Hunt von Dudisliebling ================================================================================ Kapitel 19: Feigheit (Siakoh) ----------------------------- 19 Feigheit (Siakoh) Dunkel und trübe zog ich die nächsten Tage durch mein Leben. Ich hatte mich für drei Tage krankgemeldet und rief so einen Sturm der Nachrichten herauf. Es waren Nachrichten von Yosuke und auch vom Griesgram, der wissen wollte, warum ich urplötzlich krank war. Doch ich las die Nachrichten eher undetailliert, schnappte nur die wichtigsten Worte heraus, um zu erfahren worum es ging. Ich wartete. Auf eine Nachricht von ihm. Und selbst? Ich traute mich nicht Alejandro zu benachrichtigen. Das Bild seines schwarzen Motorrads war alles, was ich von ihm besaß. Nebst den warmen Erinnerungen an unseren einen Tag. Den Tag in Freiheit vor der Außenwelt. Wir hatten in einem Kokon gelebt, der nur uns gehörte. Mit diesen Gedanken geißelte ich mich und lag heute den ganzen Tag in der Wanne. Meine Haut war schrumpelig und kalt, da das Wasser schon wieder an Wärme verloren hatte. Doch es wäre nun schon das vierte Mal, das ich das Wasser halb abließe und es mit kochendem auffüllte. Ich wollte darin ertrinken. Wieso war ich so dumm und hatte überreagiert? Alejandro wollte mich. Mehr als alles andere und hatte genau dies gezeigt. Das er mich zur Not in seiner Wohnung einschließen würde, bevor Yosuke mich noch einmal sehen könnte. Natürlich war dies eine Überdramatisierung dessen, aber das war sein Gedanke gewesen. Er wollte mich. Der erste Mann, welcher mich wirklich wollte. Und ich stieß ihn von mir. Ich war ein Idiot. Anstatt das Wasser zu wärmen, zog ich mich träge aus dem kalten und spürte sofort den kühlen Hauch meiner Wohnung, als ich mich ins Handtuch wickelte. Ich hatte zwar schon einige Depressionen durchlebt, aber diese war mit Abstand die schlimmste. Ich aß nichts, trank nur wenig und war es mir nicht mal wert zu heizen. Die Pflanzen ließen bereits den Kopf hängen, so wie ich es tat, wenn ich in meinem Flanell-Schlafanzug auf der Couch saß und der Dunkelheit frönte. Am vierten Tag weckte mich ein Klopfen an meiner Tür und ich schob brummend meine Schlafmaske von den Augen. Gestern hatte ich beschlossen einfach zu schlafen, bis ich nicht mehr aufwachte. Ich war jämmerlich, ein Wrack. Das Klopfen wurde heftiger und ich schob mich aus meinem Bett, schlüpfte in meine Puschen und schlurfte zur Haustür. „Ich komme ja schon!“, maulte ich. „Wer nervt denn so früh am Morgen?!“ Ein winziger Funken öffnete sich in meinem Herzen. Ob er es war? Würde er den Mut finden, der mir fernblieb, um mit mir zu sprechen. Wäre es Alejandro, dann würde ich mich sofort vor seine Füße werfen und mich entschuldigen. Ich hatte alles ruiniert. Auch wenn wir über die Eifersucht reden mussten. Ich öffnete die Tür und spürte den Funken erlöschen, als ich in die braunen Augen des Verursachers der Eifersucht sah. „Yosuke.“ „Guten Morgen, Siakoh!“, hörte ich eine mädchenhafte Stimme und sah hinab. „Ma Chérie“, begrüßte ich auch seine kleine Begleiterin und ging einen Schritt zurück. „Was für eine Überraschung.“ „Das kann ich nur zurückgeben!“, sprach Yosuke mich an und schob sich in meine Wohnung. Zusammen mit seiner kleinen süßen Adoptivtochter. „Seit wann lässt du dich so gehen?“ „Ich bin krank“, antwortete ich und warf matt die Tür ins Schloss. „Schon vergessen?“ „Nein. Diese Ausrede ist mir bekannt“, brummte er und ging in meine Küche. Ich folgte, als wäre ich der Gast dieser Wohnung. „Deshalb hat Emiko dir ein paar Kekse eingepackt, um dich aufzumuntern.“ „Hier!“, freute sie sich und überreichte mir eine kleine Präsenttasche, in der ich einige verzierte Päckchen sah. „Von allem etwas!“ „Danke dir, ma Chérie“, bedankte ich mich und streichelte ihr kurz über den Kopf. Schnaubend versuchte ich Haltung anzunehmen und straffte meine Schultern. Ich musste mich wieder aufrappeln. Auch wenn es schmerzte. „Wollt ihr etwas trinken?“ „Kaffee wäre nett“, grinste Yosuke scheinheilig. Ich ahnte genau, dass er hier auf einer Mission war. Schließlich hatte er mitbekommen, was passiert war und mich an diesem Tag ständig darauf angesprochen. Er hatte meine Tränen gerochen, da war ich mir sicher. „Und eine Milch für dich?“, bot ich Emiko an, welche nickte und sich neugierig umsah. „Du kannst dich ruhig umsehen“, gab ich zu verstehen und wieder strahlten ihre Augen, bevor sie sich dem Wohnzimmer näherte. Mein Blick flog zu Yosuke, nachdem ich den Wasserkocher anschaltete und einen Handfilter vorbereitete. „Also?“ „Hm?“, tat er unschuldig. „Du bist doch sicher nicht wegen der Kekse hier“, maulte ich meinen Verdacht leise, wollte Emiko nicht verletzten. Ich freute mich aufrichtig. Löffel für Löffel gab ich Kaffeepulver in den Filter. „Natürlich bin ich das!“, bestand er darauf und schob sich die Finger durch seinen Pony. Er trug sein Haar heute offen und so fielen seine Strähnen über seine Schultern. „Aber?“, bohrte ich nach und hörte das Wasser bereits brodeln. „Ich muss natürlich auch wissen, was mit dir los ist. Wolltest du dich heute weiterhin krankmelden und hier vor dich hinvegetieren?“, erfasste er meine Lage. Ich schob den Stoff meiner Kleidung zurecht, nahm den Wasserkocher und goss die Flüssigkeit über den Pulverkaffee im Filter. Leicht schäumend setzte sich die schwarze Brühe in der Kanne darunter ab. „Was wäre schon dabei?“, murmelte ich und spürte den entgeisterten Blick meines Freundes. „Ich weiß“, maulte ich und schloss die Augen. „Du verurteilst mich dafür.“ „Das stimmt! Wie kannst du nur sowas machen?!“ „Ich fühle mich eben danach!“, schmollte ich und setze den Kocher ab, als die Kanne voll war. „Das ist Unsinn!“, tat er ab und stemmte sich auf meine Arbeitsplatte. „Hat der Typ dir so den Kopf verdreht?!“ Hatte er das? Wenn ich ehrlich war, dann entsprach genau das der Wahrheit. Er hatte mir ein Gefühl ins Herz gepflanzt, dass ich nicht mehr, für nicht mal eine Sekunde, aufgeben würde. Sollte es noch einmal dazu kommen. Sollte er mir vergeben. Irgendwann. „Oh, man. Dein Schweigen spricht Bände. Du bist echt verknallt.“ „Sag das nicht so. Es ist aus.“ „Nur, weil du so reagiert hast“, stieß er den Finger in die Wunde. „Danke. Sehr nett mich darauf hinzuweisen“, grummelte ich und verschränkte die Arme. „Bekomme ich Kaffee?“, bat er und zwang mich dazu mich wieder zu lockern. Ich entnahm meinem Schrank zwei Tassen und stellte sie auf der Platte ab. In eine gab ich den Kaffee, in der zweiten bereitete ich eine Milch mit etwas Kakao zu. Yosuke trank einen Schluck und so schwiegen wir einige Sekunden. „Habt ihr geredet?“, fragte er und sah mir direkt in die Augen. Ich hielt dem Blick kaum stand und schloss deshalb die meinen. „Nein. Er schrieb kein Wort.“ „Und du?“, erfasste er meinen Fehler. „Traue mich nicht. Schließlich bin ich schuld daran“, gab ich zu. „Du bist so engstirnig!“, schollt er. „Ruf ihn doch an. Vielleicht sitzt er auch zuhause und schmollt. Er schien mir sehr überzeugend, als er mich bedrohte. Du scheinst ihm wichtig zu sein.“ Stimmte das? War ich ihm wirklich so wichtig, dass es selbst Yosuke in einer Drohung erkannte? Was hatte er aus Alejandros Augen gelesen. War da etwas, was ich gespürt und wonach ich mich so sehr sehnte? War es etwa… „Ich denke, er mag dich sehr“, sprach er meinen Gedanken aus und nahm einen weiteren Schluck aus seiner Tasse, während ich erstarrt ins Leere blickte. Mein Herz schlug auf. Das erste Mal seit Tagen. „Rede mit ihm! Und ich habe dir noch den Rest der Woche krank eingetragen.“ „Was?“, fragte ich verwirrt. „Damit du das in Ruhe klären kannst!“, erklärte er, stand auf und straffte seinen Mantelkragen. Er wollte wieder aufbrechen. „Moment, Yosuke!“, bat ich und griff nach seiner Hand. „Ich kann das nicht!“ „Dann ruh dich noch etwas aus und er wird dir nie verzeihen!“, zerschmetterte er meine Hoffnung mit realistischem Argument. „Oder soll ich mal mit ihm reden?“ „Nein, das wäre nicht richtig!“, quengelte ich los und hörte Emiko zurückkommen. „Deine Wohnung ist voller Blumen, Siakoh! Das ist wie im Dschungel!“, staunte sie und sprang auf uns zu. Sie erkannte ihre Tasse Milch und nahm sie an sich, um zu trinken. „Schön, dass es dir gefällt“, lächelte ich und dachte an Alejandro. Er hatte sich hier auch so wohl gefühlt. „Wir müssen dann gehen, Emiko. Oji wartet in der Praxis auf uns“, gebot Yosuke zur Eile und die kleine trank die Tasse leer. „Schade. Ich wäre gerne noch geblieben.“ „Du kannst jederzeit wiederkommen, ma Chérie“, bot ich an und sie strahlte vor Freude. Ihr Lächeln könnte die Arktis zum Schmelzen bringen. Ich brachte beide zur Tür und fühlte mich wieder auf den richtigen Weg gebracht. Aber ob das etwas bringen würde? Wenn ich mich bei Alejandro meldete? „Mein Angebot steht“, riss mich Yosuke aus meinen Gedanken. „Ich kann morgen bei ihm vorbei gehen. Brauche nur eine Adresse.“ „Nein, schon gut. Ich schaffe das! Und nun raus mit dir. Pass gut auf deinen Oji auf, ma Chérie!“ verabschiedete ich mich und schob mich eilig zurück in meine Wohnung, um die Tür zu schließen. Ich lehnte mich mit dem Rücken an diese und rutschte hinab. Mit geschlossenen Augen legte ich meine Hände an den Kopf. Da spuckte ich große Reden und spürte schon jetzt die Angst, die mich aufzufressen drohte. Ich würde es niemals schaffen ihm zu schreiben. Dafür hatte ich zu viel Mist gebaut. Aber Yosuke hatte auch recht. Würde ich hier weiter nur herumsitzen, dann würde das gar nichts mehr werden. Somit beschloss ich aufzustehen und warm duschen zu gehen. Danach suchte ich mir anständige Kleidung, bestehend aus einer dunklen violetten Jeans und grauen Shirt heraus auf dem ein ebenso violettes Kastenmuster abgedruckt war, heraus und zog es an. Danach schaltete ich die Heizung an, ließ Tageslicht in meine Wohnung und räumte die wenigen dinge weg die ich die letzten Tage benutz hatte. Zum Schluss gab ich den vernachlässigten Dschungel meines Zuhauses Wasser, für das die Blätter dankbar an Kraft gewannen. „Tut mir leid“, flüsterte ich ihnen zu und übte schon einmal die Worte. Ich kannte sie in dutzenden Sprachen. Ob es genügen würde, ihm diese vorzutragen, um zu zeigen wie leid es mir tat? Als nächstes zog ich meine Winterbekleidung an und ging aus dem Haus. Ich musste einkaufen. Er hatte mir zwar ein Dinner versprochen, aber ich wollte es mir nun unter den Nagel reißen, um es für meine Entschuldigung zu missbrauchen. An Dekoration und Tischwäsche war ich komplett ausgestattet. Mir fehlte nur die Idee, was ich ihm vorsetzten könnte. Die Idee mich nackt auf einem Teller zu räkeln schlich sich unpassend durch meinen Kopf. Aber das einzige Gericht, welches er mochte und von dem ich Kenntnis besaß war Misosuppe. Dies war dem Anlass nicht gerecht genug. Es musste etwas Besseres sein. Ich entschied mich für Dinge, die ich gut kochen konnte und die mir nie misslangen, kaufte dafür ein. Nachdem ich im Supermarkt alles erledigt und sich der Laden unheimlich gefüllt hatte, flüchtete ich mich in den Lotterieladen und stellte die schweren Tüten ab. Ich hatte es nicht mit Technik und suchte mir eine nette Karte heraus, bezahlte sie und machte mich dann auf den Heimweg, auf dem mir immer mehr eilende Weihnachtsboten entgegenkamen. Mir war nie bewusst gewesen, dass sich in Japan auch beschenkt wurde. Das hieße für mich ebenso Präsente zu besorgen. An sich feierte ich Weihnachten ja auch, jedoch nur mit dem Hintergrund, dass wir in meiner Bar dazu immer ein großes Tamtam gemacht hatten. Das wäre dieses Jahr anders. Ob ich es mit Alejandro feiern würde?, fragte ich seufzend und sah zum Himmel hinauf. Der Schnee hatte schon wiedereingesetzt und die Flocken fielen auf mich herab. Es war schließlich der höchste Feiertag der Christen. Sicher würde er feiern wollen. Aber ob er dies mit mir tun würde? Oh bitte! Bitte lass ihn so vergebungsvoll sein wie sein Gott es war. Zuhause angekommen befreite ich den Briefkasten von seiner Last und brachte alles in die Wohnung. Dort gab ich allem seinen Platz, besah mir die Rechnungen und warf sie achtlos in eine dafür vorgesehene Kiste. Darum könnte ich mich auch noch in ein paar Tagen kümmern. Nun gab es Wichtigeres! Auf meiner Couch ließ ich mich nieder und schrieb fein säuberlich: Es tut mir leid, ins Innere der Karte und verstaute diese im dazugehörigen Umschlag. Ob ich sie gleich wegbringen sollte? Ich schimpfte mich, denn in mir zog ein ungutes Gefühl auf. Als wäre es dumm und hinrissig es zu versuchen. Oh, Siakoh! Maulend und mit einer Portion Selbstgeiselung warf ich am Ende die Karte in den Müll. Das würde doch alles nichts bringen. Alejandro mochte doch sicher gar kein richtiges Essen und war nur an meinem Blut interessiert. Das stimmt nicht, sprach das Engelchen in meinem Kopf und ich gestand es mir ein. Er wollte mich. Das hatte ich ja schon kapiert. Nur annehmen konnte ich es irgendwie nicht. Was war an mir, dass er mich mögen konnte? War es nur mein Blut? Unsere naheliegenden Heime? Der Dschungel unserer Kindheit? Er wusste nichts von meiner Tanzleidenschaft und der Leidenschaft mich in Frauenkleidern zu werfen und anderen den Kopf zu verdrehen. Ich war eine Femme fatale, wenn es darauf ankam. Ob er das überhaupt händeln wollte? Und wenn ja, würde er mir die Ausflüge in diese Welt zugestehen? Wenn ich auch mal für andere tanzte? Diesen Drang hatte ich noch nie wirklich aufgeben können, seit ich damals durch Manolo in diese Welt trat. Würde er damit klarkommen? Mein Herz versetze mir einen Stich. Es wollte nur noch für ihn Tanzen, so wie es mein tierischer Instinkt mir vorsagte. Aber was wäre, wenn er mich nicht mehr wollte. Dann hatte ich niemanden der mich je so wichtig werden könnte, um diesen einen Tanz aufzuführen. Ich verlor mich wieder in der Depression und versank darin. Auf die Couch gerollt schloss ich die Augen und spürte den Mut schwinden. Ich würde es sicher versuchen ihn zu diesem Dinner einzuladen, um mich zu entschuldigen. Aber heute traute ich mich noch nicht. Auch zwei Tage später hatte ich mich noch nicht getraut und war schockiert darüber, dass Yosuke sich tatsächlich eingemischt hatte. Er hatte mir diese Tatsache gebeichtet, als ich bei ihnen zuhause gewesen war, weil Emiko mich eingeladen hatte. Sie wollte Crêpes machen und Yosuke schlug mich vor, um es ihr zu zeigen. Als langjähriger Franzose konnte ich gar nicht anders als meine Ehre zu verteidigen. Ich hätte ihn allerdings lynchen können und ging am Abend schimpfend nach Hause. „Dieser Wolfsjunge! Warum kann er nicht einmal die Füße stillhalten!“, brummte ich in meinen Schal hinein. Es war kalt geworden. „Wie armselig komme ich jetzt rüber, wenn ich ihn einlade!“ Forschend lugte ich auf mein Smartphone. Keine Nachricht. Seufzend steckte ich es wieder weg. Yosuke hatte ihn getroffen, wohl auf der Straße und er hatte ihn zu einem Kaffee eingeladen. Dort sprachen sie. Aber mehr verraten wollte er nicht. Nicht welches Ergebnis dabei herausgekommen war. Dieser Verräter! An meinem Wohnhaus angekommen öffnete ich den Briefkasten und sah hinein. Nur ein einzelner Umschlag lag drin und trug weder Poststempel noch Briefmarke. Was sollte das denn?, dachte ich und nahm ihn an mich, schloss monoton das Kastenfach und ging zum Fahrstuhl, der mich nach oben fahren würde. Während er dies tat, öffnete ich den Umschlag vorsichtig und bekam Herzrasen. Es war eine Karte mit einem Bild des Dschungels. Ranken und Blätter verschlangen sich nebst wunderschönen Blüten. Ich öffnete die Karte mit zittrigen Händen und musste zunächst aus dem Fahrstuhl steigen. Im kleinen Vorraum zu meiner Wohnung ging ich in die Hocke und riss die kleine Karte auf. Ich musste mir selbst Mut zusprechen, um die Worte zu lesen und atmete heftig ein, bevor ich las was darinstand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)