Wetterkapriolen von Charly89 ================================================================================ Kapitel 1: Sommer-Gewitter - Der große Drache --------------------------------------------- Es war dunkel und angenehm. Meine Gedanken waren weit weg im Traumland und ich schlummerte vor mich hin. Die Dunkelheit wurde heller, die Realität kehrte langsam zu mir zurück. Ich fühlte mich, meinen Körper. Offenbar wachte ich auf - oder war gerade dabei. Meine Augen waren immer noch geschlossen und ich lauschte angestrengt. Es war ruhig um mich herum. Irgendetwas hatte mich geweckt, nur was? Neben mir ging der gleichmäßige Atem meines Partners. Auch aus dem Nachbarzimmer war nichts zu hören. Mein Sohn schien auch tief und fest zuschlafen. Ich blinzelte leicht und schaute auf den Wecker. 4:03 Uhr. Ich drehte mich auf die andere Seite. Ich schlief normalerweise durch; ungewöhnlich dass ich mitten in der Nacht aufwachte. Neben mir schnarchte es kurz und mein Partner drehte sich ebenfalls. Scheinbar wurde sein Schlaf auch gestört, von was war mir immer noch unklar. Ich hob den Kopf um besser zu hören. Leise raschelten die Blätter der Birken, ansonsten nichts. Plötzlich erfüllten grelles Licht und Donnerschlag gleichzeitig das Schlafzimmer. Das Licht war so hell, dass ich kleine Sterne und Funken sah, trotz meiner geschlossenen Augen. Der Donner hallte nicht nur in meinen Ohren, nein, ich fühlte ihn auch. Die Luft bebte und in meinem Brustkorb vibrierte es. Nach einem Sekundenbruchteil war es wieder dunkel und still. Ich lauschte nach Nebenan. Immer noch war es still im Kinderzimmer. Mein Partner drehte sich erneut und schmatzte. Die Blätter wurden lauter, der Wind frischte scheinbar auf. Ich drehte mich und setzte mich an den Bettrand. Kurz sortierte ich meine Gedanken, wurde aber erneut von Licht und Grollen unterbrochen. Ich versuchte den Traum ab zuschütteln und schnappte mir meine Decke. Immer noch etwas schlaftrunken verließ ich das Schlafzimmer. Kurz sah ich nach meinem Sohn - er schlief friedlich. Während ich durch den Flur lief erhellt mir ein weiterer Blitz den Weg. Der Donner ließ einen Moment auf sich warten und klang angestrengt. Es klang, als müsste er sich mühsam in diese Welt quetschen. Ich legte mir die Decke um die Schultern. Im Wohnzimmer angekommen blieb ich kurz stehen und sah durch die Balkontür nach draußen. Wind aber kein Regen. Erneut wurde die Wohnung erleuchtet. Erneut grollte der Himmel wie ein wütender Drache. Ich öffnete die Tür und ging nach draußen. Der Wind war kräftig, aber nicht zu extrem. Ich rückte mir den Stuhl zurecht und setzte mich hin. Die Decke zog ich fest um mich und machte es mir bequem. Obwohl es Nacht war, waren die dicken und schweren Gewitterwolken zuerkennen. Es wirkte ein wenig, als würde der Himmel herunterfallen. Das ganze Ausmaß der Pracht wurde erst beim nächsten Blitz sichtbar. Die schwarzen Wolken leuchteten kurzzeitig auf. Hoch türmten sich die bedrohlichen Auswüchse und wirkten beinahe mystisch. Der Wind fauchte. Der Himmel knurrte und grollte. Ein Erlebnis, das einem klar machte, dass Mutter Natur ein lebendes Wesen war. Sie atmete, tobte und wütete. Blitze zischten zwischen den Wolken hin und her, erleuchteten die Festung am Himmel. Der Wind schien die Flucht anzutreten. Immer schneller bewegte er sich und riss an den Bäumen und Sträuchern. Müll eilte über die Straße und verschwand im Dickicht. Grell leuchtete es. Der Blitz war geradlinig und kräftig - so wie mein Sohn ihn vielleicht malen würde. Der Donner war ohrenbetäubenden und ließ das Haus gefühlt beben. Mein Herz klopfte vor Schreck wie wild und der Knall fiepte in meinen Ohren. Unregelmäßig erhellten sich die Wolken immer wieder, zeigten die Veränderungen der Wolkenstruktur, die mit den Entladungen und dem Wind einhergingen. Filigrane Blitze, weit verästelt, huschten immer wieder durch die Nacht. Neben mir wurde der zweite Stuhl zurecht gerückt. Wortlos setzte sich mein Partner dicht neben mich. Ich lehnte mich gegen seine Schulter und kuschelte mich an seine Seite. Gemeinsam betrachteten wir das Schauspiel am Himmel und lauschten Wind und Donner. Das Leuchten entfernte sich. Der Sturm ebbte ab. Das Grollen wurde leiser. Ich gab meinem Partner einen Kuss und erhob mich. Während er sich wieder in sein Bett legte, sah ich nochmal nach unseren Sohn. Zufrieden schlummerte der kleine Mann. Am Frühstückstisch erzählte er mir, dass er von einem Drachen geträumt hatte. Ein großer, schwarzer Drache, hoch oben im Himmel. Ein einziger Flügelschlag hatte einen Sturm verursacht, der Bäume entwurzelte. Das Brüllen war so laut und kräftig gewesen, dass die Erde bebte. Das Feuer, welches er spie, war hell und grell und weiß - nicht rot. Er erzählte, dass er den Drachen in die Flucht geschlagen hatte - wie ein mutiger Rittersmann. Ich wuschelte ihm durch die Haare und lächelte. Kapitel 2: Herbst-Nebel - Das weiße Nichts ------------------------------------------ Ich sitze in meinem Auto. Der Blick auf die Instrumententafel verrät das es 5:50 Uhr ist ... und das ich demnächst mal wieder tanken muss. Schlüssel ins Schloss und los. Der kleine Motor springt sofort an und ich fahre aus der Parklücke. Es ist Herbst, dementsprechend noch dunkel. Während ich meine Fahrt beginne schalte ich das Licht ein. Die Straße runter, um den Teich, auf die Hauptstraße usw. usw. bla bla. Jeden Tag das selbe, außer am Wochenende. Inzwischen bin ich auf der Schnellstraße. Es geht einen seichten Hügel hoch, unter der Autobahn durch und über die Ampelkreuzung. Wenn man einen Hügel hoch fährt, fährt man ihn auf der anderen Seite wieder runter. Nur das dieser Hügel auf der anderen Seite eher ein kleiner Berg ist. Die Straße liegt erhöht und man hat einen traumhaften Ausblick auf das Tal. Mein einziges Highlight am Tag, vom Feierabend mal abgesehen. Die Straße schlängelt sich an einem Schallschutz-Hügel vorbei. Gleich ist es soweit. Ich trete auf die Bremse. Die Räder blockieren und es quietscht. Was zum Teufel?! Fünf Meter vor mir hört die Straße auf, nein, die ganze Welt. Alles ist verschwunden - übrig ist eine weiße Wand des Nichts. Ungläubig starre ich nach vorn. Da ist nur Nebel - einfach nur Nebel. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Es sieht aus, als würde eine unsichtbare Macht den Nebel in Schach halten, als wäre mitten auf der Straße eine Grenze. Scheiße. Mein Auto ist alt. Die Beleuchtung ist entsprechend und Nebelscheinwerfer habe ich nicht. Noch dazu tummeln sich weiter unten gerne Wildschweine auf den Feldern und auch mal auf der Straße. Moah - und nun? Im Rückspiegel tauchen Scheinwerfer auf. Gute Scheinwerfer. Neue Scheinwerfer. Doch statt an mir vorbei zu fahren hält das wesentlich neuerer Auto hinter mir an. Gut, der/die/das Fahrer wird wahrscheinlich genauso dumm aus der Wäsche schauen wie ich. Ich warte ... und warte ... Ganze fünf Minuten vergehen. Wütend und frustriert schlage ich das unschuldige Lenkrad. Mein Auto ist stolze 15 Jahre alt, selbst bei normaler Dunkelheit ist die Lichtausbeute eher mäßig. Der Wagen hinter mir ist höchstens zwei Jahre alt - ich weiß das - Autos sind mein Steckenpferd. Außerdem hat der/die/das Vogel Nebelscheinwerfer! Ich atme tief durch und lege den Gang ein, irgendwie muss ich schließlich auf Arbeit. Langsam fahre ich an und werde kurze Zeit später verschluckt. Zack - weg ist die Welt. Einfach so. Langsam rolle ich den Berg hinunter - sehr langsam. Der Tacho zeigt 15 km/h. Angestrengt starre ich nach draußen. Weiß - einfach nur weiß. Rechts müsste die Leitplanke sein - ist sie mit ziemlicher Sicherheit auch, aber ich sehe sie nicht. Selbst der Mittelstreifen ist kaum zu erkennen. Das Auto mit der besseren Beleuchtung fährt mir nach - für meinen Geschmack mit zu wenig Abstand. Ich seufze und konzentriere mich wieder nach vorn. Nebel, ein halber Meter Straße - sonst nichts. Mein Herz rast und ich schwitze. Unsicher verlangsame ich meine Geschwindigkeit. Im Schneckentempo kriechen wir die Straße entlang. Ich muss unwillkürlich an Stephen King denken. 'Der Nebel'. Ich mochte das Ende vom Film irgendwie mehr, obwohl es erheblich grausamer war. Dafür war die Stimmung im Buch besser. Wir schleichen an der Ortschaft vorbei, während ich ein wenig vor mich hin sinniere. Noch etwa zwei Kilometer und ich habe den tiefsten Punkt erreicht. Meinen persönlichen Tiefpunkt habe ich schon. Grausame Szenarien flitzen durch meinen Kopf, befeuert durch die Gedanken an das Buch bzw. den Film. Irgendwie bin ich froh über das Auto hinter mir. Zumindest bin ich nicht ganz alleine, denn das wäre noch viel schlimmer. Ich habe das dringende Bedürfnis anzuhalten. Meine Nerven sind zum zerreißen gespannt, meine Arme und Hände schmerzen durch meine verkrampfte Haltung und meine Augen brennen durch das unheimlich 'zurück leuchten' des Nebels. Anderer Seits will ich endlich zurück in die Welt. Ich will Bäume sehen, Felder, Häuser - irgendetwas. Langsam geht die Straße wieder aufwärts. Inständig hoffe ich, dass der Nebel sich nicht schon der anderen Seite des Hügels bemächtigt hat. Und ich habe Glück. Die Leitplanke taucht rechts langsam auf und aus dem halben Meter vor meinem Auto wird auch allmählich mehr. Schlagartig ist die Welt wieder da - einfach so, als wäre nichts gewesen. Unfassbar! Ich sehe in den Rückspiegel und sehe das selbe, wie vorhin als ich in den Nebel hinein gefahren bin. Straße und dann eine weiße Wand. Ich schnaufe erleichtert und beschleunigen. Der Wagen hinter mir auch, er setzt den Blinker und überholt mich. Fassungslos starre ich dem Auto nach. Fassungslos und wütend. Erst versteckt er/sie/es sich hinter mir und jetzt mit den Muskeln spielen. Das darf doch nicht wahr sein! Ich schlage erneut das arme Lenkrad und brülle ungehört, dass er/sie/es ein verdammtes Gesäß ist und nicht mehr das gesamte Porzellan im Küchenschrank hat. Kapitel 3: Frost - Mystischer Morgen ------------------------------------ „Steh‘ endlich auf!“ Mit einem kräftigen Ruck ziehe ich die Decke weg. Zum Vorschein kommt mein verschlafener Sohn, der mich mürrisch anblinzelt. „Gleich“, nuschelt er und reibt sich die Augen. „Nein! Jetzt!“ Tatsächlich stehe ich bereits zum fünften Mal hier – innerhalb von 30 Minuten. Die Uhr rennt gnadenlos und zeigt bereits 6:10 Uhr. Wir müssen endlich los. Normalerweise hätten wir noch zehn Minuten, aber die Nacht war kalt und ein Blick aus dem Fenster hat mir bereits verraten, dass scheibenkratzen angesagt ist. „Los!“, fauche ich und Sohnemann setzt sich endlich auf. Ich gehe zurück ins Wohnzimmer und lege (die nette Umschreibung für: Ich schmeiße genervt) seine Klamotten auf die Couch. Junior geht auf Toilette und kommt dann angetrabt. Tja, heute halt Schnelldurchlauf; nur Katzenwäsche, kein Frühstück – selber Schuld, so einfach ist das. Kind zieht sich nicht ganz selbstständig an. Manchmal vermute ich ja, dass er extra so spät aus dem Bett kommt, weil er weiß, dass ich ihm dann beim Umziehen helfe. Jacke, Mütze, Handschuhe – Schulranzen und mein Körbchen, auf geht’s. Schuhe vor der Tür angezogen, Wohnung abgeschlossen und ab die Treppe hinunter. Haben wir auch alles? Ich bin mir unsicher. Es geht zur Haustür hinaus. Dunkelheit und Kälte schlagen uns entgegen – was für ein wunderbarer Montagmorgen. „Woah ist das kalt.“ Junior bleibt unvermittelt stehen und ichbrenne ihn fast über den Haufen. Ja, es ist kalt; stell‘ dir vor, es ist fast Winter. Also manchmal … „Ja, deswegen solltest du dich beeilen.“ Was ich dir auch gesagt hatte – mehrfach. Ach, vergiss es einfach. Wir kommen am Auto an, alle Scheiben hübsch milchig-weis – toll. Ich starte den Motor, schalte die Klima an und drehe die Lüftung hoch. Mir egal, dass man das nicht soll. Ehrlich, ich frage mich wie Andere das machen; wenn ich die Scheiben freikratze, ohne das die Lüftung bereits läuft, beschlägt die Frontscheibe sofort, wenn ich das Auto starte und losfahre. Motor läuft, Ranzen und Körbchen landen im Kofferraum, Eiskratzer eins und zwei werden heraus geholt und das fröhliche Kratzen geht los. Sohnemann macht sein Fenster auf der Beifahrerseite hinten, ich das Gegenüberliegende; was mich als Fahrer eigentlich so gar nicht interessiert. Warum? Weil das Kind sich sonst beschwert, dass es auf der Seite nicht nach draußen schauen kann – auf dem Weg zum Hort – die unfassbar langen vier Minuten; so viel dazu. Fertig. Ritze ratze. Seitenscheibe Fahrer – Kind ist immer noch mit seiner beschäftigt. Fertig. Frontscheibe, die mal wieder mehr als bescheiden geht. Ritze ratze. Ich wechsle die Seite. Ritze ratze. Kind ist übrigens immer noch … egal. Fertig. Seitenscheibe Beifahrerseite. Ritze ratze. Fertig. „Ich mach den Rest.“ „Nein.“ Ich brodle, was wohlige Wärme auf meinen Wangen verursacht, nicht unbedingt etwas Schlechtes, bei -2°. Ritze ratze. Die halbe Scheibe geschafft. „Ich helfe …“ „Nein.“ Ritze ratze. Koch und Brodel. Ritze ratze. Koch und Brodel. „Fertig.“ Sohnemann strahlt und atme tief durch. Ab ins Auto und los – im halben Blindflug, weil die Frontscheibe immer noch zur Hälfte beschlagen ist. Wie gesagt, ich frage mich wie Andere … Am Hort angekommen steigen wir aus. Ranzen aus dem Kofferraum geholt und los. Die Uhr scheint es heute aber auch besonders eilig zu haben. „Woah! Schau mal, Mama! Wie das glitzert!“ Mein Kind steht völlig fasziniert vor der Wiese, die neben dem Weg ist. Die Straßenlaterne beleuchtet den kleinen Grünstreifen und lässt die Eiskristalle funkeln. Einen Moment stehen wir da, Kälte und morgendlichen Stress vergessend, und betrachten das Glitzern und Funkeln des Frosts. Kleine Diamanten die im warmen Licht um die Wette scheinen und der Dunkelheit des Morgens etwas Magisches verleihen. Ja, ich muss gestehen, es sieht wirklich toll aus. „Morgen.“ Erschrocken zucke ich zusammen. Ein Vater, der sein Kind in die Kita bringt, reißt meinen Sohn und mich aus unserer Faszination. „Morgen“, grüße ich zurück. Noch einmal sehe ich mir die glitzernde Wiese an. „Wir müssen“, flüstre ich, nehme meinen Sohn an die Hand und setze mich in Bewegung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)