Common Ground von DuchessOfBoredom ================================================================================ Kapitel 3: Keeping the distance. (Quite desperately.) ----------------------------------------------------- Nachdem Duke die Zimmertür hinter sich geschlossen hatte, ließ er sich einen Moment lang mit dem Rücken dagegen sinken und schloss die Augen. Auch wenn er auf Kaiba hoffentlich diesen Eindruck gemacht hatte, war er doch weit weniger entspannt und gelassen, als er sich hatte anmerken lassen. Eigentlich hätte diese Woche einfach großartig werden sollen: viel mehr Zeit als sonst mit seinen Freunden, lange Abende und Nächte mit lustigen Gesprächen in ihrem gemeinsamen Zimmer, vielleicht mit dem ein oder anderen alkoholischen Getränk, das Joey und Tristan mit Sicherheit reingeschmuggelt hatten. Stattdessen verbrachte er die sechs Nächte allein in einem Zimmer mit Sir Seto Kaiba, Lord von Stress und Angespanntheit. Im Gegensatz zu Joey hatte er zwar kein direktes Problem mit ihm, aber es war nun einmal kein Geheimnis, dass sein Name nicht unbedingt als Synonym für „Spaß“ taugte. Wann immer Duke den Brünetten sah, stieg sein persönliches Stresslevel und er dachte fast schon automatisch an Arbeit. Verständlich, denn selbst in der Schule nahm Kaiba ja nur eher beiläufig am Unterricht teil, während er die meiste Zeit verbissen Zahlen und Buchstabenreihen in seinen Laptop hackte. Und wenn es eines gab, was Duke auf dieser Klassenfahrt unbedingt hatte vermeiden wollen, dann war es an Arbeit zu denken. Allerdings war es damit seit Pegasus’ Anruf am Vormittag aber ohnehin vorbei gewesen. Schon im Bus war es ihm schwergefallen, den Unterhaltungen der anderen zu folgen; immer wieder waren seine Gedanken zu dem Telefonat und Pegasus’ Worten zurückgekehrt. „…sie könnten sich sonst gezwungen sehen, ernsthafte Konsequenzen zu ziehen und das Geschäft mit Dungeon Dice Monsters stark herunterzufahren oder perspektivisch im schlimmsten Fall sogar einzustellen.“ Wie sollte er noch in dieser Woche mit einem Plan um die Ecke kommen, das zu verhindern, wenn er jeden Tag bei irgendwelchen Ausflügen in der Weltgeschichte herumspringen würde und seine Freunde erwarteten, dass er die restliche Zeit mit ihnen verbrachte? Sicher, er konnte ihnen immer noch die Wahrheit sagen, aber dann würden sie sich nur Sorgen machen und versuchen ihm zu helfen, womit die Woche nicht nur für ihn, sondern auch für sie gelaufen wäre. Außerdem hatte er nichts von seinen Arbeitsutensilien dabei und selbst wenn, hätten sie ihm wohl nicht sonderlich viel gebracht. Vielleicht hätte er sich die Berichte von Pegasus anschauen können, aber die hätten ihm vermutlich auch nicht mehr gezeigt, als was Max ihm bereits am Telefon geschildert hatte: Niedrige Verkaufszahlen, vor allem im Sommer. ‚Okay, Duke, Schluss mit Selbstmitleid! Fokus!’, ermutigte er sich selbst in Gedanken. Als allererstes brauchte er eine Hypothese, wodurch die schlechten Zahlen zustande kamen, erst dann konnte er sich auf die Suche nach sinnvollen Lösungsansätzen begeben. So wie er jetzt hier stand, aufgewühlt und ratlos im Flur der Jugendherberge, würde er diese aber wohl kaum finden. Außerdem wusste er noch gar nicht, wann genau er übernächste Woche präsentieren musste. Je später, desto mehr Zeit würde er auch nächste Woche noch haben, sodass übermäßiger Aktionismus jetzt vielleicht gar nicht zielführend war. Gute Ideen konnte man nun mal nicht erzwingen, sondern sie ergaben sich meist ganz natürlich, wenn man ihnen nur genügend Raum gab. Für heute wäre folglich das beste, was er tun konnte, die sprichwörtliche Pistole auf seiner Brust vorerst zu ignorieren und allem seinen Lauf zu lassen. Ob ihm das wirklich gelingen würde, blieb mal dahingestellt. Fest stand auf jeden Fall, dass er dazu so viel Zeit wie möglich mit seinen Freunden und außerhalb des gemeinsamen Zimmers mit Kaiba verbringen musste. Genau betrachtet schlief er ja eigentlich nur dort und ganz ehrlich, am Ende war das vermutlich sogar ruhiger und angenehmer als in Doppelstockbetten mit den Jungs – von dem eigenen Badezimmer als offensichtlichem Bonus mal ganz abgesehen. Schließlich atmete er noch einmal kurz durch, stieß sich von der Tür ab und ging zum Zimmer von Yugi und den anderen. Kurz war er überrascht, als ihm Tea öffnete. Offenbar hatten die Mädels sich bereits eingerichtet und jetzt verbrachte sie die Zeit bis zum Abendessen ebenfalls noch bei den anderen. „Hey Duke, da bist du ja. Hereinspaziert!“ „Na, wie ist das Zimmer so? Ah ja, ähnlich luxuriös wie unseres.“ Wie nicht anders zu erwarten, machte auch dieser Raum mit seinen vier Schränken und zwei Doppelstockbetten einen eher kargen Eindruck. Auf dem rechten oberen Bett saß Joey, mit dem Rücken an die Wand gelehnt und die Beine über den Bettrand in der Luft baumelnd; Tristan auf dem linken, direkt an der Leiter mit den Füßen auf der vorletzten Sprosse. Yugi und Ryou hatten sich, wie nach der Diskussion im Bus zu erwarten gewesen war, jeweils mit den unteren Betten begnügen müssen. Letztere war wohl noch immer nicht ganz beendet und Tristan schien gerade ernsthaft einen Seitenwechsel in Betracht zu ziehen. „Also wenn man es mal so betrachtet, dann ist unten vielleicht doch besser, gerade, wenn man nachts mal raus muss…“ Jetzt erst schien er zu bemerken, dass jemand dazugekommen war. „Oh hey, Duke! Mann, sorry nochmal, aber da hat dich das Glück einfach echt im Stich gelassen beim Auslosen.“ Am amüsierten Gesichtsausdruck seines Freundes erkannte der Schwarzhaarige eindeutig, dass die Entschuldigung nicht ganz so ernst gemeint war, wie es den Anschein hatte. So schüttelte er nur lächelnd den Kopf und winkte ab. „Alles gut, Leute, macht euch keine Gedanken. Ich werd’s schon aushalten mit Kaiba. Das Zimmer ist ansonsten eigentlich auch ganz nett und wir haben ein eigenes Bad, was schon ein enormer Vorteil ist, das müsst ihr zugeben.“ Den Nachteil in Gestalt des Ehebetts würde er hingegen schön außen vor lassen und so lange wie möglich vertuschen. Wenn Duke auf eines verzichten konnte, dann darauf, sich die ganze Woche dumme Sprüche von Joey und Tristan zu diesem Thema anzuhören. „Ist ein Punkt, aber ob es das wert ist, im Gegenzug die ganze Nacht alleine mit dem Geldsack zu sein? Mir wäre es das jedenfalls nicht.“, warf Joey kritisch ein. Duke ließ sich neben Ryou auf dem linken unteren Bett nieder, sah zu dem Blonden hinauf und gab lachend zurück: „Oh, wenn ich du wäre, sicherlich nicht. Dann würde ich in permanenter Angst leben, weil Kaiba mich jederzeit im Schlaf mit einem Kissen ersticken könnte. Aber da ich im Gegensatz zu dir keine Erzfeindschaft mit ihm unterhalte, bin ich zuversichtlich, dass er davon absehen wird.“ Die anderen lachten ebenfalls, Joey jedoch strich sich sinnierend mit Daumen und Zeigefinger über das Kinn. Offenbar hatte Duke ihn gerade auf einen interessanten Gedanken gebracht. „Hm, wenn ich so darüber nachdenke: eigentlich ist das doch die Chance schlechthin!“ „Kaiba mit einem Kissen zu ersticken?!“, fragte Tristan mit erhobener Augenbraue. „Nein, Blödmann! Ich meine, Duke wird Kaiba ja ganz privat und so erleben. Also, wenn du irgendwelches komprimierendes Material entdeckst …“ Duke verdrehte die Augen. „Kompromittierend, Joey.“ Der Blonde sah ihn verdutzt an. „Ähm …. Gesundheit?!“ Duke seufzte. „Das Wort heißt kompromittierend.“ „Ach, ist ja auch egal! Wenn du also irgendwelches belastendes Material über Kaiba herausfindest, das ich in einem unserer Streits beiläufig … einflechten kann, dann sag’s mir!“ Tea bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. „Joey!“ Der Blonde hob darauf entschuldigend die Hände und zog die Schultern hoch. „War ja nur’n Witz!“ War es das wirklich? Da es um Kaiba ging, war Duke sich da nicht ganz so sicher. Schnell wechselte Yugi das Thema, um das kurze unangenehme Schweigen zu durchbrechen: „Wir sollten nach dem Essen mal schauen, was der Gemeinschaftsraum so hergibt. Vielleicht gibt es ja ein paar coole Spiele. Ansonsten weiß ich nicht, wie es euch geht, aber ich habe auch ein paar neue Karten in meinem Deck, die ich gerne ausprobieren würde.“ „Das ist eine fantastische Idee, Yugi.“, pflichtete ihm Tea bei und auch Tristan schloss sich an. „Ja, die hochprozentigen Getränke und das Flaschendrehen laufen uns ja erstmal nicht weg.“ Duke schmunzelte. Sehr gut, Tristan und Joey hatten also tatsächlich an der Getränkefront vorgesorgt! Was konnte es besseres geben, um ihn von seiner kritischen Lage abzulenken, als einen kleinen feucht-fröhlichen Klassenfahrt-Abend mit seinen Freunden? Vielleicht nicht sofort heute, aber gewiss an einem der folgenden Tage. „Apropos Essen: Leute, wir müssen langsam runter, glaube ich.“, unterbrach Ryou die Unterhaltung. „Na endlich, ich hab einen Bärenhunger!“, kam es von Joey und gemeinsam machten sie sich auf den Weg in den Speisesaal. Sehr zu Joeys Missfallen stand an diesem Abend nur eine leichte und bekömmliche Suppe auf dem Speiseplan. „Mann, da reichen ja drei Teller nicht, dass ich satt werde! Haben wir nicht noch Chips dabei, Tris?“ Der nickte bestätigend. „Ja, haben wir, aber bedenke: Wenn du heute alle fünf Tüten leerst, um satt zu werden, weiß ich nicht, wann wir dazu kommen werden, neue zu besorgen. Aber vielleicht kommen wir ja morgen in die Stadt oder so.“ Als wäre es ihr Stichwort gewesen, erhob sich in diesem Moment Frau Kobayashi. „Meine Damen und Herren, wenn ich kurz um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit bitten dürfte! Zum Tagesablauf morgen: Gleich am ersten Tag erwartet uns ein wirkliches Highlight, wie man so schön sagt. Wir werden das Naturkundemuseum besuchen.“ Allseits genervtes Stöhnen ging durch den Saal – zugegeben nicht die Reaktion, mit der die Lehrerin gerechnet hatte. „Nun tun Sie nicht so, das wird sehr interessant. Das Naturkundemuseum hier ist eines der besten im ganzen Land und wir werden mit Sicherheit aufregende Dinge sehen und lernen! Nun zur Zeitplanung: Um sieben Uhr wird es hier Frühstück geben, um acht Uhr treffen wir uns im Foyer und brechen auf. Ich wiederhole: sieben Uhr Frühstück, acht Uhr Aufbruch. Ich erwarte pünktliches Erscheinen. Ist das klar?“ Die Schüler nickten vereinzelt. „Gut, dann essen Sie weiter und verbringen Sie den Abend, wie es Ihnen beliebt. Aber bitte bleiben Sie im Gebäude und verhalten Sie sich ruhig und zivilisiert, wir wollen doch der Schule keine Schande machen. Und denken Sie daran, ab 22 Uhr beginnt die Nachtruhe. Ich möchte Sie dann bitte alle in Ihren eigenen Betten vorfinden. Guten Abend.“ Damit setzte auch sie sich wieder an ihren Platz und begann zu essen. „Eigene Betten? Warum betont sie das extra so?“, fragte Tristan irritiert in die Runde. Ryou zuckte mit den Schultern. „Naja, sie ist schon lange Lehrerin und hat sicherlich schon einige Klassenfahrten mitgemacht.“ An dieser Stelle senkte er verschwörerisch die Stimme. „Sie muss ihre Gründe haben – du verstehst…“ Das Gespräch drehte sich weiter um mögliche Motive und frühere Erlebnisse von Frau Kobayashi und die geäußerten Theorien wurden immer wilder. Duke ließ seinen Blick beiläufig durch den Raum schweifen und verharrte kurz bei Kaiba, der einige Meter entfernt alleine an einem Tisch saß, mit unbewegtem Gesicht seine Suppe löffelte und scheinbar mit den Gedanken ganz woanders war. Nachdem das Abendessen beendet war, erkundeten die Freunde wie geplant den Gemeinschaftsraum der Herberge. In der Tat gab es dort neben einigen Tischen und Sesseln ein Regal mit Brettspielen sowie eines mit Büchern und sogar einen Billard-Tisch in einer Ecke, der allerdings gerade schon von einer anderen Gruppe aus ihrer Klasse in Beschlag genommen wurde. So blieb es bei dem Plan erst einmal ein paar Runden Duel Monsters zu spielen, um ihre neuen Karten einzuweihen. Nach drei mehr oder weniger spannenden Matches in diversen Paarungen, entschieden sie sich, das Spiel zu wechseln und steckten nun mitten in einer Runde Monopoly, bei der Yugi sie alle nach Strich und Faden abzog. Sein Ruf als König der Spiele machte also auch vor solch trivialen Spielen nicht Halt. Er besaß bereits mehrere Straßenzüge mit vier Häusern, sowie drei von vier Bahnhöfen. Duke hatte von seinem Platz aus die Tür im Blick und kurz nach einem seiner Züge tauchte dort eine gänzlich unerwartete Gestalt auf: Mit Kaiba hätte er hier am allerwenigsten gerechnet, ließ doch schon allein das Wort „Gemeinschaftsraum“ auf eine grundsätzliche Inkompatibilität der Räumlichkeit zum Naturell des Firmenchefs schließen. Mit einem abschätzigen, fast schon angeekelten Blick sah er sich um und ging dann ohne Umschweife zum Regal mit den Büchern. Klar, dachte Duke, wenn er nicht arbeiten konnte, musste auch ein Seto Kaiba seine Zeit irgendwie herumbringen. Der Brünette überflog kurz die Titel, zog mit gezieltem Griff ein Buch heraus und verließ den Raum so schnell und nahezu unbemerkt wie er gekommen war. ‚Wie ein Vampir, der kurz vor Sonnenaufgang noch ein letztes Opfer entführt, bevor er wieder in seinen Sarg muss‘, dachte Duke und lächelte in sich hinein. Joey setzte dieser fragwürdigen, aber amüsanten Assoziation ein jähes Ende: „Boah ey, das kann doch echt nicht wahr sein!“ Schnell wandte Duke seine Aufmerksamkeit wieder dem Spiel zu und stellte erfreut fest, dass der Blonde nun schon zum fünften Mal auf seine Schlossallee mit mittlerweile drei Häusern gekommen war. Da wurde eine saftige Miete fällig! „Duke, Alter, gib’s doch zu, du hast was mit den Würfeln angestellt!“ Der nicht ganz ernsthaft so Beschuldigte schüttelte mit gespieltem Entsetzen den Kopf. „Also Joey, was denkst du nur von mir? Du weißt doch, dass ich sowas niemals tun würde. Wenn ich bei irgendetwas keinen Spaß verstehe, dann wenn es um Würfel geht. So gut solltest du mich doch eigentlich mittlerweile kennen. Und jetzt her mit deinen Scheinchen!“ Widerwillig und leise schimpfend suchte Joey sein letztes Spielgeld zusammen und händigte es dem Schwarzhaarigen aus. Pünktlich um 22 Uhr betrat Duke das Doppelzimmer, nachdem Yugi das Spiel mit weitem Abstand gewonnen und Frau Kobayashi sie ordnungsgemäß aus dem Gemeinschaftsraum verscheucht hatte. „Kaiba, bist du noch wach?“ flüsterte der Schwarzhaarige in den kühlen und stockdunklen Raum, nachdem er die Tür leise geschlossen hatte. Keine Antwort. Schlief Kaiba wirklich schon oder wollte er einfach nur seine Ruhe haben? Beides war möglich. Hm, Licht wäre gut. Aber wenn er jetzt irgendeine Lampe anschalten würde, wäre Kaiba sicherlich not very amused. Nein, rücksichtsvoll wie er war, zückte er stattdessen sein Handy und aktivierte die Taschenlampen-Funktion. Langsam bewegte Duke sich in Richtung Bett, wo er den Umriss des scheinbar schlafenden Kaiba erahnen konnte, der ihm den Rücken zugewandt hatte. So leise wie nur möglich bugsierte er seine Tasche vom Bett auf den Boden und kramte nach seinen Schlafsachen und seinem Kulturbeutel. Sobald ein Geräusch dabei nur ein wenig lauter war, zuckte er unwillkürlich zusammen. Kaibas Laune hatte sich aller Wahrscheinlichkeit nach im Laufe des Abends nicht signifikant gebessert und er konnte gut darauf verzichten, aufgrund einer irgendwie gearteten Lärm- oder Licht-Belästigung von ihm angeblafft zu werden. Nachdem er schon einmal seine Schuhe ausgezogen hatte, schlich er auf Zehenspitzen leise in Richtung Badezimmer – bis nach drei Schritten sein rechter kleiner Zeh aufgrund der mangelhaften Lichtsituation äußerst schmerzhafte Bekanntschaft mit der vorderen Ecke des Bettes machte. „Au, verdammt!“ stieß er gerade noch flüsternd durch seine zusammengepressten Zähne aus, bewahrte sein Handy nur knapp vor einem Absturz und hüpfte halb auf einem Bein bis ins Badezimmer. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, konnte er endlich richtiges Licht anschalten. Puh, gerade so geschafft! Duschen würde er morgen früh, darum brauchte es jetzt nur die nötigste Körperhygiene. Nachdem er sich kurz gewaschen, umgezogen und Zähne geputzt hatte, zog er das Haargummi aus seinen Haaren und legte sein Stirnband ab. Mit der Bürste bearbeitete er sein langes schwarzes Haar in aller Gründlichkeit – so viel Zeit musste sein – und erneuerte dann seinen Zopf. So hoch, wie er ihn jetzt ansetzte, würde er beim Schlafen nicht stören. Auch den langen Kajalstrich unter seinem linken Auge zog er noch einmal neu. Wie gut, dass er sich extra einen besonders wasser- und wischfesten Stift gekauft hatte. Der würde hoffentlich auch beim Schlafen noch halten. Nicht ein einziger anderer Mensch hatte ihn in den letzten Jahren ohne seine Frisur und sein Makeup zu Gesicht bekommen – noch nicht einmal seine Freunde. Und wenn es nach ihm ging, würde es dabei auch bleiben, selbst nachts. Sollten sie ihn doch alle für verrückt halten, er hatte seine Gründe. Nach einem letzten Blick in den Spiegel verließ er das Badezimmer und arbeitete sich wieder mit aktiviertem Handylicht zurück zum Bett, diesmal glücklicherweise ohne weitere Komplikationen. Am Ziel angekommen schlug er die Decke auf, rückte das Kissen zurecht und bedeckte es mit einem Handtuch. So groß war sein Vertrauen in den neuen Kajal dann doch noch nicht und Rückstände auf dem Kissen mussten echt nicht sein. Endlich ließ er sich auf die Matratze niedersinken. Moment, DIE Matratze?! Seine Hände tasteten vorsichtig in Richtung Bettmitte und tatsächlich schien da keine Ritze zu sein. Ja, es war wirklich nur eine Matratze. Und sie war weich. Wirklich extrem weich. Ihn beschlichen erste Zweifel, ob nicht vielleicht das Doppelstockbett doch die bessere Option gewesen wäre. Die geschlossenen Gardinen ließen nur wenig Licht in den Raum, aber Duke erkannte auch so, dass Kaiba noch immer mit dem Rücken zu ihm lag und zwar so weit am Rand des Bettes, dass man guten Gewissens von Maximalabstand sprechen konnte. Ich meine, Duke wird Kaiba ja ganz privat und so erleben. Joeys Worte von vorhin hallten in seinem Kopf wider und ihm wurde zum ersten Mal der Ernst der Lage bewusst. Da drüben lag Seto Fürst von Kühl und Unnahbar Kaiba persönlich – im selben Bett wie er. Trotz Maximalabstand war er nur weniger als einen Meter entfernt. Von Mokuba vielleicht einmal abgesehen, war Duke dem Brünetten in diesem Moment so nah wie vermutlich selten ein Mensch zuvor, zumindest im physischen Kontext eines Bettes. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Bloß nicht zu viel darüber nachdenken, beschwor er sich und versuchte sich so unauffällig wie möglich auf die Seite zu drehen. Das allerdings gestaltete sich der Matratzensituation sei Dank wesentlich schwieriger als gedacht. Jede seiner Bewegungen, und wenn er sie auch noch so dezent zu halten versuchte, brachte die Unterlage verräterisch ins Wanken. Kaiba, egal ob tatsächlich schlafend oder nicht, würde das unweigerlich merken. Aber es nützte ja nichts, er musste das jetzt durchziehen. Nach einigem quasi-dezenten Geruckel lag er endlich erfolgreich mit dem Rücken zum Fenster und seinem unfreiwilligen Zimmergenossen gedreht. Genau wie der Brünette rutschte er noch etwas weiter an den Rand des Bettes und blieb schließlich ganz still liegen. Angespannt lauschte Duke in die Dunkelheit und traute sich kaum zu atmen. Nach einigen Minuten, die sich wie Stunden angefühlt hatten, kam erneut Bewegung in die Matratze, diesmal von der anderen Seite. Das sanfte Rascheln von Kleidung und einer Decke war zu vernehmen und Duke schluckte unwillkürlich. Wenn er sich in den nächsten Minuten umdrehte, dann würde er Kaiba sehen können. Als einer von nur ganz wenigen Menschen auf diesem Planeten hatte er die Möglichkeit Seto Kaiba schlafen zu sehen, ob nun echt oder gespielt. Seine Neugier und sein Pioniergeist waren auf jeden Fall geweckt. Sollte er es wagen? Er hielt den Atem an. Nein, das Risiko war zu groß. Er musste unbedingt vollkommen sicher sein, dass Kaiba wirklich schlief. Am Ende würde er aus dem Nichts die Augen öffnen und sehen, wie Duke ihn anstarrte. Oh nein, auf diesen peinlichen Moment konnte er gut verzichten oder sein Aufenthalt in diesem Zimmer würde noch unangenehmer werden als er ohnehin schon war. Stattdessen brachte Duke sich wieder zur Ruhe, versuchte krampfhaft weiter still liegen zu bleiben und seinerseits einzuschlafen. Ob es nun an den aufwühlenden Erlebnissen des Tages, der ungewohnten Umgebung, der Befremdlichkeit der Bettsituation oder an allem zusammen lag: Der Schlaf wollte ihn einfach nicht überkommen. Sein einziger Trost war, dass es dem guten Kaiba offensichtlich ähnlich zu gehen schien, denn der wälzte sich – wie die verräterische Matratze zuverlässig offenbarte – ebenfalls immer wieder ruhelos von einer Seite auf die andere. Prima, dann musste er sich nicht ganz so idiotisch vorkommen, auch wenn die Situation zweifelsohne etwas unfreiwillig komisches an sich hatte. Wirklich jedes Mal, wenn sich einer von ihnen beiden drehte, bewegte sich die Unterlage auf und ab wie ein Schiff bei starkem Seegang oder eine undichte Luftmatratze, obwohl sie es beide nach bestem Vermögen zu vermeiden suchten. Wenn nicht die Gefahr bestanden hätte, Kaiba zu stören, Duke hätte laut und ein wenig verzweifelt gelacht. Endlich – nach gefühlten Stunden des sinnlosen Wachliegens – fiel der Schwarzhaarige dann aber doch in einen kurzen und unruhigen Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)