachtete er mit einem Grinsen im Mundwinkel, wie unser Leader schlecht gelaunt die Strickanleitung hin und her drehte, als würde das irgendetwas besser machen. „Seit ich hier angekommen bin, auf alle Fälle. Vielleicht sitzt er schon die ganze Nacht hier. Ich weiß auch nicht recht, was ihn geritten hat.“ Kyo lachte leise. „Selbst auf seine alten Tage ist er immer noch für Überraschungen gut.“ „Ey, das hab ich gehört!“ „Solltest du auch. Schließlich ist es die Wahrheit.“ Kaoru knurrte undeutlich, ehe er die Nadeln mitsamt dessen, das laut seiner Aussage irgendwann einmal ein Pullover werden sollte, neben sich auf das Sofa warf und sich übellaunig durch die dunklen Haare fuhr. „Ich hatte es mir irgendwie einfacher vorgestellt.“ Interessiert betrachtete Kyo das Wollkunstwerk. „Und das stellt jetzt was nochmal dar?“ Ich antwortete leise für Kaoru, der gerade missmutig auf sein Werk starrte: „Er meinte, es wird ein Pullover.“ Kurz hielt unser Sänger inne, dann lachte er abermals. „Oh, da bist du aber meilenweit davon entfernt. Wenn du Glück hast, wird's eine Mütze. Oder ein Lappen.“ In mir regte sich leichtes Mitleid, als ich Kaoru so unglücklich auf dem Sofa hocken sah, umgeben von den Mühen der letzten Stunden. Es war ihm deutlich anzusehen, wie sehr das Ganze an seinem Stolz kratzte. Ich rang einige Sekunden lang mit mir, bevor ich mich schließlich erhob und zum Sofa hinüberging. „Lässt du mich mal sehen?“, fragte ich behutsam nach. „Womöglich kann ich dir ja helfen.“ Nur widerwillig drückte Kaoru mir sein Werk in die Hand. Er hatte wirklich noch einen weiten Weg vor sich. „Sag mal, Kaoru, warum hast du nicht mit etwas Einfachem angefangen? Beispielsweise einem Schal?“ „Hm… den kann ich aber nicht auf der Bühne tragen.“ Bestechende Logik… * Der nächste Tag verlief ähnlich, mit einem positiven Unterschied: Kaorus Strickwerk nahm allmählich Form an, nachdem ich ihm einige Tipps geben durfte. Allerdings erinnerte mich sein zukünftiger Pullover an den Kleiderschrank meiner Tante und damit leider auch an diese unsägliche Strickjacke, die wir ihm zum letzten Geburtstag geschenkt hatten. Und ich blieb skeptisch. Irgendwie passte das sowieso alles nicht zusammen – weder die sehr bunten Farben, dieses seltsame Muster, noch dass er überhaupt mit Stricken angefangen hatte. Wer hatte ihn bloß zu diesem neuen Hobby animiert? Ich glaubte kaum, dass unser vielbeschäftigter Leader da alleine drauf gekommen war. Unruhig zuckte mein Fuß, während die anderen mal wieder auf sich warten ließen. Ich hatte ein Deja-vu. Erneut saß ich in dem Sessel und beobachtete Kaoru beim Stricken. Inzwischen wirkten seine Bewegungen wesentlich routinierter, er fluchte weniger und auch das Sofa sah weniger wüst aus. Es ging voran. Allerdings nicht mit den Proben. Kyo und Die waren irgendwo im Haus verschollen, während unser Bassist anscheinend nicht einmal den Weg hierher gefunden hatte. Allmählich konnte ich nachempfinden, warum unser Leader sonst so brummig reagierte, wenn man ihn warten ließ. Es war, als hätten wir die Rollen getauscht. Während meine Laune kontinuierlich sank, machte Kaoru einen überraschend ruhigen Eindruck für seine Verhältnisse. Das Geräusch der Tür ließ mich aufblicken. Toshiyas Grinsen strahlte mir entgegen, beinahe hätte ich geblendet die Augen geschlossen. Aktuell machte er Die ziemliche Konkurrenz. „Guten Morgen.“ Dass es schon fast Mittag war, ließ ich unkommentiert, stattdessen nickte ich schweigend in seine Richtung. Es schien unseren gut gelaunten Bassisten nicht zu kümmern, er setzte sich ungefragt neben Kaoru auf das Sofa. Die letzte halbe Stunde war jener hochkonzentriert mit seinen Nadeln beschäftigt gewesen, doch nun wanderte seine Aufmerksamkeit weiter zu der kleinen Papiertüte, die Toshiya ungefragt vor seinen Füßen abgestellt hatte. „Oh, sind das etwa -“ „Genau. Ich hab den Wollvorrat meiner Mutter geplündert, damit dein Pullover so richtig schön bunt werden kann.“ Bei dem „richtig schön bunt“ zuckte ich innerlich zusammen. Schön war anders. Während die beiden in eine Diskussion über Wolle verfielen, kämpfte ich mit meiner Ungläubigkeit. Reichte es nicht, dass Kaoru plötzlich eine neue Leidenschaft für hässliche Pullis und Strickmuster entwickelte, und unsere Proben auf einen Schlag kürzer ausfielen als bisher? Ich hatte nie vermutet, dass ich das einmal sagen würde, aber ich vermisste die alten Zeiten. Also die von vor zwei Tagen. „Mensch, Shinya, du siehst gestresst aus“, riss mich Toshiyas Stimme aus meinen wehmütigen Gedanken. „Vielleicht solltest du auch mal mit Stricken anfangen.“ Entgeistert sah ich ihn an. „Wieso sollte ich?“ „Ich habe vorgestern Kaoru erst geraten, damit anzufangen, weil ich gehört habe, dass es entspannend und gegen drohenden Burnout helfen soll. Und nun, sieh ihn dir an, wie er strahlt. Es hat so schnell gewirkt.“ Als strahlend hätte ich Kaorus Gesichtsausdruck nun nicht tituliert, aber bitte. Dass das Ganze auf Toshiyas Mist gewachsen war, überraschte mich weniger, als es wohl eigentlich sollte. Seufzend strich ich mir eine Haarsträhne aus der Stirn, während ich beim besten Willen nicht wusste, was ich dazu noch sagen sollte. Aber Toshiya schien es wenig zu stören, denn er fuhr fort: „Außerdem ist es doch super praktisch, dass sich unser liebster Leader -“ Von Kaoru war ein Schnauben zu hören. „- nun endlich selbst mit warmer Kleidung versorgen kann. Dann heizt er auch den Proberaum nicht wieder bis ins Unendliche. Das dient alles unserem Allgemeinwohl.“ „Hey, im Winter darf man ja wohl noch heizen.“ „Schon, aber das heißt nicht, dass du den Raum hier in eine Sauna verwandeln sollst.“ „Ach, übertreib nicht. Das ist alles Empfindungssache.“ Das kleine Streitgespräch ging munter weiter, nicht mal das Eintreffen der beiden anderen unterbrach sie. Schlimmer noch: Die mischte sich ein. Irgendwann gingen sie sogar dazu über, bereits über Kaorus nächste Strickprojekte zu philosophieren, was mir schließlich zu viel wurde. Erstens hatte er gerade einmal die Rückenpartie und die Hälfte eines Ärmels geschafft und zweitens: Wo blieb die Arbeitsmoral? Hieß das etwa, wenn unser Leader entspannt war und mal etwas anderes als die Musik im Kopf hatte, dass es dann mit der Band bergab ging? Schweigend erhob ich mich und schlenderte bemüht ruhig zu meinem Schlagzeug hinüber, um wenigstens für mich alleine mit der Probe zu beginnen. Kyo schenkte mir ein schiefes Grinsen, ehe er sich auf meinen Platz setzte, um nun zu guter Letzt auch noch seine Meinung über die kommende Wintermode kundzutun. Also wirklich! Knurrend trat ich das Pedal der Bassdrum fester als sonst. Vielleicht sollte ich wirklich anfangen zu stricken. Dann könnte ich die anderen mit den Nadeln bewerfen. Wobei - Dies penetrante Lachen schallte durch den Raum und der Griff um meine Drumsticks wurde fester. Die Verlockung wurde größer, obwohl ich sonst nicht zu Gewaltausbrüchen neigte. Theoretisch brauchte ich die Stricknadeln gar nicht. Drumsticks flogen mindestens genauso gut, wenn nicht gar besser. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)