Fremde gehen von suugakusan ================================================================================ Montag. 7 Uhr. Ich bin schon wieder im Büro. Und man, es geht mir überhaupt nicht gut. Das war ein echt heftiges Wochenende. Samstag früh habe ich eindeutig viel zu viel getrunken. Es war so viel, dass ich mehr als die Hälfte des Tages in einer Ausnüchterungszelle verbringen musste. Anscheinend wurde ich beklaut und in eine Schlägerei verwickelt. Deswegen musste die Polizei meine Personalien feststellen, aber das ging in meinem Zustand wohl gar nicht. Ich musste erst durchschlafen und dafür hat die liebe Polizeiwache sehr freundlich gesorgt. Anscheinend ist es alles halb so wild gewesen — ich bin als Außenstehender nur dazwischen geraten. Die Vernehmung war sehr kurz, da ich aufgrund von Alkoholvergiftung überhaupt keine Erinnerungen hatte. Als Zeuge war ich also unbrauchbar. Genau so wurde es auch aufgenommen. Schande. Ich wurde trotzdem gefragt, ob ich eine Anzeige erstatten möchte. So etwas steht einem unbrauchbaren Zeugen im Alkoholrausch tatsächlich zu, aber ich habe freundlich abgelegt. Es bringt gar nichts und ich habe kein Bock in eine solche Ermittlung verwickelt zu sein. Abends wurde ich endgültig entlassen. Dreckig, müde, ganz ohne Geld und Telefon ging ich an den einzigen Ort, der mir in diesem Zustand einfiel — das Hotel neben dem Büro. Die Dame am Empfang hat mich nicht sofort erkannt. Als sie soweit war, zeichnete sich auf ihrem sonst so gleichgültig freundlichen Gesicht abrupt ein unverfälschter Schrecken. Sie hat mir trotzdem kommentarlos ein Zimmer auf Rechnung vermietet. Für solch ein unfassbares Professionalismus bin ich ihr immer noch dankbar. Dann habe ich notdürftig geduscht und mich erstmal um die gestohlenen Kreditkarten, den verlorenen Firmenausweis und das weggekommene Betriebshandy gekümmert. Dafür habe ich leider Hashirama belästigen müssen. Er hat mein gesamtes fehlendes Firmenzeug an einem späten Samstagabend irgendwie in Auftrag geben können. Sonntag Mittag war auch tatsächlich alles zugestellt. Keine Ahnung, warum er sowas kann. Er ist immer erreichbar, gut gelaunt und findet sogar Zeit für dumme selbstverschuldete Probleme wie meine. Dabei schafft er trotzdem rund um die Uhr zu hundert Prozent zu liefern. Es ist irgendeine krasse schwarze Magie. Oder er hat's einfach drauf. Parallel dazu habe ich den Wäscheservice beauftragt. Gott sei Dank gab es sowas direkt vor Ort. Ich musste alles abgeben, was ich an mir hatte. Jedes Kleidungsstück war äußerst eklig. Übrigens, in diesem Hotel kann man sogar Ersatzwäsche kaufen. Davon habe ich ebenfalls Gebrauch gemacht. Keine Ahnung, warum sie diesen göttlichen Service anbieten. Auch dafür war ich den Hoteliers sehr dankbar. Eventuell schlafen hier viele Firmenchefs direkt nach einer Ausnüchterungszelle. Das Hotel ist ja nicht so weit von der Polizeiwache. Vielleicht war das die Inspirationsquelle, wer weiß. Zum Abschluss von diesem schrecklichen Tag fiel ich in die Badewanne und verbrachte dort eine gute Stunde. Es tat so gut! Mein Körper hat nach diesem Schlamassel nach Entspannung verlangt. Am Sonntag kamen mein Firmenbadge und ein neues Smartphone an. Ich durfte sogar meine alte Rufnummer behalten. Somit ist es offiziell: Hashirama Senju ist ein dunkler Magier. Mit dem neuen Telefon konnte ich mich erstmals seit Freitag bei meiner mittlerweile sehr wütenden Frau melden. Wir haben einen langen dreistündigen Telefonat geführt. Kurz zusammengefasst: Sie findet mich unausstehlich und will eine Scheidung. Nach der Freitag-Samstag Aktion war das keine große Überraschung. Aber hey! Ich konnte sie doch noch überzeugen, mir die allerletzte Chance zu geben. Dabei bin ich furchtbar zusammengebrochen — mein Empfinden kam kurzzeitig wieder. Aber: sobald sie mich nur ein bisschen Kacke findet, war’s das mit uns wirklich. Fair genug. Wir haben uns also sowas wie vertragen. Wenn ein Vertragen in diesem Zustand überhaupt noch möglich ist. Daraufhin hatte ich den nächsten langen Telefonat geführt. Schon wieder musste ich Hashirama belästigen, denn ich habe Sakura heulend ins Telefon versprochen, meine Pflichten als Abteilungsleiter der IT-Sicherheit abzugeben. Ich kann leider keine 70 bis 80 Stunden pro Woche arbeiten und dabei wie ein ausgeglichener Mensch funktionieren. Das Verzichten auf diese Aufgabe würde mir wöchentlich 10 bis 15 Stunden Arbeitsaufwand ersparen. Hashirama war darüber nicht besonders begeistert, aber ich glaube, er hat mitbekommen, dass mein Leben still den Bach runtergeht. Deswegen hat er mir den Wunsch dennoch gegönnt. Heute Nachmittag wird es dazu eine formale Abwicklung geben. Das rechtliche Wochenende verbrachte ich in absoluter Stille und liegend auf dem Bett. Ich war körperlich völlig am Ende und geistig absolut nicht beisammen. Ich bin es eigentlich immer noch. Mein Empfinden ist seit dem Gespräch mit Sakura nicht erneut zurückgekehrt. Nur dieser stechende Schmerz irgendwo in der Brust. Am Samstag und Sonntag Nachmittag ließ er sich ganz gut ausblenden. Jedoch abends, als ich allein in völliger Stille die Decke anstarrte, kam er ums hundertfache verstärkt zurück. Etwas ist in mir furchtbar kaputtgegangen und ich durfte mir zwischen den lautlosen Krampfanfällen darüber Gedanken machen. Ich habe es nicht rausfinden können. Jetzt schleppe ich all das ins Büro mit. Narutos Worte echoen lautstark in meinem Kopf und entführen jeden Gedanken, den ich sonst hätte. Ich bin dein Wegwerfspielzeug. Du behandelst mich wie Dreck. Als ob du dich kümmerst. Niemand kann die Liebe zu dir auf lange Sicht aushalten. Sakura hätte längst in einer mentalen Anstalt landen müssen. Du bist unnett. Du lässt niemanden an dich ran. Du verreckst allein. Du bist schwierig. Ich liebe dich trotzdem so. Ich habe mich noch nie mit jemanden auf so eine mysteriöse Art verbunden gefühlt. Mir entweicht ein schwerer Seufzer und ich starre teilnahmslos meinen Terminkalender an. Drei anstrengende Besprechungen, zwei lange Ratssitzungen und vier langweilige Telefonkonferenzen… dann muss ich noch zum HR wegen „kein Abteilungsleiter mehr“. Dann gibt es noch zwischendurch ein Haufen dummer Emails, kurze unpassend zwischengeschobene Telefonate und nerviges „Uchiha-san, könnten Sie bitte dringend blablabla“. Und dann fahre ich nach Hause. Ganze zwei Stunden und zwanzig Minuten im Zug verschwenden. Ich hasse es, zu pendeln. Besonders unter der Woche. Die Züge sind voll. Alle sind gestresst. Man kriegt kaum Luft. Aber ich habe es Sakura versprochen. Ich muss da sein. Für sie, für mich und für unsere Ehe. Es ist verdammt wichtig. Mir ist es verdammt wichtig. Wir werden bestimmt nochmal übers vergangene Wochenende reden müssen. Und morgen muss ich schon wieder um 4:40 im Zug sitzen. Keine Lust einfach. Der Tag hat nicht mal richtig begonnen, aber ich fühle mich schon jetzt ausgebrannt, erschöpft und überfordert. Und der vergangene Freitag lässt grüßen… ich senke meinen Kopf auf die Tischplatte und merke, wie der Himmel über mich einstürzt. Ich seufze. In den vergangenen Jahren verlor langsam Kontrolle über mein Leben. Das wollte ich partout nicht zugeben. Und nun ist es passiert: Letzten Freitag war das letzte Bisschen davon weg. Himmel, kann das bitte wieder wie früher werden? Ich gucke hoffnungsvoll die Decke an. Keine Antwort. Natürlich. Wenn man die Situation realistisch betrachtet, dann ist es eher unwahrscheinlich. Wenn man so dumm ist, wie ich, dann hofft man auf das Beste. Mein Blick schweift auf die Uhr. 7:20. In zehn Minuten fängt die erste Besprechung an. Es geht um einen Unternehmenskauf und ich muss alle über deren IT-Infrastruktur aufklären. Basierend darauf werden wichtige Entscheidungen getroffen. Und ich liege seit 20 Minuten auf dem Tisch und philosophiere über mein zerbrochenes Leben. Ich bin ein peinlicher Versager. Ach, komm, Sasuke, hör auf zu jammern! Steh auf! Mach dir erstmal einen doppelten Espresso. Es hilft doch immer, oder? Ich bewege mich wie eine alte schwere Maschine zum Kaffeeautomaten. Die Kapsel stopfe ich so fest, dass sie praktisch luftdicht ist. Ich drücke den Knopf — der Automat knurrt und überall breitet sich intensives bitteres Kaffeegeruch. Ich atme tief ein. Angenehm… der Automat stoppt — mein Kaffee ist fertig. Ich exe diese bittere dickflüssige teerähnliche Substanz in einem Zug. Heiß. Ich habe mich verbrannt, aber es tut gut. Wenigstens nehme ich physischen Schmerz wahr und das ist erfreulich. Meine Zunge kribbelt. 7:25. Ich müsste rüber. Okay. Und die Unterlagen? Hier. Na dann los. Im Vorbeigehen grinse ich kurz mein Spiegelbild an. Dumme Angewohnheit! Und bei all dem bist du eine schrecklich unnette Person… Bei diesem Gedanken muss ich automatisch wieder grinsen. Diesmal wirkt das Lächeln etwas echter. Bin ich wirklich so schrecklich unnett? Keine Ahnung, darüber kann ich später nachdenken. Jetzt muss ich los. *** Es waren anstrengende drei Stunden. Obwohl ich nur Brei im Kopf habe, verlief die Besprechung trotzdem insgesamt gut. Mein Auftritt war nicht so ganz daneben, die übrigen Vorträge waren sehr interessant, es wurde lebhaft diskutiert, aber nicht zu lebhaft. Die schöne Arbeitsatmosphäre hätte mich fast mitgerissen. Jetzt bin ich raus und der vergangene Freitag lässt nun wieder grüßen. Ich vertraue Naruto mein Selbst vollständig an. Man, ich habe es ernsthaft so formuliert, obwohl es technisch gesehen nicht einmal stimmt. Es gibt Teile meiner Biografie, die ich Naruto eben nie anvertraut habe. Wenn man danach geht, dann sollte Sakura mit diesem Titel gekrönt werden. Sie kennt nämlich meine gesamte Geschichte. Dass meine Eltern und mein älterer Bruder praktisch vor meinen Augen geköpft wurden, als ich fünf war; dass ich danach bei meinen Großeltern unterkam, und dass mich deren Tod im Alter von zwölf sehr hart getroffen hat; dass mein Onkel, bei dem ich im Anschluss gewohnt habe, mich ziemlich schlimm misshandelt hat. Sakura weiß das alles. Tatsächlich hat sie mich damals aus diesem Verhältnis sowas wie gerettet. Ihre Eltern haben mich als Pflegekind aufgenommen und erst dann habe ich verstanden, dass alles davor ein übelst verrücktes Irrenhaus war. Bei den Harunos konnte ich endlich wie ein normaler Jugendlicher existieren und dafür würde ich bis zum heutigen Tage für sie sterben. Sie haben mir zurück ins geregelte Leben verholfen. Vieles davon war Sakuras ganz persönliche Leistung. Eigentlich ist sie der Hauptgrund für meine halbwegs intakte geistige Gesundheit. Sie hat mir die Wichtigkeit von Freundschaft, guten Beziehungen und Kümmern vermittelt. Und dann ist sie zu meiner Freundin geworden. Die Anfangszeit unserer Beziehung war sehr aufregend. Wir waren ja sowas wie Bruder und Schwester und trotzdem haben wir heimlich unter einer Decke geschlafen. Als ich nachts in ihr Zimmer schlich, fühlte ich mich permanent wie Protagonist eines sehr kitschigen Liebesdramas. Wir dachten, unsere Beziehung wäre übelst verboten. Aber das war nicht so. Wir mussten im Grunde nur ein ernsthaftes Gespräch mit ihren Eltern führen. Am Ende haben sie uns gesegnet. Die Auflösung des Dramas war also doch ziemlich unspannend. Ab da an entstand in meinem Kopf ein Wir. Es mag vielleicht viel zu klischeehaft klingen, aber dieses Gefühl irgendwo dazuzugehören und einen Anschluss zu finden hat sich fest in mein Gehirn eingebrannt. Und genau das ist für mich Liebe. Mit Naruto ist es schon anders. Zu ihm empfinde ich nicht dasse… „Uchiha-san, darf ich Sie bitte kurz stören?“ Ich werde gewaltsam aus meiner Tagträumerei ausgerissen. Das ist Yamanaka-san aus HR. Stimmt, ich müsste ja eh noch dahin. Gut, dass sie gleich selbst vorbeikommt. Was für ein Service! „Ja?“ Ich hebe den Kopf hoch und bemerke, dass sie mich leicht ängstlich anschaut. Die Normalsterblichen schreibst du einfach gleich ab. Die sind für dich eine Null. Stimmt das wirklich? Ich gucke nochmal in Yamanakas dunkelgrüne Augen. Ja, sie ist sehr angespannt und ich vermute, es liegt an meiner Gegenwart. Hmmm, sie ist hier seit gut zwei Jahren beschäftigt und dieser Blick ist mir noch nie aufgefallen. Muss ich Naruto etwa doch zustimmen? „Kommen Sie rein“, bitte ich sie verpeilt und sie geht ein paar Schritte auf meinen Tisch zu. Ein kurzes Bling ertönt. Oh, endlich ist die Einladung zur nächsten Telefonkonferenz da! Ich muss kurz… so, akzeptiert! Sehr schön! Ich nehme den Blick vom Bildschirm weg. Yamanaka steht immer noch hilflos vor meinem Schreibtisch. Man, irritiert mich sowas! Ino, du bist eigentlich erwachsen und du kannst dich auch selbst hinsetzten! Aber ne, wir brauchen ja eine Extraeinladung… ich versuche trotz meiner Anspannung freundlich zu klingen: „Bitte setzen Sie sich. Also, worum geht‘s?“ „Ähm…“, fangt sie unsicher an. „Ich habe die Unterlagen für die Beendigung gebracht…“ Hn, Beendigung? Ino, dieser Vorgang heißt nicht so. Anscheinend habe ich sie instinktiv mit einem sehr bösen Blick beworfen, denn sie lacht rechtfertigend: „Ich meinte die Befreiung von Pflichten… also… Pflichten eines Abteilungsleiters.“ Ich rolle innerlich die Augen. Wir sollten die Unterhaltung möglichst kurz halten: „Geben Sie mir bitte die Papiere.“ Sie reicht mir einen dünnen Stapel. Ich überfliege das Dokument. Hmmm, wenn sie es vorbereitet hat, dann ist es ziemlich okay. Sie hat sich kein einziges Mal verschrieben, es ist die richtige Form und es gibt zwei Kopien. Kein Scherz, solche Fehler passieren hier wirklich viel zu oft. Vielleicht ist sie doch nicht so unfähig, wie sie rüberkommt? Wer weiß das schon? Sie fangt wieder an: „Unterschreiben Sie…“ „Ich weiß“, unterbreche ich und es wird still. Mein Kugelschreiber kritzelt über das Blatt. So, fertig. „Sie kriegen das zweite Exemplar per Hauspost und dann…“ Ihr Blick geht nach unten und sie verstummt. Diese Frau hat tatsächlich die Hälfte des Satzes verloren. Irgendjemand hat gesagt, dass sich die Gehirnzellen nach dem fünften Bleaching langsam absterben. Ob das stimmt? Wenn man Yamanaka anguckt… hmmm… ich will darüber keinen Urteil fällen. „Ähm… vielleicht wollen Sie auch wissen, dass sich Uzumaki-kun für die ganze Woche krankgemeldet hat.“ Jetzt werde ich regelrecht wütend. Vielleicht wollen Sie es wissen. Ey, kommt sie etwa selbst nicht drauf?! Mein Assistent fällt für eine ganze Woche aus und sie erwähnt es so nebenbei. Nein, Ino, es interessiert mich überhaupt nicht! Die Verwaltung regelt sich ja von alleine! Ich atme sehr tief durch. Komm, Sasuke, nicht sauer werden. Sie hat überhaupt nicht verdient, dass du an ihr deinen ganzen Frust auslässt. Entspann dich… Ich schließe kurz die Augen und versuche meinen Frust unter Kontrolle zu halten. „Hat er schon eine Krankschreibung nachgereicht?“, frage ich mit etwas weniger Nachdruck. „Nein, er hat sich kurz vom Dienstbeginn gemeldet… also, erst vor einer Stunde.“ „Gut, dann passen Sie auf, dass er eine nachreicht, okay?“ Ich gucke sie direkt an und sie zuckt leicht: „Ja, Uchiha-san.“ „Würden Sie mir bitte Bescheid geben, wenn es soweit ist?“ „Kann ich machen, ja.“ „Vielen Dank.“ Ich schiebe die unterschriebene Papiere zu ihr zurück. „Ich danke Ihnen.“ Sie schnappt sich die Papiere und verlässt hastig mein Büro. Naruto hatte wirklich recht. Ich bin schrecklich unnet. Diese Tatsache wird durch meinen jetzigen körperlichen Zustand nur verschlimmert. Oh man… dieses Thema hatte ich schon tausend mal mit Sakura durch. Als sie mich kennengelernt hat, war ich ihrer Meinung nach absolut unausstehlich und jetzt kommt diese Ansage zurück. Ich werde anscheinend rückfällig. Verdammt, das ist gar nicht gut… ich seufze. Na gut, darüber werde ich später nachdenken. Ich muss ins nächste Meeting. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)