Nevermore von Yuugii (【Dazai center】) ================================================================================ Kapitel 1: Nevermore -------------------- Es ist vier Uhr morgens. Er kann nicht schlafen. Er wälzt sich hin und her, verzweifelt versucht er, ein Auge zuzutun, doch der erholsame Schlaf kommt einfach nicht. Das Herz, es rast unaufhörlich. Sein Kopf droht zu zerplatzen. Die Gedanken hören nicht auf. Sie fesseln ihn. Machen ihn machtlos, zeigen ihm, wie schwach er wirklich ist, dass jedes Lächeln, das er aufsetzt, nichts weiter ist, als eine Lüge. Eine schöne Illusion. Ein Leben im Licht. Auf der richtigen Seite. Anderen Menschen zu helfen ist die richtige Entscheidung. Allein das sollte doch ausreichen, um ihm Kraft zu geben. Kraft, um am nächsten Tag voller Elan aufzustehen. Kraft, um ein Lächeln aufzusetzen. Kraft, um an die Zukunft zu denken.     Doch es reicht nicht. Wird es jemals reichen? Knurrend setzt er sich auf und schiebt die Decke von sich, starrt stattdessen gedankenverloren auf seine Hände. Er sieht das Blut. Er sieht die Sünden, die er begannen hat. Ganz egal, wie weit er läuft, sie holen ihn ein. Diese negativen Gedanken, die ihn bewegungslos machen. Bilder der Vergangenheit. Er weiß, dass er wach ist. Das hier ist sein Zimmer. Sein Futon. In der Ecke des Raumes steht ein kleiner runder Tisch, auf dem zahlreiche Sake Flaschen stehen. Die Flaschen sind leer. Vielleicht ist das der Grund für seine Schlaflosigkeit. Er streicht sich einige verirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht.     Sein Blick wandert im Raum herum. Die Deckenlampe ist sehr alt und auch wenn er sie nicht so gut sehen kann, weiß er ganz genau, dass sie bereits Rostflecken hat. Die Glühbirne sitzt locker. Immer wieder geht das Licht aus oder flackert. Doch sie fehlt. Die Kraft, aufzustehen und diese kleine Glühbirne festzuschrauben. Ein tiefer Seufzer entweicht seiner Kehle und er beißt sich frustriert auf die Unterlippe.     Es sollte doch so einfach sein, aufzustehen, das Licht anzuschalten und den Tag zu beginnen, aber sein Körper rührt sich nicht. Er ist wie gelähmt. Die Kraft, den Tag zu beginnen, fehlt ihm einfach. Vielleicht sollte er sich ein paar Tabletten einwerfen? Die Pillen helfen ihm durch den Tag, sie lassen ihn vergessen, wie schlecht es ihm geht, wie ausweglos seine Situation ist und wie sehr das Licht dieser Welt sein Wesen verbrennt.     Aber er kann sie nicht finden, die Kraft aufzustehen. Also bleibt er sitzen. Vollkommen bewegungslos. Die Sonne geht auf und flutet das Zimmer mit dem warmen Strahlen. Trotzdem fühlt er sich nicht motiviert. Er lässt sich zurück in seinen Futon fallen. Das Gefühl versagt zu haben, drängt sich ihm auf. Wie kann es sein, dass es ihm so unglaublich schwer fällt, aufzustehen und den Tag zu beginnen? Stattdessen betrachtet er die Decke, die abblätternde Tapete an der Wand und die Farbe, die überall Risse aufweist. Sein Kopf ist leer.     Plötzlich ist da wieder diese Müdigkeit. Jetzt ist er so müde, dass er endlich einschlafen kann. Aber in seinem Traum ist nichts weiter als Finsternis. Das Gefühl von Schuld. Er hat so viele Sünden begannen. Das Leben anderer zerstört. Und Freunde verloren. Odasaku ist nicht mehr hier. Niemand, der ihn motiviert, aufzustehen. In seiner Lieblingsbar Lupin wartet niemand mit einem Glas Whiskey auf ihn. Dabei war das einer der schönsten Momente in seinem Leben. Ein Highlight. Etwas, das seinen niederschmetternden Alltag aufwertete und ihm etwas gab, worauf er sich freuen konnte.     Er wacht panisch auf. Das Gefühl in Fesseln gelegt zu sein ist wieder da. Ruckartig setzt er sich auf, starrt auf seine Hände. Die Verbände sind mit Blut durchtränkt. Blut. So viel Blut. Überall Blut. Er sieht nur noch Rot. Er versucht das Blut abzuschütteln. Aber es tropft von den Wänden und bildet Pfützen am Boden. Der Boden unter ihm ist nichts weiter mehr als ein Meer aus Blut. Von einem Moment zum nächsten, steht er kerzengerade in seinem Zimmer. Die Sonne steht genau so, dass die wenigen Möbel in seinem kleinen Zimmer Schatten werfen. Und er fürchtet sie. Diese Schatten, die sich zu bewegen scheinen und ihm wehtun wollen. Er fürchtet vor allem ihn: seinen eigenen Schatten.     Er schreit, denn der Schatten kommt näher.     „Verschwinde! Geh weg!!“, brüllt er verzweifelt. Der Schatten verschwindet nicht.     Ängstlich fällt er auf seinen Hintern, robbt über die dreckigen Tatamimatten und drückt seinen Körper gegen die Wand. Die Schatten tanzen. Sie lachen über ihn. Sie sehen, wie erbärmlich versucht, ein neues Leben zu beginnen. Ein neues Leben? Weg von der Port Mafia? Weg von Mori Ougai? Den Mann, den er über alles geliebt hatte, der den Mittelpunkt seiner Welt darstellte?     Eine verzerrte Darstellung der Realität, eine geradezu krankhafte Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit und die Manipulation seiner eigenen Gedanken. So sehr wollte er daran glauben, dass dieser Mann ihn wirklich brauchte und dass er an seiner Seite etwas finden würde, dass das tiefe, dunkle Loch in seinem Herzen füllen würde. Die Autorität, die von Mori ausging, hatte seinen Verstand vernebelt. Ohne zu hinterfragen, tat er alles, was man ihm auftrug. Verzweifelt auf der Suche nach etwas, das seinen kaputten Geist daran hindern würde, komplett zu zerbrechen. In einer Welt, in der jeder sich selbst der nächste war. In einer Welt, in der es nur eine Regel gab: Töte oder werde getötet.     Wie ein kleines Kind zieht er seine Beine näher an sich heran, drückt seinen Kopf gegen seine Knie und versucht die Umgebung auszublenden. Aber das Gefühl, nichts wert zu sein und all das Schlechte, das ihm widerfährt, verdient zu haben, bleibt. Dazai Osamu weiß, dass er Abschaum ist. Er verdient es nicht besser. Er ist kein Mensch. Disqualifiziert. Abartig. Ein Monster. Und er fürchtet es: dieses Monster in ihm. Der Schatten der Vergangenheit, den er abzuschütteln versucht und der ihn immer und überall hin folgt. Diese schwere Päckchen lässt sich nicht abschütteln. Es lastet auf seinen viel zu schmalen Schultern. Doch er ist nichts weiter als ein ekelhafter Mensch, ein Mörder, der über Leichen geht, für seinen eigenen Vorteil.     Er weiß, dass er schrecklich egoistisch ist. Manipulativ. Grausam. Seine Neigung zur Gewalt, gegen sich selbst und andere. Boshaftigkeit. Er weiß, dass das alles schlecht ist. Aber er kann nicht anders. Denn so war sein ganzes Leben bisher. Niemand kann wählen, wer er ist, in dieser Welt. Ein jeder wird in diese Welt geboren und die Rolle, die man spielt ist vorbestimmt. Er fühlt sich ungeliebt. Fürchtet die Nähe der anderen Menschen, von denen er ganz genau zu wissen meint, dass sie ihm nur schaden wollen. Die Freundlichkeit seiner Kollegen ist wie ein mit Gift benetzter Pfeil, der sich in sein Herz bohrt. Der Schmerz im ersten Moment ist unerträglich, doch er ist auszuhalten, dann beginnt das Gift zu wirken. Sein Körper ist wie gelähmt. Er kann nur zusehen, hilflos und er weiß ganz genau, was geschehen wird. Denn wie kann es auch anders sein?     Sein Herzschlag wird immer lauter und hallt in seinen Ohren wider. Ihm wird übel. Seine Fingerspitzen sind taub und kribbeln gleichzeitig. Sein Körper ist gelähmt. Verzweifelt will er weglaufen, kann aber nicht. Das einzige, was bleibt, ist die Angst und das Wissen darüber, was geschieht und was er nicht verhindern kann. Und Freundschaften, nein menschliche Beziehungen als ganzes, verlaufen ähnlich. In dem Moment, in dem er sein wahres Wesen zeigt, seine zerbrechliche und ängstliche Seite, werden die Menschen ihn ausnutzen und manipulieren. Oder sie lassen ihn fallen, belächeln sein Leid. Am Ende ist er wieder allein. Allein mit sich selbst, die Person, die er am wenigsten leiden kann und seinen Ängsten.     Und obwohl er doch so genau weiß, dass diese Bindung zu seinen Kollegen nicht halten wird und dazu verdammt ist, eines Tages zu zerbrechen, hängt er an ihr. Er will sie nicht missen. Diese Menschen, die ihn trotz seiner morbiden Witze und suizidalen Neigungen noch immer nicht satt haben und seine fachliche Kompetenz nicht infrage stellen. Er will bei ihnen bleiben. Er will ein neues Leben beginnen, alles hinter sich lassen und von vorne beginnen, doch dieser Schatten, er selbst, verschwindet nicht. Ganz egal, wo er hin geht, dieser Schatten folgt ihm. Er wünscht so oft, jemand anders zu sein. Seine Gedanken zu löschen, seine Vergangenheit aus dem Konstrukt der Zeit zu löschen, aber das ist ihm nicht möglich. Egal, wo er hingeht, Dazai Osamu geht mit.     Der Schatten kommt näher. Sein ganzer Körper schmerzt. Ein lauter Schrei entweicht seiner Kehle. Ist es der Frust? Wut? Angst? Eine Mischung aus allem? Er weiß es nicht.     Und plötzlich ist es still, da sind Tränen, die über seine Wangen laufen und er sieht die Rasierklinge auf dem kleinen Tisch, das nur wenige Zentimeter von ihm entfernt ist. Alles wird ruhig. Das ist seine Lösung, wenn nichts anderes mehr hilft. Ein Schnitt. Zwei Schnitte. Das aufkommende Blut betrachtet er fasziniert und die quälenden Gedanken und der Schatten sind mit einem Mal weg. Sein Kopf ist plötzlich leer. Ein Moment der Klarheit in diesem Chaos. Impulsivität und Instabilität. Zwei Eigenschaften, die ihn seit seiner Kindheit verfolgen. Es hilft ihm, sich selbst zu verletzen, um die extreme innere Anspannung abzubauen. Also fügt er sich Schmerzen zu.     Dazai Osamu hasst Schmerzen. Aber er liebt sie auch. Er umarmt sie mit offenen Armen, denn sie sind eine Konstante, die immer gleich bleibt. Die Rasierklinge flitzt über seinen Arm, aber es braucht länger, bis der Schmerz in seinem Gehirn ankommt. Die Katastrophen Kartographie auf seinen Armen ist ein Mahnmal. Die Narben auf seinen Armen sind nur ein Teil des Schreckensbildes auf seinem Körper. Überall trägt er Narben. Die Erinnerungen an Folter verfolgen ihn jede Nacht. Er spürt, wie das heiße Eisen seine Haut schmilzt und er ist bewegungslos. Ein Schlag mit der Eisenstange gegen seinen Kopf, das aufkommende Blut vernebelt ihm die Sicht.     Sein rechtes Auge hat er so verloren.     Atmen. Ruhig atmen. Das einzige, worauf er sich konzentriert, ist seine Atmung. Den Kopf abschalten und dem Herzschlag horchen. Das Rauschen in den Ohren ist unerträglich. Die Peitschenschläge, die ihn treffen, hallen im Keller wieder und die Stimme des Täter dringt zu ihm, verlangt Informationen preiszugeben, von denen Dazai genau weiß, dass er sie niemals über die Lippen bringen wird. So wurde er trainiert. Seit seiner Kindheit hat sein Vater, der ehemalige Boss der Port Mafia, darauf geachtet, ihm sein Schmerzempfinden abzutrainieren. Ihn abzustumpfen, damit er niemals Informationen weiter gibt, sollte er gefangen genommen werden.     Dazai wurde oft gefangen genommen. Die Angst vor dem Schmerz selbst, ist meist größer als der Schmerz selbst. So sehr er Schmerzen verabscheut, genauso sehr ersehnt er sie, denn dieses Gefühl ist ein Teil seines Alltags. Dazai Osamu ritzt sich, es ist eine Art Emotionsregulierung und verschiebt seine Schmerzschwelle.Es ist die einzig wirksame Strategie, um mit seinem Leben und all den unterdrückten Emotionen und seinen verdrängten Traumata umgehen zu können.     Der Raum um ihn ist wieder normal. Der Blutverlust lässt ihn zurück in der Realität ankommen. Das Blut von den Wänden und das niemals endende Meer unter ihm sind weg, alles ist wieder normal. Nur Kraft fehlt ihm immer noch. Also bleibt er sitzen und betrachtet gebannt, wie das Blut seinen Körper verlässt und wie sein Herzschlag sich verlangsamt. Wie in Trance starrt er auf seine Unterarme. Keine Kraft.     Das laute Donnern gegen seine Tür hört er nicht. Alle Geräusche sind gedämpft. Es geht ihm besser und endlich kann er schlafen.       ___________________       Als er seine Augen aufschlägt, merkt er schnell, dass er nicht in seiner Wohnung ist. Er blinzelt ein paar Mal. Ein Krankenhauszimmer. Der sterile Geruch weckt Erinnerungen. Die helle Umgebung schmerzt in seinen Augen. Schnell, die Augen wieder schließen. Er spürt ein sanftes Streicheln über seinen Handrücken. Kurz zuckt er zusammen und öffnet seine Augen wieder. Einer seiner Kollegen sitzt neben ihn und hält seine Hand, sieht ihn unentwegt an. Es ist Kunikida Doppo. Eigenartig. Er schreit nicht. Seine Gesichtszüge sind merkwürdig ruhig und Dazai ist sich nicht ganz sicher, meint aber so etwas wie Furcht in seinen Augen erkennen zu können.     Kunikida sagt nichts, hält einfach nur wortlos seine Hand und betrachtet den Brünetten.     Dazai wagt es nicht, etwas zu sagen. Was soll er sagen? Tut mir leid. Kommt nicht wieder vor. Beides Lügen. Sie alle wissen, dass das hier weder das erste, noch das letzte Mal gewesen sein wird, dass Dazai aufgrund seiner selbstverletzenden Tendenzen im Krankenhaus landet. Dazai überlegt für einen Moment. Das wievielte Mal ist das jetzt? Das fünfte Mal? Vielleicht. Er zählt schon lange nicht mehr und Kunikida scheint es aufgegeben zu haben, ihn zurechtzuweisen.     Es ist ein kleines Geheimnis zwischen den beiden Kollegen. Obwohl Dazai in einer schlechten psychischen Verfassung ist, hinterfragt niemand seine fachlichen Kompetenzen. Dazai ist überdurchschnittlich intelligent und weiß genau, was im Rahmen seiner Fähigkeiten liegt. Pläne und Strategien, das sind Dinge, die er seit frühster Kindheit verinnerlicht hat. Genauso wie Schmerz und diesen zu ertragen, sogar anzunehmen und als Flucht aus der Realität zu akzeptieren.     Kunikida erträgt die Stille nicht.     „Idiot“, grummelt er und versucht dabei mahnend zu klingen, aber Dazai hört seine Sorge heraus.     „Kunikida-kun“, murmelt er und überlegt, ob er sich doch für die Unannehmlichkeiten entschuldigen soll, entscheidet sich schnell dagegen, denn sie beide wissen, dass es ihm nicht leidtut. Eine Entschuldigung wäre einfach nicht ehrlich und würde eine falsche Realität erschaffen, eine Illusion einer Welt, in der sein Schatten ihm nicht folgt. Aber Dazai kann sich selbst nicht zurücklassen, egal, wo er hingeht, seine Persönlichkeit und seine Psyche ändert sich nicht.     „Ich habe dir hundert Mal gesagt, dass du mich anrufen sollst, wenn du Hilfe brauchst!“, schimpft der Blonde und sein kleiner Zopf sieht aus wie ein Blitz, geladen mit Energie. Dazai fragt sich, wo Kunikida diese Energie her nimmt. Er hätte sie auch gerne. Diese Energie, diese Kraft, aber das einzige, was er erübrigen kann, ist ein müdes Lächeln.     „Ich weiß“, seufzt Dazai und hasst sich selbst umso mehr dafür, dass er nicht in der Lage ist, die Hilfe anderer anzunehmen. Hasst so sehr, wie erbärmlich er ist. Hasst, was aus ihm geworden ist.     „Ich will nicht mit dir schimpfen. Du bist nicht in der Verfassung, um dir meine Lektionen anzuhören“, sagt er und zückt sein Notizbuch hervor, schreibt etwas nieder. Dazai fragt sich, was er da schreibt. Soll er fragen? Nein. Er weiß bereits, dass Kunikida nicht antworten wird.     Dazai sagt nichts. Kunikidas Herz schnürt sich zu, denn sein brünetter Kollege, der sonst immer lacht, dumme Sprüche parat hat und nichts ernst nimmt, ist in einer unglaublich schlechten Verfassung. Kunikida erinnert sich nur ungern an ihre erste Begegnung. Dazai Osamu hat den wohl denkbar schlechtesten Eindruck hinterlassen, den ein Mensch hinterlassen konnte. Zunächst wollte Kunikida daran glauben, dass es dessen jugendliche Naivität war, ein Form der Rebellion und der Wunsch nach Aufmerksamkeit. Lange Zeit hatte Kunikida geglaubt, dass die Bandagen nur Zierde waren, um das Interesse von Frauen zu wecken.     Dazai umgibt stets eine mysteriöse Aura, er ist ein Geheimnis und niemand kann ihn ergründen. Es gab zahlreiche Momente in ihrer beruflichen Laufbahn, wo Dazai ihm Ärger machte. Aber Kunikida hatte gelernt, mit seinem schwierigen Charakter umzugehen. Ein Ölfass, das an einer Stelle auftauchte, wo es nichts zu suchen hatte? Dazai tauchte immer wieder aus dem Nichts aus, grinsend, lachend und ergötzte sich unheimlich daran, wenn er Kunikida einen Schreck einjagen konnte.     Dazai nahm alles wortwörtlich. Du bist so eine Nervensäge, ich wünschte, du würdest im nächsten Fluss absaufen! Und schon sprang der Brünette von der Brücke, sehr zu Kunikidas Erschrecken, der einfach nur seine Laune rausließ.     Es ist nicht einfach gewesen, zu lernen, den Brünetten zu durchschauen. Wenn er eines gelernt hat, dann, dass Dazai Osamu ein extrem wankelmütiger Mann ist und er selbst am wenigsten weiß, mit seiner Persönlichkeit umzugehen. Der Doktor sagte, dass Dazai psychisch krank sei und als Kunikida verstand, was diese Krankheit bedeutete, wurde er achtsamer.     In einer guten Phase lacht Dazai viel. Er macht Witze, Späße und ist voller Elan.     Aber eine schlechte Phase ist er gefährlich. Er lächelt wenig, liegt faul an seinem Arbeitsplatz herum und hört Musik, geht seinen Kollegen und Gesprächen aus dem Weg. Er gibt spitzzüngige Bemerkungen von sich und kämpft krampfhaft darum, nichts durchsickern zu lassen.     „Hast du deine Medikamente genommen?“, fragt Kunikida dann und schiebt seine Brille hoch.     „Kunikida-kun macht sich Sorgen?“, kichert Dazai und grinst verschmitzt.     „Wechsel nicht das Thema, sondern antworte mir.“     „Ich habe sie genommen“, meint Dazai nur und zuckt desinteressiert mit den Schultern.     „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.“     Dazai sagt daraufhin nichts, sondern senkt nur den Blick.     „Ich will dir gerne helfen“, fügt der Blonde hinzu.     „Du kannst mir nicht helfen. Niemand kann das“, flüstert Dazai frustriert und zieht nun seine Hand weg. Die Wärme, die von Kunikidas Hand ausgeht, fehlt und macht ihm bewusst, dass diese Kälte, die er empfindet, sein Schicksal ist.     „Das weiß ich. Du bist unbelehrbar. Der einzige, der dir helfen kann, bist du selbst und solange du das nicht verinnerlichst, wird es dir niemals besser gehen. Ich, nein, wir alle können dich unterstützen und sind gerne für dich da, aber wenn du uns weiterhin von dir stößt, wird es dir niemals besser gehen.“     Kunikidas Worte tun weh. Sie schmerzen mehr als die Rasierklinge.     „Es tut mir leid“, murmelt Dazai, ist nicht in der Lage aufzusehen.     „Du sagst zwar, dass es dir leidtäte, aber wir beide wissen, dass eine Entschuldigung aus deinem Mund nichts wert ist.“     Kunikida ist streng und erbarmungslos. Dazai will weglaufen.     „Und ich nehme dir das nicht übel. Ich weiß, dass du nichts für deine Krankheit kannst. Ich wünsche mir aber dennoch, dass du endlich den ersten Schritt machst.“     „Und... was ist der erste Schritt?“ giftet Dazai zurück und beißt sich auf die Unterlippe, hasst sich selbst noch mehr und wünscht sich, im Erdboden zu versinken. Warum lässt er seine schlechte Laune an Kunikida aus? Den Mann, der sich die Mühe gemacht hat, ihm zu helfen und ihn ins Krankenhaus zu bringen? Er hat es so satt. Sich selbst. Seine Unfähigkeit die Hilfe seiner Kollegen anzunehmen.     Kunikida schüttelt den Kopf und steht auf, bringt dem Brünetten ein Glas Wasser.     „Trink das hier“, meint er nur, aber Dazai kneift nur die Augen zu und schüttelt vehement den Kopf.     „Du musst etwas trinken, du hast viel Blut verloren“, kommt es stoisch von dem Blonden.     Kunikidas Brillengläser werden von den Neonlampen im Zimmer bestrahlt, so dass Dazai ihm nicht in die Augen sehen kann. Warum gibt sein Kollege nicht endlich auf? Es wäre doch so viel einfacher, ihn aufzugeben und aus der Detektei zu werfen. Irgendwann werden sie ihn satt haben. Dazai fürchtet diesen Tag. Fürchtet die schmerzhaften Worte des Präsidenten, der ihm mit fester Stimme sagt, dass er sein Grundstück verlassen soll. Dieser Tag wird kommen. Vielleicht nicht heute, nicht morgen, aber irgendwann. Dies ist die einzige Konstante in Dazais Leben – die Menschen lassen ihn im Stich, das wird sich auch niemals ändern.     Bei dem Gedanken zittert sein Körper unaufhörlich.     „Was auch immer du dir in deinem Kopf ausmalst, hat nichts mit der Realität zu tun“, sagt Kunikida dann und stellt das Glas auf dem kleinen Tischchen neben Dazai ab, achtet dabei sehr darauf, seinem Kollegen nicht zu nah zu kommen. Dazai scheint körperliche Berührungen zu verabscheuen. Er hat Angst vor Nähe. In einer guten Phase sucht Dazai von sich aus nach Nähe, aber in einer schlechten Phase ist eine Berührung der Schulter für ihn zu viel.     Etwas hat sich geändert. Bis vor einem Jahr hätte Kunikida seinem Kollegen gesagt, er solle sich zusammenreißen. Du bist nicht der einzige, der es schwer hat! Alle haben Probleme, also hör auf dich selbst zu bemitleiden! Du musst einfach nur deine Einstellung ändern und dich zusammenreißen. Du willst doch nur Aufmerksamkeit und von Frauen umschwärmt werden!     Alles so viel einfacher gesagt, als getan. Vorwürfe zu machen, ist einfacher, als das große Ganze zu sehen. Denn, wenn Kunikida eines verstanden hatte, dann, dass Dazais Krankheit eine Konstante war. Yosano hatte ihn gewarnt, ihm gesagt, dass er mit seinen unüberlegten Aussagen, Dazais Zustand nur verschlimmere, also hatte er gelernt, sich zurückzuhalten. In seiner Freizeit hatte er sich mehr mit dem Thema Depression beschäftigt und darüber hinaus über Dazais Borderline Syndrom gelernt. Je mehr er dazu lernte, desto schwieriger fiel es ihm, ihm Vorwürfe zu machen.     „Bist du wütend auf mich?“, fragt Dazai mit leiser Stimme.     „Nein, bin ich nicht.“     „Das solltest du aber.“     „Unsinn.“     „Du solltest mich hassen, das wäre viel leichter für uns beide.“     „Du bist mein Partner und ein Teil der Detektei.“     „Aber das heißt nicht, dass du mich bemuttern solltest. Ich meine... hast du nicht genug davon? Von mir. Immer mache ich dir Ärger und obwohl ich schon 22 bin, kriege ich nichts in meinem Leben auf die Reihe.“     „Und?“     „Kunikida-kun sollte gehen und mich zurücklassen. Das wäre einfacher.“     „Warum? Damit du dir einreden kannst, dass das sowieso passiert wäre? Dass es normal für Menschen ist, sich in Zeiten der Not im Stich zu lassen und sich selbst zu schützen? Seit ich weiß, dass du aus der Port Mafia kommst, ist mir eines klar geworden.“     „Und das wäre?“ Dazai ist neugierig und legt den Kopf leicht schief.     „Dass du noch ein Kind bist. Du hast nie gelernt, mit deinen Gefühlen umzugehen und du hast noch eine ganze Menge zu lernen. Du und Atsushi... und auch Kyouka, ihr alle müsst noch lernen, was es bedeutet erwachsen zu sein und eure Vergangenheit zu bewältigen.“     „Ich bin kein Kind!“     „Genau das würde nur ein Kind sagen“, sagt er und grinst dabei breit, leicht amüsiert.     „Du brauchst Hilfe und musst dich deiner Vergangenheit stellen, sie hinter dir lassen und endlich nach vorne gehen. Aber diese Entscheidung kann niemand für dich machen, das ist etwas, das du wollen musst. Wenn du sagst, dass du das willst, werde ich alles Erdenkliche tun, um dich auf deinem Weg zu unterstützen. Nicht nur ich. Wir alle.“     Plötzlich wurde die Tür geöffnet und Fukuzawa stand unter dem Türrahmen, sein Blick war hart und seine Haltung autoritär.     „Shachou!“, sprudelt es aus Kunikida hervor. Eine leichte Verneigung.     Dazai ist sich sicher, dass er gekommen ist, um ihm zu sagen, dass er seinen Spind ausräumen und die Detektei endgültig verlassen soll. Das wäre das Beste für alle. Er senkt frustriert den Blick und wünscht sich, es gäbe einen Knopf, den er einfach nur drücken braucht, um seine Existenz zu löschen.     Fukuzawa kommt näher und legt behutsam eine Hand auf Dazais Kopf. Er spürt, dass Dazais Fähigkeit sich aktiviert und ihn aussaugt. Eine Fähigkeit, die immer aktiv ist und seinem Träger all seiner Energie beraubt. Kein Wunder, dass er immer so müde zu sein scheint, denkt der Silberhaarige und streichelt sanft über Dazais Kopf.     „Wir alle stehen hinter dir. Ich erwarte nicht, dass du das alleine schaffst.“     „Shachou“, haucht Dazai kraftlos und fragt sich, ob er diese Leute überhaupt verdient hat. Warum sind sie alle so nett zu ihm und bleiben bei ihm, wo er doch nur Fehler macht?     Fukuzawa setzt sich an die Bettkante und legt einen Arm um seinen Angestellten, welcher sofort versteift. Er ist sich sicher, dass Dazai in seinem Leben nicht gelernt hat, anderen Menschen zu vertrauen. Also drückt er ihn nur noch fester an sich.     „Du hast alles Recht der Welt erschöpft zu sein. Das ist nichts Schlimmes und ich will, dass du verstehst, dass niemand dir Vorwürfe macht, wenn du Hilfe brauchst. In Ordnung?“     Dazai nickt stumm, scheint den Worten seines Chefs jedoch nicht zu glauben.     „Eines Tages wirst du bereit sein und in der Lage sein, über deine Vergangenheit zu reden. Du wirst dich ihr stellen und verstehen, dass du ein Teil dieser Detektei bist. Ihr alle seid wie meine eigenen Kinder für mich und ein Vater will immer nur das Beste für seine Kinder.“     „Du hast genug gelitten.“     Dazai kämpft gegen den Drang, sich in die Arme des Präsidenten zu werfen und wie ein kleines Kind zu weinen. Er will diese Schwäche nicht akzeptieren und fürchtet, dass sie ausgenutzt werden könnte. Nicht von seinen Kollegen. Nicht von Kunikida, der mit einem Lächeln neben dem Bett steht, sondern von irgendwem. Irgendwer wird dies ausnutzen. Wer das sein wird, das weiß er noch nicht, aber es ist besser, wenn er auf Nummer sicher geht. Deshalb bedankt er sich und schiebt den Präsidenten von sich. Seine Lippen formen ein Lächeln. Es ist erzwungen. Dazai muss Haltung bewahren. Für wen? Für Mori, vielleicht. Für seinen Vater, vielleicht. Er weiß es nicht, aber so hat er es gelernt. Zeige nie deine wahren Gefühle, erlaube dir keine Schwäche und sei stets unnahbar. In dieser Welt lauert das Böse überall.     „Danke, Shachou“, murmelt Dazai leise und sieht seinen Chef nun mit leerem Blick an.     „Ich habe noch nicht genug gelitten. Ich kann das, was geschehen ist, nicht ungeschehen machen. Die Sünden der Vergangenheit werden mich immer begleiten und keine Strafe ist zu schlimm für jemanden wie mich... für jemanden, der als Mensch disqualifiziert ist.“     „Denkst du, du wärst der einzige, der Fehler gemacht hat? Der das Leben anderer Menschen ausgelöscht hat?“     Dazai schüttelt den Kopf. Mehr als verneinen kann er nicht. Er weiß genau, dass er nicht das einzige Monster ist, dass auf dieser Welt wandelt. In der Schattenwelt tummeln sich unzählige barbarische Monster, die über Leichen gehen werden. Genau das ist auch der Grund, warum sich Dazai es nicht leisten kann, Schwäche zu zeigen und nach einer Schulter zum Ausweinen zu suchen. Irgendwo in den Schatten lauern Monster, die genauso abartig sind wie er. Monster, die ihn irgendwann in die Finger kriegen werden und dann das Glück, das er glaubt zu haben, zerstören werden. Deshalb will Dazai nicht, dass seine Kollegen ihn verstehen. Er will sie nicht in sein Herz lassen, aus Angst, dass auch sie in den tiefen Abgrund fallen, der sich vor ihm auftut. Auf keinen Fall dürfen sie in die Fehler seiner Vergangenheit verwickelt werden.     „Ich gebe dich nicht auf, Dazai“, kommt es von Fukuzawa, der immer noch unglaublich streng und gefühllos wirkt.     „Ich weiß“, haucht Dazai und er senkt wieder den Blick. Warum können die beiden nicht gehen und ihn in Ruhe lassen? Er versteht es einfach nicht. Fukuzawa gibt ihn nicht auf, obgleich er mehr als einmal des Besseren belehrt wurde. Obwohl er ganz genau weiß, dass Dazai ihn früher oder später in etwas reinziehen wird, dass nicht nur ihn, sondern alle Mitglieder der Detektei in Gefahr bringt. Es fällt Dazai heute so schwer, seine Mauer der Unantastbarkeit aufrecht zu erhalten.     „Dann, gib du auch dich nicht auf“, sagt er und nickt ihm zu, dann verlässt er den Raum. Kunikida bleibt wortlos neben Dazai sitzen. Sie reden nicht mit einander. Sie befinden sich im selben Raum und doch scheinen sie meilenweit voneinander entfernt zu sein. Dazai legt sich auf die Seite und tut so, als würde er schlafen. Dann zieht er seine Decke über den Kopf. Kunikida ist sich nicht sicher, vermutet dennoch, dass Dazai weint. Er sagt nichts, sondern zieht sein Ideal hervor, macht sich einige Notizen.       ___________________       Fukuzawa steht seufzend im Klinikflur. Wie immer hat er seine Arme verschränkt und sein traditionelles Gewand zieht die Blicke anderer Patienten und Angestellten auf sich. Sie alle sehen neugierig aus. Fukuzawa lässt sich nicht beirren. Er spricht mit einer Krankenschwester und bittet darum, mit einem Arzt sprechen zu dürfen. Einige Minuten wartet er vor dem Zimmer, lässt seinen Blick hin und her schweifen. Die Atmosphäre in einem Krankenhaus ist immer bedrückend. Das helle Licht, das so kalt von der Decke herab scheint, lässt die Welt aussichtslos und trist erscheinen. Fukuzawa mag Krankenhäuser nicht. Er kann nicht verleugnen, dass er in den letzten zwei Jahren, seit Dazai in seiner Detektei ist, in aller Regelmäßigkeit hier ist. Selbst die Ärzte und das Personal kennen ihn bereits beim Namen, obwohl Fukuzawa selbst hier noch nie in Behandlung gewesen ist.     Die Tür wird geöffnet und man ruft ihn herein. Ein älterer Mann sitzt auf der anderen Seite des Schreibtisches. Sein Lächeln ist sympathisch und die Falten, die sich um seine Augen bilden, lassen ihn nicht alt, sondern weise erscheinen. Fukuzawa verneigt sich leicht, ehe er sich hinsetzt. Er muss es einfach wissen. Wissen, was er tun kann, um Dazai zu helfen.     „Sie sind Fukuzawa-san, nicht wahr?“, fragt der Arzt und er klappt vor sich eine Patientenakte auf.       Fukuzawa kann Dazais Namen erkennen. Passiert das hier gerade wirklich?     „Ja, ich bin Dazais Chef und Arbeitgeber“, merkt er an und sein Blick bleibt weiterhin streng.     „Sie sind also Dazai-kuns Vormund?“, fragt der Arzt. Fukuzawa hebt die Augenbrauen verwundert.     „Vormund?“, will er wissen.     „Dazai-kuns Krankheitsverlauf“, seufzt er und hebt nun den Blick von den Akten.     „Dies sind streng vertrauliche Informationen, ich kann nicht mit Ihnen darüber reden, wenn sie nur sein Chef sind. Den Akten nach hat er keine weiteren Verwandten mehr und Dazai-kun ist psychisch nicht in der Verfassung Entscheidungen für sich selbst zu treffen. Er braucht einen gesetzlichen Vormund, jemand, der für ihn Entscheidungen trifft, wenn er selbst dazu nicht in der Lage ist.“     „Dazai ist erwachsen, das wird doch wohl nicht nötig sein“, kommt es immer noch erstaunt vom Silberhaarigen.     „Nun, seiner Krankenakte nach, war sein letzter behandelnder Arzt und Vormund“, er macht eine kurze Pause und Fukuzawa glaubt, dass die Welt in sich hinein bricht.     „Mori Ougai.“     „Nun, Dazai ist jedoch bei mir angestellt und hat keinerlei Kontakt zu Mori-sensei.“     „Das ist nicht mein Problem. Hören Sie zu, Fukuzawa-san, ich bin nicht Ihr Feind und ich will mich nicht gegen Sie stellen, aber Sie sollten doch selbst sehen, dass Dazai-kun psychisch krank ist und dringend Hilfe braucht. Seine suizidalen Neigungen und auch seine selbstverletzenden Tendenzen sind ein klarer Hilferuf. Dazai-kun ist seit zwei Jahren immer wieder hier. Ich habe die Schnitte an seinem Arm nun schon zum dritten Mal genäht.“     „Nun, Dazai lehnt Hilfe von außen ab und ich möchte mich ihm nicht aufzwingen.“     „Und Sie sehen da kein Problem?“     Fukuzawa hat auf einmal das Gefühl, als würde er sich in einer Verhandlung befinden, als würde man ihm die Schuld für Dazais Zustand geben.     „Sie wissen von seinen Neigungen und haben sich kein einziges Mal gedacht, dass er Hilfe braucht? Nun, entweder Sie bringen mir seinen gesetzlichen Vormund her, oder aber dieses Gespräch endet hier. Ich muss Ihnen hoffentlich nicht erklären, warum Ihr Verhalten im höchsten Maße fahrlässig gewesen ist.“     Fukuzawa will etwas sagen. Der Arzt gibt ihm die Schuld.     „Sehen Sie mich nicht so an, Fukuzawa-san. Ich will Dazai-kun helfen, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie nicht in der Lage sind, mit einem psychisch kranken Mann umzugehen. Dazai-kun ist selbst nicht in der Lage, eigenständig zu leben. Und ich rede da nicht einmal von der offensichtlichen Alkoholvergiftung, als man ihn hier eingeliefert hat – er braucht Hilfe und ich wage so langsam zu bezweifeln, dass Sie der richtige Ansprechpartner sind.“     „Ich werde mit Dazai über eine eventuelle Vormundschaft sprechen. Mori-sensei hat absolut nichts mit Dazai zu tun und darf nie wieder in seine Nähe.“     Der Arzt erscheint erschrocken, sagt aber nichts weiter und Fukuzawa verlässt das Büro schnurstracks. Er befindet sich auf den Weg zu Dazais Krankenzimmer. Als er die Tür öffnet, sieht er, dass Kunikida immer noch da ist. Sie sehen sich flüchtig an.     „Dazai schläft“, flüstert Kunikida, steht dann auf und geht mit Fukuzawa in den Flur, wo sie über das Dilemma sprechen.       ___________________       „Einen Vormund? Das ist doch absurd. Dazai ist volljährig, er kann das ablehnen“, meint der Blonde nur.     „Ich werde dennoch eine Vormundschaft beantragen müssen. Wenn das, was der Arzt gesagt hat, wahr ist, wäre es durchaus möglich, dass wir einen rechtlichen Beschluss fürchten müssen. Es könnte dann zu einem Rechtsstreit mit Mori-sensei kommen.“     Kunikida stöhnt.     „Verdammt, er macht einem auch nur Ärger.“     „Kunikida sag das bitte nicht“, kommt es von Fukuzawa und Kunikida entschuldigt sich augenblicklich.     „Der Arzt sagte, dass mein Verhalten fahrlässig gewesen sei. Und ich denke, dass er durchaus Recht damit hat. Wir sind eine Familie und ich will, dass all meine Mitarbeiter in einer guten Verfassung sind und gerne zur Arbeit kommen, gerne Zeit mit ihren Kollegen verbringen. Dazai ging es offensichtlich schlecht und ich hätte etwas tun müssen. Der Laissez-faire Führungsstil meinerseits war ein falscher Ansatz.“     „Mit allem Respekt, Shachou... Dazai ist erwachsen, wir können ihn doch nicht durchgängig überwachen. Außerdem, auch wenn ich es ungern sage, Dazai ist, wenn er nicht gerade in einem tiefen Loch steckt, ein wichtiges Mitglied dieser Detektei. Ich vertraue seinen Kompetenzen und seiner Fähigkeit Gegner zu durchschauen und Strategien zu entwickeln, wir sollten ihn deshalb auf keinen Fall bevormunden.“     „Du hast von uns allen die meiste Zeit mit ihm verbracht. Was ist deine Einschätzung?“     „Ich werde mit ihm reden und von einer Therapie überzeugen.“     „Glaubst du, dass du das schaffst?“     „Shachou“, ruft Kunikida überzeugt aus und zieht sein Ideal hervor, tippt auf die schön geschwungenen Schriftzeichen.     „Einem Menschen in Not zu helfen und ihm die Hilfe zu verweigern – das wäre gegen mein Ideal. Dazai mag ein Nervensäge sein, die mir ständig auf der Tasche liegt und mich sabotiert, aber er ist auch mein Partner und ein Mensch. Ich würde mein eigenes Ideal verraten, würde ich ihn im Stich lassen. Das könnte ich mir niemals verzeihen.“     „Kunikida“, sagt Fukuzawa und sieht todernst aus, „ich zähle auf dich.“       ___________________       Die Besuchszeiten neigen sich dem Ende zu. Die Sonne färbt ganz Yokohama in ein wunderschönes, warmes Orange und das Wasser an den Küsten glitzert wie Kristall, als die Wellen gebrochen werden. Ein wirklich wunderschönes Anblick. Wie ein Gemälde, so friedlich und ruhig. Kunikida sieht aus dem Fenster und schreibt immer noch etwas in sein Notizbuch. Dazai beobachtet ihn wortlos, lässt seinen Blick immer wieder aus dem Fenster gleiten. Seit fast vier Stunden sitzt Kunikida dort. Dazai hat keine Lust auf Gespräche. Dafür fehlt ihm einfach die Kraft. Die ständigen Streitereien mit Kunikida sind anstrengend, saugen ihn aus.     Dazai langweilt sich und findet, dass Kunikida zumindest irgendetwas sagen könnte. Egal was. Die Stille macht ihn fertig.     „Warum gehst du nicht?“, fragt er dann nach einer schieren Ewigkeit.     „Willst du, dass ich gehe?“, ist alles, was Kunikida antwortet.     Ein klares Nein hallt in Dazais Kopf wieder, aber er traut sich nicht, dies auszusprechen, also schnalzt er stattdessen mit der Zunge und schneidet eine Grimasse.     „Ja! Mir ist total langweilig und du sitzt da nur herum und machst nichts! Das passt gar nicht zu dir.“     „Ich dachte, du wärst kein Kind. Nur ein Kind würde wegen Langeweile klagen.“     Dazai grummelt und wendet den Blick ab, tut so, als wäre sein Kollege nicht mehr im Raum.     „Dazai, möchtest du zurück?“, haucht Kunikida dann und schiebt seine Brille hoch.     „Du meinst in meine Wohnung? Klar doch. Hier herumzuliegen ist nervig und --“     Kunikida unterbricht ihn.     „Zurück zur Port Mafia, meine ich.“     Dazai zieht erschrocken die Augenbrauen hoch und starrt den Blonden fassungslos an.     Er zwingt sich zu einem Lachen, doch eiskalter Schweiß läuft ihm die Stirn herunter, sein ganzer Körper ist mit einem Mal in Alarmbereitschaft und sein Herz rast. Sein Unterbewusstsein drängt sich hervor und er fühlt sich in all seinen Sorgen und Ängsten bestätigt: die Detektei lässt ihn nun doch im Stich. Man will ihn dort nicht mehr. Ihm fehlen die Worte. Er ist zutiefst verletzt und gekränkt, sieht Kunikida an, als hätte dieser ihm höchstpersönlich ein Messer in die Brust gerammt. Und in gewisser Weise ist es wirklich so. Die Wahrheit tut weh.     „Schau mich nicht so an, Dazai. Ich sage nicht, dass wir dich zurückschicken wollen und selbst wenn du zurück gehen wolltest, würde ich das nicht zulassen. Aber dein behandelnder Arzt ist der Ansicht, dass du einen Vormund brauchst und“, beginnt Kunikida und bevor er den einen Namen aussprechen kann, der ihm den Magen umdreht, spricht Dazai ihm ins Wort.     „Mori-san.“     Dazai will etwas sagen. Doch was? Es gibt nichts zu sagen. Nichts, das die Situation ändern würde. Es kann nur schlimmer werden.     „Ja, er war dein letzter Vormund.“     „Diese Informationen sind gelöscht worden“, knurrt Dazai nun verärgert.     „Wieso steht das in meiner Krankenakte?! Ango hat doch gesagt, dass er meine Vergangenheit ausgelöscht hat“, grummelt Dazai und wirkt auf einmal aufgebracht, wütend und fühlt sich verraten. Wie ist das möglich? Die Siebte Organisation hat ihr Geld bekommen und es dürfte niemanden in der Regierung oder sonstigen öffentlichen Institutionen von seiner Vergangenheit wissen. Wie kann es also sein, dass diese Information durchgesickert ist?     Es sei denn, schießt es ihm in den Kopf und plötzlich rasen tausend Gedanken durch seinen Verstand, ehe er die einzige Antwort findet, Mori-san selbst hat das durchsickern lassen. Hat er meine Krankenakte korrigiert? Verdammt, wenn sie mir die Vollmacht entziehen und ein Gericht entscheidet, wer mein Vormund werden soll, ist Mori-san eindeutig im Vorteil. Dieser Bastard... er hat das eingefädelt! Will er mich gegen meinen Willen zurückholen?     „Dazai?“, kommt es besorgt von Kunikida, der sich zu Dazai beugt und eine Hand auf seine Schulter legt, ihn grob packt und durchschüttelt. Doch Dazai ist geistig abwesend. Dazai hört nicht mehr Kunikida. Er sieht auch nicht mehr das Krankenzimmer.       ___________________       „Es ist in Ordnung, bleib ruhig, Shuu-chan!“     Die Stimme, die ihn erreicht, gehört Mori und vor ihm sind Gitterstangen. Aus der Ferne hört er seinen Vater, der den Käfig langsam ins Wasser lässt. Der Blick des Mannes ist erwartungsvoll. Vor allem aber erbarmungslos. Das hier ist ein Teil seiner Ausbildung. Sein Training zu einem hoch angesehenen Mitglied der Port Mafia, seine Umwandlung zu einer menschlichen Waffe, die jede Gefahr durchschaut und den Feind vernichten wird. Nur dafür würde er geboren. Das ist seine Bestimmung. Dafür lebt er. Wenn er seinen Zweck nicht erfüllt, wird er bestraft. Er muss sich beweisen. Bloß nicht aufgeben.     Das Wasser füllt den kleinen Käfig. Panisch greift er an die Gitterstangen, rüttelt an diesen und kämpft gegen den Drang, um Hilfe zu rufen. Schnell! Er muss einen Weg herausfinden und sich befreien, ansonsten ertrinkt er. Er sieht Mori, der den Blick abwendet. Mori darf die Befehle des Bosses nicht missachten, ansonsten werden sie beide bestraft. Er ist immerhin nichts weiter als der Doktor, der sicher stellen muss, dass Tshushima Shuuji überlebt. Der Sohn des Bosses. Das letzte Ergebnis der Teufelssaat.     Shuuji findet keinen Ausweg. Das Wasser beginnt seine Lungen zu füllen und mit einem Mal hat er keine Kontrolle mehr über seine Bewegungen, seine schmalen Hände greifen durch die Gitterstäbe und berühren das Glas des Behälters. Ein großes Aquarium. Er fühlt sich wie ein Fisch, eingesperrt und in Ketten gelegt. Ihm schwinden die Sinne. Als er aufwacht, befindet er sich im Keller. In eine der Zellen, wo sonst die Gefangenen sitzen, die gefoltert werden sollen. Shuuji ist sich nicht sicher, was nun geschehen wird. Das letzte, woran er sich erinnert, ist der enttäuschte Blick seines Vaters, der ablehnend den Kopf schüttelt. Danach nur noch Schwarz.     Wie lange ist er ohnmächtig gewesen? Die Schwäche nagt sich durch Mark und Bein und lässt ihn erschaudern.     „Du bist wach“, hört er eine Stimme und er wird hellhörig. Es ist Mori. Der Arzt, der ihn aus dem Wasser gefüllten Becken herausgezogen und wiederbelebt hat. Er ist der einzige, der ihn wie einen Mensch behandelt und seine wichtigste Bezugsperson. Mori ist der Mittelpunkt seiner Welt.     „Geht es dir gut?“     „Den Umständen entsprechend“, kommt es von Shuuji, der sich seine Freude darüber, den Arzt wiederzusehen, nicht ansehen lässt und seine Rolle als menschliche Waffe erfüllt.     „Dein Vater hat eine Bestrafung angeordnet und ich habe ihn davon überzeugt, diese durchführen zu dürfen.“     „Danke, Mori-san“, haucht der Junge nur und sein Blick ist leer. Mori ist weniger schlimm als sein Vater. Mori behandelt seine Wunden immer gut und achtet darauf, dass die Verletzungen sich nicht entzünden. Außerdem ist er ein guter Lehrer und erklärt immer ganz genau, was er als nächstes tun wird und warum er dies tut. Auch seine Bestrafung ist ein Teil seiner Ausbildung. Wenn Shuuji weiß, was wehtut und welche Foltermethoden am schlimmsten sind, wird er sie irgendwann zielsicher gegen Feinde einsetzen können. Feinde gibt es genug. Sein Vater wird nicht müde, zu erklären, dass Feinde an allen Ecken und Enden lauern. Aber sein größter Feind ist sein eigener Vater, der Boss der Port Mafia und manchmal wünscht sich der Junge, dass dieser sterben würde. Nur manchmal.     Immerhin ist der Mann sein Vater, somit sein Gott und der Mittelpunkt seiner Welt. So sollte es zumindest sein. Mit jeder Sekunde, die er mit Mori verbringt, verspürt er eine wachsende Ablehnung seines Schöpfers gegenüber und eine starke Anziehung zu dem Mann, der Lieder summend, seine Wunden behandelt und ihm gut zuspricht. Wann immer Mori in seiner Nähe ist, fühlt er sich sicher. Shuuji kann nicht erklären, warum er so fühlt. Er dürfte diese Gefühle gar nicht haben, also behält er sie für sich selbst.     Ihre Beziehung ist geheim. Sein Vater weiß nichts von der Güte, die Mori ihm zukommen lässt. Shuuji ist noch zu jung, als Mori beginnt, ihn auf intime Art und Weise zu liebkosen und zu berühren, aber Mori ist alles, was er hat und will ihn nicht verlieren. Also akzeptiert er die Berührungen und die unbekannte Nähe, damit Mori bei ihm bleibt. Er fühlt sich hilflos gegenüber Mori, fühlt sich ausgeliefert, aber Shuuji kann auch nicht riskieren, dass Mori ihn zurücklässt. In dieser Hölle ist dieser Mann der einzige, der ihm Zuneigung und Aufmerksamkeit schenkt und dieses Gefühl er Geborgenheit will Shuuji nicht verlieren. Also lässt er sich auf Mori ein und akzeptiert, was dieser mit ihm und seinen Körper macht.     Shuuji ist unsicher und würde alles für Mori tun und als dieser seinen Vater tötet und den Posten als Boss der Port Mafia übernimmt, ist dies das Ende einer Tyrannei und der Beginn eines neuen, besseren Lebens an der Seite des Mannes, der als einziger ihm jemals so etwas wie Liebe gezeigt hat. Tsushima Shuuji stirbt am selben Tag wie der Mann, der ihn erschaffen hat. Stattdessen wird Dazai Osamu geboren.     Dazai ist froh, denn er ist nun ein neuer Mensch. So sollte es zumindest sein. Die Erinnerungen aus der Vergangenheit holen ihn ein, jede Nacht. Schlaf ist ihm fremd. Nur wenn er Mori um Schlafmittel und Medikamente anfleht und dieser nachgibt, kommt er zur Ruhe. Mori hält nichts davon und will nicht, dass Dazai abhängig wird, also gibt er ihm leichte Missionen, um ihn abzulenken und zu beschäftigen. Dazai macht absichtlich Fehler und gefährdet seine Missionen, nur um Moris Aufmerksamkeit zu bekommen. Seit Mori der Boss ist, hat dieser sich verändert. Er hat weniger Zeit für Dazai und ihre Intimitäten werden zunehmend seltener. Manchmal fragt sich Dazai, ob Mori ihn satt hat oder sich sogar vor ihm ekelt. Mori verneint das dann jedes Mal. Aber Dazai glaubt ihm nicht und tut alles, um die Aufmerksamkeit des Mannes zu bekommen, der der Mittelpunkt seiner Welt ist.     Eine Trotzphase. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Dazai ist unglaublich klug und besitzt die Fähigkeit, jede Mission erfolgreich zum Abschluss zu bringen, trotzdem macht er Fehler, weil er es amüsant findet, wenn Mori sich aufregt. Mori, der ihn anschreit und belehrt – das hat etwas Nostalgisches an sich.     Ein neues Leben. Ein neuer Name. Neue Kleidung. Neuer Wortschatz. Dazai tut alles, um sich von den Fesseln, die sein eigener Vater, sein Schöpfer, ihm angelegt hat, zu lösen und doch hört er das metallische Rascheln bei jedem Schritt.     Dazai kann sein altes Leben und diesen Schatten, der ihn auf Schritt und Tritt folgt, nicht abschütteln. Tsushima Shuuji bleibt an seiner Seite, so auch die panische Angst vor zu engen Räumen und vor Schmerz. Er fürchtet zu versagen und akzeptiert, dass er niemals das finden wird, wonach sein Herz so dringend sucht. Also gibt er auf. Die Suche nach Liebe oder einem Grund zum Leben. Nichts berührt sein Herz und er beginnt die Menschen zu hassen. Nicht nur jene, die ihm nicht geholfen haben, sondern auch wildfremden Personen gegenüber, empfindet er eine starke Ablehnung. Sie alle haben etwas, das er nicht hat. Er schafft es einfach nicht, sich für das Glück anderer zu freuen, wo er doch selbst nie so etwas wie Glück erfahren hat.     Mori ist lieb zu ihm und kümmert sich gut um ihn, aber Dazai weiß genau, dass der Ältere ihn loswerden will. Auch seine sanften Küsse und Berührungen lösen ihn Dazai Unmut aus. Das Gefühl, dass Mori ihn irgendwann entsorgen wird, wird von Sekunde zu Sekunde größer. Er hat Angst vor dem Tag, an dem Mori ihn endgültig satt hat. Der Tag, wo Mori erkennt, was für ein Monster er ist und wie abartig die Abgründe seiner Seele sind. Wie schrecklich die Gedanken und Phantasien in seinem kranken Kopf.     Dazai ist der wahre Erbe der Port Mafia und eine Gefahr für den Doktor, der sich diesen Titel erschlichen hat. Der messerscharfe Verstand des Jungen, der jede Falle durchschaut und keine menschlichen Züge zeigt, ist eine Gefahr und obwohl Dazai ganz genau weiß, dass Mori ihn mundtot machen und am liebsten loswerden will, bleibt er an der Seite des Doktors. Mori ist alles, was er hat. Wo sonst sollte er auch hingehen? Niemand würde so etwas Schmutziges wie ihn haben wollen. Mori duldet ihn. Mori duldet Dazai, der sich selbst am wenigsten leiden kann. Dazai hasst sich selbst und sucht nach einer Methode sich für sein Scheitern zu bestrafen. Alles, was Dazai tut, reicht nicht. All die Worte, die aus seinem Mund kommen, bereut er im Nachhinein. Aber das zeigt er niemanden, also gewöhnt er sich an, sich selbst zu verletzen.     Schmerz gibt ihm Sicherheit, ein Gefühl von Zugehörigkeit. Etwas, das ihn an seine Kindheit erinnert. Dazai weiß, dass das alles keinen Sinn ergibt und er hasst sich selbst umso mehr, weil seine Gedanken so verdreht und hasserfüllt sind. Er foltert die Feinde der Port Mafia und tut das, was Mori von ihm will und das Lob des Mannes, der ihn bestätigt, gebraucht zu werden, ist der einzige Lichtblick in seinem Leben. Eine krankhafte, emotionale Abhängigkeit zu dem Mann, von dem er ganz genau weiß, dass er ihn nur benutzt.     Dazai ist zufrieden damit. Anders hat er es nicht gelernt. Bis zu dem Moment, als sich hemmungslos betrinkt, sich mit einem Messer das Fleisch auf seinen Unterarmen aufschneidet und von einer Brücke springt. In den von dem starken Regenfällen erhöhten Kanal der Stadt. Die Wellen reißen ihn mit und er schließt die Augen, konzentriert sich einzig und allein auf seine Umgebung. Das Wasser glitzert schön und löst ein Gefühl von Nostalgie in ihm aus. Der Sonnenuntergang taucht die Stadt in ein warmes Orange, die Farben, die ihn umgeben, erfüllen ihn mit Vorfreude und lassen seine Angst vor dem Tod verschwinden.     Als Dazai wieder aufwacht, befindet er sich in einem fremden Apartment und vor ihm ist ein Mann, den er noch nie gesehen hat. Für seine Rettung bedankt er sich nicht, sondern beschimpft den Fremden, der weder Geld noch seinen Körper von ihm will. Der Mann stellt sich als Oda Sakunosuke vor und der 15Jährige Dazai ist verwirrt. Ein Mensch, der ihm ohne Grund hilft? Ohne irgendetwas als Gegenleistung zu erwarten? Er ist sich sicher, Oda ist verrückt und tut nur so freundlich! Doch Oda lädt ihn zum Essen ein und dann treffen sie sich immer wieder in der Bar Lupin. Dazai fühlt etwas, das er in seinem ganzen Leben noch nie gefühlt hat und erzählt, in seiner jugendlichen Naivität, ausgerechnet Mori von seiner Begegnung und schwärmt von dem Rothaarigen.       ___________________       Auch heute fragt sich Dazai, ob sein Leben anders verlaufen wäre, hätte er Mori nie von Oda erzählt. Oda ist Balsam für die Seele, hat er zu Mori gesagt. Mori hat ihm Oda genommen. Aber Mori hat ihn auch gerettet. Dazai hat gemischte Gefühle gegenüber dem Schwarzhaarigen. Er ist kein Kind mehr und begreift immer mehr, dass er Mori komplett falsch eingeschätzt und etwas in ihm gesehen hat, was nie da war. Dennoch will Dazai sich nicht eingestehen, dass er sich selbst von ihm emotional abhängig gemacht hat. Es ist einfacher zu hassen und einen Schuldigen für die eigenen Fehler zu finden, als sich einzugestehen, etwas falsch gemacht zu haben.     „Ich will nicht zu Mori-san zurück“, murmelt Dazai und in seinem Blick liegt Angst.     „Dazai! Schau mich an!“, schimpft Kunikida und rüttelt an Dazais Schultern. Dazai sieht ihn endlich an, seine Augen sind aufgerissen und sein Körper zittert.     „Niemand will dich zur Port Mafia schicken. Du gehörst zur Detektei! Du bist ein Teil unserer Familie und daran wird sich nichts ändern“, sagt der Blonde mit fester Überzeugung.     „Ja“, haucht Dazai, klingt aber wenig überzeugt.     „Mori kriegt dich nicht zurück. Er kriegt weder dich in die Finger, noch Yosano, noch Kyouka und auch nicht Atsushi. Zur Not stelle ich ihn höchstpersönlich zur Rede“, grummelt Kunikida und knackt mit seine Fingern, ballt seine Hände zu Fäuste.     „Ich habe dir doch mehrmals gesagt, dass du dich nicht mit der Port Mafia anlegen sollst. Besser wir gehen ihnen aus dem Weg.“     „Tatsache ist, dass Mori plant, dich zurück zu holen. Du sagtest, er hat deine Krankenakten manipuliert. Warum sonst würde er das tun? Das muss doch einen Grund haben.“     Nur für eine Sekunde kommt in Dazai der Gedanke auf, dass Mori sich Sorgen um ihn macht und nur sicher gehen will, dass ihm nichts passiert. Den Gedanken schüttelt er ab. Mori ist ein Mörder, der für seine Ziele über Leichen geht. Er wägt seine Pläne mit rationalem Kalkül ab, es gibt keinerlei Grund für ihn, etwas zu tun, das Dazai hilft. Dazai muss aufhören, zwangsweise etwas Menschliches in dessen Taten zu sehen. Mori hat ihm alles nur vorgegaukelt. Mori hat nie Interesse an Dazais Wohlergehen gehabt und ihn nur benutzt. Vor vier Jahren ist Dazai ohne ein Wort der Erklärung untergetaucht. Dazai ist ein Verräter und hat Moris Gnade nicht verdient. Genauso wenig wird er Mori jemals verzeihen, seinen geliebten Freund Oda für seine Ziele geopfert zu haben, wo er doch ganz genau wusste, wie wichtig dieser für ihn gewesen ist.     „Er schätzt meinen Verstand und will mich in der Führungsriege zurückhaben“, meint Dazai nur trocken und er lacht leise.     „Er wusste genau, dass ich mir etwas antun werde und hat nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet! Auch das hier ist nichts weiter als eines seines kranken Machtspielchen, um mich an der kurzen Leine zu halten“, erklärt Dazai und verzieht angewidert das Gesicht. Für Mori ist Dazai nichts weiter als ein Püppchen, das brav Befehle befolgt und zu keinen Gefühlen imstande ist. Aber Dazai hat genug davon, will nie wieder dorthin zurück. An den Ort, der ihm bis heute Alpträume verursacht und seinen Verstand zermürbt.     „Er zählt darauf, dass ich irgendwann nachlasse und er will, dass ich einsehe, dass ich falsch gelegen habe.“     „Falsch gelegen? Womit?“     „Er weiß es“, ist alles, was Dazai sagt und starrt abwesend die Bettdecke an, ehe er den Kopf schüttelt und versucht, die Realität auszublenden.     „Was weiß er?“, fragt Kunikida und ist sichtbar verwirrt über Dazais Worte.     „Er weiß es!“, wiederholt Dazai lauter und sieht Kunikida hilfesuchend an.     „Ich habe keine Ahnung, wovon du redest!“ So langsam verliert Kunikida die Geduld.     „Er weiß, was ich wirklich bin.“     „Dazai, ich schwöre bei allen Göttern, wenn du nicht sofort aufhörst, in Rätseln zu sprechen, werde ich die Deadline für die Abgabe deiner Berichte nach vorne verschieben und dich für die Büroarbeit einplanen.“     Dazai sieht ihn schockiert an. Büroarbeit? Da käme er ja um vor Langeweile!     „Ich bin kein Mensch. Er weiß, dass ich niemals wie ein normaler Mensch leben kann. Er hat mir nur Zeit gegeben, um selbst zu erkennen, wie sinnlos mein Bestreben, von der Port Mafia wegzukommen, war.“     Bevor Dazai weitersprechen kann, verpasst Kunikida ihm kurzerhand eine Ohrfeige. Seine Wange brennt. Verwirrt blinzelt er und sieht seinen Gegenüber empört an. Dabei ist er doch verletzt und ein Patient in einem Krankenhaus! Wie kann ein Mensch nur so herzlos sein und einen Mann in seinem eigenen Patientenbett schlagen!? Dazai will den Blonden ausschimpfen, doch dieser verschränkt nun die Arme und mutiert zu einem fauchenden Panther.     „Das ist ja wohl der größte Dünnschiss, den ich je gehört habe! Keine Ahnung, was in deiner Erziehung falsch gelaufen ist, aber du bist ein Mensch und jeder, der was anderes behauptet, sollte mal zum Optiker gehen und seine Augen überprüfen lassen! Ist mir scheißegal, ob Mori dich zurück will, du bist mein Partner und ich lasse dich nicht gehen, vor allem nicht, bis du deine Berichte fertig gestellt hast und du ein ehrlich arbeitendes Mitglied unserer Detektei bist! Das ist dein Schicksal! Dein Schicksal ist es, mir ein guter und umsichtiger Partner zu sein und jemand zu werden, auf den ich mich blind verlassen kann. Alles andere ist unwichtig.“     Dazai wagt nichts, irgendetwas zu sagen. Plötzlich steht Kunikida auf und zeigt auf sein Ideal.     „Ich sage dir jetzt mal etwas als Vize der Detektei!“     „Wir erwarten bestimmte Qualitäten und Ideale von unseren Mitarbeitern!“     Dazai blinzelt und sieht Kunikida nur entgeistert an, ringt sich zu einem Lächeln.     „Idealerweise erledigen wir unsere Arbeiten innerhalb der Deadline!! Wir geben unsere Berichte pünktlich ab! Wir arbeiten gewissenhaft und erfüllen unsere Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit unserer Kunden. Wir schützen Zivilisten und ziehen niemanden in unsere Affären herein! Jeder übernimmt Verantwortung für seinen Bereich, für seine Missionen und vor allem halten wir uns an den Arbeitsbeginn!“     Kunikida atmet tief ein, ehe er seine Stimme hebt und wieder lauter wird.     „Und rein gar nichts davon trifft auf dich zu! Wegen dir hinke ich ständig meinem Terminplan hinterher, ständig muss ich wichtige Treffen mit Klientel verschieben oder absagen, weil du dich mal wieder in Schwierigkeiten gebracht hast oder anderen Schwierigkeiten machst!“     Dazai zuckt zusammen. Kunikida faucht und spuckt während deiner Predigt. Für einen Moment hadert Dazai damit, ob er ihm sagen soll, dass man beim Sprechen nicht spucken sollte, glaubt aber, dass Kunikida dann erst recht aus der Haut fährt. Also schluckt er seinen Kommentar herunter und hört weiterhin zu.     „Aber das ist nicht mal das Schlimmste! Kommunikation, Dazai!“     Kunikida wird plötzlich ruhig und atmet tief ein, streicht sich einige Ponysträhnen zur Seite und seufzt dann enttäuscht.     „Wir kommunizieren nicht miteinander, dabei ist das das A und O einer guten Arbeitsatmosphäre und Zusammenarbeit. Unsere Kommunikation ist gestört und das ist alles andere als ideal. Du hast Geheimnisse, von denen du ganz genau weißt, dass sie dich daran abhalten, dein volles Potential zu entfalten. Und ich bin ein Idiot, weil ich nicht in der Lage bin, dich dazu zu bringen, mir zu vertrauen und meine Hilfe anzunehmen.“     „Kunikida-kun, das hat doch nichts mit dir zu tun.“     „Doch, das hat es! Es ist meine Pflicht und höchste Priorität, aus dir ein ehrliches und hart arbeitendes Mitglied der Detektei zu machen, aber solange ich nicht einsehe, dass unsere Kommunikationsprobleme auch von mir aus kommen, wird sich niemals etwas ändern! Also... muss ich lernen, dir aufmerksam zuzuhören und dir das Gefühl geben, dass du ein wichtiger Mensch für mich bist, denn verdammte Scheiße, Dazai! Du bist mir wichtig! Auch wenn ich das nicht so kommuniziere und wir uns oft missverstehen, bist du mir wichtig und es bricht mir mein Herz, wenn du dir selbst schadest und dir einredest, dass wir dich wegen kleinen Fehlern in die Wüste schicken oder dich bestrafen.“     „Tut mir leid, es ist nicht so einfach, ein anderer Mensch zu werden“, sagt Dazai und kratzt sich verlegen an der Wange.     „Niemand will, dass du ein anderer Mensch wirst!“, meckert Kunikida und in seinem Blick liegt Zorn.     „Dazai Osamu mag ein Faulpelz sein, der gerne andere provoziert und Unsinn macht, aber ich weiß, dass du großes Potential hast. Du bist überdurchschnittlich intelligent und mit deiner Auffassungs- und Kombinationsgabe haben wir Fälle gelöst, die seit Jahren als Cold Cases eingestuft waren. Wir haben Menschen geholfen, die ohne dein Zutun immer noch vergeblich auf Hilfe warten würden. Ich kann nicht mit den Fingern schnippen und deine Probleme verfliegen lassen, aber ich kann dir zuhören und dir helfen, wenn du es selbst nicht kannst.“     „Wenn Kunikida-kun solche Sachen sagt, werde ich ja noch rot!“, kommt es von Dazai, der sich wie ein verlegenes Schulmädchen an die Wangen fasst und vor sich hin kichert.     „Auch ich habe Grenzen, Dazai“, sagt Kunikida dann und sieht seinen brünetten Kollegen eindringlich ein.     „Es tut mir leid, dass ich dir Unannehmlichkeiten bereitet habe“, seufzt Dazai und zwingt sich zu einem Lächeln.     „Ich will keine Entschuldigung von dir, es ist nicht deine Schuld. Du bist krank und brauchst Hilfe. Ich will, dass du verstehst, dass du mit deinen Gedanken nicht allein bist, aber du kannst nicht von mir oder deinen Kollegen erwarten, dass wir ständig achtsam sind. Auch unsere Belastbarkeit hat Grenzen. Deshalb will ich, dass du dir professionelle Hilfe suchst.“     Dazai will etwas sagen. Eine Therapie zu machen, bedeutet, sich einzugestehen, dass er krank ist und dann wird er zwangsweise mit seiner Vergangenheit konfrontiert, die er doch so sehr zu verdrängen versucht.     „Ich weiß, dass du das allein nicht packst, deshalb werde ich mit kommen. Wir suchen zusammen nach einem guten Psychotherapeuten und ich begleite dich zum Erstgespräch. Ich lass dich nicht hängen, ich bin doch dein Partner.“     „Ich kann das nicht“, wimmert Dazai und schüttelt vehement den Kopf.     „Hey, du bist nicht allein und wir müssen auch nicht sofort zum nächsten Arzt rennen. Aber du hast uns alle. Atsushi und auch Kyouka – sie sehen zu dir hoch und würdest du wirklich einfach verschwinden, würdest du ein riesiges Loch in ihre Herzen reißen. Sie würden das nicht verkraften, vor allem Atsushi nicht.“     „Ich weiß, gerade deshalb...!“     Dazai beißt sich auf die Unterlippe.     „Ich will nicht, dass sie wissen, wie erbärmlich und wertlos ich bin. Sicher, sie wissen das wahrscheinlich eh schon, aber wenn ich jetzt eine Therapie mache, wird es doch nur noch offensichtlicher, dass ich nicht die Person bin, die ich vorgebe, zu sein. Das kann ich Atsushi-kun doch nicht antun.“     „Es würde ihm weit aus mehr wehtun, wenn du eines Tages ohne ein Wort der Erklärung verschwindest, Dazai.“     „Wenn Atsushi eines Tages einfach verschwinden würde und du nicht weißt, was mit ihm passiert ist, wie würdest du dich fühlen?“     „Das ist abwegig, ihr alle beschützt ihn vor der Port Mafia und --“     „Wenn Atsushi Selbstmord begehen würde und du nicht zur rechten Zeit da bist, um ihn zu retten, wie würdest du dich dann fühlen, Dazai?!“     Dazai schluckt.     „Wie fühlt es sich an, einen sterbenden Mann in seinen Armen zu halten? Einen Freund, den du nicht retten konntest, weil du nicht früh genug bemerkt hast, dass etwas nicht stimmt?“     Dazai denkt unweigerlich an Oda und all die schmerzhaften Gefühle, die er in diesem Moment empfunden hat, kommen auf einmal hoch. Als Oda in seinen Armen gestorben ist, fühlte er sich schwach. Machtlos. Allein gelassen. Seine ganze Welt ist in diesem Moment zerbrochen und alles wurde sinnlos.     „Ist das ein gutes Gefühl, Dazai?“     „Nein! Nein, ist es nicht!“, kommt es ungehalten von Dazai und in seinen Augenwinkeln glitzern Tränen. Dazai Osamu weint nie. Nie. Doch Odas Verlust lässt sein erkaltetes Herz vor Schmerzen schreien.     „Würdest du dieses Gefühl für deine Freunde wollen? Sollen sie diesen Schmerz erleben?“     „Natürlich nicht.“     „Dann denke über meine Worte nach. Lass uns nicht denselben Schmerz empfinden, den du durchmachen musstest.“     „Was? Woher weißt du davon?“     „Ich weiß nicht, was genau passiert ist, aber ich bin Detektiv, Dazai. Es ist mein Job knifflige Fälle zu lösen und die Wahrheit ans Licht zu bringen und gerade eben... da habe ich pure Verzweiflung in deinen Augen gesehen. Ich mag nicht so klug sein, wie du oder Ranpo-san, aber ich kann zwischen den Zeilen lesen. Irgendwann in deinem Leben hast du jemanden verloren, der dir sehr wichtig war und im Angesicht der Umstände, in denen du gelebt hast, erscheint es mir naheliegend, dass du viele Tode erlebt hast.“     Dazais Gesichtsausdruck verändert sich. Er quält sich. Soll er Kunikida von seinem Verlust erzählen? Tief in ihm schreit etwas, das sich nach Sicherheit sehnt und nichts sehnlicher möchte, als eine Schulter zum Ausweinen, doch die Angst seine Schwäche zu offenbaren ist noch zu groß, also entscheidet er sich dagegen. Oda bleibt fürs Erste sein Geheimnis.     „Eines Tages erzähle ich dir davon, Kunikida-kun. Aber nicht heute.“     „Dazai, du solltest darüber nachdenken. Wenn du eine Vormundschaft ablehnst und keine Therapie machst, könnte es durchaus sein, dass man dir die Vollmacht entzieht. Shachou ist gerne bereit, dein Vormund zu werden, doch das Problem ist Mori. Wenn er sich einschaltet, riskieren wir einen rechtlichen Disput.“     „Ich weiß. Ich kann nicht ewig vor meiner Vergangenheit weglaufen, irgendwann muss ich mich ihr stellen, ansonsten kann ich niemals nach vorne gehen.“     Kunikida greift nach Dazais Händen und drückt sie fest, seine Augen strahlen Wärme und Selbstsicherheit aus und er nickt seinem Partner zu.     „Ich bin dein Partner und dein Freund, ich unterstütze dich und bin für dich da.“     „Und was ist mit deinem Terminplan?“, kichert Dazai leise und legt den Kopf schief.     „Der kann warten, bis es dir besser geht. Leben zu schützen steht an erster Stelle meines Ideals.“     „Danke, Kunikida-kun.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)