Fahrwasser von Mitternachtsblick ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Eigentlich war Max nur einen Moment lang an die frische Luft getreten. Es war heiß in Barcelona; er hatte nichts dagegen, aber es war gewöhnungsbedürftig, nichts gegen New York oder Tokyo. Von beiden Städten hatte er in den letzten Jahren viel gesehen, ohne sich dabei satt zu fressen. Was er von Barcelona hielt, wusste er noch nicht. Bisher war er nur im Durchzug hier gewesen, und auch jetzt hielt er sich nur drei Tage hier auf, bis das Gala-Battle zu einem guten Zweck sein hoffentlich positives Ende gefunden hatte. „Hast du Feuer für mich?“ Die Frage schreckte ihn aus seinen müßigen Überlegungen auf. Er hob den Blick, blinzelte, als er Mariam sah, die immer noch die schönste Frau war, die ihm jemals untergekommen war. Es spielte dabei keine Rolle, dass sie müde aussah. Sie stellte sich neben ihn, drückte den Rücken gegen die Wand, machte sich sichtlich keine Gedanken darüber, dass die Farbe vielleicht Flecken auf ihrem mitternachtsblauen Kleid hinterlassen würde. Max hatte sie seit mindestens fünf Jahren nicht mehr gesehen. Außerdem war er kein Raucher. Das hielt ihn aber nicht davon ab, seine Hosen- und Sakkotaschen abzuklopfen, bis er schließlich triumphierend ein Feuerzeug hervorzog. „Aha!“ Mariam verzog die Lippen zu einem kleinen Lächeln. Sie verspürte sichtlich keine Eile, als sie eine Zigarette aus der Schachtel holte, zwischen ihre Lippen klemmte und sich dann zu ihm beugte. Er sah in ihre jadegrünen Augen, als er sich ohne wirklich darüber nachzudenken vorbeugte und die Flamme an das Ende ihrer Zigarette hielt. Licht flackerte über die scharfen Kanten ihres Gesichts. Dann lehnte Mariam sich zurück, legte den Kopf in den Nacken und wandte ihm ihr Profil zu, als sie in den Nachthimmel sah und Glut einatmete, um Rauch auszustoßen. Graue Schlieren wirbelten in das Dunkel der Nacht; Max sah ihnen hinterher, um sich nicht in Mariams Augen zu verlieren. Hinter ihnen tönte wie aus einer anderen Welt die gedämpfte Geräuschkulisse von Musik, lauten Stimmen, Lachen. „Ich wusste nicht, dass du rauchst“, sagte Max. Eine dumme Frage. Er wusste nichts von ihr, nicht wirklich. Nicht einmal ansatzweise so viel, wie er von ihr wissen wollte. Seltsam, wie wenig die Zeit daran verändert hatte. Er war kein Teenager mehr, sondern ein junger Mann in seinen frühen Zwanzigern. Trotzdem hatte Mariam nichts von ihrer Faszination für ihn verloren. Mariam stieß erneut Rauch aus. Dann schenkte sie ihm einen amüsierten Blick. „Woher auch?“ Max lachte und rieb sich den Nacken. „Erwischt.“ Er atmete aus. Sah sie noch einmal von der Seite an. Wollte am liebsten gar nicht mehr den Blick von ihr nehmen. Jede ihrer Linien war wie der Schock eines Herzschrittmachers. Er war nicht ganz nüchtern - zu viele Gläser Aperitif, denen er zusammen mit Takao herzhaft zugesprochen hatte - und Mariams Anwesenheit machte das Gefühl von leichter Trunkenheit nicht besser. „Guter Kampf heute“, sagte sie nun, und er wusste sofort, wovon sie sprach: Er hatte nach Jahren wieder einmal gegen Kai gekämpft und verloren, aber er war davon gestolpert und hatte das Leben gespürt, mit jeder Faser seines Herzens. Kai hatte ihn danach sogar umarmt und ihm auf die Schulter geklopft. Selbst wenn es die Bladebreakers schon lange nicht mehr gab, hatte das nichts an dem Höhenflug geändert, den er verspürte, wenn Kai stolz auf ihn war. Dementsprechend lächelte er nun auch und fühlte sich nicht schlecht, fühlte sich auch nicht schuldig oder unzulänglich wegen seiner Niederlage. Das alles waren Sorgen der Jugend, und er war längst kein Jugendlicher mehr, auch wenn Mariam etwas an sich hatte, das diese alten Unsicherheiten wieder an die Oberfläche spülen wollte. Er ließ es nicht zu. Stattdessen lächelte er. „Danke. Hat Spaß gemacht. Und gerade von dir ist es ein großes Kompliment.“ „Gerade von mir?“ Sie hob amüsiert eine Augenbraue und er wusste nicht, ob sie sich über ihn lustig machte oder nicht. Aber das war ja an sich nichts Neues, und mittlerweile fand er es irgendwie charmant. Er hob die Schultern und lächelte noch mehr. „Ich hab deinen Kampf heute gegen Mathilda gesehen. Wahnsinn.“ Mariam reckte stolz lächelnd das Kinn und wandte den Kopf, um ihn mit ihren schönen Augen anzusehen. „Sie war eine würdige Gegnerin. Aber man merkt, dass sie ewig kein Beyblade mehr in der Hand hatte.“ Sie sah wieder in den Nachthimmel, um einen tiefen Zug von der Zigarette zu machen, deren Ende ein kleines, feuerfarbenes Glühen zwischen ihren Fingern war. „Schade eigentlich. Nachdem sie aus ihrer Schale rausgekommen ist, hatte sie einen recht eigenen Stil, sehr interessant.“ „Sie ist dir trotzdem nicht ganz gewachsen gewesen“, sagte Max, was nicht ganz fair war, weil Mathilda sich tatsächlich wacker geschlagen hatte. Aber er war nun einmal voreingenommen, und Mariam hatte in den letzten Jahren ihre tödliche Präzision zu etwas Meisterhaftem geschliffen. Ihr Feuer und Hochmut hatten sich in gefährlichen Fokus gebündelt. Es kribbelte in Max‘ Fingern, wenn er nur daran dachte. Vielleicht war etwas davon auf seinem Gesicht zu sehen, denn Mariam musterte ihn einen Moment, dann lächelte sie amüsiert. „Jetzt schmeichelst du mir aber.“ „Funktioniert es?“, fragte Max, der in den letzten Jahren auch nicht gerade untätig gewesen war, nicht nur in Beyblade-Bereichen. Mariams Lächeln wurde breiter. Sie beobachtete ihn über das Glühen ihrer Zigarette hinweg, nahm noch einen Zug, stieß den Rauch aus, dass er sie einen Moment lang wie ein Heiligenschein umgab. Eigentlich konnte Max Zigarettenrauch nicht ausstehen. Jetzt wollte er ihn von Mariams roten Lippen saugen und die Hände in ihren Haaren vergraben, bis der Geruch auf seiner Haut haften blieb. „Warum fragst du mich nicht, ob ich tanzen will und ich entscheide mich dann, ob es funktioniert?“, fragte Mariam. Unwillkürlich warf Max einen Blick zu der Eingangstor der Galahalle, aus der Licht und Musik über die Straße spülten. „Was ist, wenn ich dich nicht teilen will?“ „Wer hat davon geredet, wieder reinzugehen?“, fragte Mariam amüsiert, nahm noch einen letzten Zug und trat dann die Zigarette unter der glitzernden Spitze ihres High Heels aus. Sie war immer schon eine große Frau gewesen, aber mit diesen Schuhen war sie noch beeindruckender. Max hatte kein Problem damit, dass er ein wenig zu ihr aufsehen musste, als sie an ihn herantrat und die sorgfältig manikürten Finger über seine Schultern gleiten ließ, hinab über seine Arme, an denen sich unter ihrer Berührung die dunkelblonden Haare aufstellten, bis sie seine Hände erreicht hatte. „Und wer“, murmelte sie, „hat davon geredet, dass ich dich teilen will?“ Vielleicht hatte es eine Zeit gegeben, an der ihre Art Max verlegen gemacht hätte. Die lag jedoch bereits eine Weile hinter ihm; jetzt, nach Jahren des Selbstfindens und Erfahrungssammelns, war er gleichauf mit ihr. Er lächelte und glitt mit den Fingern über ihre, dann schlang er ohne Eile die Arme um ihre Hüften und zog sie an sich heran. Ihr Herz war kräftig und laut; er fühlte es unter seinen Händen, an seiner Haut vibrieren und sah Mariam stumm auf eine Weise an, die Bände sprach, wie gern er sie küssen wollte. „Ich hab dich schon den ganzen Tag beobachtet”, sagte er schließlich in den stillen Raum zwischen ihnen, während sie sich sachte zu einem Rhythmus bewegten, der eigentlich viel schneller war und durch den Asphalt unter ihren Füßen vibrierte. Von irgendwoher erklang Hiromis lautes, unbändiges Lachen, dann verschmolz es wieder mit dem Rest der Geräuschkulisse. Immer noch war Barcelona warm. Er spürte die Wärme auf seiner Haut kleben und dachte daran, wie sein Herz einen Schlag ausgesetzt hatte, als Mariam heute Morgen durch die Eingangspforte des Hotels, das die BBA für die Galagäste gemietet hatte, getreten war. Sie hatte eine Sonnenbrille getragen, die ihr halbes Gesicht verdeckte; sie war allein gekommen. Sie war allein geblieben, wie ein alter Haifisch, der durch das Meer glitt und nur gelegentlich mit anderen seiner Art zusammenstieß. Jetzt sah sie ihn an, die Augen klar und konzentriert. „Warum bist du nicht zu mir gekommen?” „Das fragst du allen Ernstes einen Defensiv-Blader?”, fragte Max amüsiert. Das rang ihr ein überraschtes Lachen ab und er grinste sie an, erfreut und mit dem gleichen Kribbeln, das er vor einem guten Match spürte. Die Spuren ihres Lachens klebten noch an ihrem geschwungenen Mund, als er mit der Unterseite seines Daumens über ihren hohen Wangenknochen glitt. Da atmete sie ein, und ihr Blick wurde hungrig, dunkel, der Blick eines Raubtiers auf nahende Beute. Max war nie Beute gewesen. Menschen waren keine Beute. Menschen waren Menschen. Er senkte ein wenig die Augenlider, als ihre Fingernägel sachte über die blonden Stoppeln auf seinem Kinn kratzten. Dann sagte er leise: „Und hat es nicht etwa funktioniert?” Mariam hob eine Augenbraue. „Funktioniert?” Max lächelte. „Letzten Endes bist du zu mir gekommen.” „Das bin ich wohl”, sagte sie leise, und ihre Mundwinkel kräuselten sich erneut zu einem Lächeln. „Und? Was wirst du jetzt machen?” Max sah sie an. Dann grub er eine Hand in ihr Haar, zog sie zu sich und kam ihr auf halbem Weg entgegen. Licht und Musik und Lachen; sie spülten über ihn hinweg, als er sich in Mariams Rauch und Schatten verlor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)