Kigan von QueenLuna (– The crime scene of Gotamo City –) ================================================================================ Kapitel 9: ----------- Kapitel 9 „Vielen Dank, dass Sie uns gerufen haben. Aber es gibt keinen Grund mehr zur Sorge, Ihre Nachbarn haben sich wieder vertragen. Sollte trotzdem noch einmal etwas sein, zögern Sie nicht, uns Bescheid zu geben.“ Ich konnte mich nur mühsam beherrschen, nicht die Augen zu verdrehen, während Dai mit dem charmantesten Lächeln, das er auf Lager hatte, die alte Dame regelrecht um den Finger wickelte. Und der gefiel das natürlich außerordentlich gut, denn sie starrte ihn beinahe mit Herzchen in den Augen an, während ich versuchte, mich im Halbdunkel des Treppenhauses unsichtbar zu machen. Behauptete er nicht ständig, dass ich die ‚Ladies‘ gerne mit meinem Lächeln bezirzte? Und jetzt ließ er den weißen Ritter raushängen… Hach Mann. Ich wollte endlich hier raus. Es reichte doch, dass wir fast eine halbe Stunde gebraucht hatten, die beiden Streithähne aus dem vierten Stock soweit miteinander zu versöhnen, dass sie sich nicht mehr gegenseitig an die Gurgel gehen wollten. Anscheinend waren hier ständig zuknallende Türen ein Grund, einen Nachbarschaftskrieg vom Zaun zu brechen, weshalb sich die anderen Hausbewohner genötigt fühlten, die Polizei zu rufen. Natürlich. Aber wir waren unserer Arbeit nachgekommen und es herrschte wieder Friede. Allerdings fand ich es reichlich übertrieben, jetzt auch noch mit den restlichen Nachbarn zu sprechen, denn ich befürchtete, dass die uns nun bei jeder Kleinigkeit riefen, weil wir ja anscheinend so kompetent waren, wie uns der Herr aus dem dritten vorhin wohlwollend bezeichnet hatte. Wer waren wir denn? Die neue Nachbarschaftshilfe? Nein, wir waren immer noch Cops, wenn auch mittlerweile nur noch im undankbaren Streifendienst, weil unsere Vorgesetzten uns nicht leiden konnten. Aber theoretisch hatten wir Wichtigeres zu tun. Und dazu gehörte nicht, den alten Damen des Hauses schöne Augen zu machen, so wie Dai es gerade tat. Ich gab ein lautes Husten von mir, um meinen liebsten Kollegen wieder an unsere eigentliche Aufgabe zu erinnern. Er warf mir einen verschmitzten Blick zu, ehe er sich mit einer Verbeugung verabschiedet. „Bei so schicken, jungen Männern rufe ich doch gerne an.“ Bloß nicht. Die konnten ihre Angelegenheiten auch mal schön unter sich klären und nicht bei jeder Lappalie die Polizei rufen. Das würde sicher auch die nachbarschaftliche Harmonie fördern. Als wir fünf Minuten später endlich auf der Straße standen, konnte ich nicht anders, als ein langgezogenes Aufstöhnen von mir zu geben und meinen Partner böse anzuschauen. „Dir macht das eindeutig zu viel Spaß.“ Er grinste schulterzuckend, während er in der Jacke nach seinen Zigaretten fischte und mir eine anbot. „Ich versuche nur das Beste draus zu machen, da wir ja hier gerade sowieso nicht wegkommen.“ Auch wenn ich es nicht wollte, so musste ich ihm recht geben. Laut seufzend nahm ich die Zigarette entgegen und klemmt sie mir zwischen die Lippen. Der kalte Wind, der uns um die Nasen wehte, war so stark, dass das Anzünden erst beim fünften Versuch und mit gegenseitiger Hilfe gelang. Dafür kam mir der erste Zug umso verdienter vor. „Und wer weiß…“ Ein erneutes Grinsen umspielte Dais Mundwinkeln, als wir den Weg Richtung Hauptstraße einschlugen. „Vielleicht gewinnen wir hier so viele Fans, dass der Chief es mitbekommt und uns erneut versetzt wegen zu viel Freude am Arbeitsplatz oder so ähnlich. Das ist mein eigentlicher, geheimer Plan.“ Lachend schüttelte ich den Kopf. „Ganz toller Plan. Bin ja gespannt, ob das was wird und wohin er uns dann als nächstes verfrachten will. Vielleicht ins Archiv, mal zur Abwechslung. Damit wir ja niemandem begegnen. Soll ziemlich trostlos dort unten sein. Ich war bisher auch nur einmal, um Akten zu suchen.“ So vor uns hin scherzend folgten wir der Hauptstraße an unzähligen, kleinen Läden vorbei, bis ins Gassengewirr, das so typisch für diesen Stadtteil war. Wir hatten kein bestimmtes Ziel. Schließlich waren wir nur auf Streife, mussten uns nur hier und da blicken lassen und allgemein den Eindruck von Schutz und Ordnung erwecken. Wenigstens hatte man uns nicht genötigt, diese saublöden Uniformen zu tragen, die sonst zum Job gehörte. Die albernen Hüte gehörten verboten und waren definitiv ein Grund in Streik zu treten. Nach einiger Diskussion war nun die neue Maßgabe, dass wir unsere Marken und Pistolen sichtbar am Gürtel präsentierten. Und das war‘s. Ein kleiner Sieg für uns, aber immerhin. Den Anwohnern war es sowieso egal, wer Streife lief, Hauptsache, es war jemand da. Dass es Neuzuwachs gab, hatte dennoch verbreitet wie ein Lauffeuer, wenn ich die neugierigen Blicke, die uns seit vorgestern folgten, richtig deutete. Generell unterschied sich die Gegend, in die uns die überraschende Versetzung geführt hatte, stark von jener, in der wir in den letzten Wochen so oft unterwegs gewesen waren – und gleichzeitig auch nicht. Die Baustil ähnelte sich zwar, allerdings sahen hier die Häuser weniger so aus, als würde der nächste Sturm sie zum Zusammenstürzen bringen oder Banden darin Quartier beziehen. Alles hatte einen gewissen, kleinbürgerlichen Charme und wirkte lebendiger und bunter. Also prinzipiell entsprach das Ganze einen relativ ruhigen Arbeitsplatz, mal von Nachbarschaftsstreitereien abgesehen. Dennoch würde ich diese Gegend am liebsten sofort wieder gegen die wohlbekannten und heruntergekommenen Fassaden aus Niikuras Viertel eintauschen. Es fühlte sich so sinnlos an, was wir hier taten. Dummes Herumlaufen und wichtig Dreinschauen – pure Beschäftigungstherapie. Es war ja nicht mal so, dass es in diesem Stadtteil gar keine Ordnungshüter gab. Nein. Die beiden Herren standen zwar nur wenige Jahre vor ihrer Pensionierung, aber hatten, soweit ich es wusste, bisher ihren Job ganz gut gemacht. Und sollte irgendwer den Wunsch hegen, dass wir deren Nachfolge antraten, konnte er das ganz schnell vergessen. Niemals wollte ich hier länger bleiben als nötig. Alles in mir sträubte sich dagegen. Ich wollte dort sein, wo man uns wirklich brauchte und nicht aus Dekorationsgründen die Straßen schmücken. Und ich wollte das zu Ende bringen, was Dai und ich einmal angefangen hatten: den Vermissten finden und Niikura in allem, was anscheinend damit zusammenhing, unterstützen. Und natürlich verstehen, was sich hinter den Kulissen der oberen Etagen des Reviers abspielte. Denn wenn die Versetzung eines gezeigt hatte: Irgendetwas stimmte nicht und man wollte uns kleinhalten, was nur heißen konnten, dass wir anscheinend irgendwem unangenehm auf die Füße getreten waren und unsere Nasen zu tief in die Sache gesteckt hatten. Auch wenn wir noch nicht genau wussten, was es war. Umso mehr Zeitverschwendung war dieses sinnlose Herumspazieren. Aber immerhin konnte uns keiner verbieten, nach Feierabend ins Detektivbüro zufahren. Ging niemanden etwas an, was wir in unserer Freizeit taten. Gestern hatten wir es leider nicht mehr dorthin geschafft und dabei war ich echt gespannt darauf, ob Niikura mit dem sehr aufschlussreichen „Inosan“-Zettel vorangekommen war oder ob uns Dai mit seinem plötzlichen Geistesblitz auf den Holzweg manövriert hatte. „Wir werden verfolgt.“ Dais leise Stimme riss mich unsanft aus meinen Gedanken. „Hm?“ Ich unterdrückte erfolgreich den Impuls, stehenzubleiben und einen Blick über die Schulter nach hinten zu werfen. Dank jahrelangem Training hatte ich mich diesbezüglich gut im Griff. Langsam liefen wir weiter, während mein Blick scheinbar gelangweilt von den grauen Steinen des Gehwegs vor mir, zu den Schaufensterscheiben neben mir wanderte. Unauffällig sah ich hinein und doch gleichzeitig nur auf die Spiegelung, in der Hoffnung denjenigen zu entdecken, den Dai bemerkt hatte. Allerdings sah ich nur uns beide und im Hintergrund einige Passanten, die an den Geschäften vorbeieilten. So blieb ich schließlich stehen und betrachtete besonders intensiv die Auslage vor mir. „Wen meinst du?“ Dai trat dicht neben mich und musterte ebenfalls interessiert die Dekoration. „Wenn ich es richtig gesehen habe, ist er gerade in einem der Geschäfte auf der anderen Seite verschwunden.“ „Sicher, dass der uns verfolgt und nicht einfach nur einkaufen will?“ Ich sah, wie Dais Spiegelbild eine Braue hochzog und anschließend die Augen verdrehte. Ich schmunzelte. Er irrte sich in so etwas nie, aber man durfte ja wohl noch fragen. „Der läuft seit beinahe einer halben Stunde hinter uns her und hält immer denselben Abstand ein.“ Oh, da war ich wohl doch tiefer in meinen Gedanken versunken gewesen, als gut war. Ich hatte nichts bemerkt, obwohl das wirklich alles andere als unauffällig war. Aber wenigstens auf Dai war Verlass. „Vielleicht einer deiner neuen Fans?“ „Ey, jetzt bleib doch mal ernst.“ „Sorry.“ Wir setzten uns wieder in Bewegung, immer den Blick wachsam auf die Fensterscheiben gerichtet, um den Verfolger nicht zu übersehen. Es dauerte eine Weile, bis er mir endlich auffiel. Längerer, dunkler Mantel, ein tief ins Gesicht gezogener Hut und eine Zeitung unter den Arm geklemmt. Noch mehr Klischee ging ja wohl nicht. Hatte er sich von Gangsterfilmen inspirieren lassen? Meine Mundwinkel zuckten, während ich Dai bedeutete, dass ich unseren Verfolger ebenfalls entdeckt hatte, und dann in die nächste Querstraße abbog, nur um zu sehen, ob er an uns dran blieb. Blieb er. „Ich werde gerade immer neugieriger, wer da solches Interesse an uns hat.“ „Vielleicht hat den Takayama geschickt.“ Das war auch meine erste Eingebung gewesen. Dem Chief war es durchaus zuzutrauen, einen seiner Schoßhunde auf uns anzusetzen, nur um uns gegebenenfalls danach wieder zusammenfalten zu können, weil ihm irgendetwas nicht passte. Vielleicht wegen der Art, wie wir über die Straße gingen, beispielsweise. Wer wusste das schon? Aber der Typ wirkte in seiner Stümperhaftigkeit auch nicht wie ein Undercover-Cop. „Komm, lass uns an einer der nächsten Ecken warten. Vielleicht will er ja auch nur mit uns reden.“ * Wollte er nicht. Denn als er uns neben einem Ladeneingang hatte stehen sehen, war er regelrecht in der Bewegung erstarrt. Ich hatte ein triumphierendes Grinsen nicht verstecken können, ebenso wenig wie dem Drang, ihm übertrieben freundlich zu zunicken. Dafür hatte ich mir eine leichte Rüge von Dai eingefangen – ich solle die Leute nicht immer provozieren – aber das war es mir in diesem Moment wert gewesen. Das Ende vom Lied war, dass unser „neuer Fan“ die Beine in die Hand genommen hatte und um die nächste Ecke verschwunden war. Wir hatten es auch nicht unbedingt darauf angelegt, ihn zu erwischen. Vielmehr war das eine Warnung an ihn – und auch für uns. An ihn, damit er, oder wer auch immer ihn beauftragt hatte, wusste, dass sie nicht unbemerkt geblieben waren, und für uns selbst, damit wir auch in Zukunft immer die Augen offen hielten. Mittlerweile dämmerte es bereits, der Dienst war für heute beendet. Die altbekannten Straßenzüge zogen an uns vorbei, dann endlich parkte Dai das Auto vor Niikuras Haus. Das Lächeln erschien einfach automatisch auf meinem Gesicht, während mein Blick über die graue Fassade wanderte. Es fühlte sich ein bisschen an wie nach Hause kommen, obwohl der Gedanke eigentlich völlig übertrieben war. Aber hier wurden wir wenigstens gebraucht und es gab niemanden, der uns Vorschriften machte, was wir zu tun und zu lassen hatten. „Schraub dein Grinsen mal eine Spur runter, es ist trotzdem Arbeit.“ Ich schnitt ein Grimasse, während Dai aber nicht weniger grinsend auf die Haustür zusteuerte. Der freute sich doch genau wie ich darauf, endlich etwas Vernünftiges zu machen. Da konnte er mir nichts vormachen. Der Gang, der zur Detektei führte, wirkte überraschend dunkel. Anders als sonst fiel kein Licht durch die Milchglasscheibe der Tür, um den Flur zu erhellen. Stirnrunzelnd drückte ich die Klinke, doch nichts rührte sich. Abgeschlossen. Irritiert sah ich zu Dai, der ebenso ratlos wie ich dreinschaute und auf die geschlossene Tür starrte, als würde sie sich durch seinen Blick doch noch öffnen. Was war denn da los? Bisher war Niikura immer hier gewesen – er war ja regelrecht mit seinem Büro verheiratet. Außerdem wusste er, dass wir kamen. Ohne dass ich es wollte, stieg ein ungutes Gefühl in mir auf, als ich zurücktrat und einen prüfenden Blick den Gang entlang warf. Alles war ruhig. War ihm etwas dazwischen gekommen? „Lass uns oben nachschauen.“ Wir waren bisher nur einmal in der obersten Etage gewesen, die aus der überschaubaren Dachwohnung bestand, die Niikura sein Eigen nannte. Hier hatte er definitiv seine Ruhe – nicht, dass in diesem Haus mit seinen drei Bewohnern viel los war. Die Tür war nur angelehnt. Schwacher Lichtschein drang aus dem Inneren und erhellte die Stufen davor. Ich blieb stehen, darauf bedacht der altersschwachen Holztreppe keinen Laut zu entlocken, und lauschte. Aus der Wohnung drangen gedämpfte Geräusche und etwas, das wie ein Fluchen klang. Angespannt sah ich über die Schulter hinweg zu Dai, der mir mit einem Nicken zu verstehen gab, weiterzugehen. In diesem Moment schwang die Tür auf und ein dunkler Schatten stand plötzlich auf dem Treppenabsatz direkt vor uns. Schwanzwedelnd. Ein undefinierbarer Laut kam über meine Lippen, während mein Herz sich nach dem Schreck nur mühsam beruhigen wollte. Dai hinter mir war es nicht anders ergangen, wenn ich sein erschrockenes Japsen richtig deutete. Von unserer Anspannung schien die Bulldoggen-Dame nichts zu bemerken, denn sie blickte uns hechelnd entgegen und wirkte generell sehr erfreut über unseren Besuch. „Rina…“ Mehr als ein heiseres Flüstern bekam ich nicht heraus, sie beantwortete es mit einem Winseln und lief einige Schritte hin und her, ehe sie erneut erwartungsvoll stehen blieb. Seufzend ließ ich mich vor ihr auf die Knie sinken, um sie kurz zu streicheln, während Dai an mir vorbei die Wohnung betrat. Dafür, dass Niikuras Hündin bei unserer ersten Begegnung gewirkt hatte, als wollte sie uns zu zerfleischen, war sie mit jedem Besuch zutraulicher geworden und schien uns mittlerweile sogar zu mögen. Entgegen ihres doch recht furchteinflößenden Äußeren war sie eine ziemlich sanfte Seele. „Was ist denn hier passiert?“ Ruckartig sah ich auf und entdeckte Dai wenige Schritte hinter der Tür angewurzelt im Raum stehend. Schnell trat ich zu ihm. „Was -?“ Ich erstarrte ebenfalls. Im Wohnzimmer herrschte das reinste Chaos. Überall lagen Zettel und Fotos verstreut – und mittendrin hockte Niikura, eine Zigarette im Mundwinkel und einem Putzlappen in der Hand, und wischte leise fluchend den Boden. Würde mich der Anblick nicht so irritieren, hätte ich vermutlich laut losgelacht. Das übernahm Dai wenige Sekunden später für mich, was Niikura nun auch auf uns aufmerksam machte. Mürrisch sah er uns an, zwischen den Augenbrauen eine steile Falte. „Los, kommt rein. Bin gleich fertig.“ Und schon wischte er weiter. Langsam und immer noch reichlich irritiert von der Situation schloss ich die Tür hinter mir. Dai ließ sich derweil auf dem Sofa, das den Raum dominierte, nieder. Was trieb er denn da? Dai konnte scheinbar wieder einmal meine Gedanken lesen, denn er fragte Niikura einfach, während er ihn sichtlich amüsiert bei seinem Treiben beobachtete. Seufzend ließ sich unser Lieblingsdetektiv auf die Waden sinken, nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, bevor er seiner Mitbewohnerin einen finsteren Blick zuwarf, die sich in ihren Korb unter dem Fenster verzogen hatte. „Mein Hund war anscheinend der Meinung, auf ihrer alten Tage noch einen gewissen Jagdtrieb zu entwickeln und hat beim Versuch eine Schnake zu erlegen, mein Abendessen auf den Boden verteilt.“ Das erklärte schon einmal die Putzaktion. „Und das Blätterchaos?“, hakte ich schmunzelnd nach. „Ich brauchte mehr Platz, um die Übersicht zu bewahren. Deshalb bin ich vom Büro in die Wohnung umgezogen. Außerdem, sollte sich doch mal ein Klient zu mir verirren, muss ich so nicht alles wieder wegräumen.“ ‚Übersichtlich‘ sah meiner Meinung nach anders aus, aber gut. Solange er noch durchsah. Mein skeptischer Blick wurde bemerkt, denn der finstere Ausdruck verschwand aus Niikuras Gesicht, dafür zuckten seine Mundwinkel ein wenig. Er stand auf und streckte sich kurz. „Ich erkläre es euch gleich. Aber erst nachdem ich endlich gegessen habe, sonst kann ich nicht denken. Wollt ihr auch etwas?“ * Das Essen schmeckte nicht halb so gut wie es aussah. An Niikura war definitiv kein Meisterkoch verlorengegangen. Hätten sich unsere Mägen nicht auf Kommando gemeldet, als wir gefragt worden, hätten wir wohl doch abgelehnt. So würgten wir nun die trockenen und geschmacklosen Nudeln hinunter. Die Hälfte der Soße war Rinas Jagdversuch zum Opfer gefallen, der Rest diente nur für die Farbe. „Entschuldigt, ich geh sonst meist außerhalb essen.“ Mit zusammengekniffenen Lippen lehnte Niikura sich zurück und sah düster auf seinen Teller. „Frau Sumida kann besser kochen als ich… konnte.“ Keine Ahnung, ob die leise gemurmelten Worte für unsere Ohren bestimmt gewesen waren, doch augenblicklich riefen sie uns unsanft ins Gedächtnis, warum wir uns hier eigentlich trafen. Ich wusste nichts zu antworten, wollte die immer noch frische Wunde des Verlustes nicht noch weiter aufreißen. Umso dankbarer war ich, dass Dai die trübe Stimmung, die aufzukommen drohte, sofort im Keim erstickte und sich betont gelassen auf dem Sofa zurücklehnte. „Wenigstens ist der Magen jetzt gefüllt und dafür war's ganz in Ordnung.“ Sein Lächeln war ansteckend, ich konnte regelrecht sehen, wie sich Niikuras verkrampfte Körperhaltung löste. So wie ich ihn einschätzte, wollte er selbst nicht jedes Mal wieder an seinen Verlust erinnert werden. Seufzend langte er nach der Schachtel Zigaretten, die auf dem Tisch lagen, und schüttelte eine davon heraus. „Hast ja recht. Sollte ich irgendwann mal wieder zu viel Zeit haben, kauf ich mir vielleicht ein Kochbuch.“ Dankend nahmen Dai und ich die angebotenen Zigaretten entgegen. So saßen wir in stiller Eintracht einige Minuten lang in Niikuras Wohnzimmer und rauchten entspannt. Es hatte bereits wieder angefangen zu regnen, das Rauschen des Regens wurde stetig stärker. Während die anderen Beiden ihren Gedanken nachhingen, blickte ich mich neugierig um. Beim letzten Besuch hatten wir die gesamte Zeit in der Küche gesessen, hatten wir auf unsere Zusammenarbeit getrunken, da war alles andere unwichtig gewesen. Doch jetzt war Zeit dafür. Prinzipiell sah die Wohnung so aus, wie ich erwartet hatte und nicht viel anders als sein Büro. Viel Persönliches besaß Niikura anscheinend nicht oder legte einfach keinen Wert darauf. Die Wände waren überwiegend kahl, der Putz nicht mehr vollkommen intakt. An einer Wand standen einige Regale mit Büchern darin und einer einsamen Pflanze, die sicher seit Monaten kein Wasser mehr gesehen hatte. Und das war's auch schon mit spannenden Entdeckungen. Mir gegenüber befand sich die große Fensterfront, die tagsüber sicher den Raum mit Licht flutete. Unmittelbar davor standen ein Sofa und ein kleiner Tisch mit Stühlen, auf denen sich wiederum Niikura und ich die Hintern platt saßen, weil sich mein werter Kollege auf dem Sofa breit gemacht hatte. Ich drückte den letzten Rest meines Glimmstängels im übervollen Aschenbecher aus, bevor ich mich an Niikura wandte. „So, und nun? Wie kam's jetzt dazu?“ Mit dem Kinn deutete ich auf das Blätterchaos. „Gibt's etwas Neues?“ Einen Augenblick lang wirkte es, als hätte er meine Frage nicht gehört, denn er reagierte gar nicht und rauchte weiter. Doch schließlich ging ein Ruck durch ihn. Ein undefinierbarer Blick wanderte von Dai zu mir, ehe er in Zeitlupe ebenfalls seine Zigarette ausdrückte und sich mit der Hand durch die langen Haare fuhr. Mit einem Mal wirkte er sichtlich erschöpft. Es war mir vorher nicht aufgefallen, aber dunkle Schatten zeichneten sich unter seinen Augen ab, zu seinem Kinnbart gesellten sich inzwischen weitere Stoppeln auf den Wangen. Er sah aus, als hätte er seit Tagen nicht geschlafen, dabei war unser letztes Treffen erst vorgestern gewesen und da hatte er nicht so derangiert ausgesehen. Irgendetwas musste vorgefallen sein. „Ich habe Frau Sumidas Mörder gesehen.“ Mit vielen hatte ich gerechnet, aber nicht damit. „Bitte was?“ Dai setzte sich sofort gerader hin, während ich versuchte das Gesagte schnellstmöglich zu begreifen. „Wann und wie?“ Die nächste Zigarette klemmte in Niikuras Mundwinkel. „Vorgestern. Vor der Bar.“ Er sah Dai bedeutungsvoll an. „Ich weiß nicht, ob es alle waren oder nur einer von ihnen.“ „Geht das auch genauer?“ Ich wusste, dass meine Frage an Unhöflichkeit grenzte, besonders einem älteren Berufskollegen gegenüber, aber ich platzte gerade vor Anspannung. Doch statt darauf einzugehen, wandte er sich an Dai. „Diese Bar… das Inosan. War die bei deinem letzten Besuch auch schon ein Treffpunkt für die Kriminellen dieser Stadt?“ „Ähm… nicht, dass ich wüsste. Ist bestimmt schon drei Jahre her, seit ich dort war.“ „Ah, okay.“ Niikura nahm einen Zug von seiner Zigarette, ehe er fortfuhr. „Eine klassische Bar sieht für mein Verständnis anders, aber egal. Jedenfalls als ich gerade gehen wollte, kamen drei Typen herausgestürmt und bei einem bin ich mir sehr sicher, die Stimme wiedererkannt zu haben.“ Das war ja mal ein Ding. „Denkst du, sie kommen öfters dorthin? Wenn das sowieso inzwischen zum Treffpunkt für Kriminelle geworden zu sein scheint?“ Nachdenklich kratzte er sich am Bart und sah an Dai vorbei zum Fenster. „Gut wär's ja, aber keine Ahnung. So wie ich es mitbekommen habe, waren sie ziemlich verärgert und sowieso schneller weg, als ich reagieren konnte.“ Auf diese Neuigkeiten brauchte ich erstmal Nikotin. Ungefragt angelte ich mir einen weiteren Glimmstängel aus der Schachtel. In meinem Kopf ratterte es. „Gotamo City ist anscheinend echt ein Dorf“, murmelte Dai, während er Niikura mit hochgezogenen Augenbrauen ansah. Laut fügte er hinzu: „Aber es ist ein Anfang. Wir müssen unbedingt nochmal hin, vielleicht tauchen sie ja wieder auf.“ „Ja, auf alle Fälle…“ Kurz sah Niikura meinen Kollegen an, ehe er sich ruckartig erhob, sich die Zigarette in seinen Mundwinkel klemmte und zu dem Zettel- und Bilderchaos in der Mitte des Raumes ging. Für einige Sekunden blieb er regungslos davor stehen, als würde er etwas Bestimmtes suchen, dann bückte er sich und nahm etwas an sich, das ich aus der Entfernung nicht erkennen konnte. „Und ich muss auch noch wegen dem hier dorthin.“ Der Stuhl knarrte, als Niikura sich wieder mir gegenüber niederließ und das Etwas auf den Tisch legte. Neugierig rückten Dai und ich näher heran. Es war ein Foto, schon etwas in die Jahre gekommen. Eine Ecke hatte einen Knick. Die Qualität war nicht besonders toll, aber dennoch waren die beiden Personen auf dem Bild gut zu erkennen. Das eine war unverkennbar die breit lächelnde Frau Sumida. Ich erkannte sie von den unzähligen, anderen Bildern, die wir in den letzten Tagen durchgesehen hatten, wieder. An ihrer Seite stand ein Junge, vielleicht zehn, elf Jahre alt – schwer zu schätzen, denn sein langer, dunkler Pony verdeckte einen Teil seines Gesichtes. Und dennoch… irgendetwas rührte sich in mir und ließ meinen Puls in die Höhe schnellen. Neben mir gab Dai ein Keuchen von sich. Diese Gesichtszüge, die Statur. Er war zwar hier wesentlich jünger als auf dem anderen Foto, aber… War das wirklich - ? Plötzlich erschien Niikuras Finger in meinem Blickfeld, er deutete auf etwas, das eher undeutlich im Hintergrund zu sehen war und dem ich bisher noch keine Beachtung geschenkt hatte. Ich versuchte mich zu konzentrieren, mich nicht von den neuen Informationen überrumpeln zu lassen. Ich kniff die Augen zusammen, versuchte zu erkennen, auf was er gerade deutete. War das eine Hausnummer? 35 vielleicht. Oder 32? Es war zu verschwommen. „Es ist die Nummer 33“, holte mich Niikuras Stimme aus meiner Betrachtung. „Es ist dasselbe Haus, in dem sich heute das Inosan befindet.“ Oh. „Und…“ Er nahm das Foto und drehte es schwungvoll um. Ich brauchte einen Moment, bis ich die inzwischen teils verblasste, aber dennoch fein säuberliche Schrift am unteren Bildrand entziffern konnte: April - jährliche Kirschblütenschau mit Shinya-kun. Nachwort Tja, nun habe ich fast ein halbes Jahr gebraucht, um ein neues Kapitel hochzuladen. Aber das Wetter war einfach nicht passend *lach* Irgendwie kann ich an dieser FF nur in der dunklen Jahreszeit schreiben, sonst komm ich nicht rein. Wobei ich auch zugeben muss, dass dieses Kapitel schon seit einem halben Jahr fertig war und ich es nur nicht hochladen wollte, weil ich eventuell noch etwas ändern wollte. Naja.^^" Ich hoffe, ich komm jetzt wieder zügiger voran. Feedback wäre wie immer super ^^ Liebe Grüße Luna Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)