Kanpekina okurimono von MAC01 (Das perfekte Geschenk) ================================================================================ Kapitel 1: Das perfekte Geschenk -------------------------------- Kaiba Seto war ein Mann dessen Leben für den außenstehenden Betrachter kaum hätte besser laufen können: Er war jung, ein erfolgreicher Geschäftsmann, der eine eigene, international bekannte und bedeutende Firma führte und dadurch mehr Geld angehäuft hatte, als er jemals in seinem Leben ausgeben konnte. Dazu kam, dass die Presse respektvoll Abstand von ihm, als Privatperson, hielt und wenn, dann nur positiv und lobend berichtete. Auch die Damenwelt war entzückt von dem gut erzogenen jungen Mann, der scheinbar so tugendhaft, wie wohlerzogen war. Jung - ja. Erfolgreich - auch. Geschäftsmann - jawohl. Eigene Firma - ohne Zweifel. Viel Geld - absolut. Aber waren das wirklich die wichtigen Dinge im Leben, auf die es ankam? Wer machte sich schon die Mühe hinter all das zu schauen und zu fragen, welchen Preis er dafür hatte zahlen müssen? Seto war 24 Jahre alt. Ein Alter, in dem die meisten Menschen gerade mal ihr eigenes Leben und ihre Karriere begonnen hatten. Ihr Leben lag praktisch noch vor ihnen. Doch er ... fühlte sich alt. Für ihn fühlte es sich an, als läge sein Leben bereits hinter ihm. Geschäftsmann war er, seit sein Adoptivvater ihm auftrug, Geld von ihm zu nehmen und es zu verdoppeln. Dafür hatte er ihm ein Jahr Zeit gegeben. Wäre er an dieser Aufgabe gescheitert hätte der Mann seinen Bruder und ihn zurück ins Waisenhaus geschickt. Nach nur sechs Monaten hatte er die Aufgabe bewältigt. Dafür hatte er nur eine Firma finden müssen, deren Angestellte für den bisherigen Inhaber wie eine Familie gewesen war. Diese hatte er dann gekauft und mit der Entlassung der Hälfte der Belegschaft gedroht, es sei denn - und hier hatte er das erste Mal einen Teil seiner Menschlichkeit eingebüßt - der bisherige Chef würde ihm die Firma zum doppelten Preis wieder abkaufen. Schließlich hatte er seinen Adoptivvater beerbt, nachdem dieser sich aus dem obersten Stock seiner Firmenzentrale gestürzt hatte. Die Umstände für diesen Suizid waren offiziell nie geklärt worden. Doch ein erlesener Kreis von Personen, bestehend aus ihm selbst, seinem jüngeren Bruder, sowie der damalige Firmenvorstand, kannten die Wahrheit. Die Wahrheit, dass er durch eine List den alten Kaiba entmachtet und ihm die Firma entrissen hatte. Von einem Halbwüchsigen, der gerade mal 15 Jahre alt gewesen war, aufs Kreuz gelegt worden zu sein hatte sein Adoptivvater nicht ertragen und hatte sich in einem Anflug von Wahnsinn aus dem Fenster gestürzt. So hatte Seto sein Versprechen an seinen jüngeren Bruder eingelöst: Sie konnten fortan ein Leben ohne Angst und mit genügend Geld führen, so dass es ihnen an nichts mangelte. Ein Traum... oder ein Märchen? Weit gefehlt. Denn seinen Adoptivvater in den Suizid zu treiben hatte erneut ein Stück seiner Menschlichkeit gekostet. Nach außen wurde er hart und kalt, ging resolut mit Menschen um, die ihm nichts bedeuteten, und war stets darauf bedacht, dass es seinem kleinen Bruder an nichts mangelte und es ihm gut ging. Geld vermag viel: Es kann Sicherheit bieten. Respekt einflößen. Türen öffnen. Tunichtgute anlocken. Materielle Wünsche erfüllen. Probleme aufwerfen oder lösen. Doch eines kann Geld nicht: Glücklich machen. Umso erfreulicher war es für ihn gewesen, als er sich aus freien Stücken auf der Oberschule einschrieb und dort jemand traf, der sich weder von seinem Namen, seinem Titel, noch seinem Geld einschüchtern ließ. Der ihm immer geradeaus sagte, wenn er ein Arsch war oder seine Handlungen mehr als fragwürdig waren. War es da so verwunderlicher, dass sich Kaiba Seto gerade in diesen Menschen verliebte? Während ihrer gemeinsamen Schulzeit glich ihr Verhältnis dem zwischen Hund und Katz, wobei dieser Vergleich doch sehr hinkt. Denn Katzen und Hunde können sich durchaus sehr gut verstehen und sogar Freundschaften entwickeln. Doch die beiden waren eher wie das klischeebehaftete Bild des Sprichwortes. Der mächtige Jungunternehmer fauchte, sein gegenüber kläffte. Der verbale Schlagabtausch war oft der Höhepunkt in seiner Woche oder an seinem Tag. Dabei teilte er sich ganz genau ein, wann er sich diese Entspannung, der für viele wie ein Streit wirkte, gönnte. Anfangs hatte er seine Gefühle für den blonden Köter noch vor sich selbst geleugnet. Aber selbst sein kleiner Bruder hatte ihn recht schnell durchschaut. Mokuba hatte gewusst, dass er nicht einfach so auf jemand zugehen konnte. Deshalb hatte er sich mit dem Streuner und dessen Freunde angefreundet. Hatte sie immer wieder zu ihnen in die Villa eingeladen. Natürlich musste Seto so tun, als wäre ihm das gar nicht recht, doch oft erwischte er sich dabei, wie er die Gruppe heimlich beobachtete. Im letzten Jahr der Oberschule war Seto schließlich mit dem Blonden zusammen gekommen. Wie genau, dass war dem jungen Geschäftsmann immer noch ein Rätsel. Jonouchi hatte ihn mal wieder genervt, er solle sich ihnen doch am Pool anschließen. Daraus war einer ihrer verbalen Schlagabtausche entstanden und plötzlich ... hatten sie sich geküsst. Von da an war der Blonde ihm nicht mehr von der Seite gewichen. Seto hätte es nie zugegeben, aber es war die beste Zeit seines Lebens gewesen ... die Zeit mit ihm: Jonouchi Katsuya. Er hatte ihm gezeigt, wie viel Spaß das Leben machen konnte. Das man eben nicht immer alles und jeden kontrollieren musste. Wie wichtig regelmäßige Auszeiten waren, damit man danach umso energiegeladener an Projekte rangehen konnte. Vier Jahre später zerbrach ihre Beziehung ebenso schnell, wie sie begonnen hatte. Das Geräusch nackter Füße, die über das Parkett tapsten, holte den Brünetten wieder in das hier und jetzt. Er stand in seinem unbeleuchteten Heimbüro vor der verglasten Außenwand und ließ seinen Blick in die Dunkelheit der Stadt schweifen. Weit unter ihm, in den Straßenschluchten, war das geschäftige Treiben unzähliger Lichter zu erkennen. Seto musste nicht auf die Spiegelung in seiner Fensterfront achten, um zu wissen, wer im Türrahmen zu seinem Büro stehen geblieben war. Außer ihm wurde das Penthouse nur noch von seinem jüngeren Bruder bewohnt. "Alles in Ordnung?", fragte er seinen Bruder, ohne sich umzudrehen. "Ja. Ich wollte mir eine Pizza bestellen. Möchtest du auch eine?", fragte der Schwarzhaarige, der seine wilde Mähne vor ein paar Jahren gegen eine ordentliche Kurzhaarfrisur getauscht hatte, als er an die Oberschule gewechselt war. "Danke, dass du fragst, aber ich möchte nichts", antwortete Seto in einem ruhigen, neutralen Tonfall, seinen Blick immer noch auf die Silhouette der Stadt gerichtet. "Ich wollte mir zur Pizza noch ein Film anmachen. Magst du dich anschließen?", fragte der junge Mann, zu dem der kleine Wirbelwind geworden war. "Ich denke, ich passe", erwiderte Seto. "Es gibt auch Popcorn", versuchte der Schwarzhaarige ihn zu locken. "Heute Abend nicht", lehnte der Ältere erneut ab. Plötzlich spürte Seto eine Hand in seinem Rücken, die flach auflag. Er hatte gar nicht gemerkt, dass Mokuba mit jeder Frage näher gerückt war, so dass er ihn berühren konnte. Reflexartig spannte der Ältere sich unter der liebevollen Berührung an. "Mir gefällt es nicht, dass du hier alleine in der Dunkelheit stehst und aus dem Fenster starrst", meinte Mokuba mit leiser Stimme besorgt. "Tut mir leid, wenn ich dir Sorge bereite. Das wollte ich nicht", kam es ebenso leise von Seto zurück, der sich langsam zu Mokuba wandte. Er lächelte seinen Bruder, der mittlerweile nur noch wenige Zentimeter kleiner war, als er selbst, an. "Danke, dass du immer auf mich achtest." "Wir sind Brüder. Wenn nicht ich, wer dann?", fragte Mokuba mit ebenso sanftem Lächeln, wie jenes, welches Seto ihm geschenkt hatte. Doch obwohl die Worte gut gemeint und voller Liebe waren, ließen sie Setos Herz stechen. Behutsam zog er Mokuba an sich und umarmte ihn. Der Jüngere erwiderte die Umarmung. "Ich würde die Filmwahl auch dir überlassen", flüsterte Mokuba in einem letzten Versuch, seinen Bruder aus dessen Einsamkeit zu befreien. Langsam löste sich Seto von ihm und blickte ihm in die grau-blauen Augen. "Wir beide wissen, dass mein Filmgeschmack viel zu langweilig für dich ist", konterte Seto. "Hm ... manchmal ist langweilig gut", versuchte Mokuba kess weiter und grinste. Für einen Moment wirkte er wieder wie der Zwölfjährige, der er einmal gewesen war. "Ich denke, ich werde ausgehen", kam es nach einem langen Moment, in dem sie sich schweigend angeschaut hatten. Überraschung drängte sich auf Mokubas Gesicht, doch dann nickte er begeistert. "Das wird dir gut tun ... ein wenig unter Menschen sein", meinte der Schwarzhaarige ermutigend. "Aber zieh dir etwas heißeres an, als den Dreiteiler, den du jetzt trägst." Seto blickte an sich herunter und musste seinem Bruder zustimmen. Für das, was er im Sinn hatte, war er nicht richtig gekleidet. "Dann geh ich mich mal umziehen", meinte er nur und machte den ersten Schritt, um sein Büro zu verlassen. "Aber verschwind nicht wieder, ohne mir zu zeigen, was du anhast", mahnte ihn Mokuba, der vor dem Büro zurück in den Wohnraum ging, während Seto sich dem Flur zuwandte, der zu ihren Schlafzimmer führen würde. Das "Babylon" war DER angesagte Club in der Stadt. Jedenfalls in der Schwulenszene. Vor seiner Tür wand sich eine lange Menschenschlange, die das noch unterstrich. Alle in der Schlange hofften, dass sie bald an der Reihe waren und vom Türsteher nicht weggeschickt wurden. Denn um angesagt und DER Spot für den Samstagabend zu sein durfte man nicht jeden in den Tempel des Humpa-Humpa lassen. Der Betreiber wollte eine spezielle Klientel anlocken und dafür brauchte es eben spezielle Kundschaft. Als Seto an der Schlange vorbei ging fand er es schon fast belustigend, wie die Club-Gänger hier draußen von einem Fuß auf den anderen traten, um sich etwas zu wärmen. Statt sich mit einer angemessenen Jacke oder Mantel zu bekleiden hatten sie entschieden, dass Aussehen alles war. Scheiß auf Nieren- und Blasenentzündungen oder den Kältetod. Hauptsache man sah in der Schlange vor dem Club gut aus, in den man als Eiswürfel nicht reinkommen würde. Einige aus der Schlange maulten, als Seto vorüber ging. Rufe, wie 'Vordrängler' hallten ihm nach. Doch an der Clubtür zog der Brünette einen Club-Ausweis und wurde anstandslos und ohne Wartezeit vom Türsteher durchgelassen. Das war der Vorteil einer monatlichen Gebühr, die ihm einen VIP-Status in diesem Club einräumte. Er ging weiter zur Garderobe und zog seinen Wintermantel aus. Darunter kam das Netzshirt zum Vorschein, welches ihm Mokuba geliehen hatte. Ebenso die enge, schwarze Lederhose. Eigentlich hatte Seto lediglich eine zerschlissene Jeans und ein abgetragenes Shirt anziehen wollen, aber Mokuba hatte interveniert. Sein Bruder könne ruhig zeigen, was er habe und müsste sich nicht verstecken. Nur zähneknirschend hatte er sich von seinem jüngeren Bruder umstylen lassen. Der junge Typ auf der anderen Seite der Theke nahm seinen Mantel entgegen, hängte ihn ordentlich auf einen Bügel und zog von diesem einen Plastik-Jeton. Dieser reichte er Seto, der seinen 'Abholschein' entgegen nahm. Als er sich umwandte wurde er sofort von einem nur mit Shorts bekleideten, muskulösen Mann, der kaum älter war als er selbst, in Empfang genommen. Dieser geleitete ihn um die Garderobe herum und zu den Privatlounges. Seto hatte immer die gleiche Lounge und er bevorzugte Kontinuität. Erst als der Angestellte ihn endlich zu seiner Lounge gebracht und hinter ihm den schweren Vorhang geschlossen hatte, ließ Seto den kräftigen Beat der lauten Musik auf sich wirken. Bei dieser Lautstärke fiel es schwer zu denken. Und genau das brauchte er jetzt. Er wollte sich nicht länger in Gedanken verlieren oder betrauern, was er verloren hatte. Aber er war auch niemand, der sich in eine Menge zuckender Körper warf und auf einer prall gefüllten Tanzfläche sich völlig unsinnig bewegte. Tanzen war nun mal etwas, was ihm nicht lag. Außerdem wollte er sich nicht lächerlich machen. Es war eine Sache mit einem heißen Blonden sich im Takt der Musik auf der Tanzfläche zu räkeln, aber eine andere alleine auf der Stelle zu hopsen. Er nahm auf dem samtbezogenen Sofa Platz und blickte über die Brüstung in den Hauptraum des Clubs. Der 90er Jahre-Beat ließ förmlich die Wände und den Boden beben. Die schnell in ihrer Farbe wechselnden Stroboskope und Laser tauchten die gesamte Szenerie in ein bizarres Lichtspiel, welches sich passend zur Musik bewegte und wechselte. Scheinbar hatte der Club heute einen begabten Lightjockey am Lichtpult, mit einem guten Gespür für den Rhythmus der Musik. Das fachte die Menge auf der großen Tanzfläche zusätzlich an. Ebenso die Anheizer, die auf höher gelegenen Plattformen in engen Shorts und mit Glitzerpuder bedeckte Oberkörper sich zur Musik bewegten. Die geschwungene Bar an der Rückwand des Clubs war ebenfalls gut besucht, was Seto dazu brachte, die Karte auf dem niedrigen Tisch zu nehmen und dann über eine Tischkonsole zu bestellen. Es dauerte kaum eine Minute, da kam der Typ, der ihn in seine Lounge geführt hatte, mit einem Tablett und servierte ihm seine Bestellung. Seto steckte ihm ein großzügiges Trinkgeld zu, was dem jungen Mann ein breites und dankbares Grinsen auf das Gesicht zauberte. Ja, hier zu sitzen, seinen Drink zu genießen und der Menge beim Tanzen zuzusehen, während die Musik ihm einen wippenden Fuß abverlangte, war Setos Definition von Ausgehen. Jedenfalls, seit seine Beziehung mit Katsuya zerbrochen war. Der Blonde hatte ihn stets dazu beflügelt über sich selbst hinaus zu wachsen. Nicht geschäftlich, dass schaffte Seto auch ganz alleine. Aber was 'normale' Aktivitäten betraf, hatte Seto einiges nachzuholen gehabt. Und Katsuya war ein außerordentlich guter Lehrer gewesen. Der Service-Boy hatte ihm gerade seinen fünften Drink gebracht, als etwas Setos Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Wieder hatte er der Hilfskraft ein großzügiges Trinkgeld zugesteckt und wartete, bis dieser ihn erneut alleine gelassen hatte. Dann fixierte Seto das, was ihm trotz der wechselnden Lichtverhältnisse regelrecht angesprungen hatte: Blondes Haar. Endlich bekam er zu sehen, worauf er all die Stunden gewartet hatte: Da unten auf der Tanzfläche bewegte sich im Takt der schnellen Musik der attraktivste Mann, der existierte. Alle anderen um ihn herum verblassten einfach und schienen transparent zu werden. Für Seto gab es nur noch ihn: Jonouchi Katsuya. Sein Streuner trug ein dunkelrotes Hemd, dessen obere Knöpfe offen waren und einen großzügigen Blick auf seine Brust gestatteten. Darunter eine enge, schwarze Hose, die ein wenig schimmerte, wenn Licht auf sie fiel. Obwohl sie fast sechs Meter und ein Stockwerk trennte bildete sich Seto ein Katsuyas Haar riechen zu können. Dieses fruchtige Shampoo, welches er stets als so angenehm empfunden hatte. Welches Katsuyas Haar so weich sein ließ und ihm einen besonderen Glanz verlieh. Dafür hatte sich das Warten gelohnt. Für diesen Augenblick, in dem Seto ihn anschmachten konnte. Katsuya wirkte wie eine Sirene auf ihn, die ihn mit ihrem Gesang lockte und ins Verderben führen wollte. Nur dass Katsuya wohl kaum wissen konnte, dass er hier war und ihn beobachtete. Setos Herz schlug schneller. Doch dann wurde sein Bild gestört. Kräftige Arme schlangen sich auf einmal von hinten um Katsuyas Hüfte und ließ fremde Hände verdächtig tief an seinen Schritt heran gleiten. Doch Katsuya schien das gar nicht zu stören. Er lehnte sich vertrauensvoll etwas nach hinten und hob seinen Kopf über die eigene Schulter. Der Mann hinter ihm war etwas größer als er und schien kein Japaner zu sein. Vielleicht Amerikaner, der auf der nahen Militärbasis stationiert war? Der Fremde beugte sich vor und raubte einen Kuss von den Lippen des Blonden. Doch dieser schien auch dagegen nichts zu haben. Im Gegenteil. Er führte seine Hand an dem Stiernacken entlang nach oben und ließ seine Finger in das kurze, dunkle Haar fahren. Wut kroch in Seto hoch. Die beiden tanzten unverschämt eng aneinander, Katsuya mit dem Rücken an der breiten Brust des Fremden. Die Hüfte provozierend hin und her schwingend. Seto konnte spüren, wie der Platz in seiner Hose schwand, denn er kannte aus eigener Erfahrung das Gefühl, dass der Amerikaner gerade empfinden durfte. Wie oft hatte der Blonde ihn auf der Tanzfläche heiß gemacht und ihn dann in den Dark Room gezogen. Und genau in diese Richtung sah Seto die beiden allmählich verschwinden. Seine Hand, die das Glas hielt, hatte sich so fest um das Gefäß gelegt, dass es knirschte, bevor es zersprang. Einige der entstandenen Scherben hatten ihm in die Handfläche geschnitten und Blut ran ihm über die Haut. Doch das alles interessierte Seto gerade nicht. Es war eine Sache seinen Geliebten zu sehen, wie er ohne ihn glücklich war. Doch eine ganz andere ihn mit einem anderen Mann zu sehen. Er sprang auf, schlug den schweren Vorhang zur Seite und verließ die Lounge. Mit hastigen Schritten suchte er sich seinen Weg zurück ins Foyer zur Garderobe. Dort donnerte er den Jeton auf die Theke, was den Garderobier kurz erschrocken zusammenzucken ließ. Schnell suchte er den Mantel heraus und reichte ihn Seto über die Theke. Dieser nahm ihn, schlüpfte hinein und steuerte den Ausgang des Clubs an. Die kalte Oktobernacht umfing ihn und ließ ihn kurz frösteln. Er hatte gar nicht gemerkt, wie aufgeheizt der Club doch gewesen war. Oder kam die Hitze aus seinem Inneren? Von seiner Wut? Er ging ein paar Schritte, bevor ihn jemand am Oberarm packte und festhielt. Instinktiv zuckte er zusammen, wirbelte herum und versuchte sich der fremden Hand zu entledigen. Zu seiner Überraschung traf sein Blick auf den brauner Augen. Sein Herz schlug heftig und schien ein Hüpfer zu machen, als er Katsuya erkannte. Aber war dieser nicht eben mit seinem neuen Lover in den Dark Room entschwunden? "Was machst du hier, Seto?", fragte Katsuya und etwas Tadelndes lag in seiner Stimme. "War aus", antwortete Seto zurückhaltend und klang dabei eher wie ein Kind, welches sich einer Ausrede bedienen wollte, von der es wusste, dass sie nicht glaubhaft war. "Warum kommst du immer wieder her und schaust mir beim Tanzen zu?", fragte Katsuya weiter. "Tu ich das?", erwiderte der junge Geschäftsmann. Katsuya verschränkte seine Arme vor der Brust und schnaufte. "Beleidige nicht meine Intelligenz", kam es angespannt von dem Blonden. Sofort ließ Seto den Kopf hängen. "Wenn ich schon nicht bei dir sein darf, dann möchte ich dich hin und wieder beim Tanzen sehen", kam es leise und dieses mal ehrlich von dem Brünetten. "Ach Seto", begehrte Katsuya auf und löste seine defensive Haltung, indem er seine Arme an seine Körperseite sinken ließ. "Das tut dir nicht gut." "...", Seto wusste nichts zu erwidern. Er hatte Angst, dass Katsuya ihn als nächstes darum bitten würde, nicht mehr hier her zu kommen. Sicherlich hatte der Blonde Recht: Sich an seine verflossene Liebe zu klammern war nicht gut für ihn. Doch er wollte das bisschen, was er von ihm hatte, nicht auch noch verlieren. "Was ist mit deiner Hand?", kam es schließlich besorgt von dem Blonden. Verwirrt sah Seto erst zu ihm auf und dann auf seine noch immer blutende Hand. Langsam schob er sie etwas hinter seinen Körper und damit außer Sicht von Katsuya. Doch dabei hinterließ er einige Blutflecken auf seinem Mantel. "Nicht wichtig", meinte er nur mit belegter Stimme. Doch das ließ Katsuya ihm nicht durchgehen. Er griff nach dem Handgelenk zog es wieder vor und hob es, so dass er die Schnitte in der Handfläche sehen konnte. "Das muss gesäubert und versorgt werden", meinte der Blonde nur ruhig. "Werd mich drum kümmern", versuchte Seto abzuwiegeln, doch dazu genoss er die Berührung von Katsuya viel zu sehr. "Lügner", schimpfte der Blonde ihn ohne Schärfe in der Stimme. Er zog ein sauberes Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche und presste es auf die Hand. "Wo steht dein Auto?" "Solltest du dich nicht eher um deinen Freund kümmern?", fragte Seto und konnte die Bitterkeit nicht von seiner Stimme fernhalten. Katsuya sah ihn an und seufzte dann. "Er ist nicht mein Freund", meinte er. "Dafür habt ihr aber ziemlich ... vertraut mit einander getanzt", merkte Seto an und ließ erneut den Kopf hängen. "Seto, ich bin dir keine Rechenschaft schuldig", kam es neutral von dem Blonden und hielt dann seine Hand auf. Seto musterte die fordernde Hand, dann griff er in seine Manteltasche und legte seinen Autoschlüssel in sie. Dann führte er seinen Ex-Freund zu seinem Auto. Katsuya entriegelte das Auto und stieg auf der Fahrerseite ein, während Seto auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Dann startete der Blonde den Wagen und steuerte ihn auf die belebte Straße. "Du musst hier links", meinte Seto, als Katsuya an der nächsten Kreuzung nach rechts abbiegen wollte. Fragend blickte er den Brünetten an. "Wir wohnen nicht mehr in der Villa." "Oh", kam es von Katsuya, der den Blinker wechselte und dann nach links abbog, statt nach rechts. "Seit wann?" "Zwei, ... vielleicht drei Jahre?", antwortete Seto leise. "Das ist gut", lobte Katsuya ihn und schenkte ihm ein kurzes Lächeln. "Dann lots mich mal." Seto blickte auf das Taschentuch in seiner Handfläche, welches sich nach und nach mit Blut vollsog. Dann leitete er den Blonden, bis sie in einer Tiefgarage ankamen. Dort hatte er eine eigene Parkbucht. Katsuya parkte, schaltete den Motor ab und stieg aus. Seto folgte zögerlich. Kaum war er ausgestiegen ertönte die Zentralverriegelung, die Katsuya ausgelöst hatte. Er wartete auf ihn, da er nicht wusste, wo er den Aufzug finden würde. Wortlos führte Seto ihn. "Ich ruf dir ein Taxi", meinte Seto, als der Aufzug seine Türen nach einem Bing öffnete. "Kannst du machen, wenn wir deine Schnitte verarztet haben", konterte Setos Gegenüber, während dieser ihm in den Aufzug folgte. Der junge Geschäftsmann zog seine Brieftasche und hielt sie an den Sensor im Aufzug. Ein weiteres Bing signalisierte das Schließen der Türen, bevor er sich in Bewegung setzte. Insgeheim wünschte sich der Brünette, dass sie stecken blieben und er noch eine Weile mit Katsuya haben würde. Doch kaum hatte er seinen Wunsch fertig formuliert glitten die Türen dieses Mal stumm auf und gaben den Blick auf ein kurzes Flurstück preis, dass in einem großen Raum mündete und einen überwältigenden Ausblick auf die Stadt offenbarte. "Wow", kam es beeindruckt von dem Blonden. Dann trat er aus dem Aufzug und Seto folgte ihm. Das Penthouse lag im Nachtmodus da: Flure und die gemeinschaftlichen Räumen waren über LEDs auf Knöchelhöhe beleuchtet, ansonsten war es dunkel. Als sie in den Wohnraum kamen konnte Seto sehen, wie die große Trennwand, die den Wohnbereich vom Essbereich trennte und eigentlich aus einem gigantischen Aquarium bestand, Katsuyas Aufmerksamkeit regte. Das Innenleben des Aquariums wirkte, als hätte jemand ein Stück aus einem Korallenriff entnommen und es hier eingesetzt. Einige wenige Fische waren aktiv und schwammen darin herum. "Bei Tag ist im Aquarium mehr los", erklärte Seto. "Aha", kam es immer noch total von den Fischen fasziniert von Katsuya. Dann schien ihm wieder einzufallen, warum er hier war. Er kam zu Seto zurück. "Wo find ich den Erste Hilfe-Kasten?" "Im Vorratsraum", meinte Seto und deutete auf eine Tür gleich neben dem Aufzug. "Zieh schon mal dein Mantel aus", bat der Blonde ihn, während er sich von Seto abwandte, um den Kasten zu holen. Der Brünette folgte der Bitte und folgte Katsuya in den Vorratsraum, in dem er wie angewurzelt stand und die Regale und Einbauschränke anstarrte. Er schob sich an dem Blonden vorbei, ging zu einem Schrank und drückte auf die Ecke der Tür, die sofort aufging. Darin waren einige Hygieneartikel, sowie der Erste Hilfe-Kasten und eine halbe Apotheke untergebracht. Katsuya schloss auf und griff nun an Seto vorbei, um nach dem Kasten zu greifen. Als er zurück wollte, zog ihn Seto weiter in den Raum zu einer zweiten Tür. Die Tür glitt zur Seite und gab den Weg in die Küche frei. Dann schloss sie sich hinter ihnen wieder und wirkte wie eine reguläre Küchenschrankfront. "Wow", kam es über die Lippen des Blonden und Seto musste schmunzeln. Er hatte die Küche nach einem Plan entwerfen lassen, der von Katsuya stammte. Dieser hatte früher immer kleine Pläne gezeichnet, wie er sich das perfekte Haus oder die perfekte Wohnung vorstellte. An der Küche hatte er besonders lange gefeilt, bevor er zufrieden gewesen war. "Du hast sie wirklich gut umgesetzt." "Es war ein guter Entwurf", erwiderte Seto bedächtig. Das war er auch gewesen, doch das war nicht die Motivation gewesen, warum er sich diese Küche hatte bauen lassen. Katsuya sah ihn kurz einen Moment an und Stille entstand zwischen ihnen. Sie waren sich so nah ... näher als in den letzten drei Jahren jemals. Für einen Moment träumte Seto davon sich einfach vorzubeugen und seine Lippen auf die des Blonden zu legen. Doch dann fehlte ihm doch der Mut dazu und der Moment verging. "Setz dich auf den Stuhl", meinte Katsuya schließlich und deutete zum Esstisch. Seto gehorchte und der Blonde folgte. Nachdem der Brünette sich hingesetzt hatte zog Katsuya seine Jacke aus, warf sie über die Lehne eines freien Stuhles, krempelte sich die Ärmel des dunkelroten Hemdes, nahm sich die spezielle Waschseife und ging sich in der Küche gründlich die Hände waschen. Dann zog er sich Einweghandschuhe über und kam zurück, um sich gegenüber von Seto auf einen Stuhl niederzulassen. Auf einmal wirkte der Blonde anders. "Wie läuft es so bei dir?", fragte Seto interessiert. "Gut. Ich darf mittlerweile sogar hin und wieder operieren und lerne dabei sehr viel", erzählte Katsuya. "Das freut mich", kam es leise von dem Brünetten. "Wirklich?", fragte Katsuya, während er die Hand fachmännisch säuberte. "Sicher, warum nicht?", bestärkte Seto verwirrt. "Weil du damals nicht begeistert warst, als dir bewusst wurde, wie viel Zeit die Ausbildung zum Chirurgen in Anspruch nahm", kam es ruhig von dem Blonden, der die Schnitte in Setos Handinnenfläche begutachtete. "Ich war damals ein Idiot", entgegnete der Brünette und ließ Katsuya überrascht aufblicken. Dann versorgt er die Schnitte und verband die Hand. "Hast du gehört?" "Ich habe dich gehört, Seto", bestätigte Katsuya, lehnte sich zurück und zog die Handschuhe aus. "Aber was erwartest du jetzt von mir?" Seto senkte seinen Blick wieder und starrte auf die bandagierte Hand. "Keine Ahnung", kam es mit fast erstickender Stimme von dem Brünetten, der mit seinen blauen Augen wieder zu Katsuya aufblickte. "Eine zweite Chance?" Ungläubig blickte Katsuya ihn an. Dann fuhr er sich mit einer Hand durch das blonde Haar. "Seto...", wollte Katsuya ansetzen, doch Seto ergriff seine Hände und brachte ihn mit dieser Geste zum Schweigen. "Ich war ein Idiot, Katsuya", wiederholte der Brünette und Schmerz, sowie Verzweiflung schwangen in seiner Stimme mit. "Doch ich hab an mir gearbeitet." Katsuya musterte ihn stumm. "Ich hab mich früher beklagt, weil wir einander kaum noch gesehen haben. Aber weißt du was: Ich bin der Chef in meiner Firma. Niemand schreibt mir vor, wann ich in der Firma zu sein habe oder nicht. Mittlerweile kann ich Aufgaben delegieren und meine Zeiten flexibel nutzen", kam es plötzlich hastig von dem Geschäftsmann. "Ich kann mich deinen Schichten anpassen." "Aber wenn du dir Zeit freischaufelst und ich kurzfristig für eine OP eingespannt werde, wirst du dich wieder ärgern und dieser Ärger wird sich anstauen. Dann landen wir doch wo wir schon waren", entgegnete Katsuya ruhig. Zum ersten Mal glaubte Seto etwas in der Stimme seines Gegenüber zu hören, dass er bislang nur von sich kannte: Verzweiflung. Eine Verzweiflung, die entstand, wenn man etwas begehrte, was man nicht haben konnte. Oder glaubte, es nicht haben zu können. "Ich weiß aber jetzt, worauf ich mich einlasse. Das hab ich damals nicht wirklich gewusst", blieb Seto weiter am Ball. "Seto...", setzte Katsuya erneut an, als Seto ihm das Wort abschnitt. "ICH LIEBE DICH", platzte es nur so aus dem Brünetten mit all seinen Gefühlen heraus, die ihn drohten zu zerreißen. Katsuyas braune Augen weiteten sich überrumpelt und Seto konnte förmlich beobachten, wie die Unnachgiebigkeit des anderen bröckelte und abfiel. "Ich lieb dich doch auch", erwiderte der Blonde mit zitternder Stimme. Noch ehe das letzte Wort Katsuyas Lippen verlassen hatte legten sich Setos hastig auf sie. Er zog Katsuya näher an sich und ließ eine Hand in das seidig-weiche Haar gleiten. Katsuya schlang seine Arme um ihn. Immer wieder setzten sie zu einem weiteren Kuss an, kaum dass der vorherige geendet hatte, bis sie schließlich irgendwann auf Setos Bett landete. Wie sie vom Esstisch, durch den Wohnraum, einen Gang entlang und in dieses Schlafzimmer gekommen waren, konnte keiner von ihnen sagen. Nur dass ein lange aufgetautes Verlangen sich Bahn brach und ihre Kleidungsstücke sich auf dem Weg hierher verteilt hatten, so dass sie auf dem Meter vor dem Bett auch die letzten Kleidungsstücke endlich abgestreift bekamen. Als Seto am Morgen langsam in seinem zerwühlten Bett erwachte fröstelte er leicht. Der Geruch von Schweiß und Leidenschaft hing noch schwer in der Luft. Langsam ließ er seine Hand auf die andere Bettseite gleiten. Suchend. Nicht findend. Angst keimte in ihm auf und er reckte seine Hand weiter in die andere Hälfte hinein, bis er den Rand des Bettes ertastete. Schlagartig schlug er seine Augen auf und schreckte hoch. Tatsächlich war er alleine in seinem Bett und dem Schlafzimmer. Hastig blickte er sich um, doch auch aus dem angeschlossenen Badezimmer war kein Geräusch zu vernehmen. Sein Blick fiel auf die gegenüberliegende Nachtkonsole, doch dort wartete kein Zettel darauf, gefunden und gelesen zu werden. Wo war Katsuya? Hatte dieser sich aus dem Schlafzimmer und dem Penthouse geschlichen, als Seto geschlafen hatte? Ohne auch nur ein Wort zu hinterlassen? Aber warum? Nach dieser Nacht war Seto davon ausgegangen, dass sie endlich wieder zueinander gefunden hatten. Sie hatten sich doch gegenseitig ihre Liebe bekundet und waren dann übereinander hergefallen. War das alles nur Show gewesen? Unsicher zog Seto seine Knie an die Brust und umschlang sie mit seinen Armen. Er kämpfte gegen die Verzweiflung und die Frustration an, die sich in ihm aufzutürmen begannen. Warum konnte er nicht haben, was er sich am sehnlichsten wünschte? Warum war er dazu verdammt alleine zu sein? Als er etwas Feuchtes auf seinem Gesicht spürte presste er es an die Knie und ließ seinen Tränen freien Lauf. Plötzlich legten sich warme Arme von der Seite um seine Schultern und er schreckte auf. Mit weiten, geröteten Augen sah er in die gold-braunen Augen seines Streuners. Sanft strich dieser ihm die Feuchtigkeit von der Wange. "Was hat mein Drache denn?", fragte der Blonde besorgt. Seto konnte nicht anders als ihn sofort mit seinen Armen zu umschlingen und an sich zu drücken. "He... Hey. Es ist alles in Ordnung. Ich bin bei dir und werd dich nicht alleine lassen", versuchte Katsuya den Brünetten zu beruhigen, da die Umarmung drohte ihm die Luft abzuschnüren. "Ich ... Ich hab schon gedacht ...", weiter kam Seto nicht, bevor er sich etwas löste und Katsuya fragend anblickte. "Wo warst du?" Sanft begann Katsuya zu lächeln und deutete mit einer seichten Kopfbewegung zur Seite. Als Seto dem Nicken folgte sah er ein Tablett auf dem Bett stehen, auf dem ein Frühstück für zwei angerichtet war. Auf einem der Pfannkuchen stand in Schokoladenschrift etwas. "Happy Birthday, Seto", hauchte Katsuya ihm ins Ohr. ~Owari Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)