Common Ground von DuchessOfBoredom ================================================================================ Kapitel 35: Be where you are. ----------------------------- „Aber Seto, heute ist der erste Dezember! Mein Konsolenverbot ist offiziell zu Ende!“ „Du hast es ganze sechs Wochen ohne Computerspiele ausgehalten, da wirst du es doch wohl noch einen Tag länger schaffen! Roland wird heute sehr eingespannt sein!“ Seine aktuelle Aufgabe – die Limousine möglichst effizient durch den sich langsam ausdünnenden morgendlichen Berufsverkehr zu steuern, erst zu Mokubas Schule, dann in die Firma – würde dabei nur der Anfang sein. „Er soll mir einfach sagen, wo er die Konsolen weggeschlossen hat und dann hole ich sie mir eben selbst wieder und baue sie auf! Mal davon abgesehen, dass die Aktion echt voll unnötig war! Ich bin schon groß, ich hätte mich auch so an das Verbot gehalten!“ „Anderthalb Monate lang? Das wage ich doch stark zu bezweifeln! Statt mir zu widersprechen, solltest du dich lieber glücklich schätzen, dass es nur sechs Wochen geworden sind und nicht, wie ursprünglich angedacht, bis zu deiner Volljährigkeit!“ Seto blieb vollkommen ernst und verzog keine Miene, obwohl er durchaus mit einiger Befriedigung zur Kenntnis nahm, wie sein kleiner Bruder schluckte und zerknirscht den Blick senkte. „Okay, ich hab nichts gesagt.“ Da die Diskussion damit endlich beendet schien, zog Seto sein Smartphone aus der Anzugtasche und aktivierte das Display. Ein schneller Blick auf die Uhr: 9:15 Uhr. Wunderbar, sie lagen perfekt in der Zeit! Er drückte auf das Symbol mit dem Telefonhörer und wählte die Nummer seines Pressesprechers über den Nummernblock. Vor ein oder zwei Wochen hatte er endlich eine ruhige Minute gefunden, um sich die Durchwahlen seiner wichtigsten Mitarbeiter einzuprägen und übte sie nun, wann immer Zeit und Gelegenheit es hergaben. Was auch geschehen mochte, eine weitere Situation wie auf der Klassenfahrt galt es um jeden Preis zu vermeiden – nicht immer musste ja sein kleiner Bruder dahinter stecken. Es tutete, einmal, zweimal, dann wurde abgenommen und Seto kam ohne Umschweife zur Sache. „Guten Morgen Otaka, ist alles bereit?“ „Ah, guten Morgen Mr. Kaiba! Ja, die Bühne steht und die Technik funktioniert. Wie ich höre, hat sich Mr. Pegasus soeben vom Hotel auf den Weg gemacht; Mr. Devlin ist bereits eingetroffen.“ In Setos Magengegend begann es zu kribbeln. „Sehr gut! In spätestens fünfzehn Minuten bin ich ebenfalls da.“ Er legte auf, verstaute das Telefon wieder in der Innentasche seines Jacketts und ließ sich tiefer in die dunklen Lederpolster sinken. Nach dem überaus erfolgreichen Release der neuen Duel Disk-Generation Ende Oktober hatte er sich umgehend in die weitere Arbeit an der DDM-Duel Disk gestürzt, damit deren Release noch rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft stattfinden konnte. Die heutige Pressekonferenz und die kommenden Wochen würden nun zeigen, ob sich der zusätzliche Aufwand gelohnt hatte. Nachdem sie Mokuba wie geplant abgesetzt hatten (seine ersten zwei Stunden waren aufgrund einer Krankheitswelle unter den Lehrern heute ausgefallen), stoppte Roland den Wagen nur wenig später hinter dem KC-Gebäude. Da die Pressekonferenz im Foyer stattfinden würde, war der Hintereingang für den heutigen Tag auch zum Mitarbeitereingang umfunktioniert worden. Schon an der Tür wurde Seto von Otaka-san in Empfang genommen, der ihn zügig zu einem kleinen Seitenraum hinter der riesigen Bühne geleitete und dabei beinahe mantraartig den Ablauf wiederholte: „Also, um Punkt zehn Uhr starten wir den Film, danach eröffne ich die Pressekonferenz, rufe Sie nacheinander auf die Bühne und stelle Sie dabei kurz vor. Wenn Sie dann Ihre Plätze eingeno–“ „Das ist nicht meine erste Pressekonferenz!“, unterbrach Seto ihn mit warnendem Unterton. Trotz seiner verhältnismäßig guten Laune war seine Geduld doch durchaus begrenzt. „Natürlich, natürlich, entschuldigen Sie, Mr. Kaiba! Also dann, da wären wir! Sie hören ja, wenn ich Sie ankündige.“ Während die Tür des kleinen Meetingraums leise hinter Otaka-san zufiel, schloss Seto kurz die Augen und atmete einmal tief durch. So anstrengend der Mann zeitweise sein konnte, als Pressesprecher machte er nun einmal unbestritten einen exzellenten Job. Als er die Augen wieder aufschlug, wurde sein Blick sofort und geradezu magnetisch von der einzigen anderen Person im Raum angezogen, die in einem der Polsterstühle am Tisch saß und soeben ihre Kaffeetasse wieder abstellte. Auch nach beinahe drei Monaten und obwohl er ihn beinahe jeden Tag in der Schule sah, hatte die Intensität seiner unmittelbaren, körperlichen Reaktion, jenes aufgeregten, ja euphorischen Flatterns in seiner Brust, das sich umgehend auch auf den Rest seines Körpers ausdehnte, kein bisschen abgenommen. Devlin – Duke – legte nun auch das Smartphone aus der Hand, erhob sich und trat, ein warmes Lächeln auf den unwiderstehlichen Lippen und die Hände locker in den Hosentaschen vergraben, auf ihn zu. Dem heutigen Anlass angemessen trug er einen schmal geschnittenen, schwarzen Anzug mit Weste und schwarzem Hemd sowie eine dunkelgrüne Krawatte, die die Farbe seiner Augen auf geradezu verbotene Weise betonte. Hätten sie mehr als knapp dreißig Minuten zur Verfügung gehabt, Seto hätte kurzerhand die Tür verriegelt und sofort begonnen, nacheinander jedes einzelne der genannten Kleidungsstücke genüsslich wieder von Dukes Körper zu entfernen. Als hätte er Setos Gedanken gelesen, verwandelte sich Dukes sanftes Lächeln in ein schmutziges Grinsen. Schon öffnete er den Mund, zweifellos für einen passenden Kommentar, doch im letzten Moment stockte er und seine Augenbrauen zuckten nach oben. „Was?“, fragte Seto ein wenig konsterniert. „Also wenn du so rausgehst, wird ‚Mr. Kaiba, wie sehen Sie denn aus?‘ die erste Frage sein, die dir gestellt wird!“ Der frische Duft der seidig-weichen, schwarzen Haare stieg in Setos Nase, als Duke unmittelbar vor ihm stand und ihm mit zwei, drei geübten Handgriffen erst die Krawatte, dann das Einstecktuch richtete. Er leistete keinerlei Widerstand, sondern ließ es einfach geschehen. Wenn er eines in den letzten drei Monaten gelernt hatte, dann dass Duke schon wusste, was er tat – sehr gut sogar. „So, schon besser!“ Statt von ihm abzulassen, verharrten Dukes Hände auf Setos Brust, die smaragdgrünen Augen hielten seinen Blick gefangen, sodass Seto sich unmöglich länger zurückhalten konnte. Er beugte den Kopf leicht nach unten und verschloss die Lippen seines – Ja, was eigentlich? Ach, egal! – mit seinen eigenen. Warm und weich waren sie, der Geschmack des Kaffees war noch nicht ganz von ihnen verschwunden, sodass Seto unwillkürlich ein kaum hörbares, zufriedenes Brummen entfuhr. Ihm entging nicht, wie Dukes Mundwinkel amüsiert nach oben zuckten, und machte sich daran, umgehend wieder die angemessene Ernsthaftigkeit einzufordern, indem er mit der Zunge fordernd über Dukes Lippen strich und seine Arme fest um Dukes Taille schlang, um ihn kraftvoll an sich zu pressen. Ohne Umschweife wurde ihm Einlass gewährt, während Dukes Finger weiter nach oben in seinen Nacken wanderten und sich kaum weniger nachdrücklich in den Haaren seines Hinterkopfs vergruben. Kurz bevor Seto alles um sich herum vergessen konnte – eine verlässliche, in Situationen wie dieser aber nicht unbedingt ungefährliche Folge dieser Art von Interaktion – drangen gedämpfte Stimmen durch die Tür, die immer näher kamen. „Mehr dann morgen Abend?“, raunte Duke ihm leise und ungemein verführerisch ins Ohr, Seto nickte nur knapp, löste die Arme und ließ ihn mit äußerstem Widerwillen ziehen, auch wenn es nur ein paar Meter zurück zum Tisch und der Kaffeetasse waren. Gerade als Seto seine Haare wieder geordnet und den noch immer korrekten Sitz von Krawatte und Einstecktuch überprüft hatte, flog schwungvoll die Tür auf und Maximillion Pegasus betrat mit gewohnt großen Gesten den Raum. Wie immer, wenn er es mit Pegasus zu tun hatte, egal ob schriftlich, telefonisch oder persönlich, musste er sich zusammenreißen, seine Abneigung nicht zu sehr durchscheinen zu lassen, auch wenn sich Pegasus Verhalten in den letzten Jahren zugegeben sehr zum Besseren gewandelt hatte – von ein paar unausstehlichen Marotten einmal abgesehen, die der Mann vermutlich niemals ablegen würde. „Boys, there you are!“ Strahlend ergriff Pegasus Setos Hand und schüttelte sie energisch, dann wandte er sich Duke zu, dem er mit einem vertrauensvollen Nicken und etwas ernsthafterem Blick die Hand drückte. Im Gegensatz zu ihm schien Duke sich wirklich zu freuen, Pegasus zu sehen und verwickelte ihn sogleich in ein angeregtes Gespräch – immerhin, so blieb es Seto erspart, sich ausführlicher als unbedingt nötig mit Pegasus unterhalten zu müssen. Außerdem konnte er so weiterhin ganz beiläufig und unauffällig Duke beobachten; eine Beschäftigung, die er in den vergangenen Monaten sehr zu schätzen gelernt hatte, weil sie ihn immer wieder neue, interessante Details entdecken ließ: In diesem speziellen Fall, wie ungemein schnell und absolut mühelos Duke in seine (erste) Muttersprache wechselte und wie sich dabei nicht nur sein Tonfall, sondern auch seine Mimik und Gestik ganz subtil veränderten. „Wie läuft eigentlich dein Laden?“, erkundigte sich Pegasus nach dem üblichen Smalltalk, der Amerikanern wie ihm und Duke (Halb-Amerikaner!) an jedem Ort und zu jeder Tages- und Nachtzeit so unfassbar leicht zu fallen schien. „Wunderbar, ich kann mich nicht beklagen!“ Unbewusst richtete sich Duke ein wenig mehr auf und ein stolzes Funkeln trat in seine Augen. „Tatsächlich habe ich gerade vor zwei Wochen eine neue Duel Monsters-Arena angeschafft. Wir haben live gestreamt, wie Yugi und Joey sie einweihen und danach war sie direkt für den gesamten Monat ausgebucht!“ Seto entwich ein leises Schnauben. Tze, wie einfach die Leute zu begeistern waren! Nicht, dass er es Duke erzählt hätte, aber für ein paar Minuten hatte er tatsächlich ebenfalls eingeschaltet und zugesehen – freilich nicht wegen des Duells (dessen Ausgang absolut vorhersehbar gewesen und auch genau so eingetreten war) oder um zu sehen, ob die Arena auch funktionierte, sondern vielmehr um– Beinahe wäre Seto zusammengezuckt, als in dieser Sekunde, und damit pünktlich um zehn Uhr, die Musik draußen im Foyer losdonnerte. Duke und Pegasus unterbrachen ihr Gespräch und sahen ebenfalls auf, letzterer grinste verwegen und klatschte einmal in die Hände. „Showtime, boys!“ Seto war jegliche Form von Lampenfieber schon immer fremd gewesen und so blieb er für die Dauer des kleinen Films, den Otaka-san angekündigt hatte, weiter seelenruhig an der Tür stehen. Schließlich verklang auch der letzte Ton der bombastischen Musik, auf die eine sekundenlange Stille folgte, bevor ein kurzer Applaus erahnen ließ, dass vermutlich jeder einzelne der hundertfünfzig Sitzplätze besetzt war. Otaka-sans durch ein Mikrofon verstärkte Stimme war durch die Tür gut zu hören; er begrüßte die Teilnehmer und bedankte sich herzlich für das zahlreiche Erscheinen. Mit einem Kopfnicken bedeutete Seto Duke und Pegasus, dass sie langsam, aber sicher aus dem Raum und in Richtung Bühne gehen sollten. Leise arbeiteten sie sich die wenigen Meter durch das Halbdunkel des von dem riesigen Aufbau verschatteten hinteren Foyerbereichs und blieben an der kleinen Treppe stehen, die hinauf zur Bühne führte. „Ihre Fragen werden heute beantwortet von: Seto Kaiba, CEO der Kaiba Corporation und hauptverantwortlich für Design und Produktion der DDM-Duel Disk, …“ Mit zügigen Schritten betrat Seto die hell erleuchtete Bühne und ging hinter Otaka-san vorbei zielstrebig auf das Sprecherpult ganz am Ende zu. Von hier oben hatte er erstmals einen guten Überblick über die Lage: In der Tat waren die Stühle bis auf den letzten Platz besetzt. Ein paar der Journalisten kamen ihm bekannt vor; womöglich hatten sie ihn schon einmal interviewt. Ansonsten sagte ihm ein Großteil der Gesichter rein gar nichts, aber solange sie positive Nachrichten über die Firma verbreiteten und kostenlose Werbung für ihn machten, interessierten ihn diese Schreiberlinge ohnehin nicht sonderlich. Einige schienen nicht einmal mehr einen Sitzplatz bekommen zu haben, sondern mussten sich damit begnügen hinter den Stuhlreihen zu stehen, gemeinsam mit einigen KC-Mitarbeitern aus der PR-Abteilung. Vorne und an den Seiten standen oder knieten zusätzlich noch an die zwanzig Fotografen und hielten ihre großen Kameras bereit. „… des Weiteren Duke Devlin, Designer von Dungeon Dice Monsters, Ideen-Geber für die DDM-Duel Disk und ebenfalls maßgeblich an der Entwicklung beteiligt, …“ Genau wie das Publikum und Otaka-san sah nun auch Seto zu dem Treppenaufgang, über den Duke auf die Bühne kam. Mit einer Ausstrahlung, als hätte er noch nie etwas anderes getan, nickte Duke dem Heer von Journalisten einmal freundlich zu und stellte sich hinter dem mittleren Pult auf. Als sich kaum eine Sekunde lang ihre Blicke streiften, wurde Dukes Lächeln noch ein ganz klein wenig größer – so unscheinbar, dass es wohl niemandem außer Seto auffiel –, und die Welle aus Wärme und Leichtigkeit, die ihn daraufhin wie aus dem Nichts erfasste, war so stark, dass sie für ein paar Sekunden sämtliche äußeren Eindrücke verdrängte und er nur noch am Rande wahrnahm, wie auch Pegasus die Bühne betrat. Es war nicht Dukes erste Pressekonferenz, trotzdem klopfte sein Herz ungewohnt schnell gegen seinen Brustkorb und seine Hände hielten die Kanten des schmalen Pults fest umklammert. „Bitteschön“, rief der Pressesprecher die erste Journalistin auf, die sich erhob und nach kurzer Nennung ihres Namens und der Zeitung, für die sie schrieb, prompt ihre Frage stellte: „Wie kam es zu der Idee einer Duel Disk für Dungeon Dice Monsters?“ Duke musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass sowohl Max als auch Seto einen auffordernden Blick in seine Richtung warfen, denn natürlich war es an ihm, diese Frage zu beantworten. Lange hatte er im Vorfeld über das ‚Wie?‘ gegrübelt und sich letzten Endes für eine grobe, aber zweifelsohne zutreffende Vereinfachung entschieden: „Ganz typisch, würde ich sagen: Ein zufälliger Satz in einem Gespräch, der auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Wissen Sie, vor ein paar Monaten habe ich viel darüber nachgedacht, wie sich das Dungeon Dice Monsters-Erlebnis noch verbessern lässt, als sich meine Freunde eines Morgens über die vielen Vorteile der Duel Disk unterhalten haben.“ Das Sprechen selbst, sowie die automatische Erinnerung an jenen erlösenden (und folgenreichen) Moment auf der Klassenfahrt, die sich irgendwie schon so weit weg anfühlte, obwohl sie doch erst knappe drei Monate her war, brachten seine verkrampften Finger dazu sich nach und nach ein wenig zu lockern. „Ich wusste sofort, dass das meine Lösung sein musste, denn es war glasklar, dass Dungeon Dice Monsters, anders als Duel Monsters, von diesen Vorzügen noch nicht profitierte. Danach war der Weg zu Mr. Kaiba nicht weit – im übertragenen, wie im wörtlichen Sinn.“ Wenn die Leute wüssten, wie kurz der Weg tatsächlich gewesen war  … Der Gedanke ließ ein Schmunzeln um Dukes Lippen spielen, das er jedoch, ebenso wie einen verschwörerischen Seitenblick in Setos Richtung, gerade noch so unterdrücken konnte. Schon im Klassenzimmer musste er sich den Reflex zu seinem … zu Seto zu sehen, regelmäßig verbieten, aber hier wäre es ein noch größeres Ding der Unmöglichkeit gewesen. Neugierige Oberschüler waren das eine, ein Raum voller Journalisten und Kameras das Andere. Mit einem knappen Dank setzte sich die Reporterin wieder, während der nächste bereits sprach. „Mr. Kaiba, warum ein Release so kurz nach der neuen Duel Monsters-Duel Disk?“ Dankenswerterweise hatte ihm der Journalist mit dieser Frage endlich einen Grund gegeben Seto anzuschauen – wenn auch ganz neutral beobachtend und ohne jede Spur von Vertraulichkeit. Wie nicht anders zu erwarten, war Seto die Ruhe und Beherrschtheit in Person. Aufrecht und sicher stand er hinter seinem Pult, als könnte ihn nichts aus der Bahn werfen, und sah dabei gleichzeitig in seinem königsblauen Businessanzug absolut umwerfend aus. „Nachdem Mr. Devlin auf mich zugekommen war, nahm die Idee sehr schnell Gestalt an. Um die positiven Effekte für alle Seiten zu maximieren, war es unabdingbar, das Weihnachtsgeschäft nicht zu verpassen. Mit diesem Ziel im Blick haben sämtliche Beteiligten sehr fokussiert an dem Projekt gearbeitet.“ Wieder musste Duke seine Mundwinkel davon abhalten nach oben zu zucken. Oh ja, vor allem die Zusammenarbeit zwischen Seto und ihm war äußerst fokussiert gewesen – mehrmals in der Woche, bis tief in die Nacht … ohne, dass es irgendjemand hinterfragt hatte. Jetzt, wo der offensichtliche Grund (oder die Ausrede?) dafür wegfiel, würden sie in dieser Hinsicht wohl kreativer werden müssen … „Darüber hinaus wissen wir durch Marktforschung und gezielte Datenerhebung unsererseits und natürlich auch seitens Industrial Illusions, dass die beiden Spiele leicht unterschiedliche Zielgruppen ansprechen. Natürlich gibt es sehr viele Menschen, die beide gleichermaßen schätzen, aber die meisten haben doch eine klare Präferenz – wir erwarten daher auch keine Kannibalisierungseffekte.“ Der Reporter nickte und nahm wieder Platz, während Otaka-san schon auf den nächsten deutete. „Mr. Pegasus, wie sind Ihre weiteren Pläne für Dungeon Dice Monsters und die Zusammenarbeit mit der Kaiba Corporation?“ Pegasus ließ sich einen Moment Zeit und strich mit der Hand durch die Spitzen seiner Haare, bevor er zu sprechen begann: „Mit der Kaiba Corporation verbindet uns nun schon seit einigen Jahren eine enge und vertrauensvolle Partnerschaft, von der beide Seiten nur profitieren. Daher wird unsere Zusammenarbeit selbstverständlich weiterhin so intensiv bleiben, wie sie immer war. Was Dungeon Dice Monsters betrifft“, an dieser Stelle warf er einen kurzen Blick zu Duke und lächelte, „wusste ich vom ersten Moment an, dass es eine fantastische Ergänzung für unser Portfolio sein würde. Es konnte bereits und wird auch weiterhin eine äußerst solide Spielerbasis aufbauen, für die wir – natürlich allen voran Mr. Devlin – kontinuierlich Erweiterungen entwickeln und anbieten werden.“ An dieser Stelle gab es keine Notwendigkeit mehr für Duke sein Lächeln zurückzuhalten; ihm war, als sei er spontan um ein paar Zentimeter gewachsen. Wenn sein Vater nur sehen könnte, wie weit ihn dieser angebliche ‚Kinderkram‘ gebracht hatte! „Damit ist unsere Zeit für heute um, vielen Dank für das lebhafte Interesse!“, erklärte Otaka-san etwa fünfzehn Minuten und eine Vielzahl von Fragen später den offiziellen Teil der Pressekonferenz für beendet. „Jetzt gibt es noch die Gelegenheit für Fotos und nebenan in unserem Caféteria-Bereich ein kleines Buffet mit Snacks und Getränken. Anschließend haben Sie dann, nach einem kurzen Umbau, hier im Foyer die Möglichkeit, die DDM-Duel Disk einmal selbst anzusehen und auszuprobieren.“ Zu mehr als einem leisen Durchatmen kam Duke nicht, bevor Otaka-san Seto, Pegasus und ihm bedeutete, nach vorn an den Rand der Bühne zu treten. Ein schwarz gekleideter Mitarbeiter mit Headset brachte eine nagelneu glänzende DDM-Duel Disk auf die Bühne, die Seto und er halten sollten, während Pegasus mittig hinter ihnen positioniert wurde. Das kalte Metall des Gehäuses lag ungewohnt schwer in Dukes noch immer ein wenig feuchten Händen. Bilder begannen wie Blitze durch seinen Kopf zu zucken: Wie ihm die Duel Disk aus den Fingern glitt. Wie auch Seto nicht schnell genug reagieren konnte. Wie die Duel Disk zu Boden– Setos Hand bewegte sich ein Stück auf seine zu und die leichte, aber dennoch unglaublich beruhigende Wärme, die sie ausstrahlte, vertrieb auf einen Schlag sämtliche Befürchtungen. Wie ein Film, der zurückgespult wurde, liefen nun stattdessen die Ereignisse, die ihn hierher gebracht hatten, noch einmal vor seinem geistigen Auge ab: Kummer und Freude, Alpträume und Tagträume, Trauer und Ekstase, Kämpfe und Küsse. Jedes einzelne, positiv wie negativ, war es absolut wert gewesen, um jetzt hier neben Seto auf der Bühne zu stehen und ihr gemeinsames Projekt erstmals der Welt zu präsentieren. Und vielleicht sogar noch mehr für das, was die Welt nicht zu sehen bekam. Eine Hand wurde kraftvoll von hinten auf seine Schulter gelegt und ein vorsichtiger Blick aus dem Augenwinkel bestätigte Dukes intuitive Vermutung: Pegasus andere Hand lag bereits auf Setos Schulter. Dessen Gesichtszüge versteinerten augenblicklich und ein kurzer Ruck ging durch die Duel Disk, als Setos Hände merklich verkrampften. Dazu, etwas gegen den unfreiwilligen Kontakt zu unternehmen, kam er jedoch nicht mehr, denn in dieser Sekunde begannen aus allen Richtungen Auslöser zu klicken und blendend helle Lichter zu blitzen. Mitgefühl und Schadenfreude fochten einen ungleichen Kampf in Duke aus, den die Schadenfreude schnell und sehr eindeutig für sich entschied. Mit aller Kraft und Selbstbeherrschung, die er aufbringen konnte, musste er sich dazu zwingen, nicht zu kichern und sein Grinsen weiterhin professionell und fotogerecht zu halten. Wenige Minuten nach der Foto-Tortur standen sie gemeinsam etwas abseits in der Caféteria der Kaiba Corporation, um, auf Pegasus Vorschlag hin, mit einem Glas Champagner anzustoßen. Seto hatte den Vorschlag nur deshalb akzeptiert, weil sie alle drei bei einem Anlass wie diesem unter besonders genauer Beobachtung standen und es darum unumgänglich war, eine gewisse Harmonie nach außen zu transportieren – derselbe Grund, aus dem er unmöglich Pegasus Hand hatte wegschlagen oder sich angemessen darüber beschweren können, obwohl die Geste und die absolute Unverfrorenheit, mit der sie ausgeführt worden war, noch immer blanke Wut in ihm hochkochen ließen. In keinster Weise war er Pegasus Schützling und legte auch keinerlei Wert darauf von irgendjemandem so wahrgenommen zu werden! „Ach, Duke, mein Lieber!“, begann letzterer und ließ Seto damit unfreiwillig ebenfalls aufhorchen, „Wenn du nachher noch Zeit hast, würde ich mich freuen, wenn du mich zum Lunch begleitest. Es gibt ein paar Dinge, die ich gerne mit dir besprechen möchte und das natürlich bevorzugt persönlich, wenn wir schon einmal die Gelegenheit haben.“ Setos Augenbrauen zuckten nach oben. Oh nein, er wollte doch nicht etwa …? Nun, ich trage mich mit dem Gedanken, den jungen Devlin zurück nach Amerika zu locken. Knappe drei Monate hatte Seto es geschafft, diese unselige Praktikumsgeschichte auszublenden, und jetzt fiel diesem– „Na klar, kein Problem, ich bin ohnehin für den gesamten Vormittag freigestellt!“, hörte er Duke freimütig antworten und sein ganzes Inneres zog sich mit einem Mal zusammen. Was, wenn Duke …? Ach, wem machte er etwas vor, natürlich würde Duke, er musste einfach! Wahrscheinlich würde er sogar … aber was wurde dann aus … „Sir, entschuldigen Sie?“, sprach jemand Pegasus von der Seite an und unterbrach damit auch Setos sich unerbittlich weiter schraubende Gedankenspirale. „Ja, Croquet, was ist denn? Sie sehen doch, ich unterhalte mich!“ „Sir, schlechte Nachrichten: Ihr Flug heute Nachmittag wurde leider gecancelt. Wenn wir sofort aufbrechen, könnten wir noch den früheren Flug erwischen. Ich habe bereits vorsorglich entsprechend umgebucht.“ Sichtlich zähneknirschend nickte Pegasus, trank seinen Champagner in einem Zug aus und stellte das leere Glas auf einen der Stehtische. „Nun, du hast es ja gehört, mein Lieber“, wandte er sich erneut an Duke, „Sieht so aus, als müssten wir unser kleines Lunchdate wohl auf ein andermal verschieben!“ Seto konnte ein kaum hörbares, erleichtertes Ausatmen nicht völlig unterdrücken. Ja, aufgeschoben war nicht aufgehoben, irgendwann würde er – würden sie – sich wohl oder übel damit auseinandersetzen müssen, aber je später, desto besser! „Kaiba-Boy, es war mir wie immer eine Freude!“, verabschiedete sich Pegasus von ihm und das plötzliche Gefühl der Erlösung ließ Seto sogar kurzzeitig seinen Ärger über diese unselige Form der Anrede vergessen. „Sicher.“ Seto sagte nichts weiter, sondern erwiderte lediglich den kräftigen Händedruck. Pegasus nickte ihm noch einmal zu, dann schüttelte er auch Duke zum Abschied die Hand. „Duke, mein Bester, wir hören uns!“ Dessen Verabschiedung fiel um einiges herzlicher aus als seine eigene zuvor, und Seto entging keineswegs, wie Pegasus andere Hand dabei vertraulich auf Dukes Oberarm ruhte. Zu leise, als dass Seto etwas hätte verstehen können, tauschten die beiden noch ein paar Worte aus, bis Croquet erneut zögerlich an Pegasus herantrat. „Sir, wir müssen jetzt wirklich–“ „Ja doch, ich komme ja schon!“, fauchte Pegasus zurück und machte sich schließlich, gemeinsam mit seinem altgedienten Assistenten und der Handvoll weiterer Mitarbeiter, die ihn begleitet hatten, auf den Weg in Richtung Hinterausgang. „Hm, schade!“ Duke sah ihnen nach und drehte dabei gedankenverloren das Champagner-Glas in seinen Händen. „Ich frage mich, was er noch so wichtiges mit mir besprechen wollte …“ „Du wirst es schon noch früh genug erfahren!“, antwortete Seto ein wenig zu schnell und konnte nur hoffen, dass seinem sonst so überaus aufmerksamen Gegenüber der Hauch von Bitterkeit entgangen war. „Vermutlich.“ Duke zuckte leicht mit den Schultern und sah zu ihm auf. „Tja, dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als unseren Erfolg alleine zu feiern!“ Ein Lächeln – dieses Lächeln – trat auf Dukes Lippen und fegte mit einem Schlag alle Gedanken an Pegasus, das Praktikum, überhaupt alles, was nicht genau hier und jetzt war, ihm gegenüber stand und Duke Devlin hieß, davon. Für einen Moment war Seto so in den Anblick versunken, dass er überhaupt nicht registrierte wie Duke ihm das Champagner-Glas entgegen hielt. Erst das gedämpfte, warme Lachen, zusammen mit dem sichtlich belustigten Funkeln in den grünen Augen, brachte Seto wieder zu sich und er ließ sein eigenes Glas sanft gegen Dukes klingen. Am darauffolgenden Montag in der ersten Pause hatte Yugi Duke und die anderen zu sich an den Tisch gerufen. „Schaut mal, Leute!“ Er zog eine gefaltete Zeitungsseite aus seinem Rucksack und breitete sie zwischen ihnen auf dem Tisch aus. „Sie haben einen großen Artikel zu der Pressekonferenz am Freitag gebracht! Sogar mit Bild!“ „Oh, wie cool!“ So schnell wie Tea den Artikel zu sich drehte, hatte Duke gar nichts erkennen können. Über ihre Schulter hinweg betrachtete auch Tristan das Foto und nickte anerkennend in seine Richtung. „Siehst echt klasse aus, Mann!“ „Danke!“, antwortete Duke mit einem reflexhaften Grinsen, obwohl er bis jetzt weder das Bild noch den Artikel wirklich zu Gesicht bekommen hatte. Joey hinter ihm entließ ein tiefes Seufzen und klopfte ihm auf die Schulter. „Alter, ich bin echt tierisch froh, dass das alles nochmal gut gegangen ist! Wenn ich echt dran schuld gewesen wäre, dass dein Spiel den Bach runter–“ „Selbst wenn, wäre es nicht wirklich deine Schuld gewesen!“, unterbrach Duke ihn entschieden, „Und außerdem ist ja alles gut gegangen, also kein Grund sich darüber weiter den Kopf zu zerbrechen!“ „Ich weiß ja nicht, wie es bei dir aussieht“, schaltete sich Yugi wieder ein und sah zu ihm auf, „aber Großvater sagt, wir haben im Laden über das Wochenende auffällig viele DDM-Sets verkauft!“ „Ja, das haben meine Leute mir auch schon gesagt.“ „Großartig, ich freu mich ja so für dich!“ Das Lächeln auf Yugis Gesicht wurde noch größer. „Ich – wir alle – haben immer an dich geglaubt!“ „Ja, das habt ihr“, nickte Duke und kam wieder einmal zu der Erkenntnis, dass er, egal wie viele Zweifel er selbst haben mochte, seinen Freunden und allen voran Yugi in diesen Dingen einfach blind vertrauen sollte. Anscheinend hatte er wirklich eine ganz besondere Beziehung zum Schicksal … Als es zum Ende der Pause klingelte, schob Yugi ihm die Seite mit dem Artikel über den Tisch. „Hier, behalt sie gerne!“ Mit einem geflüsterten „Danke!“ huschte Duke schnell an seinen Platz zurück, während ein Räuspern aus Richtung des Lehrertisches auch das letzte Gemurmel im Klassenzimmer ersterben ließ. Er sah nach vorn zur Tafel und seine Augen weiteten sich ungläubig, ebenso wie die der meisten seiner Mitschüler: Ein älterer Mann in Hemd und altmodisch gemustertem Pullunder stand vor ihnen und blickte nüchtern in die Klasse. „Guten Tag, meine Herrschaften, mein Name ist Takeda und ich habe heute das Vergnügen, Yamamura-san zu vertreten.“ „Hey, Moment mal, sind Sie nicht–“, stammelte Joey einfach wild drauflos und deutete dabei leicht mit dem Finger auf ihn. „Ah ja, ich sehe, Sie haben mich nicht vergessen!“ Herr Takeda lächelte und schob seine Brille nach oben. „ Ja, nach dem Zusammentreffen mit Tomik–, ich meine natürlich, Kobayashi-san, habe ich mich entschieden meine Tätigkeit an der Privatschule zu beenden und …“, er räusperte sich, „das öffentliche Schulsystem besser kennen zu lernen.“ „Soso, das öffentliche Schulsystem …“, kommentierte Joey halblaut und nickte demonstrativ, sodass Duke, ebenso wie Tristan und einige andere Mitschüler, halberstickt losprusteten. Tea hatte es, genau wie ihre vielsagenden Blicke, bemerkt und verdrehte nur tadelnd die Augen. Die Stunde begann und Takeda-sensei glitt alsbald in einen nicht enden wollenden Monolog über Shakespeare ab, sodass Duke es für ungefährlich hielt, sich noch einmal der Zeitung zuzuwenden. Ganz langsam, geradezu im Zeitlupentempo, zog er sie zu sich heran und überflog den äußerst wohlwollenden Artikel, bevor er seine Aufmerksamkeit ganz dem Foto widmete. Er biss sich leicht auf die Unterlippe. Wie sie so da standen und gemeinsam die DDM-Duel Disk in den Händen hielten – links er selbst, genau wie jetzt kaum in der Lage sein Grinsen zu bändigen, rechts Seto, aufs Äußerste bemüht, weder Pegasus noch sonst irgendwen mit seinem Blick zu töten, sondern weiterhin möglichst neutral in die Kameras zu schauen … … Ja, sie sahen wirklich gut aus zusammen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)